Vom Antifaschismus zum Antiformalismus

Die Straße frei den schwarzen Bataillonen. Antifa marschiert, mit ruhig festem Schritt.

Was einmal als aufrechter Widerstand gegen die barbarische Fratze des Faschismus begann, als moralisch zwingende Notwehr gegen jene, die den Menschen entindividualisieren, das Denken gleichschalten und die Demokratie zerstören wollten – ist heute ein groteskes Schauspiel geworden. Ein Trauerspiel in schwarzem Stoff, in dem selbst die Pose des Aufbegehrens zur Uniform geworden ist. Nein, der Antifaschismus lebt nicht mehr. Was heute auf Plätzen und Plattformen den Faschismus beschwört, ist nicht sein Feind, sondern sein kläglich verzerrtes Echo. Der Schatten, der sich für die Sonne hält.

Die Antifa marschiert – ja, tatsächlich marschiert. Mit Trillerpfeifen, Transparenz und Trommeln. Mit „ruhig festem Schritt“, wie es im Kampflied heißt, das so martialisch daherkommt, dass selbst Leni Riefenstahl diskret die Kamera abwenden würde. Da reckt man die Fäuste gen Himmel, als ob dieser schuld wäre, dass man keine Ironie versteht. Und währenddessen wird „gegen rechts“ gekämpft, notfalls gegen alles, was sich nicht bei der Erhebung gegen das Immergleiche in Reih und Glied stellt.

Die Ästhetik des autoritären Widerstands

Man möge sich die Szene vorstellen: Eine schwarze Kolonne zieht durch das Viertel, Kapuzen über den Köpfen, der Ton ritualisiert, die Haltung identisch. Es ist nicht die Idee des Aufbegehrens, die sich hier zeigt, sondern ihr Stil. Ein gefährlicher Stil, weil er das Denken ersetzt. Die Uniformität der Kleidung symbolisiert die Uniformität der Meinung – und wehe, einer trägt eine andere Jacke. Die „Straße frei den schwarzen Bataillonen“ – das war einst die Parole der SA. Heute ist es eine Realität unter anderen Vorzeichen: dieselbe Farbwahl, dieselbe Choreografie, andere Texte, aber ein vergleichbares Pathos.

Was bleibt, ist ein antifaschistischer Ästhetizismus, der seinen Gegner stilistisch nachahmt, um ihn moralisch zu überbieten. Das ist in etwa so widersprüchlich, als würde man zur Verteidigung der Pressefreiheit die Druckereien anzünden. Aber wer im Besitz der höheren Moral ist, braucht keine Logik. Die Wahrheit ist, was einem gefällt. Alles andere ist „rechts“. Ein Etikett mit der Klebekraft eines mittelgroßen Kaugummis unter dem Turnhallenstuhl der Geschichte.

TIP:  Feiertage für alle! Aber ohne Bedeutung, bitte.

Demokratie als Feindbild, Faschismus als Folklore

Was die neue Antifa bekämpft, ist nicht mehr der Faschismus – der hat sich längst in mausgraue Archive verzogen, in Gedenktafeln und Schulbücher, von wo aus er nur noch in Sonntagsreden aufersteht. Nein, bekämpft wird heute die Ambivalenz. Das Nicht-Eindeutige. Die Meinungsäußerung, die Fragen stellt, statt Parolen zu brüllen. Jeder Zweifel ist ein Verrat. Wer fragt, ist verdächtig. Wer argumentiert, provoziert. Und wer nicht sofort „solidarisch“ ist, wird denunziert – online, öffentlich, mit jener Mischung aus schaumigem Eifer und moralischer Selbstverliebtheit, die früher vor allem in Sekten verbreitet war.

Und während man das Wort „Demokratie“ wie einen Heiligen Gral vor sich herträgt, wird sie im selben Moment stranguliert. Mit Auftrittsverboten, Redeverboten, Denkverboten. Die Bühne gehört den Guten. Und nur wer sich klar zu den Guten zählt, darf mitreden – oder schweigen, aber bitte korrekt. Die Demokratie wird so lange gegen den Faschismus verteidigt, bis keiner mehr zu widersprechen wagt. Und wenn es am Ende gar keine Opposition mehr gibt – dann, so hofft man wohl, ist endlich Frieden.

Antifaschismus als Jugendbewegung mit Alterserscheinungen

Es ist eine bittere Ironie, dass der Antifaschismus der Gegenwart die Frische einer frühvergreisten Jugendbewegung hat. Man will radikal sein – doch radikal wogegen? Die Kapitalismuskritik verkommt zur Aufkleberlyrik auf MacBook-Hüllen. Der Widerstand gegen die Polizei wird bei Instagram dokumentiert – mit Filter. Und das große „Nie wieder!“ hat sich in ein permanentes „Jetzt sofort!“ verwandelt, bei dem keiner mehr weiß, was genau eigentlich verhindert werden soll.

Jene, die heute gegen den Faschismus aufmarschieren, sind oft längst selbst Teil eines autoritären Milieus geworden: intolerant, aggressiv, unfähig zur Selbstkritik. Wer nicht mitmacht, wird gecancelt. Wer nicht klatscht, wird geschnitten. Wer ironisiert, wird zur Gefahr erklärt. Der Antifaschismus von heute ist ein empfindliches Wesen. Es toleriert alles – außer den Widerspruch.

Was bleibt, ist ein Gefühl – und die Pose

Vielleicht ist das das Tragischste: Dass aus der historischen Notwendigkeit ein ästhetisches Hobby geworden ist. Ein Gefühl der moralischen Überlegenheit, gespeist aus historischen Erzählungen, aber nicht mehr gebunden an historische Verantwortung. Die Antifa ist zur Pantomime des Widerstands geworden. Die Bewegung lebt vom Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen – doch jede Bewegung, die sich selbst nicht mehr fragt, wohin sie sich bewegt, endet dort, wo sie nie hinwollte: im Dogma, in der Pose, im Wahn.

TIP:  Man kann seinen Pass wegwerfen ...

Die Straße frei den schwarzen Bataillonen? Nein, danke.
Frei soll die Straße sein – für alle, die den Mut haben, gerade nicht zu marschieren. Sondern zu stehen. Und zu denken.

Epilog: Gegen den Wahnsinn

Wahnsinn ist nicht, wenn Menschen glauben, sie kämpfen für das Richtige. Wahnsinn ist, wenn sie es so lange glauben, dass sie jedes Korrektiv ausschalten. Wenn sie in jeder anderen Sichtweise bereits das Feindbild erkennen. Wenn sie aufhören, zwischen Idee und Person zu unterscheiden. Und wenn sie sich dabei für die letzte Bastion der Vernunft halten – während um sie herum die Gedanken verkümmern, die Sprache erstickt und der Gegner in Wahrheit längst nur noch ein Schatten an der Wand ist.

Wer den Faschismus bekämpfen will, muss zuerst verstehen, was ihn ausmacht. Und sich dann fragen, ob man selbst noch so weit davon entfernt ist, wie man gerne glaubt.

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