Und wieder die Ukraine – eine nie versiegende Quelle von Absurditäten

Der Wiederaufbau als Endlosschleife: Willkommen im geopolitischen Perpetuum Mobile

Es gibt Länder, bei denen man den Eindruck hat, sie existieren vor allem als Kulisse für Konferenzen. Die Ukraine ist so ein Land. Man rekonstruiert es permanent, aber nie vollständig. Jede Ruine wird zur Bühne für neue Milliardenversprechen, jedes zerbombte Verwaltungsgebäude zur PowerPoint-Folie in einem G7-Sonderausschuss. Der Wiederaufbau ist längst nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck geworden – wie ein Fitnessstudio-Abo, das man nie kündigt, obwohl man längst weiß, dass man nie hingeht.

Gerade wieder ist es so weit: In Rom – jener Stadt, die selbst so viele Kaiser und Konsuln überlebt hat, dass sie heute alles mit einem milden Lächeln der Ironie betrachtet – treffen sich die westlichen Macher des Fortschritts. Sie sitzen in schallgedämmten Tagungsräumen, tippen auf MacBooks Air, tragen Business-Casual und hören einem Mann zu, der via Video zugeschaltet wird.

Sein Name: Oleksii Chernyshov.
Sein Job: Vizepremierminister der Ukraine für Wiederaufbau.
Sein Status: Angeklagt vom ukrainischen Antikorruptionsbüro wegen Millionenschadens für den Staat.

Und was tut dieser Mann? Er hält – ungerührt, charmant, glatt wie die Fassade eines neu gebauten Shoppingcenters in Dnipro – eine flammende Rede an die Weltgemeinschaft: Investiert in die Ukraine! Helft uns, unsere Zukunft zu gestalten! Vertraut uns!

Die Reaktion? Höflicher Applaus. Einige Notizen. Man nickt zustimmend. Schließlich geht es hier um den Aufbau der Demokratie. Wer wollte da kleinlich sein?

Korruption als System: Der ukrainische Alltag im postheroischen Zeitalter

Man muss das verstehen: In der Ukraine ist Korruption kein Ausrutscher, sondern eine Struktur. Sie ist nicht das Problem des Systems – sie ist das System.

Seit den neunziger Jahren hat sich das Land zu einer Art wirtschaftlicher Parallelwelt entwickelt, in der öffentliche Ämter weniger als Vertrauenspositionen denn als renditestarke Beteiligungen gehandelt werden. Wer ein Ministerium leitet, betreibt kein Ressort – sondern eine Lizenz zur Gewinnmaximierung. Der Staat ist ein Franchise-Modell der Selbstbereicherung.

TIP:  Vom Bösen zum Notwendigen

Oleksii Chernyshov ist da keine Ausnahme, sondern der Prototyp. Der moderne Funktionär, der in teuren Anzügen auftritt, mit perfektem Englisch brilliert und sich im nächsten Atemzug von den gleichen Clans abhängig macht wie seine Vorgänger in den neunziger Jahren, als Oligarchen sich Minister kauften wie andere Leute Golfclubs.

Und das funktioniert bis heute blendend.

Die Oligarchen – oder: Der Elefant im Konferenzraum

Man spricht im Westen gern von „Reformen in der Ukraine“, aber niemand will so genau wissen, was das bedeutet. Das Wort ist längst zu einem Ritual geworden – ein magisches Mantra, das in jedem Statement vorkommen muss, um Seriosität zu simulieren.

Doch in Wirklichkeit weiß jeder: Das Land gehört nach wie vor den Oligarchen. Der Krieg hat das nicht geändert. Im Gegenteil: Krieg ist teuer. Und wer den Krieg finanziert, bekommt auch weiterhin die besten Stücke vom Kuchen.

Die großen Clans – Achmetow, Kolomoiskyi, Firtasch – sie alle sind noch da, auch wenn der ein oder andere zwischendurch mal kurz ins Ausland ausweichen musste, um Sanktionen zu umschiffen. Und immer wenn der Westen Geld schickt, sei es für Waffen, Infrastruktur oder humanitäre Hilfe, dann fließt ein Teil davon – wie von selbst, ohne dass es jemand direkt steuern müsste – in die Taschen dieser Leute.

Das ist keine Panne, das ist Design.

Die NGO-Karawane zieht weiter – mit glänzenden Broschüren und moralischer Überheblichkeit

Aber natürlich sind nicht nur die Oligarchen unterwegs. Auch die NGO-Industrie hat längst die Ukraine als Geschäftsmodell entdeckt.

Von Kiew bis Lwiw zieht eine ganze Armada von westlichen Beratern, Gender-Experten, Transparenz-Coaches und Good-Governance-Konsulenten durchs Land, die den Ukrainern erklären, wie moderne Verwaltung funktioniert. Es ist ein bisschen wie Kolonialismus, nur mit besseren PowerPoint-Folien und ethischen Grundkursen.

Die Honorare der westlichen Berater erreichen bisweilen schwindelerregende Höhen, während sie den Ukrainern die Kunst der Korruptionsbekämpfung näherbringen – in einem Land, in dem jeder weiß, dass das Hauptproblem nicht mangelndes Wissen ist, sondern mangelnder Wille.

TIP:  GENUG IST GENUG

Aber das stört niemanden. NGOs sind längst Teil des ökonomischen Ökosystems der Ukraine geworden – sie gehören dazu wie der Zollbeamte an der Grenze oder der Bote mit dem Umschlag im Regierungsflur.

Der Westen will betrogen werden – und die Ukraine liefert

Die eigentliche Pointe ist: Der Westen weiß das alles. Aber er will es nicht ändern. Denn die Ukraine ist zur geopolitischen Projektionsfläche geworden.

Man braucht sie als Bollwerk gegen Russland, als Sinnbild für Freiheit, Demokratie und den Kampf des Guten gegen das Böse. In diesem Narrativ ist kein Platz für Grautöne. Deshalb muss man sich einreden, dass es sich um ein Land handelt, das tapfer auf dem Weg zur europäischen Wertegemeinschaft ist – auch wenn es in Wahrheit ein Clan-Staat mit westlichen Etiketten bleibt.

Das ist die große Doppelmoral:

Man schimpft auf Korruption in Afrika, fordert good governance im Nahen Osten, lässt Entwicklungshilfeprojekte wegen Unregelmäßigkeiten stoppen – aber wenn es um die Ukraine geht, ist plötzlich alles egal.

Weil man es braucht. Weil es nützlich ist. Und weil niemand Lust hat, sich einzugestehen, dass man Milliarden in einen Staat pumpt, der auf den Schmiergeldflüssen reitet wie ein Surfer auf der perfekten Welle.

Und so geht es weiter. Unaufhaltsam.

Der Vizepremier wird also auch weiterhin auftreten. Trotz Anklage. Trotz der Millionen, die irgendwo verschwunden sind. Und das Publikum wird weiterhin zuhören, nicken, investieren, Broschüren drucken und „Zukunft“ sagen, wenn es in Wirklichkeit Gegenwart meint.

Die Ukraine ist eben kein Failed State. Sie ist ein Managed Corruption State.

Mit PR-Abteilung, Konferenzbeteiligung und geopolitischem Freifahrtschein.

Man könnte es fast für eine Satire halten.

Aber es ist Realität.

Und die Realität ist bekanntlich immer die härteste Form des Witzes.

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