
Andreas B.s Bildungsweg zwischen Schlingerkurs und Steigbügelhalterei
Man stelle sich einen Lebenslauf vor wie eine Autobahn: Geradeaus, Richtung Zukunft, nur gelegentliche Baustellen. Andreas B.s Weg hingegen erinnert eher an einen jener rustikal ausgeleuchteten Jahrmarkt-Geisterbahnen, wo man nie genau weiß, ob man am Ende wieder aussteigt oder plötzlich zum Teil der Attraktion wird. AHS Traiskirchen – abgebrochen. HTL Mödling – abgebrochen. Lehre als Betriebsschlosser – abgebrochen. Präsenzdienst – immerhin ein Jahr durchgehalten, aber in einer Institution, wo die Freiheitsgrade bekanntlich geringer sind als die in einer Kirchenorgel.
Man fragt sich: War dies jugendliche Suche oder früh geübte Systemkritik? Pädagogischer Widerstandskämpfer oder einfach nur auf Durchzug geschaltet? B. scheint Bildung eher als etwas erlebt zu haben, das einem wie Regenwetter zustößt – unangenehm, lästig, aber immerhin mit der Chance, dass man später im Wirtshaus etwas zu erzählen hat.
Der schlaue Ausstieg aus der Sackgasse
Doch wie bei jeder Geisterbahn gibt es irgendwann einen Ausgang – und siehe da: Der Weg führte nicht etwa zur Erkenntnis „Vielleicht doch nochmal die Berufsschule?“ sondern, hoppla!, direkt zur Donau-Universität Krems. Kein klassischer Elfenbeinturm, sondern ein ambitionierter Leuchtturm für bildungspolitische Seiteneinsteiger. Dort, wo das Bologna-System nur ein flüchtiger Besucher war und akademische Würden auch ohne Matura verliehen wurden – solange man eben „vergleichbare Qualifikationen“ vorweisen konnte.
Und B.? War Stadtrat in Traiskirchen. Das reichte offenbar. Die Stadt, in der sich sonst bestenfalls Asylquartiere stapeln, wurde zur Startrampe für einen bildungspolitischen Steigflug. Ob das Engagement in der Lokalpolitik tatsächlich eine gleichwertige Qualifikation zu AHS-Matura und universitären Vorstudien darstellt, sei dahin gestellt. Doch in Krems reichte es. Es reichte sogar für einen Master of Advanced Studies. Nicht Bologna-konform, nicht promotionsberechtigt, aber mit lateinischem Titel und allem, was das Prestige-Herz begehrt. Ein akademischer Thermomix, bei dem am Ende etwas Glänzendes rauskommt – auch wenn keiner so genau weiß, was eigentlich drin war.
Die Kremser Hintertür – Türspalt oder Scheunentor?
Die Donau-Uni Krems war zur damaligen Zeit eine Art bildungspolitisches Paralleluniversum. Ein Gesetz aus dem Jahr 2004 erlaubte, dass auch solche Personen aufgenommen werden konnten, die weder Matura noch Berufsausbildung abgeschlossen hatten. Die berühmte „vergleichbare Qualifikation“ – ein Gummiparagraph, so dehnbar wie ein Bundesheer-T-Shirt nach fünf Monaten Kantinendienst.
In B.s Fall lautete die wohlwollende Interpretation: Politisches Engagement. Die weniger schmeichelhafte: Vitamin B, rot eingefärbt. Was in der freien Wirtschaft bestenfalls für eine Schulung zur Arbeitssicherheit gereicht hätte, wurde hier zur Eintrittskarte in einen Masterlehrgang. Ein Fall von „Learning by Networking“. Oder auch: Bildung durch Beisitz.
Die Kritik an diesen Programmen kam nicht erst nach B.s Fall auf, sondern schon während sie ihren fragwürdigen Höhepunkt hatten. Akademische Inflation trifft akademische Improvisation – mit einem Resultat, das ausländische Universitäten kopfschüttelnd zurückließ und heimische Traditionalisten in den literarischen Nahkampf trieb. Verständlich: Wer zehn Jahre Jus studiert, reagiert empfindlich, wenn jemand anders für 16.000 Euro in vier Semestern zum „Master“ aufsteigt – ohne Latein, ohne Prüfung, ohne Stolz und ohne Vorurteil.
Master ohne Masterplan?
Das bringt uns zur Gretchenfrage: Wer hat den Spaß bezahlt? Laut offizieller Lesart hat B. den Studiengang einfach absolviert. Offen bleibt, ob die Stadt Traiskirchen – die damals ohnehin budgetär am Existenzminimum kratzte – das Studium ihres Stadtrats aus Gemeindemitteln sponserte, oder ob der künftige Kanzler aus eigener Tasche bezahlte. Die eine Variante wäre ein Lehrstück in politischer Vetternwirtschaft, die andere eine seltene Blüte privater Investitionsfreude. Beide Varianten wirken ungefähr gleich wahrscheinlich – und gleich unbefriedigend.
Aber wie immer in der österreichischen Innenpolitik gilt: Wenn niemand genauer hinsieht, bleibt alles irgendwie erlaubt. Wenn jemand doch hinsieht – wird das als Majestätsbeleidigung gewertet. Kritik? Gerne, aber bitte nur nach dem dritten Krügerl und mit aufgesetztem Grinsen.
Die Tragikomödie des akademischen Scheins
Am Ende bleibt B.s Bildungsweg ein Stück österreichische Gegenwartsprosa. Nicht stringent, nicht stringent geplant, dafür reich an Abzweigungen, Fußnoten und jener typischen Mischung aus Chuzpe, Improvisation und latentem Größenwahn, die so vielen hiesigen Biografien innewohnt. Es ist ein Weg, der weniger durch Bildung als durch Beharrlichkeit, weniger durch Wissen als durch Willen geprägt ist.
War es ein Durchmogeln? Ja. War es legal? Ebenfalls ja. War es legitim? Nun – das hängt davon ab, ob man Bildung als gesellschaftliche Aufstiegschance oder als symbolische Währung versteht. Für B. war sie beides. Für das Land bleibt der Nachgeschmack einer Bildungspolitik, die gerne mal beide Augen zudrückt, solange das Parteibuch die richtige Farbe hat.
Österreich, du Bildungswunderland
Andreas B.s Geschichte ist nicht nur die Geschichte eines Mannes, der viermal abbrach und trotzdem aufstieg. Es ist die Geschichte eines Systems, das solche Wege überhaupt ermöglicht. Eines Landes, in dem Scheitern keine Schande ist – solange man danach das richtige Rhetorikseminar besucht. In dem jeder zum Master werden kann – solange er die Tür findet, durch die sonst niemand geht.
Oder, um es mit den Worten eines berühmten österreichischen Bildungsministers zu sagen: „Wichtig ist nicht, was du weißt. Wichtig ist, wen du kennst – und was du dir leisten kannst.“
Der Rest ist Dekoration.