Von der edlen Gesinnungsethik und der Naivität als Schiffsantrieb

Warum man die „Gaza Freedom Flotilla“ eigentlich direkt am Strand anlanden lassen sollte

Es ist schon eine bemerkenswerte Erscheinung, diese „Gaza Freedom Flotilla“, eine Armada der guten Absichten, ein segelnder Protestmarsch gegen das Unrecht der Welt, das sich – wie es die Teilnehmer sehen – vor allem im Nahen Osten in Form des israelischen Staates verdichtet. Man stelle sich die Szenerie vor: bunt bemalte Schiffe, flatternde Fahnen, junge Idealisten aus aller Welt, die zwischen Bio-Müsli und Antiimperialismus-Parolen die Welt retten wollen. Sie segeln nicht für Ruhm, nicht für Gold, sondern für das höchste Gut unserer Zeit: das moralische Prestige. Und doch stellt sich die Frage: Wenn es ihnen wirklich darum ginge, dem Gazastreifen näherzukommen, wenn es um „Solidarität vor Ort“ ginge – warum, um alles in der Welt, lässt man diese jugendlichen Edelsegler nicht einfach an den Stränden von Gaza landen?

Denn, sind wir ehrlich: Es wäre eine Erfahrung von der Sorte, die einem kein Lonely Planet Reiseführer der Welt beschreiben könnte. Die Flotilla könnte auslaufen, die Netze würden eingeholt, die Segel straff gezogen – und dann, wie einst Kolumbus, stiegen die Aktivisten an Land. Nicht in die Neue Welt, aber in eine Welt, die ihnen in ihrer Andersartigkeit vermutlich neu vorkommen würde.

Von der Entdeckung der Frauenrechte im Schatten des Minaretts

Es gibt jene romantische Vorstellung, dass Gaza eine Art unentdecktes politisches Paradies sei, eine Oase des Widerstands, wo „das Volk“ heroisch seine Unterdrückung abschüttelt. Es wäre sicherlich eine bereichernde Erfahrung für die flotillenfrischen Weltverbesserer, zu erleben, wie Frauenrechte dort tatsächlich gelebt werden. Vielleicht könnte eine junge deutsche Feministin mit ihrem kurzgeschorenen Haar und dem „Smash the Patriarchy“-T-Shirt an einer Straßenecke stehen bleiben und ganz frei und furchtlos eine spontane Rede halten – selbstverständlich unter den verständnisvollen Blicken der Männer, die gerade aus der Moschee kommen. Das Echo ihrer Worte, getragen vom warmen Wind des Mittelmeers, würde sich sicher nahtlos einfügen in die soziale Realität der dortigen Frauen, die – sofern sie überhaupt das Haus verlassen – das Gesicht verschleiert und das eigene Leben bestenfalls als Schatten führen. Welch herrliches Lehrstück darüber, dass die Theorie vom „universellen Feminismus“ eben doch ein paar landestypische Anpassungen verträgt.

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Von Regenbogenfahnen, die sich im Wüstensand schlecht entfalten

Man darf gespannt sein, wie die LGBTQ-Aktivisten an den Stränden Gazas empfangen würden. Vielleicht könnten sie eine Regenbogenflagge hissen, sie mit einem stolzen „Love is Love“-Chor entfalten und hoffen, dass die lokalen Behörden dies als sympathischen Farbtupfer im urbanen Grau werten. Wahrscheinlicher ist, dass die Fahne in Rekordzeit wieder eingerollt würde – nicht vom Wind, sondern von eifrigen Ordnungshütern, die den westlichen Freunden diskret, aber bestimmt erklären, dass gewisse Farben im Gazastreifen nicht zur Palette des erlaubten Lebens gehören. Eine Erfahrung, die auf Instagram vielleicht weniger „likes“ bringt, dafür aber einen Crashkurs in kultureller Relativität vermittelt: Toleranz wird hier nicht in Regenbogenfarben gemessen, sondern in der Fähigkeit, die eigene Existenz diskret und unauffällig im Untergrund zu gestalten.

Vom köstlichen Geschmack der freien Meinung

Es wäre auch journalistisch erfrischend, wenn die Teilnehmer der Flotilla im Gazastreifen einfach mal „frei von der Leber weg“ sagen könnten, was sie denken. Man könnte eine kleine offene Diskussionsrunde auf dem Marktplatz veranstalten: „Was halten Sie eigentlich von Hamas?“ – eine simple Frage, die jedem Menschen, der sich für Menschenrechte einsetzt, von den Lippen perlt. Die Antworten wären vermutlich ebenso erhellend wie knapp: Schweigen, Flüstern oder im besten Fall eine rasche Fluchtbewegung. Wer sich dennoch kritisch äußert, läuft Gefahr, das letzte Interview seines Lebens gegeben zu haben. Manchmal ist eben schon die Frage nach „freien Medien“ in Gaza eine riskantere Angelegenheit, als das geübte Berliner Diskussionspanel jemals erahnen könnte.

Von der Entzauberung der Solidaritätsromantik

Und so zeigt sich, dass die eigentliche Zumutung gar nicht die israelische Blockade ist, sondern die grausame Möglichkeit, dass die wohlmeinenden westlichen Aktivisten ihre Ideale mit der Realität abgleichen müssten. Man stelle sich die Gesichter vor: das entsetzte Schweigen, wenn die glühende Überzeugung, auf der „richtigen Seite“ zu stehen, von der Wirklichkeit auf den Kopf gestellt wird. Die Erkenntnis, dass man vielleicht doch nicht der mutige Freiheitskämpfer ist, sondern nur ein nützlicher Idiot im PR-Spiel einer Terrororganisation – diese Erkenntnis würde schwerer wiegen als jeder Sack Zement, den die Flotilla hätte an Bord nehmen können.

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Fazit: Ein Strandspaziergang, der Bildungsurlaub des Jahrhunderts

Darum, ja darum wäre es tatsächlich sinnvoll, die „Gaza Freedom Flotilla“ einfach anlanden zu lassen. Lasst sie gehen, lasst sie sehen, lasst sie erleben, was es bedeutet, unter einer religiösen Fundamentalistenherrschaft zu leben. Es wäre der wohl lehrreichste Bildungsurlaub ihres Lebens: ein Crashkurs in Realpolitik, ein unvergessliches Praktikum im Fach „Wirklichkeit“. Vielleicht kehren sie zurück, vielleicht auch nicht – aber sicher würden sie auf ewig etwas zu erzählen haben. Und das wäre doch ein Beitrag zur Weltliteratur, der weit über jedes selbstgefällige Twitter-Statement hinausginge.

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