
Europa demontiert sich selbst: Deindustrialisierung als neuer Gesellschaftsvertrag
Was einst mit Stolz auf Hochöfen, Walzstraßen und Montanromantik begann, findet heute sein Ende zwischen Bionade-Bürgertum und Wärmepumpendebatten. Die industrielle Stärke Europas – vor allem Deutschlands – verkommt zum musealen Relikt, irgendwo zwischen der Dampfmaschine und dem Wählscheibentelefon. Während man sich in Talkshows über Windkraftquoten streitet und gleichzeitig das letzte Chemiewerk in Bitterfeld schließt, schwant selbst den Optimisten langsam: Wir sind nicht auf dem Weg in die klimaneutrale Zukunft, sondern im freien Fall in die postindustrielle Bedeutungslosigkeit.
Der moderne Industrielle hat sich verwandelt – vom Motor der Gesellschaft zur idealtypischen Zielscheibe. Früher war er der Garant von Wohlstand, Sicherheit und Exportüberschuss. Heute ist er vor allem eins: der Bösewicht im Narrativ der Regulierungsfetischisten, der Umweltaktivisten mit Businessplan und der Eliten, die im Denken so emissionsfrei sind, dass man sich fragt, ob ihnen überhaupt noch Sauerstoff zugemutet werden darf. Und so fällt einer nach dem anderen: BASF kürzt in Ludwigshafen, Covestro vertagt die Zukunft, Dow zieht sich aus dem Osten zurück, als hätte man dort Plutonium statt Polymeren gelagert.
Der chemische Komplex, einst das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, wird nun zum Problemfall umetikettiert. In der politischen Kommunikation gilt die Industrie bestenfalls noch als toleriertes Auslaufmodell, wie die letzten Raucher im ICE-Waggon – irgendwo da hinten, ohne Anschluss ans echte Leben.
Freiheit, Gleichheit, Deindustrialisierung
Die großen Errungenschaften europäischer Gesellschaften – Rechtsstaat, Wohlstand, soziale Sicherheit – waren nie Gratisbeigaben der Geschichte, sondern Resultat ökonomischer Stärke. Nur ein Land, das produktiv ist, kann verteilen. Nur eine Gesellschaft, die Werte schafft, kann Werte haben. Doch mittlerweile glaubt man, man könne die Substanz der Freiheit von der Substanz des Marktes trennen – mit akademischer Arroganz und administrativem Übermut.
In Brüssel und Berlin wird eifrig daran gearbeitet, aus Europa ein Mahnmal des moralischen Fortschritts zu zementieren. Emissionshandelssysteme, Lieferkettengesetze, CO₂-Zölle, Taxonomien, Klimaampeln – das alles klingt nach Zukunft, fühlt sich aber an wie eine Nebelwand aus Papierkram. Unternehmerinnen und Unternehmer, die früher Innovationen schufen, sind heute damit beschäftigt, ihre Compliance-Abteilungen auszubauen, um bloß nicht gegen die zwölfte Auslegung der fünften Norm der dritten Novelle zu verstoßen.
Die Konsequenz ist einfach, brutal und unausweichlich: Wer Wertschöpfung verhindert, zerstört Wohlstand. Wer industrielle Fertigung ächtet, verliert soziale Stabilität. Und wer Europa zur moralischen Wellnessoase ohne Werkbank umbaut, darf sich nicht wundern, wenn am Ende der einzige Exportschlager das schlechte Gewissen ist.
Vom Panzer zur Pantomime: Sicherheitspolitik ohne Substanz
Evonik-Chef Kullmann bringt es auf den Punkt, wenn er fragt, was uns eine Panzerarmee nützt, deren Fahrzeuge im Ernstfall mangels Zulieferteilen nicht fahren. Die Antwort ist einfach: Nichts. Aber dafür sind sie emissionsfrei. Die westliche Verteidigungspolitik gleicht inzwischen einem Fitnessstudio für Gelähmte – man schwitzt sehr ambitioniert, kommt aber nie vom Fleck. Denn was nützen hochmoderne Waffensysteme, wenn die Rohstoffe aus China kommen, die Fertigung in Asien erfolgt und die Instandhaltung dem Genehmigungsverfahren der EU-Kommission unterliegt?
In einem Europa, das sich täglich selbst moralisiert, aber materiell dekonstruiert, entsteht eine paradoxe Sicherheitslage: Der Feind wird rhetorisch bekämpft, aber wirtschaftlich hofiert. Die letzte Zündkerze wird geopfert, damit das Klimaziel von 2030 nicht verfehlt wird. Und während man in Washington über Reshoring redet und in Peking längst vollendete Tatsachen schafft, diskutiert man in Berlin, ob Heizungstauschpflichten nicht doch zu schnell kommen könnten. So verteidigt sich Europa – mit Thermopapier und Verordnungsliebe.
Bürokratie als Wachstumshemmnis mit Stilnote
Kullmann spricht von der „regulatorischen Bleiweste“. Und tatsächlich: Europa hat es geschafft, Bürokratie nicht nur zu maximieren, sondern zu kultivieren – als Ausdruck höchster zivilisatorischer Reife. Das Regelwerk ersetzt den Richtwert, der Paragraph den Pragmatismus. Die Freiheit stirbt nicht an Zensur, sondern an Zetteln.
Dabei ist der Witz kaum noch zu überbieten: Man will Innovation, fordert Transformation, ruft nach Digitalisierung – und tut alles, um genau diese zu verhindern. Der Unternehmer wird zum Bittsteller, zum Verwaltungsakrobaten, zum Subventionsjäger in einem System, das ihm erst die Beine bricht, um ihn dann mit Almosen auf den Weg zu schicken.
Und das Volk? Es zahlt. Nicht sofort, aber sicher. Mit steigenden Preisen, wachsender Unsicherheit, sinkender Lebensqualität. Die Verarmung ist schleichend, aber konstant. Früher gab es den „Wohlstand für alle“. Heute gibt es Wärmestuben für Rentner und Strompreisbremsen für den Mittelstand. Der neue Gesellschaftsvertrag lautet: Wer nichts mehr produziert, hat auch keine Probleme mit Exportüberschüssen – und wer kein Geld hat, kann immerhin klimaneutral leben.
Kollateralschaden oder Hauptziel?
Die Frage, ob die Verarmung der Bevölkerung ein Kollateralschaden oder vielleicht sogar die stille Absicht einer entkoppelten politischen Klasse ist, ist inzwischen keine reine Verschwörungstheorie mehr, sondern eine denkbare Option im multivariaten Irrsinn der Gegenwart. Denn wer Deindustrialisierung predigt, gleichzeitig aber Transferzahlungen ausweitet, führt ein ökonomisches System ad absurdum: Man verteilt, was nicht mehr erwirtschaftet wird.
Vielleicht ist das auch das neue Narrativ: Der Bürger als betreuter Konsument, nicht als produktiver Akteur. Statt Lohnerhöhungen gibt es Zuschüsse. Statt Aufstiegsperspektiven eine App, die Energie spart. Die Verarmung wird nicht mehr als Krise betrachtet, sondern als Chance zur Umverteilung von Verantwortung – nach oben, versteht sich.
Fazit: Willkommen im Endspiel
Was bleibt? Ein Kontinent im Spagat zwischen Hypermoral und Realitätsverweigerung. Eine Politik, die das Pferd von hinten sattelt, und eine Bevölkerung, die zähneknirschend zuschaut, wie ihre Lebensgrundlagen „nachhaltig transformiert“ werden – in Form von Standortschließungen, Innovationsstau und materieller Ernüchterung.
Europa hat vergessen, dass Freiheit ohne Substanz nur ein hübsches Wort ist. Dass Moral ohne Mittel hilflos macht. Und dass Bürokratie kein Ersatz für industrielle Exzellenz ist.
Die Wahrheit ist unbequem, aber unausweichlich: Wer das Rückgrat der Wirtschaft bricht, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Gesellschaft zu Boden geht. Und sie wird nicht sanft landen.