Von der Strahlkraft der Prinzipien

– und wie man sie binnen weniger Monate in Altmetall verwandelt

Es gibt Momente in der politischen Geschichte, die so reich an Ironie sind, dass man als Satiriker eigentlich nur noch den Stift niederlegen müsste, weil die Realität längst das bessere Kabarett liefert. Einer dieser Momente ist zweifellos das Schauspiel um Kanzler Friedrich Merz, jenen ehemaligen Oppositionslöwen, der einst mit zornbebender Stimme den zögerlichen Olaf Scholz in Grund und Boden wetterte, weil dieser angeblich nicht schnell genug Waffen nach Israel liefern wollte. Damals war Merz der Mann mit der Staatsräson im Herzen und der Rüstungslieferung im Gepäck. Heute, auf dem Thron der Macht, sitzt er da wie ein pietistischer Wassersparer und dreht denselben Hahn zu, den er einst mit Pathos aufdrehen wollte.

Es ist, als hätte ein Feuerwehrmann, der jahrelang für größere Schläuche gekämpft hat, endlich den Posten des Kommandanten ergattert – nur um im ersten Einsatz zu sagen: „Ach, wissen Sie, Wasser ist doch irgendwie Gewalt.“

Vom Märchen, die Hamas sei nur missverstanden

Die Hamas, so scheint es in den neuen Merz’schen Märchenstunden, sei ein empfindsames Wesen, das durch gutes Zureden zur Einsicht gebracht werden könne – gewissermaßen der grantige Onkel bei der Familienfeier, der nach einem langen Gespräch über die Vorteile einer vegetarischen Ernährung plötzlich den Fleischspieß aus der Hand legt. Dass diese Terrororganisation sich in ihrer DNA nicht durch Dialog, sondern durch Waffengewalt definiert, scheint in Berlin aus dem Kanzlerkalender gestrichen worden zu sein.

Man fragt sich, wie Merz auf dieses schmale Brett geraten ist. Vielleicht wurde es bei einem der endlosen Koalitionsrunden von der SPD gezimmert, lackiert von den Grünen und anschließend von den Liberalen als „innovatives Konfliktlösungsinstrument“ deklariert. Jedenfalls knarzt es bereits bedenklich.

Realpolitik oder Realitätsverlust?

Nun mag der geneigte Politikbeobachter einwenden: „Aber so ist doch Politik – das Bohren dicker Bretter, das Abwägen, das Ausbalancieren.“ Mag sein. Doch hier wird nicht gebohrt, hier wird abgebaut. Die Entwaffnung der Hamas – das erklärte Ziel auch des Kanzlers – soll nun also nicht mehr durch harte, auch militärische Unterstützung Israels, sondern durch „zielstrebige Verhandlungen“ erreicht werden. Man darf sich fragen, wer da wen verhandeln wird: Israel die Hamas oder die Hamas Israel?

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Jeder halbwegs nüchterne Beobachter – und damit sind ausdrücklich nicht die Teilnehmer des letzten Koalitionsmeditationsseminars gemeint – weiß, was ein Waffenstillstand ohne strategische Durchsetzung bedeutet: eine Atempause. Nicht für die Zivilbevölkerung. Für die Angreifer. Für jene, die im Süden lauern, im Norden scharren und im Iran die Champagnerkorken knallen lassen.

Die politische Kehrtwende als olympische Disziplin

Es gibt Volten in der Politik, die erfordern akrobatisches Talent. Die jetzige Kehrtwende von Merz jedoch ist so atemberaubend, dass selbst geübte Trampolinspringer schwindelig werden. Aus dem Verteidiger Israels wurde ein Kanzler des Klemmbretts, einer, der den militärischen Notwendigkeiten einen höflichen Brief mit „Wir melden uns“ hinterher schickt.

Damals rief er: „Wer Israels Sicherheit zur Staatsräson erklärt, muss auch liefern!“ Heute könnte er hinzufügen: „… oder alternativ einen inspirierenden Podcast darüber machen.“

Das moralische Vakuum

Wer glaubt, diese neue Politik sei einfach nur harmlos, irrt. Sie ist nicht harmlos – sie ist gefährlich. Sie sendet das Signal, dass Deutschlands Staatsräson verhandelbar ist, dass Prinzipien an der Garderobe der Macht abgegeben werden können wie ein zu sperriger Wintermantel. Für die Hamas bedeutet das: „Durchhalten lohnt sich.“ Für die Hisbollah: „Vielleicht bald euer Turn.“ Für den Iran: „Geduld, Freunde.“

Und für die Menschen in Gaza, die unter der Hamas leiden, bedeutet es: Das Regime kann ungestört weiterherrschen, während die Welt über diplomatische Tischdeko diskutiert.


Schlussakkord mit schalem Beigeschmack

Was bleibt, ist das Bild eines Kanzlers, der sich vom brüllenden Oppositionstiger zum schnurrenden Regierungskater gewandelt hat. Groß war die Stimme, solange er keinen Regierungsordner tragen musste. Jetzt, wo es darauf ankommt, kneift er – und liefert eine Vorlesung in angewandtem Opportunismus.

Es ist der moralische Offenbarungseid in Reinkultur: Staatsräson als Einwegprodukt. Pathos als Wahlkampfdekoration. Und Prinzipien als Saisonware.

Bleibt nur zu hoffen, dass nicht alle Abgeordneten seiner Fraktion in diesem politischen Nebel verloren gehen. Denn Nebel, das weiß man, ist nicht nur schlecht für die Sicht – er ist auch der natürliche Lebensraum von Ausreden.

TIP:  LAMENTO ERGO SUM!

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