
Ein Nachruf auf den Mann, der die Welt mit einem Lächeln demontierte
Wenn Zynismus eine Kunstform ist, dann war Tom Lehrer ihr unangefochtener Mozart – oder besser: ihr Groucho Marx mit Klavier. Mit seinem Tod verliert die Welt einen Mann, der so witzig wie weitsichtig, so gnadenlos klug wie schmerzhaft präzise war – ein satirisches Skalpell in einer Welt der rhetorischen Gummimesser. Nun ist also auch der scharfste Verstand der Harvard-Mathematik und des schwarzen Humors verstummt. Und wir fragen uns: Wer reimt uns jetzt das Elend so schön wie Lehrer?
Lehrer, der in den 1950ern und 60ern mit Liedern über Atombomben, Völkermord, Moralheuchelei und toxische Frömmigkeit Millionen Menschen zum Lachen und Erschrecken brachte, war ein Solitär – eine Art musikalischer Diogenes mit Flügel. Er sang, was andere sich nicht einmal zu denken trauten, und tat es mit der Eleganz eines Kabarettisten, der es nie nötig hatte, auf eine Bühne zu steigen, um Applaus zu heischen. Seine Bühne war die Welt, sein Publikum das denkende Individuum – und seine Pointe stets ein Dolchstoß ins gutbürgerliche Zwerchfell.
Der Humorist, der nicht versöhnte
Was Tom Lehrer so einzigartig machte, war sein Unwille, zu trösten. Wer in seinen Liedern Erleichterung suchte, wurde bitter enttäuscht – oder belohnt, je nach Temperament. Er gab keine Hoffnung, sondern Klarheit. Kein Schöndenken, sondern scharfen Spott. Ob „The Vatican Rag“, „Pollution“ oder „So Long, Mom (I’m Off to Drop the Bomb)“ – Lehrer zeigte mit fröhlicher Virtuosität, wie sehr die Absurditäten der Welt den moralischen Ernst aushebeln. Er verzieh nie. Und dennoch liebte man ihn.
Vielleicht, weil man bei Lehrer lernte: Der Witz ist die letzte Bastion des freien Denkens. Sein Sarkasmus war nie Selbstzweck, sondern Widerstand. Ein intellektueller Mittelfinger gegen Dogma, Macht und die feisten Selbstgewissheiten der Mittelklasse.
Die Karriere eines notorischen Aussteigers
Dass Lehrer irgendwann aufhörte – einfach so, ohne große Ansage, mitten im tosenden Applaus –, war kein Bruch, sondern Konsequenz. Wer so sehr dem Denken verpflichtet ist, hält den Betrieb nur schwer aus. Statt sich von der Welt bejubeln zu lassen, zog sich Lehrer zurück. Er unterrichtete Mathematik, veröffentlichte keine neuen Songs mehr und weigerte sich, in den Zirkus der Nostalgie einzusteigen. Ein Star, der sein eigenes Denkmal nie betrat – weil er wusste, dass alle Denkmäler früher oder später Taubendreck fangen.
Und dann, als wäre es der finale Witz seines Lebens, verschenkte er vor einigen Jahren sein gesamtes Werk zur freien Nutzung: „Feel free to do whatever you want with my songs. I no longer care.“ Diese Gleichgültigkeit war keine Resignation, sondern letzte Konsequenz eines Lebens, das der Aufklärung mehr diente als dem Ruhm. Lehrer entließ seine Kunst in die Welt – nicht aus Eitelkeit, sondern aus Haltung.
Der leise Abgang eines lauten Geistes
Mit Tom Lehrers Tod stirbt nicht einfach ein Komiker. Es geht ein Aufklärer, ein Querdenker im besten Sinne, ein Satiriker, der nie den Applaus der Massen suchte, sondern den Zweifel in der Einzelnen. Einer, der uns zeigte, dass Denken und Lachen keine Gegensätze sind, sondern notwendige Verbündete im Kampf gegen die Dummheit. Seine Songs sind heute aktueller denn je – was kein Lob für unsere Zeit ist.
Möge also die Erde ihm leicht sein. Oder wenigstens schwer genug, um ein Comeback auszuschließen – denn niemand könnte es besser machen als er selbst.
Tom Lehrer (1928–2025), gestorben an den Folgen einer geistigen Überlegenheit.