Über die neue Lust am gerechten Töten, den bellizistischen Biedermeier und die Rückkehr der Zivilisationsvergessenen

Die Kriegstreiber im T-Shirt – Von der Wellness der Selbstgerechtigkeit

Da sitzen sie also, die Generäle der Moral, in ihren Coworking Spaces und Twitter-Trutzburgen, klimatisiert, koffeiniert, post-ironisch. Sie führen Krieg mit Hashtags, fordern Waffenlieferungen mit beleuchtetem Keyboard, twittern sich ins Exerzitium der Entrüstung – und wundern sich dann, wenn der Tod nicht antwortet. Die neue Kriegsbegeisterung kommt nicht mehr mit Pickelhaube und Trommelwirbel daher, sondern als moralisch zertifiziertes Paket in der DHL-Sonderzustellung: „Panzer? Ja bitte! Und zwar express! Für die Freiheit™!“

Wie Helmut Schmidt einst sagte – Helmut, nicht Kevin – „Leute, die keinen Krieg erlebt haben…“, und der Satz endet nicht mit einer Pointe, sondern mit einer Verdammung. Denn heute führen diejenigen Krieg, die sich dabei fühlen wollen wie im Widerstand, aber auf der Couch sitzen. Sie haben nie einen Granatsplitter gesehen, nie gerochen, wie verbrannte Erde stinkt – aber sie wissen genau, wie man sich richtig positioniert. Zwischen Empörung und Empathie, zwischen Frontbericht und Followerzuwachs. Sie verwechseln geopolitische Komplexität mit einem Netflix-Drehbuch – und wollen in jeder Staffel als Helden auftreten.

Krieg als politisches Accessoire – Der Lifestyle des Lauten

Der Krieg ist zurück in den Köpfen, aber nicht in seiner hässlichen Realität, sondern als Zitat, als ästhetisierte Metapher. Politiker tragen heute militärische Begriffe wie Krawatten – „Zeitenwende“, „Verteidigung der Werte“, „Kampf gegen das Böse“ –, ohne auch nur einen Moment innezuhalten und sich zu fragen, ob hinter jedem heroischen Verb nicht ein verstümmelter Mensch liegt. Stattdessen wird aufgerüstet, investiert, geliefert, als ginge es um ein neues iPhone-Release. Und wer Zweifel äußert, gilt als Defätist, als Sympathisant des Feindes, als historisch unbeleckt. Die moralische Erpressung funktioniert prächtig: Wer für Frieden ist, muss sich erstmal erklären. Wer Waffen will, braucht nur ein scharfes Statement.

Früher war Krieg das letzte Mittel – heute ist er ein Statement. Ein Profilbild mit Flagge, ein Slogan, ein Tweet. Man will Haltung zeigen, nicht Haltung bewahren. Man will kämpfen – nicht leiden. Und vor allem will man: recht haben. Dass am Ende Menschen sterben, ist eine Randnotiz, über die hinweggegangen wird wie über Fußnoten in einem Manifest.

TIP:  Die verkehrte Welt der Grundrechte

Marschrichtung Meinung – Die Konformisten in den Kampfanzügen

Die wohlfeile Einigkeit in Redaktionen, Parteitagen und Sprechblasenforen erinnert an eine besonders skurrile Choreografie: Alle bewegen sich synchron, in einem Tanz der Zustimmung, der als Mut verkauft wird, obwohl er nichts anderes ist als das Gegenteil – der Rückzug ins bequeme Kollektiv. Kriegsbegeisterung ist wieder salonfähig, solange sie im richtigen Vokabular kommt. Wer hingegen abrüstet – sprachlich oder geistig –, gilt als naiv, feige, geschichtsvergessen.

Dabei liegt die wahre Geschichtsvergessenheit bei jenen, die Geschichte nicht mehr als Mahnung, sondern als Anleitung lesen. Sie zitieren 1938, schreien „Nie wieder!“ – und meinen: nie wieder zögern. Dabei hat gerade das Zögern große Katastrophen verhindert. Willy Brandts Kniefall war eine Geste der Demut, nicht der Macht. Heute kniet man nur noch, wenn die Likes stimmen.

Die Infantilisierung des Ernstfalls

Es ist die vielleicht größte Groteske unserer Zeit: Eine Generation, die sich zu Recht gegen psychische Belastung wehrt, diskutiert mit schäumender Begeisterung über Langstreckenraketen. Menschen, die Triggerwarnungen für Shakespeare-Stücke fordern, sprechen mit kühlem Sachverstand über den Nuklearschlag als Option. Die Dissonanz ist ohrenbetäubend. Was ist das für eine Gesellschaft, die Panzer mit Regenbogenflagge lackieren will? Die Waffenexporte für feministische Außenpolitik hält und dann betroffen schaut, wenn auch getötet wird?

Krieg ist kein planspielkompatibles Szenario für Talkshow-Moderationen. Er ist kein moralischer Preis, den man auf Podien diskutiert. Er ist auch nicht sauber. Er ist keine gerechte Sache. Er ist Dreck. Immer. Selbst im besten Fall. Und wer das vergisst, nur weil er nie barfuß durch Leichenteile waten musste, hat das Recht auf Kriegsrhetorik verwirkt.

Ein Echo der Geschichte – Wenn der Lärm wieder beginnt

Helmut Schmidt, der letzte Kanzler mit echter Kriegserfahrung, war ein nüchterner Mann. Kein Friedensapostel, kein linker Romantiker, sondern ein Realist mit einem moralischen Sensorium, das heute vielen fehlt. Er wusste, dass Krieg nicht heldenhaft, sondern höllisch ist. Dass jede Rakete ein Grab schaufelt. Dass man auch mal nicht mitmacht. Und vor allem, dass Moral ohne Mäßigung zur Barbarei wird.

TIP:  Die obere Mittelschicht des Mittelmaßes

Wer heute von „Zeitenwende“ spricht, sollte sich daran erinnern, dass Zeitenwenden selten sauber verlaufen. Und dass sie meist mit Pathos beginnen – und mit Trümmern enden. Der historische Rückspiegel zeigt nicht nur Hitler. Er zeigt auch Serbien, Vietnam, Afghanistan, Irak. Und überall dazwischen: die immer gleiche Illusion, dass man den Krieg „nur richtig führen“ müsse, um ihn zu rechtfertigen.

Der Furor der Ahnungslosen

Der neue Wahnsinn hat viele Gesichter. Er trägt Uniform, Hoodie, Podcast-Mikrofon und Ministerrang. Er ist nicht laut, er ist grell. Er ist nicht mutig, er ist fanatisch. Und er weiß alles besser – bis der Rauch aufsteigt. Dann ist das Internet still. Und die Hände zittern.

Ein Contra gegen diesen Wahnsinn heißt nicht: Kapitulation. Es heißt: Klarheit. Vorsicht. Und das Wissen, dass es keine sauberen Kriege gibt, nur schmutzige Lügen.
Denn wer heute nach Waffen ruft, sollte sich fragen, ob er sie auch tragen würde.
Oder ob er nur den Tod delegiert – an andere, weit weg, unsichtbar.

Helmut Schmidt wusste, wovon er sprach. Die meisten anderen sprechen – und wissen nichts.

Please follow and like us:
Pin Share