Wie die GroKo das Denken säubern will …

… – für unsere Sicherheit, versteht sich

Schutz mit Beigeschmack: Wenn „staatsferne“ Medienaufsicht plötzlich nach Staatsräson riecht

Es beginnt – wie so oft – mit einem harmlosen Satz. Ein Satz, wie man ihn sich morgens bei der Klausurtagung zum Müsli reicht: leicht verdaulich, voller guter Absicht und doch mit einer gewissen Sprengkraft im Nachgang. „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“
So steht es, schwarz auf weiß, im Koalitionsvertrag 2025 – signiert von CDU/CSU und SPD, jenen beiden Traditionsparteien, die sich nach Jahrzehnten politischer Demenz und klimaneutraler Sinnsuche nun als Verteidiger der Wahrheit inszenieren. Wahrheit – das neue Zauberwort der alten Macht. Und wie so oft, wenn Politiker „Wahrheit“ sagen, sollte man sich fragen: Wahr für wen? Und ab wann? Und wer entscheidet das?

Das klingt zunächst nachvollziehbar, ja fast beruhigend. Schließlich will niemand belogen werden. Niemand mag Falschinformationen. Niemand steht gern dumm da. Doch was hier wie ein wohliger Mantel der Aufklärung daherkommt, ist bei näherem Hinsehen nichts anderes als eine gesetzlich kodifizierte Lizenz zur Meinungslenkung.
Man mag es kaum glauben: Just jene politische Klasse, die über Jahre hinweg die Begrifflichkeiten von „Wahrheit“ und „Falschheit“ in ideologischen Schaum aufgelöst hat, beansprucht nun das Monopol auf Objektivität. Dieselben Akteure, die noch vor kurzem nicht zwischen „biologischem Geschlecht“ und „sozialer Identität“ unterscheiden wollten, wollen nun festlegen, was eine falsche Tatsachenbehauptung ist. Orwell? Gähnt. Kafka? Reicht Popcorn.

Die neue Zensur kommt im Hoodie – und mit Paragrafenschild

Natürlich, man beteuert staatsfern zu bleiben. Die Medienaufsicht soll unabhängig agieren – aber eben gesetzlich „gestärkt“. Die Meinungsfreiheit soll gewahrt bleiben – aber unter klaren gesetzlichen Vorgaben. Was klingt wie ein paradoxes Theaterstück in fünf Akten, ist der deutsche Gesetzgebungsalltag im Jahr 2025.
Man möchte die Meinungsfreiheit retten – notfalls gegen die Meinungen.
Man will die Demokratie verteidigen – durch präventive Inhaltskontrolle.
Man verspricht Neutralität – und reicht die Filterwerkzeuge direkt an jene Institutionen weiter, die seit Jahren Probleme mit neutralem Journalismus haben.

Dabei ist die Idee nicht neu – nur die Verpackung ist edler geworden. Was die DDR einst noch „Desinformation“ nannte – laut MfS-Definition „die bewusste Verbreitung von den Tatsachen grundsätzlich oder teilweise widersprechenden Informationen“ – heißt heute „Informationsmanipulation“. Der Unterschied: Früher kamen die Anweisungen aus der Stasi-Zentrale, heute aus dem Ethikrat, der Medienanstalt oder dem Verfassungsschutz.
Die Ästhetik hat sich gewandelt. Der Anspruch bleibt der gleiche: Kontrolle über das, was gedacht werden darf.

Das Problem mit der Wahrheit: Sie hat die Angewohnheit, unangenehm zu sein

Das fatale Missverständnis, das der neuen Wahrheitspolitik zugrunde liegt, ist die Gleichsetzung von falscher Behauptung und böser Absicht. Dabei ist Irrtum eine der kostbarsten Ressourcen freier Gesellschaften. Nur wer sich irren darf, kann lernen. Nur wer Falsches sagen darf, kann in der Diskussion zum Richtigen gelangen. Wer jedoch bereits die Möglichkeit des Irrtums kriminalisiert, beendet nicht nur das Gespräch – er ersetzt es durch eine Monokultur des moralischen Einverständnisses.
Und wie jede Monokultur ist auch diese anfällig – für Erdrutsche, Parasiten und kollektives Denkversagen.

Wie viele „falsche Tatsachenbehauptungen“ wurden später zu akzeptierten Wahrheiten? Galileo Galilei, erinnern wir uns, war ebenfalls ein Desinformationsverbreiter – nach damaliger Definition. Die Aufklärung begann nicht mit einem Wahrheitsministerium, sondern mit dem Widerspruch. Das Grundgesetz schützt Meinungen – nicht, weil alle Meinungen gut oder richtig wären, sondern weil niemand das Recht hat, sich zum Richter über Gedanken aufzuschwingen. Außer natürlich, man ist Kulturstaatsminister oder Twitterbeauftragter.

Die Hybris der Gesinnungsjuristen: Wenn aus Wahrheit eine Verwaltungsakte wird

Wem nützt das alles? Wer profitiert von einer gesetzlichen Wahrheitskontrolle?
Zunächst: Die Bürokratie. Ein neues Gesetz bedeutet neue Zuständigkeiten, neue Behörden, neue Referentenstellen mit Genderkompetenz. Dann: Die großen Plattformen. Sie können ihre Algorithmen auf staatlich abgesegnete Inhalte trimmen – inklusive digitalem Persilschein. Schließlich: Die Regierenden. Denn wer kontrolliert, was gesagt werden darf, kontrolliert auch, was gedacht wird. Und was nicht gedacht werden darf, wird irgendwann gar nicht mehr gedacht.

Der Bürger? Verliert. Nämlich die Freiheit, sich selbst ein Bild zu machen. Die Freiheit, sich auch mal zu täuschen. Die Freiheit, anderen Unsinn zuzutrauen – und ihn zu entlarven, nicht zu verbieten. Aus der Demokratie wird so ein Erziehungsapparat. Aus dem mündigen Bürger ein potenzieller Gefährder. Aus der Debatte ein kontrolliertes Meinungsaquarium mit künstlicher Beleuchtung.

Schluss mit gefährlich: Die Republik der gefilterten Gedanken

Vielleicht ist das alles gut gemeint. Vielleicht glaubt man wirklich, der Demokratie zu dienen, indem man sie vor ihren eigenen Schatten schützt. Doch die Geschichte lehrt uns: Demokratien sterben nicht an zu viel Debatte – sondern an zu wenig Vertrauen. Und sie überleben nicht durch Gesetze gegen Falschaussagen – sondern durch Menschen, die lernen, damit umzugehen.

Wenn nun also CDU und SPD gemeinsam an einem Wahrheitsgesetz basteln, das den öffentlichen Diskurs in „korrekt“ und „kriminell“ unterteilen soll, dann sollte jedem freiheitsliebenden Menschen ein eiskalter Schauer über den Rücken laufen. Es geht nicht mehr darum, was gesagt wird – sondern wer es sagen darf. Und wer entscheidet, ob es gesagt werden darf. Die Meinungsfreiheit wird nicht abgeschafft. Sie wird lediglich so lange gedeutet, bis nur noch das Sagbare gesagt werden kann.

Letzte Worte – oder: Wie man einen Gedanken erschlägt, ohne Spuren zu hinterlassen

Am Ende bleibt die alte Frage: Was unterscheidet den freiheitlichen Rechtsstaat vom autoritären? Die Antwort war einst einfach: Der freie Bürger darf auch Unsinn reden. Er darf stören. Er darf übertreiben. Er darf sich irren. Und er darf all das ohne Angst tun.

Wenn das nächste Gesetz zur Desinformationsbekämpfung diesen Grundsatz beseitigt, dann hat es seinen Zweck erfüllt: Nicht die Wahrheit zu schützen. Sondern den Zweifel zu verbieten.
Und damit beginnt die eigentliche Desinformation – vom Staat aus, gesetzlich geregelt, medienpädagogisch aufbereitet.

Wer hat’s erfunden?
Früher: Das MfS.
Heute: CDU und SPD.
Und morgen? Vielleicht das Bundesministerium für Wahrheit und Toleranz – mit Siegel.

Russophobie ist eine Geisteskrankheit

Der neue alte Feind

Es ist eine bemerkenswerte anthropologische Konstante: Die Spezies Homo sapiens occidentalensis progressivus benötigt zum Aufrechterhalt ihrer seelischen Hygiene ein klares Feindbild. Früher war es der Klassenfeind, dann der Raucher, später der Klimaleugner – und heute: der Russe. Genauer gesagt: das Russentum. Und das nicht etwa im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit autoritären Tendenzen oder geopolitischem Imperialismus – das wäre ja noch zu rechtfertigen –, sondern als flächendeckende psychische Projektionsfläche für alles, was man selbst nicht sein will, aber im Stillen vielleicht längst ist.

Russophobie ist keine Meinung. Sie ist auch keine Position. Sie ist ein Zustand. Ein Gemütszustand, der sich als Moral tarnt, ein Weltbild, das in sich geschlossen ist wie eine Irrenanstalt. Der Russe – in seiner neuesten medialen Inkarnation – ist nicht einfach ein Mitspieler auf der Bühne der Weltpolitik. Nein. Er ist der Joker im westlichen Kartenspiel, der Antichrist im liberalen Evangelium, das Böse schlechthin. Und wie jedes ultimative Böse wird er nicht diskutiert, sondern erklärt. Diagnostiziert. Pathologisiert. Diffamiert. Mit einem Furor, den man sonst nur aus Exorzismen kennt.

Von der Meinung zur Manie: Wie Kritik zur Obsession wurde

Der Übergang von berechtigter Kritik zur manischen Obsession vollzieht sich bekanntlich leise. Am Anfang steht die nüchterne Analyse von Kriegsverbrechen, Geheimdienstoperationen, demokratieferner Innenpolitik. Am Ende steht eine westliche Intellektuellenkaste, die Dostojewski von der Leseliste streichen möchte, weil er „toxisch patriarchal und latent imperialisierend“ sei.
Man schüttet nicht das Kind mit dem Bade aus – man löscht gleich das ganze russische Dorf, aus Furcht, man könne unabsichtlich kulturelle Komplizenschaft signalisieren.

So wird aus einer Nation mit einer komplexen, widersprüchlichen Geschichte ein einziges dunkles Prinzip. Wer einen russischen Komponisten zitiert, outet sich als verkappter Zarenversteher. Wer darauf hinweist, dass der Westen vielleicht auch Interessen hat, muss sich den Hut des Putinverstehers anziehen – maßgeschneidert, aus feinstem moralischen Filz. Die Russophobie ist dabei nicht nur pathologisch, sie ist auch bequem. Denn sie erlöst vom Denken. Sie erlaubt es, alle Graustufen zu überspringen und sich selbst auf der sicheren Seite zu wähnen – im Hochsicherheitstrakt der Tugend.

Von Tolstoi zu Totschlagargumenten: Die kulturelle Auslöschung als Tugendprojekt

Die Cancel Culture hat viele Opfer, aber die Russophobie erhebt das Streichen zur Kunstform. Tschaikowsky? Kolonialist im Taktmaß. Gogol? Ethnonationalistisch. Tschechow? Melancholischer Manipulator. Die russische Kultur wird neu kartografiert, und sie sieht plötzlich aus wie eine Kriegslandschaft, in der jeder Akkord ein Angriff, jede Vokabel ein Vorstoß ist. Selbst die Fabergé-Eier gelten inzwischen als kryptokoloniale Machtsymbole – und der Samowar ist nur noch eine dekadente Kriegsmaschine, mit Tee statt Munition.

So ersetzt der westliche Diskurs den realen Gegner durch ein kulturelles Phantom, das viel handlicher ist als reale Machtpolitik. Russland ist dabei nicht mehr Russland, sondern ein Mythos, ein Folkloregespenst, das alles symbolisiert, was man selbst nicht sein will, aber instinktiv fürchtet: archaisch, maskulin, orthodox, unironisch, leidensfähig – und voller Tiefe. Die Russophobie ist nicht nur ein intellektueller Reflex, sie ist auch ein psychologischer Abwehrmechanismus gegen das Fremde im Eigenen. Der Russe wird zum inneren Schatten des Westens – verdrängt, verleugnet, dämonisiert.

NATO-Narrative und News-Neurosen: Die Symbiose von Meinung und Massenwahn

Natürlich, sagen die Verteidiger der heiligen Phobie, gibt es Gründe zur Kritik. Die Ukraine. Die Annexion. Die Autokratie. Mag ja sein. Nur: Wenn Kritik nicht mehr unterscheidet, wird sie zur Waffe. Und wer jede Nuance tilgt, hat nicht mehr Recht – er hat nur noch Rechthaberei. Der Phobiker will nicht verstehen, er will verurteilen. Er verwechselt Geopolitik mit Moral und Diplomatie mit Exorzismus.

Die mediale Landschaft – ohnehin längst zu einem Rauschraum aus Daueralarmismus und tagesaktueller Weltuntergangsprognose verkommen – übernimmt das mit Inbrunst. „Russland provoziert“, „Russland destabilisiert“, „Russland droht“ – der Duktus gleicht einer postmodernen Offenbarung. Dass dabei keine Silbe über westliche Rüstungsexporte, über aggressive NATO-Erweiterung, über die systematische Störung diplomatischer Kanäle fällt? Geschenkt. Der Phobiker lebt gut mit blinden Flecken – solange sie auf der richtigen Seite der Linie liegen. Moralisch asymmetrisch blind, aber dafür mit LED-Binde.

Die Symptome der Krankheit: Projektion, Paranoia, Pose

Man erkennt den Russophobiker an drei Kernsymptomen:

  • Projektion: Alles, was dem Westen selbst peinlich ist, wird Russland unterstellt. Autoritarismus, Propaganda, Korruption, Machismo – ein russisches Best-of der eigenen Unzulänglichkeiten.
  • Paranoia: Hinter jeder Energiekrise, jeder Wahl, jeder Protestaktion ein russischer Hacker. Der Strom fällt aus? Putin. Die AfD steigt in den Umfragen? Putin. Der Kaffee schmeckt seltsam? Wahrscheinlich Nowitschok.
  • Pose: Der moralische Hochsitz ist wichtiger als jedes Argument. Man trägt Ukraine-Flaggen im Twitterprofil, hat aber keine Ahnung von der Geschichte der Krim. Man spendet an Hilfsorganisationen, deren Chefetage aus NATO-Think-Tanks stammt. Die Welt ist ein Theater – und Russland der vorgeschobene Bösewicht, gegen den man sich selbst inszenieren kann.

Russophobie als Selbstverleugnungskunst

Russophobie ist also mehr als ein Problem des Feindbildes – sie ist eine Störung des Selbstbildes. Eine tiefenpsychologische Abwehrhandlung eines Westens, der seine eigene Hybris nicht mehr erkennen will. Der Westen, der sich für universell hält, kann mit dem Partikularen nicht umgehen. Russland – widersprüchlich, roh, eigenständig – ist ihm ein Skandal. Nicht, weil es böse ist. Sondern weil es nicht westlich sein will.

In dieser Ablehnung liegt kein Mut, sondern Angst. Die Angst, dass es noch andere Modelle gibt. Dass Leid nicht nur Elend, sondern auch Würde bedeuten kann. Dass Rationalität nicht alles ist. Dass Geschichte nicht linear verläuft. Und dass vielleicht – nur vielleicht – der Westen nicht das Ende, sondern nur ein Kapitel der Geschichte ist.

Russophobie ist heilbar – aber nicht mit Waffen

Was hilft gegen diese Geisteskrankheit? Ironie. Bildung. Geschichte. Ein Buch lesen. Ein Tschechow-Stück anschauen. Eine Balalaika hören, ohne das Bedürfnis zu verspüren, sie zu verbieten.
Und vor allem:
Das eigene Spiegelbild betrachten – mit dem Mut, auch das Fremde darin zu erkennen.

Denn wer Russland wirklich verstehen will, muss lernen, sich selbst auszuhalten.
Und das – ist die wahre Zumutung.

Willkommen in der postironischen Republik

Was haben Diktaturen und demokratische Staaten gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel, doch spätestens wenn ein Satiriker wegen Regierungskritik mit einer Gefängnisstrafe rechnen muss, beginnt die Trennlinie zwischen freiheitlicher Demokratie und autoritärem Reflex zu verschwimmen wie die Schrift in einem zu oft gefilterten Instagram-Statement der Bundesregierung.
Wenn also ein Journalist – Verzeihung: ein „sarkastischer Regierungskritiker“, was allein schon wie ein Straftatbestand aus dem Handbuch für innere Sicherheit klingt – vor Gericht gezerrt wird, weil er es gewagt hat, seine Feder gegen die Obrigkeit zu richten, dann ist das kein „bedauerlicher Einzelfall“, sondern ein ziemlich lauter Alarmruf in einem Land, das sich ansonsten so gerne an seine Pressefreiheit kuschelt wie an eine elektrisch beheizte Wärmflasche aus Artikel 5 GG.

Dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser in diesem Fall nicht umgehend einen presserechtlichen Schutzschirm aufspannt, sondern sich in Schweigen hüllt wie ein Croupier in Las Vegas, der beim Verteilen der Karten ertappt wurde, lässt tief blicken. Und zwar nicht etwa in staatsrechtliche Grauzonen oder juristische Detailfragen, sondern in das schillernde, doppelbödige, schattendurchwehte Innenleben jener „Haltungsdemokratie“, die Meinungsfreiheit nur noch dann liebt, wenn sie brav mit Maske auf der richtigen Seite der Debatte steht.

Die Meinungsfreiheit als Dekorationsobjekt

Man muss sich das einmal vorstellen: Da schreibt ein Journalist etwas Freches, vielleicht sogar etwas Übertriebenes – also etwas, das in einer gesunden Demokratie als ganz normaler Bestandteil der politischen Auseinandersetzung gelten sollte – und plötzlich steht er vor dem Kadi, als hätte er beim BND eingebrochen oder ein Interview mit einem Impfgegner geführt.
Der Gedanke, dass sarkastische Regierungskritik mit Repressalien beantwortet wird, ist nicht nur juristisch absurd, sondern kulturell eine Kapitulation. Eine Demokratie, die Ironie für Majestätsbeleidigung hält, hat offenbar vergessen, dass sie ihre Stabilität nicht aus Uniformität, sondern aus Dissens bezieht – und dass Freiheit eben nicht darin besteht, „alles sagen zu dürfen“, solange es niemanden stört.

Wenn Ministerinnen, die in Hochglanzinterviews gerne vom „Kampf gegen rechts“ schwärmen, bei offensichtlicher Meinungsunterdrückung plötzlich auf Tauchstation gehen, dann ist das kein Zufall, sondern systemisch. Es ist das Prinzip des politischen Wetterhuhns: Empörung nach Bedarf, Prinzipientreue auf Abruf, Rechtsstaatlichkeit nur solange, wie sie nicht unbequem ist. Die Pressefreiheit wird dabei zur rhetorischen Rasenfläche – öffentlich betreten, intern zubetoniert.

Satire als Staatsfeind? Ein Missverständnis mit Tradition

Man könnte nun sagen: „Naja, vielleicht war die Kritik ja zu polemisch, vielleicht war sie verletzend, vielleicht hat sie die Grenze überschritten.“ Aber das ist exakt der Punkt: In einer Demokratie ist die Grenze des Erträglichen nicht das persönliche Befinden der Regierenden. Wenn Satire, Polemik oder Sarkasmus strafbar werden, weil sie jemandem nicht gefallen, dann hat man den Unterschied zwischen liberalem Rechtsstaat und autoritärer Anwandlung nicht verstanden – oder, schlimmer noch: bewusst verwischt.

Die politische Satire war schon immer ein gefährlicher Beruf. Vom preußischen Zensurapparat über das Dritte Reich bis zur DDR wusste man stets: Wer lacht, denkt. Und wer denkt, gehorcht nicht. Die Tatsache, dass heute in einem angeblich gefestigten demokratischen Rechtsstaat wieder über Haft für Journalisten diskutiert wird, ist also keine Randnotiz – es ist ein Menetekel. Und der erschreckendste Teil daran ist nicht, dass es geschieht, sondern wie still es geschieht.

Nancy, sag doch was – oder: Wenn Schweigen politisch wird

Dass sich die Innenministerin nicht klar von einem Urteil distanziert, das sinnbildlich für das Einschüchtern kritischer Stimmen steht, lässt eigentlich nur zwei Interpretationen zu.
Erstens: Sie hat es nicht mitbekommen. Das wäre fahrlässig.
Zweitens: Sie hat es mitbekommen – und findet es vielleicht gar nicht so schlimm. Das wäre fatal.

Natürlich wird nun der Pressesprecher rotieren, die juristischen Feinheiten beschwören, auf richterliche Unabhängigkeit verweisen und beteuern, man wolle keine Einzelfallbewertung aus dem Ministerium heraus vornehmen. Aber der politische Reflex zählt. Und der hätte lauten müssen: „Pressefreiheit ist nicht verhandelbar – auch nicht für unbequeme Stimmen.“
Dass er nicht kam, sagt mehr über den Zustand dieser Republik aus als jeder regierungskritische Leitartikel.

Wohin mit der Ironie in Zeiten der Ernsthaftigkeit?

Wir leben in einer Ära der Überempfindlichkeiten. Alles ist politisch, alles ist persönlich, und alles ist beleidigend – für irgendwen. In dieser Atmosphäre hat sich ein neues Verständnis von „freiheitlicher Ordnung“ etabliert: Du darfst alles sagen, solange du dabei nicht aneckst, niemanden verletzt, und – vor allem – nicht regierungskritisch bist, es sei denn, du kritisierst die falsche Regierung.

Ironie hat in dieser Welt einen schweren Stand. Denn sie spielt mit Mehrdeutigkeiten, unterläuft Eindeutigkeit, macht sich über das heilige „Narrativ“ lustig – und das ist in der Ära der narrativen Monokultur ein Affront. Wer heute sarkastisch auf die Regierung zeigt, der wird nicht etwa als kritischer Geist gefeiert, sondern als Spaltpilz verdächtigt. Die Ironie, einst das Schutzschild des freien Geistes, ist zur potenziellen Straftat mutiert. Und das in einem Land, das sich so gerne auf seine Dichter und Denker beruft – solange die keine Meinung haben, die stört.

Freiheit – das unbequeme Erbe

Man darf sich fragen: Wie stabil ist eine Demokratie, in der man ständig betonen muss, dass man Meinungsfreiheit aushalten müsse? Wie liberal ist ein Staat, in dem das bloße Fordern nach Toleranz für abweichende Meinungen bereits als Sympathiebekundung für das Falsche gilt? Und wie integer ist eine Innenministerin, die Freiheit in Sonntagsreden beschwört, aber schweigt, wenn sie werktags mit Füßen getreten wird?

Die Antwort ist unbequem. Aber nötig.
Denn Freiheit zeigt sich nicht dort, wo sie populär ist.
Sondern dort, wo sie wehtut.

Wer hat’s erfunden?

Die Frage, wer’s erfunden hat, klingt in unseren Ohren längst nicht mehr wie die neckische Pointe einer Halsschmerzpastillen-Werbung, sondern vielmehr wie das zynisch-historische Rätsel, das über jeder aktuellen Debatte schwebt wie ein müder Wetterballon über einem ausgebrannten Talkshowstudio. In einem Land, dessen moralische Seismographen bei jedem „falschen“ Tweet Amok laufen, wird die Ursprungsfrage zur heiligen Inquisition der Gegenwart: Wer hat zuerst gehetzt? Wer hat zuerst diffamiert? Wer hat begonnen, mit dem moralisch aufgeladenen Flammenwerfer durch die demokratische Landschaft zu pflügen? Die Antwort liegt – wie immer – irgendwo zwischen den Zeilen, zwischen den Gesetzesbüchern, zwischen der selektiven Empörung der jeweiligen Lager, also genau dort, wo sich Wahrheit am liebsten verkriecht: im Schatten der Lauten.

Der zitierte Paragraph, aus dem sich wie aus einer Verfassungspastille die moralische Pflicht zur permanenten Zivilcourage saugen lässt, formuliert es mit der Klarheit eines chirurgischen Schnitts: „Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militärische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen
im Sinne des Strafgesetzbuch
.“ 1
Punkt.
Unmissverständlich.
Unstrittig.
Und dennoch: nie war es einfacher, mit genau diesen Begriffen um sich zu werfen, wie ein Pubertierender mit unpassenden Fremdwörtern. Wer heute von „Boykotthetze“ spricht, meint nicht selten einen empörten Tweet gegen die GEZ-Gebühren. Wer „Mordhetze“ ruft, hat womöglich eine satirische Karikatur nicht verstanden. Und „Rassenhass“? Ein dehnbarer Begriff, solange man selbst auf der richtigen Seite steht – also der moralisch überlegenen, selbstverliebt strahlenden Seite der Erleuchteten.

Wie der gute Zweck seine Abgründe offenbart

Es gehört zu den Ironien der postliberalen Demokratien, dass jene, die am lautesten „Wehret den Anfängen“ rufen, oft selbst den Anfang der nächsten Eskalationsstufe markieren. Wo früher Gesetze zum Schutz der Schwachen dienten, dienen sie heute nicht selten der Immunisierung der Lauten. Aus dem Schutzschild der Gleichberechtigung wurde ein Rammbock der Rechthaberei. Aus dem hehren Ideal der Demokratie ein Sprachregelungskatalog, durch den sich jede Abweichung in den Verdacht des Menschenhasses hineinziehen lässt.

Wer gegen das Gendern argumentiert, steht angeblich am Vorabend des Faschismus. Wer für einen differenzierten Blick auf Migration plädiert, rutscht schneller in den Verdacht des „strukturellen Rassismus“ als eine E-Mail in den Spamordner. Die Moralphalanx marschiert – und hinter ihr bleibt nicht etwa verbrannte Erde, sondern ein moralisch frischkompostiertes Feld voller Sprechverbote, Rücktrittsforderungen und Twittertribunalen.

Die ehemals bürgerliche Mitte? Von beiden Seiten beschossen. Die Linke sagt: Ihr habt zu lange geschwiegen. Die Rechte schreit: Ihr habt alles verraten. Und dazwischen sitzen die Letztverbliebenen, starren auf ihre Wahlzettel wie auf Sudoku-Felder voller Schuldgefühle, und fragen sich: Wer hat’s eigentlich erfunden, dass man in einer Demokratie nur noch mitschwimmen darf, wenn man dabei den richtigen Schwimmstil zeigt?

Von der Sprachpolizei zur Empörungsindustrie

Sprache ist Macht, sagte schon Foucault, und heute sagen das auch die Community Guidelines von Facebook. Was früher philosophisches Nachdenken war, ist heute Algorithmus: Inhalte werden sortiert, gelöscht, gewichtet, markiert – nicht mehr nach Wahrheitsgehalt, sondern nach emotionaler Verträglichkeit. Die Plattform entscheidet, was Hass ist. Die Redaktion entscheidet, was Hetze ist. Die „Zivilgesellschaft“ entscheidet, wer dazugehört. Der Rechtsstaat? Beobachtet derweil mit gerunzelter Stirn seine eigene Irrelevanz.

Denn „Hassrede“ ist heute das Gegenteil von Liebe zur Kontroverse. Sie ist das Etikett, das man über Argumente klebt, die man nicht hören will – oder nicht entkräften kann. Wer von offenen Grenzen spricht, ist mutig. Wer sie kritisiert, ist gefährlich. Wer soziale Gerechtigkeit fordert, ist engagiert. Wer Steuern kritisiert, ist neoliberal. Der moralische Bewertungsalgorithmus läuft rund um die Uhr – klimaneutral, aber meinungstödlich.

Dabei ist es kein Zufall, dass sich diese Form des hypermoralischen Aktivismus nicht in dunklen Kneipen, sondern in den Sitzungssälen von Stiftungen, NGOs und öffentlich-rechtlichen Redaktionen eingenistet hat. Die neue Zensur ist nicht mehr repressiv, sondern performativ. Sie zwingt niemanden zu schweigen – sie sorgt dafür, dass Schweigen das einzig Karriereförderliche bleibt.

Historisches Gedächtnis mit selektiver Lesebrille

Erinnerungspolitik ist das große Spielfeld der Selbstvergewisserung. Man bezieht sich auf Weimar, wenn man sich vor Populismus fürchtet. Auf 1933, wenn man politische Gegner diffamieren will. Und gerne auf 1945, um eigene Banalitäten in einen antifaschistischen Heiligenschein zu tauchen. Die Vergangenheit dient nicht mehr der Erkenntnis, sondern der Legitimation des Jetzt. Wer sich auf „Nie wieder“ beruft, sagt heute oft: „Nie wieder Meinungsvielfalt“.
Die Geschichte ist kein Mahnmal mehr, sondern ein Werkzeugkoffer.
Und wie bei jedem Werkzeugkoffer gilt: Wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Argument aus wie ein Nazi.

Dabei war die Idee des Antifaschismus nie als Dauerzustand gedacht, sondern als Schutzwall gegen konkrete Gefahren. Heute aber hat sich dieser Wall in eine Burg verwandelt, in deren Innenhof sich Funktionäre und Berufsempörte gegenseitig versichern, dass draußen nur Barbaren lauern. Die Demokratie verteidigt sich tot, wenn sie vergisst, dass sie von Widerspruch lebt.

Schluss mit heilig – Zeit für Ironie

Und so kehren wir zurück zur Frage: Wer hat’s erfunden?
Die Boykotthetze? Die sprachliche Abrüstung der Gegenwart? Die inflationäre Empörung über alles, was nicht ins Weltbild passt? Die gezielte Moralisierung des Rechtsstaats?
Die Antwort lautet: alle. Jeder. Niemand. Der Zeitgeist. Die Algorithmen. Die Angst. Die Bequemlichkeit. Die Gier nach Deutungshoheit.
Und ja – auch wir selbst, wenn wir die Stirn runzeln und gleichzeitig schweigen.

Es ist Zeit, die moralische Kinnlade wieder zu schließen, das Denken zu entideologisieren – und vielleicht, ganz vielleicht, wieder zu lachen. Über uns selbst. Über das System. Über die Tatsache, dass man für diese Art von Essay bereits Applaus und Shitstorm zugleich erwarten darf.

Denn das ist das wahre Problem der Gegenwart:
Nicht der Hass.
Nicht die Hetze.
Sondern der völlige Verlust an Selbstironie.

1 DDR, Art. 6 Abs. 2 der Verfassung

Alte und Kranke – das Sparschwein des IWF

Wenn der Internationale Währungsfonds – dieser wirtschaftspolitische Batman in Anzug und Zahlenfetisch – den Zeigefinger hebt, dann beugt sich die Politik brav wie ein Chorknabe bei der Sonntagsmesse. Denn was der IWF sagt, ist keine Meinung, es ist – im modernen Regierungssprech – alternativlos. Die Nachricht klingt harmlos, fast fürsorglich, wie ein Anruf der eigenen Bank, der einem mitteilt, dass man „vorsichtiger wirtschaften“ sollte, ehe das Konto endgültig in den Bereich „archäologische Ruine“ kippt. Die „heuer beschlossenen bzw. angekündigten Maßnahmen“, wie es bürokratisch so schön heißt, seien bereits ein erster Schritt, um den Schuldenanstieg zu bremsen – oder, mit anderen Worten: Der Patient Staat hat Fieber, aber statt Medikamente gibt’s erstmal Diät. Zuckerfrei, freudlos, und vor allem: solidarisch. Denn gespart wird an denen, die sich am wenigsten wehren – den Alten und den Kranken.

Natürlich sagt das keiner so direkt. Der IWF spricht von „Effizienzpotenzial“, die Politik von „nachhaltiger Finanzarchitektur“ – und das Echo in den Medien klingt wie eine harmonische Symphonie aus ökonomischer Vernunft und moralischer Alternativlosigkeit. Die Rentner? Werden „an der Lebenserwartung beteiligt“. Die Kranken? Werden zu „verantwortungsvoller Inanspruchnahme der Systeme“ ermuntert. Sparen heißt heute nicht mehr: etwas wegnehmen. Es heißt: neue Anreize setzen. Und wenn jemand auf dem Weg zum OP-Tisch zusammenbricht – na gut, dann war der Anreiz eben zu hoch.

Wirtschaftliche Vernunft oder politische Schizophrenie?

Merkwürdig nur, dass dieselbe Regierung, die heute den Gürtel enger schnallt, gestern noch voller Euphorie Milliardenpakete für alles Mögliche geschnürt hat: Klimarettung, Corona-Kompensationen, Beamtenpensionen im Paralleluniversum. Da floss das Geld wie Apfelsaft auf einer Kinderparty – großzügig, unreflektiert, und nach dem dritten Glas leicht erbrechlich. Jetzt plötzlich: Katerstimmung. Aber nicht bei denen, die getrunken haben, sondern bei denen, die schon vorher nüchtern waren. Denn sparen müssen jetzt nicht etwa jene, die politische Träume auf Pump finanziert haben, sondern die, die keine Lobby haben. Die Rentnerin, die sich zwischen Heizung und Butter entscheiden muss. Der Kassenpatient, der monatelang auf ein MRT wartet, während das Gesundheitsministerium ein neues Digitalprojekt mit Beratungsfirmen testet.

Und das Beste: All das geschieht im Namen der Generationengerechtigkeit! Man müsse „die Systeme für die Jungen erhalten“, sagen dieselben Politiker, die gerade Milliarden in Kurzzeitmaßnahmen pumpen, die exakt jenen Jungen eine Zukunft verbauen. Es ist die ökonomische Form der Schizophrenie: Man stiehlt den Enkeln das Erbe und nennt es Reform.

Pensionisten als Staatsfeinde

Der neue Lieblingsfeind der Spararchitekten ist der Pensionist. Nicht der Steuervermeider, nicht die Bankenrettung, nicht das Beraterwesen in Ministerien – nein, es ist die alte Dame mit Rollator, die mit ihrer Existenz die Statistik verhagelt. Man hört es durch die Blume, aber deutlich: Wer zu lange lebt, ist ein Kostenfaktor. Die Subtilität dieser Erzählung ist bemerkenswert. Früher galt das Alter als Lebensleistung, heute ist es eine fiskalische Unverschämtheit.

Pensionen werden eingefroren, angepasst, entkoppelt – nicht an die Lebenshaltungskosten, sondern an die Laune des Finanzministers. Gleichzeitig steigen die Gehälter im staatsnahen Bereich weiter, so planbar wie der Sonnenaufgang – und genauso alternativlos. Der Mythos, dass „alle ihren Beitrag leisten müssen“, gilt eben nur für jene, deren Beitrag keine politischen Konsequenzen hat. Oder, wie es der IWF ausdrücken würde: Low resistance, high yield.

Der schönste Ort zum Sparen – solange man gesund ist

Noch perfider wird’s im Gesundheitswesen. Der IWF empfiehlt Einsparungspotenzial, die Regierung nickt. Schließlich ist der Mensch am Ende seines Lebens teuer. Notfallstationen, Medikamente, Pflege – das alles kostet. Und was nichts einbringt, wird rationalisiert. Immerhin handelt es sich hier nicht um Produktivität, sondern um Menschlichkeit – ein schlecht kapitalisierbarer Wert. Und daher: zu streichen.

Die geplanten „Strukturmaßnahmen“ – herrlich, dieses Wort – bedeuten in der Praxis: Krankenhäuser zusammenlegen, Leistungen kürzen, Digitalisierung als Ersatz für Personal feiern. Chatbots statt Pflegekräfte, automatisierte Diagnosen statt Fachärzte, „Triage by Algorithmus“. Wer Glück hat, stirbt schnell. Wer Pech hat, wird weitergeleitet.

Dass genau dieses System von denselben Leuten beklatscht wird, die bei jeder Gesundheitskampagne betonen, wie wichtig Prävention und Menschlichkeit seien, ist kein Widerspruch – es ist das neue Normal. Heuchelei wurde professionalisiert, mit Logo, Farbpalette und PR-Berater.

Die absurde Logik der Zahlenheiligen

Die Politik der Gegenwart gleicht einem absurden Theaterstück, in dem niemand mehr weiß, ob er Schauspieler oder Zuschauer ist. Die Schuldenbremse wird angebetet wie eine goldene Kalbsleber – selbst wenn sie dem Patienten auf der Trage das Atmen erschwert. Sparen wird nicht mehr hinterfragt, sondern als Tugend gefeiert, selbst wenn es ökonomisch widersinnig ist. Denn jeder Ökonom weiß: Man kann sich nicht aus einer Krise herausknausern. Aber man kann so tun, als hätte man keine andere Wahl.

So lebt man von der Illusion der „verantwortungsvollen Haushaltsführung“, während man gleichzeitig das Fundament des Sozialstaates aushöhlt. Und alle machen mit: Medien, weil sie Reformen gut finden, solange sie nicht selbst betroffen sind. Experten, weil sie sich in Studien verlieren. Und Bürger, weil ihnen niemand erklärt hat, dass auch ein „sparsamer Staat“ arm machen kann – vor allem die Falschen.

Applaus vom IWF, Apnoe beim Volk

Man möchte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Aber zum Glück hat Satire ihre stärksten Momente im Angesicht der Absurdität. Und was ist absurder als eine Regierung, die sich von internationalen Institutionen diktieren lässt, bei wem im Land zu kürzen sei? Der Internationale Währungsfonds hat gesprochen. Die Regierung gehorcht. Die Alten zahlen. Die Kranken warten. Und die Jungen? Die sollen später irgendwann mal dafür danken, dass man ihnen den Weg in eine finanziell stabile, aber moralisch bankrotte Zukunft geebnet hat.

Und wenn das alles nicht hilft, dann kann man ja noch ein bisschen an der Bildung sparen. Wer nicht versteht, was mit ihm passiert, protestiert auch nicht. Effizienzpotenzial, eben.

Studenplan: Mathe, Deutsch, Krieg

In einer Zeit, in der das deutsche Bildungssystem bereits an der Integration des Digitalen scheitert wie ein W-LAN-Router in der Turnhalle, wirkt der neueste Vorstoß konservativer Sicherheitspolitik wie ein tragikomischer Versuch, dem Schulalltag endlich wieder Ernsthaftigkeit zu verleihen – mit Betonung auf Ernst. Roderich Kiesewetter, laut Visitenkarte ein Verteidigungspolitiker, laut Interview eher eine Kreuzung aus Airbag und Alarmglocke, fordert Krisentraining an Schulen. Nicht etwa, weil der nächste Mathetest für viele Kinder bereits eine Form von Katastrophenerfahrung darstellt, sondern weil Russland – so seine Einschätzung – in ein bis zwei Jahren möglicherweise NATO-Gebiet angreift. Inklusive Hausaufgabenkontrolle, versteht sich.

Dass Kinder heute kaum noch wissen, wer Konrad Adenauer war, dafür aber die emotionale Biographie von Influencern rezitieren können, scheint nicht das Problem zu sein. Nein, das eigentliche Versäumnis besteht laut Kiesewetter darin, dass sie sich im Falle eines Luftangriffs nicht korrekt verhalten würden. Dass sie im Angesicht geopolitischer Verwerfungen weder mit Sandsack noch mit stoischer Miene aufwarten können. Dass sie – wie er es nennt – „besonders anfällig“ sind. Also keine Soldaten, sondern halt nur: Kinder.

Resilienzunterricht statt Religionsunterricht: Beten hilft nicht mehr

Der Begriff der Resilienz, ursprünglich aus der Psychologie kommend und dort als gesunde Widerstandskraft gegen traumatische Erlebnisse gefeiert, wird nun also aus dem kuscheligen Kontext von Achtsamkeit und Feelgood-Coaching herausgerissen und in die martialische Wirklichkeit überführt. Was früher als „innere Stärke“ galt, heißt heute: Wie verhalte ich mich bei Luftalarm? Was in der Vergangenheit vielleicht mit einer pädagogischen Wanderung durch den nahegelegenen Wald erledigt war („Natur stärkt die Seele“), soll jetzt offenbar durch Planspiele ersetzt werden: Wo finde ich den nächsten Bunker? Wie entziffere ich NATO-Funkfrequenzen? Und was ist der Unterschied zwischen Atombunker und Fahrradkeller?

In den nordischen Ländern – so die neidische Anmerkung Kiesewetters – sei man da weiter. Dort gibt es Notfallrationen, Evakuierungspläne, Sirenen-Apps. Vielleicht auch ein Schulfach „Geopolitisches Überleben für Fortgeschrittene“. In Deutschland hingegen traut man Kindern nicht mal zu, ohne Helmpflicht auf dem Schulweg unterwegs zu sein. Der Ruf nach „mehr Resilienztraining“ wirkt da wie ein verzweifelter Versuch, der Jugend wenigstens noch irgendetwas beizubringen – wenn schon keine Rechtschreibung, dann eben Kriegsvorbereitung.

Bildungspolitik als Theaterprobe fürs Schlachtfeld

Man stelle sich vor: der Stundenplan des Jahres 2026.
08:00 – Mathematik (Grundrechenarten und ballistische Flugbahn)
09:00 – Deutsch (Erörterung: Sollten Drohnen genderneutral benannt werden?)
10:30 – Politik (Die NATO: Geschichte eines kollektiven Nervenzusammenbruchs)
12:00 – Kriegsvorbereitung (Praktikum: Tarnen, Täuschen, TikTok meiden)
14:00 – Ethik (Moral in der Atomruine – eine Fallstudie)

Der Klassenraum wird zur Bunkerattrappe. Die Pausenglocke klingt wie Fliegeralarm. Und die Schulpsychologin wird zur Feldärztin mit Seelsorgeoption. Das klingt grotesk? Ja, aber nicht grotesker als die Idee, dass dieselbe Politikergeneration, die es nicht schafft, Lehrpläne zu digitalisieren oder Lehrermangel zu beheben, nun über Nacht das Land auf den Verteidigungsfall vorbereiten möchte. Was kommt als Nächstes? Bundesjugendspiele mit Scharfschützeneinlage?

Natürlich, wir leben in Zeiten der Unsicherheit. Natürlich ist es nicht falsch, über Zivilschutz nachzudenken. Aber die perverse Logik, nach der Kinder nun an vorderster Front der politischen Symbolik geparkt werden – weil man sich nicht traut, Erwachsenen zumutet, Vorräte anzulegen oder sich mit geopolitischen Realitäten auseinanderzusetzen – ist nichts anderes als eine weitere Form der Verantwortungsdelegation. Die Jugend wird zur Projektionsfläche für das, was die Politik selbst nicht zu leisten vermag: Klarheit, Mut, Vorbereitung. Und dann wundert man sich, warum die Fridays-for-Future-Generation lieber demonstriert als Dienst tut.

Pädagogik im Camouflage-Mantel

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Schulen zur Vorhut politischer Experimente gemacht werden. Schon die Pisa-Schocks der 2000er hatten mehr mit politischer Symbolik zu tun als mit echter Reform. Die Inklusionsdebatte wurde von oben verordnet, ohne Ressourcen. Und jetzt also das: Militarisierte Pädagogik, weil irgendwo die Sirenen heulen könnten.

Wer als Kind in einem Schulsystem aufwächst, das ihm beibringt, jederzeit mit dem Schlimmsten zu rechnen, lernt nicht Resilienz – er lernt Angst. Wer Krisentraining mit Lebenskompetenz verwechselt, verlegt das Bildungsideal vom Denken ins Ducken. Und wer Schüler*innen zur Verteidigungslinie der Innenpolitik macht, braucht sich nicht wundern, wenn die nächste Generation nicht rebelliert, sondern resigniert.

Krieg als Horizont der Bildungsdebatte

Kiesewetter ist dabei nicht das Problem – er ist nur das Symptom einer politischen Klasse, die ihre eigene Ratlosigkeit in martialischen Formulierungen versteckt. Weil echte Prävention teuer, komplex und unpopulär ist, gibt man lieber psychologische Ratschläge: Die Kinder sollen bitte stabil bleiben, während man selbst keine Stabilität zustande bringt. Die Schulen sollen Katastrophenräume werden, weil die Politik keine Vision für friedliche Bildung hat. Und alle sollen sich vorbereiten – aber niemand fragt, worauf eigentlich.

Denn am Ende dieses Weges steht nicht die Resilienz, sondern die Resignation. Wenn Bildung nicht mehr bedeutet, die Welt zu verstehen, sondern sich vor ihr zu fürchten, dann ist nicht der Schüler gefährdet, sondern die Demokratie.

Das Gegenteil von Krieg ist nicht Frieden, sondern Bildung

Vielleicht wäre es an der Zeit, den Spieß umzudrehen. Statt Resilienztraining: Rhetorikkurse für Politiker. Statt Fluchtrouten im Schulflur: Debatten über Außenpolitik in der Mittelstufe. Statt Tarnfarbe auf dem Lehrplan: der Mut, Schüler ernst zu nehmen, ohne sie gleich zu Soldaten der Resilienz zu machen.

Denn Resilienz beginnt nicht bei Sandsäcken. Sie beginnt bei Sinn. Und wenn das Bildungssystem der Ort sein soll, an dem junge Menschen lernen, dieser Welt standzuhalten, dann sollte man ihnen vielleicht beibringen, wie man denkt – nicht nur, wie man duckt.

Die große Erleichterung in kleinen Gläsern

Man muss sich das politische Drama der Gegenwart in seinem vollen Ausmaß vorstellen: Da taumelt die Welt in ein neues multipolares Zeitalter, während Kriege, Krisen und Klimakollaps sich wie Aktienpakete um die Aufmerksamkeitsspitze der Medien kloppen – und just in dieser Kulisse atmet Europa auf, denn: Der Whiskey bleibt zollfrei.

Ja, richtig gelesen. Kein Scherz, kein metaphorischer Hustenanfall diplomatischer Natur – ganz real: Die Europäische Kommission, dieses wankelmütige Wesen zwischen Technokratie und Tagtraum, hat beschlossen, vorerst keine Strafzölle auf US-amerikanischen Bourbon zu erheben. Die erste Liste von Vergeltungsprodukten im transatlantischen Zollkrieg ist veröffentlicht – und siehe da: Der Whiskey wurde ausgeladen wie ein betrunkener Onkel von einer Familienfeier, bei der man endlich mal seriös wirken wollte.

Gerade noch mal Glück gehabt. Für die transatlantischen Beziehungen. Für die Happy Hour. Für jeden, der seine Welterklärung gerne mit einem rauchigen Unterton genießt.

Whiskey als Weltpolitik: Flüssiger Frieden in Eichenfässern

Denn machen wir uns nichts vor: Im postfaktischen Zeitalter, in dem Pressemitteilungen länger halten als Koalitionen, ist der Bourbon längst mehr als nur ein Destillat. Er ist Symbol, Seismograph und semiotischer Supergau zugleich. Wer ihn besteuert, legt die Axt an das transatlantische Narrativ, das da lautet: Freiheit, Gleichheit, Kater.

Strafzölle auf Bourbon wären nichts Geringeres als die rituelle Beleidigung des amerikanischen Mythos, der in jeder Flasche Jack Daniel’s mitverkorkt wird. Ein Angriff auf das heilige Gleichgewicht zwischen Mais, Eiche und Marktliberalismus. Und wer weiß – wäre es dazu gekommen, hätten sich womöglich ganze NATO-Gipfel in tränenreichen Whisky-Tastings aufgelöst. Stoltenberg mit feuchtem Blick über einem Glas „Knob Creek“. Macron, der versucht, einem texanischen Abgesandten das französische Konzept von „Appellation d’Origine Contrôlée“ zu erklären, während Ursula von der Leyen nervös mit einem Flaschenöffner spielt. Tragisch-komisch, hochprozentig.

Die Kommission und ihr Einkaufszettel der Eskalation

Natürlich hatte man – ganz EU-typisch – vorerst nur geplant. Es war, wie immer, alles in einem frühen Stadium, „eine von vielen Optionen“, „kein endgültiger Beschluss“, „Teil eines fortlaufenden Prüfprozesses“. Oder, wie man es in Brüssel nennt: ein halbfertiger Kompromiss in Kommasetzung.

Die ursprüngliche Strafliste war dabei ein Kuriositätenkabinett europäischer Wertewahrung: Harley-Davidson, Jeans, Erdnussbutter – kurzum, alles, was nach amerikanischer Folklore riecht. Dass der Whiskey es nun nicht mehr auf die Liste geschafft hat, ist keine sachliche Entscheidung, sondern ein kulturpolitischer Gnadenakt. Die EU sagt: Wir sehen eure Flugzeugsubventionen – aber wir nehmen euch nicht den Drink weg. Wir sind nicht barbarenhaft. Wir sind europäisch.

Kant hätte wohl gesagt: Das ist kategorischer Imperativ auf Kornbasis. Schiller hätte es besungen. Churchill hätte es gesoffen.

Die Rettung des Bourbons – oder: Der Alkohol als letzter Globalist

Was bleibt uns denn sonst noch, wenn alles andere auseinanderbricht? Die EU klebt am Zahnfleisch, das transatlantische Bündnis knirscht wie ein schlecht geölter Sargdeckel, und das Vertrauen in die regelbasierte Weltordnung ist ähnlich standfest wie ein belgischer Sommer. In solchen Zeiten braucht es stabile Konstanten. Und was wäre stabiler als 45 Volumenprozent in einer Glasflasche mit Sternenbanneretikett?

Bourbon ist der letzte Globalist, der noch in jeder Zunge Verständnis auslöst. Er kennt keine Zollgrenzen, nur Durststrecken. Er stellt keine geopolitischen Forderungen – nur gelegentlich das Gleichgewicht der Leber. Er ist weder rechts noch links, sondern ganz einfach: runter. Und das eint.

Darum ist es nur folgerichtig, dass man ihn aus dem Strafzollgewitter herausgehalten hat. Denn würden wir anfangen, Whiskey zu sanktionieren – was käme als Nächstes? Brieffreundschaften mit Kanada unter Genehmigungsvorbehalt? Moralabgaben auf Netflix-Serien mit unkorrektem Humorgehalt?

Europa, du alter Gentleman mit schwankender Hand

Natürlich muss man die EU an dieser Stelle auch loben – zumindest kurz, bevor man wieder in gewohnter Manier an ihr herumnörgelt wie ein Pariser Barkeeper an einem schlecht gemixten Manhattan. Es gehört Mut dazu, eine Drohkulisse aufzubauen und dann feierlich einen Rückzieher zu machen, der aussieht wie eine strategische Entscheidung. Europa ist in diesem Sinne der Gentleman unter den geopolitischen Akteuren: zu höflich zum Zuschlagen, aber stets bereit, die Waffe auf den Tisch zu legen und dabei bedeutungsvoll zu nicken.

Man kennt das von Familienfesten: Die Oma sagt, sie kommt diesmal wirklich nicht, wenn ihr wieder über Politik redet – steht dann aber trotzdem mit Kartoffelsalat in der Tür. So auch die Kommission: „Wir erheben Zölle, jawohl – aber nicht auf das Zeug, das uns gefällt. Wir haben ja schließlich auch unsere Prinzipien. Sie sind halt nur… selektiv.“

Schlussgedanke mit Schuss

Und so endet die Posse, wie sie begann: mit einem Verwaltungsakt, den niemand verstanden hat, aber alle mit einem kurzen Nicken akzeptieren – wie einen besonders absurden Theaterabend im Berliner Ensemble.

Der Whiskey bleibt frei. Die Würde des Freihandels ist gerettet. Europa zeigt sich einmal mehr als die Tante, die zwar droht, dir das WLAN abzudrehen, aber dann doch heimlich dein Handy auflädt, weil sie dich ja irgendwie doch lieb hat.

Gerade noch mal Glück gehabt.
Zum Wohl.

Der Staat in Watte, das Volk im Visier

Es gibt in der Geschichte der politischen Philosophie Momente, da blitzt für einen winzigen Augenblick so etwas wie Klarheit auf – wie ein Sonnenstrahl auf einem Haufen bürokratischer Knochen. Einer dieser lichten Momente war die Idee, dass Gesetze – man höre und staune – nicht dazu da sind, dem Staat ein angenehmes Arbeitsumfeld zu garantieren, sondern um seine Macht einzuhegen. Und tatsächlich: Grundrechte, Menschenrechte, Bürgerrechte – das klingt wie ein Arsenal an Schutzschilden für den Einzelnen, für das verletzliche, fehlbare, oft etwas ungewaschene Wesen namens „Bürger“, das zwischen Behörde und Budgetloch leicht zerrieben werden kann wie ein Marienkäfer zwischen zwei Gesetzeswalzen.

Doch siehe da: Wir leben in Zeiten, in denen man sich fragt, ob der Sinn des Grundgesetzes nicht doch eher darin besteht, dem Staat eine Ruhezone zu verschaffen, frei von störendem Widerspruch, nervigen Demonstrationen und Leuten, die partout ihre Meinung behalten wollen. Der Leviathan von einst, der gebändigt werden sollte, läuft heute wieder frei herum – allerdings mit Genderbroschüre, CO₂-Kompensation und DSGVO-konformer Kameraüberwachung im Gepäck.

Die neue Dialektik: Kritik ist Gewalt, Kontrolle ist Fürsorge

Früher war es einfach: Der Staat war stark, der Bürger schwach, also musste man den Bürger schützen. Heute ist der Bürger „radikalisiert“, sobald er gegen etwas protestiert, was sich als „alternativlos“ etikettiert hat – selbst wenn dieses Etikett nur über ein paar verwelkten politischen Bekenntnissen klebt wie ein Bio-Aufkleber auf einem tiefgefrorenen Atomkloß. Und so erleben wir eine rhetorische Umdrehung von bemerkenswerter Eleganz: Kontrolle wird zur Fürsorge erklärt, Überwachung zur notwendigen Maßnahme, Zensur zur Verteidigung der Demokratie.

Wer also etwa auf dem Marktplatz sagt, dass vielleicht nicht jede pandemiebedingte Maßnahme ein Ausbund von Weisheit war, wird nicht mehr als Bürger mit Meinung wahrgenommen, sondern als potenzieller Feind der staatlich autorisierten Wahrheit. Der Staat – das arme Ding – fühlt sich plötzlich „bedroht“. Und zwar nicht von Aufrüstung, Machtmissbrauch oder Lobbyismus, sondern von Bürgern mit Fragen.
Wir erleben: Das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit verwandelt sich in eine Art bedingte Leihgabe – zu nutzen nur in staatlich zugelassenen Rahmen. Eine Art Knäckebrotfreiheit: knusprig, aber brüchig.

Das Menschenrecht als Baugenehmigung für Gehorsam

Natürlich, niemand will es so sagen – und das ist Teil des Spiels. Man redet von Verantwortung, gemeinschaftlichem Handeln, Vertrauen in die Institutionen. Und dabei schleicht sich eine stille Entkernung ein: Grundrechte werden zur moralischen Belohnung für staatstreues Verhalten. Wer sich benimmt, darf demonstrieren. Wer brav impft, darf reisen. Wer keine kritischen Fragen stellt, wird nicht unter Beobachtung gestellt.

Der ursprüngliche Sinn, dass diese Rechte explizit auch – oder gerade – gegen einen übergriffigen Staat gerichtet sind, verblasst wie ein ausgeblichener Wahlplakattext. Man hat das Grundgesetz nicht geschaffen, um eine administrative Komfortzone einzurichten. Es ist kein Safe Space für Ministerpräsidentenkonferenzen. Es ist ein Instrument, um den Staat zu fesseln, zu beschneiden, zu zähmen. Es ist – im besten Sinne – ein Maulkorb für Macht. Doch wehe dem, der das heute sagt. Der wird, je nach Lautstärke, als Populist, Schwurbler oder Verfassungsfeind markiert. Und dabei will er vielleicht nur erinnern, was ein Artikel 1 bis 20 eigentlich bezweckt.

Wenn das Recht schweigt, während der Staat spricht

Es ist ein interessantes Phänomen unserer Zeit, dass sich selbst die eloquentesten Verfassungsrechtler in einen Zustand reflexartiger Staatsapologie versetzen, sobald es darum geht, ob Maßnahmen „verhältnismäßig“ seien. Verhältnismäßig – dieses schöne Gummiwort! Es dehnt sich wie eine Yogalehrerin mit zweifelhafter Ausbildung, solange es nur nicht um die Verhältnisse geht, die tatsächlich Menschen schaden. Die Betroffenen? Kollateralschäden. Die Maßnahmen? Notwendig. Die Kritik? Antisozial.

Wer es wagt, die Zweck-Mittel-Verhältnisse umzukehren und zu sagen: Der Staat hat sich vor den Bürgern zu rechtfertigen, nicht umgekehrt, der gerät schnell in Erklärungsnot. Dabei müsste man eigentlich nur das Grundgesetz vorlesen. Nicht interpretieren. Einfach vorlesen.
Aber das ist heute eine radikale Handlung geworden – wie das laute Vorlesen eines verbotenen Märchens in einer Dystopie, in der die Hüter des Guten beschlossen haben, dass das Gute eben nur sie selbst bedeuten kann.

Vom Untertan zum Verdächtigen

Früher war man ein Untertan, heute ist man ein potenzieller Gefährder. Der Unterschied? Man trägt keine Uniform mehr, sondern ein iPhone – das jeden Schritt meldet, jede Nachricht speichert, jedes Gespräch protokolliert. Der Fortschritt hat aus dem Untertan einen selbstverwalteten Datensatz gemacht. Der Staat muss heute keine Spitzel mehr schicken – er lässt uns einfach unsere Zustimmung selbst klicken.

Und währenddessen wird das Verhältnis zwischen Bürger und Staat leise, aber konsequent verschoben: Nicht mehr das Individuum ist schutzbedürftig – sondern der Staat. Der große, mächtige, millionenschwere Apparat fürchtet sich vor Telegram-Gruppen, Handzetteln und falschen Meinungen. Ein Kritiker wird zur „Bedrohung der demokratischen Ordnung“, während die tatsächliche Ordnung – mit all ihrer Exekutivmacht – sich in diffusem Antifaschismus wärmt, den sie als Tarnumhang für präventive Eingriffe nutzt.

Die Rückkehr der Souveränität – oder ihr letzter Gruß

Wenn der Staat sich vor seiner Bevölkerung fürchten muss, dann ist etwas faul. Aber wenn der Staat so tut, als müsse er sich fürchten, um die Bevölkerung zu disziplinieren – dann ist alles verloren. Die Umkehrung der Schutzrichtung, die pervertierte Lesart von Grundrechten als staatlicher Besitzstandsschutz, ist kein Missverständnis. Sie ist Strategie. Eine schleichende, höflich verkleidete, auf Paragrafen gestützte Strategie zur Immunisierung gegen Demokratie.

Und wir, die Bürger? Wir stehen daneben, mit verunsichertem Blick und FFP2-Maske im Gesicht, und fragen uns, ob wir das so wollen. Die traurige Antwort: Viele merken es gar nicht. Die schärfsten Gefängnisse sind die, deren Gitter aus „alternativlosen Maßnahmen“ bestehen. Die stillsten Diktaturen sind die, in denen man sich „frei fühlt“, solange man nichts sagt.

Das Grundgesetz ist ein Schutzschild – kein Schlagstock. Es wurde geschrieben, damit der Staat sich rechtfertigen muss. Nicht damit er durchregiert, solange es eine Mehrheit gibt, die gerade keine Lust auf Debatte hat. Wer das vergisst, verdient den nächsten autoritären Schub. Und diesmal wird er nicht in Uniform kommen, sondern im Hoodie, mit Regenbogenlogo und einer gut geölten Pressestelle.

Tatperson, Täterschaft und Taktgefühl

Es ist eine unscheinbare Nachricht, wie sie täglich durchs Land rauscht, gesprochen von seriösen Nachrichtensprecher:innen mit betonfreier Stimme, glatten Sakkos und geföhnten Phrasen: „Die Suche nach der Tatperson läuft.“
Kein Mensch zuckt mehr. Niemand hält inne. Die Meldung rinnt wie lauwarmes Wasser durch den Gehörgang, und erst beim zweiten Hinhören – wenn man nicht gerade damit beschäftigt ist, seine CO₂-Bilanz mit veganem Linsenkuchen zu kompensieren – beginnt sich da etwas zu regen: Tatperson? War da nicht mal… Täter?

Nein, nein, ruft da der Fortschritt, von der Kanzel der moralischen Orthografie: Täter sei ein altes Wort. Männlich kodiert. Schuldhaft. Exkludierend. Tatperson, das ist inklusiv. Geschlechtsneutral. Ohne Vorverurteilung. Und überhaupt: Wer sind wir denn, die Schuldfrage schon im Wort zu klären?
Die Sprache, einst Werkzeug zur Erkenntnis, wird zum Neutralitätslabor, zur Silbenbegradigung, zur moralisch aufgeladenen Teppichkante, über die niemand mehr stolpern soll – weil sie sonst „Trigger“ rufen könnten. Und also läuft die Suche. Nicht nach dem Täter. Sondern nach der Tatperson. Und damit, wenn wir ehrlich sind: nach dem letzten Rest sprachlicher Klarheit.

Der Täter hat sich aus dem Staub der Semantik gemacht

Der Täter, das war einmal ein fester Begriff. Kein schöner, aber ein notwendiger. In ihm steckte Handlung, Verantwortung, Konsequenz. Er war – Achtung – eindeutig. Aber Eindeutigkeit ist heute verdächtig. Man will nicht urteilen, sondern „einordnen“. Man will nicht benennen, sondern „sensibilisieren“. Und also weicht der Täter der Tatperson – ein Passivum mit Personalausweis, ein sprachlicher Fluchtraum für alle, die lieber nichts Falsches sagen, als irgendetwas Richtiges.

Das Bemerkenswerte ist: Es ist ja nicht so, dass die Welt weniger brutal geworden wäre. Ganz im Gegenteil. Während draußen echte Taten geschehen – mit Opfern, Schmerzen, Waffen, Blut – verlegen wir uns darauf, die sprachlichen Splitter aus dem Diskurs zu pulen. Anstatt über Kriminalität zu sprechen, diskutieren wir über ihre Formulierung. Und während sich die Wirklichkeit weiter radikalisiert, radikalisiert sich die Sprache – in Richtung Zahnarztwartezimmer.

Denn „Tatperson“, das klingt nicht nach Strafrecht. Es klingt nach Soziologiepraktikum. Man sieht einen jungen Mann mit Bauchnabelpiercing und Therapielatte, wie er sagt: „Wir müssen auch die Perspektive der Tatperson einbeziehen. Vielleicht hat sie sich ja selbst als Opfer ihrer sozialen Konstruktion erlebt.“
Täter? Nein. Das wäre zu einfach. Zu abschließend. Zu wenig „differenziert“. Der Täter wird zur „Tatperson“, die Bombe zum „pyrotechnischen Vorfall“, der Einbruch zur „nächtlichen Kontaktaufnahme“. Die Welt wird weichgespült, aber nicht sanfter.

Sprache als Sedierungsmittel einer überforderten Öffentlichkeit

Woher kommt diese sprachliche Neurose? Aus Angst, natürlich. Nicht etwa vor Tätern, sondern vor Vorwürfen. Der schlimmste Vorwurf in der spätmodernen Republik lautet heute nicht mehr „Lüge“, sondern: Unsensibilität. Wer Täter sagt, ohne genderneutrale Triggerwarnung, wer Opfer benennt, ohne auf koloniale Sprachspuren zu achten, riskiert nicht mehr nur Kritik, sondern Cancel. Die Sprache wird zur Zone der Selbstzensur. Jedes Wort ein potenzielles Minenfeld. Jeder Satz ein diplomatischer Drahtseilakt.

Und so entstehen Monster wie „Tatperson“. Ein sprachliches Konstrukt, geboren aus der Angst vor Zuschreibung. Es ist das sprachliche Äquivalent zum „Nichtstun mit bester Absicht“. Man will alles sagen, ohne etwas Falsches zu sagen – und am Ende sagt man: nichts. Die Sprache wird zur leeren Hülle, gefüllt mit gut gemeinter Absicht. Doch wir wissen: Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit wohlmeinenden Formulierungen.

Historische Parallelen: Wie Euphemismen die Klarheit auffressen

Wer glaubt, diese Entwicklung sei ein Zeichen von Fortschritt, dem sei ein Blick in die Geschichte empfohlen. In autoritären Systemen war die Sprache immer zuerst Ziel der Säuberung – nicht der Täter, sondern der Begriff. Die DDR sprach nicht von Mauer, sondern von „antifaschistischem Schutzwall“. Die Nazis sprachen nicht von Mord, sondern von „Sonderbehandlung“. Und heute sprechen wir nicht von Täter, sondern von Tatperson.
Natürlich – der Vergleich soll nicht gleichsetzen. Aber er darf erinnern: Wenn Sprache aufhört, zu benennen, beginnt die Wirklichkeit, sich zu tarnen. Und wenn alles nur noch in Watte verpackt daherkommt, dann hört man irgendwann nicht mehr das Knirschen unter den Füßen.

Pointenfreiheit als Programm: Wie man mit gutem Willen schlechte Sprache macht

Die Bürokratie hat das längst verstanden. Polizeimeldungen lesen sich heute wie das Ergebnis eines Poetry-Slams in der Reha-Klinik für beleidigte Konsonanten.
„Eine bislang unbekannte Tatperson entwendete mehrere Nahrungsmittel aus einem Einzelhandelsgeschäft.“
Ach ja? Früher nannte man das Ladendiebstahl.
Oder:
„Ein körperlicher Übergriff durch eine männlich gelesene Person mit mutmaßlich eingeschränktem emotionalem Selbstregulationsvermögen.“
Übersetzt: Ein Typ hat jemanden verdroschen.
Aber das klingt halt nicht so… sensitiv.

Die Schlusspointe: Die Suche läuft – aber nicht nach der Tatperson

Und so läuft sie weiter, die Suche. Die Polizei fahndet, das Fernsehen berichtet, der Diskurs rotiert – und niemand will die Täter sein. Nicht in der Sprache, nicht in der Politik, nicht im echten Leben. Alle sind immer nur „betroffen“. Von Zuständen. Von Entwicklungen. Von Missverständnissen.
Aber wer ist verantwortlich?

Der Täter jedenfalls nicht. Er ist jetzt eine Tatperson. Eine Tatperson unter vielen. Eine Erscheinungsform. Eine Möglichkeit. Und damit ist alles gesagt – und zugleich: nichts.

Doch eines ist sicher:
Die Suche nach der Klarheit läuft.
Die Suche nach Mut in der Sprache läuft.
Und die Suche nach der Tatperson?
Die läuft ins Leere.

Wie man ohne Bankerfahrung Chefbanker wird

Was braucht man, um Vize-Chef einer europäischen Bank zu werden? Fachkenntnis? Ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium, vielleicht gar internationale Finanzpraxis, ein paar durchlebte Quartalsbilanzen, ein Jahrzehnt zwischen Börsenkrach und Aufsichtsrat? Nicht in Österreich. Nicht in der EU. Und vor allem nicht, wenn es um Posten geht, die so gut bezahlt sind, dass selbst ein Hedgefondsmanager sich diskret die Augen reibt. Karl Nehammer, ein Mann, dessen ökonomische Erfahrung nachweislich darin besteht, zu wissen, dass Geld existiert, soll künftig den Vize-Vorsitz einer EU-Bank übernehmen. Warum? Weil er weiß, wer in Brüssel mit wem zu Mittag isst. So jedenfalls die inoffizielle Begründung – die offizielle dürfte irgendwo zwischen „Anerkennung seiner Leistungen“ und „Stärkung der österreichischen Position in Europa“ liegen. Mit anderen Worten: Geschwurbel im Maßanzug.

Nehammer, gelernter Kommunikationssoldat, passionierter Durchhalteappellierer, ist nicht als Banker aufgefallen, sondern als rhetorische Nebelkerze auf zwei Beinen. Seine Kompetenz in Finanzfragen gleicht der eines Bauerns beim Mikrochipsortieren – aber er war halt da. Und loyal. Und verfügbar. Und irgendwann musste man ihn ja unterbringen – also, warum nicht dort, wo’s still ist, prestigeträchtig, und wo man, wenn man brav lächelt, 31.000 Euro im Monat bekommt, exklusive Spesen, exklusive Status, exklusive Realitätsverlust?

Der österreichische Postenschacher – eine Operette in Moll

Die SPÖ, die sich neuerdings wieder als moralischer Notausgang der Republik präsentiert, spielt brav mit: Der Deal ist einfach, klassisch, österreichisch. Die ÖVP darf ihren abgehalfterten Ex-Kanzler parken, die SPÖ bekommt dafür das Finanzministerium – ein Tauschgeschäft, wie es sich Josef II. nicht schöner hätte ausdenken können, barock, verlogen, aber immerhin effizient. Und am Ende – das ist das eigentlich Tragische – sind alle zufrieden. Nur der Bürger, also der Zahler, also der, der nicht gefragt wurde, sitzt da und darf ausrechnen, wie viele Kindergartenplätze, Pflegekräfte oder Klohäuschen man mit 31.000 Euro monatlich betreiben könnte.

Es ist die alte Kunst des politischen Tauschhandels: Du gibst mir dein Amt, ich geb dir meinen Mann. Das ist kein Skandal – das ist gelebte Realverfassung. In Österreich geht Macht nicht verloren, sie wird recycelt. Und manchmal landet sie eben in Brüssel, diesem großen Friedhof gescheiterter Innenpolitiker, wo man seinen Lebensabend damit verbringt, im „European Bubble Bistro“ über „Governance-Strukturen“ zu parlieren, während draußen echte Menschen echte Probleme haben.

Von Null auf Kontenstand: Karriere ohne Kompetenz

Man stelle sich vor, ein einfacher Bürger bewirbt sich auf einen hochdotierten Spitzenposten im Bankensektor. Ohne Ausbildung. Ohne Praxis. Ohne Qualifikation, außer vielleicht: Ich habe beim Budgetausschuss öfter genickt. Der Lebenslauf würde im ersten Rundordner landen – und zwar dem mit dem Etikett „Papierkorb“. Aber in der Politik gelten andere Maßstäbe. Nicht Können zählt, sondern Zugehörigkeit. Netzwerke. Loyalität. Die Fähigkeit, stillzuhalten, wenn’s peinlich wird, und laut zu werden, wenn’s taktisch ist. Nehammer hat das perfektioniert: Er war nie der Scharfmacher, nie der Strippenzieher – er war immer das Gesicht vor dem Vorhang. Der Mann, der sagt, was andere sich nicht trauen – oder nicht merken, dass man es besser lassen sollte. Und dafür wird man belohnt. Nicht mit Anerkennung, aber mit Alimentierung.

Die EU-Bank ist kein Ort für Banker mehr – sie ist ein Lazarett für Karrieren, ein politisches Endlager, ein Hochsicherheitstrakt für Unbrauchbares mit Parteibuch. Dort sitzen Menschen, die Europa gestalten sollen, aber nicht einmal ein Haushaltsbuch führen könnten, ohne sich über das Minus zu wundern. Und währenddessen verkünden sie in feierlichen Broschüren, dass „wirtschaftliche Resilienz“ und „nachhaltige Investitionen“ die Zukunft seien – ohne zu erklären, was das eigentlich ist. Muss man auch nicht. Die Sprache der Eurokratie funktioniert wie Weihrauch: Undurchsichtig, aber irgendwie bedeutungsvoll.

„Bezahlt wird’s von uns.“ Oder: Demokratie als Geschäftsmodell

Natürlich – und das ist der schönste Hohn in dieser ganzen Posse – wird das alles finanziert von uns. Den Steuerzahlern. Den Idioten der Demokratie. Denjenigen, die tatsächlich glauben, mit einer Wahlstimme würden sie mitbestimmen, wer was wann wo macht. Aber Wahlen sind in der politischen Wirklichkeit nichts als Kulissenwechsel. Die Schauspieler bleiben dieselben. Nur ihre Kostüme ändern sich – mal Kanzler, mal EU-Banker, mal Aufsichtsrat, mal Experte in eigener Sache.

Was für ein Geschäftsmodell: Du ruinierst deine Glaubwürdigkeit in der Innenpolitik und wirst dafür mit einem hochdotierten, risikofreien Auslandsjob belohnt. Kein Unternehmen der Welt würde so operieren – außer, es wäre ein Staatsbetrieb. Und genau das ist der feuchte Traum aller Parteistrategen: Ein Staatswesen, das sich selbst verwaltet wie eine Erbengemeinschaft auf Valium.

Historischer Nachhall oder: Metternich lächelt aus dem Off

Es hat Tradition in Österreich, dass politische Ämter keine Aufgabe, sondern ein Besitz sind. Von Metternich über Kreisky bis zu Faymann wurde Politik stets als Form der elitären Eigenverwaltung verstanden. Wer einmal oben ist, bleibt oben – auch wenn er fällt. Die Fallhöhe wird abgefedert von Parteinetzwerken, Loyalitätsprogrammen und einer Öffentlichkeit, die so abgestumpft ist, dass sie Korruption nur noch dann erkennt, wenn jemand wirklich den Koffer voller Geld fotografiert.

Karl Nehammer reiht sich nahtlos in diese Tradition ein: kein Fürst, kein Revolutionär, kein Visionär – aber ein Mann des Apparats. Ein Teil des Problems, das sich selbst als Lösung tarnt. Wäre er in einem anderen Jahrhundert geboren, säße er heute vermutlich im Schatten eines Fürsten und würde dessen Kutschenfahrplan organisieren. Heute organisiert er halt „europäische Investitionsstrategien“. Inhaltlich macht das keinen großen Unterschied.

Schlussakkord in B-Moll: Wenn Scheitern Karriere ist

Und so endet diese kleine österreichische Tragödie nicht mit Empörung, sondern mit Achselzucken. Der Bürger hat sich längst daran gewöhnt, dass Leistung in der Politik ungefähr so viel zählt wie Ehrlichkeit auf einer Parteispende. Es ist alles ein Spiel – und Karl Nehammer hat gelernt, wie man es spielt. Nicht gut. Nicht glaubwürdig. Aber effizient.

Der Deal? Er steht. Die SPÖ bekommt ein Ministerium, die ÖVP bekommt ihren Ex-Kanzler entsorgt, Europa bekommt eine neue Investitionsfigurine – und wir bekommen die Rechnung. Wie immer.
Und am Ende, wenn wir unsere Steuererklärung ausfüllen, dürfen wir uns leise fragen: Wer isst eigentlich heute mit wem zu Mittag in Brüssel?

Der lange Weg vom Denken zum Denunzierten

„Früher nannte man es Aufklärung. Heute nennt man es Verschwörung.“
Ein Satz wie ein Faustschlag – nicht ins Gesicht, sondern tiefer, ins Mark jener Zeit, die sich selbst für klüger hält als alle Epochen vor ihr, weil sie einen Taschenrechner in der Hosentasche trägt und sich über den Algorithmus mehr Gedanken macht als über das eigene Gewissen. Die Aufklärung war einst das Licht, das den Nebel der Dogmen durchdrang. Heute ist sie das grelle Spotlight, mit dem derjenige geblendet wird, der es wagt, Fragen zu stellen. Wer denkt, wird verdächtig. Wer widerspricht, wird verdunkelt. Und wer am helllichten Tag noch wagt, „Wieso?“ zu sagen, gilt als Querulant, Schlechtmensch oder wahlweise als Gefahr für die Demokratie – deren heiliges Götzenbild mittlerweile so fragil ist, dass es schon bei einem kritischen Tweet zu zittern beginnt.

Der aufklärerische Geist, der Kant und Voltaire inspirierte, würde heute auf einer Landesliste keine Chance bekommen. Zu sperrig, zu unbequem, zu wenig hashtags. Statt Vernunftkritik herrscht Konsenspflicht. Statt Diskurs: Diskreditierung. Und an die Stelle des selbstbewussten Individuums, das sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen bedient, ist ein digital gesteuertes Kollektivwesen getreten, das sich seiner Haltung ohne Zurechtweisung durch den Faktenchecker schämt.

Der inquisitorische Humanismus – Wer nicht mitmacht, ist raus

„Wer Fragen stellt, wird zum Feind. Wer widerspricht, wird zum Risiko.“
Noch nie war die moralische Haltung so leicht zu haben wie heute. Sie kostet nichts – außer den Verstand. Denn denken ist gefährlich geworden. Nicht weil es verboten wäre – Gott bewahre, wir leben schließlich in einer Demokratie –, sondern weil es sanktioniert wird. Nicht juristisch, sondern gesellschaftlich. Wer Fragen stellt, darf das selbstverständlich tun, aber er sollte vorher seine Karriere in Sicherheit bringen, seine Freunde verabschieden und sein soziales Konto auf emotionalen Ruin einstellen. Denn Fragen stören den Fluss der Empörung, den Algorithmus der Tugend, die Timeline der Korrektheit. Wer fragt, ist ein Störfaktor im System der Selbsterregung. Und wer gar widerspricht, wird behandelt wie ein Virus im großen Körper der kollektiv beschlossenen Realität.

Der neue Humanismus ist ein inquisitorischer. Er spricht von Toleranz, solange keiner widerspricht. Er spricht von Vielfalt, solange alle gleich denken. Er lobt die Wissenschaft – aber nur die, die zur Ideologie passt. Andere Meinungen gelten nicht als andere Meinungen, sondern als „Desinformation“. Ein Wort, das früher aus dem Wörterbuch des Kalten Krieges stammte und heute aus dem Mund von Menschen kommt, die glauben, dass Haltung wichtiger ist als Logik. Wer dagegenhält, ist nicht einfach anderer Ansicht – er ist rechts, esoterisch, russisch oder alles zusammen. Eine moderne Form der Exkommunikation, allerdings ohne Latein, dafür mit Instagram-Story.

Der Mehrheitsfetisch – Warum Wahrheit keine Likes braucht

„Doch Wahrheit braucht keine Mehrheit. Sie braucht Mut.“
Es ist ein alter Irrtum, der sich in neuen Kleidern zeigt: die Idee, dass die Mehrheit recht hat, weil sie Mehrheit ist. Eine demokratische Lebenslüge, die Politik und Medien nur zu gerne pflegen. Doch die Wahrheit war noch nie populär. Wer sie ausspricht, war immer ein Außenseiter – Sokrates musste den Schierlingsbecher trinken, Galileo seine Erkenntnisse widerrufen, Giordano Bruno brannte für seine Gedanken, nicht für sein Ego. Heute gibt es keine Scheiterhaufen mehr – es gibt Hashtags, Löschungen, Rufmorde und Subtilitäten der sozialen Vernichtung. Die Mechanismen sind eleganter geworden, aber nicht weniger brutal.

Die Wahrheit ist unbequem, weil sie sich nicht an Umfragen orientiert. Sie kennt keine Talkshows, keine Parteiprogramme, keine Influencer. Sie steht einfach im Raum – nackt, kalt und unbestechlich. Und sie wartet. Nicht auf Zustimmung, sondern auf Menschen mit Rückgrat. Menschen, die bereit sind, sich zwischen die Fronten zu stellen, ohne ein eigenes Heer. Die wissen, dass sie verlieren können, aber lieber mit Würde scheitern als im moralischen Kollektiv gewinnen. Die Wahrheit braucht keine Mehrheit – sie braucht Einzelne. Und das ist ihr Segen und ihr Fluch zugleich.

Helden der Gegenwart – Zwischen Cancel Culture und Kontrollgesellschaft

„Und Menschen wie dich.“
Ein Satz, der heute wie ein Affront wirkt. Weil er Verantwortung überträgt in einer Zeit, die lieber delegiert. An die Experten, die Gremien, die Zertifikate. Wer heute selbst denkt, ist verdächtig autonom. Autonomie – einst Ideal, heute Sicherheitsrisiko. Der moderne Mensch ist verunsichert, weil er gewohnt ist, Meinungen wie Schuhe zu kaufen: passend zur Saison und bequem. Doch Wahrheit passt selten. Sie drückt, sie scheuert, sie macht blasen.

Menschen, die heute für Wahrheit einstehen, sind nicht Helden im klassischen Sinne. Sie sind oft schrullig, sperrig, schwer verdaulich. Keine Posterboys, keine glatten Fernsehgesichter. Sie kommen ohne PR-Team, aber mit Haltung. Sie widersprechen, wo andere mit dem Strom schwimmen. Und sie gehen oft unter – in der Empörung, im Gelächter, in der Ignoranz. Doch sie sind da. Und ohne sie wäre der Boden, auf dem wir Freiheit behaupten, nur ein dekoriertes Minenfeld.

Die neue Unfreiheit unter dem Banner des Guten

Die größte Tragik unserer Gegenwart ist nicht, dass Menschen belogen werden. Sondern dass sie nicht mehr merken, wenn sie belogen werden – weil sie es gar nicht wissen wollen. Der neue Konformismus kommt nicht in Stiefeln, sondern mit moralischem Lächeln. Er fragt nicht, er belehrt. Er zensiert nicht, er schützt. Und wer das merkt, wer darauf hinweist, wird nicht bekämpft – sondern umarmt. Mit einem Würgegriff aus Mitleid, Ironie und digitaler Ausschaltung.

Was bleibt? Der Zweifel. Die letzte Bastion der Freiheit. Wer zweifelt, denkt. Wer denkt, stört. Und wer stört, lebt. Vielleicht nicht bequem, aber wahrhaftig. Und am Ende ist das vielleicht die letzte Form des Widerstands: der Mut, sich nicht zu fügen, sondern zu fragen.

Früher nannte man es Aufklärung.
Heute nennt man es: gefährlich.

Vom General, der wagte, Klartext zu sprechen

Es war kein Donnerschlag, es war kein Aufstand, es war bloß ein Satz. Und doch war es, als hätte jemand in einem Tempel der Tugend plötzlich den Feuerlöscher bedient: trocken, sachlich, ohne jedes Pathos – aber mit einem Geräusch, das die betroffenen Gesichter der anwesenden Diskutanten schlagartig entflammte. In einer deutschen Fernsehsendung, diesem modernen Pranger mit Studiopublikum und Sozialpädagogenlizenz, erlaubte sich ein ehemaliger Brigadegeneral der Bundeswehr das Undenkbare: Er nannte den Krieg, was er ist. Kein abstrakter Freiheitskampf, keine Netflix-kompatible Heldensaga, kein moralisches Wellnessprogramm zur westlichen Selbstvergewisserung – sondern: Krieg. Mit Toten. Mit Verstümmelten. Mit Zielen. Und vor allem: mit Grenzen.

Der Mann – Erich Vad, ehemaliger militärpolitischer Berater im Bundeskanzleramt – sprach aus, was jeder denkt, der sich zwischen der täglichen Kriegsrhetorik und den allabendlichen Panzerbilanzen noch ein bisschen Restverstand bewahrt hat: Ein Krieg, den man nicht gewinnen kann, sollte besser beendet werden, bevor er alle anderen mit in den Abgrund zieht. Eine Aussage, so einfach wie Sprengstoff – in einem Land, das seinen strategischen Kompass irgendwo zwischen moralischem Furor und tagespolitischer Selbsterlösung verloren hat.

Das Vokabular der Erlösten

Denn was Vad sagte, war nicht pazifistisch, nicht sentimental, nicht einmal originell. Es war nur eines: realistisch. Und das ist heute, in einem Deutschland der 2020er, in dem „Wertegeleitete Außenpolitik“ wie ein veganer Fleischersatz serviert wird – mit viel Verpackung, wenig Substanz und einem leicht bitteren Nachgeschmack –, ein Skandal. Denn die moralische Avantgarde duldet keinen Widerspruch, erst recht nicht von jemandem, der aus der Praxis kommt. Wer sich jahrelang mit der NATO, mit Krisenregionen, mit realer Truppenführung beschäftigt hat, ist denkbar schlecht geeignet für Talkshows, deren stärkstes rhetorisches Kaliber die Betroffenheitsfloskel ist.

Vad stört das Ritual. Er tanzt nicht mit im Reigen der Gesinnungstänzer, die ihre Haltung wie Orden tragen – und ihre Ahnungslosigkeit wie Uniform. Stattdessen zitiert er Zahlen. Strategien. Militärgeschichte. Und – Gott bewahre – er zieht historische Parallelen. Zu Serbien 1999. Zu Bagdad 2003. Zu all den Interventionen, die mit flammenden Reden begannen und in Trümmerlandschaften endeten. Der Punkt ist nicht, dass die NATO damals Völkerrecht gebrochen hat. Der Punkt ist: Niemand redet mehr darüber. Die politische Amnesie ist vollständig, das Gedächtnis selektiv, der Kontext eine Bedrohung für das Narrativ. Und Vad – nun ja, der erinnert zu viel.

Die Empörung als Ersatz für Argumente

Die Reaktionen folgen prompt und vorhersehbar wie der Wetterbericht in der Tagesschau: aus allen Ecken hagelt es Etiketten. „Putin-Versteher“. „Kapitulationsideologe“. „russisches Narrativ“. Der General wird zum dissidenten Schattengewächs erklärt, weil er den Irrsinn nicht euphemisiert, sondern benennt. Und das in einer Sprache, die weder erregt noch erbaut, sondern erklärt. Eine Sprache, mit der man früher vielleicht Generäle oder Staatsmänner beeindruckt hätte – heute aber maximal einen Shitstorm auf Twitter (Pardon: X) auslöst.

Das Spiel ist durchschaubar: Man begegnet strategischer Nüchternheit nicht mit Gegenstrategien, sondern mit moralisierender Selbstverteidigung. Wer fragt, ob ein Sieg überhaupt realistisch ist, wird des Defätismus verdächtigt. Wer fordert, Diplomatie nicht als Feigheit, sondern als Instrument zu begreifen, wird als Verräter diffamiert. Und wer es wagt, das Ende eines Krieges auch als Ziel zu benennen – nicht nur seine Verlängerung – der wird ausgegrenzt. Denn in einem Diskurs, der sich selbst für eine ethische Missionierung begreift, ist das Ziel nicht der Frieden, sondern das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Und das, so scheint es, genügt.

Kanon der Gerechten, Chor der Vergesslichen

Natürlich hat Vad recht. Und genau das macht ihn gefährlich. Denn er rührt an die große Illusion unserer Zeit: Dass man mit Haltung die Gesetze der Realität außer Kraft setzen könne. Dass man mit Sonntagsreden Drohnen aufhalten könne. Dass man mit Gendersternchen in Pressemitteilungen geopolitische Interessen neutralisieren könne. Es ist der alte westliche Hochmut im neuen moralischen Gewand – eine Hybris, die sich für Demut hält, solange sie sich im Spiegel ihrer eigenen Pressekonferenzen betrachtet.

Die Parallelen zur Geschichte sind zu deutlich, um sie nicht zu benennen: Wer 1917 den Ersten Weltkrieg beenden wollte, war ein Vaterlandsverräter. Wer 1968 gegen den Vietnamkrieg protestierte, war Kommunist. Wer 2003 den Irakkrieg kritisierte, war ein Sicherheitsrisiko. Und heute? Heute ist, wer auf Verhandlungen pocht, ein Feind der Menschenrechte. Wer nach einer politischen Lösung ruft, ein Apologet der Gewalt. Wer an das Völkerrecht erinnert, ein Querfront-Fantast.

Von Haltung und Heuchelei

So verkehrt sich das Vokabular der Friedensbewegung ins Gegenteil: „Waffen für den Frieden“, „Krieg für die Freiheit“, „Eskalation als Notwendigkeit“. Das erinnert an die alten Sprachkunststücke der Macht: „Arbeit macht frei“, „Schutzhaft“, „chirurgische Schläge“. Nur dass heute die Humanisten in PR-Agenturen sitzen und ihre Kriegsrethorik mit Empathie garnieren. Die Humanität der Bombardierung ist das neue Mantra. Der zivilisierte Krieg – geführt mit sauberen Händen, aber schmutzigen Konsequenzen.

Und so werden nicht mehr Generäle gehört, sondern Gefühle. Die Analyse weicht der Attitüde. Der Diskurs wird zur Dienstleistung, das Denken zum Risiko. Vad aber verweigert sich diesem Spiel. Und darin liegt seine Bedeutung – und seine Bedrohung.

Schlussakkord ohne Finale

Ein Krieg, der militärisch nicht zu gewinnen ist, muss beendet werden. Nicht irgendwann. Nicht „nach dem Sieg“. Sondern: Jetzt. Das ist keine Kapitulation, das ist keine Schwäche – es ist das Eingeständnis, dass Vernunft kein Feind der Moral ist, sondern ihre Voraussetzung. Wer das nicht erkennt, wird bald wieder Geschichtsbücher schreiben – über neue Trümmer, neue Totenlisten, neue Versäumnisse.

Die Pointe? Sie ist bitter: In einer Gesellschaft, die Realismus mit Zynismus verwechselt und Moral mit Mandat, ist derjenige gefährlich, der nicht einfühlsam, sondern erfahrungssatt spricht. Der nicht besser weiß, sondern besser erinnert.

Erich Vad hat den Krieg nicht erfunden. Er hat ihn nur benannt. Und das, so scheint es, ist heute das größere Verbrechen.

Der Krieg beginnt im Kopf – und dort dreht er zuerst durch

Es gibt einen Punkt, an dem jede Gesellschaft kollektiv in den Wahnsinn kippt – nicht plötzlich, nicht dramatisch, sondern schleichend, wie eine Einweisung mit Anstand. Zuerst wird nur ein bisschen die Stimme erhoben, dann werden Vokabeln gewechselt („Verteidigungsfall“ statt „Krieg“, „Mobilisierung“ statt „Menschenschlachtung“), dann redet jemand von Verantwortung. Und ehe man sich versieht, rechnet ein CDU-Politiker ganz nüchtern mit fünftausend Gefallenen – am Tag, wohlgemerkt, nicht im Monat, nicht in einem schlecht geschriebenen Historienroman, sondern in einem Interview. Als wäre es ein Bauprojekt. Als plane man eine neue ICE-Strecke und müsse halt mit ein paar Kollateralschäden rechnen. Fünftausend – das ist eine Kleinstadt, eine Großveranstaltung, ein Stadionblock. Und sie sollen fallen – täglich –, damit irgendetwas irgendwo verteidigt wird, das man kaum noch greifen kann, weil längst die Grenzen zwischen Realität, Wahn und geopolitischem Pathos verschwimmen.

Vom Wellenbrecher zur Menschenwelle: Die Psychodynamik der Dauerhysterie

Was mit Corona begann – und da sprechen wir nicht vom Virus, sondern von der affektiven Dauerpanik im Managementsystem des Politischen –, das findet nun seine Fortsetzung in der nächsten „historischen Herausforderung“. Man könnte fast meinen, das politische Establishment ist süchtig nach Ausnahmezustand: ein bisschen Virus, ein bisschen Ukraine, demnächst vielleicht noch eine Alien-Invasion. Hauptsache, der Bürger bleibt in Habachtstellung, zwischen Impftermin, Sirenenprobe und digitalem Wehrdienstformular.

In diesem Kontext erscheint Patrick Sensburgs Zahlenspiel wie die mathematische Fortsetzung eines kollektiven Kontrollverlusts: Wenn schon keine Kontrolle mehr über Inflation, Energiepreise oder Migration – dann wenigstens über den Tod. Fünf­tausend am Tag. Klare Rechnung, saubere Statistik. Da hat der Bürokrat in der Tarnuniform endlich wieder einen Plan. Nur dumm, dass der Plan Menschenleben kostet – nicht hypothetisch, nicht am Reißbrett, sondern ganz real, mit Schrapnell im Bauch und Brief an die Hinterbliebenen. Und niemand fragt ernsthaft: Was zur Hölle geht eigentlich in diesen Köpfen vor?

Aufrüstung als Ersatzreligion – Ein Sakrament aus Stahl

Man kennt es aus dystopischen Romanen: Wenn der Sinn zerbricht, wird die Rüstung zur Religion. Und was früher die Hostie war, ist heute der NATO-Standard. In einer Gesellschaft, der jedes metaphysische Koordinatensystem abhandengekommen ist, wird die Kriegsbereitschaft zum letzten Dogma. Der Glaube an den Frieden? Naiv. Diplomatie? Feigheit. Wer heute noch mit dem Begriff „Verhandlung“ ankommt, wird behandelt wie ein Ketzer, der die Sakramente verweigert.

Dass nun ausgerechnet ein CDU-Politiker – jener Partei, die einst „Verantwortung“ mit Maß und Mitte buchstabierte – von einer Million Mann Bundeswehr spricht, hat fast schon etwas biblisch Zynisches. Eine Million. Man fühlt sich an alte Aufmärsche erinnert, an den manischen Größenwahn vergangener Jahrhunderte, bei denen man dachte: „Sowas kann nie wieder passieren. Dafür sind wir heute zu aufgeklärt.“ Nun ja. Offenbar nicht. Offenbar ist der Krieg, so wie man ihn heute denkt, ein identitätsstiftender Raum geworden: Wer kämpft, gehört dazu. Wer zweifelt, wird ausgebürgert – moralisch, gesellschaftlich, irgendwann vielleicht auch juristisch.

Der Kanzler als Schweigeritter, die Opposition als Einpeitscher

In der Groteske unserer Gegenwart muss man nicht mehr zwischen Regierung und Opposition unterscheiden, sondern zwischen Grad und Art der Panik. Der Kanzler schweigt sich durch die Apokalypse, als säße er beim Zahnarzt ohne Betäubung, während Teile der CDU mit feuchten Augen vom „neuen Wehrwillen“ sprechen – ein Begriff, der klingt wie aus einer schlecht restaurierten Wehrmachtsbroschüre entnommen. Wer heute zur Besonnenheit mahnt, wird als Schwächling diffamiert, als Putin-Versteher, als Sicherheitsrisiko. Krieg ist der neue Bürgertest: Wer bereit ist, den eigenen Sohn an die Front zu schicken, darf mitreden. Wer stattdessen lieber noch mal nachfragt, ob es nicht vielleicht doch einen anderen Weg gäbe, wird zur persona non grata erklärt. „Unsolidarisch“, „verantwortungslos“, „fünfte Kolonne“. Die neue Inquisition hat Uniform, Ukraine-Flagge und Twitteraccount.

Der Soldat als Menschenmaterial – und sonst nichts

Wenn Politiker von „5000 Gefallenen pro Tag“ sprechen, dann verrät das nicht nur einen Mangel an Empathie, sondern auch eine Denkweise, die den Menschen nicht als Bürger, nicht als Subjekt, sondern als Ressource betrachtet. Menschenmaterial. Ein Begriff, der offiziell nicht mehr verwendet wird, aber in diesen Äußerungen latent mitschwingt. Was zählt, ist die Masse, die Verfügbarkeit, die Entbehrlichkeit. In dieser Logik muss die Bundeswehr aufgestockt werden – nicht, weil man ein Sicherheitskonzept hätte, sondern weil man glaubt, man müsse sich „wappnen“. Wappnen wofür? Für den Dritten Weltkrieg? Für eine Rückeroberung von Donezk durch Bad Reichenhall? Für das gute Gefühl, „etwas getan zu haben“ – auch wenn es am Ende bloß ein kollektiver Suizid mit Ankündigung ist?

Historische Amnesie als Staatsraison

Dass gerade Deutschland, das Land mit der gründlichsten Aufarbeitung aller Zeiten, offenbar nichts aus der eigenen Geschichte gelernt hat, ist nicht nur tragisch, es ist absurd. Als hätte man das gesamte zwanzigste Jahrhundert durchgearbeitet – nur um am Ende zu dem Schluss zu kommen: „Vielleicht hätten wir damals einfach noch mehr Leute einziehen sollen.“ Wo einst „Nie wieder Krieg“ das kategorische Imperativ der Außenpolitik war, wird heute mit „Mut zur Härte“ geworben. „Wehrhaftigkeit“, „Verteidigungsetat“, „Kriegstüchtigkeit“ – Wörter, die man so lange nicht mehr hören wollte, bis man sie irgendwann wieder sexy fand. Und wer das nicht mitmacht, der wird als gestriger Träumer verlacht, als störenfried im Maschinenraum der Moralität.

Pointe ohne Trost – aber mit Klarheit

Und so kommt es, dass wir jetzt dort stehen, wo wir niemals wieder stehen wollten: An einem Punkt, an dem Politiker wieder anfangen, mit Toten zu rechnen, als wären sie Posten in einem Excel-Sheet. An einem Punkt, an dem Aufrüstung als Selbstzweck gilt, als moralisches Gebot, als heilige Pflicht. Und niemand hält inne. Niemand sagt: Stopp. Was tun wir hier eigentlich? Stattdessen marschieren sie weiter – nicht mit Stiefeln, sondern mit wohlmeinenden Hashtags. Nicht mit Stahlhelmen, sondern mit der Überzeugung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Nur dass Geschichte – wie wir wissen sollten – keine Seiten kennt. Sie kennt nur Konsequenzen.

Sondervermögen – aber leider gewinnt nur der Krieg

Es klingt ja erstmal harmlos. Fast charmant. Sondervermögen. Als würde irgendwo im Tresor des Finanzministeriums ein besonders guter Jahrgang Rotwein lagern, der nun für etwas Besonderes geöffnet wird – ein großes Fest, vielleicht sogar für das Volk. 500 Milliarden Euro – das ist eine Summe, bei der sogar Hedgefonds die Stirn kraus ziehen. Und man könnte meinen, ein so gigantisches Budget sei doch – ganz naheliegend – gedacht für die Heilung all jener Wunden, die dieses Land seit Jahrzehnten vernarben lässt: bröckelnde Schulen, verrottete Brücken, Zugverspätungen, deren Komik längst zur Tragik mutierte.

Doch wer sich mit funkelnden Augen der Illusion hingibt, dass dieses Sondervermögen unser Leben verbessern soll – wer glaubt, dass damit die Kita-Plätze kommen, die Glasfaserkabel, die barrierefreien Bahnhöfe, die wohnliche Zukunft – der glaubt vermutlich auch, dass Politiker nachts von Bürgerwohl träumen.

Denn wie sich herausstellt, geht es bei diesem Geld nicht etwa um Lebensqualität. Es geht um Kriegsqualität. Oder, wie man es in den Pressetexten nennt: Verteidigungsfähigkeit durch infrastrukturelle Resilienz im Bündnisfall. Auf gut Deutsch: Deutschland wird NATO-Durchmarschstraße. Willkommen im Land der rollenden Panzer – möglichst klimaneutral natürlich.

Die Wiederverzauberung des Schienenverkehrs – jetzt mit Leopard-Logistik

Wer hätte gedacht, dass die Bahn eines Tages doch wieder sexy wird? Nicht für Pendler natürlich – deren tägliches Leid wird auch von 500 Milliarden nicht gemildert. Die ICEs werden weiterhin wegen „technischer Störungen im Betriebsablauf“ stehen bleiben wie maulende Esel. Nein, es ist die Bundeswehr, die sich freut. Endlich bekommen wir wieder ein Schienennetz, das funktioniert – allerdings primär für den Zweck, Panzer quer durch das Land zu verfrachten, im Idealfall in Richtung Osten.

Während der gewöhnliche Bürger im Fernverkehr mit einer verkrüppelten App um Sitzplatzreservierungen kämpft, wird im Hintergrund längst geprobt, wie schnell ein Truppenverband von Rheinland-Pfalz nach Litauen kommt – inklusive Brückenbelastungstests, NATO-Streckenanalysen und „militärischer Durchleitungsrechte“, die in keinem Sommerinterview angesprochen werden.

Die Vision ist also klar: Während Oma Hilde auf Bahnsteig 7 ihren Anschluss verpasst, rattert auf Gleis 8 ein Munitionszug vorbei – pünktlich, zuverlässig und völlig emissionskompensiert. Deutschland 2025: Die Bahn kommt. Für den Krieg.

Autobahnen für den Angriff – Betonierte Bündnistreue

Natürlich betrifft das auch die Autobahnen, dieses Symbol der deutschen Ingenieurskunst, das einst für Freiheit stand und heute primär für Baustellen und Funklöcher. Das Sondervermögen wird auch hier eingreifen – aber nicht etwa, um die Mobilität der Menschen zu verbessern, sondern um die „Verlegefähigkeit schwerer Verbände“ sicherzustellen. Das ist keine Theorie. Das steht so in den Planungen.

Was der Durchschnittsbürger als 12 Kilometer langes, nervenzermürbendes Verkehrschaos erlebt, ist in Wahrheit ein strategisches Trainingsfeld. Die rechte Spur ist nicht verstopft – sie ist verteidigungsbereit. Die Raststätten an der A2? Logistische Knotenpunkte. Das Autobahnkreuz Köln-Ost? Ein möglicher Umschlagplatz für Nachschub im Fall des „Artikel-5-Szenarios“.

Wer also glaubt, die Verkehrswende sei dazu gedacht, dass der Mensch schneller, sicherer oder klimafreundlicher von A nach B kommt, hat das neue Narrativ nicht verstanden: Die wahre Mobilitätswende bedeutet, dass das Kriegsgerät im Stau den Vorrang bekommt – mit Blaulicht, Panzerkette und Bündnistreue im Tank.

Die Inszenierung der „wehrhaften Demokratie“ – mit Beton und Brüssel

Natürlich wird das Ganze nicht als Kriegsvorbereitung verkauft. Nein, man spricht von „Resilienz“, von „Bündnisfähigkeit“, von „Sicherstellung der Verteidigungslogistik“. Und wer dagegen den Mund aufmacht, wird sehr schnell mit der Replik abgekanzelt: Willst du etwa, dass Putin durchmarschiert? Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht wollen einige Menschen auch einfach nicht, dass der nächste europäische Großkrieg durch Deutschland durchmarschiert – egal in welche Richtung.

Das Sondervermögen Infrastruktur ist keine Investition in Frieden. Es ist eine Investition in Kriegstauglichkeit – moralisch aufgeladen, medial flankiert, demokratisch kaum debattiert. Und es ist Teil eines größeren Spiels: Deutschland, der bröckelnde Riese, soll wieder funktionsfähig gemacht werden – nicht als Heimat, sondern als Operationsbasis.

Die europäische Integration findet inzwischen auf Beton statt. Wer Brücken baut, tut es nicht mehr für Menschen, sondern für Marschkolonnen. Wer Gleise legt, plant nicht den Schülertransport, sondern das Gefechtsfeld. Und wer Budget bewilligt, tut es nicht mehr mit Blick auf Gemeinwohl, sondern auf die Gefechtsbereitschaft bis 2030.

Historischer Schatten: Von der Völkerverständigung zur Verlegeplanung

Man könnte sagen, das alles sei pragmatisch. Man könnte auch sagen, es sei fatal. Denn wer ein wenig Geschichtsbewusstsein besitzt – und das sollte man in diesem Land tunlichst mitführen wie einen gültigen Fahrschein – weiß, dass Infrastruktur nie neutral ist. In jedem Reich, in jeder Epoche, wurden Straßen, Gleise und Brücken nicht nur gebaut, um Menschen zu verbinden, sondern um Truppen zu bewegen. Die Römer wussten das. Napoleon auch. Und Deutschland? Hat Erfahrung. Leider.

Dass sich ausgerechnet dieses Land – nach zwei Weltkriegen, nach Auschwitz, nach dem Schwur „Nie wieder“ – heute wieder in Infrastruktur für Frontlinien investiert, ohne dass es einen Aufschrei gibt, ist ein zivilisatorischer Tiefpunkt, verpackt in PR-Sprech.

Die Vorstellung, dass deutsche Züge in litauische Gefechtszonen rollen, weil Berlin sie dazu ertüchtigt hat, ist nicht nur politisch problematisch. Sie ist moralisch obszön. Und sie wird verkauft wie ein Upgrade auf dem Digitalgipfel.

Pointe ohne Trost: Das Leben wird nicht besser, aber der Krieg pünktlicher

Am Ende bleibt ein bitteres Fazit: Das Leben der Menschen in diesem Land wird durch diese Investition nicht einfacher, nicht gerechter, nicht lebenswerter. Wer morgens um sechs im Regionalzug friert, weil die Heizung wieder ausfiel, wird auch in zehn Jahren keine Wärme spüren – außer vielleicht die Resthitze eines Tieffliegers.

500 Milliarden Euro – die größte Einzelinvestition seit Generationen – fließt nicht in das, was dieses Land zusammenhält. Sondern in das, was es kampffähig macht. Man hat nicht Schulen gebaut, sondern „Anfahrtsachsen“ für Bündnistruppen. Man hat keine Zukunft geschaffen, sondern Durchmarschräume.

Und das alles unter dem Banner der „Sicherheit“. Aber Sicherheit wovor? Vor dem Feind, der am Horizont inszeniert wird – oder vor der Wahrheit, dass ein Land, das seine Infrastruktur nur noch aus der Perspektive der NATO denkt, längst nicht mehr zukunftsfähig, sondern bloß noch aufmarschfähig ist?

Der Krieg kommt vielleicht nie. Aber die Vorbereitung ist längst da. Und sie rollt, pünktlicher als jeder Nahverkehrszug, mitten durch das Herz der Republik.

Einheitspartei Deutschland

Der grüne Geist in schwarzem Gewand

Es war einmal eine Partei, die nannte sich Christlich Demokratisch, und sie war stolz darauf, in grauen Anzügen das große Grau der Bundesrepublik zu verwalten. Adenauer, Kohl, Merkel – ein Triumphzug der Bräsigkeit, ein Fest des gepflegten Maßes, konservativ bis in die Hornhaut der Augen. Und plötzlich – Puff! – nach Jahrzehnten der Kontinuität, der gefalteten Hände, der pflichtschuldigen Weihnachtsbotschaften mit brennenden Adventskerzen, kommt da etwas ins Rollen. Kein Erdbeben, kein Tsunami. Nein. Etwas viel Heimtückischeres: eine grünliche Wolke. Kaum sichtbar, kaum riechbar, aber sie kriecht durch jede Ritze. Und siehe da: Plötzlich spricht man in der CDU nicht mehr vom Eigenheim, sondern von Flächenversiegelung. Nicht mehr von Kernenergie, sondern von der emotionalen Belastung des Atommülls. Und wer dann noch behauptet, Gendersternchen seien keine Notwendigkeit, sondern ein orthografischer Herzinfarkt – der fliegt. Und zwar nicht im Flugzeug, das wäre zu klimaschädlich. Nein, mit dem Lastenrad – rückwärts.

Vom C ins G – Eine Lautverschiebung mit Folgen

Wo früher das „C“ im Parteinamen noch für die althergebrachte, miefende, aber irgendwie beruhigende Vorstellung eines höheren moralischen Koordinatensystems stand, scheint es heute eher für „Cancel Culture“ zu stehen. Oder, wie ein besonders eifriger JU-Funktionär neulich euphorisch zwitscherte: „Wir müssen uns der ökologischen Verantwortung stellen, auch wenn wir dafür unsere Wurzeln neu definieren!“ Aha. Das ist, als würde ein Baum sich entschließen, zur Orchidee zu werden, weil’s gerade trendiger ist. Die CDU, einst Bollwerk gegen ideologische Verirrung, verwandelt sich zusehends in eine weichgespülte, grün-kompatible Selbsthilfegruppe für ehemals Konservative mit schlechtem Gewissen.

Merz, der ewige Phantomschmerz des deutschen Wirtschaftsliberalismus, nickt sich durch Talkshows wie ein entfremdeter Gast auf der eigenen Beerdigung. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet er, der einstige Erbe der Wirtschaftskompetenz, jetzt über „Transformation“ doziert, als ob er im Keller heimlich Habecks Tagebücher liest. Und wehe dem, der es wagt, in einem CDU-Kreisverband laut zu fragen, ob nicht vielleicht doch der Verbrennungsmotor ein bisschen weniger Teufel als Teufelszeug ist – der wird schief angesehen, wie ein Raucher in einer anthroposophischen Kita.

Kuschelgrün ist das neue Schwarz

Die neue schwarz-grüne Liebe ist keine Vernunftehe, sie ist ein toxisches Tinder-Date mit der Klimakrise als Trauzeugen. Die CDU rennt der grünen Hegemonie hinterher wie ein pubertierender Schüler dem Vegan-Hipstermädchen aus dem Philosophie-Leistungskurs. Alles, was nicht nachhaltig ist, wird geopfert: Werte, Profil, Mitglieder mit eigener Meinung. Man will ja nicht als rechts gelten, um Himmels willen! Lieber moralisch einwandfrei untergehen als mit einem Funken Skepsis die politische Mitte verteidigen.

Denn heute gilt: Wenn du nicht so denkst wie die Grünen, fliegst du glatt aus der CDU. Du darfst selbstverständlich noch darin sein, formell gesehen – aber wehe, du öffnest den Mund. Die Parteibasis funktioniert mittlerweile wie eine Mischung aus Bio-Sekte und Meinungs-Kontrollrat: Wer nicht gendergerecht spricht, keine Baumpatenschaft übernimmt und mindestens einmal im Jahr auf einem Klimakongress auftritt (im Leinenanzug, versteht sich), wird sanft, aber bestimmt in die politische Bedeutungslosigkeit entlassen.

Die Stärke der Rechten ist immer die Schwäche der Linken und der Demokraten

Wenn das Gute versagt, gewinnt das Primitive

Es ist eine historische Konstante, eine politische Gravitationskraft, so vorhersehbar wie das Wetter in Wanne-Eickel oder das Lächeln von Olaf Scholz: Immer dann, wenn Linke und Demokraten sich ihrer inneren Widersprüche zu sehr hingeben, wenn sie sich in akademisch-pedantischen Debatten über Sternchen, Hautfarben und Geschlechtervielfalt verzetteln, wenn sie aus jeder symbolischen Nebensächlichkeit ein moralisches Armageddon basteln, dann – ja, dann stehen sie schon da, mit fester Frisur und loser Rhetorik, die Rechten. Nicht, weil sie besser sind, sondern weil die anderen schlechter werden. Ihre Stärke ist kein Produkt strategischer Genialität, sondern eine Reaktion – auf das geistige Chaos ihrer Gegner, auf die Realitätsverleugnung der Mitte, auf das Pathos ohne Pragmatismus.

Es ist kein Wunder, dass rechte Parolen wie Pfeile durch einen diskursiven Nebel fliegen, der von der Linken selbst erzeugt wurde – mit einem Räucherstäbchen aus Empörung, Verbotsforderungen und moralischer Hybris. Die Rechten brauchen keine Argumente, solange die Linke keine Klarheit hat. Keine Lösungen, solange die Demokraten sich gegenseitig in Wortfindungspanik neutralisieren. Und keine Ideale, solange das Ideal der Linken darin besteht, niemanden zu kränken – außer jene, die es wagen, den Pragmatismus zu verteidigen.

Moralische Hochsitze und politische Niederlagen

Wer auf einem Hochsitz sitzt, hat den besseren Überblick – aber auch den weitesten Fall. Die Linke, insbesondere in ihrer intellektuellen, urbanen Ausprägung, hat sich in den letzten Jahren ein moralisches Hochplateau gebaut, auf dem man sich gegenseitig für den richtigen Sprachgebrauch, die angemessene Sensibilität und die korrekte Haltung beklatscht. Man diskutiert nicht mehr, man korrigiert sich. Man kämpft nicht mehr gegen soziale Ungleichheit, sondern gegen sprachliche Unreinheiten. Es ist ein Diskurs geworden, der keine Arbeiter mehr braucht – nur noch Seminarbesucher.

Währenddessen läuft der kleine Mann – das ist der mit dem Brötchen in der Hand und dem kaputten Fahrwerk im Golf IV – kopfschüttelnd davon. Nicht, weil er plötzlich AfD mag. Sondern weil ihn niemand mehr versteht. Weil seine Sorgen im semantischen Feinschliff der Wohlmeinenden verloren gehen wie ein schlichter Gedanke in einer Gender-Tagung. Er sieht: Die Linke kämpft für Minderheiten, aber nicht für seine Stromrechnung. Sie schützt die Sprache vor Diskriminierung, aber nicht die Straße vor Verwahrlosung. Sie umarmt die Welt, aber nicht das eigene Viertel.

Die Demokraten – Technokratie als Ablenkung vom Bedeutungsverlust

Und die Demokraten? Die Mitte? Sie steht da wie ein überforderter Schiedsrichter im Spiel der Ideologien – pfeift zu spät, erklärt zu viel und zeigt Karten, die keiner mehr ernst nimmt. Was sie Politik nennen, ist oft nichts weiter als Verwaltung von Stillstand mit freundlichem Gesichtsausdruck. Sie machen Politik wie Excel-Tabellen: korrekt, sachlich, völlig unberührbar. Aber Politik ist keine Steuererklärung, sie ist Drama, Leidenschaft, Richtung. Und wer nur moderiert, statt zu führen, wird am Ende von denen verdrängt, die wenigstens so tun, als würden sie wissen, wo’s langgeht – selbst wenn sie nur ins Dunkel marschieren.

Demokratische Parteien sind in vielen Ländern zu Maschinen geworden, die sich mehr mit internen Kommissionen als mit externen Realitäten beschäftigen. Ihre Sprache klingt wie ein Handbuch zur Bedienung einer Ethik-Waschmaschine. Es wird alles reingewaschen, was sich noch irgendwie nach Standpunkt anhört – bis nur noch ein Restposten von Allgemeinplätzen bleibt: Vielfalt, Nachhaltigkeit, Fortschritt, Resilienz. Kein Wunder, dass viele Menschen sich nach jemandem sehnen, der nicht nur redet, sondern brüllt – auch wenn er Unsinn brüllt.

Rechte Simplizität als Antwort auf linke Komplexitätspanik

Die Rechte gewinnt nicht, weil sie gut ist, sondern weil sie einfach ist. Ihre Stärke liegt im Mantra des Klartextes, im Versprechen der Rückkehr zur Ordnung, im scheinbar einfachen „gesunden Menschenverstand“, der nichts anderes ist als intellektuelle Insolvenz mit einem Lächeln. Wenn die Linke Differenzierung fordert, sagt die Rechte: „Zu viel durcheinander!“ Wenn die Demokraten abwägen, sagt die Rechte: „Zu weich!“ Wenn die progressiven Kräfte warnen, sagt die Rechte: „Jetzt reicht’s!“

Und die Leute hören zu – nicht, weil sie überzeugt sind, sondern weil sie erschöpft sind. Erschöpft von einem politischen Betrieb, der sich lieber in die eigene symbolische Reinheit verliebt als in die praktische Verbesserung der Wirklichkeit. Die Rechten brauchen keine Vision, solange die anderen ihre Brille verloren haben. Sie müssen keine Antworten geben, wenn die Linke nicht mal mehr weiß, was die Frage ist.

Historische Wiederholung mit Variationen

Die Geschichte kennt dieses Muster gut: Immer dann, wenn sich die Linken im Labyrinth ihrer eigenen Theorie verirren und die Demokraten ihre eigenen Kompromisse nicht mehr verkaufen können, kommen sie zurück: die Rechten, die Vereinfacher, die Rückwärtsläufer. Die Revolution frisst ihre Kinder, und die Demokratie füttert ihre Gegner mit ihrer Selbstzweifel-Diät.

Die Weimarer Republik ging nicht an Hitler zugrunde, sondern an Demokraten, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, und Linken, die sich mehr mit dem ideologischen Klassenfeind in der eigenen Bewegung stritten als mit dem Faschismus draußen. Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Aber sie reimt sich. Und aktuell klingt sie wie ein Gedicht von Brecht, das von Friedrich Merz vorgetragen wird – mit AfD-Untertiteln.

Die Rechte wird nicht stark – sie wird eingeladen

Die Rechte wächst nicht aus eigener Kraft. Sie wird genährt von der Schwäche ihrer Gegner. Sie lebt von ihren Feinden wie ein Parasit auf einem Wirt, der zu höflich ist, um sich zu kratzen. Man klagt über Populismus, doch bietet selbst keine populären Ideen. Man empört sich über die Sprache der Rechten, doch liefert selbst keine greifbaren Inhalte. Man zitiert Hannah Arendt, aber hat die Kneipe vergessen, in der Politik wirklich passiert.

Die große Tragik unserer Zeit ist nicht die Rückkehr der Rechten, sondern die Selbstlähmung derer, die es besser wissen müssten. Denn die Demokratie stirbt nicht durch einen Putsch. Sie stirbt, wenn ihre Verteidiger beginnen, sich nur noch gegenseitig zu korrigieren, statt gemeinsam zu kämpfen.