Vertrauen, Verrat und Projektion: Deutschlands schwieriger Umgang mit Freunden

Zwischen dem Griff nach der Macht und dem Griff nach dem Nächsten

Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal die kluge Hannah Arendt: „Das Problem war ja nicht, was unsere Feinde taten, das Problem war, was unsere Freunde taten.“ Ein Satz, der in seiner simplen Klarheit mehr Seelenzustände und politische Desaster in sich trägt, als manch monumentales Geschichtswerk an mehrbändigen Abhandlungen. Wer aber sind denn nun diese Freunde, die – wie Arendt es so nüchtern konstatiert – letztlich mehr Schaden anrichten, als es die vermeintlichen Feinde je vermocht hätten? Und wer sind die Feinde? Diese einfache Unterscheidung ist spätestens seit den Zeiten, in denen Deutschland im Schachbrett der Weltpolitik als Bauer aufgestellt wird, höchst volatil. Die Freund-Feind-Schemata, in denen man so gern verortet wird, sind weniger stabile Kategorien, sondern wandelbare Positionen, die sich wie schlechte Pantomimen gegenseitig an den Händen ziehen – mal gemeinsam lachend, mal in erbitterter Feindschaft.

Man kann nur hoffen, dass Deutschland in der Not einmal bessere Freunde haben wird, als es selbst einer ist. Diese Hoffnung ist nicht nur Ausdruck einer politischen Sehnsucht, sondern vor allem das Eingeständnis eines tiefen Dilemmas: Deutschlands eigene Freundschaften waren historisch betrachtet meist ein Spiegelbild seiner eigenen Ambivalenzen. Freunde, die sich als opportunistische Partner entpuppten, Freunde, die mehr mit dem Rücken zur Wand als mit offenem Herzen handelten, Freunde, die die eigenen Interessen eher verhüllten als vertraten.

Die Freundschaft als Projektion – oder: Wie Deutschland sich selbst im anderen sucht

Freundschaft im internationalen Kontext ist kein romantisches Ideal, sondern ein taktisches Arrangement – das ist keine neue Erkenntnis, sondern eine Binsenweisheit, die dennoch immer wieder mit verklärtem Pathos übermalt wird. Deutschland, in seiner postnazistischen Selbstfindung, hat sich lange bemüht, ein guter Freund zu sein. Die Devise: Verlässlichkeit, Leistungsfähigkeit, Zurückhaltung im Streitfall. Doch war dies wirklich Freundschaft oder nur das nüchterne Angebot eines schnöden Geschäfts, bei dem man möglichst wenig Risiko eingeht? Und wenn der Freund dann im entscheidenden Moment keine Hand reicht, ist die Enttäuschung vorprogrammiert.

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Der Clou ist, dass Deutschland selbst im Spiegel seiner Freunde zu sehen ist. Ein Freund, der zum Verräter wird, ein Partner, der im entscheidenden Moment abspringt – all das spiegelt oft die eigenen Unzulänglichkeiten. Deutschlands Freunde waren oft genug Freunde nur in der Theorie, ein Status, der mehr von Wunschdenken als von Realität bestimmt wurde. Im Grunde ist diese Geschichte eine Geschichte der Projektionen: Wir wünschen uns Freunde, die unsere Werte teilen, aber messen sie an unserem eigenen Verhalten und unserer Bereitschaft zum kompromisslosen Bündnis.

Vom Freund zum Feind: Wenn Vertrauen zur Währung wird und Freundschaft zum Poker

Die ironische Tragödie besteht darin, dass Freundschaft im globalen Spiel oft nur ein Poker ist, bei dem die Karten schamlos getauscht und manchmal sogar markiert werden. Die Freunde von heute sind die Feinde von morgen, und die Feinde können sich plötzlich als Freunde entpuppen – je nachdem, wie das Spiel verläuft. Deutschland hat sich in der Rolle des geduldigen Partners gefallen, der selbst dann noch den moralischen Zeigefinger hebt, wenn man ihn längst nicht mehr sehen will.

Doch wie soll man Freundschaft erwarten, wenn man selbst als notorischer Verweigerer von Verpflichtungen auftritt? Wie kann Deutschland bessere Freunde haben, wenn es selbst so oft als schwieriger, berechnender, ambivalenter Freund auftritt? Die Hoffnung auf bessere Freunde ist vielleicht die naivste aller Hoffnungen – oder eben die letzte, die man nicht aufgeben darf.

Die Dialektik der Freundschaft: Ein Blick in den Spiegel

Was also lernen wir aus dem zynisch-polemischen Blick auf das, was Freunde tun? Dass Freundschaft immer auch eine Frage des eigenen Spiegelbilds ist. Wenn der Freund enttäuscht, dann zeigt das nicht nur dessen Schwäche, sondern auch unsere eigene. Vielleicht ist Deutschlands größtes Problem nicht der Verrat von außen, sondern die eigene Unfähigkeit, konsequent Freund zu sein. Denn Freundschaft ist kein automatisches Gefäß, das man füllt und aus dem man nur schöpft – sie ist eine ständige Aushandlung, eine Gratwanderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

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Und so bleibt, am Ende dieses Essays, die paradoxe Hoffnung: Deutschland möge eines Tages nicht nur bessere Freunde haben, sondern selbst ein besserer Freund sein. Denn nur wer selbst bereit ist, Freundschaft zu leben, verdient sie auch. Bis dahin aber wird die Erkenntnis von Hannah Arendt uns wie ein scharfer Wind um die Nase wehen: Das Problem war ja nicht, was unsere Feinde taten, das Problem war, was unsere Freunde taten. Ein Satz, der bitter schmeckt, aber vielleicht auch wachrüttelt.

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