Der Jahrmarkt der Heuchler

Alle paar Monate öffnet der große Rummelplatz der moralischen Selbstinszenierung wieder seine Buden, und die europäische Großstadt verwandelt sich in eine Mischung aus Woodstock, Karneval und mittelalterlichem Pogrom. Nur dass heute statt Heugabeln und Fackeln Schilder aus Recyclingpappe geschwenkt werden, auf denen „Solidarität“ in schlecht gestanzten Lettern prangt. Die Schlagworte sind stets dieselben: „Freiheit“, „Menschenrechte“, „Gaza“. Manchmal verirrt sich auch ein „Kinderschutz“ darunter, was besonders grotesk wirkt, wenn im selben Atemzug die Fahnen einer Terrororganisation hochgehalten werden, die Kinder lieber als lebende Schutzschilde denn als Schutzbedürftige betrachtet.

Doch das Ritual bleibt gleich: Gaza ist die Bühne, auf der die saturierte westliche Mittelschicht ihren moralischen Fitness-Check absolviert. Einmal kräftig Empörung heben, kurz gegen Israel bankdrücken, und schon fühlt man sich innerlich wieder straff und rein. Ein politisches Pilatesstudio der Selbstgerechtigkeit.

Moral zum Mitnehmen – billig, fettig, sättigend

Die Empörung über Gaza ist die Currywurst der internationalen Politik: billig, fettig, schnell zu haben und mit genügend scharfem Gewürz, um den eigenen Geschmack an tatsächlicher Komplexität zu betäuben. Niemand interessiert sich für die innere Logik des Konflikts, die geopolitischen Zusammenhänge, oder gar für die Tatsache, dass Hamas nicht in Kitas investiert, sondern in Raketen. Aber das würde ja die Speisekarte ruinieren.

Man könnte die Demos deshalb auch als „Drive-In-Antisemitismus“ bezeichnen: Einmal am Stand der Empörung vorfahren, kurz „Free Palestine“ ins Mikrofon grölen, und zack – schon erhält man die Extraportion moralische Reinwaschung im praktischen Pappkarton.

Projektionstheater mit historischen Untertiteln

Dass es den Demonstranten kaum um Gaza geht, erkennt man daran, dass sie das Land in der Regel nicht einmal auf einer Karte zeigen könnten. Aber das spielt keine Rolle, denn Gaza ist nur die Projektionsfläche, auf die man das alte Ressentiment neu aufpinseln darf.

Früher hieß es: „Die Juden sind schuld!“ Heute heißt es: „Israel ist schuld!“ Früher brüllte man: „Juden raus!“ Heute skandiert man: „From the river to the sea!“ – was, übersetzt ins ehrliche Deutsch, nichts anderes bedeutet als „Israel weg!“ Es ist die gleiche alte Melodie, nur auf einer hippen Ukulele gezupft, statt auf der Nazi-Trommel.

Europa als moralische Freiluftpsychiatrie

Man muss es so drastisch sagen: Diese Demos sind Gruppenpsychotherapie-Sessions für eine Gesellschaft, die ihre eigene Schuldgeschichte nicht verarbeitet hat. Da pilgern die Enkel von Tätern, die Urenkel von Mitläufern und die Nachfahren der Wegseher mit leuchtenden Augen durch die Straßen und glauben ernsthaft, auf der Seite der Guten zu stehen – während sie alte Muster in neuem Gewand reproduzieren.

Es ist die pure Selbstlüge: Statt die eigene Vergangenheit zu verarbeiten, legt man sie einfach auf Israel ab wie ein Altkleiderbündel im Container. Gratisabgabe der eigenen Schuld, aber bitte mit moralischem Applaus. Gaza als seelische Müllkippe Europas.

Die tragikomische Operette der Empörung

Das Ganze wäre fast lustig, wenn es nicht so widerlich wäre. Da stehen sie mit Regenbogenfahnen neben islamistischen Fahnen, da grölen Feministinnen im Gleichklang mit patriarchalen Gotteskriegern, da marschieren Vegan-Kollektive Schulter an Schulter mit Männern, die im Gazastreifen Ziegen bei lebendigem Leib schlachten. Es ist eine Parodie auf die Parodie, ein groteskes Schattenspiel, das beweist, dass Ideologien nicht kollidieren, sondern sich im Ressentiment vereinen können.

Man könnte fast meinen, Hamas müsse den Demonstranten regelmäßig Werbeplakate schicken: „Danke, dass ihr unsere PR-Abteilung in Berlin, London und Paris übernehmt! Ohne euch wären wir nur eine lokale Terrororganisation. Mit euch sind wir ein globales Symbol!“

Fazit: Das alte Lied, jetzt als Remix

Wer noch glaubt, dass diese Demos etwas mit tatsächlicher Solidarität zu tun haben, glaubt vermutlich auch, dass McDonald’s gesunde Ernährung ist. Nein, die Wahrheit ist bitterer: Unter der Maske des Menschenfreundes lächelt die alte Fratze des Antisemiten, und sie freut sich, dass sie endlich wieder an die frische Luft darf, ohne sofort verbrannt zu werden.

Und die größte Ironie? Die Leidtragenden in Gaza, die Zivilisten, die Kinder, die Mütter – sie sind in diesem Theater nur Statisten, Requisiten, Tränen im Bühnennebel. Für sie wird kein Cent gespendet, kein Haus aufgebaut, kein Brunnen gebohrt. Aber hey – Hauptsache, das Instagram-Selfie mit dem Transparent hat 300 Likes.

Die stillste Heldin des lautesten Jahrhunderts

Das 20. Jahrhundert hat ja keinen Mangel an Helden hervorgebracht. Man stolpert über sie, wie über Pflastersteine im Kopfsteinpflaster der europäischen Geschichte – alle kantig, alle „notwendig“, alle in den Lehrplänen auf Hochglanz poliert. Helden, die erhoben werden, damit wir ihre Schicksale konsumieren können wie moralisch zertifizierte Müsliriegel: reich an Ballaststoffen für die kollektive Schuldverdauung. Und mitten in dieser Kakophonie, wo Generäle, Kanzler, Widerstandskämpfer und Nobelpreisträger ihre Plätze beanspruchen, steht – nein, schweigt – eine Figur, die überhaupt nichts beansprucht. Ottla Kafka. Kein Manifest, keine Rede, keine Fahne. Nur ein schlichtes „Ich gehe mit.“ Und siehe da: Schon wird die größte Heldentat des Jahrhunderts zu einem Satz, der nicht einmal die Länge eines Befehlshaberschnauzers misst.

Bürokratie der Hölle und das leise „Nein“

Denn man muss es sich ja vor Augen führen: Auschwitz, diese abgründige Verwaltungsmaschinerie, war nicht das Werk von wilden Bestien, die mit Messern durch den Wald jagten, sondern von Klemmbrettern, Stempeln und sorgfältig ausgefüllten Formularen. Es war eine Fabrik der Zahlen, in der Menschen nur noch „Stückgut“ hießen. Und mittendrin eine Frau, die den größten bürokratischen Affront wagte: Sie meldete sich freiwillig. Freiwilligkeit, dieses Wort, das sonst nach Sportverein oder Blutspende klingt, wurde hier zur subversiven Geste. Sie unterlief die Logik des Systems nicht mit einer Bombe, nicht mit einem Flugblatt, sondern mit der radikalsten Form menschlicher Zuwendung: einem schlichten Akt des Beistands. Und man stelle sich die Gesichter der uniformierten Automaten vor, wie sie auf ihre Listen schauten und den Stift kurz zögerten: „Wie bitte, Sie wollen da mit?“ Die Maschine stockte – nicht, weil sie zerstört war, sondern weil sie für einen Moment mit Menschlichkeit gefüttert wurde, einem Stoff, den sie schlicht nicht verarbeiten konnte.

Die Mär vom großen Heldentum

Helden, so belehrt uns die Geschichtsschreibung, sind ja normalerweise jene, die etwas verändern. Die „Tat“ muss zählbar sein, im besten Fall eine Wende herbeiführen. Ottla Kafka hat niemanden gerettet. Kein einziger SS-Mann stürzte vom Blitz des Gewissens getroffen tot zu Boden, kein Transport entgleiste, kein KZ-Kommandant begann zu weinen und ließ die Kinder frei. Nein, sie wusste genau: Das Ende bleibt gleich. Und genau darin liegt das Ungeheuerliche – dass man im Wissen um die Wirklosigkeit dennoch handelt. Wir, die wir uns schon beim Überqueren einer roten Ampel für Revolutionäre halten, sollten an dieser Stelle einen Moment die Luft anhalten. Denn hier beginnt das Heldentum nicht bei der Wirkung, sondern beim Willen. Ein Heldentum ohne Happy End, ohne Pathos, ohne Hollywood-Soundtrack. Kurz gesagt: eines, das sich überhaupt nicht für die gängigen Narrationen eignet. Und gerade deshalb wird es nicht groß inszeniert, sondern – wie so vieles bei den Kafkas – eher leise hingenommen.

Erinnerungskultur mit Beipackzettel

Natürlich, man könnte nun rufen: „So etwas muss man viel stärker würdigen!“ Und sofort würde ein Ausschuss gebildet, der eine Gedenktafel in Auftrag gibt. Auf der Tafel stünde dann: „Hier starb Ottla Kafka, sie begleitete Kinder.“ Und daneben würde man QR-Codes für Schulklassen anbringen. Ein feierlicher Redner würde die moralische Botschaft in Sonntagsanzugtonlage vortragen, während die Kinder verstohlen aufs Handy schauen. Und schon wäre alles wieder eingehegt, musealisiert, abgehakt. Erinnerungskultur funktioniert nämlich wie ein Beruhigungsmittel: Wir nehmen sie ein, wir fühlen uns gut, und wir schlafen danach besser. Die eigentliche Zumutung – dass da jemand freiwillig in den Tod ging, nur um ein paar Fremdenkindern die Hand zu halten – bleibt im Hals stecken wie ein Kloß, den man weder schlucken noch ausspucken kann.

Die Kafkaeske Pointe

Und natürlich, wie könnte es anders sein, trägt sie den Namen Kafka. Der Bruder schrieb über die erstickende Bürokratie, die Menschen verschlingt, über Türen, die nie aufgehen, und Prozesse, die nie enden. Sie selbst schrieb kein Buch – sie war eines. Ihr letzter Akt: ein Gegenkapitel zu all der kalten Logik, die den Menschen in Zahlen zerlegte. Und wenn Franz Kafka in seiner Prosa den Menschen in einem undurchdringlichen Labyrinth verlor, so zeigte seine Schwester, dass man selbst im allerdunkelsten Labyrinth noch entscheiden kann, wie man geht. Nicht der Ausgang zählt, sondern die Haltung. Eine stille Heldin, die nichts sagt – und damit mehr spricht als alle, die heute mit erhobenem Zeigefinger von Moral und Mut schwadronieren.

Stumme Heldin

Die stillste Heldin des lautesten Jahrhunderts

Das 20. Jahrhundert hat ja keinen Mangel an Helden hervorgebracht. Man stolpert über sie, wie über Pflastersteine im Kopfsteinpflaster der europäischen Geschichte – alle kantig, alle „notwendig“, alle in den Lehrplänen auf Hochglanz poliert. Helden, die erhoben werden, damit wir ihre Schicksale konsumieren können wie moralisch zertifizierte Müsliriegel: reich an Ballaststoffen für die kollektive Schuldverdauung. Und mitten in dieser Kakophonie, wo Generäle, Kanzler, Widerstandskämpfer und Nobelpreisträger ihre Plätze beanspruchen, steht – nein, schweigt – eine Figur, die überhaupt nichts beansprucht. Ottla Kafka. Kein Manifest, keine Rede, keine Fahne. Nur ein schlichtes „Ich gehe mit.“ Und siehe da: Schon wird die größte Heldentat des Jahrhunderts zu einem Satz, der nicht einmal die Länge eines Befehlshaberschnauzers misst.

Bürokratie der Hölle und das leise „Nein“

Denn man muss es sich ja vor Augen führen: Auschwitz, diese abgründige Verwaltungsmaschinerie, war nicht das Werk von wilden Bestien, die mit Messern durch den Wald jagten, sondern von Klemmbrettern, Stempeln und sorgfältig ausgefüllten Formularen. Es war eine Fabrik der Zahlen, in der Menschen nur noch „Stückgut“ hießen. Und mittendrin eine Frau, die den größten bürokratischen Affront wagte: Sie meldete sich freiwillig. Freiwilligkeit, dieses Wort, das sonst nach Sportverein oder Blutspende klingt, wurde hier zur subversiven Geste. Sie unterlief die Logik des Systems nicht mit einer Bombe, nicht mit einem Flugblatt, sondern mit der radikalsten Form menschlicher Zuwendung: einem schlichten Akt des Beistands. Und man stelle sich die Gesichter der uniformierten Automaten vor, wie sie auf ihre Listen schauten und den Stift kurz zögerten: „Wie bitte, Sie wollen da mit?“ Die Maschine stockte – nicht, weil sie zerstört war, sondern weil sie für einen Moment mit Menschlichkeit gefüttert wurde, einem Stoff, den sie schlicht nicht verarbeiten konnte.

Die Mär vom großen Heldentum

Helden, so belehrt uns die Geschichtsschreibung, sind ja normalerweise jene, die etwas verändern. Die „Tat“ muss zählbar sein, im besten Fall eine Wende herbeiführen. Ottla Kafka hat niemanden gerettet. Kein einziger SS-Mann stürzte vom Blitz des Gewissens getroffen tot zu Boden, kein Transport entgleiste, kein KZ-Kommandant begann zu weinen und ließ die Kinder frei. Nein, sie wusste genau: Das Ende bleibt gleich. Und genau darin liegt das Ungeheuerliche – dass man im Wissen um die Wirklosigkeit dennoch handelt. Wir, die wir uns schon beim Überqueren einer roten Ampel für Revolutionäre halten, sollten an dieser Stelle einen Moment die Luft anhalten. Denn hier beginnt das Heldentum nicht bei der Wirkung, sondern beim Willen. Ein Heldentum ohne Happy End, ohne Pathos, ohne Hollywood-Soundtrack. Kurz gesagt: eines, das sich überhaupt nicht für die gängigen Narrationen eignet. Und gerade deshalb wird es nicht groß inszeniert, sondern – wie so vieles bei den Kafkas – eher leise hingenommen.

Erinnerungskultur mit Beipackzettel

Natürlich, man könnte nun rufen: „So etwas muss man viel stärker würdigen!“ Und sofort würde ein Ausschuss gebildet, der eine Gedenktafel in Auftrag gibt. Auf der Tafel stünde dann: „Hier starb Ottla Kafka, sie begleitete Kinder.“ Und daneben würde man QR-Codes für Schulklassen anbringen. Ein feierlicher Redner würde die moralische Botschaft in Sonntagsanzugtonlage vortragen, während die Kinder verstohlen aufs Handy schauen. Und schon wäre alles wieder eingehegt, musealisiert, abgehakt. Erinnerungskultur funktioniert nämlich wie ein Beruhigungsmittel: Wir nehmen sie ein, wir fühlen uns gut, und wir schlafen danach besser. Die eigentliche Zumutung – dass da jemand freiwillig in den Tod ging, nur um ein paar Fremdenkindern die Hand zu halten – bleibt im Hals stecken wie ein Kloß, den man weder schlucken noch ausspucken kann.

Die Kafkaeske Pointe

Und natürlich, wie könnte es anders sein, trägt sie den Namen Kafka. Der Bruder schrieb über die erstickende Bürokratie, die Menschen verschlingt, über Türen, die nie aufgehen, und Prozesse, die nie enden. Sie selbst schrieb kein Buch – sie war eines. Ihr letzter Akt: ein Gegenkapitel zu all der kalten Logik, die den Menschen in Zahlen zerlegte. Und wenn Franz Kafka in seiner Prosa den Menschen in einem undurchdringlichen Labyrinth verlor, so zeigte seine Schwester, dass man selbst im allerdunkelsten Labyrinth noch entscheiden kann, wie man geht. Nicht der Ausgang zählt, sondern die Haltung. Eine stille Heldin, die nichts sagt – und damit mehr spricht als alle, die heute mit erhobenem Zeigefinger von Moral und Mut schwadronieren.

Die große Herausforderung, die eigentlich gar keine ist

Wenn Banales zur Offenbarung wird

Man stelle sich vor: Ein erwachsener Mensch erklärt feierlich, seine größte Herausforderung sei es, nicht gegen die Wand zu laufen, wenn er durch eine Tür gehen möchte. In etwa so klingt Murat Kaymanns ernster Befund: „Wir Muslime müssen herausfinden, wie wir mit Menschen umgehen wollen, die nicht so glauben wie wir.“ Ach was. Die Frage ist nicht, wie man mit Andersgläubigen umgeht, sondern warum das überhaupt eine Frage sein soll.

Christen oder Juden kämen im 21. Jahrhundert kaum auf die Idee, ein „interreligiöses Symposium“ zu veranstalten, um zu klären, wie man Atheisten, Veganer oder Pastafaris erträgt. Die Antwort liegt auf der Hand: Gar nicht. Man erträgt sie nicht – man bemerkt sie schlicht nicht. Religion ist Privatsache. Ende der Debatte.

Vom Nichts eine Tragödie machen

Wenn man schon keine echten Probleme lösen will, schafft man sich eben künstliche. Was Klimawandel? Was soziale Ungleichheit? Was Bildungskatastrophe? Nein, die wahre Nagelprobe der muslimischen Seele liegt darin, nicht in dauerhafter Schnappatmung zu verfallen, sobald jemand nebenan „Frohe Weihnachten“ ruft oder ein schwules Paar Händchen haltend durch die Fußgängerzone spaziert.

Und dann die schwerfällige Rhetorik: „Wir müssen eine Antwort finden.“ – Als ginge es darum, einen metaphysischen Rubikon zu überqueren. Dabei liegt die Antwort schon seit Jahrhunderten bereit, in aller Schlichtheit: „Ist mir egal.“ Fertig. Ende. Weitergehen.

Heroisierung des Normalen

Aber genau das ist das Problem: Man macht aus dem Normalsten der Welt ein heroisches Projekt. „Wir müssen lernen, Andersgläubige nicht abzuwerten.“ – Entschuldigung, aber das ist kein Meilenstein, das ist Kindergartenpädagogik. Man stelle sich vor, ein Erwachsener feiert sich dafür, dass er gelernt hat, nicht mehr auf den Teppich zu pinkeln. Man könnte ihm gratulieren – oder man könnte fragen, warum das je eine Frage war.

Der polemische Witz daran ist: Indem man diese Selbstverständlichkeiten zu „Herausforderungen“ erklärt, inszeniert man sich als moralische Heldengestalt. „Seht her, wie schwer es ist, niemanden zu hassen, und seht her, wie tapfer wir uns dieser Aufgabe stellen!“ – Bravo, Applaus, Goldmedaille im 100-Meter-Lauf der Zivilisation, an der Startlinie von allen anderen längst hinter sich gelassen.

Opferpose deluxe

Natürlich, unterschwellig läuft dabei immer die altbekannte Opferpose: „Die Gesellschaft verlangt von uns Unmenschliches – nämlich, nett zu sein.“ Man hört die unausgesprochene Klage: „Wie sollen wir bloß in einer Welt zurechtkommen, in der Frauen nicht schweigen und Schwule nicht verschwinden?“
Das klingt, als würde ein notorischer Brandstifter jammern: „Die größte Herausforderung für mich ist, kein Streichholz anzuzünden, wenn ich ein Haus sehe.“ – Ja, schwierig. Unzumutbar fast.

Die groteske Asymmetrie

Denn stellen wir uns das einmal umgekehrt vor: Juden oder Christen würden öffentlich debattieren, wie sie mit Muslimen umgehen wollen. Und zwar nicht im Sinne von „friedlich zusammenleben“, sondern im Tonfall: „Das ist unsere größte Herausforderung, und ohne eine Lösung wird unsere Religion hier nichts Positives beizutragen haben.“ – Man stelle sich die Empörung vor. Zeitungsseiten voller Skandal-Schlagzeilen.
Aber wenn ein Muslim genau diesen paternalistischen Duktus über Andersgläubige benutzt, gilt das als differenziertes Nachdenken.

Der eigentliche Skandal

Die Wahrheit ist bitter: Solange diese „Frage“ überhaupt gestellt wird, ist das Problem nicht gelöst, sondern immanent. Wer ernsthaft darüber nachdenkt, ob er den Nachbarn, der kein Kopftuch trägt, wie einen Menschen behandeln soll, hat sich schon disqualifiziert.

Und noch bitterer: Wer diese Überlegung als nobel und diskussionswürdig verkauft, zeigt damit vor allem, dass er nicht die westlichen Werte in Frage stellt, sondern die eigene Fähigkeit, die simpelsten Regeln menschlichen Anstands zu internalisieren.

Die Offenbarung des Banalen

Die Pointe: Alles, was gefordert ist, hat mit Religion nichts zu tun. Respektiere Gesetze. Respektiere Frauen. Respektiere Homosexuelle. Respektiere Juden. Fertig. Wer das nicht als Grundlage des Menschseins begreift, braucht kein theologisches Symposium, sondern Nachhilfeunterricht in Grundschulethik.

Und so bleibt der Eindruck: Hier wird das Einmaleins des Anstands als hochkomplexe Algebra verkauft – damit man sich selbst weiterhin für einen Mathematiker halten darf, obwohl man nicht einmal die Finger richtig zählen kann.

Für alle, die immer noch glauben, es sei ein Religionskonflikt

Man muss sich vorstellen, dass all jene, die heute in den gläsernen, klimatisierten Salons der westlichen Metropolen, wo das Licht gedämpft und der Latte Macchiato stets perfekt geschäumt serviert wird, mit einer Mischung aus moralischer Entrüstung, postkommunistischer Nostalgie und einem Anflug von literarischem Pathos den Palästinismus verteidigen, als sei er das höchste Gebot der Gegenwart, in Wahrheit als ahnungslose Statisten in einem Stück mitspielen, dessen Drehbuch vor über siebzig Jahren, unter dem beharrlichen Summen von Schreibmaschinen, dem Rascheln von Akten und dem kühlen Blick von Stalin, in muffigen Büros des Kreml, in den ehrwürdigen Hallen der Stasi und in den militärischen Kaderschulen Ostberlins verfasst wurde, ein Stück, dessen Regie längst von längst verstorbenen Ideologen geführt wird, deren Schatten über den Köpfen der Darsteller liegt, während diese glauben, sie improvisierten, und so wirken alle Appelle, alle moralischen Gesten, als Tanz auf den Knochen der politischen Realität, ein Tanz, der so präzise einstudiert ist, dass man fast vergisst, dass der Applaus digitalisiert, die Rollen vertauscht und die Fäden unsichtbar sind, doch die Wirkung subtil, beinahe hypnotisch und unaufhaltsam bleibt.

Stalin: Architekt des propagandistischen Schattenspiels

Wenn wir uns in die verschlungenen Archive begeben, die brüchigen Akten studieren, die zarten Notizen entziffern, mit denen Stalin einst seine geopolitische Schachpartie orchestrierte, erkennen wir, dass hier nicht bloße Opportunität am Werk war, sondern eine Form hochentwickelter strategischer Kunst, eine Kampagne, die Palästinismus als Werkzeug der globalen Subversion nutzte, lange bevor der Begriff westliche Medien erreichte; ein Ballett aus Waffenlieferungen, geheimdienstlicher Schulung und ideologischer Rhetorik, das dazu bestimmt war, den Westen zu zermürben, Israel zu destabilisieren und gleichzeitig die eigene Distanz zu wahren – ein Schattenspiel, in dem Terrorismus, politische Manipulation und moralische Rhetorik die Bühne füllten, und jeder Akteur, vom Kader Arafats bis zum ostdeutschen Instruktor, Teil einer Choreografie war, deren Komplexität und Grausamkeit so brillant wie erschreckend war.

Yasser Arafat: Ingenieur des Mythos, Architekt der Illusion

Yasser Arafat, vom kollektiven Gedächtnis der Palästinenser zur Ikone stilisiert, war in Wahrheit der Ingenieur eines Mythos, eine lebendige Allegorie, die tagsüber Maschinen studierte und nachts Netze aus Studentengruppen, politischen Allianzen und ideologischen Überzeugungen spann, die Suez-Krise 1956 als Sprungbrett nutzend, Nasser, Marxismus und Islamismus zu einer Persona kombinierend, die perfekt dafür geeignet war, jahrzehntelange geopolitische Strategien zu tragen, als hätte man einen literarischen Charakter physisch materialisiert, der Terrorismus, politische Inszenierung und moralische Rhetorik in einem vereinte, während die westliche Welt ihn für einen Propheten hielt, ohne zu begreifen, dass er in Wahrheit der Meister der performativen Illusion war, ein Produkt und gleichzeitig Instrument einer jahrzehntelang gepflegten geopolitischen Choreografie, in der jeder Schritt präzise berechnet und doch scheinbar spontan wirkte.

Kaderschulen des Ostblocks: Lehrwerkstätten der Subversion

Ab 1957 öffneten Prag, Moskau und Ostberlin ihre militärischen Kaderschulen für die palästinensischen Kader, nicht bloß um Sprengstoff, Entführungen und Anschläge zu lehren, sondern um sie gleichzeitig in der subtilen Kunst marxistischer Rhetorik, ideologischer Mythologisierung und politischer Performance zu schulen, sodass jeder Kämpfer nicht nur ein Terrorist, sondern ein rhetorischer Akrobat wurde, fähig, die narrative Bühne der westlichen Medien zu betreten, die Realität zu verzerren, Geschichte zu instrumentalisieren und zugleich die alte sowjetische Ideologie lebendig zu halten, als wäre sie ein kostbares, zerbrechliches Kunstwerk, dessen Schönheit und Gefahr in jedem Schritt mitschwingt. Die arabischen Staaten hielten sich zurück, die Sowjets agierten aus dem Schatten, und die Palästinenser wurden zugleich Opfer, Werkzeug und Projektionsfläche – ein Ensemble, dessen Handlungen von der Regie längst Verstorbener gelenkt, von den Akteuren jedoch als spontanes Schauspiel erlebt wurden, und das bis heute seine Nachwirkungen entfaltet, denn wer heute euphorisch von „Widerstand“ spricht, wiederholt die Worte eines längst verstaubten Drehbuchs.

Postkommunistische Allegorien: Solidarität als Performativ

Nach dem Fall der Mauer wandelten sich die ehemaligen SED-Eliten zu kultivierten Pro-Palästina-Dekorateuren, die in intellektuellen Salons über Solidarität, Gerechtigkeit und moralische Pflicht dozieren, während sie historische Realitäten ausblenden, wie unangenehme Fußnoten in einem Werk, das sie selbst inszenieren. Die Opfer werden zu Projektionen der eigenen Imagination, die Geschichte zur Staffage für postkommunistische Nostalgie, auf der Ideologien in Jogginghosen, mit Latte Macchiato und Instagram-Account zu neuem Glanz erwachen. Jede differenzierte Analyse wird ausgeblendet, jede Kritik umgedeutet, jede historische Wahrheit zur Nebenfigur – so entsteht eine Welt, in der Moral Theater ist, Ideologie Kostümierung und Solidarität Performance, deren Hauptzweck die Selbstinszenierung ist.

Das groteske Theater der Selbstgerechtigkeit

Und so entfaltet sich das groteske Theater der Selbstgerechtigkeit, in dem die Rollen vertauscht, die Statisten ahnungslos, die Dialoge auswendig gelernt, der Applaus digitalisiert ist; in dem diejenigen, die einst gegen Unterdrückung kämpften, nun moralische Avantgarde spielen, während reale Akteure der Geschichte nur Nebenfiguren bleiben, deren Stimmen übertönt werden von rhetorischen Monologen derer, die glauben, dass Solidarität ohne Wissen ebenso wirksam ist wie Solidarität mit Erfahrung. Die Ironie ist unverkennbar: Das heutige Theater ist eine epische Inszenierung postkommunistischer Nostalgie, die alten Marxismus wiederbelebt, nicht als Theorie, sondern als moralische Performance, ein Schauspiel, das so grotesk, so elegant, so tragisch ist, dass man lachen, weinen und sich selbst in der Rolle des Zuschauers zugleich erkennen muss.

Schlussakkord: Moralisches Theater in Jogginghosen

Und so endet diese Reise durch Ideologie, Propaganda und historische Amnesie nicht mit Paukenschlag, sondern mit einem leisen, satirischen Zwinkern, das über den Köpfen der Darsteller schwebt; wer heute den Palästinismus verteidigt, steht in Wahrheit auf den Schultern eines Ostblocks, wandert durch die Guerillaklassen Arafats, hält Vorträge über Unterdrückung und Solidarität, während die eigentlichen Dramen längst im Schatten verschwunden sind, und doch bleibt das stille, epische Vergnügen, zu wissen, dass die alte Inszenierung weiterlebt, dass Ideologien nicht sterben, nur weil Mauern fallen, und dass Moral, in Jogginghosen, mit Latte Macchiato und digitalem Applaus, weiterhin die Bühne beherrscht, stets neu, stets grotesk, stets brillant – ein unendliches Theater, dessen Vorhang niemals endgültig fällt.

Die Parole als kollektives Placebo

„Wir schaffen das“ – 10 Jahre später

„Wir schaffen das“ – welch rhetorische Explosion von Selbstüberschätzung, verpackt in drei unschuldige Worte, die sich seit 2015 wie eine unauslöschliche Tätowierung ins kollektive Bewusstsein der Nation eingebrannt haben. Wer damals glaubte, dass damit realistische Politik betrieben werden könne, sollte spätestens beim zweiten Wohnungsnotfall, beim dritten überforderten Jugendamt oder beim zehnten Integrationsskandal erkennen: Worte schaffen keine Realität, sie schaffen nur Illusionen. Und dennoch, oder gerade deshalb, applaudierten wir alle – Politiker, Medien, Bürger – als handele es sich um den Auftakt einer heroischen Oper, deren Finale wir, so hofften wir, nicht erleben müssten.

Die Parole war von Anfang an ein Placebo, ein moralischer Hustensaft für eine Gesellschaft, die sich weder auf die Komplexität der Migration noch auf die Tragik der bürokratischen Realität vorbereitete. Merkel sprach nicht zu uns, sie sprach über uns – und die Nation nickte, weil die Stimme einer Mutterfigur zu hören, deren moralischer Imperativ die Ratio überdeckte, irgendwie beruhigend wirkte. Zehn Jahre später wird deutlich: „Wir schaffen das“ war nie ein Plan, es war die performative Geste eines politischen Systems, das sich selbst in moralischem Glanz sonnte, während die Realität unbeirrbar ihr eigenes Drama inszenierte.

Die totale Willkommenskultur: Ein politisches Theaterstück

Denn die Frage, die niemand laut stellte, war ja nicht, ob wir schaffen können, sondern ob wir wirklich alles schaffen wollen. Die totale Willkommenskultur – war sie ein Ideal, ein politisches Experiment oder schlicht die Flucht vor nüchterner Realität? „Wir schaffen das“ bedeutete moralische Erhöhung über praktische Umsetzbarkeit. Zehn Jahre später sehen wir, dass „schaffen“ alles und nichts bedeuten kann: Wohnungen schaffen wir nicht, aber Debatten. Bildung schaffen wir nicht, aber Bürokratie. Integration? Ein ewiges Labyrinth aus Formularen, Anträgen, Förderprogrammen, die mehr Orientierungslosigkeit stiften als Klarheit.

Die Ironie ist beinahe grotesk: Wir haben „alles geschafft“, nur eben nicht das, was wir eigentlich schaffen wollten. Wir schaffen Konflikte, wir schaffen Diskurse, wir schaffen Politiker, die heroisch scheitern, wir schaffen Medien, die sich selbst als moralisches Gewissen inszenieren – und am Ende schaffen wir nur, dass jeder Beteiligte sich in einem kollektiven Selbstlob suhlt, während die Realität unbeirrt weitermarschiert.

Bürokratie als Königsdisziplin der Komik

Hier erreicht das Drama seinen Höhepunkt: die Bürokratie, jene mechanische Hydra der deutschen Verwaltung, deren Endlosformulare und absurden Zuständigkeitsketten selbst Kafka blass aussehen lassen würden. Zehn Jahre lang haben wir zugesehen, wie Menschen, die eigentlich nur einen Integrationskurs oder eine Wohnung brauchen, durch Labyrinthe geschickt wurden, die als satirische Meisterwerke einer dysfunktionalen Gesellschaft durchgehen könnten. Die Bürokratie hat nicht nur die Parole „Wir schaffen das“ ad absurdum geführt, sie hat sie gleich mit Hochdruck ironisiert.

Politiker standen daneben, sprachen von Erfolgen und „Fortschritten“, während die Realität ihre eigene Komödie schrieb. Jede Pressekonferenz, jeder Artikel, jede Talkshow wurde zum Theaterstück, in dem moralische Geste die Handlung ersetzte, und die Gesellschaft applaudierte – geblendet von rhetorischem Glanz, während die Welt um sie herum in chaotischer Unordnung versank.

Medien, Moral und die Illusion der Kontrolle

Und hier kommen die Medien ins Spiel: jene omnipräsenten Spiegel einer Gesellschaft, die glaubt, alles beobachten, analysieren und einordnen zu können. Zehn Jahre lang wurden Geschichten von Integration, von Heldentum der Ehrenamtlichen, von bürokratischem Versagen zu einem endlosen Strom von Headlines, die sich selbst als moralisches Urteil inszenierten. Alarmismus und Applaus wechselten sich ab wie schlechte Komiknummern. Objektivität? Eine Fußnote. Analyse? Überbewertet. Die Wahrheit? Sie schwimmt irgendwo zwischen Tweet und Kommentarspalte, während der Leser applaudiert, weil er moralisch beteiligt zu sein glaubt.

Die Medien haben die Parole „Wir schaffen das“ nicht nur begleitet, sie haben sie extrapoliert, zugespitzt, zu einem moralischen Imperativ stilisiert, der die gesellschaftliche Realität überlagerte. Zehn Jahre später erkennen wir: Die mediale Inszenierung hat das Chaos nicht gemildert, sie hat es glorifiziert.

Die Gesellschaft: Ein kollektives Augenzwinkern

Und die Gesellschaft selbst? Ein erstaunliches Schauspiel aus Ignoranz, Selbstüberschätzung und selektiver Wahrnehmung. Wir haben applaudiert, wir haben protestiert, wir haben uns empört – alles gleichzeitig. Wir wollten moralisch korrekt sein, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Wir wollten die totale Willkommenskultur, solange sie bequem war. Zehn Jahre später zeigt sich: Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, die Moral über Realität stellt, Geste über Substanz, Hoffnung über Planbarkeit.

Jeder „Erfolg“ der letzten Dekade – sei es in Integration, Bildung oder Wohnungsbau – ist begleitet von unzähligen Fehlschlägen, von absurden bürokratischen Hürden, von medialen Übertreibungen, die aus kleinen Errungenschaften Heldenepen machen. Alles scheint groß, alles scheint heroisch – und alles bleibt letztlich unvollständig.

Epilog: Heroische Illusionen und groteske Realität

Zehn Jahre später steht „Wir schaffen das“ da wie ein Denkmal der Ambivalenz, ein Prosagedicht auf die menschliche Tendenz, moralische Größe über praktische Fähigkeit zu setzen. Wir haben „geschafft“ – aber nur auf eine Art, die niemand wollte: Chaos, Konflikte, mediatisierte Komödien, bürokratische Labyrinthe.

Die Parole bleibt ein leuchtendes Beispiel für politischen Optimismus in seiner reinen, absurden Form, ein monumentales Zeugnis moralischer Selbstüberschätzung, das augenzwinkernd, polemisch und bitter zugleich ist. Wer auf die letzten zehn Jahre zurückblickt, erkennt: In jedem großen Scheitern steckt ein Stück heroische Illusion. Und „Wir schaffen das“ ist die Komödie und Tragödie unserer Zeit, die moralische Geste als Theater, Realität als unerbittlicher Regisseur.

Die Kufiya als politisches Accessoire

… auf deutschen Schultern

Es ist ein Phänomen, das die unendlichen Weiten der urbanen Hipsterzonen ebenso heimsucht wie die schummrigen Ecken der alternativen Szene: die Kufiya, jenes schwarz-weiße oder rot-weße Schachbrettmuster, das in den Straßen Ramallahs, Amman und Beirut als alltägliches Kleidungsstück tragend von Identität, Widerstand und Geschichte zeugt, findet plötzlich seinen Weg auf deutsche Schultern. Genauer gesagt: auf die Schultern der deutschen Antifa, jener Subkultur, die sich gern in moralischer Unfehlbarkeit sonnt, während sie ironisch den nächsten veganen Döner verspeist. Hier trifft politische Symbolik auf modische Geste, Ideologie auf Instagram-Filter, Widerstand auf die unbarmherzige Logik der Ästhetik. Die Kufiya, vormals ein unprätentiöses palästinensisches Accessoire, wird in der Berliner Neustadt, im Leipziger Connewitz oder im Münchener Gärtnerplatzviertel zur Flagge des kulturellen Goodwills, zum hippen Talisman des globalen Protests – zumindest bis zur nächsten Coffee-to-go-Latte.

Der Akt der Aneignung: heroisch oder heroisch-komisch?

Hier beginnt das eigentliche Kabinettstück der kulturellen Ironie: Die Antifa-Träger der Kufiya glauben, dass durch das bloße Umhängen des Tuchs – möglichst lässig über die Schulter, niemals zu eng, um die eigene Coolness nicht zu kompromittieren – eine Art solidarischer Brückenschlag entsteht. Solidarität durch Textil, sozusagen. Dass die historische, politische und geopolitische Dimension dieser arabischen Ikone dabei im besten Fall zur dekorativen Folie eines Selfies verkommt, wird entweder übersehen oder in den Schatten des kollektiven Aktivismus gezwungen. Es ist, als würde man eine rote Fahne bei Karneval tragen: „Seht her, ich bin politisch!“, ruft das Tuch, während die Krawatte des Büroangestellten oder das Hoodie-Logo der Techfirma als stillschweigender Zeuge des modischen Missverständnisses fungieren. Heroisch? Naja. Heroisch-komisch? Mit Sicherheit.

Ironie als Währung: Die kapitalistische Unterwanderung des Widerstands

Denn man darf die Ironie nicht vergessen. Sie ist das Schmiermittel, das die Kufiya vom politischen Symbol zur urbanen Waffe der Selbstinszenierung transformiert. Wer die Kufiya trägt, signalisiert: „Ich weiß, was Sache ist. Ich bin global informiert. Ich bin moralisch überlegen.“ Gleichzeitig ignoriert man die Tatsache, dass der globale Markt die Kufiya längst als Massenware adaptiert hat, billig produziert in Bangladesch oder China, verkauft in Berliner Boutiquen neben Batik-Shirts und veganen Lippenstiften. Ironie wird hier zur Währung, die Aneignung zur performativen Geste, und der Widerstand zur ästhetischen Strategie. Man möchte lachen, man möchte weinen, man möchte die ganze Szene fotografisch dokumentieren und auf Instagram posten – um der Ironie den verdienten Applaus zu spenden.

Die paradoxale Ethik der Schuldlosigkeit

Doch das Ganze wäre zu einfach, wäre es nicht auch zutiefst paradox. Die Antifa, die sich der gerechten Sache verschreibt, moralisch unantastbar, kulturell hyperkritisch, findet sich plötzlich in einem Dilemma wieder: Trägt man die Kufiya aus Solidarität, oder aus modischem Kalkül? Ist man dadurch Unterstützer der palästinensischen Sache, oder lediglich ein hipper Tourist im eigenen Land? Jede Bewegung, die sich in der Schuldlosigkeit suhlt, steht hier vor einer ethischen Kippe. Und natürlich – wie es sich für deutsche Gründlichkeit gehört – wird dieses moralische Problem in langen, analytischen Facebook-Threads ausgehandelt, bis die Diskussion genauso zerrieben ist wie das Baumwollgewebe der echten Kufiyas in den Souks von Ramallah.

Schlussakkord: Ein Tuch, viele Perspektiven

Am Ende bleibt die Kufiya ein Tuch – und doch so viel mehr: ein Symbol, ein Modeaccessoire, ein Projektionsfeld für urbanen Aktivismus und moralische Selbstvergewisserung. Sie hängt da, leicht zerknittert, über der Schulter eines Berliner Aktivisten, und trägt dabei die ganze Last der Weltgeschichte, der globalen Ungerechtigkeit und der ironischen Selbstinszenierung auf einmal. Ob die Träger nun wütend werden, wenn man ihnen die Aneignung vorwirft, oder ob sie sich ins stille Kichern retten, ist egal. Denn das Tuch selbst bleibt unbeeindruckt. Es ist nur Baumwolle, bedruckt mit einem Muster, das Geschichten erzählt, die manche lesen, andere nur tragen – und wieder andere in satirischer Bewunderung beobachten, während sie ein Glas Fair-Trade-Latte halten.

Die Bekleidungs-Paradoxie

Europas urbane Ironie

Wenn man heutzutage durch die Boulevards von Paris schlendert, die Alleen Berlins entlangspaziert oder die Pflastersteine Roms unter den Füßen knirschen hört, könnte man beinahe geneigt sein, in die trügerische Illusion einer europäischen Toleranz zu verfallen. Frauen in den unterschiedlichsten Formen der Verhüllung – vom dezent geschwungenen Schal über den wogenden Hidschab bis hin zur totalen Umhüllung des Niqabs – bewegen sich ungestört durch diese Metropolen. Man könnte fast meinen, die Städte seien Oasen der Freiheit, wo Stoffe und Silhouetten bloß ästhetische Optionen sind, die keiner Erklärung bedürfen. Doch dann fällt der Blick auf den Mann mit Kippa, das winzige Zeichen auf dem Kopf, und man erkennt sofort die Dissonanz: dieselben Straßen, dieselben Bürgersteige, dieselbe urbane Idylle – und plötzlich verwandelt sich die Freiheit in ein Minenfeld. Wer Kippa trägt, navigiert nicht nur durch den Verkehr, sondern durch Jahrhunderte antisemitischer Vorurteile, die sich modern gekleidet, aber altbekannt präsentieren.

Hier zeigt sich ein urbanes Paradoxon von geradezu grotesker Schärfe: Die eine religiöse Identität wird toleriert, die andere zur Gefahr stilisiert. Es ist, als hätte Europa einen Wettbewerb der Toleranz ausgerufen: Wer kann den größten Stoffhaufen auf dem Kopf ertragen, ohne nervös zu werden? Offensichtlich gewinnen die verhüllten Frauen haushoch, während die Kippa-Träger wie offene Ziele auf den Straßen der Aufklärung und Humanität stehen.

Von Schleiern, Stoffen und selektiver Sicherheit

Die Ironie liegt in der Differenzierung: Ein Niqab ist sichtbar, unneutral, aggressiv – und entfacht Gespräche über Integration, Multikulturalismus und politische Korrektheit. Die Kippa hingegen, winzig, minimalistisch, nicht einmal annähernd bedrohlich, löst eine Reaktionskette aus, die von argwöhnischem Blick über verbale Attacke bis hin zur realen körperlichen Gefahr reicht. Ein Symbol der Vergangenheit, das im 21. Jahrhundert eine Bedrohung sein soll – ironisch, bitter, fast schon kafkaesk.

Die europäische Gesellschaft hat hier eine sehr selektive Wahrnehmung kultiviert: Alles, was verhüllt ist, ist harmlos, alles, was sichtbar jüdisch ist, potentiell gefährlich. Das ist keine gesellschaftliche Kuriosität mehr, das ist ein psychologisches Lehrstück in Vorurteilen: eine Art urbanes Experiment, bei dem man beobachten kann, wie Rationalität und Ideologie, humanistische Selbstinszenierung und latent aggressive Ressentiments in realen Straßenbildern kollidieren.

Ein Minenfeld der Sichtbarkeit

Wenn man also die Metropolen Europas durchquert, ist die Kippa kein bloßes Kleidungsstück, sie ist eine Landkarte der Angst, ein Messinstrument der Intoleranz. Jeder Blick, jede Geste, jedes Flüstern wird zum Teil des urbanen Widerstands gegen das sichtbare Jüdischsein. Es ist, als würde die Stadt selbst eine stille, aber deutliche Botschaft senden: „Sei vorsichtig, wo du sichtbar bist. Dein Symbol ist gefährlich, dein Sein ist markiert.“

Und währenddessen? Die verhüllte Frau bewegt sich wie eine Königin der städtischen Straßen: ungestört, unantastbar, begleitet von der moralischen Selbstzufriedenheit der liberalen Öffentlichkeit, die sich gerne in Debatten über Vielfalt und Inklusion sonnt. Die Ironie ist beinahe zu dick, um sie zu verdauen: Wir klatschen Applaus für Stoffe, die unseren Augen gefallen, und schreien innerlich, wenn jemand ein religiöses Zeichen trägt, das uns irritiert.

Spiegel der europäischen Seele

Dieses Paradoxon ist ein Spiegelbild unserer selbst, ein urbanes Phänomen, das mehr über die europäische Psyche verrät als jede Statistik: Wir sind aufgeklärt, ja, wir lieben das Bild der liberalen Gesellschaft – solange sie bequem und ungefährlich bleibt. Der Schleier ist ungefährlich, die Kippa ist provokativ. Freiheit ist selektiv, Sichtbarkeit ist riskant, Religion ist ein Faktor der Gefahr, aber nur unter bestimmten Bedingungen.

Die europäischen Hauptstädte verwandeln sich so in Bühnen, auf denen die alten Dramen der Intoleranz erneut aufgeführt werden, diesmal unter der Maske der Moderne. Die Satire liegt in der absurden Diskrepanz: Eine Religion wird toleriert, die andere kriminalisiert; ein Kleidungsstück wird akzeptiert, das andere kann tödlich sein. Und wir lachen, während wir gleichzeitig zusammenzucken. Ein Lachen mit einem Augenzwinkern, das die Zähne zusammenbeißt vor bitterem Unbehagen.

Fazit ohne Hoffnung?

Wenn man also diese Städte durchstreift, ist die Botschaft klar und unmissverständlich: Europa ist nicht der Hort der absoluten Freiheit, als der es sich gern verkauft. Es ist ein Labor selektiver Toleranz, ein Spielplatz der Ironie, ein Zirkus, in dem Stoffe applaudiert werden und Symbole bedroht werden. Es lehrt uns, dass die Freiheit, die wir feiern, immer an Bedingungen geknüpft ist – und dass die sichtbare jüdische Identität immer noch ein Risiko darstellt.

Die Pointe ist scharf, bitter und zugleich humorvoll: In den Straßen Europas kann man sich verstecken, verhüllen, anonym bleiben – und dafür Respekt ernten. Oder man steht sichtbar für eine Identität – und riskiert Leib und Leben. Und während wir diese Erkenntnis verschlucken, bleibt uns nur das bittersüße Lachen, das den Zynismus der Realität nicht verdecken, aber wenigstens erträglich machen kann.

Die dressierte Nation

Schritt 1: Volk ist Vokabel – Vokabel ist Verbrechen

Zuerst nehmen Sie ein Kollektiv, das seit Jahrhunderten glaubt, ein „Volk“ zu sein. Machen Sie ihm klar, dass schon die Verwendung dieses Wortes ungefähr so schlimm ist, als würde man seine Oma im Treppenhaus anzünden. „Volk“ ist nicht einfach eine Gemeinschaft, sondern der Vorhof zur Hölle, der Inbegriff alles Reaktionären, der kleine braune Schimmelpilz, der aus jedem Butterbrot wächst, wenn man es zu lange im Kühlschrank vergisst.

Also wird man umerzogen: Von nun an ist man nicht mehr Deutscher, Afrikaner oder Araber, sondern – bitte im Chor! – „Mensch“. Ein Wesen ohne Eigenschaften, wie ein Sofakissen mit Steuernummer. Wer noch von „Volk“ spricht, outet sich damit als wandelnder Brandanschlag auf die Demokratie. Manchmal wünscht man sich, die Behörden würden gleich Warnschilder an Stirnen verteilen: „Achtung! Hält sich für ein Volk!“

Schritt 2: Menschheitsfamilie, diese wunderbare Zwangsverwandtschaft

Wenn das Volk erfolgreich dekonstruiert ist, wird das neue Zauberwort installiert: Wir alle gehören zu einer „Menschheitsfamilie“. Klingt warm, kuschelig und nach sonntäglichem Kartoffelgratin – bis einem einfällt, wie Familien tatsächlich sind. Familien sind Orte des passiv-aggressiven Kleinkriegs, wo sich Cousins über Erbschaften zerfleischen, Tanten über Impfungen brüllen und Schwiegermütter über Heizkosten lamentieren. Genau so soll also die Welt funktionieren: Eine globale WG, in der acht Milliarden Menschen mit einer Küche und einem Klo auskommen müssen.

Natürlich herrscht Gleichheit! Der sudanesische Viehhirte, der isländische Fischereiminister und der Berliner Start-up-Hipster sitzen angeblich am selben Tisch. Nur dass einer nichts zu essen hat, der andere Kaviar, und der dritte diskutiert, ob Quinoa glutenfrei ist. Aber hey: Familie!

Schritt 3: Marschieren fürs Land, das es nicht geben darf

Und dann, nach all den Seminaren über die Abscheulichkeit des Nationalen, dem stundenlangen Zähneknirschen über Grenzen, Flaggen und Hymnen, kommt der große Geniestreich: die Wehrpflicht.

Plötzlich braucht das nicht existierende Volk eine sehr reale Armee. Plötzlich muss man sich in Tarnanzug werfen und „das Vaterland“ verteidigen – dieses mythische Gespenst, das man gestern noch als Nazi-Kobold entlarvt hat. Es ist, als würde man Vegetarier in einen Metzgerkurs zwingen, mit der Begründung, irgendwer müsse ja die Buletten braten, wenn der Feind kommt.

Natürlich darf man nicht sagen, man verteidige „Deutschland“ – das wäre zu volksnah. Also verteidigt man „unsere Werte“. Das klingt zwar nach Ikea-Katalog („Werte: ab 19,99, mit fünf Jahren Garantie“), ist aber praktisch unbrauchbar, wenn man im Schützengraben sitzt. Kein Soldat schreit „Für die Wertegemeinschaft!“, wenn die Granate einschlägt. Es sei denn, er hat sich in einer Volkshochschule für absurdes Theater verlaufen.

Finale: Die Groteske als Regierungsform

Kann man sich das ausdenken? Nein! Jeder Kabarettist, der so etwas aufschriebe, würde in die Wüste gejagt mit dem Vorwurf: „Das ist doch viel zu übertrieben, das glaubt Ihnen keiner!“ Aber die Wirklichkeit ist eben das größte Satirebüro der Menschheitsgeschichte.

Man entreißt den Menschen ihr Volk, verkauft ihnen eine globale Zwangsfamilie mit der Behaglichkeit eines feuchten Kellers – und dann steckt man sie in Uniform, um ein Vaterland zu schützen, das man ihnen vorher ausgetrieben hat wie einen Dämon. Das ist nicht Politik, das ist dadaistische Oper, aufgeführt von Ministerien, die nie merken, dass das Publikum längst vor Lachen auf dem Boden liegt.

Die Pointe? Es gibt keine. Die Pointe ist, dass es keine Pointe braucht. Die Realität hat längst für sich selbst gesorgt.

Die deutsche Batterie Fata Morgana

Die große elektrische Abenddämmerung

Es ist Nacht in Deutschland. Kein Wind kräuselt die Windräder, keine Sonne kitzelt die Solarpaneele. Nur die leise summenden Kühlschränke, die schnarchenden Wärmepumpen und die halbdösenden Netflix-Server halten das Land am Laufen. 50 Gigawatt Leistung will das Land – ein Hunger, der nie schläft, nicht einmal wenn alle in ihren Passivhäusern unter der Biomatratze schlummern.

Natürlich, Wasserkraft und Biomasse spielen brav ihre Rolle, liefern zehn Gigawatt, wie die stets verlässlichen Statisten im Theaterstück der Energiewende. Doch die restlichen vierzig Gigawatt? Die müssen irgendwoher kommen. Und so erhebt sich der Traum der Nation: Batterien. Riesige, glänzende, stromgefüllte Keksdosen, die man nur aufzuschrauben braucht, um das Land zu erleuchten.

480 Gigawattstunden für eine einzige Nacht. Eine Zahl, so gewaltig, dass sie sich wie ein metaphysischer Flaschengeist gebärdet – ein Energiemonster, das man sich im stillen Kämmerlein der Ministerien herbeiwünscht, aber das in der Realität schlicht nicht in den Lieferwagen passt.

Der Preis der Illusion

120 Milliarden Euro – allein für die Batterien, die Deutschland eine einzige windstille Nacht überbrücken sollen. 120 Milliarden, das ist ungefähr das, was der Staat jedes Jahr für Bildung, Forschung und „sonstige Lappalien“ ausgibt. Ein Betrag, den man auch gut in Autobahnen ohne Tempolimit, in neue Talkshows oder in die Rettung des Berliner Flughafens stecken könnte. Aber nein, er soll in Blei, Lithium und Kobalt gebunden werden, in eine Art nationale Energiesparbüchse, die nach wenigen Jahren wieder im Recycling landet – wenn es denn Recycling gäbe.

Und wehe, es dauert keine Nacht, sondern zehn Tage. Eine Dunkelflaute! Ein apokalyptisches Szenario, das unsere Politiker gerne wie ein Gespenst an die Wand malen, um gleichzeitig zu versichern, dass man schon irgendetwas erfinden werde. Zehn Tage? 2,4 Billionen Euro. Man muss schon sehr viel Märchensteuer kassieren, um diesen Betrag schönzureden.

Schwergewichtige Träumereien

Die Batterien für eine einzige Nacht wiegen 2,4 Millionen Tonnen. Das entspricht etwa 24.000 vollbeladenen Güterzügen oder einem sehr schlecht gelaunten Elefanten pro Einwohner. All das, nur um im Januar die Wärmepumpen brummen zu lassen und die Ladestationen für die Teslas nicht kaltzustellen.

Und das Beste: Batterien sind keine Kraftwerke. Sie erzeugen nichts, sie speichern nur. Ein gigantisches Tupperdosen-Syndrom: Erstmal muss man die Dose füllen, bevor man sie wieder leeren kann. Nur woher kommt der Strom, der dort hineingepresst werden soll? Von Wind und Sonne, die sich gerade rar machen? Oder doch wieder aus der guten alten Braunkohle, die im Hintergrund noch immer ihre schwarze Zunge hebt?

Deutsche Ingenieursromantik – der Traum vom Perpetuum Mobile

Ach, die Deutschen und ihre Technik! Nichts lieben sie mehr, als die Vorstellung, mit einem Schaltplan die Weltordnung auf links zu drehen. Der „deutsche Ingenieur“ ist eine mythische Figur, irgendwo zwischen Goethe und Gott, der mit Zirkel und Rechenschieber Wunder vollbringt. Wir haben die Glühbirne nicht erfunden, aber dafür den Dieselmotor perfektioniert – und gleich mit einer eleganten Software zur Schummelabgasprüfung versehen. Wir haben Autos gebaut, die angeblich „Freude am Fahren“ bereiten, und jetzt bauen wir Batterien, die Freude am Scheitern garantieren.

In dieser Ingenieursromantik liegt der Glaube verborgen, dass sich Naturgesetze durch kluges Tüfteln überlisten lassen. Dunkelflaute? Kein Problem, wir entwerfen einfach eine „smarte Lösung“. Eine Nacht ohne Wind und Sonne? Ach was, wir „optimieren“ das Netz. Physik wird in Deutschland nicht mehr als harte Realität begriffen, sondern als Störfaktor, der mit genügend Bürokratie, Subventionen und Normen schon weichgeklopft werden kann.

So träumt der deutsche Ingenieur von einem gigantischen Speicherpark, einem technoiden Märchenschloss aus Lithium und Kobalt, das die Nacht zum Tage macht. Und wenn’s nicht funktioniert? Dann lag es nicht an der Idee, sondern an der „mangelnden Akzeptanz der Bevölkerung“. Ingenieursromantik ist eben wie eine Eheberatung: Schuld sind immer die anderen.

Die Halbwertszeit der Hoffnung

Batterien sind empfindliche Wesen. Sie altern, sie verfallen, sie verlangen Pflege und Ersatz. Alle paar Jahre muss man die gesamte kostspielige Armada von Millionen Tonnen Material erneuern. Man stelle sich die deutsche Logistik vor: Container über Container, beladen mit Lithium-Zellen, gefertigt unter chinesischem Kohlefeuer, verschifft über Weltmeere, nur um am Ende mit deutschen Idealistenfantasien gefüllt zu werden.

Es ist, als wolle man einen Marathon laufen und sich dabei ausschließlich von Zuckerwatte ernähren. Süß, bunt, verspielt – und vollkommen ungeeignet, den Körper am Laufen zu halten.

Der moralische Hochmut der Energiewende – Deutschlands neue Religion

Deutschland hat die Religion der Zukunft gefunden: die Energiewende. Wo früher Heilige verehrt wurden, stehen nun Windräder wie gotische Kathedralen in der Landschaft, ihre Flügel kreisen im Takt des Glaubens. Solarpaneele glitzern wie Reliquien, und die Batterie gilt als Hostie einer klimaneutralen Zukunft.

In dieser neuen Kirche gilt eine zentrale Botschaft: Wir sind die Guten. Deutschland, das moralische Weltgewissen, wird es richten – koste es, was es wolle. Während andere Länder pragmatisch auf Kernkraft, Gas oder schlicht ökonomische Vernunft setzen, hält Deutschland seine moralische Fahne hoch und erklärt der Welt: „Seht her, wir schaffen das, auch wenn wir uns dabei ruinieren.“

Die Hybris dieser Haltung ist unübersehbar. Deutschland, das Land mit einem Anteil von zwei Prozent an den weltweiten CO₂-Emissionen, glaubt ernsthaft, die gesamte Erde rette sich, wenn man im Sauerland noch ein paar Windräder dazustellen und in Bayern jede Kuhweide mit Photovoltaik zupflastert. Es ist, als würde man im sinkenden Schiff verzweifelt das eigene Kabinenfenster schließen – und sich dafür als Retter der Titanic feiern.

Der moralische Hochmut kennt keine Grenzen: Wer an der Energiewende zweifelt, ist ein Ketzer, ein Klimaleugner, ein Häretiker der neuen Ökotheologie. Die Diskussion ist nicht technisch, nicht ökonomisch, nicht rational – sie ist sakral. Und genau deshalb darf sie auch Milliarden kosten, Ressourcen verschlingen und Illusionen nähren: Denn Glauben hat in Deutschland schon immer mehr gegolten als Vernunft.

Das Märchen von der Batteriereserve

Batterien sind gut für Sekunden. Vielleicht Minuten. Mit Glück für ein paar Stunden. Aber Nächte? Wochen? Monate? Das ist, als würde man ein Planschbecken als Löschteich für den Amazonasbrand deklarieren.

Die große Naivität, die in Deutschland herrscht, ist die Überzeugung, dass man technische und physikalische Realitäten durch Willensbekundungen und Bundesratsbeschlüsse außer Kraft setzen könne. Der deutsche Glaube an die Machbarkeit ist religiös geworden: ein Katechismus der Erneuerbaren, mit Windrad-Kapellen, Solarmodul-Messgewändern und Batterie-Heiligenbildern.

Und China lacht

Denn während Deutschland träumt, lacht China. Dort produziert man die Batterien – nicht mit Wind- und Sonnenstrom, sondern mit der schwarzen, dichten Energie der Kohlekraftwerke. Jede Kilowattstunde Batteriekapazität ist ein kleiner Kohlegeist, der beim Export gleich mitgeliefert wird. Deutschland bekommt die Batterie, China den wirtschaftlichen Vorteil, und das Weltklima den Ruß.

Es ist die große Pointe: Während man hierzulande glaubt, man rette die Welt mit batteriebetriebenen Energiestrategien, verlagert man schlicht die Emissionen auf einen anderen Kontinent. Eine Art moralischer Ablasshandel in Lithium-Form.

Schluss mit der Selbsttäuschung

Die Wahrheit ist banal und brutal: Batterien sind keine Lösung für Dunkelflauten. Sie sind ein Werkzeug für die Sekunden und Minuten, nicht für Nächte und Wochen. Wer anderes behauptet, verwechselt physikalische Realitäten mit politischem Wunschdenken.

Deutschland lebt im Traum einer Batterie-Fata Morgana. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Man kann die Physik nicht überlisten. Auch nicht mit Koalitionsverträgen, Bundestagsreden oder den ständigen Sonntagsreden über die „Zukunftsfähigkeit“ der Nation.

Was bleibt? Ein Land, das glaubt, sich durch Elektroalchemie unabhängig zu machen – und dabei Gefahr läuft, sich selbst in die energetische Sackgasse zu manövrieren.

Epilog: Die letzte Kilowattstunde

Am Ende bleibt die deutsche Energiewende ein paradoxes Schauspiel: ein Land, das die Physik mit Moral ersetzt, die Ökonomie mit Glaubensbekenntnissen und die Realität mit Excel-Träumereien. Batterien als Rettung für Dunkelflauten – das ist ungefähr so realistisch wie ein veganes Schnitzel, das die Kuh ersetzt, oder eine Gendersternchen-Debatte, die den Fachkräftemangel löst.

Deutschland blickt in die Dunkelheit, glaubt, sie mit Akkus füllen zu können – und merkt nicht, dass es längst dabei ist, Kerzen anzuzünden.

Österreich zahlt, Kiew spendet, Afrika isst.

Außenpolitik als Ablasshandel für ein schlechtes Gewissen

Österreich, dieses Land, das sich seit Jahrzehnten damit durchlaviert, auf der Weltbühne so unsichtbar wie möglich zu sein, hat nun seine neue Rolle entdeckt: Zahlmeister der Umwege. Statt einfach Geld dorthin zu schicken, wo Hunger herrscht, muss es erst durch die Waschstraße ukrainischer Symbolpolitik – damit es nachher schön glänzt. Wie beim Ablasshandel im Mittelalter: Man bezahlt brav, damit jemand anderer stellvertretend das Gute tut. Nur dass diesmal nicht der Papst kassiert, sondern Selenskyj.

Meinl-Reisinger im Hilfs-Disneyland

Die Außenministerin reist nach Odesa wie in einen All-inclusive-Club für moralische Selbstdarstellung. Drei Besuche in sechs Monaten – und jedes Mal ein Scheck im Handgepäck. So sieht moderne Diplomatie aus: Händeschütteln für die Kameras, ein Pressetext voller Vokabeln wie „Solidarität“ und „Partnerschaft“, dazu ein paar Millionen, die ohnehin nicht aus der eigenen Tasche stammen, sondern aus jener des Steuerzahlers, der zuhause gerade über Energiepreise, Wohnungsknappheit und Pflegenotstand stöhnt. Aber gut – wenn Wien sich schon daheim um nichts kümmert, dann wenigstens um das Image am Schwarzen Meer.

Die Doppelmoral in Reinkultur

Innenpolitisch jammert man über „Belastungsgrenzen“, „fehlende Mittel“ und „Sparzwänge“. Jeder Cent für Pflegekräfte wird dreimal umgedreht, Lehrerstellen bleiben unbesetzt, und in den Spitälern kollabiert die Infrastruktur. Aber für ukrainischen Weizen, der dann nach Nigeria verschifft wird, ist plötzlich alles da. Da wirft man Millionen wie Konfetti in den Ozean, solange nur ein UNICEF-Foto dabei herausspringt. Der alte Grundsatz: Für das Ausland immer großzügig, solange es nur weit genug weg ist, damit es niemand daheim direkt merkt.

PR-Umwege statt ehrlicher Politik

Das Geniale am „Food from Ukraine“-Kunststück: Man verkauft denselben Euro gleich dreimal. Zuerst als humanitäre Hilfe für Afrika, dann als Unterstützung der ukrainischen Landwirtschaft, schließlich als österreichischen Beitrag zur Weltordnung. Dreifach verwerteter Steuerzahlergroschen, frisch etikettiert. Wer das kritisiert, wird sofort als unsensibler Provinzler abgetan, der den Sinn für „geopolitische Verantwortung“ nicht begriffen hat. Dabei wäre die einfachste Frage: Warum nicht gleich die Hilfsgüter direkt finanzieren, statt diesen PR-Umweg? Antwort: Weil es dann keine hübschen Fotos mit Odesa-Silos gäbe.

Bauernopfer Europa

Besonders grotesk: Österreich zahlt, damit ukrainisches Getreide nach Afrika fährt – während gleichzeitig europäische Bauern auf die Barrikaden gehen, weil ukrainische Billigimporte ihre Märkte ruinieren. Die Regierung erklärt heuchlerisch, man unterstütze „alle Seiten“. Das klingt ungefähr so, als würde man gleichzeitig für Tierschutz spenden und in der Freizeit Tierkämpfe organisieren. Aber das passt perfekt zur österreichischen Innenpolitik: Immer alle bedienen, niemandem weh tun – und am Ende doch allen auf die Zehen steigen.

Österreichs ewige Hoffnung: der Auftragstisch

Die eigentliche Motivation liegt ohnehin offen am Tisch: Wer jetzt zahlt, sitzt später näher am Buffet des Wiederaufbaus. Asphalt, Stahl, Ziegel – alles, was das österreichische Bauwesen so liebt. Hilfe als Vorinvestition, moralische Rhetorik als Eintrittskarte zum Geschäft. Es geht um Aufträge, nicht um Altruismus. Man kennt diese Logik: So wie man in Wien gerne neue Behörden gründet, nicht weil sie gebraucht würden, sondern weil man Posten braucht. Politik als Jobmaschine, diesmal halt international.

Fazit: Provinzposse mit Weltbühnen-Kostüm

So sieht sie aus, die große österreichische Weltpolitik: Ein provinzieller PR-Umweg, kaschiert als globale Solidarität, bezahlt vom Steuerzahler, der gleichzeitig hört, dass „für das eigene Land leider kein Geld da ist“. Aber immerhin: Man kann sich selbst als moralische Supermacht inszenieren, ohne wirklich etwas zu riskieren. Österreich bleibt, was es immer war – ein Land, das lieber Schaufensterdekoration betreibt als ehrliche Politik. Und während in Wien weiter Krankenhäuser verfallen und Wohnungen unleistbar werden, freut sich in Odessa ein PR-Fotograf über sein bestes Geschäftsjahr.

Dunja Hayali und die Suche nach der „inneren (Un)sicherheit“

Die Moderatorin als Missionarin

Es gibt Menschen, die scheinen auf dieser Welt mit einer ganz besonderen Berufung zu wandeln: Sie fühlen sich nicht bloß als Journalisten, sondern als Retter der Republik, als Gurus der Moral, als Flankenschutz für all jene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Land ununterbrochen zu „sensibilisieren“. Dunja Hayali gehört zweifellos in diese Kategorie. Die 51-Jährige, deren Fernsehkarriere so glänzt wie eine frisch polierte Pressestelle, begibt sich also neuerdings auf eine Expedition in die Gefilde der „inneren (Un)sicherheit“. Natürlich mit ZDF-Mikrofon, Sicherheitsweste aus Empathie und dem festen Vorsatz, dem Publikum zu erklären, dass die Realität keine Realität, sondern bloß ein Missverständnis ist.

Dass sie dafür, wie bereits an anderer Stelle kolportiert, neben ihren journalistischen Tätigkeiten auch als Moderationsdienstleisterin für die Bundesregierung tätig war, könnte man selbstverständlich als „Interessenkonflikt“ bezeichnen. Doch das wäre zu kleingeistig. In einer Medienlandschaft, in der Regierungsnähe zum Ehrenzeichen erklärt wurde, gehört so etwas zur Tugend. Wer von Staatsgeldern lebt, der beißt nicht die Hand, die ihn füttert – er reicht ihr die Serviette.

Bremen, die Quattro-Streife und die heilige Relativierung

Die Reportage führt Hayali unter anderem zum Bremer Hauptbahnhof, einem Ort, an dem Realität üblicherweise in Polizeiberichten und nicht in Imagebroschüren vorkommt. Dort trifft sie auf die „Quattro-Streife“, jene Allianz aus Polizei, Ordnungsamt, Sozialarbeitern und irgendjemandem, der vermutlich nur dabei ist, um nicht ganz nutzlos zu wirken. Sie trifft auch auf Therapeutinnen, die mit traumatisierten Migranten arbeiten, und auf Forscher, die herausgefunden haben, dass nicht etwa Straftaten, sondern Social-Media-Algorithmen das eigentliche Problem seien: Facebook, TikTok und Instagram machen den Bürgern Angst, nicht etwa die Messerattacke in der Nebenstraße.

Hayalis Film gerät so zu einem 45-minütigen Lehrstück der Relativierungskunst, einer Art Agitprop-Ballett im öffentlich-rechtlichen Biedermeierstil: Alles, was passiert, passiert aus Gründen, und diese Gründe sind stets nachvollziehbar. Das Messer in der Brust? Ein Produkt unglücklicher Umstände. Das Trauma? Primär bei den Tätern. Der Bürger, der sich unwohl fühlt? Opfer des Algorithmus, nicht des Angreifers. Man fragt sich beinahe: Wann präsentiert das ZDF den ersten Dokumentarfilm, der erklärt, dass Schwerverbrechen in Wahrheit nur eine missverstandene Form der kulturellen Bereicherung sind?

Austauschstudent versus Messerstecher

Natürlich darf auch die groteske Vergleichslogik nicht fehlen, die in diesem Diskurs längst Standard ist. Während sich das Land an Fällen von schwerer Gewalt abarbeitet, während Schlagzeilen von Messereien und Überfällen die Schlagzeilen dominieren, erklärt das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit Grabesernst, dass auch der Junggesellenabschied eine „Gefahr im öffentlichen Raum“ darstelle. Mit derselben Gravität, mit der man andernorts einen Terroranschlag seziert, sinniert man hier über betrunkene Deutsche in bunten Kostümen.

So reiht sich der australische Austauschstudent bei Louis Klamroth, der angeblich den öffentlichen Frieden gefährdet, nahtlos ein neben Dunja Hayalis „Messerstecher Uwe“ – ein fiktiver Bösewicht aus dem Reich der rhetorischen Gleichmacherei. Wer beide Gefahren für gleichrangig erklärt, zeigt nicht Mut zur Differenzierung, sondern schlicht den Verlust der Maßstäbe.

Von Sigmaringen bis Völklingen – die Realität als lästiger Betriebsunfall

Doch Hayali ist nicht allein. Georg Restle vom WDR liefert die gleichen Kunststücke: Ausgerechnet Sigmaringen, wo ein Asylbewerber kürzlich eine Frau krankenhausreif prügelte, stilisierte er zum Hort der Sicherheit. Dass dies ungefähr so plausibel ist wie die Behauptung, der Berliner Hauptbahnhof sei ein Wellness-Resort, stört keinen. Das mediale Narrativ hat die Kraft, blutige Tatsachen zu übertünchen – wie eine Schicht Dispersionsfarbe auf bröckelndem Beton.

Währenddessen berichten Polizeimeldungen nüchtern von immer neuen Opfern: Messerangriffe in Berlin, Überfälle in Dortmund, Hinrichtungen wie im Fall des Völklinger Polizistenmords. Es sind die nüchternen Daten, die im Kontrast zur schillernden Beruhigungsrhetorik stehen: Zahlen, Tatorte, Nationalitäten. In den Polizeistatistiken liest man nüchterne Überrepräsentationen – dort, wo ARD und ZDF lieber von „individuellen Einzelschicksalen“ sprechen.

„Where is the structure?“ – Lektionen aus Dresden

Die vielleicht bitterste Pointe liefert ein junger Amerikaner in Dresden, der nach einem brutalen Angriff blutüberströmt fragt: „Where is the structure? Where is the law?“. Ein Fremder muss aussprechen, was hiesige Journalistinnen nicht einmal zu denken wagen: Dass ein Land, das seine Gesetze nicht durchsetzt, die Axt an seine eigene Glaubwürdigkeit legt.

Währenddessen wird einer der syrischen Täter noch am selben Tag wieder freigelassen – vermutlich in der Hoffnung, dass ihn kein Algorithmus zu sehr verunsichert. Und während die Opfer Traumata davontragen, sorgen sich Hayali und Konsorten um die Traumata der Täter. Es ist, als ob die Moral dieses Landes völlig aus den Fugen geraten wäre: Opfer sind Dekoration, Täter sind Patienten, und Journalisten sind deren Pressesprecher.

Nachspiel: Die innere Unsicherheit der Bürger

Und so bleibt am Ende dieses Films nicht Erkenntnis, sondern Beklemmung. Die Beklemmung, dass ein Land sich in einem kollektiven Selbstbetrug eingerichtet hat, der mit journalistischer „Neutralität“ verwechselt wird. Die Beklemmung, dass Bürger mit ihren Sorgen alleingelassen werden, während Talkshow-Studios zu moralischen Hochämtern mutieren. Die Beklemmung, dass man schon als „rechts“ gilt, wenn man Polizeistatistiken liest.

Die innere Unsicherheit, die Hayali sucht, liegt längst offen zutage: Sie ist nicht im Algorithmus, sondern im Alltag. Sie sitzt im Zug, der nachts durch menschenleere Bahnhöfe rollt. Sie steht am Bahnsteig neben jemandem, der mit dem Messer spielt. Sie fragt nicht nach einer ARD-Dokumentation – sondern nach dem Gesetz.

Doch beim ZDF hat man die Antwort längst parat: „Gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen.“

Alte sollen helfen: DIW-Chef fordert Rentner in Pflege und Bundeswehr

Die letzte Ausfahrt heißt Dienstpflicht

Man muss es den deutschen Ökonomen lassen: Ihnen gehen die Ideen niemals aus, wenn es darum geht, das Leben anderer zu reglementieren. Kaum hat man sich an die Vorstellung gewöhnt, dass Jugendliche mit der Zahnbürste den Gehweg schrubben sollen, flattert schon die nächste Pflicht in den Briefkasten der Republik: Die Rentner ran! Endlich wieder eine Front, die man eröffnen kann – diesmal gegen die Gebrechlichkeit.

DIW-Präsident Fratzscher, jener Oberpriester der PowerPoint-Apokalypse, verkündet also: „Wir brauchen mehr Solidarität der Alten.“ Übersetzt heißt das: Wer ein Leben lang eingezahlt hat, darf nicht nur weiterzahlen, sondern auch noch im Alter rackern. Man muss sich diesen perversen Logik-Twist auf der Zunge zergehen lassen: Einmal fürs System arbeiten reicht nicht. Zweimal auch nicht. Man muss es bis zum finalen Atemzug tun. Wer früher stirbt, macht sich immerhin volkswirtschaftlich nützlich.

Rollatorgrenadiere für die Heimatfront

Besonders fein: Rentner sollen zur Landesverteidigung antreten. Das Bild allein ist von einer Groteske, die Brecht im Grabe Samba tanzen ließe. Rentnerkompanien, die sich in Zeitlupe über den Kasernenhof schleppen, den Gehstock in der einen Hand, die Sauerstoffflasche in der anderen. Das Kommando: „Stillgestanden!“ wird wahlweise mit Herzstillstand beantwortet oder mit der höflichen Nachfrage, ob man bitte eine Sitzgelegenheit bekommen könnte.

Und falls Putin tatsächlich an die Grenze klopft, könnte Deutschland ihm gleich mit der gefürchtetsten aller Waffen begegnen: 300.000 Senioren mit Hörgeräten, die gleichzeitig pfeifen. Ein akustischer Angriff, der jedes russische Panzerbataillon binnen Sekunden in die Flucht schlägt.

Pflegedienst mit Tremor

Natürlich bleibt auch die soziale Komponente nicht verschont. Rentner im Pflegeheim sollen gefälligst andere Rentner pflegen – eine Art endloser Alterskarussellbetrieb: Demenzkranke füttern Demenzkranke, Parkinsonkranke reichen Parkinsonkranken das Tablett, und der letzte, der sich noch erinnern kann, wer eigentlich wer ist, bekommt den Orden für Zivilcourage.

Was für ein Geniestreich: So spart man Pflegekräfte, Kosten und Personal – und gewinnt gleichzeitig eine neue Reality-TV-Idee für RTL: „Rentner retten Rentner – das ultimative Pflichtjahr“.

Solidarität, das Codewort der Sparfüchse

Die Rhetorik ist bekannt: „Solidarität.“ Dieses Wort wird von Politik und Ökonomen so gerne benutzt wie Deo im Hochsommer – nicht für den Eigengeruch, sondern um die anderen zu übertünchen. Solidarität heißt in Wahrheit: Ihr macht, wir kassieren. Wer jung ist, zahlt. Wer alt ist, arbeitet. Und wer Pech hat, macht beides.

Das wirklich Geniale daran: Aus der moralischen Erpressung („die Alten sollen was zurückgeben“) wird eine fiskalische Zwangsjacke. Statt endlich ein funktionierendes Pflegesystem zu finanzieren, zieht man die letzte Reserve aus dem Schützengraben der Demografie. Deutschland, ein Land, das sich weigert, Geld für Kinder, Kranke oder Alte in die Hand zu nehmen – aber Milliarden für eine Bundeswehr, die nicht mal funktionierende Helme hat.

Visionen für die Vollendung

Und wenn wir schon dabei sind, warum dann aufhören? Man könnte ein ganzes Pflichtkontinuum schaffen:

  • Babys leisten eine „Krabbelbrigade“ im Krankenhaus, um gestresste Krankenschwestern aufzuheitern.
  • Arbeitslose müssen ab sofort unbezahlt Politikerreden klatschen, damit diese sich wieder nützlich fühlen.
  • Und die Toten? Nun, die könnten posthum noch ein paar Jahre CO₂-Bindungspflicht übernehmen, indem man ihre Särge als Blumenkästen aufstellt.

Warum halbherzig sein, wenn man gleich ein komplettes Pflichtuniversum einführen kann?

Das letzte Stadium des Neoliberalismus

Fratzschers Vorschlag ist nicht einfach nur absurd, er ist die finale Offenbarung: Deutschland ist nicht mehr in der Lage, seine Alten zu versorgen, also lässt man sie einfach selbst die Drecksarbeit machen. Ein Land, das jahrzehntelang stolz war auf seinen „Generationenvertrag“, zeigt nun, dass es diesen Vertrag schlicht als Knebelvertrag verstand: Alles für den Staat, nichts zurück.

Die Pointe: Dieselben Leute, die Rentner jetzt in den Pflichtdienst schicken wollen, werden in zwanzig Jahren selbst Rentner sein. Man darf sich also freuen auf den Tag, an dem Herr Fratzscher im Tarnanzug und mit Katheter in der Bundeswehrkantine sitzt und erklärt: „Das ist Solidarität!“ – bevor er beim Stiefelputzen am Herzinfarkt verstirbt.

Fazit: Der Wahnsinn trägt Schlips

Die Pflichtdienst-Idee für Rentner ist kein Witz. Aber sie klingt wie einer. Und vielleicht ist genau das das Bitterste: Dass man in Deutschland mittlerweile nicht mehr unterscheiden kann zwischen ernst gemeinten Vorschlägen und Satire. Wenn die Wirklichkeit schon nach Titanic riecht, braucht man eigentlich keine Satiriker mehr.

Aber keine Sorge: Irgendwann, wenn die letzte Oma den letzten Dienst an der Heimat geleistet hat, wird man erkennen, dass man eine Gesellschaft nicht dadurch rettet, dass man ihre Alten verheizt. Bis dahin gilt: Durchhalten! Pflichtjahr ist nur ein anderes Wort für „Endstation Sehnsucht“.

Gewerbepark statt KZ-Gedenkstätte

Leobersdorf, Niederösterreich: Ein idyllisches Fleckchen Erde, das bald den würdevollen Duft von Bürokaffee, Druckertoner und Parkettöl verströmen wird. Wo einst das zweitgrößte Frauenkonzentrationslager des Landes stand, sollen nun Gewerbepark und Renditeobjekte entstehen. Die Idee, eine Gedenkstätte zu errichten, ist „nicht vorgesehen“. Man muss dem Bürgermeister Andreas Ramharter zugutehalten, dass er konsequent ist: Wer braucht schon Erinnerung, wenn man Profit machen kann? Genehmigungen liegen vor, und das genügt, um jede moralische Diskussion elegant in den Papierkorb zu befördern. Effizienz schlägt Ethik. Rendite über Respekt. Pragmatismus über Menschlichkeit.

Kapitalismus mit Makel: Wo Menschen durch Quadratmeter ersetzt werden

Die Mathematik dieser Transaktion ist bestechend: 15,25 Millionen Euro für die Grundstücke, plus 1,34 Millionen durch Umwidmungen – ein veritabler Sieg des Taschenrechners über das Gewissen. Auf diesem Gelände wird kein Gedenken errichtet, sondern Parkplätze, Hallen und vielleicht ein schickes Bistro, in dem man unbeschwert Mittagessen kann, während unter dem Asphalt die Schreie der Vergangenheit leise nachhallen. Es ist fast poetisch: Menschliches Leid wird in Euro und Quadratmeter umgerechnet, und die Bilanz stimmt. Moral? Überbewertet. Verantwortung? Luxus. Die Geschichte? Ein lästiger Nebensatz.

Die makabre Eleganz der Bürokratie

„Alle Bewilligungen liegen vor“, sagt Ramharter, und man könnte fast applaudieren. Welch klare, schnörkellose Logik! Wer sich über Moral oder Ethik Gedanken macht, ist im Bürokratie-Paradies einfach fehl am Platz. Alles ist geregelt: Genehmigungen, Umwidmungen, Renditeoptimierungen. Was zählt, ist die Linie auf dem Papier – nicht die Linie des Schicksals, das hier einst Menschen gezeichnet hat. Die Vergangenheit wird abgeschoben, in die Staubschicht unter dem Asphalt, während die Gemeinde feiert, als hätte sie gerade den Bau eines Flughafens genehmigt. Nur dass dieser Flughafen Erinnerungen statt Flugzeuge transportiert hätte.

Satire als letzter Trost

Und so bleibt uns die Satire, bitter wie ein überteuerter Espresso, mit dem Nachgeschmack von Zynismus. Wir lachen über die Absurdität: Ein Gewerbepark auf einem Ort des Grauens. Ein Bürgermeister, der gleichzeitig Immobilienmogul ist. Genehmigungen, die über moralische Fragen triumphieren. Es ist eine groteske Oper der modernen Gemeindepolitik: Profit über alles, Erinnerung als störender Akteur im Nebensatz. Wir lachen, weil Weinen zu unbequem ist, und vielleicht, nur vielleicht, merken wir dabei, wie surreal unsere Zeit geworden ist.

Fazit: Erinnerung auf Abruf

Leobersdorf wird bald glänzen: Parkplätze, Bürogebäude, Gewerbeflächen – alles korrekt bewilligt, alles buchhalterisch abgesichert. Die Vergangenheit? Entsorgt, parkiert, gewissermaßen „umgewidmet“ in Stille und Vergessen. Moralische Empörung mag man empfinden, wenn man will; die Gemeinde aber hat entschieden, dass Rendite die einzige Erinnerung ist, die zählt. Und so bleibt nur die bittere Erkenntnis: Geschichte kann man umwidmen, Schrecken kann man versiegeln, und Erinnerung kann man ignorieren – solange die Zahlen stimmen. Willkommen im modernen Österreich, wo man sogar die dunkelsten Kapitel mit einem Augenzwinkern in Kapital verwandeln kann.

1914 – 1939 – 2025

Vom Déjà-vu der deutschen Weltgeschichtsübungen

Es gibt Sätze, die klingen wie frisch aus der Gruft der europäischen Katastrophengeschichte heraufgekrochen. Einer davon fiel jüngst in die Mikrofone der Republik, als Bundeskanzler Friedrich Merz – im Takt seiner eigenen Hackenschläge, halb burschikos, halb wilhelminisch– erklärte, Deutschland müsse „die stärkste konventionelle Armee des Kontinents“ haben. Man möchte lachen, wenn nicht schon die historische Pointe dreimal gespielt worden wäre: 1914, 1939 und – mit feiner Ironie der Chronologie – 2025. Drei Daten wie drei Glockenschläge, die im europäischen Gedächtnis keine Melodie ergeben, sondern Sirenengeheul.

1914 – Der erste große Betriebsunfall

Damals, als Europa noch Kaiserkrone trug und die Generäle mit Landkarten spielten wie gelangweilte Internatsschüler mit Schachfiguren, begann das Experiment „größte Armee des Kontinents“ bereits einmal. Es endete bekanntlich nicht in Stolz und Glorie, sondern in Schützengräben, Gaswolken und einer Versehrtenrente, die ganze Generationen zu Hypothekensklaven machte. Wer sich heute noch die Bilder der marschierenden Kolonnen ansieht, mit pickelhaubiger Gravität und unverrückbarer „Pflichterfüllung“ im Blick, erkennt die alte Formel: Je lauter der Befehlston, desto größer die Ahnungslosigkeit über das Kommende.

1939 – Das Comeback der Marschmusik

Doch der Mensch lernt bekanntlich nicht aus Erfahrung, sondern höchstens aus Katastrophen – und auch nur dann, wenn sie frisch sind. 25 Jahre nach dem ersten „großen Spiel“ standen die Trommeln erneut parat, diesmal orchestriert von einem Mann, dessen Bart die Ironie der Weltgeschichte in sich trug: so klein, so grotesk, und doch so tödlich. Wieder die Rede von Stärke, wieder die Verheißung nationaler Größe, wieder die militärische Selbstaufplusterung, diesmal in industrieller Perfektion. Das Resultat: Trümmerhaufen, verbrannte Erde, ein moralisches Erbe, das uns Deutschen eigentlich für mindestens tausend Jahre jeden Militärton hätte verbieten sollen. Doch siehe da – die Halbwertszeit der Einsicht ist deutlich kürzer.

2025 – Die Wiederkehr des Verdrängten

Und so stehen wir nun in der Gegenwart, in der sich die politische Sprache ein Vokabular leiht, das man längst in die Quarantänestation der Geschichte gesperrt wähnte. „Stärkste konventionelle Armee Europas“ – das klingt nach den feuchten Träumen jener Think-Tank-Strategen, die in klimatisierten Konferenzräumen Schlachten auf PowerPoint-Karten verschieben, während draußen die Rentner ihre Butterpreise vergleichen. Der Kanzler spricht, die Medien notieren, das Volk horcht – und irgendwo in Moskau, Peking oder Washington klatscht ein Generälsstiefel im Takt.

Natürlich, der Kontext ist heute ein anderer: Putin als Schreckgespenst, NATO als Dauerchor, Ukraine als Stellvertreterfront. Doch die Semantik bleibt dieselbe: Größe, Stärke, Vorrang. Wer die stärkste Armee haben will, dem genügt Verteidigung nicht – er möchte auch auf dem Pausenhof Europa das größte Lineal in der Hosentasche haben.

Der deutsche Reflex

Warum also dieser Griff in die historische Waffenkammer der Worte? Vielleicht, weil Deutschland notorisch unter Identitätsmangel leidet: Als Wirtschaftsmacht beneidet, als Militärmacht misstraut, als Fußballmacht verspottet. Was bleibt da übrig? Rüstung natürlich, die große alte Droge, die schon Bismarck süchtig machte. Und wenn Merz nun seine Hacken zusammenschlägt, dann klingt darin die ganze Sehnsucht eines Landes, das endlich wieder etwas „Stolz“ in die Pose gießen will. Dass man damit ausgerechnet die Bühne betritt, auf der Deutschland schon zweimal grandios gestolpert ist, scheint Nebensache – oder Tradition.

Zwischen Tragödie und Farce

Marx sagte einmal, Geschichte wiederhole sich erst als Tragödie, dann als Farce. Die Deutschen allerdings scheinen eine dritte Kategorie zu erfunden zu haben: die peinliche Selbstparodie. Denn was wäre lächerlicher, als ausgerechnet im Jahr 2025 – wo die größten Schlachten digital, ökonomisch oder klimatisch geschlagen werden – noch immer auf Panzerstahl und Marschmusik zu setzen? Es ist, als wolle man gegen einen Hackerangriff mit einer Pickelhaube anstürmen. Oder gegen den Klimawandel mit einer Parade der Gebirgsjäger.

Epilog: Europa erschrickt

Und ja, Europa erschrickt – nicht, weil es die deutsche Armee fürchtet, sondern weil es die deutsche Amnesie bemerkt. Man hat sich an unser Bier, unsere Autos, sogar an unseren Fußball gewöhnt. Aber an unsere Militärträume? Das ist ungefähr so vertrauensbildend wie ein Pyromane, der die Feuerwehr übernehmen will.

So bleibt am Ende nur der ironische Trost: Vielleicht will Merz ja gar keine Armee, sondern nur ein Prestigeprojekt, eine Rüstungskathedralle, die er dereinst als Denkmal hinterlassen kann. Eine Kathedrale aus Stahl, Kanonenrohren und Etatposten, in der die Deutschen wieder „stolz“ durch die Gänge marschieren dürfen – bis Europa sich fragt:

„Sag mal, kennen wir das nicht schon?“

Die Republik am Abgrund – und alle wollen schubsen

Es gehört zu den zuverlässigsten Konstanten französischer Politik, dass das Volk irgendwann kollektiv beschließt, das Land müsse stillstehen, und zwar restlos, kompromisslos, bis zur letzten Métro-Linie. Wer glaubt, Generalstreiks seien nur ein museales Relikt der 1970er, wird in Frankreich zuverlässig eines Besseren belehrt: Hier ist der Stillstand ein Hochleistungssport, und zwar einer mit olympischer Disziplin. Am 10. September soll es also wieder so weit sein: Ein Land von 67 Millionen soll kollektiv die Arme verschränken – als ob die Grande Nation sich ein verlängertes Wellness-Wochenende verordnete. Der Unterschied: Während im Spa ätherische Öle dampfen, riecht es in Paris nach Tränengas.

Das Motto diesmal: „Bloquons tout!“ – Blockieren wir alles. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. Kein halbherziges „Vielleicht streiken wir“, kein deutsches „Warnstreik von 10 bis 11 Uhr“, sondern der große französische Rundumschlag: nichts geht mehr. Nicht arbeiten, nicht fahren, nicht kaufen – ja, nicht einmal der Fernseher darf laufen, was im Mutterland der grande culture télévisuelle einem Akt des Hochverrats gleichkommt.

Die große Koalition der Unzufriedenen

Besonders hübsch an der aktuellen Lage ist, dass sich sowohl ganz links als auch ganz rechts die seltene Gelegenheit bieten, im Gleichklang zu schimpfen. Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, ansonsten ideologische Erzfeinde, wirken plötzlich wie ein altes Ehepaar, das nach Jahrzehnten ständiger Streitereien beschließt, sich doch wenigstens gemeinsam über die Nachbarn aufzuregen. Was verbindet sie? Natürlich der Hass auf Macron – jenes Chamäleon im Designeranzug, das mit 21 Prozent Zustimmung gerade einmal knapp über der Fehlertoleranz liegt.

Mélenchon versucht, den Protesten ein revolutionäres Sahnehäubchen aufzusetzen: Generalstreik! Ganz Frankreich soll wieder einmal den Geist von 1789 beschwören. Le Pen dagegen reibt sich die Hände: Jeder Tag, an dem Macron schwächer wirkt, ist ein Tag, an dem sie in den Élysée-Palast einziehen könnte – vorzugsweise, ohne auch nur ein Pflastersteinchen selber geworfen zu haben.

Es ist das seltene Schauspiel einer Querfront, die nicht einmal eine gemeinsame Ideologie braucht, sondern nur den gemeinsamen Gegner. Und dieser Gegner ist ein Präsident, der verzweifelt so tut, als hätte er die Zügel noch in der Hand, während das Pferd längst durchgeht.

Bayrous frommer Sparhaushalt – und der Zorn des Osterhasen

Man muss François Bayrou fast Mitleid zollen. Mit 74 Jahren hat der Premier nichts Besseres im Sinn, als den Gürtel enger zu schnallen – nur eben nicht seinen eigenen, sondern den von 67 Millionen Franzosen. Gespart werden soll an Gesundheit, Pensionen und Beamtenstellen. Das klingt technokratisch, ist aber in Frankreich politischer Selbstmord, denn hier ist der öffentliche Dienst nicht einfach ein Arbeitgeber, sondern eine Zivilreligion.

Besonders grotesk wirkt die Idee, zwei Feiertage zu streichen – Ostermontag und den 8. Mai. Der Osterhase soll also in Frührente, und der Sieg über Nazi-Deutschland wird mit einem Achselzucken aus dem Kalender radiert. Es verwundert nicht, dass 84 Prozent der Franzosen diese Idee ablehnen. Wahrscheinlich sind die restlichen 16 Prozent einfach in der Umfrage eingeschlafen.

Die Botschaft ist klar: Wer an den Feiertagen sägt, sägt am Herzen der Nation. In Deutschland könnte man vielleicht den Buß- und Bettag opfern, ohne dass es jemand merkt. In Frankreich jedoch löst schon die Idee, am Ostermontag zu arbeiten, eine Stimmung aus, als hätte man den Eiffelturm bei eBay versteigert.

Die Vertrauensfrage als Himmelfahrtskommando

Macron und Bayrou, in der Rolle des Feuerwehrmanns und Brandstifters zugleich, wollen der drohenden Volkswut mit einem taktischen Manöver begegnen: Am 8. September, zwei Tage vor dem großen Stillstand, soll Bayrou im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Man erkennt das Kalkül: Vielleicht halten die Abgeordneten angesichts der Aussicht auf Straßenschlachten noch einmal ihre schützende Hand über die Regierung.

Doch Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn diese Rechnung aufginge. Rechts wie links haben bereits angekündigt, die Regierung im Regen stehen zu lassen. Le Pen schielt auf Neuwahlen, die Linke träumt vom Umsturz, und die Sozialisten – deren politisches Überleben schon länger an der Intensivstation hängt – wittern endlich ein Sauerstoffgerät in Reichweite.

Macron selbst steht damit vor einem Dilemma: Zieht Bayrou die Reißleine und stürzt, dann fällt unweigerlich auch der Präsident. Es wäre das klassische Beispiel einer politischen Symbiose – nur dass hier beide Partner gleichzeitig im Sumpf ertrinken.

Die Tragikomödie der Macht

Man könnte die Situation auch als brillante Satire begreifen, wenn sie nicht blutiger Ernst wäre: ein alter Premier, der Feiertage abschafft, um Geld zu sparen; ein Präsident, der sich selbst für Jupiter hält, inzwischen aber kaum noch als Pluto wahrgenommen wird; eine Rechte, die plötzlich das Volk umarmt; und eine Linke, die den Generalstreik als Netflix-Serie verkauft.

Frankreich inszeniert sich einmal mehr als Theaterstaat, in dem die große Bühne wichtiger ist als das Drehbuch. Und während die Akteure sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchen, steht das Publikum – das Volk – bereit, die Vorstellung mit Böllern und Barrikaden zu garnieren.

Es ist ein Schauspiel, das nur in Frankreich möglich ist: ein Land, das mit gleicher Leidenschaft Revolutionen anzettelt und Baguettes bäckt. Am 10. September soll es stillstehen. Stillstehen? Nein – donnern, krachen, poltern. Der Stillstand wird in Frankreich niemals ein Schweigen sein, sondern stets ein ohrenbetäubender Aufschrei.

Der Mohr hat seinen Namen verloren

Ein Straßenname, ein Aufschrei, ein Weltgeist

Ach, die deutsche Öffentlichkeit! Was sie nicht alles in Rage versetzt: von falsch gesetzten Gendersternchen über den Benzinpreis bis hin zur „Entsorgung“ kolonialer Relikte. Und so kam es, dass ein paar Straßenlaternen später die Mohrenstraße in Berlin, dieser unauffällige Asphaltstreifen im Gewimmel der Hauptstadt, ein neues Schild erhielt. Man taufte sie feierlich zur Anton-Wilhelm-Amo-Straße, auf dass die Bewohnerinnen und Bewohner – und auch jene, die stets nur durchbrausen – künftig bei jeder Fahrplanauskunft an die glorreiche Stunde denken, da man den „Mohr“ offiziell zum Schweigen brachte. Dass Anton Wilhelm Amo tatsächlich eine faszinierende Gestalt der deutschen Geistesgeschichte war – Afrikaner, Philosoph, Jurist, Dozent, akademische Berühmtheit des 18. Jahrhunderts – tritt dabei beinahe in den Hintergrund. Denn in Wahrheit geht es, wie immer, nicht um Geschichte, sondern um das süße, moralisch kalorienfreie Dessert der symbolischen Politik.

Die Unendlichkeit des moralischen Fortschritts

Es ist ja keineswegs so, dass der „Mohr“ in den letzten Jahrhunderten friedlich auf dem Straßenschild vor sich hinvegetierte. Nein, er stand stets unter Generalverdacht: Wer den Namen las, hörte sogleich den dumpfen Nachhall kolonialer Verachtung, gleichsam als ob aus jedem Pflasterstein ein Peitschenhieb knallte. Dass das Wort „Mohr“ ursprünglich einmal neutral, manchmal gar ehrerbietig gebraucht wurde, ja dass Amo selbst eine Schrift mit dem Titel De iure Maurorum in Europa verfasste, in dem er über die Rechtsstellung der „Mohren“ disputierte – geschenkt! Heute liest man bekanntlich nie alte Texte, sondern nur die eigene Empörung. Der Fortschritt verlangt schließlich Opfer, und wenn es nur die Lexikographie ist.

Amo als Feigenblatt

Natürlich hätte man auch überlegen können, Anton Wilhelm Amo in deutschen Hörsälen mehr Aufmerksamkeit zu schenken – jenseits der Fußnote in einem Seminarplan. Man hätte seine Schriften übersetzen, kommentieren, debattieren können. Aber wozu? Eine Straße reicht doch völlig! Eine Straße ist schnell umbenannt, kostet überschaubar, erzeugt ein hübsches Pressefoto mit ernster Miene und Transparent, und schon kann man behaupten: „Wir haben das koloniale Erbe aufgearbeitet.“ Welch angenehmer Zufall, dass Amo außerdem dunkelhäutig war und also perfekt ins Drehbuch der moralischen Kompensation passte. Er selbst hätte wahrscheinlich mit spitzem Federkiel notiert, dass er in der Debatte um „Mauren“ wohl auch heute nur als Projektionsfläche dient.

Der Triumph des Schilderwesens

Man muss es nüchtern sehen: In Deutschland wird Geschichte bevorzugt durch Schilder reguliert. Wenn die Realität schmerzt, malt man ein neues Straßenschild, hängt eine Tafel an die Wand oder eröffnet eine Gedenkstele. Danach kann man beruhigt nach Hause gehen, die Welt ist wieder heil. Dass im selben Berlin Menschen ohne Wohnung in U-Bahnhöfen erfrieren, ist freilich ein Detail, das die Leichtigkeit des symbolischen Fortschritts stören würde. Wer will schon Sozialpolitik, wenn man auch Eitelkeitspolitik betreiben kann? Der deutsche Staat ist, was das betrifft, hochprofessionell: Er verwaltet Probleme am liebsten im Futur II. Es wird aufgearbeitet gewesen sein.

Der Mohr geht, Amo bleibt – oder auch nicht

Ironisch ist es natürlich schon, dass Amo selbst von den Deutschen kaum gekannt wird. Man könnte fast wetten, dass neun von zehn Befragten auf der Anton-Wilhelm-Amo-Straße nicht wissen, wer er war. Vielleicht halten sie ihn für einen Popstar, einen afrikanischen Fußballspieler oder einen veganen Kochbuchautor. Die Ironie steigert sich, wenn man bedenkt, dass Amo nach einem Leben voller akademischer Triumphe Deutschland enttäuscht den Rücken kehrte – angewidert von Rassismus und Ignoranz. Also ehrt man ihn jetzt, indem man sein Namensschild zwischen Asia-Imbiss und Backshop schraubt. Der Philosoph, der Europa intellektuell herausforderte, muss nun als Wegweiser dienen, wenn man zum Parkhaus will.

Fazit mit Augenrollen

Die Umbenennung der Mohrenstraße ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie man sich moralisch aufputschen kann, ohne tatsächlich Verantwortung zu übernehmen. Man tauscht ein Wort gegen ein anderes, verbucht es als Fortschritt und klopft sich gegenseitig auf die Schultern. Ob Amo dadurch tatsächlich geehrt wird? Ob er nicht vielmehr als dekoratives Alibi missbraucht wird? Ob wir nicht lieber seine Schriften ernsthaft studieren sollten, anstatt sie durch ein Straßenschild zu ersetzen? – Fragen, die man im Rausch der guten Absicht lieber verdrängt.

Doch vielleicht ist das die letzte Pointe: Der Mohr hat seine Straße verloren, Anton Wilhelm Amo hat eine gewonnen – und wir alle haben die beruhigende Gewissheit, dass wir wieder ein kleines Stück besser sind, als wir gestern waren. Bis zum nächsten Straßenschild.