Ukrainische Werteverteidigung, Danke

Zwischen Heldentum und Hypochondrie

Manchmal ist die Realität derartig skurril, dass sie selbst den kühnsten Satiriker in Verlegenheit bringt. Die Nachrichten aus der Westukraine könnten direkt einem absurdistischen Theaterstück entnommen sein: Eine 64-jährige Ärztin hat es sich zur Aufgabe gemacht, wehrfähige Männer durch eine spezielle Art von Papiermagie zu „entwaffnen“. Mit einem Kugelschreiber bewaffnet, stellte sie munter Invaliditätsbescheinigungen aus, die im Lande heiß begehrt waren – und tat dies so kunstfertig, dass sie über Nacht zur Millionärin wurde. Ihre „Dienstleistungen“ im Verkauf von Wehrunfähigkeit, so skandalös sie auch erscheinen mögen, haben den hochpreisigen Immobilienmarkt der Ukraine und weit darüber hinaus beflügelt. Wer hätte gedacht, dass man mit simulierten Krankheiten einen derart profitablen Immobilienbesitz anhäufen könnte?

Krank durch Korruption

Es gibt sie, diese Menschen, die eine bestimmte Nische in der Gesellschaft besetzen – doch selten erweist sich diese Nische als so lukrativ wie die unserer Ärztin. In einem Land, das im Krieg steckt und wo die Notwendigkeit, Männer an die Front zu schicken, allgegenwärtig ist, bot die Ärztin eine Dienstleistung an, die es den Betroffenen ermöglichte, der militärischen Pflicht zu entfliehen. Für einen hübschen Batzen Geld konnten sich die Herren der Schöpfung also ein Attest sichern, das ihnen bescheinigte, wehrunfähig zu sein. Welch noble Geste, nicht wahr?

Man stelle sich vor: Während ihre Altersgenossen Kreuzworträtsel lösen oder in den Garten gehen, türmte diese Frau in ihrer bescheidenen westukrainischen Wohnung Geldberge. Und nicht irgendwelche Häufchen, nein, „in jeder Ecke“ ihrer Wohnung fanden die Ermittler Bargeld. Man könnte meinen, sie hätte es anstelle von Deko-Elementen benutzt. In Zeiten, wo Tapetenmuster aus der Mode sind, scheinen Dollarstapel an den Wänden eine willkommene Abwechslung zu bieten. Zumindest ist dies der Vorwurf, der im Raum steht. Doch wer will es ihr verübeln? Ist nicht der echte Reichtum der, den man in jeder Ecke findet? Und nicht etwa der, den man auf der Bank lagert – was bekanntermaßen weniger stilvoll ist.

TIP:  Anschlag, Bla Bla ...

Die Männer der Schöpfung und ihre fiktiven Leiden

Wollen wir einen Moment innehalten und über die Art von Männern nachdenken, die bereit waren, Tausende von Dollar auszugeben, um sich als kränklich und unfähig zum Dienst am Vaterland ausgeben zu lassen. Da saßen sie, höchstwahrscheinlich bei bester Gesundheit, und ließen sich mit ein paar gezielten Unterschriften eine „unheilbare“ Erkrankung diagnostizieren. Vielleicht eine seltene Form der „Schützengrabenphobie“ oder eine schleichende „Kriegsfront-Depression“. Ihre Leiden, so fiktiv sie auch waren, hätten in einem tragikomischen Theaterstück nicht besser inszeniert werden können.

Und die Listen, die in der Praxis der Ärztin gefunden wurden, erinnern uns nur allzu sehr an alte Mafia-Filme. Da wurde kein Gemetzel verzeichnet, sondern nur die Namen derer, die sich mit ärztlichem Segen aus dem Kriegsdienst verabschiedet hatten. Fast schon rührend, diese Vorstellung von Männern, die sich eine Daseinsberechtigung außerhalb der Schützengräben erkauft hatten. Dabei stellt sich die Frage: Wer waren diese Männer? Helden oder Schurken? Opfer oder Täter? Vielleicht eine Mischung aus allem.

Luxusautos und Invaliditätsbescheinigungen

Unsere Heldin, die Ärztin, hat es also geschafft, mehr als nur ein bescheidenes Einkommen zu generieren. Nein, sie hat 30 Immobilien in der Ukraine erworben, neun Luxusautos zur Schau gestellt und sich Unternehmensrechte im Millionenwert gesichert. Wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche ukrainische Arzt etwa 300 Dollar pro Monat verdient, fragt man sich unweigerlich, wie viele gefälschte Bescheinigungen es wohl benötigt, um sich eine Luxuskarosse zu leisten. Eines dieser schicken Fahrzeuge, so vermutet man, könnte durchaus ein gepanzerter SUV sein – ironischerweise das perfekte Symbol für die Verteidigung gegen jedwede militärische Mobilmachung.

Doch damit nicht genug: Die Ärztin scheute sich nicht, auch in internationale Gewässer vorzudringen. Immobilien in Österreich, Spanien und der Türkei wurden von ihr erworben, und auf Auslandskonten ruhen zusätzlich zwei Millionen Euro. Die Welt ist eben ein Dorf – besonders dann, wenn man sich mit Wehrunfähigkeit ein globales Imperium aufbaut.

TIP:  Wie die Demokratie das Kuschen lernte

Diener(in) des Volkes

Der skandalöseste Aspekt dieser ganzen Geschichte ist vielleicht die Tatsache, dass unsere Ärztin Mitglied der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ ist. Man könnte fast meinen, dieser Name sei für eine Satire prädestiniert. Diese Frau, die sich dem Volke verschrieben haben soll, diente vor allem sich selbst – und einem kleinen, zahlungskräftigen Kreis von wehrunfähigen Männern.

Das ironische Lächeln auf den Lippen jedes Lesers wird spätestens hier von einem Zynismus verdrängt, der sich nicht mehr leugnen lässt. Denn in einem Land, das sich im Krieg befindet, ist es doch nur allzu passend, dass jene, die dem Volke „dienen“, selbst einen kleinen Profit aus dem Leiden und der Notlage der Gesellschaft schlagen. „Diener des Volkes“ oder „Plünderer des Volkes“? Es bleibt eine Frage der Perspektive. Die Antwort aber, so fürchten wir, liegt auf der Hand.

Geld aus dem Fenster werfen

Vielleicht das absurdeste Detail der ganzen Geschichte: Während der Durchsuchung ihres Hauses versuchte die Ärztin, zwei Taschen mit einer halben Million US-Dollar aus dem Fenster zu werfen. Eine halbe Million! Aus dem Fenster! Ein symbolträchtiger Akt, der den gesamten moralischen Zerfall, den diese Geschichte repräsentiert, perfekt illustriert. Man kann sich nur vorstellen, wie die Scheine sanft durch die Luft segeln, während unten auf der Straße ein erstaunter Polizist den unerwarteten Geldregen beobachtet. Wie in einem tragischen Slapstick-Film!

Ob es sich bei diesem Wurf um einen verzweifelten Versuch handelte, die Beweise zu vernichten, oder ob die Ärztin einfach nur ihrer Liebe zum Dekorieren freien Lauf ließ, bleibt offen. Eines ist jedoch sicher: Diese Geste ist nichts weniger als das ultimative Symbol für den dekadenten Reichtum, der auf betrügerische Weise angehäuft wurde.

Eine Satire der Wirklichkeit

So bleibt uns nichts anderes übrig, als mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen zu betrachten, was aus einem Beruf geworden ist, der einst als ehrenhaft galt. In einer Welt, in der Ärzte Leben retten sollen, hat sich diese Ärztin entschlossen, stattdessen Millionen zu verdienen – auf Kosten von Moral, Recht und dem gesunden Menschenverstand. Die ukrainische Gesellschaft, geplagt von Krieg und Chaos, hat in ihr eine der tragikomischen Figuren gefunden, die in einer zerrissenen Welt auftauchen, um uns an die Absurdität der menschlichen Natur zu erinnern.

TIP:  Die deutsche Hybris

Manchmal scheint es, als hätte die Wirklichkeit den Zynismus längst überholt. Doch vielleicht ist es gerade dieser Zynismus, der uns hilft, die skandalösen Absurditäten unserer Zeit zu überleben. Ein teures Attest, ein Luxusauto, ein bisschen Bargeld unter der Couch – und schon ist die Welt ein Stück reicher. Wenn das nicht die höchste Kunst des Überlebens ist, was dann?


Quellen und weiterführende Links:

Please follow and like us:
Pin Share