
über Verbote, Vergleiche, Verdrängung – und die Kunst, sich mit Geschichte die Zähne auszubeißen
Ein Gesetz wie ein Frontalcrash mit der Vergangenheit
Es ist vollbracht. Die Tschechische Republik, jenes nachdenklich gewordene Kind der Samtenen Revolution, hat sich dazu durchgerungen, in einem heroischen (oder hysterischen?) Akt der Rechtsgeschichte endlich das getan, was der nationale antikommunistische Reflex seit drei Jahrzehnten ersehnt, gefordert, herbeigeschrien hat: Die Kommunisten stehen nun offiziell neben den Nationalsozialisten – im Strafgesetzbuch, wohlgemerkt. Beide sollen künftig gleich behandelt, gleich verfolgt, gleich verachtet werden. Eine Gleichstellung, die weniger juristische Logik als vielmehr politische Psychotherapie atmet.
Was als Akt der historischen Gerechtigkeit verkauft wird, ist in Wahrheit das, was man mit einem schlichten Wort „Rache“ nennen könnte – freilich eine mit einem Etikett demokratischer Notwehr übertünchte. Rache an Gespenstern, die ohnehin nur noch an Denkmaltagen und auf schlecht besuchten Parteitagen herumgeistern. Rache an der eigenen Geschichte, die man lieber verbieten würde, als sie zu verstehen.
Wenn Geschichte zur Statistik verkommt – und Moral zur Keule
Natürlich: Die kommunistische Herrschaft in der Tschechoslowakei war repressiv. Natürlich: Die Geheimpolizei hatte mehr Ohren als ein Konzertsaal. Natürlich: Die Parteispitze war so demokratisch wie ein Betonklotz. Aber: Wer den Kommunismus als monolithischen Block dämonisiert, wer Stalin neben Hitler stellt, als handele es sich um zwei Varianten derselben Pathologie, betreibt nicht Aufklärung, sondern moralische Vereinfachung im XXL-Format.
Und überhaupt: Seit wann definieren sich Demokratien dadurch, dass sie Meinungen verbieten? Ach ja, wenn diese Meinungen „böse“ sind. Aber wer bestimmt das? Wer entscheidet, ob ein Verweis auf Marx schon Propaganda ist oder erst dann, wenn man Lenin in Bronze gießt und auf dem Wenzelsplatz eine rote Büste aufstellt? Die Tschechische Republik, so scheint es, ist dabei, sich durch Verbot ein historisches Saubermann-Image zu verpassen – mit einem Gesetz, das wie ein Symbol politischer Hygiene wirkt, aber den Schmutz der Vergangenheit nur tiefer unter den Teppich kehrt.
Katerina und der Klassenkampf 2.0
Besonders ironisch ist die Szenerie, weil die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) bis heute nicht totzukriegen ist. Sie hat Mitglieder, sie hat Wähler, sie hat ein funktionierendes Sprachrohr – und sie hat: Katerina Konecna. Die Frau, die mit einem Dauerblick der Empörung durch Talkshows marschiert, ist eine wandelnde Mahnung an all jene, die glauben, man könne Ideologien durch Strafrechtsnovellen aus der Welt schaffen.
Konecna gibt sich kämpferisch – was man von Kommunisten ja gewohnt ist – und nennt das neue Gesetz einen Angriff auf die politische Vielfalt. Dabei ist gerade ihre Partei ein Anachronismus in roter Verpackung: marxistisch in der Rhetorik, populistisch in der Praxis, nostalgisch in der Haltung. Und dennoch: Sie ist demokratisch gewählt. Noch. Bald könnte sie illegal sein.
Dass ein ehemaliger KP-Funktionär – Petr Pavel – dieses Gesetz unterschreibt, gibt dem ganzen Stück eine groteske Würze, die Kafka vor Neid in die Schreibmaschine hätte beißen lassen. Es ist, als würde ein trockengelegter Alkoholiker dem Bier das Brauen verbieten. Vielleicht ist es Reue. Vielleicht ist es Kalkül. Wahrscheinlich beides.
Wenn Antikommunismus zur Ersatzreligion wird
Was der Antikommunismus in Tschechien heute ist? Nicht bloß ein Reflex. Nicht bloß eine Haltung. Sondern fast schon eine staatstragende Ersatzreligion. Es ist ein Glaubensbekenntnis, das man nicht anzweifeln darf, ohne unter Verdacht zu geraten. Die „Gleichstellung“ von Kommunismus und Nationalsozialismus ist dabei wie ein Dogma: Man muss es nicht verstehen, nur glauben. Wer fragt, wankt.
Dabei macht die Gleichsetzung historisch wenig Sinn. Sie ist nicht nur ein analytisches Eigentor – sie ist auch politisch gefährlich. Denn sie nivelliert Unterschiede, bannt Grautöne, und suggeriert: Wer für Mietendeckel ist, steht mit einem Bein im Gulag. Wer sich Kapitalismuskritik erlaubt, denkt bereits an Enteignung. Ein Schwarzweißdenken, das politisches Gespräch durch moralische Erpressung ersetzt.
Putin, Prag und der Phantomschmerz der Sowjetunion
Natürlich bleibt auch Moskau nicht stumm. Der Sprecher der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, deutet das Gesetz als Angriff auf Russland selbst – was immerhin eine kuriose Ehrlichkeit offenbart: Offenbar ist man sich in Moskau durchaus bewusst, dass das heutige Regime mit der alten Sowjetunion mehr gemein hat als bloß nostalgische Gedenkfeiern.
Dass ausgerechnet ein Repräsentant der neuen russischen Autokratie die tschechische Gesetzgebung als „faschistisch“ kritisiert, ist ein rhetorischer Geniestreich aus dem Handbuch für dialektische Inkontinenz. Die Ironie: Im Russland des Jahres 2025 wäre jede Form von echter kommunistischer Demokratie ebenso verboten – nur nennt man sie dort eben „Störung der sozialen Ordnung“.
Verboten, aber nicht verschwunden
Man kann Parteien verbieten. Man kann Symbole entfernen, Bücher zensieren, Reden bestrafen. Aber man kann Ideen nicht ausmerzen wie Unkraut im Schrebergarten. Das Gedankengut lebt weiter – in Küchen, in Kneipen, im Netz. Und je mehr man es verbieten will, desto attraktiver wird es für jene, die sich ausgeschlossen, verraten, ignoriert fühlen.
Und ja, die KSCM ist keine progressive Lichtgestalt. Aber sie ist auch keine Nazi-Partei mit Uniformfetisch. Sie ist ein Sammelbecken für Nostalgiker, Rentner, Systemverlierer – und ein paar Idealisten, die nicht glauben wollen, dass „links“ zwangsläufig „Stasi“ bedeutet.
Finale Furioso: Satire oder Staatsraison?
Vielleicht ist es ja genau das, was dieses Gesetz in Wahrheit tut: Es zeigt die Ohnmacht der Demokratie gegenüber ihren eigenen Dämonen. Es ist ein symbolischer Exorzismus, ein verzweifelter Versuch, durch Paragrafen zu regulieren, was die Gesellschaft selbst nicht mehr klären will: Was darf gesagt, gedacht, gewählt werden – und warum eigentlich?
Ein Gesetz, das mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Eine Maßnahme, die sich als Notwehr tarnt, aber an die Wurzeln politischer Freiheit rührt. Und ein Triumph der Erinnerungspolitik über die politische Realität.
Bleibt nur noch zu hoffen, dass die Freiheit sich nicht eines Tages dagegen wehrt, so oft zu ihrer Verteidigung missbraucht zu werden. Denn sonst droht der Demokratie das, was sie dem Kommunismus vorwirft: dogmatisch, intolerant und geschichtsvergessen zu werden.
Und dann helfen auch keine Gesetze mehr.
Ende mit Ironie. Oder fängt es gerade erst an?