Vom gesichtslosen „Islamismus“ zum kenntnisreichen „Islamismus“

Oh, der Islam. Eine Religion der Friedlichkeit, so hört man immer wieder in den Nachrichtensendungen, die aus irgendeinem Grund nur dann Aufmerksamkeit erhalten, wenn ein Terroranschlag stattgefunden hat. Aber halt, wer den Fehler begeht, das, was in diesen friedlichen Religionen verborgen liegt, gründlicher zu hinterfragen, könnte sich gewaltig verspekulieren – wie etwa der naiv-gläubige Tourist, der glaubt, in Venedig nur Brücken aus Gummi zu sehen. Doch keine Sorge, dieser Text wird nicht einfach so in die gängigen Klischees abgleiten, wie sie von Apologeten und – zugegeben – manchmal auch Islamkritikern vorgetragen werden. Nein, er wird tiefer bohren, scharfsinniger und in einer manierierten Mischung aus Zynismus, Polemik und Witz die Frage aufwerfen: Hat der Islam vielleicht doch sehr viel mit Islamismus zu tun?

Nun gut, bevor wir mit der Axt auf das Gemäuer von “Frieden und Toleranz” schlagen, sei gesagt: Der Islamismus ist nicht einfach der böse Schatten, der aus der Mitte der Religion herauswächst. Er ist nicht der rote Drache, der sich verselbstständigt und böse heranrollt. Oder doch? Viele Köpfe, die sich sowohl in der akademischen als auch in der journalistischen Welt einen Namen machen wollten, haben die These vertreten, der Islamismus sei ein Produkt des Westens oder ein Resultat eines modernen Wahnsinns. Aber sind wir nicht einmal ein wenig neugieriger, bevor wir solche simplen Entschuldigungen akzeptieren? Schließlich ist der Islamismus nicht ohne Ursprung, und dieser Ursprung, mein lieber Leser, hat nicht nur viel mit der Interpretation des Islams zu tun – er ist untrennbar mit den Texten verknüpft, die die Grundlage dieser Religion bilden.

Eine Mission der Liebe?

Ein kleiner Spaziergang durch die so genannten „Schwertverse“ im Koran könnte uns schon eine erhellende Vorstellung darüber verschaffen, wie die militante Lesart der Religion auf eine lange Geschichte zurückblickt. Doch um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Diese Verse sind nicht etwa in einem metaphorischen Container verpackt, wie man sie heute gerne als „historische Kontexte“ auslegt. Nein, der Koran ist von Natur aus in seinen Texten sehr klar und direkt. Die Schwertverse, etwa aus der Surah At-Tawba (9:5), die als „Vers des Schwertes“ berühmt wurde, fordern eine ganz und gar nicht friedliche Haltung:

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„Und wenn die heiligen Monate vergangen sind, so tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet.“

Diese klare Aufforderung, sich von den „Ungläubigen“ zu trennen oder sie zu eliminieren, mag im 21. Jahrhundert bei manchen, die sich der doppelten moralischen Lesart hingeben, als „Missverständnis“ gelten – als Verirrung in der Textanalyse. Doch die historische Realität lässt sich nicht so leicht mit modernen Perspektiven übertünchen. Der Koran ist nicht nur ein spiritueller Kompass, sondern auch ein militärischer Leitfaden. Warum also sollen wir diese Verse ignorieren oder relativieren, nur weil sie nicht mehr in unsere Ästhetik der sanften Toleranz passen?

Natürlich gibt es die erleuchteten Stimmen, die sagen: „Ja, aber es gibt ja auch den Vers, der die Gewalt verbietet!“, und das ist sicherlich richtig. Aber, und hier beginnt die wahre Herausforderung, der Islamismus, von dem wir hier sprechen, funktioniert nach einem Prinzip der Abrogation, einer schönen theologisch-juristischen Doktrin, die dafür sorgt, dass die „friedlichen“ Verse – die gerne mal zitiert werden – schlichtweg von den „kriegerischen“ Versen abgelöst werden, wenn es um politische Handlungsfähigkeit geht. Die „Schwertverse“ sind dann – Sie ahnen es schon – die vorherrschende Wahrheit.

Abrogation: Der Islamische Text als Waffe

Was für eine goldene Theorie! Die Abrogationstheorie ist ein wahres Geschenk für die harte, militante Interpretation des Islams, weil sie es erlaubt, den Koran nach Belieben umzuschichten. Ein Vers, der den Pazifismus predigt? Kein Problem, der wird einfach durch einen späteren, aggressiveren ersetzt. Und hier kommt der elegante Trick: Der Koran kann niemals „fehlerhaft“ sein, er kann niemals als „unvollständig“ betrachtet werden – sondern er kann lediglich durch den „fortschrittlichen“ Kontext des Propheten und seiner Biografie fortgeführt werden. Ein wahres Meisterwerk der Textverarbeitung!

In der Praxis bedeutet dies, dass die Schwertverse über die vielen Versöhnungsaufrufe und friedlichen Lehren des frühen Korans triumphieren. Ein bisschen wie bei einem politischen Diskurs, in dem man zuerst mit den friedlichen Argumenten beginnt und dann, wenn es notwendig wird, den „schlagkräftigeren“ Punkt des Verfassers hervorholt.

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Die Hadithen und das Leben Mohammeds: Ein Quellenverzeichnis für Terror

Doch der Koran allein genügt nicht, um das Bild des Islamismus zu vervollständigen. Da gibt es noch die Hadithen und die Sira, die Biografie des Propheten Mohammed. Beide sind wichtige Quellen für das Verständnis des Islams. Und auch hier entdecken wir einen interessanten Unterschied zwischen den vielen, oft inkonsistenten Interpretationen der Religion. Mohammed, der in seiner Jugend ein eher als pazifistisch geltender Unternehmer war, verändert sich dramatisch in seiner späten Zeit und wird zum Kommandeur, der zahlreiche Kriege führt und zum Entsetzen der Umgebung Kriegsgefangene hinrichten lässt.

Die Hadithen und die Sira bieten uns detaillierte Berichte über diese Lebenswende. Viele dieser Berichte stammen aus den ersten Jahrhunderten nach Mohammeds Tod, als der Islam sich gerade im Prozess befand, sich aus seiner Konfliktphase zu lösen und – naiv wie wir sind – in die goldene Ära des Wissens und der Wissenschaft überzugehen. Wer jedoch die Hadithen ernsthaft liest, wird nicht selten auf Geschichten stoßen, die das Bild des sanften, spirituellen Führers von heute ins Wanken bringen. In der Sira erfahren wir von seinem militärischen Feldzug gegen die jüdischen Stämme in Medina, und in vielen Hadithen finden sich spezifische Instruktionen für das Verhalten im Krieg.

Der Islam und der Islamismus – Eine Frage der Perspektive?

Am Ende könnte man einwenden, der Islamismus sei doch nur eine Verzerrung des wahren Islam – eine Reaktion auf die moderne Welt, die missverstanden oder politisch instrumentalisiert wird. Aber das reicht nicht aus, um der Frage gerecht zu werden, warum der Islamismus so tief in den religiösen Texten und in der historischen Biografie des Propheten verankert ist. Wer sich die Mühe macht, den Koran, die Hadithen und die Sira unter der Prämisse der Abrogation und der militärischen Expansion zu lesen, wird schnell feststellen, dass der Islamismus ein Produkt des Textes selbst ist – zumindest ein nicht zu vermeidender Teil des Dilemmas.

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Das bedeutet nicht, dass alle Muslime zwangsläufig Islamisten sind – das ist natürlich eine Vereinfachung. Doch die Tendenz, den Islam und den Islamismus zu trennen, geht an den Wurzeln vorbei. Vielleicht ist der Islamismus nicht bloß ein isoliertes Phänomen, sondern das, was passiert, wenn man die historischen und religiösen Quellen so liest, wie sie vorgeben, zu sein. Und das ist ein Gedanke, der viele im westlichen Diskurs kalt erwischen dürfte.

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