Die Sabotage der Aufklärung

Ein Nachruf auf die politische Zurechnungsfähigkeit

Wenn eines den Deutschen heilig ist – neben dem Dackel, dem Datenschutz und dem bindestrichgeadelten Titelwesen – dann ist es der funktionierende Bahnverkehr. Doch wie alles, was man liebt, wird es früher oder später angezündet. Im aktuellen Fall nicht metaphorisch, sondern ganz konkret: durch ein paar Radikale mit Zeitzünder und ideologischem Kurzschluss. Die Täter? Eine Antifa-Gruppe mit ökoklimatischem Erweckungspathos, ein Grüppchen, das seine Radikalität aus einer Melange von Weltuntergang und Weltenrettung bezieht, sich selbst dabei als eine Art bewaffneter Erlösertrupp inszeniert. Die Methode? Brandsatz auf Kabel. Das Ziel? Alles, nur nicht Versöhnung.

„Die Zeit, an einer Versöhnung der Seiten zu arbeiten, ist vorbei“, verkünden die Täter mit der Nonchalance selbsternannter Endzeitpropheten, als hätten sie gerade beschlossen, dass Kommunikation überbewertet ist. Vielleicht zu viele Nietzsche-Zitate gelesen, aber nur halb verstanden. Vielleicht auch einfach nur gelangweilt vom politischen Mittelmaß, das keine Revolution verspricht. Der Bahnanschlag als symbolische Begleitmusik einer unterkomplexen Weltverachtung, zündelnd inszeniert auf Kosten von Infrastrukturen und Gesellschaftsvertrag.

Brandsätze statt Argumente: Vom ideologischen Eifer zur strategischen Dummheit

Der „Eisblock Timer“ – eine Bastelanleitung aus dem humorlosen Arsenal der Sabotageliteratur für Möchtegern-Guerilleros – ist offenbar das Gadget der Stunde. Während der Rest der Welt darüber streitet, wie man das Klima schützt ohne dabei die Gesellschaft gleich mit abzufackeln, greifen diese militanten Klimaaktivisten zur Technik der Zerstörung, weil Argumente offenbar zu wenig Feuerkraft haben. Wer keine Geduld für Diskurs hat, bastelt sich eben seine Wirkung – aus Benzin, Uhrwerk und ideologischer Frustration.

Die Ironie dabei: Diese Täter kämpfen angeblich für die Zukunft, indem sie die Gegenwart zerstören. Das wäre fast poetisch, wenn es nicht so wahnsinnig wäre. Es ist, als würde man ein Krankenhaus in die Luft jagen, um gegen Krankheit zu protestieren. Aber vielleicht ist Logik ja nur ein Herrschaftsinstrument in der dialektischen Fantasie dieser Aktivisten. Vielleicht bedeutet Freiheit in ihren Kreisen ohnehin nur die Lizenz zur Anarchie.

Wenn Notwehr zur Religion wird: Moralischer Narzissmus im Endzeitkostüm

Besonders bemerkenswert – oder vielmehr alarmierend – ist die Selbstrechtfertigung der Täter. Man fühlt sich im Recht, in der Pflicht, ja fast schon im sakralen Auftrag. Ihre Gewalt sei Notwehr, ihre Sabotage das notwendige letzte Mittel, weil die Welt nicht auf sie hört. Eine Mischung aus narzisstischem Opfermythos und revolutionärer Erlösungsfantasie.

Wer nicht „so radikal denkt“, ist Feind. Wer abwägt, kollaboriert. Wer demokratisch entscheidet, bremst die Geschichte aus. Aus dem Geltungsdrang wird Gewalt, aus der Ohnmacht Übergriffigkeit, aus der Frustration Terror. Das Bekennerschreiben liest sich wie das Tagebuch eines trotzig verzweifelten Kindes, dem man die Welt nicht nach Wunsch zurechtbauen will. Dabei wirkt das ganze Pathos wie ein Schulaufsatz aus dem Seminar „Moralische Überlegenheit für Anfänger“.

Verrat an der eigenen Bewegung: Wenn der Kampf fürs Klima in Brandstiftung endet

Nicht nur die Gesellschaft wird zur Zielscheibe, auch die eigenen Leute. Die Täter geißeln die „Mainstream“-Klimaaktivisten – Luisa, Greta, alle, die es zu Talkshowruhm oder NGO-Karriere gebracht haben – als abtrünnige Opportunisten. Deren Fehler? Nicht radikal genug. Nicht brennend genug. Nicht bereit, die letzten Brücken zur Realität hinter sich abzureißen. Die Revolution duldet eben keine Differenzierung.

Was dabei untergeht: Dass genau diese „Mainstream“-Bewegung überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass Themen wie Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf der politischen Agenda auftauchten. Aber für die Extremisten sind Vermittler nur Schwächlinge. Wer nicht mit brennt, ist verbrannt. Eine groteske Logik, die ausgerechnet in jenem Fanatismus wurzelt, den man angeblich bekämpfen will.

Staatliche Fördergelder für die Demokratie – oder doch für deren Feinde?

Dass die Antifa in Teilen von SPD, Grünen oder Linken zumindest toleriert, wenn nicht sogar mittelbar durch gewisse NGOs mit öffentlichen Geldern gestützt wird, ist ein offenes Geheimnis, das wie ein schlecht gewarteter Feuerlöscher neben einem brennenden Ölfass steht. Man wollte „gegen rechts kämpfen“ – was grundsätzlich ehrenwert ist – und hat dabei die Brandstifter aus den eigenen Reihen übersehen oder unterschätzt.

Es ist ein Paradebeispiel für das alte linke Dilemma: Man will Gerechtigkeit, bekommt aber Fanatismus. Man will Widerstand, bekommt aber Gewalt. Und am Ende sitzt der Rechtsstaat da wie ein geschlagener Schulmeister, der zwar Förderanträge prüfen kann, aber nicht erkennt, wann seine Schüler längst zu Pyromanen geworden sind.

Die Lücke im Rechtsstaat – zwischen politischer Naivität und operationaler Blindheit

Während ein „Kommando Angry Birds“ Bahnkabel anzündet und sich dabei auf eine Mischung aus Karl Marx, Twitter-Rage und Bastelanleitungen aus dem Internet beruft, diskutiert der deutsche Rechtsstaat noch über Gendersterne im Verfassungsschutzbericht. Es ist, bei aller Notwendigkeit differenzierter Betrachtung, ein Armutszeugnis. Ein Staat, der bereitwillig den Verfassungsschutz auf Landwirte ansetzt, aber den Sprengsatz unter seinen Verkehrsadern erst bemerkt, wenn der Fahrplan explodiert, hat das Verhältnis von Risiko und Ideologie endgültig verloren.

Der Rechtsstaat darf nicht wegschauen, wenn sich linke Gewalt in die Wohlfühlfassaden der „richtigen Gesinnung“ schleicht. Wer gegen rechts mit Inbrunst kämpft, aber bei linkem Terrorismus milde laviert, gefährdet seine eigene Glaubwürdigkeit. Gewalt bleibt Gewalt – unabhängig vom ideologischen Anstrich. Und wer Gewalt relativiert, wird früher oder später zum Mittäter.

Epilog mit Brandsatz – Von der Endzeitpose zur Gegenwartsverachtung

Es bleibt am Ende eine bittere Erkenntnis: Die Täter dieses Anschlags hassen nicht nur die Konzerne, die Strukturen oder den Kapitalismus. Sie hassen auch die Menschen, die in Zügen sitzen, zur Arbeit fahren, ihre Kinder besuchen, ein Wochenende planen. Sie verachten das Alltägliche, weil es ihnen zu banal ist, um als revolutionär zu gelten. Sie wollen die Welt brennen sehen – im Namen der Rettung.

Doch die Frage, die sie nie beantworten werden, ist diese: Wenn ihr wirklich glaubt, dass die Gesellschaft euch verraten hat – was genau habt ihr ihr je angeboten außer eurem Zorn?

Denn wer alles niederbrennt, wird am Ende nicht als Visionär erinnert, sondern als der, der nicht unterscheiden konnte zwischen einem Leuchtturm und einem Molotowcocktail.

Die Rückkehr des Verdrängten – oder warum Wilhelm Reich nicht totzukriegen ist

Es gibt Bücher, die wie tote Pferde behandelt werden: Man schlägt nicht mehr darauf ein, weil es sich nicht mehr lohnt. Und es gibt Bücher, die wie tote Pferde behandelt werden, weil sie – in Wahrheit – noch immer galoppieren, wild, schnaubend, mit aufgerissenen Nüstern durch die Flure der Macht, der Medien, der Mittelstandshysterie. Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus gehört zur zweiten Kategorie. Man nennt ihn einen Spinner, einen Sexguru, einen Krypto-Kommunisten mit Orgon-Akkumulator. Und das ist noch die freundliche Variante. Die unfreundliche: Ein Fall für die Anstalt. Doch wer das Buch tatsächlich liest – und damit ist nicht gemeint, es zu googeln oder sich durch Sekundärliteratur zu hangeln wie ein kulturkritischer Affe auf der Suche nach Erdnüssen – wird bald feststellen: Hier wird mit chirurgischer Präzision seziert, was heute wieder um sich greift. Nein, nicht nur am rechten Rand, nicht nur bei den identitär tätowierten Adonissen in Camouflage. Sondern auch in Yogakreisen, in Start-up-Inkubatoren, in Diversity-Workshops. Der Faschismus hat sich neu kostümiert, aber das Muskelzucken unterm Gewand, das hat Reich längst beschrieben. Wer also heute vor Faschismus warnt, ohne Reich gelesen zu haben, ist wie jemand, der über Krankheiten redet, ohne je in einem Körper gewohnt zu haben.


„Charakterpanzerung“ und Einhornfilter – über die neue Lust an autoritärer Selbstverblendung

Reichs zentrale These ist ebenso einfach wie unerträglich: Der Faschismus gedeiht nicht trotz, sondern wegen der inneren Bedürftigkeit der Massen. Nicht die Ideologie ist entscheidend, sondern die seelische Struktur, die sie inhalieren will wie ein Asthmatiker das letzte Spray. Der autoritäre Charakter, sagt Reich, ist nicht das Produkt politischer Indoktrination, sondern das Resultat frühkindlicher Unterdrückung, sexueller Verdrängung, familiärer Dressur. Heute nennt man das Bindungstrauma, Beziehungshölle oder schlicht: Coachingbedarf. Der moderne Mensch, zwischen Achtsamkeit und Amazon, hat den autoritären Impuls längst internalisiert – er gehorcht sich selbst, beutet sich freiwillig aus, optimiert seine Produktivität mit der neurotischen Gier eines KZ-Aufsehers mit Meditationshintergrund. Reich hätte darüber nicht gelacht. Er hätte vermutlich geweint. Oder masturbiert. Oder beides. Und der Charakterpanzer, den er beschreibt, existiert heute nicht mehr nur als sadomasochistische Sexualstruktur, sondern als Lifestyle-Dogma, als woke Empfindsamkeit, als digitaler Reinheitsfimmel. Was früher das Kreuz auf der Brust war, ist heute die CO₂-Bilanz auf der Verpackung. Nur dass man sich heute dafür besser fühlt. Früher war man autoritär und wusste es. Heute ist man autoritär und nennt es Verantwortung.

Der neue kleine Mann – über die Regression ins Lächerliche

Reichs „kleiner Mann“ war der Prototyp des autoritären Mitläufers: bieder, untervögelt, aggressiv nach unten, devot nach oben. Ein Mensch, der seine Angst vor Freiheit mit dem Ruf nach Ordnung überspielt. Heute trägt dieser kleine Mann Sneaker, trinkt Cold Brew Coffee und betreibt einen Podcast über toxische Männlichkeit – in dem er sich, natürlich, permanent entschuldigt. Der neue kleine Mann ist nicht mehr das autoritäre Familienoberhaupt, sondern der sensibilisierte Selbsthasser mit feministischer Tinder-Bio. Doch der Kern bleibt gleich: Die Angst vor echter Freiheit, vor echter Verantwortung, vor echter Nähe. Man hat gelernt, dass autoritäre Führer inakzeptabel sind – also wird das Führerprinzip internalisiert, als Selbstführung, als Kalenderstruktur, als Bullet Journal. Der kleine Mann von heute ruft nicht „Heil!“, sondern „Ich brauch meine Routine!“. Der Faschismus der Zukunft, so könnte man Reich aktualisieren, wird ein Faschismus der Selbstverwirklichung sein – mit Yoga, Yuzu-Limo und YouTube-Tutorials zum Thema „Wie du dein inneres Kind zur Räson bringst“.

Reich reloaded – Warum auch links nicht immun ist

Einer der unbequemen Aspekte an Reichs Analyse ist, dass sie auch die Linke nicht schont. Wer glaubt, Faschismus sei ein Phänomen der „anderen Seite“, hat weder Reich gelesen noch die Geschichte verstanden. Die autoritäre Struktur tarnt sich gern als progressive Bewegung. Der Moralismus, die Umerziehungsfantasien, das Bedürfnis, Abweichung nicht zu tolerieren, sondern zu exorzieren – das alles gibt es auch bei jenen, die sich für besonders emanzipiert halten. Der neue Antifaschismus trägt oft selbst autoritäre Züge: Er will Gesinnung kontrollieren, Sprache normieren, Schuld zuweisen. Reich würde sagen: Die neurotische Struktur bleibt bestehen – nur das Objekt der Projektion wechselt. Heute ist es der Klimaleugner, der Fleischesser, der Maskenverweigerer – morgen vielleicht der Ungeimpfte der neuen Generation: der Mensch mit zu wenig Filterblasenreinheit. Der neue Totalitarismus ist weichgespült, aber nicht weniger obrigkeitlich. Und das Tragische: Er glaubt, auf der richtigen Seite zu stehen. Wie jeder gute Faschist.

Orgon für alle! – Ein satirisches Plädoyer für die Revolution der Lust

Was also tun? Reichs Antwort war radikal, ungeschönt, heute beinahe komisch in ihrer Naivität: sexuelle Befreiung. Die Libido, nicht der Diskurs, ist das Terrain der Revolution. Wer frei lieben kann, braucht keine Führer. Wer seinen Körper kennt, lässt sich nicht dressieren. Doch natürlich hat man Reich dafür ausgelacht. „Der Mann will die Welt mit Orgasmen retten!“ Ja. Wollte er. Und vielleicht hatte er damit mehr Recht als all die Systemkritiker mit ihren Taschen voller Pamphlete und Podcasts. Was, wenn die autoritäre Struktur wirklich nur verschwindet, wenn der Mensch sich selbst spürt? Nicht als Idee, nicht als Ich-AG, sondern als atmendes, lustvolles, verletzliches Wesen? Dann wäre der nächste Schritt kein Wahlkampf, keine Demo, kein Hashtag – sondern ein kollektives, ekstatisches Sich-Ausziehen aus allen Panzerungen. Natürlich wird das nicht passieren. Stattdessen werden weiter Bücher geschrieben, Podcasts produziert, Empörung kanalisiert. Aber wenigstens wissen wir jetzt: Der Faschismus war nie nur politisch. Er war immer auch erotisch – oder vielmehr: das traurige Resultat ihrer Unterdrückung.

Schlusswort: Die Rückkehr des verdrängten Reichs – oder warum wir mehr spinnen sollten

Wilhelm Reich war unbequem. Er war exzentrisch. Er war oft schlicht verrückt. Aber genau deshalb war er seiner Zeit voraus – und ist unserer überlegen. In einer Ära, in der alles reguliert, moderiert, etikettiert wird, war er ein wildes Tier: schreibend, lebend, forschend mit einer Unbedingtheit, die heute nur noch KI-generierte Avatare simulieren. Die Tragik: Reich wurde von der Rechten gehasst, von der Linken verraten, von der Wissenschaft verspottet – und ist doch der Einzige, der das Unbehagen in der Kultur mit chirurgischer Tiefe verstanden hat. Heute wäre er vermutlich gesperrt auf Twitter, gelöscht auf YouTube, ausgeladen von jedem Debattencamp. Zu sexuell, zu unkontrolliert, zu echt. Aber genau das bräuchten wir. Nicht als Kultfigur. Sondern als das, was er war: ein Mensch, der uns zeigen wollte, wie wenig wir wirklich leben – solange wir nicht fühlen.


Ende. Oder besser: Anfang?

Queere Partnerschaften im Tierreich – und der heteronormative Reflex der Entrüstung

Ein zoologisches Outing oder: Wenn die Natur sich nicht an die Bibel hält

Stellen Sie sich vor, ein Pinguinpaar adoptiert ein verwaistes Ei. Und das tut es nicht aus einem Disney-Film heraus, sondern aus der Naturbeobachtung, aus empirischer Wissenschaft, dokumentiert, katalogisiert, peer-reviewed. Jetzt stellen Sie sich weiter vor: Es handelt sich bei den Adoptiveltern um zwei Männchen. Ein Alarmsignal für konservative Stammtischbiologen, die sich mit Frackträgern im Eis offenbar nur dann wohlfühlen, wenn diese ihre Brutpflege in heteronormativer Ordentlichkeit verrichten – am besten noch mit einem „Mutti brütet, Vati fischt“-Narrativ zum Mitschunkeln.

Doch halt! Die Natur, dieses vermeintlich ordnende Prinzip aller Dinge, spielt in Wirklichkeit ihr ganz eigenes, wildes, queeres Theater – ungefragt, ungefiltert, unzensiert. Von Delfinen, die sich in Unterwasser-Orgien gegenseitig beglücken, über Bonobos, die Konflikte lieber mit erotischer Gymnastik als mit Gewalt lösen, bis hin zu jenen berüchtigten Laysan-Albatrossen, die Jahr für Jahr in lesbischer Harmonie ihre Küken großziehen: Die Liste queerer Tierarten ist länger als das Grundsatzprogramm einer Partei, die verzweifelt versucht, den Unterschied zwischen Biologie und Ideologie zu begreifen.

Und es sind, laut Wissenschaftsjournalist Josh Luke Davis, nicht zehn, nicht hundert, sondern mindestens 1500 Arten, bei denen gleichgeschlechtliche Paarungen, soziale Bindungen und sexuelle Interaktionen beobachtet wurden. Ach was, vermutlich sind es noch viel mehr – man müsste halt mal hinschauen, statt immer nur hinwegzusehen.

Dickhornschafe urinieren im Sitzen – und die Zivilisation fällt in Ohnmacht

Der durchschnittliche Diskurs über queere Identität im Tierreich verläuft immer noch so, als hätte jemand der westlichen Mehrheitsgesellschaft ein Gendersternchen ins Müsli gemischt. Doch was passiert, wenn ein Dickhornschaf – ein Symbol für alpine Männlichkeit, Testosteron in Hornform – plötzlich beschließt, sich ausschließlich für männliche Artgenossen zu interessieren, auf Kampfgehabe zu verzichten und auch noch im Sitzen zu pinkeln? Na, da bleibt doch kein Stein auf dem anderen im Bergmassiv der traditionellen Geschlechterrollen!

Was für den Zoologen eine spannende Beobachtung darstellt – Varianz im sexuellen Verhalten, Diversität in sozialen Strukturen – ist für kulturkonservative Homo-Hasser eine biologische Zumutung. Man kann die Erschütterung fast hören: „Wenn selbst die Schafe…?!“

Die Natur, das wird hier unfreiwillig enthüllt, ist eben kein anthropologisch-kirchlich-abgesegnetes Konstrukt aus Adam, Eva und dem allzeit bereiten Fortpflanzungstrieb. Sie ist unordentlich. Wild. Und ja – queer.

Die Pinguine adoptieren – und die Heteronorm bricht in Tränen aus

Homosexuelle Pinguine adoptieren verlassene Eier. Sie tun das fürsorglich, hingebungsvoll, mit der emotionalen Intelligenz, die man so manchem Homo sapiens wünschen würde, wenn er mal wieder meint, sein eigenes Kind „nur zur Härte zu erziehen“.

Diese Pinguine zeigen, was der Mensch oft nicht erträgt: Dass Liebe, Fürsorge und Bindung nicht exklusiv an Geschlechtsorgane gekoppelt sind, nicht an Reproduktionszwecke, nicht an Gottgefälligkeit, sondern schlichtweg an soziale Nähe, an Bindungsfähigkeit, an – sagen wir es ruhig – emotionale Kompetenz.

Aber wehe, jemand zieht daraus den Schluss, dass auch beim Menschen Geschlecht, Begehren und Familie nicht zwangsläufig aus einem biologischen Monolithen gemeißelt sind. Dann wird es plötzlich „politisch“. Dann schreien sie wieder: „Aber der Mensch ist doch kein Tier!“ – während sie im nächsten Atemzug betonen, wie „natürlich“ das alles doch sei, was sie selbst für richtig halten. Ein kognitiver Spagat, bei dem selbst Bonobos das Seil reißen würden.

Queere Tiere als ideologische Projektionsfläche: Der Mensch, das verunsicherte Raubtier

Nun wäre es allerdings ein Trugschluss, zu glauben, dass all diese queeren Partnerschaften im Tierreich aus demselben Bewusstsein heraus entstehen wie beim Menschen. Tiere veranstalten keine Pride Parades (obwohl: Flamingos könnten das Styling stemmen), sie debattieren nicht über Diskriminierungsschutz und führen keine Twitterkriege über Pronomen.

Doch zu behaupten, dass diese Vielfalt irrelevant sei, weil Tiere keine Gender Studies belegen, ist wiederum der Gipfel anthropozentrischer Selbstbeweihräucherung. Die Existenz queerer Verhaltensweisen bei Tieren widerlegt eben jene billige Erzählung, dass gleichgeschlechtliche Liebe, fluides Begehren oder Geschlechtervielfalt „unnatürlich“ seien.

Sie ist Natur. Punkt.

Der Mensch sieht, was er sehen will – und das meiste sieht er nicht

Wie blind muss man sein, um bei 1500 dokumentierten Arten immer noch „unnatürlich!“ zu rufen? Wie sehr muss man sein Weltbild an die Wand nageln, wenn die Biologie längst anklopft und höflich fragt, ob man nicht doch ein paar Kapitel neu schreiben möchte?

Die Antwort ist: sehr blind. Denn die Natur darf nur dann als Argument herhalten, wenn sie dem Status quo dient. Alles andere wird ignoriert, relativiert, dämonisiert oder mit pseudowissenschaftlichem Getöse bekämpft.

Und so bleibt am Ende die vielleicht schmerzlichste Erkenntnis dieses tierischen Coming-outs: Dass die Natur selbst für mehr Toleranz, Vielfalt und Beziehungsformen offen ist als so mancher Stammtisch. Während Pinguine adoptieren, Albatrosse kooperieren und Bonobos eskalieren, streitet der Mensch weiter darüber, ob queere Identitäten nun ideologische Erfindung oder satanischer Einfluss sind.

Fazit: Der Regenbogen steht längst im Tierreich – der Mensch steht noch im Schatten

Wer immer noch glaubt, queere Lebensweisen seien eine Modeerscheinung der „woken“ Moderne, möge bitte einen Blick auf das nächste Pinguinpaar werfen, das gemeinsam ein Ei ausbrütet – oder auf zwei kuschelnde Delfinmännchen, die im Spieltrieb mehr über Zuneigung verraten als mancher Mensch in einer 50-jährigen Ehe.

Die Natur lacht über unsere Konventionen. Sie tanzt, paart, lebt in Varianten, die weder binär noch normativ sind. Sie ist wild, frei – und, ja: queer.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch der Mensch endlich nachzieht. Oder wie ein Bonobo sagen würde: Lasst uns drüber schlafen.

Hadsch, Halal und High Heels

Die Heilige Unzucht – oder: Wenn die Spende mit Stöckelschuhen klimpert

Es beginnt, wie so viele Grotesken des 21. Jahrhunderts, mit einer Bombe, die nicht im Orient, sondern im Herzen Europas hochgeht – einer spirituell-sprengstoffartigen Enthüllung, die gleichzeitig so banal ist, dass sie fast schon wieder poetisch wirkt. In Wien, wo seit Jahrhunderten das K&K-Wiener-Geflecht aus kaiserlicher Bigotterie und Kaffeehaus-Melancholie gedeiht, hat sich ein Skandal aufgetan, der selbst die durch alle Metropolenschlachten gegerbten Kaffeehausliteraten erblassen lässt: Spenden, gesammelt in Moscheen, in der Hoffnung auf Segen, Vergebung und ein himmlisches Parkticket im Jenseits, wurden angeblich umgewandelt in fleischliche Begegnungen ganz diesseitiger Natur – mit Escort-Damen, auf Deutsch: käufliche Engel ohne Flügel, aber mit Rechnung auf Wunsch.

Nicht etwa islamkritische Kolumnisten oder rechtskonservative Verschwörungsfetischisten tragen diese Geschichte an die Öffentlichkeit – nein, die peinlichsten Enthüllungen stammen von der türkischen Religionsbehörde selbst, jener moralischen Korrekturanstalt, die dem türkischen Präsidenten direkt untersteht. Wenn also Diyanet spricht, dann ist das nicht weniger als das Flüstern Allahs durch den Bart der Bürokratie. Und dieser Allah scheint derzeit sehr unzufrieden zu sein – nicht etwa mit westlicher Dekadenz, sondern mit seinen eigenen, österreichisch-türkischen Funktionären.

Die Pilgerfahrt zur Pimperlounge

Man stelle sich die Szene vor: Freitagmittag, die Moschee gefüllt mit gläubigen Männern, die Hände geöffnet, die Stirnen vom Beten glänzend, während draußen die Spendendosen rasseln. Für den Hadsch, für das Opferfest, für das liebe Jenseits. Und irgendwo in einer Wiener Bar wird mit genau diesen Euros ein Tequila bestellt, stilecht serviert von einer Dame mit BH, aber ohne Burka. Das ist keine Szene aus einem satirischen Netflix-Drehbuch, sondern – so berichten türkische Medien – ein Fall von „Zweckentfremdung“, wie es in der kirchlichen Buchhaltung wohl heißen würde.

Escort-Skandal nennen es die Journalisten. Ich nenne es die Heilige Unzucht, ein Sakrileg auf High Heels. Da wurden Spenden, die eigentlich dazu gedacht waren, Schafe in Mekka zu schlachten oder Bücher über das richtige Reinigen nach dem Gebet zu drucken, offenbar in sogenannte „Dienstleistungen“ investiert, die man schwerlich in einer Fatwa absegnen könnte.

Aber vielleicht war es ja eine Form von Sozialarbeit. Vielleicht war Imam F.M.K. einfach ein sehr fortschrittlicher Seelsorger, der erkannt hat, dass das Seelenheil auch durch körperliche Nähe befördert werden kann. Schließlich ist der Islam, so hört man, eine Religion der Barmherzigkeit – und was ist barmherziger, als einem gestressten Religionsfunktionär den Rücken zu massieren, gegen Spende?

Allah sieht alles – außer den Postenbeschaffer mit Verwandtschaft zur Macht

Natürlich, die Diyanet hat reagiert. Fünf Jahre lang wurde in Wien „ermittelt“. Wobei „ermitteln“ hier mehr nach einem ausgedehnten Urlaub in der Donau-Metropole klingt, bei dem sich die Prüfer großzügig zum Essen einladen ließen. Vielleicht bei Figlmüller. Vielleicht im Swingerclub. Man weiß es nicht. Was man weiß: Der eine oder andere mutmaßliche Täter hatte offenbar verwandtschaftliche Beziehungen in Richtung AKP. Und wie es in autoritär geölten Systemen so üblich ist, wird das familiäre Netzwerk dann nicht für Familienfeste genutzt, sondern für das, was man im osmanischen Verwaltungsjargon „Günstlingsmanagement“ nennt.

Der Skandal wurde deshalb nicht sofort veröffentlicht – sondern erst jetzt, als ihn regierungskritische Medien wie Sözcü an die Öffentlichkeit brachten. Der Verdacht liegt nahe: Man wollte vertuschen. Und wenn die Diyanet fünf Jahre braucht, um herauszufinden, dass Gelder verschwunden sind, könnte das entweder an unfähigen Buchhaltern liegen – oder an sehr fähigen Vertuschern. In jedem Fall: Die AKP-Regierung ist pikiert. Denn wenn selbst die Sünde nicht mehr ordentlich unterdrückt werden kann, was bleibt dann noch vom neo-osmanischen Moralimperium?

Der große schweigende Halbmond

In Wien schweigt man. ATIB, sonst nicht gerade bekannt für sprachliche Zurückhaltung, verschickt kein Statement, keine Pressemitteilung, nicht mal eine halbherzige WhatsApp-Nachricht mit Emojis. Das Schweigen ist laut – so laut, dass man es bis nach Ankara hören kann. Und vielleicht auch bis in die heiligen Hallen der österreichischen Religionsabteilung im Bundeskanzleramt, wo man vermutlich ebenfalls schweigt, weil man weder die Muslime aufbringen, noch die Boulevardzeitungen füttern will.

Es ist die perfekte Farce für ein Zeitalter der Heuchelei. Da wird in Talkshows über Integration gestritten, während im Hintergrund Moscheefunktionäre Spesenzettel frisieren. Da debattiert man über Kopftuchpflicht in Schulen, während Spenden für Beerdigungen in erotische Abenteuer umgewandelt werden. Und da träumt ein Präsident von der moralischen Wiedergeburt seines Volkes – während seine Beamten mit dem Begräbnisfonds der Diaspora den Puff besuchen.

Der Prophet hätte sich im Grab umgedreht – wenn es steuerlich absetzbar wäre

Am Ende bleibt ein Bild zurück, das in seiner Absurdität fast schon wieder tröstlich ist: Da predigt ein Imam die Reinheit des Herzens, während seine Kreditkarte im Stripclub glüht. Da spricht die Diyanet von Disziplinlosigkeit, als ginge es um vergessene Arbeitszeiten – nicht um göttlich sanktionierte Veruntreuung. Und da schweigen die Institutionen, als könne man durch Nicht-Kommunikation moralische Autorität retten.

Aber vielleicht ist genau das die Essenz der modernen Religionsverwaltung: Der Mensch sündigt – und die Verwaltung schreibt eine Quittung. Auf Wunsch mit Mehrwertsteuer.


Fazit:
Wir leben im Zeitalter des moralischen Hochverrats mit halal-zertifiziertem Zynismus. Möge der nächste Spendenskandal wenigstens Quittungen auf Türkisch und Deutsch ausstellen – damit auch das Finanzamt was davon hat.

Viermal abgebrochen – und trotzdem zur Uni

Andreas B.s Bildungsweg zwischen Schlingerkurs und Steigbügelhalterei

Man stelle sich einen Lebenslauf vor wie eine Autobahn: Geradeaus, Richtung Zukunft, nur gelegentliche Baustellen. Andreas B.s Weg hingegen erinnert eher an einen jener rustikal ausgeleuchteten Jahrmarkt-Geisterbahnen, wo man nie genau weiß, ob man am Ende wieder aussteigt oder plötzlich zum Teil der Attraktion wird. AHS Traiskirchen – abgebrochen. HTL Mödling – abgebrochen. Lehre als Betriebsschlosser – abgebrochen. Präsenzdienst – immerhin ein Jahr durchgehalten, aber in einer Institution, wo die Freiheitsgrade bekanntlich geringer sind als die in einer Kirchenorgel.

Man fragt sich: War dies jugendliche Suche oder früh geübte Systemkritik? Pädagogischer Widerstandskämpfer oder einfach nur auf Durchzug geschaltet? B. scheint Bildung eher als etwas erlebt zu haben, das einem wie Regenwetter zustößt – unangenehm, lästig, aber immerhin mit der Chance, dass man später im Wirtshaus etwas zu erzählen hat.

Der schlaue Ausstieg aus der Sackgasse

Doch wie bei jeder Geisterbahn gibt es irgendwann einen Ausgang – und siehe da: Der Weg führte nicht etwa zur Erkenntnis „Vielleicht doch nochmal die Berufsschule?“ sondern, hoppla!, direkt zur Donau-Universität Krems. Kein klassischer Elfenbeinturm, sondern ein ambitionierter Leuchtturm für bildungspolitische Seiteneinsteiger. Dort, wo das Bologna-System nur ein flüchtiger Besucher war und akademische Würden auch ohne Matura verliehen wurden – solange man eben „vergleichbare Qualifikationen“ vorweisen konnte.

Und B.? War Stadtrat in Traiskirchen. Das reichte offenbar. Die Stadt, in der sich sonst bestenfalls Asylquartiere stapeln, wurde zur Startrampe für einen bildungspolitischen Steigflug. Ob das Engagement in der Lokalpolitik tatsächlich eine gleichwertige Qualifikation zu AHS-Matura und universitären Vorstudien darstellt, sei dahin gestellt. Doch in Krems reichte es. Es reichte sogar für einen Master of Advanced Studies. Nicht Bologna-konform, nicht promotionsberechtigt, aber mit lateinischem Titel und allem, was das Prestige-Herz begehrt. Ein akademischer Thermomix, bei dem am Ende etwas Glänzendes rauskommt – auch wenn keiner so genau weiß, was eigentlich drin war.

Die Kremser Hintertür – Türspalt oder Scheunentor?

Die Donau-Uni Krems war zur damaligen Zeit eine Art bildungspolitisches Paralleluniversum. Ein Gesetz aus dem Jahr 2004 erlaubte, dass auch solche Personen aufgenommen werden konnten, die weder Matura noch Berufsausbildung abgeschlossen hatten. Die berühmte „vergleichbare Qualifikation“ – ein Gummiparagraph, so dehnbar wie ein Bundesheer-T-Shirt nach fünf Monaten Kantinendienst.

In B.s Fall lautete die wohlwollende Interpretation: Politisches Engagement. Die weniger schmeichelhafte: Vitamin B, rot eingefärbt. Was in der freien Wirtschaft bestenfalls für eine Schulung zur Arbeitssicherheit gereicht hätte, wurde hier zur Eintrittskarte in einen Masterlehrgang. Ein Fall von „Learning by Networking“. Oder auch: Bildung durch Beisitz.

Die Kritik an diesen Programmen kam nicht erst nach B.s Fall auf, sondern schon während sie ihren fragwürdigen Höhepunkt hatten. Akademische Inflation trifft akademische Improvisation – mit einem Resultat, das ausländische Universitäten kopfschüttelnd zurückließ und heimische Traditionalisten in den literarischen Nahkampf trieb. Verständlich: Wer zehn Jahre Jus studiert, reagiert empfindlich, wenn jemand anders für 16.000 Euro in vier Semestern zum „Master“ aufsteigt – ohne Latein, ohne Prüfung, ohne Stolz und ohne Vorurteil.

Master ohne Masterplan?

Das bringt uns zur Gretchenfrage: Wer hat den Spaß bezahlt? Laut offizieller Lesart hat B. den Studiengang einfach absolviert. Offen bleibt, ob die Stadt Traiskirchen – die damals ohnehin budgetär am Existenzminimum kratzte – das Studium ihres Stadtrats aus Gemeindemitteln sponserte, oder ob der künftige Kanzler aus eigener Tasche bezahlte. Die eine Variante wäre ein Lehrstück in politischer Vetternwirtschaft, die andere eine seltene Blüte privater Investitionsfreude. Beide Varianten wirken ungefähr gleich wahrscheinlich – und gleich unbefriedigend.

Aber wie immer in der österreichischen Innenpolitik gilt: Wenn niemand genauer hinsieht, bleibt alles irgendwie erlaubt. Wenn jemand doch hinsieht – wird das als Majestätsbeleidigung gewertet. Kritik? Gerne, aber bitte nur nach dem dritten Krügerl und mit aufgesetztem Grinsen.

Die Tragikomödie des akademischen Scheins

Am Ende bleibt B.s Bildungsweg ein Stück österreichische Gegenwartsprosa. Nicht stringent, nicht stringent geplant, dafür reich an Abzweigungen, Fußnoten und jener typischen Mischung aus Chuzpe, Improvisation und latentem Größenwahn, die so vielen hiesigen Biografien innewohnt. Es ist ein Weg, der weniger durch Bildung als durch Beharrlichkeit, weniger durch Wissen als durch Willen geprägt ist.

War es ein Durchmogeln? Ja. War es legal? Ebenfalls ja. War es legitim? Nun – das hängt davon ab, ob man Bildung als gesellschaftliche Aufstiegschance oder als symbolische Währung versteht. Für B. war sie beides. Für das Land bleibt der Nachgeschmack einer Bildungspolitik, die gerne mal beide Augen zudrückt, solange das Parteibuch die richtige Farbe hat.

Österreich, du Bildungswunderland

Andreas B.s Geschichte ist nicht nur die Geschichte eines Mannes, der viermal abbrach und trotzdem aufstieg. Es ist die Geschichte eines Systems, das solche Wege überhaupt ermöglicht. Eines Landes, in dem Scheitern keine Schande ist – solange man danach das richtige Rhetorikseminar besucht. In dem jeder zum Master werden kann – solange er die Tür findet, durch die sonst niemand geht.

Oder, um es mit den Worten eines berühmten österreichischen Bildungsministers zu sagen: „Wichtig ist nicht, was du weißt. Wichtig ist, wen du kennst – und was du dir leisten kannst.“

Der Rest ist Dekoration.

Finis Europae – Wie das Recht die Politik entmachtet

Finis Europae – Ein Urteil wie ein Spiegel – doch was zeigt das Glas?

Luxemburg, der letzte Hort rechtlich kodifizierter Weltrettung, hat gesprochen. Mit silberner Zunge, geschliffener Feder und dem gleißenden Pathos römischen Rechts, allerdings in Brüsseler Ausführung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH), jener feine Salon des moralischen Universalismus in Talar und Robe, hat den Staaten Europas eine kleine, juristisch elaborierte Bombe ins politische Zentrum gelegt: Listen sogenannter „sicherer Herkunftsländer“ – also jener naiven Versuch europäischer Regierungen, dem Asylrecht eine Art Eingangskontrolle zu verpassen – sind nur dann zulässig, wenn sämtliche Bewohner des betreffenden Landes nachweislich und quellensicher sicher sind. Samt Hühnern, Ziegen, Schwiegermüttern und Bloggern.

Ein juristisches Meisterstück in der Kunst der impliziten Sabotage: formalistisch korrekt, in der Substanz final. Man höre und staune: Die Einstufung eines Landes als „sicher“ ist nunmehr so aufwendig, so voraussetzungsvoll, so politisch und faktisch unmöglich geworden, dass man sie schlicht unterlassen kann – oder, wie es der moderne Jurist nennt: de facto unmöglich, was in etwa der richterlichen Version des altbekannten „Sie können es ja mal versuchen, aber…“ entspricht.

Richterrecht als Weltverbesserung – made in EU

Man kann sich den Vortrag im Plenarsaal des Gerichts lebhaft vorstellen: Eine glänzende PowerPoint-Präsentation, Kapitelüberschrift: “Sicherheit ist nicht teilbar.“ Gefolgt von einem Zitat Hannah Arendts, vielleicht ein wenig Jürgen Habermas, dann die Fußnoten, viele Fußnoten – und voilà: kein Staat der Erde, außer Liechtenstein, wird je wieder ein sicherer Herkunftsstaat sein. Selbst die Schweiz müsste sich warm anziehen: man denke nur an die notorische Diskriminierung von Steuerflüchtlingen.

So wird Recht zur Philosophie und Philosophie zur Politik – und Politik? Die ist dann halt einfach überstimmt worden. Vom Gericht. Vom Geist Europas. Vom besseren Menschen. Vom ethischen Jurisdiktionsimperium.

Das französische Asylgericht – avantgardistisch wie die Revolution

Als hätten sie sich abgesprochen, synchronisieren sich Europas Gerichtshöfe auf verblüffende Weise. Während der EuGH mit bürgerlich-kühler Abstraktion ganze Staatslisten ausradiert, bekennt sich das Cour nationale du droit d’asile (CNDA) in Frankreich zur Maximalvariante humanitärer Fortschrittsjurisprudenz: Palästinenser aus dem Gazastreifen gelten – pauschal – als asylberechtigt.

Nicht „könnten“, nicht „unter Umständen“, sondern „sind“. Weil, und jetzt kommt’s, die israelischen Kriegsmaßnahmen „die gesamte Zivilbevölkerung direkt und willkürlich treffen“. Eine bemerkenswerte Wendung – nicht juristisch, sondern polit-theologisch. Denn damit genügt das Palästinensischsein selbst als Beweis der Verfolgung. Das ethnische Sein ist das politische Argument. Der Flüchtlingsstatus wird so zu einer Frage der Nationalität. Oder genauer: der Zuschreibung einer strukturellen Unschuld.

Ein Passierschein aus Fleisch und Blut.

Asylrecht als Einwanderungsrecht – das große Missverständnis

Wer jetzt noch glaubt, Asyl sei ein Schutzrecht für individuell politisch Verfolgte, für jene, die von Geheimdiensten gejagt, gefoltert oder mundtot gemacht werden, lebt in der Vergangenheit. Asyl ist heute: geopolitisch-ethische Kompensation. Wer aus einem Land kommt, in dem Bomben fallen, Menschenrechte als Lifestyle-Option gelten oder das Internet zensiert wird, ist im Zweifel schutzwürdig – unabhängig von persönlicher Biografie oder Handlung.

Die Grenze zwischen Verfolgung und Betroffenheit? Sie existiert nicht mehr. Die Parole lautet: „Wenn du Pech hattest, bekommst du Schutz.“ Eine Art Soziallotterie im völkerrechtlichen Gewand. Die Genfer Flüchtlingskonvention wird zur Bühne für ein moralisches Weltbürgertum ohne Vetorecht der Realpolitik.

Migrationsrecht als Ersatzreligion

Kritiker – also jene hässlichen, ewigen Spielverderber – sprechen von Kontrollverlust, Sogwirkung und Systemversagen. Aber sie verstehen das neue Evangelium nicht. Die Gerichte sprechen keine Urteile mehr im Namen des Volkes, sondern im Namen der Menschheit. Die Justiz als Heilsbringer, die Migration als Sakrament.

Das Abendland, einst durchzogen von Recht, Grenze, Souveränität, glaubt heute an das Recht auf Mobilität. Grenzen sind Gewalt, Staatsgrenzen gar Kolonialrelikte, Identitäten Konstrukte und „Abschiebung“ der neue Faschismus. Was bleibt, ist die unbegrenzte Aufnahmepflicht – richterlich sanktioniert, moralisch beglaubigt, faktisch alternativlos.

Europa – das postnationale Experiment in Auflösung

Man stelle sich die Szene im Ministerrat vor: Innenminister mit Sorgenfalten, Parteivorsitzende mit sinkenden Umfragewerten, Sicherheitsdienste mit Alarmberichten – und dann: das Urteil aus Luxemburg. Man sieht förmlich, wie die nationalen Entscheidungsstrukturen implodieren. Ein Urteil, härter als jede Wahl. Denn was nützt das Gesetz, wenn das Gericht entscheidet, dass es nichts mehr gilt?

Europa ist nun also endgültig: nicht abschiebbar. Nicht in sichere Länder, nicht in gefährliche, nicht in die Herkunft, nicht in die Zukunft. Und nicht in die Wirklichkeit. Die Idee der kontrollierten Einwanderung, jenes idealistische „Ja, aber…“ der liberalen Mitte, wurde juristisch ausgehebelt. Wer kommt, bleibt. Wer bleibt, klagt. Wer klagt, gewinnt.

Die Pointe: Menschenrechte als Einbahnstraße

Dass das alles nicht böse gemeint ist, macht es nur noch tragischer. Es ist der Versuch, das Gute mit Gewalt durchzusetzen – aber eben nicht mit brutaler, sondern mit juristischer Gewalt. Paragrafen statt Panzer. Richter statt Räumkommandos. Der Rechtsstaat als Reparaturbetrieb der Weltpolitik. Doch wie jeder weiß, der einmal in einem echten Reparaturbetrieb war: Irgendwann ist auch das beste Gerät einfach irreparabel.

Willkommen in Europa, dem einzigen Kontinent, der sich selbst abschafft – im Namen des Rechts.

Ende gut, Europa aus.

Vom Wirtschaftswunderland zum Abschaltland

Deutschland, einst Schrittmacher der Moderne, hat sich entschlossen, sich selbst zur Ruine seiner industriellen Vergangenheit zu dämmern. Was früher als „Exportweltmeister“ gefeiert wurde, wird heute als „energiepolitisches Versuchslabor mit Hang zur Selbstverstümmelung“ bestaunt – von außen. Von innen hingegen betreibt man das Geschäft mit der Selbsttäuschung, als sei es ein Volkssport. Man nennt es Transformation, dabei ist es ein kontrollierter Sturzflug in ein postindustrielles Niemandsland, in dem nur noch Ideologie blüht – und die Stromrechnung. Beides unbezahlt.

Die Realität, dieses schmerzhaft nüchterne Biest, zeigt unterdessen Zähne: Unternehmen flüchten, Investitionen verdampfen, und das Land, das sich gerne als globales Vorbild inszeniert, steht zusehends allein da – mit seiner grünen Toga, dem moralisch gereckten Zeigefinger und dem leeren Produktionsstandort.

Energieschock als Dauerdelirium: Wenn die Steckdose zum Luxusgut wird

Strom in Deutschland ist inzwischen nicht mehr nur teuer, sondern ideologisch aufgeladen wie ein Silvesterfeuerwerk im Veganerhaushalt: gefährlich, verpönt und am Ende verboten. Die Energiewende, jenes große Narrativ deutscher Selbstheiligung, ist längst keine politische Strategie mehr, sondern eine quasireligiöse Ersatzhandlung – mit CO₂ als Erbsünde und dem grünen Wasserstoff als sakramentaler Hoffnungsträger. Doch während die Gläubigen noch beten, ziehen die Industrien weiter.

45 Prozent der stromintensiven Betriebe sagen: Es reicht. Und der Rest schweigt, weil er längst packt. Wer heute in Deutschland produziert, tut das nicht, weil es sinnvoll ist, sondern weil er zu langsam war, einen Alternativstandort zu finden. Die Energiewende ist nicht gescheitert, sie hat ihren Zweck erfüllt – nämlich die systematische Entwertung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit unter dem Deckmantel der Klimavorreiterrolle.

Subventionen als Schmerzmittel: Der Morphinplan für ein krepierendes System

Das politische Berlin, dieser grüne Salon der Weltverbesserung, hat natürlich eine Lösung für den Exodus der Industrie: Geld. Viel Geld. Noch mehr Geld. Geld für Halbleiter, für Wärmepumpen, für Batteriezellen, für alles, was nicht laufen will, aber laufen soll. Man nennt es „Standortsicherung“. In Wahrheit ist es das industrielle Hospizprogramm für eine sterbende Wertschöpfungskette. Der Staat wird zum Gönner einer Industrie, die er vorher selbst mit Bürokratie, Abgabenlast und Energiepreiswahnsinn an die Wand gedrückt hat.

Und während Minister Habeck mit rollender Investitionskutsche durch die Republik zieht, um Elektrofabriken zu segnen, bleiben die Hallen der traditionellen Industrie leer. Denn Maschinenbauer und Chemieriesen kriegen keine Kamera, keinen Applaus – nur Kosten. Das Subventionssystem belohnt nicht Wettbewerbsfähigkeit, sondern Abhängigkeit. Es züchtet keine Zukunft, sondern Zombies.

Der große Exodus: Wenn Innovation den Koffer packt

Deutschland, das Land der Denker, Dichter und Dokumentationspflichten, hat es geschafft: Forschung und Entwicklung werden zum Risiko. Nicht etwa, weil es an Talenten oder Ideen mangelt – sondern weil jede neue Idee hier unter dem Gewicht ihrer Genehmigungsauflagen kollabiert. Investieren? Nur mit Umweltverträglichkeitsprüfung, Brandschutzkonzept, Diversitätsnachweis und der Zustimmung des Ordnungsamtsvorsitzenden im Sabbatjahr.

Es ist die perfekte Symbiose aus Fortschrittsrhetorik und Fortschrittsverhinderung – eine Gesellschaft, die Zukunft predigt, aber nur Vergangenheit duldet. Und so wandert die Innovation dorthin, wo sie willkommen ist. Wo der Strom fließt, statt zu missionieren. Wo man Forschung betreibt, um Märkte zu gewinnen – und nicht, um Förderprogramme abzugreifen.

Globale Häme, nationale Arroganz: Die Energiewende als Exportlüge

Der Weltenergierat reibt sich die Augen. Europas Nachbarn schütteln den Kopf. Zwei Drittel der internationalen Experten glauben nicht an Deutschlands Klimaziele – und die andere Hälfte lacht nur noch höflich. Doch anstatt die Kritik als Chance zur Selbstkorrektur zu verstehen, erhebt sich in Berlin die nächste Wortmeldung: „Wir müssen es nur noch ambitionierter machen.“ Als könnte man die Thermodynamik mit Ambition überlisten.

Deutschland hat die Klimapolitik verinnerlicht wie ein Messiaskomplex. Man will nicht nur retten, man will dafür bewundert werden – und sei es im Alleingang. Die Realität der Industrie zählt da nicht. Produktion gilt als Schmutzarbeit, Effizienz als Kapitalistensünde, und wer auf Rendite pocht, wird zur Unperson erklärt. Die Energiewende ist kein Modell, das exportiert wird. Sie ist ein Mahnmal – aus Beton, Windradfragmenten und Insolvenzpapieren.

Deutschland, dein Amt: Wenn der Feind im Formular sitzt

Währenddessen werkelt die Bürokratie weiter an ihrem Meisterwerk: der vollständigen Entmutigung des unternehmerischen Geistes. Noch nie war es so schwer, so wenig zu erreichen. Willst du ein Kraftwerk bauen? Vergiss es. Willst du investieren? Warte fünf Jahre. Willst du einfach nur arbeiten? Füll bitte diese 17 Formulare aus, beglaubigt, gestempelt, zweifach in Papierform, Umweltbilanz inbegriffen.

Die Verwaltung ist kein Dienstleister mehr, sondern ein Ordnungsfetischist, ein formalisierter Gegner der Effizienz. Und während sich Start-ups fragen, wie man den Mittelstand digitalisieren könnte, versendet das Finanzamt Mahnungen auf Papier – per Brieftaube. Willkommen im Fortschrittsstandort 2025, dem Land der verlorenen Hebelwirkung.

Deutschland, du hast es besser gewusst – aber dich dafür entschieden, es zu ignorieren

Man kann ein Land nicht auf Dauer gegen seine ökonomische Basis regieren. Aber man kann so tun, als ob. Man kann Energie verteuern, Bürokratie erhöhen, Investitionen abschrecken, Steuern anziehen, und sich dann wundern, dass niemand mehr kommt. Und dann kann man „Fachkräftemangel“ sagen. Oder „Demografie“. Oder „Zeitenwende“. Alles Begriffe, die kaschieren sollen, was tatsächlich geschieht: Eine wirtschaftliche Selbstdegradierung im Namen einer Vision, die längst in sich selbst kollabiert ist.

Was bleibt, wenn alles geht? Ein leerer Standort, voller guter Absichten. Ein Land, das Weltmaßstäbe setzen wollte – und dabei vergessen hat, den Stecker nicht zu ziehen.

Die Karriereleiter als Drehtür

– und der Steuerzahler hält die Tür auf

Es war einmal ein Beamter. Nicht irgendeiner. Einer mit Doppelkinn, Brillenrand und der Überzeugung, dass Digitalisierung vor allem dann gut ist, wenn sie ordentlich budgetiert wird. Gottfried Ludewig – ein Name, den man sich nicht merken möchte, aber muss, weil er wie eine Zutat aus dem Rezeptbuch der deutschen Digitalbürokratie schmeckt: blass, aber durchdringend. Der Mann, der einst dafür zuständig war, den Staat mit technologischem Neuland zu impfen, hat heute beim Profiteur jener Injektion unterschrieben. Das nennt man Karriere. Oder: das symbiotische Verhältnis von Staat und Konzern im Kleid der Krise.

Was nach Kabarett klingt, ist deutscher Verwaltungsalltag: Die Drehtür zwischen Regierung und Industrie steht offen wie das WLAN eines CDU-Ortsverbands – und wer sich schnell genug dreht, landet weich im Lobbysofa. Die Pandemie war dabei weniger Katastrophe als Gelegenheit: ein Prüfstand für die Elastizität ethischer Grundsätze und die Biegsamkeit ministerieller Integrität. Ludewig hat diesen Test nicht nur bestanden – er hat ihn designt.

Vom digitalpolitischen Sachwalter zum steuerfinanzierten Türöffner

Es beginnt, wie alles beginnt in Deutschland, mit einem Ausschuss, einem Konzeptpapier, und dem Versprechen: „Diesmal machen wir es anders.“ Tatsächlich wurde alles anders – denn diesmal wurde gleich gar nichts ausgeschrieben. Die Corona-Warn-App: ein Projekt, das man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte, bevor man sich über Berliner Bauprojekte empört. SAP und T-Systems bekamen den Auftrag direkt – nicht etwa, weil sie die besten Anbieter waren, sondern weil sie die einzigen waren, die gefragt wurden. Eine Auswahl unter Ausschluss aller Alternativen. Ein Verfahren, das Juristen unter normalen Umständen „rechtswidrig“ nennen, in Notzeiten aber „alternativlos“.

Man darf fragen, was mit einem Staatswesen passiert, das bei Sturm den Kompass über Bord wirft und sich stattdessen auf die GPS-Daten der Großindustrie verlässt. Die Antwort liefert Ludewig selbst: Er steuert heute jenes Schiff, das er gestern noch vom Rettungsboot aus betankt hat.

Der digitale Komplex – oder: Wie man aus Steuergeld Zukunft bastelt

Zahlen lügen nicht – sie schütteln nur hin und wieder den Kopf. Von ursprünglich 20 Millionen Euro schraubten sich die App-Kosten auf über 214 Millionen. Das ist nicht einfach teuer. Das ist organisiertes Vertrauen. Vertrauen in eine Verwaltung, die dem Bürger erklärt, warum Faxgeräte im Gesundheitsamt noch immer Systemrelevanz besitzen, während sie gleichzeitig Millionen überweist, um Bluetooth-Begegnungen zu loggen, die niemand mehr nachvollziehen kann.

Dass ausgerechnet Deutschland, Heimat des Datenschutzes und der aktenheftenden Gründlichkeit, sich in einem digitalen Schnellschuss ohne jede Ausschreibung an SAP und T-Systems kettet, ist kein Skandal mehr. Es ist ein Symptom. Das Land, das am liebsten alles prüft, bevor es geprüft wird, hat in der Krise das Prüfen selbst ausgesetzt – zugunsten eines reflexhaften Vertrauens in die großen Namen. Vielleicht, weil man dort wenigstens jemanden kennt, der zurückruft.

Compliance als Witzfigur – Die neue Ernsthaftigkeit der Nebelkerze

Natürlich war alles legal. Irgendwie. Natürlich gab es Gutachten, Stellungnahmen, Rahmenbedingungen. Doch zwischen Paragraphen und politischen Bekundungen liegt die moralische Leerstelle, die das Ganze zur Farce macht. Denn das Problem ist nicht der Regelbruch – das Problem ist die Regel selbst.

Dass Beamte wie Ludewig nicht unter die Karenzzeit fallen, ist kein Versehen. Es ist Absicht in ihrer reinsten Form. Der Staatsapparat schützt nicht das Gemeinwohl, sondern seine Struktur: Hierarchien, Einflussketten, Machttransfers. Die moralische Integrität bleibt dabei auf der Strecke wie eine Maske im Bordbistro.

Dass Ludewig heute bei T-Systems sitzt, ist daher kein Fehler im System – es ist das System. Eine Governance, die vorgibt, unabhängig zu sein, während ihre Architekten sich längst für die Zeit danach positionieren. Posten werden nicht verlassen, sie werden gewechselt wie die Farbe auf dem Ministeriumsflur: von Beige zu Telekom-Magenta.

Satire am Rande des Realismus – Oder: Wenn Kafka Projektleiter wird

Es ist ein feines Paradox, dass die Corona-Warn-App, Symbol deutscher Digitalambition, heute eher als Mahnmal funktioniert – nicht etwa für technischen Misserfolg, sondern für politische Normalität. Die eigentliche Infektion war nicht das Virus, sondern das unkritische Einverständnis, mit dem eine ganze Gesellschaft hinnahm, dass Milliardenverträge unter dem Deckmantel der Effizienz vergeben wurden – in Hinterzimmern, an Freunde, ohne Nachfragen.

In einem Land, das sich an Bürgerdialogen über Tempolimits berauscht, in dem jede Kachel im Schulgebäude dokumentiert werden muss, war ausgerechnet bei der teuersten App-Entwicklung der Republik kein Platz für Transparenz. Ludewig hat das zu verantworten – und profitiert davon. Ironischerweise wäre er heute als Mitarbeiter von T-Systems genau nicht mehr zuständig für das Projekt, das er einst ins Leben rief. Er muss es nicht mehr sein – er war es ja bereits.

Fazit: Demokratie im Blindflug – und niemand am Steuer

Wenn man heute auf die Causa Ludewig blickt, bleibt nur ein zynisches Kopfnicken. Natürlich hat niemand etwas falsch gemacht. Natürlich wurde alles ordentlich dokumentiert. Natürlich gab es keinen Verstoß – weil es keine Vorschrift gab, die man hätte verletzen können. Willkommen in der neuen deutschen Post-Integrität: Alles korrekt, nichts in Ordnung.

Gottfried Ludewig ist kein Einzelfall. Er ist der Prototyp. Der Beamte als Konzernpilot, der Technokrat als Vermittler, der Krisenmanager als Profiteur. Sein Wechsel zur Telekom ist kein Skandal. Es ist ein Lehrstück. Und wie bei jedem guten Theaterstück fragt man sich am Ende: Wer hat das eigentlich geschrieben?

Spoiler: Es war niemand – das Drehbuch hat sich selbst verfasst.

Und wir alle hatten Sitzplätze in der ersten Reihe.

Mahlzeit Halal.

Vom heiligen Wurstverzicht im Namen der Vielfalt

Gelsenkirchen. Gesamtschule Erle. Am Rand der Republik, im Herzen der Realität. Was einst das Ruhrgebiet war, ist heute ein Spiegel der großen gesellschaftlichen Experimente – und wie jedes gute Experiment beginnt auch dieses mit dem Essen. Oder besser: dem Weglassen davon. Schwein, wohlgemerkt. Ein Tier, dem man in diesen Tagen mit mehr moralischer Empörung begegnet als manchem Despoten.

„Muttis Küche“ übernimmt also die Verpflegung, und Mutti ist jetzt halal. Ein Wort, das für die einen Reinheit bedeutet, für die anderen Rückschritt, für viele aber einfach nur: kein Schnitzel mehr. Die Schule verkündet die Neuigkeit mit der Euphorie eines Werbetextes: Vielfalt! Qualität! Nachschlag! Wasser! Dass man einst mit solchen Versprechen Kolonien errichtete, sei nur am Rande erwähnt.

Der große Gleichmacher: das Ausbluten

Das Tier muss bluten. Komplett. Das ist die Regel, und Regeln machen Gesellschaften. Sie schreiben sich nicht nur in Speisepläne, sondern in Weltbilder. Und Weltbilder, wie wir wissen, sind so etwas wie Religionen ohne Beipackzettel.

Doch keine Sorge: Es handelt sich nicht um eine Islamisierung! Sondern um „Inklusion“. Ein Wort, das in der deutschen Bildungspolitik seit Jahren als Trostpflaster auf jede offene Wunde geklebt wird. „Inklusiv“ bedeutet neuerdings, dass alle das essen, was einige dürfen – und nicht mehr das, was alle könnten. Die Frage, wer hier eigentlich wen inkludiert, bleibt wie der Schweinebraten: außen vor.

Schweine raus, Vielfalt rein – die neue Küchenethik

Früher hatte man Prinzipien. Heute hat man Profile. Und die Gesamtschule Erle möchte offenbar ein besonders buntes: diversitätssensibel, klimafreundlich, halal. Die Schulkantine als moralische Wetterstation. Nur dass hier nicht das Wetter wechselt, sondern der Ethos: Wo einst der Hausmeister mit der Fleischwurst die Maßlatte war, wird heute das Schaf geschächtet – ach nein, natürlich: nach allen Regeln der „Verfahrensethik unter Berücksichtigung religiöser Normativität“.

Wichtig sei, so betont die Schule, dass sich niemand ausgeschlossen fühle. Und wer sich ausgeschlossen fühlt, weil er nicht halal will? Tja. Toleranz ist schließlich keine Einbahnstraße. Sie ist ein Verkehrskreisel, in dem man so lange fährt, bis man das richtige Weltbild gefunden hat.

Der Preis der Vielfalt: Uniformität

Wer die Vielfalt will, muss auf Vielfalt verzichten. Klingt paradox, ist aber System. Die neue Kantine ist ein Abbild der großen gesellschaftlichen Vision: Integration durch Verzicht. Die Mehrheit passt sich an, damit die Minderheit nicht aneckt. Ein Schweinswürstchen wäre da schließlich schon fast ein diplomatischer Zwischenfall.

Man stelle sich vor: ein einsames Würstchen in der Auslage. Es würde Blicke provozieren, Diskussionen auslösen, vielleicht sogar ein Leserbrief in der Lokalzeitung. Man käme nicht mehr zur Ruhe. Viel einfacher, man lässt es einfach weg. Das ist nicht nur konfliktvermeidend, sondern auch kalorienarm.

Moral mit Soße – und veganer Alternative

Dass es täglich auch vegetarische Alternativen gibt, ist ein Trost. Für jene, die mit dem Fleisch ohnehin hadern. Für die anderen bleibt die Nudelbar – ein kulinarisches Äquivalent zur Neutralität: fade, ungefährlich, völlig unpolitisch.

Doch selbst die Salatbar ist nicht mehr frei von Ideologie. Wo früher Tomaten lagen, liegt heute „gelebte Toleranz“. Wo einst Mais war, ruht nun „Respekt gegenüber religiösen Praktiken“. Das Dressing: eine Vinaigrette aus schlechtem Gewissen und sozialpädagogischem Zwang.

Was bleibt? Die große, kleingekochte Geste

Was also sagt uns dieser Schritt? Er sagt: Es geht nicht ums Essen. Es geht um Haltung. Um die sichtbare Demonstration des guten Willens. Um die performative Abkehr vom Schwein als Symbol der provinziellen Engstirnigkeit. Der neue Speiseplan ist kein Menü – er ist ein Manifest.

Aber Vorsicht: Wer einmal angefangen hat, das Essen zu politisieren, wird bald feststellen, dass der Hunger keine Moral kennt. Schüler, die mit Chicken Nuggets groß wurden, fragen sich nicht, ob das Tier mit Blick nach Mekka fiel. Sie wollen einfach satt werden. Der Rest ist Schweigen.


Nachtrag aus dem Lehrerzimmer
Ein Lehrer mit Hang zum Sarkasmus soll es auf den Punkt gebracht haben:

„Wenn demnächst auch der Unterricht halal wird, bring ich mein eigenes Schulbuch mit.“

Man darf gespannt sein. Bis dahin: Guten Appetit. Oder: Bismillah.

Von der Grünen Jugend zur Grünen Armee Fraktion?

über die infantile Radikalisierung, politische Hybris und die ewige Versuchung der moralischen Selbstermächtigung

Vorspiel in Grün: Wenn Idealismus zum Karneval der Eitelkeiten wird

Die Revolution trägt Turnschuhe und genderneutrale Pronomen. Ihre Banner wehen nicht mehr rot, sondern biozertifiziert grün, mit einem Hauch von Pastelllila und einem regenbogenfarbigen Aufnäher gegen Diskriminierung. Einst marschierten sie mit Rosa Luxemburg-Zitaten auf Transparenten durch Berlin-Kreuzberg, heute twittern sie mit dem Furor eines digitalen Robespierre gegen alles, was rechts von der eigenen Gesinnungsblase existiert. Und inmitten dieser Welt aus Ironie, Emojis und heiligem Ernst erhebt sich Jette Nietzard, Vorsitzende der Grünen Jugend, als neue Jeanne d’Arc des deutschen Antifaschismus – allerdings ohne Rüstung, dafür mit Mikrofon, Podcast-Abo und einem gefährlichen Hang zur melodramatischen Selbstüberhöhung.

Ihre jüngsten Aussagen zum Thema „Widerstand“ gegen eine mögliche AfD-Regierung im Jahr 2029 lesen sich wie ein Mash-up aus einem schlecht redigierten Polit-Thriller und einer dilettantischen Revolutionssimulation. Die Frage „mit Waffen?“ steht da auf einmal im Raum, fast so nonchalant ausgesprochen wie die Frage nach Hafermilch oder Soja im Cappuccino. Und während man sich fragt, ob das jetzt eine pubertäre Provokation oder ein authentischer Ernstfallposten der Apokalypse war, beginnt das demokratische Deutschland, genervt die Stirn zu runzeln.

Gesinnungstheater mit Pyrotechnik: Von der Symbolpolitik zur semantischen Eskalation

Es ist nicht neu, dass sich politische Jugendorganisationen als moralisches Korrektiv ihrer Mutterparteien gerieren – das ist sogar ihre ureigenste Aufgabe im demokratischen Spektrum. Doch was sich hier abzeichnet, ist keine jugendliche Mahnung, sondern eine gefährlich unscharfe Radikalisierungsfantasie, die sich an der Grenze zum demokratischen Abgrund tänzelnd gefällt.

Nietzard stellt Fragen, die an sich berechtigt wären – in einem anderen Tonfall, in einem anderen Kontext, mit einem anderen Ernst. Doch sie formuliert sie in einem Sound, der nicht nach demokratischer Wachsamkeit klingt, sondern nach ästhetisiertem Widerstandslustspiel. Es geht nicht um Analyse, sondern um Affekt. Nicht um Argumente, sondern um Attitüde. „Wären wir bereit, Menschen zu verstecken?“ – so floskelt sie ins Mikrofon, als wäre sie Hauptdarstellerin einer Netflix-Serie über den deutschen Untergrund im Jahr 2030. Man sieht förmlich die Schwarz-Weiß-Ästhetik, den Soundtrack von Hans Zimmer und das entschlossene Flüstern im feuchten Kellergewölbe: „Wir sind die letzte Bastion der Menschlichkeit.“

Die Doppelmoral der Apokalyptiker: Demokratie nur, wenn sie grün wählt?

Was an dieser Debatte so perfide ist, ist die moralische Asymmetrie, mit der hier gearbeitet wird. Wer die AfD – vielleicht zu Recht – als Gefahr für die Demokratie beschreibt, aber gleichzeitig laut darüber nachdenkt, mit undemokratischen Mitteln gegen eine demokratisch gewählte Regierung vorzugehen, verstrickt sich in einen Zirkelschluss des autoritären Antiautoritarismus.

Der Tabubruch liegt nicht allein in der Formulierung, sondern in der unbedarften Selbstverständlichkeit, mit der diese Formulierung in den Raum geworfen wird. Dass Nietzard keine konkrete Antwort hat, ist fast schon nebensächlich – entscheidend ist, dass sie die Frage überhaupt stellt. Nicht aus Notwehr, nicht aus akutem Handlungsdruck, sondern aus einer ideologischen Vorfreude auf den Ernstfall. Der Gedanke an den Widerstand – möglichst dramatisch, möglichst heroisch – ist längst zu einer identitätspolitischen Ersatzreligion geworden.

Die RAF im Schatten der Regenbogenflagge?

Natürlich: Jette Nietzard hat nicht zu Gewalt aufgerufen. Sie hat sie nur vage imaginiert, in den Raum gestellt, hypothetisch gedacht. Aber genau hier liegt der feine, toxische Unterschied. Die RAF begann auch nicht mit Bomben, sondern mit einem Gefühl moralischer Überlegenheit gegenüber dem „Schweinesystem“. Mit der Überzeugung, dass man – als kleine Avantgarde – das Richtige tut, auch wenn man dafür das Falsche tun muss.

Man täte gut daran, solchen Gedanken schon im Keim zu widersprechen. Denn Geschichte wiederholt sich nicht – aber sie reimt sich, wie Mark Twain sagte. Und der Sound, der da aus den Interviews mit Nietzard zu vernehmen ist, erinnert fatal an eine intellektuelle Vorstufe zum bewaffneten Dogmatismus. Wenn demokratische Prozesse nur dann akzeptiert werden, wenn das „Richtige“ dabei herauskommt, ist man nicht mehr Demokratin, sondern eine Fundamentalistin mit Biotütchen.

Der Ernst der Lage: Ja, die AfD ist eine Gefahr – aber nicht das einzige Problem

Die AfD ist in ihrer jetzigen Form rechtsextrem, illiberal und demokratiezersetzend. Ihre Regierungsbeteiligung wäre ein Schock für die Republik, eine tektonische Verschiebung des politischen Koordinatensystems. Aber genau deshalb braucht es als Antwort keine rhetorisch bewaffnete Jugendbewegung, sondern die besonnene Stärke einer wehrhaften Demokratie – mit offenen Augen, klarem Kompass und festen Prinzipien.

Was es nicht braucht, sind pseudo-heroische Phantasien über Untergrundwiderstand, über Waffen, über das Verstecken von Menschen. Solche Aussagen sind nicht nur politisch brandgefährlich – sie sind auch ein Geschenk an die AfD. Denn sie erlauben es ihr, sich als Opfer einer linksradikalen, autoritär durchdrungenen Elite zu inszenieren. Wer also wirklich gegen Rechts kämpfen will, sollte aufhören, dem Gegner das Narrativ zu liefern.

Schlussbild mit Ironie: Revolution? Nein danke, ich habe schon einen Kompost

Am Ende bleibt das Bild einer Politikerin, die ein Feuer entzünden wollte – und stattdessen nur Nebel erzeugt hat. Die sich selbst als Mahnerin gegen die Barbarei sieht, aber im Pathos ihrer eigenen Vorstellung untergeht. Der Weg in die politische Relevanz führt nicht über Instagrammable Revolutionsrhetorik, sondern über reale Arbeit an den demokratischen Strukturen, so mühsam und unspektakulär sie auch sein mag.

Wer heute mit rhetorischen Waffen jongliert, darf sich nicht wundern, wenn morgen die Demokratie auf der Streckbank liegt. Die grüne Jugend sollte sich entscheiden, ob sie Zukunft gestalten oder Fiktionen bewohnen will. Revolution ist kein Rollenspiel. Und der demokratische Diskurs keine Bühne für hypermoralisches Theater.

Denn eines ist klar: Wer im Namen des Guten das Schlechte denkt, wird am Ende nicht der Retter der Republik, sondern nur ihr tragikomischer Fußnotenkomparse.

Willkommen im Schacht: Sie glauben, Sie buddeln sich nach oben

„Sie sind kein Kapitalist, Sie sind ein ausgebeuteter Arbeiter mit Stockholm-Syndrom“

Beginnen wir mit einem Selbstbetrug, der so universal ist wie Zahnschmerzen und genauso unerträglich, wenn man ihn einmal ernst nimmt: Der Glaube, durch genug Arbeit, Cleverness oder Zufall vom geknechteten Lohnabhängigen zum Kapitalisten aufzusteigen.

Das ist ungefähr so plausibel wie die Hoffnung, durch ausreichend langes Treten im Hamsterrad irgendwann den Horizont zu erreichen. Sie strampeln – das ist sichtbar. Sie schwitzen – das ehrt Sie. Aber Sie bewegen sich nicht. Und das sollen Sie auch gar nicht.

Denn Ihre ganze Existenz – Ihre Angst, Ihr Ehrgeiz, Ihre Restillusion – ist Treibstoff für die Maschine. Sie denken, Sie arbeiten für sich. Tatsächlich aber sind Sie Biomasse in einer gigantischen Ökonomie der Hoffnung, aus der Rendite gepresst wird wie Saft aus halbverwestem Obst.

Ihr ETF-Sparplan ist nicht Ihre Eintrittskarte in die Welt der Besitzenden. Er ist das Lutschbonbon, das man Ihnen gibt, während man Sie langsam in siedendem Wasser kocht.

Sie denken, Sie haben Optionen – und das macht Sie erst recht zum Sklaven

„Niemand zwingt mich zu diesem Job“, sagen Sie – und das ist das Tragischste an allem: Ihre freiwillige Knechtschaft.

Denn je mehr Optionen Sie vermeintlich haben, desto größer Ihre Scham, dass nichts daraus wird. Es ist das Paradox der Freiheit: Niemand hält Sie fest, und doch kommen Sie keinen Millimeter voran. Sie tragen keine Ketten – aber Ihre Mietkosten, Ihre Versicherungen, Ihre Altersarmutsparanoia wirken präziser als jedes mittelalterliche Folterinstrument.

Und so optimieren Sie sich selbst: für eine Karriere, die nie kommt, für Gehaltserhöhungen, die nie reichen, für Anerkennung, die in Form von „Super Job, weiter so“-E-Mails daherkommt. Sie machen Weiterbildung, weil Sie glauben, Sie seien nicht gut genug – und nicht, weil das System Ihnen nie erlaubt hat, genug zu sein.

Ihre Mühe ist nicht edel. Sie ist tragikomisch.

Ihre Verehrung ist pathologisch – und Ihr Chef weiß das

Sie sprechen über Ihre Vorgesetzten, als wären sie Halbgötter. Sie erzählen Freunden, dass der CEO „echt bodenständig“ sei. Dass er Ihnen auf der Betriebsfeier ein Bier angeboten habe.

Gratulation. Die Elite reicht Ihnen Brosamen – und Sie klatschen Beifall wie dressierte Zirkusaffen.

Sie sind emotional investiert in ein System, das Ihnen jederzeit ins Gesicht spucken würde, wenn es die Profitrate steigert. Und damit kein Aufschrei kommt, werden Sie gefüttert mit Corporate-Märchen: „Diversity“, „Teamspirit“, „Work-Life-Balance“. Alles Fassaden. Alles Theater.

Ihr Chef ist kein Mentor. Er ist ein Funktionär des Systems, das Sie ausbluten lässt – mit einem Lächeln und einem Wellness-Gutschein zum Quartalsziel.

Sie glauben, der Kapitalismus belohnt Fleiß – er belohnt Erbschaften

Sie schuften. Tag für Tag. Und was bringt’s? Ein bisschen Status. Eine bessere Zahnbürste. Vielleicht mal Business-Class, wenn Meilenaktionen laufen.

Der Kapitalismus, so wurde Ihnen gesagt, ist meritokratisch. Wer sich anstrengt, gewinnt. Doch schauen Sie sich um: Die Gewinner haben geerbt. Netzwerke. Immobilien. Aktienpakete.

Sie hingegen haben einen Bachelor in BWL, Rückenschmerzen mit 34 und einen Ratenkredit für einen gebrauchten Audi.

Sie sind nicht gescheitert, weil Sie faul waren. Sie sind gescheitert, weil Sie geglaubt haben, das Spiel sei fair.

Das System braucht Ihre Hoffnung – um Sie zu fressen

Wenn Sie heute kündigen würden – was würden Sie tun? Aussteigen? Wohin? In die Selbstständigkeit? In die Depression? In die Sinnsuche?

Egal, wohin Sie fliehen: Das System folgt Ihnen. Es steckt in Ihren Verträgen. In Ihrem Kontostand. In Ihrem Selbstbild. In Ihrer DNA.

Die größte Grausamkeit des Kapitalismus ist nicht, dass er ausbeutet – sondern dass er Ihre Sehnsucht nach Bedeutung, Selbstwirksamkeit und Autonomie verwendet, um Sie am Laufen zu halten.

Sie glauben, irgendwann kommt das große Aufatmen. Die Freiheit. Der Exit. Das passive Einkommen.

Aber nein – Sie werden alt, müde, überflüssig. Und dann ersetzt man Sie durch einen jüngeren, billigeren, motivierteren Klon von Ihnen selbst.

Sie waren nie ein Subjekt. Sie waren immer nur Funktion.

Und trotzdem machen Sie weiter – warum?

Weil Sie nichts anderes kennen.

Weil die Wahrheit zu hässlich ist, um sie morgens nüchtern zu ertragen.

Weil es leichter ist, sich einzureden, dass man bald selbst Investor wird, als zu akzeptieren, dass man nie mehr war als ein Zahnrad, das sich selbst für das Getriebe hielt.

Weil Zynismus zwar bitter ist – aber wenigstens noch einen Geschmack hat, in einer Welt voller geschmacksneutraler Lügen.

Epilog ohne Trost:

Sie sind kein Kapitalist. Sie waren nie einer.

Sie sind ein Gläubiger im Tempel des Marktes, ein bürokratischer Mönch mit KPIs statt Gebeten. Und während Sie weiter an Ihrem LinkedIn-Profil feilen, sich durch Podcasts motivieren und auf Gehaltserhöhungen hoffen, stirbt jeden Tag ein kleiner Teil von dem in Ihnen, der einst geglaubt hat, frei zu sein.

Aber machen Sie ruhig weiter. Jeder Kult braucht seine Priester. Und das System braucht Menschen wie Sie:
Gebildet genug, um es am Laufen zu halten –
aber betäubt genug, um es nicht zu hinterfragen.


Machen Sie sich keine Sorgen: Der Burnout wird kommen, lange bevor die Erleuchtung eintritt. Und falls Sie das hier lesen und denken: „So schlimm ist es doch gar nicht.“ – dann hat das System bei Ihnen ganze Arbeit geleistet.

„Ich wollte verstehen, nicht rächen“


Eine Würdigung zum 100. Geburtstag von Michael Goldmann – Der Mann, der Eichmann verhörte

Am Tisch saß ein Mann mit Brille. Er sprach leise, höflich, fast pedantisch. Ihm gegenüber: einer der größten Massenmörder des 20. Jahrhunderts. Adolf Eichmann, Bürokrat der Vernichtung, Organisator der Deportationen, Architekt der „Endlösung“. Zwischen ihnen: kein Schreien, kein Spucken, keine Rache. Nur Fragen. Und ein Tonbandgerät.

Der Mann, der da fragte, hieß Michael Goldmann. Heute, an seinem 100. Geburtstag, lebt er noch immer. Klar im Kopf, ruhig in der Sprache, beinahe unheimlich gelassen angesichts der Dämonen, denen er begegnet ist. Goldmann gehört zu jener Generation, die das Böse nicht nur sah – sondern ihm ins Gesicht blickte und sagte: „Erklären Sie mir, warum.“

Ein Leben im Schatten der Geschichte

Geboren 1925 in Breslau, überlebte Michael Goldmann das, was für Millionen zum Tod wurde: Auschwitz. Als junger Jude von den Nazis verfolgt, gefoltert, entrechtet, entmenschlicht – und doch überlebend, mit nichts als seiner Muttersprache, einem wachen Geist und einem brennenden Wunsch: zu verstehen.

Nach dem Krieg emigrierte er nach Palästina, wurde Polizist im jungen Staat Israel – und stieg später zum Beamten im Geheimdienst Shin Bet auf. Und dann, 1960, nach Eichmanns spektakulärer Entführung aus Argentinien: der Auftrag seines Lebens.

Es war Goldmann, der Adolf Eichmann über Wochen hinweg verhörte. Kein Jurist, kein Folterknecht, kein Racheengel – sondern ein Zeitzeuge, der Fragen stellte. Klare, ruhige, tödlich präzise. Ihm verdanken wir das nüchterne, erschütternde Porträt eines Mannes, der „nur Befehle befolgte“. Ein Täter, der in Goldmanns Protokollen so gefährlich banal wirkt, dass Hannah Arendt später ihre berühmte Formel prägte: „Die Banalität des Bösen.“

Der Mann, der nie laut wurde

Was Michael Goldmann von vielen unterscheidet: Er hat nie den Ruhm gesucht. Keine Talkshows, keine Bestseller, keine glitzernde Erinnerungskultur. Vielleicht, weil er wusste, dass die Wahrheit durch Mikrofone oft nicht klarer wird, sondern greller.

Goldmann blieb zurückhaltend. Er sprach, wenn man ihn fragte. Er schrieb keine Abrechnung, sondern Berichte. Seine Stimme war kein Echo, sondern ein Original. Und vielleicht braucht eine Erinnerungskultur, die oft zwischen Betroffenheitskitsch und Geschichtsmüdigkeit pendelt, genau solche Stimmen: leise, aber unerschütterlich.

Das Gedächtnis, das nicht schweigt

Heute, mit 100 Jahren, lebt Michael Goldmann zurückgezogen in Israel. Seine Erinnerungen trägt er wie ein Archiv in sich – ordentlich, schwer, sorgfältig beschriftet. Wenn er spricht, wird Geschichte plötzlich wieder Gegenwart. Dann hört man nicht nur, was war – sondern versteht, wie es wurde.

Er war nie ein Richter über Eichmann. Aber ein Zeuge. Und das, was er sah, vergaß er nie. Darum ist sein 100. Geburtstag kein bloßer historischer Meilenstein – sondern ein Mahnmal aus Fleisch und Blut. Solange er lebt, lebt das Gedächtnis.

Ein Jahrhundert – ein Mensch – ein Vermächtnis

Michael Goldmann ist nicht nur der Mann, der Eichmann verhörte. Er ist einer der letzten lebenden Fäden zwischen dem Heute und jenem bodenlosen Damals. Sein Leben ist keine Heldengeschichte. Es ist eine Chronik der Würde im Angesicht des Grauens. Ein Jahrhundertmensch, nicht weil er laut war – sondern weil er sich weigerte zu schweigen, wo andere schwiegen.

Zum 100. Geburtstag verneigen wir uns vor einem Mann, der nichts vergaß und nie vergaß, Mensch zu bleiben. Es gibt keine Statue von ihm. Kein Film. Kein Museum. Nur seine Stimme. Und vielleicht ist das – in einer Welt des ewigen Lärms – das Wertvollste, was bleibt.

Michael Goldmann (geb. 1925): Zeuge der Wahrheit. Chronist des Grauens. Mensch mit Rückgrat. Möge seine Stimme nie verstummen.

Vom Corona-Fonds zum Kriegsbudget?

Es klingt unglaublich: 335 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds – angeblich einst dringend nötig – blieben ungenutzt. Doch statt das Geld zurückzugeben, will es Ursula von der Leyen für Aufrüstung verwenden. Es droht der EU-Zentralstaat.

Damals Alarmstufe Rot – heute liegen 335 Milliarden brach. Wurden wir von Brüssel zum Narren gehalten?

Frühjahr 2020: Die EU ruft den Corona-Fonds aus – 750 Milliarden Euro, angeblich „dringend nötig“, um Europas Wirtschaft vor dem Kollaps zu retten. Ursula von der Leyen spricht vom „Moment Europas“, warnt vor einer „Depression“, die ohne gemeinsame Investitionen drohe, und fordert Solidarität. Die Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich unter Kanzler Sebastian Kurz zögern. Als „Sparsame Vier“ werden sie dafür scharf angegriffen – Medien und Politiker werfen ihnen Egoismus und fehlende Solidarität vor.

Fast die Hälfte der Corona-Gelder wurden nie ausgegeben!

Doch heute, fünf Jahre später, zeigt sich: 335 Milliarden Euro des Fonds – fast die Hälfte – blieben ungenutzt. Das angeblich so dringend benötigte Geld zur Bewältigung der „größten Krise seit 1945“ wurde nie ausgegeben. Doch damit nicht genug: Statt es zurückzuzahlen oder an die Bürger weiterzugeben, will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen es nun für Rüstungs- und Kriegsprojekte zweckentfremden.

„Es ging nie um Corona – es ging um Macht“

Der Corona-Fonds sei in Wahrheit nie als Notmaßnahme gedacht gewesen, um Europas Wirtschaft anzukurbeln. Tatsächlich habe die EU-Kommission darin vor allem eines gesehen, Die Europäische Kommission erblickte darin die einzigartige Chance, einen riesigen Schuldenberg aufzunehmen. Das war die Innovation. Dies sollte zum Präzedenzfall für künftige EU-Finanzierungen werden. Denn: Deutschland und Österreich galten damals noch als solide Kreditnehmer, die Märkte vertrauten ihnen.

Die Märkte akzeptierten diese Schuldenaufnahme – nicht weil Zypern und Griechenland dabei waren, sondern weil Deutschland dahinterstand, und weil man der Meinung war: Wenn es schiefgeht und wenn es Rückzahlungsschwierigkeiten gibt, dann wird Deutschland schon dafür einstehen.

Die Pandemie war nur der Vorwand

Die Berufung auf Corona sei nichts als Tarnung für machtpolitische Ziele gewesen. Die Kommission strebe seit jeher nach mehr Macht und Geld, und dafür instrumentalisiere sie jede Krise. Heute zeigt sich, wenn von 750 Milliarden Euro immer noch 335 Milliarden übrig sind, die nicht eingesetzt worden sind, dann stimmt etwas Fundamentales nicht. Dann gibt es dafür in Wahrheit keinen Bedarf.

Doch statt sich der Kritik zu stellen, schaffe Brüssel neue Rechtfertigungen. Der Europäischen Kommission sind rechtliche Rahmenbedingungen völlig egal.

Vom Corona-Fonds zum Kriegsbudget?

Weil der ursprüngliche Zweck nicht mehr tragfähig sei, fand man nun einen neuer Vorwand – der Ukraine-Krieg. Es ist anzunehmen, dass die Europäische Kommission, wenn die Rückzahlung ansteht – 2028 –, einen Grund finden wird, nicht mit der Rückzahlung zu beginnen.

Besonders brisant sei: Die geplante Umwidmung wäre gleich in zweifacher Hinsicht skandalös. Erstens: Die EU habe laut Verträgen gar keine Kompetenz für Verteidigungspolitik, und es gilt Artikel 41 Absatz 2 des EU-Vertrags: Lasten der Verteidigung werden national finanziert.

Tom Lehrer – Ein letzter, scharfzüngiger Akkord

Ein Nachruf auf den Mann, der die Welt mit einem Lächeln demontierte

Wenn Zynismus eine Kunstform ist, dann war Tom Lehrer ihr unangefochtener Mozart – oder besser: ihr Groucho Marx mit Klavier. Mit seinem Tod verliert die Welt einen Mann, der so witzig wie weitsichtig, so gnadenlos klug wie schmerzhaft präzise war – ein satirisches Skalpell in einer Welt der rhetorischen Gummimesser. Nun ist also auch der scharfste Verstand der Harvard-Mathematik und des schwarzen Humors verstummt. Und wir fragen uns: Wer reimt uns jetzt das Elend so schön wie Lehrer?

Lehrer, der in den 1950ern und 60ern mit Liedern über Atombomben, Völkermord, Moralheuchelei und toxische Frömmigkeit Millionen Menschen zum Lachen und Erschrecken brachte, war ein Solitär – eine Art musikalischer Diogenes mit Flügel. Er sang, was andere sich nicht einmal zu denken trauten, und tat es mit der Eleganz eines Kabarettisten, der es nie nötig hatte, auf eine Bühne zu steigen, um Applaus zu heischen. Seine Bühne war die Welt, sein Publikum das denkende Individuum – und seine Pointe stets ein Dolchstoß ins gutbürgerliche Zwerchfell.

Der Humorist, der nicht versöhnte

Was Tom Lehrer so einzigartig machte, war sein Unwille, zu trösten. Wer in seinen Liedern Erleichterung suchte, wurde bitter enttäuscht – oder belohnt, je nach Temperament. Er gab keine Hoffnung, sondern Klarheit. Kein Schöndenken, sondern scharfen Spott. Ob „The Vatican Rag“, „Pollution“ oder „So Long, Mom (I’m Off to Drop the Bomb)“ – Lehrer zeigte mit fröhlicher Virtuosität, wie sehr die Absurditäten der Welt den moralischen Ernst aushebeln. Er verzieh nie. Und dennoch liebte man ihn.

Vielleicht, weil man bei Lehrer lernte: Der Witz ist die letzte Bastion des freien Denkens. Sein Sarkasmus war nie Selbstzweck, sondern Widerstand. Ein intellektueller Mittelfinger gegen Dogma, Macht und die feisten Selbstgewissheiten der Mittelklasse.

Die Karriere eines notorischen Aussteigers

Dass Lehrer irgendwann aufhörte – einfach so, ohne große Ansage, mitten im tosenden Applaus –, war kein Bruch, sondern Konsequenz. Wer so sehr dem Denken verpflichtet ist, hält den Betrieb nur schwer aus. Statt sich von der Welt bejubeln zu lassen, zog sich Lehrer zurück. Er unterrichtete Mathematik, veröffentlichte keine neuen Songs mehr und weigerte sich, in den Zirkus der Nostalgie einzusteigen. Ein Star, der sein eigenes Denkmal nie betrat – weil er wusste, dass alle Denkmäler früher oder später Taubendreck fangen.

Und dann, als wäre es der finale Witz seines Lebens, verschenkte er vor einigen Jahren sein gesamtes Werk zur freien Nutzung: „Feel free to do whatever you want with my songs. I no longer care.“ Diese Gleichgültigkeit war keine Resignation, sondern letzte Konsequenz eines Lebens, das der Aufklärung mehr diente als dem Ruhm. Lehrer entließ seine Kunst in die Welt – nicht aus Eitelkeit, sondern aus Haltung.

Der leise Abgang eines lauten Geistes

Mit Tom Lehrers Tod stirbt nicht einfach ein Komiker. Es geht ein Aufklärer, ein Querdenker im besten Sinne, ein Satiriker, der nie den Applaus der Massen suchte, sondern den Zweifel in der Einzelnen. Einer, der uns zeigte, dass Denken und Lachen keine Gegensätze sind, sondern notwendige Verbündete im Kampf gegen die Dummheit. Seine Songs sind heute aktueller denn je – was kein Lob für unsere Zeit ist.

Möge also die Erde ihm leicht sein. Oder wenigstens schwer genug, um ein Comeback auszuschließen – denn niemand könnte es besser machen als er selbst.

Tom Lehrer (1928–2025), gestorben an den Folgen einer geistigen Überlegenheit.

Die Wahrheit in Trümmern – Medien, Moral und Mohammed

Die Diktatur der Optik: Wenn ein Bild mehr sagt als die Wahrheit

Es war einmal ein Kind. Ausgemergelt, winzig, leblos in den Armen seiner Mutter. Das Bild ging um die Welt wie ein in Flammen stehender Bote – nicht der Wahrheit, sondern der Empörung. Und wie es mit heiligen Ikonen so ist: Wer sie hinterfragt, begeht Blasphemie. Der kleine Mohammed – das neue Sinnbild für das Leiden Gazas, das kollektive Schluchzen der Weltöffentlichkeit, das knochige „Wehret den Anfängen“ in Millionen Wohnzimmern. So wirkt es zumindest auf den ersten Blick.

Doch der zweite Blick, wie so oft, ist ein unbequemer Gast. Er räumt auf mit der Komfortzone der Empörung. Mohammed ist nicht Opfer eines gezielten Aushungerns. Er ist krank. Seit Geburt. Zerebralparese. Sechs statt neun Kilo – ja. Aber kein Hungerstreik gegen Israel. Sondern ein Körper, den die Natur selbst sabotierte. Doch was nützt die Wahrheit, wenn sich das Bild schon in die Retina der Welt eingebrannt hat wie ein Heiligenschein in der Sixtinischen Kapelle? Wahrheit, das langweilige Grauschattierte, kann der Wucht eines ikonischen Bildes selten das Wasser reichen.

Von der Pflicht zur Prüfung zur Lust an der Pose

Man hätte fragen können. Hätte prüfen, recherchieren, nachhaken können. Doch Recherche ist anstrengend. Emotionen hingegen – leicht entflammbar. Und wenn ein Bild wie Mohammeds erst einmal brennt, dann zündet es gleich ein ganzes Narrativ mit an. Hunger. Israel. Schuld. Schwarz. Weiß. Die BBC wusste von physiotherapeutischer Behandlung. Die New York Times fabulierte einen toten Vater „auf Nahrungssuche“. Die Wahrheit? Ein Gefecht. Ein Terroristenversteck. Aber wer will schon von Kriegszonen hören, wenn das Kind in der Mutterbrust ruht wie ein moderner Pietà-Jesus?

„Neue Informationen“ – so beschönigt die Times ihr Versagen. Und bringt die Korrektur nicht etwa auf die große Bühne der eigenen Plattform, sondern auf ein PR-Kammerl mit 90.000 Followern. Das wäre in etwa so, als würde man einem Großbrand mit einer Pipette begegnen. Die alte Redewendung vom Baum im Wald, der fällt, wenn niemand hinhört – sie lebt weiter, nur digital: Ein Rückzug im Flüsterton, nachdem man zuvor mit Megafon angeschrien hat.

Mohammed, Osama, Metapher: Die Kinder des Zorns als Projektionsfläche

Und Mohammed ist nicht allein. Osama al-Raqab, ebenfalls abgemagert, ebenfalls zum Symbol des Aushungerns erklärt – ist Mukoviszidose-Patient. Auch er: kein Opfer einer politischen Blockade, sondern genetischer Tragik. Evakuiert durch Kooperation mit Israel, behandelt in Mailand, Fortschritte sichtbar. Die Story wäre eigentlich ein Hoffnungsnarrativ. Doch Hoffnung verkauft sich schlecht, wenn der Zorn bereits Klickzahlen verspricht. Und so wandelt sich das leidende Kind zur Metapher: Nicht mehr Mensch, sondern Munition im Informationskrieg.

Das Kind wird zur Waffe. Ein stiller Vorwurf mit großen Augen. Und wer es nicht als Waffe nutzen will, wird selbst verdächtig. Das Bild wird zum Argument, das sich gegen Widerspruch immunisiert. Was bleibt, ist die bequeme Moral: „Man sieht doch, was passiert!“ Nein – man sieht, was man sehen will. Und man zeigt, was man zeigen will.

Medien als Komplizen: Der Empörungs-Journalismus und seine Alibi-Moral

In einer Welt, in der Moral längst zum Geschäftsmodell wurde, sind Medien keine Wächter der Wahrheit mehr, sondern Zulieferer fürs Gefühlskonto. Wo früher Aufklärung war, ist heute Einfühlung. Recherche wird ersetzt durch Resonanz. Klicks vor Kontext. Schlagzeile vor Substanz. Und wehe, jemand ruft „Halt, das stimmt so nicht!“ – er wird niedergetrampelt vom Chor der Empörung, der längst nicht mehr hören, sondern nur noch schreien will.

Ob es Ignoranz war oder Absicht, ist fast egal. Die Wirkung bleibt dieselbe: Das Bild wurde zur Waffe. Es erschießt keine Menschen, aber es tötet Diskurs. Und es bedient genau das, was Propagandisten wie die Hamas lieben: das Opfer-Narrativ, das Schuldparadigma, das Rauschen der Entrüstung, das Denken ersetzt.

Das stille Sterben der Differenzierung

Differenzierung? Ein Relikt. Wie Faxgeräte oder Vernunft. In der Ära der visuellen Schlagkraft hat sie ausgedient. Der Kontext stirbt den Tod durch Redaktionsschluss. Die Wahrheit wird beerdigt unter Schlagzeilen wie „So sieht Hunger aus“. Die Mutter weint. Die Medien drucken. Die Moral applaudiert. Und irgendwo stirbt die Aufrichtigkeit – nicht spektakulär, sondern still, wie eine Fußnote, die niemand mehr liest.

Es ist bequem, Mohammed zum Symbol zu machen. Es ist unbequem, ihn als das zu sehen, was er ist: ein tragisches, kränkliches Kind, das unsere Anteilnahme verdient – aber nicht unsere ideologische Vereinnahmung. Ein Kind, keine These. Ein Leben, kein Leitartikel.

Die Wahrheit als Kriegsopfer – wieder einmal

Vielleicht ist das die eigentliche Tragik in all dem: Nicht nur Mohammed wurde instrumentalisiert. Nicht nur Osama. Sondern wir alle. Die Wahrheit, wenn sie denn noch irgendwo atmet, wird zur letzten Unbeteiligten im großen Spiel der Meinungen, Narrative und Moralimitationen.

Es ist nicht neu, dass in Kriegen zuerst die Wahrheit stirbt. Aber selten hat sie so viele Zuschauer dabei gehabt. Und noch seltener hat sie so wenig interessiert.

ANMERKUNG; am 31. Juli 2025 noch online

Tschechien gegen das rote Gespenst

über Verbote, Vergleiche, Verdrängung – und die Kunst, sich mit Geschichte die Zähne auszubeißen

Ein Gesetz wie ein Frontalcrash mit der Vergangenheit

Es ist vollbracht. Die Tschechische Republik, jenes nachdenklich gewordene Kind der Samtenen Revolution, hat sich dazu durchgerungen, in einem heroischen (oder hysterischen?) Akt der Rechtsgeschichte endlich das getan, was der nationale antikommunistische Reflex seit drei Jahrzehnten ersehnt, gefordert, herbeigeschrien hat: Die Kommunisten stehen nun offiziell neben den Nationalsozialisten – im Strafgesetzbuch, wohlgemerkt. Beide sollen künftig gleich behandelt, gleich verfolgt, gleich verachtet werden. Eine Gleichstellung, die weniger juristische Logik als vielmehr politische Psychotherapie atmet.

Was als Akt der historischen Gerechtigkeit verkauft wird, ist in Wahrheit das, was man mit einem schlichten Wort „Rache“ nennen könnte – freilich eine mit einem Etikett demokratischer Notwehr übertünchte. Rache an Gespenstern, die ohnehin nur noch an Denkmaltagen und auf schlecht besuchten Parteitagen herumgeistern. Rache an der eigenen Geschichte, die man lieber verbieten würde, als sie zu verstehen.

Wenn Geschichte zur Statistik verkommt – und Moral zur Keule

Natürlich: Die kommunistische Herrschaft in der Tschechoslowakei war repressiv. Natürlich: Die Geheimpolizei hatte mehr Ohren als ein Konzertsaal. Natürlich: Die Parteispitze war so demokratisch wie ein Betonklotz. Aber: Wer den Kommunismus als monolithischen Block dämonisiert, wer Stalin neben Hitler stellt, als handele es sich um zwei Varianten derselben Pathologie, betreibt nicht Aufklärung, sondern moralische Vereinfachung im XXL-Format.

Und überhaupt: Seit wann definieren sich Demokratien dadurch, dass sie Meinungen verbieten? Ach ja, wenn diese Meinungen „böse“ sind. Aber wer bestimmt das? Wer entscheidet, ob ein Verweis auf Marx schon Propaganda ist oder erst dann, wenn man Lenin in Bronze gießt und auf dem Wenzelsplatz eine rote Büste aufstellt? Die Tschechische Republik, so scheint es, ist dabei, sich durch Verbot ein historisches Saubermann-Image zu verpassen – mit einem Gesetz, das wie ein Symbol politischer Hygiene wirkt, aber den Schmutz der Vergangenheit nur tiefer unter den Teppich kehrt.

Katerina und der Klassenkampf 2.0

Besonders ironisch ist die Szenerie, weil die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) bis heute nicht totzukriegen ist. Sie hat Mitglieder, sie hat Wähler, sie hat ein funktionierendes Sprachrohr – und sie hat: Katerina Konecna. Die Frau, die mit einem Dauerblick der Empörung durch Talkshows marschiert, ist eine wandelnde Mahnung an all jene, die glauben, man könne Ideologien durch Strafrechtsnovellen aus der Welt schaffen.

Konecna gibt sich kämpferisch – was man von Kommunisten ja gewohnt ist – und nennt das neue Gesetz einen Angriff auf die politische Vielfalt. Dabei ist gerade ihre Partei ein Anachronismus in roter Verpackung: marxistisch in der Rhetorik, populistisch in der Praxis, nostalgisch in der Haltung. Und dennoch: Sie ist demokratisch gewählt. Noch. Bald könnte sie illegal sein.

Dass ein ehemaliger KP-Funktionär – Petr Pavel – dieses Gesetz unterschreibt, gibt dem ganzen Stück eine groteske Würze, die Kafka vor Neid in die Schreibmaschine hätte beißen lassen. Es ist, als würde ein trockengelegter Alkoholiker dem Bier das Brauen verbieten. Vielleicht ist es Reue. Vielleicht ist es Kalkül. Wahrscheinlich beides.

Wenn Antikommunismus zur Ersatzreligion wird

Was der Antikommunismus in Tschechien heute ist? Nicht bloß ein Reflex. Nicht bloß eine Haltung. Sondern fast schon eine staatstragende Ersatzreligion. Es ist ein Glaubensbekenntnis, das man nicht anzweifeln darf, ohne unter Verdacht zu geraten. Die „Gleichstellung“ von Kommunismus und Nationalsozialismus ist dabei wie ein Dogma: Man muss es nicht verstehen, nur glauben. Wer fragt, wankt.

Dabei macht die Gleichsetzung historisch wenig Sinn. Sie ist nicht nur ein analytisches Eigentor – sie ist auch politisch gefährlich. Denn sie nivelliert Unterschiede, bannt Grautöne, und suggeriert: Wer für Mietendeckel ist, steht mit einem Bein im Gulag. Wer sich Kapitalismuskritik erlaubt, denkt bereits an Enteignung. Ein Schwarzweißdenken, das politisches Gespräch durch moralische Erpressung ersetzt.

Putin, Prag und der Phantomschmerz der Sowjetunion

Natürlich bleibt auch Moskau nicht stumm. Der Sprecher der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, deutet das Gesetz als Angriff auf Russland selbst – was immerhin eine kuriose Ehrlichkeit offenbart: Offenbar ist man sich in Moskau durchaus bewusst, dass das heutige Regime mit der alten Sowjetunion mehr gemein hat als bloß nostalgische Gedenkfeiern.

Dass ausgerechnet ein Repräsentant der neuen russischen Autokratie die tschechische Gesetzgebung als „faschistisch“ kritisiert, ist ein rhetorischer Geniestreich aus dem Handbuch für dialektische Inkontinenz. Die Ironie: Im Russland des Jahres 2025 wäre jede Form von echter kommunistischer Demokratie ebenso verboten – nur nennt man sie dort eben „Störung der sozialen Ordnung“.

Verboten, aber nicht verschwunden

Man kann Parteien verbieten. Man kann Symbole entfernen, Bücher zensieren, Reden bestrafen. Aber man kann Ideen nicht ausmerzen wie Unkraut im Schrebergarten. Das Gedankengut lebt weiter – in Küchen, in Kneipen, im Netz. Und je mehr man es verbieten will, desto attraktiver wird es für jene, die sich ausgeschlossen, verraten, ignoriert fühlen.

Und ja, die KSCM ist keine progressive Lichtgestalt. Aber sie ist auch keine Nazi-Partei mit Uniformfetisch. Sie ist ein Sammelbecken für Nostalgiker, Rentner, Systemverlierer – und ein paar Idealisten, die nicht glauben wollen, dass „links“ zwangsläufig „Stasi“ bedeutet.

Finale Furioso: Satire oder Staatsraison?

Vielleicht ist es ja genau das, was dieses Gesetz in Wahrheit tut: Es zeigt die Ohnmacht der Demokratie gegenüber ihren eigenen Dämonen. Es ist ein symbolischer Exorzismus, ein verzweifelter Versuch, durch Paragrafen zu regulieren, was die Gesellschaft selbst nicht mehr klären will: Was darf gesagt, gedacht, gewählt werden – und warum eigentlich?

Ein Gesetz, das mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Eine Maßnahme, die sich als Notwehr tarnt, aber an die Wurzeln politischer Freiheit rührt. Und ein Triumph der Erinnerungspolitik über die politische Realität.

Bleibt nur noch zu hoffen, dass die Freiheit sich nicht eines Tages dagegen wehrt, so oft zu ihrer Verteidigung missbraucht zu werden. Denn sonst droht der Demokratie das, was sie dem Kommunismus vorwirft: dogmatisch, intolerant und geschichtsvergessen zu werden.

Und dann helfen auch keine Gesetze mehr.

Ende mit Ironie. Oder fängt es gerade erst an?