Das sanierte Schloss und die stinkenden Schulklos

oder: Von denen da oben und was sie uns unten lassen – die neue Arroganz der politischen Oberschicht

„Sollen Sie doch Kuchen essen“. Was früher das Brot war, ist heute das Klo. Und wer sich einmal mit der Frage beschäftigt hat, wie es um den Zustand der deutschen Demokratie steht, der braucht nicht in komplexe Gremienprotokolle oder Grundgesetzkommentare zu schauen – ein Blick auf die Berliner Schultoiletten reicht. Dort, wo das Volk in seiner frühesten Form lernt, was es bedeutet, zur Gemeinschaft zu gehören – also in Schulen –, beginnt nun die stille Rache der politischen Nichtzuständigkeit: Die Klos werden seltener geputzt. Das ist keine Metapher. Es ist buchstäblich.

Während im Berliner Stadtteil Lichtenberg der Verwaltung offenbar nichts Besseres einfällt, als an Hygiene, kindlicher Mobilität und öffentlichem Grün zu sparen, wird nicht weit entfernt mit schwerem Gerät ein präsidialer Palast errichtet, der mehr kostet als alle Schulkloreinigungen zusammen der nächsten Jahrzente. Und damit wären wir mitten im Herzen der neuen höfischen Politik: Die repräsentative Demokratie hat ihr Herz für den Barock wiederentdeckt – nicht im Geiste, sondern im Gebäudemanagement.

200 Millionen für ein Ersatz-Schloss, 16 Millionen Euro jährlich Miete – für einen Mann, der politisch exakt nichts zu sagen hat, dafür aber sehr schön sagt, dass er nichts sagt. Steinmeier, der wandelnde Entschuldigungsbrief der Bundesrepublik, wird mit seidener Umsicht in sein temporäres Versailles umziehen, während in Lichtenberg Grundschüler sich künftig gut überlegen müssen, ob sie die Schultoilette wirklich jetzt benutzen wollen oder lieber bis nachmittags warten. Wer weiß, wann sie das letzte Mal gewischt wurde.

Die Obenregierung – Politik als Palastbetrieb

Die politischen Eliten dieses Landes haben die Demokratie nicht abgeschafft – sie haben sie nur stilistisch rekonstruiert wie ein Feudalstaat mit WLAN. Die neuen Barone heißen nicht mehr Fugger oder Hohenzollern, sondern haben Doppelnamen, Redenschreiber und mediengerechte Pausen zwischen Sätzen. Ihre Residenzen sind keine Burgen mehr, sondern Verwaltungsneubauten mit polierter Symbolik: Es geht nicht darum, was man tut, sondern wie teuer es dabei aussieht.

Der Bundespräsident hat keine Macht, aber Stil. Das reicht heute aus, um sich ein Gebäude errichten zu lassen, in dem während des Bauprozesses bereits klar ist, dass es danach an andere Ministerien weitergereicht wird – denn leer soll es nicht stehen, das wäre Verschwendung. Im Gegensatz zu Schulkindern, die morgens im Bus sitzen, um in eine Turnhalle zu fahren, in der sie dann nicht schwimmen können, weil das Geld für Transport gestrichen wurde. Dort darf verschwendet werden: Lebenszeit, Lernchancen, Vertrauen.

Es ist, als hätte man sich kollektiv entschlossen, den Begriff „politische Entkopplung“ nicht mehr als Analyse, sondern als Regierungsform zu begreifen. Es regiert, wer es sich leisten kann. Und wer es sich leisten kann, kann auch vergessen, wie es ist, wenn das eigene Kind auf ein Klo geht, das müffelt wie das politische Klima im Bundestag nach einer Nachtsitzung.

Vom Volk zur Kulisse – Bürgerlichkeit als Bühnenbild

Der Bürger, früher Subjekt der Politik, ist längst zum Dekor geworden: geduldet, solange er leise ist, brauchbar, solange er Steuern zahlt, und vollkommen irrelevant, sobald es um Prioritäten geht. Die neue Form der Staatskunst besteht darin, öffentliche Mittel nicht mehr dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden, sondern wo sie gesehen werden. Repräsentation statt Funktion – Hochglanzbroschüre statt Putzplan.

Was in Berlin geschieht, ist kein Einzelfall, sondern eine Blaupause. Man könnte meinen, die politische Klasse dieses Landes habe sich entschlossen, das Land selbst wie eine heruntergewirtschaftete Theaterkulisse zu behandeln: Vorne das glänzende Entrée, hinten bröckelt die Wand. Alles ist Fassade. Und wer sich über Schulklos beschwert, hat einfach das große Ganze nicht verstanden – oder, schlimmer noch, kein Referat im Kanzleramt.

Was kümmert den Palast, ob der Platz vor der Schule vermüllt ist? Was kümmert die Staatslimousine, ob der Schulbus nicht mehr fährt? Solange es genug Fototermine gibt, bei denen man Kindern demonstrativ die Hand schüttelt, während diese überlegen, ob sie lieber ins Gebüsch gehen sollen – weil es dort wenigstens regnet und es riecht nicht so streng wie auf der Toilette.

„Sollen sie doch Kuchen essen“ – Die neoliberale Bastardisierung der höfischen Verachtung

Marie-Antoinettes berühmter Satz – ob er nun historisch korrekt ist oder nicht – wird heute nicht mehr ausgesprochen. Er wird budgetiert. Man sagt nicht mehr offen: „Das Volk soll doch Kuchen essen.“ Man streicht einfach das Brot aus dem Haushalt und serviert sich selbst Kaviar auf der Einweihungsparty des Ersatz-Bundespräsidialamts.

Die Eliten dieses Landes – und wir reden hier nicht von sinistren Verschwörungen, sondern von sehr realen, sehr bürokratischen, sehr selbstzufriedenen Entscheidungscliquen – haben eine Sprache entwickelt, die es ihnen erlaubt, das Elend ihrer Politik in wohlklingende Floskeln zu verpacken. „Priorisierung von Ressourcen“ heißt das dann, oder „strukturelle Konsolidierung“. Gemeint ist: Wir sparen bei euch, damit wir bei uns nicht auf Stil verzichten müssen.

Denn wie sähe das denn aus, wenn der Bundespräsident Staatsgäste in einem Container begrüßte? Wo kämen wir denn hin, wenn Ministerien improvisieren müssten wie Lehrerinnen, die selbst Klopapier mitbringen? Nein, das wäre unwürdig – für sie. Für uns? Gewöhnt euch dran.

Postdemokratie mit Zierleisten – Wenn Repräsentation alles ist

Man könnte nun fordern, das alles müsse anders werden. Aber das hieße, als würde man die höfische Kultur auffordern, doch bitte etwas bürgerlicher zu werden. Als würde man Ludwig XIV. nahelegen, die Steuerlast auf die Bauern zu senken, weil die Toiletten in den Dörfern so schlecht riechen. Die Antwort wäre dieselbe wie heute: höfliches Lächeln, feierliche Reden – und weiter geht’s mit dem Marmorieren der Empfangshalle.

Inzwischen sind die Spielplätze der Republik nicht mehr Orte des kindlichen Frohsinns, sondern Sinnbilder der Sparpolitik. Instandhaltung? Kürzung. Betreuung? Zu teuer. Dafür ist die nächste Pressekonferenz über „Frühe Bildung als Staatsaufgabe“ schon angesetzt. Mit Häppchen, versteht sich.

Was bleibt, ist die stille Resignation der Mehrheit. Die leise Hoffnung, dass wenigstens einer im System bemerkt, wie grotesk das alles ist. Doch die, die es bemerken, können nichts ändern. Und die, die etwas ändern könnten, bemerken nichts – oder profitieren zu sehr davon, dass es bleibt, wie es ist.

Epilog: Der Preis des Glanzes

Europa, Deutschland, Berlin – sie alle rutschen langsam aber sicher in eine Demokratie der Dekoration. Eine Demokratie, die lieber Paläste saniert als Schulklos putzt. Die lieber Werte beschwört, als Bedingungen verbessert. Die lieber symbolisch agiert, als real.

Vielleicht wird in hundert Jahren jemand auf dieses Kapitel unserer Geschichte zurückblicken und sich fragen, wie es so weit kommen konnte. Die Antwort wird irgendwo zwischen einer vergilbten Haushaltsnotiz über Reinigungsintervalle und einem Hochglanzprospekt des Bundespräsidialamts liegen.

Und vielleicht wird ein Kind, das heute in Lichtenberg mit zugehaltener Nase auf ein verdrecktes Klo geht, irgendwann sagen:

„Sollen sie doch regieren – wir waschen uns die Hände davon.“

Wahrheit nach Bildlage: Die Magersucht der Moral

Wenn Bilder lügen, aber Gefühle gewinnen

Es gibt Bilder, die die Welt verändern – zumindest für einen Tweet lang. Bilder, die so erschütternd sind, dass sie jede Kausalität wegblasen wie ein Föhn einen Staubkorn: Ein Kind mit eingefallenen Wangen, aufgerissenen Augen, Haut wie Papier. Kein Kontext, keine Diagnose, kein Ursprung. Nur der Blick – direkt ins Gewissen einer westlichen Öffentlichkeit, die gelernt hat, sich schuldig zu fühlen, noch bevor sie überhaupt verstanden hat, worum es geht.

Und so kam es, dass Osama al-Raqab – fünf Jahre alt, palästinensisch, schwerkrank – zum tragischen Posterboy einer medialen Moralkampagne wurde, die mit Fakten ungefähr so viel anfangen kann wie ein Influencer mit Differenzialrechnung. Die italienische Zeitung Il Fatto Quotidiano setzte Osamas Bild auf die Titelseite, rahmte es mit Pathos, druckte den Holocaust als Subtext dazu, und zündete damit ein moralisches Inferno. „Ist das ein Kind?“ fragte man – rhetorisch natürlich – und meinte damit: „Schaut hin, ihr Schweine, ihr steht auf der falschen Seite der Geschichte.“

Was man nicht erwähnte: Osama leidet an Mukoviszidose. Keine Bombe, keine Blockade, keine kalorienfeindliche israelische Hungerpolitik, sondern schlicht eine genetische Krankheit, die – in Ermangelung medizinischer Versorgung – zu genau den Symptomen führt, die auf dem Foto zu sehen sind. Der Skandal also: kein Hungertod, sondern die vorsätzliche Verwechslung einer Krankheit mit einem Kriegsverbrechen.

Der Skandal hat kein Interesse an der Wahrheit – nur an der Wirkung

Wenn der Journalismus zur Priesterschaft wird, ist das Faktum nur noch störender Ketzerlärm. In der neuen Liturgie des Leids gilt allein das Bild, nicht seine Herkunft. Es geht nicht um das, was passiert ist, sondern darum, wie es aussieht, wohin es passt und wem es nützt. Wahrheit ist in dieser Dramaturgie nur dann willkommen, wenn sie dem Narrativ dient. Ansonsten gilt: Fakten stören, Zweifel zerschellen am moralischen Beton.

Und dann kam – wie immer – die Realität. Die Realität, dieses fiese kleine Biest mit seinen Nebensätzen und Komplikationen: Osama lebt. Er wurde längst evakuiert. Von Israel – dem angeblich alles blockierenden Besatzungsteufel – in Kooperation mit Italien, das, man glaubt es kaum, offenbar nicht nur Slogans, sondern auch Flugzeuge hat. Über 700 Palästinenser wurden so in Sicherheit gebracht. Nicht durch internationale Empörung, sondern durch stille Diplomatie und reale Infrastruktur.

Aber das passte dann irgendwie nicht mehr auf die Titelseite.

David gegen das Narrativ – der Journalist als Nestbeschmutzer

Der zweite Fall, ebenfalls ein Kind, ebenfalls skelettiert, ebenfalls totgeschwiegen, wenn es unbequem wird. Mohammed Zakariya al-Matouq, 18 Monate alt, wurde mit dem ikonografischen Eifer eines säkularisierten Kreuzritters zum Symbol des Hungers in Gaza erhoben – von „Der Zeit“, von Twitter, von der moralisierenden Masse. Nur ein Problem: Das Foto war veraltet. Die Information: längst überholt. Das Kind? Kein Beweis für eine „flächendeckende Hungersnot“, sondern für den selektiven Einsatz von Bildern zur emotionalen Manipulation.

Und dann war da noch David Collier. Ein Journalist, Brite und Israeli, was ihn doppelt disqualifiziert im Wettbewerb um westliche Mitgefühlskompetenz. Er machte das, was Journalisten früher mal taten: recherchieren, überprüfen, widersprechen. Und wurde prompt zum Paria erklärt. Denn in der neuen Moralökonomie gilt: Wer Propaganda enttarnt, ist selbst ein Propagandist. Wer das Narrativ stört, stört die Ordnung. Und wer sich weigert zu weinen, hat keinen Platz mehr in der Debatte.

Die letzte Schlacht: Moral gegen Aufklärung

Es ist eine Ironie der Zeit, dass sich gerade jene, die sich als moralische Avantgarde inszenieren, der Aufklärung verweigern. Dass jene, die sich mit Primo Levi schmücken, seine Warnung ignorieren: dass Entmenschlichung nicht nur durch Gewalt, sondern auch durch Verklärung geschieht. Denn was ist es anderes, als eine Form moralischer Instrumentalisierung, wenn das Bild eines kranken Kindes mit einem Holocaust-Vergleich aufgeladen wird – nicht um das Kind zu schützen, sondern um einen politischen Gegner zu dämonisieren?

„Ist das ein Kind?“ Ja. Aber nicht dein Symbol. Nicht dein Hebel für Schuldzuweisung. Nicht dein moralischer Kurzschluss. Es ist ein Kind mit einer Krankheit, in einem Kriegsgebiet, in einer Welt, die komplizierter ist als ein Instagram-Post.

Der wahre Skandal ist nicht, dass Osama unterernährt ist. Der Skandal ist, dass sein Leid benutzt wird – nicht um zu helfen, sondern um zu hetzen.

Schlussakkord einer verlogenen Rührungsgesellschaft

Der Journalismus ist nicht tot. Er wurde übernommen – von PR-Abteilungen, Twitter-Mobs und moralischen Hysterikern mit Presseausweis. Die Bilder, die heute um die Welt gehen, sind oft keine Fenster zur Wirklichkeit mehr, sondern Projektionsflächen kollektiver Affekte. Man will sich empören, also findet man ein Bild. Man will Schuld verteilen, also erfindet man eine Geschichte dazu. Die Realität wird dabei nicht geleugnet – das wäre zu plump. Sie wird selektiert, dekoriert, choreografiert.

So stirbt der Journalismus nicht durch Zensur, sondern durch Selbstaufgabe. Die Redaktion als moralischer Kampfraum, der Fakten nur duldet, wenn sie nicht stören. Die Öffentlichkeit als Bühne für eine Empörung, die keine Aufklärung will – sondern nur Feindbilder, die gut fotografierbar sind.

Vielleicht ist es Zeit, sich daran zu erinnern, was Journalismus einmal war: ein Dienst an der Wahrheit, nicht an der Erregung. Vielleicht ist es Zeit, wieder zu fragen: Was ist wirklich passiert? Und vielleicht ist es an der Zeit, aufzuhören, kranke Kinder zu heiligen Bildern zu machen – und stattdessen über ihre Krankheiten, ihre Flucht, ihre Medizin zu sprechen.

Aber das verkauft sich halt nicht so gut.

Erdogan & Mazyek – Muslimbrüder im Ungeist

Die Rhetorik der Raserei – Wenn Pathos zur Waffe wird

Es war einmal ein Politiker, der wusste, wie man Mikrofone benutzt. Seine Stimme bebte, seine Hände zitterten vor heiliger Empörung, und seine Worte schlugen ein wie das Urteil eines zornigen Gottes. Recep Tayyip Erdogan, Berufspopulist mit Nebenfach Neo-Osmanismus, hat es wieder getan: Israel sei ein Terrorstaat, und die Bilder aus Gaza seien „viel schlimmer, brutaler und unmenschlicher“ als jene aus den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Nicht nur sprachlich ein nuklearer Erstschlag – sondern auch moralisch das Äquivalent eines moralischen Selbstmords mit Ankündigung.

Solche Sätze sind nicht mehr bloß ahistorisch. Sie sind absichtsvoll zynisch. Sie sind die politische Version von Brandstiftung mit religiösem Anstrich und demagogischer Schminke. Erdogan geht es nicht um Gaza, nicht um Palästina, nicht um das Leiden – es geht um das Ritual: die Inszenierung des starken Mannes, der, in wütender Pose verharrend, seine Stimme erhebt gegen ein „Feindbild“, das wie eine Voodoo-Puppe herhalten muss für alles, was nicht kontrollierbar ist. Israel ist in diesem Theaterstück nicht Gegner, sondern Projektionsfläche für ein tiefsitzendes antiwestliches Ressentiment, verpackt in den Mantel eines humanitären Alarms, dessen Falten jedoch nach Machtgier riechen und nach geopolitischer Berechnung stinken.

Wenn Antisemitismus den Umweg über den Humanismus nimmt

Der Trick ist so alt wie infam: Man behauptet, „nur Kritik an der israelischen Regierung“ zu üben – und gleitet dabei doch mit chirurgischer Präzision in jene toxischen Sümpfe ab, die der postkoloniale Diskurs so bereitwillig flutet. Erdogan moralisiert nicht – er instrumentalisiert. Und er ist nicht allein. Denn dort, wo der Präsident rhetorisch Napalm wirft, folgt oft die verbale Aufräumbrigade von Funktionären, Aktivisten und auch deutschen Repräsentanten muslimischer Organisationen. Wie etwa Aiman Mazyek, der ZDF-taugliche Ex-Frontmann des Zentralrats der Muslime in Deutschland, der bei jeder Gelegenheit betont, dass Antisemitismus „gar keinen Platz im Islam“ habe – nur um dann mit dem nächsten Atemzug Israels Existenzrecht auf moralische Ratenzahlung zu stellen, um nachzuschieben: „„Was wir in Gaza erleben, ist der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte.“, und die Beweise für „erdrückend.“ Hält.

Es ist ein Tanz der Doppeldeutigkeit: Mit dem einen Bein im liberalen Diskurs der deutschen Öffentlichkeit, mit dem anderen in der geistigen Lobby der Ummah. Eine Fußspitze im Talkshow-Sessel, die andere in der ideologischen Moschee. So gelingt das Kunststück, gleichzeitig „gegen jeden Antisemitismus“ zu sein – und doch aus jeder Pore antiisraelischen Groll dampfen zu lassen. Mazyek ist das freundliche Gesicht jener Szene, in der Erdogan der zornige Prophet ist – zwei Gesichter einer Erregung, die sich im Spiegel des Ungeists zur Identität stilisiert.

Die Shoah als rhetorischer Rohstoff

Dass Erdogan die Shoah – das Menschheitsverbrechen der industriell geplanten Auslöschung von Millionen Juden – als Vergleichsgröße für aktuelle Konflikte missbraucht, ist mehr als pietätlos. Es ist kalkulierte Obszönität. Er nimmt das unaussprechliche Grauen und benutzt es als Bühnenlicht für seine eigene politische Pose. Das ist keine verbale Entgleisung. Das ist eine Strategie. Denn je größer die Provokation, desto lauter das Echo. Je drastischer der Vergleich, desto größer die erregte Gemeinschaft, die sich um ihn schart wie um ein Lagerfeuer der moralischen Selbstbestätigung.

Doch wer Auschwitz zur rhetorischen Währung entwertet, beleidigt nicht nur die Toten – er entmündigt auch die Lebenden. Er raubt der Geschichte ihren Ernst und ersetzt ihn durch Pathos, das sich selbst genügt. Es ist die Pornografie der Empörung: visuell überreizt, moralisch schamlos, historisch billig. Und wie bei jeder Pornografie geht es auch hier nicht um echte Nähe, sondern um projizierte Machtfantasien.

Der deutsche Reflex – Ducken, Deuten, Differenzieren

Natürlich: In Deutschland zuckt bei solchen Aussagen der mediale Nerv. Politiker äußern „Unverständnis“, Leitartikel mahnen zur „historischen Sensibilität“, und irgendjemand bei den Grünen schreibt auf X, dass man „alle Seiten sehen müsse“. Es ist der berühmte Tanz um die Ambivalenz, der in Deutschland längst zum Teil des außenpolitischen Vokabulars geworden ist. Man will ja nicht zu hart gegen Erdogan vorgehen – man braucht ihn ja noch für die nächste Flüchtlingswelle, den NATO-Gipfel, das nächste diplomatische Feigenblatt.

Und auch Mazyek wird nicht konfrontiert, sondern konsultiert. Als Vermittler, als Stimme, als Experte. Dass sein Zentralrat kaum Gläubige, aber viele Kontakte zur islamischen Welt hat, spielt keine Rolle. Hauptsache, der Ton ist freundlich, der Bart ordentlich gestutzt und die Empörung wohlartikuliert. Die deutsche Öffentlichkeit will keine Klarheit – sie will Gespräch. Und Gesprächspartner. Und Gesprächsatmosphäre. Und Gesprächskreise.

Währenddessen wird im Gazastreifen gestorben. Und in Tel Aviv gezählt, ob die Sirenen schneller heulen als die Raketen fliegen.

Humanismus als Deckmantel des Ressentiments

Es ist eine besonders perfide Form des Missbrauchs, wenn der Humanismus selbst zur Maske wird. Wer sich auf das „Leid der Palästinenser“ beruft, aber zugleich Israels Existenz dämonisiert, betreibt keine Solidarität – sondern Rhetorikmanagement im Dienste des Hasses. Erdogan ist kein humanitärer Aktivist, sondern ein Autokrat mit Expansionsfantasien. Und Mazyek ist kein Friedensstifter, sondern ein geschickter Navigator durch die Untiefen eines deutschen Diskurses, der lieber Appeasement betreibt, als sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen.

Doch Antizionismus ist längst der akzeptierte Cousin des Antisemitismus geworden – eingeladen auf jedes linksliberale Fest, geschmückt mit den Farben des Regenbogens, doch unter dem Mantel stets das alte Gift. Der Jude als Kolonialist, der Zionismus als Apartheid, die israelische Demokratie als „Judenstaat“ – das sind nicht mehr nur Chiffren, sondern Teil einer politisch salonfähigen Hetze, die sich hinter Betroffenheit verbirgt wie ein Messer hinter einer Serviette.

Schlussgedanke: Der Ungeist als Bruder

Erdogan und Mazyek sind nicht nur Brüder im Glauben – sie sind auch Brüder im Ungeist. Der eine wütend, der andere wohlmeinend. Der eine mit Panzern, der andere mit Pressemitteilungen. Aber beide vereint im Misstrauen gegenüber dem Westen, gegenüber Israel, gegenüber einer Moderne, die sie rhetorisch umarmen, aber innerlich ablehnen. Es ist der Versuch, auf den Trümmern der Aufklärung ein neues, identitäres Haus zu bauen – aus religiösem Stolz, politischem Kalkül und moralischer Verdrehung.

Europa – vor allem Deutschland – täte gut daran, diesen Brüdern nicht zuzuhören, sondern sie zu entlarven. Nicht zu debattieren, sondern zu benennen. Nicht zu differenzieren, sondern zu entscheiden. Denn wer Auschwitz relativiert, verliert jedes moralische Recht, über Menschlichkeit zu sprechen. Und wer Israel delegitimiert, kann nicht gleichzeitig vom Frieden reden.

Der Ungeist hat viele Namen. Zwei davon heißen Erdogan und Mazyek. Es wird Zeit, sie auch so zu nennen.

Aiman Mazyeks Stolperstein der Schande

Ich habe bei der Staatsanwaltschaft Wien Strafanzeige (Sendungs-ID: 1926496Z48) gegen den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Herrn Aiman Mazyek, eingebracht. Anlass war ein am 31. Juli 2025 veröffentlichter Facebook-Post, in dem Mazyek ein digitales Bild im Stil der Stolperstein-Gedenkinitiative präsentierte – beschriftet mit „GAZA – Genozid 2025“ (falsch geschrieben „Genocidi“). Die Kombination von Wortwahl und Bildsprache werte ich als schwerwiegende Verharmlosung des Holocaust.

„Was wir in Gaza erleben, ist der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte.
Die Beweise sind erdrückend.“

Diese von Herrn Mazyek öffentlich getätigte Aussage steht im Zentrum der Anzeige. Ich sehe darin eine Relativierung des Holocausts und eine Missachtung der historischen Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen. Durch die Gleichsetzung aktueller politischer Konflikte mit dem systematischen Massenmord an europäischen Jüdinnen und Juden wird das Gedenken in inakzeptabler Weise instrumentalisiert.

Missbrauch der Stolperstein-Symbolik als Angriff auf die Erinnerungskultur

Die bewusste Nachahmung der Stolperstein-Ästhetik – einem international etablierten Mahnmal für Holocaustopfer – in Verbindung mit einem aktuellen politischen Narrativ wirft nicht nur rechtliche, sondern auch ethische Fragen auf. Ich rege daher zusätzlich eine Prüfung auf Verhetzung (§ 283 StGB) und Verächtlichmachung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) an. Die visuelle Symbolik ist geeignet, antisemitische Emotionen zu schüren und die öffentliche Ordnung zu stören.

Forderung nach rascher Aufklärung und Sicherstellung digitaler Inhalte

Ich fordere die unverzügliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie Sicherungsmaßnahmen bezüglich der veröffentlichten Inhalte. Zudem soll geprüft werden, ob auch medienrechtliche Bestimmungen verletzt wurden. Die Anzeige versteht sich als Verteidigung der Würde der Holocaustopfer und als klares Signal gegen jede Form der Geschichtsverzerrung und Pietätlosigkeit.


https://x.com/GruberLavin/status/1951721083804983578
https://www.facebook.com/photo?fbid=24685215964397535&set=pcb.24685217771064021

Aiman Mazyek – Wenn Schamlosigkeit zur Strategie wird

Das infame Bild und die perverse Umkehrung der Geschichte

Es gibt Momente, in denen Sprache versagt. In denen Worte zu klein, zu schwach, zu zivilisiert sind, um der Niedertracht zu begegnen, die sich da in ihrer ganzen Geschmacklosigkeit auf dem Bildschirm entfaltet. Ein digitaler „Stolperstein“ mit der Aufschrift „GAZA“ – als wäre das millionenfach industriell ermordete jüdische Leben nichts weiter als ein beliebig austauschbares Symbol, bereit, in jede gerade populäre Empörung gegossen zu werden. Daneben die grotesk verstümmelte Vokabel „Genocdi“ – eine AI-Grafik, offenbar von einer KI zusammengekleistert, der man moralisches Empfinden niemals beigebracht hat. Kein Wunder: Der Mensch, der sie veröffentlichte, scheint es selbst auch nicht mehr zu besitzen.

Und als wäre dieses abscheuliche Bild nicht bereits eine Verhöhnung der Erinnerungskultur – als wäre es nicht schon ein einziger Affront gegen die Würde der Holocaust-Opfer und ihrer Nachfahren –, da folgt der eigentliche Skandal erst im Text. Dort nämlich heißt es, das Geschehen in Gaza sei „der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte“. Man reibt sich die Augen. Man liest es noch einmal. Aber ja: Da steht es. Schwarz auf Weiß. Unfassbar – und doch real.

Was soll das sein? Ein Missgriff? Ein Versehen? Nein. Es ist ein Statement. Eine Entscheidung. Eine kalkulierte Entgleisung, die alles in den Schatten stellt, was an Relativierungen, an Holocaust-Verharmlosungen, an geschichtsrevisionistischem Zynismus in den letzten Jahren durch die Öffentlichkeit geisterte.

Diese Formulierung ist nicht nur falsch. Sie ist eine Verhöhnung.

Falsch – weil die Definition von „Völkermord“ ein präziser, völkerrechtlich scharf umrissener Begriff ist, der nicht nach medialer Präsenz, sondern nach Absicht und Durchführung bewertet wird. Verhöhnung – weil sie die industriell betriebene Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden – und vieler anderer Opfergruppen – relativiert, indem sie sie auf eine mediale Quantität reduziert: „höchstdokumentiert“. Was kommt als Nächstes? Der „beliebteste Holocaust“? Die „Top 10 der effizientesten Genozide“?

Das ist nicht bloß geschmacklos. Das ist widerwärtig.

Mit einem Federstrich wird hier der Holocaust in eine Art Vergleichswährung umgewandelt – als könne man das singuläre Grauen von Auschwitz und Treblinka mit einem aktuellen Kriegsgeschehen verrechnen, das in seiner Komplexität, Tragik und politischen Verantwortung nicht in ein simples Täter-Opfer-Schema passt. Und es ist kein Zufall, dass solche Umdeutungen gerade aus den Reihen jener kommen, die sich gern selbst als Sprachrohr der Entrechteten stilisieren, aber offenbar bereit sind, jeden moralischen Kompass über Bord zu werfen, wenn es der eigenen ideologischen Inszenierung dient.

Wer so redet, hat nicht nur jedes Maß verloren – er hat jede Scham abgelegt.

Die Formel vom „höchstdokumentierten Völkermord“ ist ein infamer Angriff auf die historische Wahrheit. Sie ist nichts anderes als ein rhetorischer Brandanschlag auf die Grundfesten unserer Erinnerungskultur. Wer sie gebraucht, stellt sich außerhalb jedes zivilisatorischen Konsenses. Es ist der sprachliche Amoklauf eines Milieus, das sich nicht mehr um Wahrheit, nicht mehr um Differenzierung, nicht einmal mehr um menschliche Würde schert – sondern einzig um die maximale moralische Erpressungskraft des eigenen Opfernarrativs.

Wenn die Shoah zu einem Referenzrahmen wird, den man je nach Bedarf heranzerrt, um tagespolitische Wut zu veredeln, dann ist jede Grenze überschritten. Dann reden wir nicht mehr über Kunstfreiheit oder Meinungsäußerung. Dann reden wir über Missbrauch. Über historischen Missbrauch. Über instrumentalisierte Totenruhe. Über eine unfassbare Perversion des Gedenkens.

Und die Frage, die bleibt, ist nicht: Wie konnte das passieren? Sondern: Warum sind nicht viel mehr Stimmen sofort aufgestanden, um diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten?

Die Vermessung des Ungeheuerlichen – eine juristische, politische und medienethische Analyse

Was hier geschieht, ist nicht bloß eine moralische Grenzüberschreitung – es ist ein tektonisches Beben auf gleich drei Ebenen der öffentlichen Ordnung: der rechtlichen, der politischen und der medienethischen. Und jede dieser Sphären versagt hier, wenn sie nicht mit der gebotenen Klarheit reagiert. Das Schweigen in weiten Teilen des politischen und medialen Mainstreams ist nicht Ausdruck von Differenziertheit – es ist eine Bankrotterklärung.

1. Juristisch: Die rote Linie der Volksverhetzung und der Holocaust-Relativierung

Der § 130 des deutschen Strafgesetzbuches, bekannt als das Gesetz zur Volksverhetzung, ist glasklar: Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die NS-Verbrechen verharmlost, leugnet oder relativiert, macht sich strafbar. Dabei geht es nicht nur um Holocaust-Leugnung im klassischen Sinne. Auch die öffentliche Relativierung durch Gleichsetzung mit anderen Ereignissen – insbesondere solchen, die weder in Art noch in Ausmaß vergleichbar sind – kann strafrechtlich relevant sein.

Die Formulierung vom „höchstdokumentierten Völkermord der Menschheitsgeschichte“ steht gefährlich nah an dieser Schwelle – wenn sie sie nicht gar überschreitet. Denn sie stellt, bewusst oder fahrlässig, eine hierarchische Verschiebung in der historischen Wertung von Genoziden her. Die Shoah, bisher historisch und rechtlich als singulär anerkannt, wird damit in ein Ranking gezwängt – das „meistgefilmte“, das „aktuellste“, das „sichtbarste“ Massaker soll nun höher gewichtet werden als der industriell organisierte Vernichtungsprozess der Nationalsozialisten.

Solche Aussagen sind nicht mehr nur ein Tabubruch, sie sind ein potenzieller Tatbestand. Die Strafverfolgung wäre nicht etwa ein Akt politischer Willkür, sondern eine notwendige Verteidigung der historischen Wahrheit als Rechtsgut.

2. Politisch: Wer so redet, will nicht deeskalieren – er will spalten

Politisch gesehen offenbart der Vorgang einen tiefen Riss in der Integrität des demokratischen Diskurses. Wer in der Position eines offiziellen Repräsentanten – hier: der Vorsitzende eines Zentralrats – mit einer solchen Terminologie hantiert, tut das nicht aus rhetorischem Leichtsinn. Es ist ein kalkulierter Schritt, mit dem Ziel, die politische Erzählung zu verschieben.

Es geht nicht mehr darum, differenziert auf humanitäre Katastrophen hinzuweisen oder legitime Kritik an israelischer Militärpolitik zu äußern – was selbstverständlich möglich und nötig bleibt. Nein, hier wird versucht, durch Umdeutung historischer Wahrheit eine neue politische Hierarchie der Opfer zu errichten, in der das jüdische Leid von gestern dem politischen Nutzen von heute geopfert wird.

Und das kommt zur Unzeit. In einem Land, in dem der Antisemitismus nicht nur aus den rechten Ecken kriecht, sondern zunehmend in linken, migrantischen und pseudo-humanistischen Milieus salonfähig wird, wirkt diese Art von Sprache wie ein Brandbeschleuniger. Sie liefert jenen Kräften argumentative Munition, die unter dem Deckmantel der Israelkritik seit Jahren auf die Relativierung des Holocaust hinarbeiten.

Politisches Handeln bleibt aus. Warum?

Die Reaktion der Parteienlandschaft? Ein gespenstisches Raunen. Hier ein distanziertes Statement, dort eine vage Formulierung über „unglückliche Symbolik“. Niemand nennt die Dinge beim Namen. Dabei wäre es dringend geboten, aus staatlicher Verantwortung heraus zu intervenieren. Nicht mit Zensur, sondern mit politischer Klarheit: Wer die Erinnerungskultur missbraucht, hat in den Räumen institutioneller Repräsentation nichts zu suchen.

3. Medienethisch: Wenn das „Empörungskapital“ zum Geschäftsmodell wird

Auch die Medien tragen eine Mitverantwortung an dieser Entwicklung. In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsökonomie die öffentliche Debatte dominiert, wird moralische Drastik zur Währung – und Fakten zur Nebensache. Die geschmacklose Stolperstein-Grafik wurde innerhalb kürzester Zeit in den sozialen Netzwerken tausendfach geteilt, kommentiert, skandalisiert. Und wie so oft: Nicht der Inhalt zählt, sondern der Effekt.

Journalistische Redaktionen stehen unter Druck – wirtschaftlich, aber auch moralisch. Doch der Reflex, selbst bei solchen Grenzüberschreitungen lediglich einen Tweet zu zitieren, anstatt ihn einzuordnen, ist ein Armutszeugnis. Wo bleibt der kontextualisierende Journalismus? Wo sind die Einordnungen, die erklären, warum bestimmte Begriffe historisch untragbar sind? Warum man „Völkermord“ nicht als semantisches Spielzeug benutzen darf?

Medienethik bedeutet Verantwortung.

Verantwortung dafür, dass die Reichweite eines Beitrags nicht zum Selbstzweck wird. Dass das Publikum nicht allein gelassen wird mit Bildern und Begriffen, die ohne Einordnung gefährlich missverstanden oder gar begrüßt werden können. Dass man nicht, aus falsch verstandener „Balance“, jede Geschmacklosigkeit als „legitimen Beitrag zur Debatte“ duldet. Denn das ist keine Debatte. Das ist ein Missbrauch des Diskurses als Bühne der Selbstinszenierung.

Fazit: Keine Grauzone, kein Dazwischen – nur ein klares Davor und Danach

Was wir hier erleben, ist keine Nuance, kein Fehltritt, kein „missglückter Versuch“ politischer Symbolik. Es ist eine Zäsur. Wer den Holocaust relativiert – durch Bilder, durch Sprache, durch Gleichsetzung –, verlässt den Boden des Sagbaren, Denkbaren, Vertretbaren. Wer dies tut, darf keine Repräsentationsmacht mehr beanspruchen, keine moralische Autorität, keine gesellschaftliche Legitimität.

Das Problem ist nicht nur das Bild. Es ist die Haltung dahinter. Und wenn eine Gesellschaft dazu schweigt, dann zeigt sie nicht Reife – sondern Schwäche.

Und mit Schwäche beginnt der Zerfall.

Die Früchte des 7. Oktober

Wenn das Böse sich bedankt

Es gibt Momente, in denen Geschichte plötzlich die Maske fallen lässt. Kein rhetorisches Gesäusel mehr, keine diplomatisch gebügelte Floskel. Kein „beide Seiten“ oder „wir verurteilen in aller Schärfe“, sondern brutale Klartext-Poesie eines Mannes, der Blut an den Händen trägt und triumphierend grinst wie ein Kind, das beim Schummeln erwischt wurde – und dafür noch belohnt wird. Ghazi Hamad, Hamas-Sprecher, Mordideologe und jetzt auch Finanzmagnat mit angeblich vier Milliarden Dollar auf der hohen Kante, ließ kürzlich verlauten, dass die internationale Anerkennung Palästinas „eine der Früchte des 7. Oktober“ sei.

Der 7. Oktober – das ist nicht einfach ein Datum. Das ist ein blutroter Meilenstein im moralischen Niedergang einer Weltordnung, die vorgibt, humanistisch zu sein, aber nur dann Prinzipien kennt, wenn sie sich nicht in den Weg stellen. Ein Massaker mit Babies in Brand gesteckt, Frauen geschändet, Alte massakriert – und nun also diplomatische Bonbons aus Paris, London und Berlin. Was für eine groteske Symmetrie. Man kann es sich nicht ausdenken, man muss es ertragen.

Europäische Rückgrate – aus Porzellan, in China produziert

Emmanuel Macron, dieser PR-gerechte Universalist mit Napoleon-Komplex im postkolonialen Dauerkonflikt; Keir Starmer, der es nicht wagt, einen Schatten zu werfen, aus Angst, er könnte als „rechts“ gelten; Friedrich Merz, der sich in rhetorischer Zickzackakrobatik längst selbst überholt hat. Und dazu der gesamte technokratische Stab aus Brüssel, der mehr Energie in Gender-Guidelines für EU-Fördermittel steckt als in moralische Grundsatzfragen. All diese Figuren haben Ghazi Hamads Aussage nicht widerlegt, sondern bestätigt.

Was auch immer der Westen mal war – Bastion der Aufklärung, moralischer Kompass, vielleicht sogar gelegentlich ein Hoffnungsschimmer – ist er heute nicht mehr. Er ist ein Komitee ohne Kompass, eine Talkshow ohne Inhalt. Der Dschihad tanzt auf den Trümmern europäischer Prinzipien, und Europas Außenminister nicken höflich im Takt. Eine palästinensische Staatlichkeit – nicht nach einem Frieden, nicht nach einem Konsens, sondern als Preis für ein Pogrom. Man überreicht dem Brandstifter nicht nur die Medaille, sondern auch das Streichholz fürs nächste Mal.

Die Dialektik des Westens: Appeasement als Fortschritt verkauft

Die kognitive Dissonanz ist der neue Soundtrack der westlichen Diplomatie. Es ist der Glaube, dass man Gewalt deeskaliert, indem man ihr nachgibt. Dass man Frieden stiftet, indem man diejenigen aufwertet, die Krieg als heilige Pflicht sehen. Dass man mit Islamisten verhandeln könne wie mit Gewerkschaften – als ginge es um Lohnerhöhungen und nicht um die metaphysische Auslöschung des Andersdenkenden.

Was wir hier erleben, ist nicht bloß Feigheit. Es ist ein Systemversagen, gespeist aus postkolonialem Schuldkomplex, Relativismus und der seltsamen, irgendwie rührenden Überzeugung, dass alle Konflikte lösbar seien, wenn man nur genug Wohlwollen zeigt. Leider hat niemand den westlichen Außenministern gesagt, dass ihre Gesprächspartner keine Skandinavier sind. Ghazi Hamad diskutiert nicht. Er diktiert.

Gut gemeint, schlecht gemacht – oder: Das Paradies der Dilettanten

Die Naivität ist keine Ausrede mehr. Nicht nach Syrien. Nicht nach Libyen. Nicht nach Afghanistan. Nicht nach dem Iran-Deal, bei dem die Ayatollahs vor Lachen kaum in ihre Turbane atmen konnten. Und ganz sicher nicht nach dem 7. Oktober. Die politischen Eliten des Westens sind nicht bloß überfordert – sie sind Mittäter aus Inkompetenz. Ihre Symbolpolitik, ihre Hashtag-Diplomatie, ihre moralische Pose – sie hat reale Konsequenzen. Sie befördert jene, die sie eigentlich bekämpfen müsste.

Das Tragische ist: Der Preis für diese Hybris zahlen nicht Macron oder Merz. Der Preis wird in Ashkelon und Sderot gezahlt, in Gaza von den Geiseln, die Hamas noch immer hält, und auch in Europa, in den jüdischen Gemeinden, die ihre Schulen unter Polizeischutz führen müssen – während der „Free Palestine“-Mob ungestört marschieren darf. Der Westen hat seine Schutzbefohlenen verraten, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen.

Die Früchte des Zynismus

Wenn also Ghazi Hamad zufrieden lächelt, dann nicht, weil er eine PR-Kampagne gewonnen hätte. Sondern weil er verstanden hat, dass er die Regeln neu schreiben darf – mit westlicher Tinte. Was der Westen heute als „Geste des Friedens“ verkauft, wird morgen als „Erfolg des Widerstands“ gefeiert. Und übermorgen? Übermorgen steht Europa erneut fassungslos vor einem Terroranschlag, verfasst eine Schweigeminute und reicht dann einem weiteren Schlächter die Hand.

Diese Früchte, Herr Hamad, mögen süß schmecken für Sie. Doch für die Welt, die sich selbst einmal als frei bezeichnete, sind sie bitterer als jedes Urteil der Geschichte.

Die Rückkehr der Gesinnungsprüferin

oder: Wie ich lernte, die Stasi zu lieben

Es war einmal ein Land, in dem man sich bei den Falschen nicht zu laut räuspern durfte. Dieses Land hieß DDR, was nicht, wie viele heute glauben, für „Die Demokratie rockt“ stand, sondern für „Denunziation, Diktatur, Repression“. Damals, als es noch für eine Aktentasche voll Akten ein Schulterklopfen gab, schrieb eine gewissenhafte Frau unter dem Tarnnamen „Marion“ fleißig Berichte über Menschen, die dachten, sie seien ihre Freunde. Heute, ein paar Regime und Erinnerungen später, ist Marion auferstanden – nicht in Gestalt einer Mahnerin für das, was war, sondern als Tugendwächterin dessen, was sein darf.

Maja Wiens, Jahrgang 1952, gebürtige DDR-Bürgerin, gelernte Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit, ist heute das, was man in geförderten Broschüren „zivilgesellschaftliches Engagement“ nennt. Einst führte sie Protokoll über das subversive Verhalten ihrer Umwelt – zum Beispiel unbewilligte Lektüre westlicher Zeitschriften, falsche Freunde oder fragwürdige Liedtexte. Heute führt sie Protestzüge gegen Faschismus und Rassismus an – mit akkurat dekliniertem Plakat und einem unerschütterlichen Blick, der sagt: „Ich weiß, was du letzten Sommer gewählt hast.“


Wer einmal denunziert hat, dem glaubt man nicht

Früher war es der Klassenfeind, heute ist es der politische Feind, der ins Visier gerät. Man könnte fast meinen, es handle sich um eine durchgängige Karriere im selben Berufszweig – nur dass der Dienstherr gewechselt hat und der Etat heute vom Familienministerium stammt, statt vom Ministerium für Staatssicherheit. Was sich nicht geändert hat: der Furor, mit dem die Abweichler vom rechten Weg identifiziert und angeprangert werden.

Natürlich könnte man sagen: Menschen ändern sich. Reue ist möglich, Läuterung auch. Doch davon spricht Maja Wiens nicht. Sie gibt sich nicht als geläuterte Täterin, sondern als moralische Instanz – die letzte Verteidigungslinie gegen die Finsternis, gegen alles, was nicht in ihren antifaschistisch-korrekt kalibrierten Kompass passt. Dass ihre eigene Vergangenheit dabei nicht stört, sondern offenbar qualifiziert, lässt tief blicken – vor allem in die Mechanik heutiger Erinnerungskultur.


Die Reinwaschung der Vergangenheit: Jetzt mit Bio-Siegel

Denn die Geschichte von Maja Wiens ist auch die Geschichte einer beunruhigenden Amnesie. Eine Gesellschaft, die sich als antifaschistisch definiert, scheint bereit, so ziemlich jede Biografie zu verzeihen – solange das Narrativ stimmt. Das heißt: Wer heute gegen rechts ist, kann kaum zu Unrecht je gegen links gewesen sein. Die DDR? Ein Betriebsunfall. Die Stasi? Ein Missverständnis. Die IM-Akte? Ein dunkles Kapitel, aber das Buch hat doch ein gutes Ende. Happy End mit Förderantrag.

Es verwundert da kaum, dass Wiens 2024 den Aachener Friedenspreis bekam – ein Preis, der schon öfter mehr für Gesinnung als für Gewissen verliehen wurde. Der Thüringer Demokratiepreis folgte, als wäre er auf ihre Biografie maßgeschneidert: vom Spitzel zur Demokratin in nur vier Jahrzehnten – ganz ohne öffentliche Entschuldigung, aber mit medienwirksamem Einsatz gegen die AfD. Wer braucht schon Läuterung, wenn man Haltung hat?


Wenn Moral zur Währung wird

Maja Wiens ist nicht die Ausnahme. Sie ist das Symptom. Ein Paradebeispiel für eine Zeit, in der Moral nicht mehr aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld erwächst, sondern aus dem richtigen Feindbild. Wer gegen rechts ist, ist automatisch gut. Und wer gut ist, bekommt Preis, Presse und Projektmittel. Dass die gleichen Methoden zur Anwendung kommen – Beobachtung, Denunziation, soziale Ächtung – ist kein Widerspruch, sondern fast schon ein ironischer Zirkel der Geschichte.

Es braucht keine Stasi mehr, wenn die Zivilgesellschaft bereitwillig ihre Rolle übernimmt. Heute schreibt man keine Akten mehr, man schreibt Tweets. Früher landete man in der Personalakte, heute auf einer Watchlist antifaschistischer Blogs. Die Methoden ändern sich, das Prinzip bleibt: Wer anders denkt, muss beobachtet werden. Wer anders spricht, ist verdächtig. Und wer fragt, warum eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin zur demokratischen Lichtgestalt stilisiert wird, ist ohnehin schon ein Fall für die nächste Zoom-Sitzung der „Omas gegen Rechts“.


Fazit: Die Revolution frisst ihre Kinder – und spuckt sie wieder aus, wenn sie nützlich sind

Man könnte über Maja Wiens lachen, wäre ihre Geschichte nicht so exemplarisch für einen gefährlichen Trend. Statt aus der Geschichte zu lernen, inszeniert man die Vergangenheit als modulares Legoset, in dem man sich die passenden Bausteine heraussucht. Der Rest wird als „nicht hilfreich“ in die Lade mit den Altpapieren gelegt – oder in die Rubrik „rechte Narrative“, wenn jemand wagt, sie zu thematisieren.

Wiens ist nicht die letzte ihrer Art. Sie ist ein Prototyp. Eine Figur, die in ihrer Mischung aus moralischem Eifer, historischer Unschärfe und öffentlicher Förderung zeigt, wie dünn der Lack demokratischer Selbstvergewisserung geworden ist. Und wie bereitwillig wir jene zu Heiligen erklären, die einst bereit waren, andere zu opfern – für die richtige Sache, versteht sich.

Denn in einem Land, das sich so sehr für seine Vergangenheit schämt, dass es sich ständig neue Heldinnen erfindet, ist selbst eine alte IM wie „Marion“ noch zu gebrauchen – solange sie im Dienst der richtigen Gesinnung steht. Und damit schließt sich der Kreis: Der antifaschistische Schutzwall ist zurück. Nur dass er heute nicht aus Beton besteht, sondern aus PR, Preisverleihungen – und einer gehörigen Portion Vergessen.

Am Rande des Weltgewissens: Der vergessene Völkermord an den Jesiden

Die Chronik des Desinteresses

Der 3. August ist kein Feiertag. Er ist kein Tag, an dem man mit Picknickdecke und Kartoffelsalat ins Freie zieht. Kein Tag, an dem Supermärkte Blumenaktionen fahren oder mediale Countdown-Uhren auf Null ticken. Der 3. August ist ein Tag, an dem sich – weitgehend unbemerkt vom globalisierten Dauerfeuer der Empörungsschleifen – ein Datum jährt, das nach Hall schreit und Echo sucht, jedoch nur im Geröll der Nachrichtenflut verschüttet wird: der Beginn des Völkermords an den Jesiden durch den sogenannten Islamischen Staat im Jahr 2014.

Elf Jahre ist es her, dass Männer enthauptet, Frauen versklavt, Kinder verschleppt wurden. Nicht irgendwo in einem abstrakten Raum des Schreckens, sondern im nordirakischen Sindschar-Gebirge, einem Ort, der seither ein Synonym geworden ist für das Versagen der Menschheit, wenn es darauf ankommt. 2.700 Frauen und Kinder gelten weiterhin als vermisst – eine Zahl, die längst zu einer Fußnote der Weltpolitik verkommen ist, eine Ziffer in einem UN-Bericht, die zwischen „Klimakrise“ und „Künstlicher Intelligenz“ auf Seite 37 versickert.

Die Verhältnismäßigkeit der Aufmerksamkeit – oder: Warum Britney Spears’ Instagram mehr Schlagzeilen macht als die jesidischen Überlebenden

Was darf Aufmerksamkeit kosten? Was ist ein Menschenleben wert, wenn es nicht photogen, viral oder geopolitisch nützlich ist? In einer Welt, in der das Mitleid binnen 24 Stunden auf TikTok tanzen muss, um Relevanz zu behalten, haben die Jesiden verloren. Nicht nur ihre Angehörigen, ihre Dörfer, ihre Unversehrtheit. Sondern auch das unsichtbare Siegel dessen, was man „zivilisatorisches Minimum“ nennen könnte. Denn wer nicht sichtbar ist, dem wird nicht geholfen. Und wer nicht schreit, dem wird nicht zugehört. Die Jesiden haben geschrien. Doch unsere Ohren waren voller anderer Geräusche: Likes, Aktienkurse, Wahlkampfrhetorik, Influencerdramen.

Der Täter ist verschwunden, das Verbrechen bleibt

Der IS mag territorial besiegt sein, die Kalaschnikows verstummt, die schwarzen Fahnen eingerollt. Doch wie jeder gut gebaute Alptraum wirkt auch dieser nach. Die Strukturen der Gewalt, die Traumata, das Netz aus Angst und Stigma – sie sind geblieben. Wie ein Ölfleck im kollektiven Bewusstsein, das sich nicht entschließen kann, ob es überhaupt betroffen sein will. Der Täter hat sich entmaterialisiert, transformiert in Schatten, Zellen, Parolen. Die Tat jedoch lebt weiter in jedem jesidischen Kind, das seine Mutter sucht, in jeder Frau, die zu „Beute“ erklärt wurde – ein Wort, das nicht aus dem Mittelalter stammt, sondern aus der Rechtsprechung des Kalifats von gestern.

Moral als saisonales Angebot: Der westliche Blick und seine Halbwertszeit

Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, das sich wiederholt, in immer neuen Variationen: Der Westen entdeckt eine Katastrophe, ist erschüttert, sendet Delegationen, organisiert Gedenkveranstaltungen mit exakt austarierter Betroffenheitsmimik, legt Kränze mit strategisch fotografierbaren Schleifen nieder – und wendet sich dann wichtigeren Dingen zu. Wahlumfragen. Haushaltspolitik. Der neuesten Netflix-Serie. Die Moral ist verfügbar, aber leider nicht vorrätig. Oder nur noch in Restbeständen.

Was dabei übersehen wird: Die Jesiden brauchen keine Lippenbekenntnisse. Sie brauchen Gerechtigkeit. Reparationen. Sichtbarkeit. Eine internationale Gerichtsbarkeit, die den Begriff Völkermord nicht inflationär gebraucht, sondern endlich justiziabel macht. Die Möglichkeit, sich als Subjekt zu begreifen, nicht nur als Objekt humanitärer Folklore.

Zynismus ist der letzte Schutzmantel der Wahrheit

Ja, man darf zynisch sein. Man muss es sogar, wenn man den Irrsinn dieser Welt nicht nur aushalten, sondern benennen will. Wenn ein Krieg mehr Sendezeit bekommt, weil er geografisch näher an einem Gasanschluss liegt, als einer, der ethnisch motivierten Genozid betreibt, dann ist Zynismus die einzig logische Reaktion. Wenn eine befreite jesidische Frau nach elf Jahren der Versklavung zwar als „breaking news“ kurz aufflackert, aber nicht einmal einen ministeriellen Akt der Würdigung erfährt, dann ist Ironie kein Stilmittel mehr, sondern Selbstschutz vor der Ohnmacht.

Kein Vergessen ist nicht genug

„Kein Vergessen!“ ruft es aus den wenigen Stimmen, die sich heute noch mit dem Schicksal der Jesiden befassen. Aber es reicht nicht, sich zu erinnern, wenn das Erinnern keine Konsequenz hat. Erinnern muss wehtun. Es muss handeln wollen. Es muss die eigene Bequemlichkeit stören. Sonst ist es sentimentaler Stillstand. Die Jesiden brauchen nicht unser Mitleid, sondern unsere Verantwortung. Sie sind kein Mahnmal – sie sind Menschen. Lebendig, verletzlich, voller Geschichten, die weitererzählt werden müssen – nicht als Tragödien, sondern als Zeugnisse eines Widerstandes gegen das Vergessen, gegen das Schweigen, gegen die Gleichgültigkeit.

Epilog: Ein Gebirge voller Stimmen

Das Sindschar-Gebirge schweigt nicht. Es ist voller Stimmen, auch wenn sie nur flüstern. In jeder verscharrten Leiche, in jeder überlebenden Frau, in jedem Kind, das mit zwei Namen lebt – dem gegebenen und dem gestohlenen. Wer hinhört, wird sie hören. Und wer sie hört, kann nicht mehr schweigen.

Gesinnung statt Spannung – Wie der „Tatort“ zur sonntäglichen Umerziehung mutierte

Prolog im Meinungskorsett: Wenn das Böse immer eine Glatze trägt

Es war einmal, an einem Sonntagabend, zwischen dem dritten Rotwein und dem letzten Stück Tiefkühlpizza, als das deutsche Fernsehvolk sich einig war: Jetzt ist aber endlich Tatort-Zeit! Ein bisschen Morden, ein bisschen Ermitteln, ein bisschen latent miefige Vorabendmelancholie – das Ritual, das selbst Atheisten eine Ahnung vom sonntäglichen Gottesdienst vermittelte. Doch mittlerweile flimmert kein Krimi mehr über die Bildschirme. Stattdessen läuft ein staatlich abgesegneter Erziehungsfilm mit Krimiverkleidung – irgendwo zwischen Sendung mit der Maus für Erwachsene und einem schlecht getarnten Propagandastreifen der postmodernen Tugendwächter. Willkommen in der neuen Sonntagsschule der ARD, wo der Täter stets das Falsche wählt – und zwar ideologisch.

Die neue Dramaturgie: Täter rechts, Opfer divers

Wer heutzutage einen „Tatort“ einschaltet, darf sich auf verlässliche Drehbuchkonventionen freuen, so sicher wie das Amen in der Kirche der Haltung: Der Täter ist – Überraschung! – männlich, weiß, mittelalt, Unternehmer oder alternativ wahlweise AfD-Wähler, Burschenschaftler oder Vater dreier Kinder mit einem zu festen Handschlag. Das Opfer hingegen hat einen Migrationshintergrund, lebt vegan, ist queer oder zumindest marginalisiert genug, um mit moralischem VIP-Status ausgestattet zu sein. Willkommen im Moral-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Fakten, Motive, logische Zusammenhänge? Nebensache. Was zählt, ist die Gesinnung – am besten im moralischen Streichelzoo zur Primetime.

Die Requisite ist entsprechend angepasst: Die Villa des Kapitalisten tropft vor kaltem Chic und ideologischem Schimmel, während die Unterkunft des Geflüchteten zwar baufällig, aber mit warmer Menschlichkeit durchflutet ist. Die Kommissare nicken verständnisvoll, wenn Opfergruppen sprechen, und blicken angewidert, wenn der rechtschaffene Mittelständler versucht, seine Sicht zu schildern. Wer das „falsche“ Weltbild vertritt, hat im Drehbuch sowieso keine Chance auf Menschlichkeit. Differenzierung ist halt ein Privileg der Guten.

Florian Hager und die Demokratiestiftung per Drehbuch

ARD-Intendant Florian Hager, ansonsten vor allem bekannt durch seine photogen-ernste Stirnfalte und das Talent, pädagogische Floskeln in Statements zu pressen wie ein Kantinenkoch das Sojaschnitzel, sieht den Tatort als „demokratiestiftendes Format“. Eine Aussage, so vollendet kafkaesk, dass man unweigerlich an die Zeit denkt, als öffentlich-rechtliche Sender noch Sendungen machten – und nicht Bekenntnisse.

Was genau gestiftet werden soll, bleibt allerdings offen. Demokratie? Oder eher ein Meinungsbiotop, in dem nur gedeiht, was im Diversity-Kosmos als fruchtbar gilt? Die Pluralität der Perspektiven weicht einer ideologischen Einfalt: Wer vom Skript der Weltoffenheit abweicht, landet im Plot als Täter. Wer kritisch fragt, ist verdächtig. Wer ironisiert, wird gecancelt – oder wenigstens aus dem Abspann gestrichen. Kritisches Denken wird durch korrektes Fühlen ersetzt, und wer denkt, das sei eine Karikatur, sollte dringend den letzten Tatort mit dem Gender-Kommissar-Duo in Transsolidarität anschauen.

Krimi als Klischeekulisse: Die Helden der neuen Zeit

Der klassische Kommissar – zynisch, ein bisschen versoffen, aber mit Instinkt – wurde längst beurlaubt. Er wurde ersetzt durch sensitiv kodierte Persönlichkeitsbausteine mit pädagogischem Sendungsbewusstsein. Der neue Ermittler spricht in Empowerment-Slogans, trägt feministische Buttons und zitiert lieber Judith Butler als den Obduktionsbericht. Die Verhöre ähneln Therapiesitzungen, die Täteranalysen klingen wie Instagram-Captions: „Toxische Männlichkeit führte zur Tat. Kapitalismus als strukturelle Gewalt. Weißsein als Mitverantwortung.“ Einmal Gendersternchen – mit allem, bitte!

Die Diversität im Tatort hat mittlerweile die narrative Integrität überrollt wie ein Lastenrad den Wochenmarkt. Was ursprünglich Vielfalt bedeutete – nämlich unterschiedliche Perspektiven, auch unbequeme –, wurde zu einem uniformen Wohlfühldiktat umgedeutet. Es darf alles sein, solange es sich im Safe Space der richtigen Haltung bewegt. Der Migrant mit krimineller Energie? Undenkbar. Der Antifa-Aktivist mit Gewaltproblem? Unmöglich. Der Unternehmer mit Herz? Nicht im Drehbuch vorgesehen. Willkommen in der Welt des fiktionalen Gesinnungskollektivs, in dem Widerspruch die größte Bedrohung darstellt.

Satire oder Realität? Man weiß es nicht mehr

Dass dieser Text satirisch ist, sei ausdrücklich betont. Obwohl – ist er das wirklich? In einem Medienklima, in dem der Witz vom Irrsinn kaum mehr zu unterscheiden ist, wird jede Polemik zur erschütternden Zustandsbeschreibung. Wenn der Tatort als „demokratiestiftend“ gilt, dann war die „Feuerzangenbowle“ wohl ein Experiment zur Bildungsgleichheit. Wenn jeder Bösewicht ein Unternehmer ist, dann liegt die einzige Spannung darin, ob es diesmal der Immobilienhai oder der Metzgereibesitzer mit Facebook-Konto war. Und wenn ausgerechnet ein Krimi keine Ambivalenz mehr zulässt, sondern sich in moralischer Eindeutigkeit suhlt wie ein Politiker im Eigenlob – dann ist das Tragik, keine Satire.

Epilog: Die Moral von der Geschicht? Einschalten lohnt sich nicht

Wer heute noch Tatort schaut, ist entweder Soziologe, Masochist oder Fan von frontalpädagogischen Erzählungen im Polizeiuniformformat. Spannung? Fehlanzeige. Stattdessen gibt es pädagogischen Stuhlkreis mit Mordfallbeilage. Das Ende ist längst klar: Der Täter ist der Falsche, das Opfer ist der Richtige, und wir Zuschauer sind die Umerzogenen.

Aber vielleicht liegt die Zukunft des deutschen Fernsehens genau darin: Unterhaltung durch Unterweisung, Spannung durch Signalwirkung. Statt „Wer war’s?“ heißt es bald: „Wer denkt falsch?“ Und die letzte Pointe wird nicht mehr im Abspann stehen, sondern im Schulbuch – als Beispiel für demokratiestiftendes Fernsehen.

Oder, um es mit einem alten Tatort-Kommissar zu sagen: „Ich habe da so ein Gefühl – und das gefällt mir gar nicht.“


Ende – oder: Bleiben Sie kritisch. Irgendjemand muss es ja sein.

Der Nebel des Relativismus oder: Wie man auf beiden Augen blind wird

Klarheit & Verantwortung in der Nahostpolitik sind Gebot der Stunde!

Es ist eine der tragischsten Grotesken der Gegenwart: Während Raketen auf israelische Städte niedergehen, während Kinder sich in Bunkern verschanzen und Terrororganisationen in Liveübertragung ihre Charta der Vernichtung skandieren, falten europäische Intellektuelle ihre Hände – nicht zum Gebet, sondern zur Haltungsübung. Alles sei „kompliziert“, „historisch belastet“, „von kolonialen Strukturen durchwirkt“. Und so verwandelt sich das reale Schlachtfeld des Nahen Ostens in einen moralphilosophischen Sandkasten westlicher Diskursakrobatik. Das Existenzrecht Israels? Aber bitte im Konjunktiv. Die Hamas? Ein Produkt sozioökonomischer Frustration. Der Antisemitismus auf Europas Straßen? Ein „Hilfeschrei“ migrantischer Subjektivitäten. Die Täter-Opfer-Umkehr wird so geschickt zelebriert, dass Orwell sich in seinem Grab umdrehen müsste – mit anerkennendem Nicken.

Das Recht auf Selbstverteidigung – aber bitte nur mit Wattebäuschchen

Die Logik ist bestechend in ihrer Perversion: Israel darf sich verteidigen – aber nur, wenn es niemandem wehtut. Keine zivilen Opfer, keine Kollateralschäden, keine moralischen Grauzonen. Dass die Gegenseite sich hinter Babys, Krankenhäusern und Moscheen versteckt, wird dabei geflissentlich ignoriert. Die Choreographie ist immer gleich: Die Hamas feuert Raketen, Israel reagiert, die Presse titelt „Gewalt im Nahen Osten“. Und dann folgt das große moralische Fingerspitzengefühl: „Verhältnismäßigkeit“. Ein Wort, das in seiner Anwendung auf Israel so häufig bemüht wird, dass man meinen könnte, es sei ausschließlich für diesen Zweck erfunden worden. Die Frage, wie ein demokratischer Staat sich gegen Terror wehren soll, ohne als Aggressor zu gelten, bleibt unbeantwortet. Oder schlimmer: bewusst unbeantwortbar.

Von der Staatsräson zur Staatsvermeidung

Die deutsche Staatsräson sei die Sicherheit Israels, so hört man. Ein schöner Satz, den man gerne auf Gedenkveranstaltungen oder Regierungserklärungen rezitiert, vorzugsweise mit leicht belegter Stimme und ernster Miene. Doch jenseits des Protokolls sieht es düster aus: Während Synagogen bewacht werden müssen, wird der Antisemitismus auf Schulhöfen, Unicampi und Demos unter dem Schutzmantel der Meinungsfreiheit geduldet – solange er sich in den richtigen Farben kleidet und die richtigen Parolen brüllt. Der Unterschied zwischen „Kritik“ und „Hass“ ist dann nur noch semantisch, und die „Sorge um die Palästinenser“ dient als moralischer Feigenblattvorhang für blanken Judenhass. Wenn Staatsräson bedeutet, an Gedenktagen Kränze zu legen, aber am nächsten Tag UN-Resolutionen durchzuwinken, die Israel delegitimieren, dann ist sie nur noch eine rhetorische Zierde – wie das Kreuz im Sitzungssaal eines religionskritischen Ethikrats.

Luftpost aus Absurdistan – Wenn der Himmel über Tel Aviv dröhnt

Wenn über Tel Aviv das metallene Dröhnen schwerer Triebwerke ertönt, ist es für viele Israelis längst keine eindeutige Bedrohung mehr, sondern ein Multiple-Choice-Quiz: A) Hamas-Raketen. B) Iranische Drohnen. C) Die deutsche Bundesluftwaffe auf einem weiteren humanitären Experimentierflug. Letzteres ist der Albtraum mit Gütesiegel – Päckchenweise „Zivilhilfe“, die über Umwege, Tunnel und befreundete Autokratien am Ende genau dort landet, wo Sprengstoff beigemischt wird. Die Ironie: Dieselben Länder, die Israel diplomatisch zum Maßhalten ermahnen, ermöglichen strukturell die Aufrechterhaltung des Terrors, den sie dann mit betroffener Stirn verurteilen. Es ist das geopolitische Äquivalent zum Feuerlegen mit dem einen Arm und Feuerlöschen mit dem anderen – nur, dass Letzterer stets leer bleibt.

Resolutionstheater der Absurdität – Die UN als moralisches Improvisationskollektiv

Willkommen im Weltsicherheitsrat, jener moralischen Puppenbühne mit realem Einfluss. Hier wird täglich auf hohem Niveau Empörung simuliert, während die schlimmsten Diktaturen der Welt als Richter über Israel auftreten dürfen. Der jährliche Wettbewerb „Wer formuliert die schönste anti-israelische Resolution?“ ist längst Tradition. Dass währenddessen syrische Fassbomben, iranische Hinrichtungen und chinesische Uigurenlager weitgehend ohne UN-Kommentare auskommen, ist kein Zufall, sondern System. Denn Israel, das ist ein Land, das man kritisieren kann, ohne politische Kosten zu fürchten – ein ideales Feindbild für moralische Schaumschlägerei. Und das alles unter der blauen Flagge der Menschenrechte. Die Farce ist so vollständig, dass man sich fragt, wann Kafka als Ghostwriter in Erscheinung tritt.

Campus der Doppelmoral – Akademischer Antizionismus als Fortschrittsreligion

Die Universität, so hieß es einmal, sei der Ort, an dem Denken frei sei. Heute ist sie vor allem der Ort, an dem Denken vorab auf Wokeness-Tauglichkeit geprüft wird. Der akademische Antizionismus ist dabei kein Nebensatz mehr, sondern Teil des Curriculums. Wer sich gegen Israel ausspricht, darf auf Podien, Preise und Professuren hoffen. Wer sich für Israel äußert, wird zur problematischen Figur erklärt – bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als Komplize der Unterdrückung. Die neue Religionsgemeinschaft heißt „Dekoloniale Theorie“ – mit Heiligtümern, Märtyrern und dogmatischer Rechthaberei. Ihre Priesterschaft nennt sich „kritische Wissenschaft“, ihr Bannstrahl trifft alle, die Juden nicht nur als Opfer, sondern auch als Subjekte mit einem legitimen Nationalstaat begreifen. Es ist nicht intellektuelle Neugier, die hier regiert, sondern ideologischer Eifer – durchdrungen vom Wunsch, die Geschichte umzuschreiben, notfalls auf Kosten der Realität.

Feuilletonistische Pirouetten – Wenn Redakteure rückwärts denken

„Differenziert“, „abgewogen“, „nachdenklich“ – so beschreibt sich der deutsche Feuilleton gerne selbst, während er die Klarheit meidet wie der Teufel das Weihwasser. Wenn Juden in Deutschland wieder Polizeischutz brauchen, liest man nicht etwa: „Wie konnte das passieren?“, sondern: „Muss Israel seine Politik überdenken?“ Wenn ein Massaker in Israel geschieht, folgt der Reflexartikel: „Wie stark hat die Besatzung daran Anteil?“ Und wenn die Hamas mordet, dann ist der Schuldige schnell gefunden – nämlich Israel, das „mit seiner Politik die Spirale der Gewalt befeuert“. Es ist ein Tanz auf Zehenspitzen – rückwärts, mit verbundenen Augen und gespielter Entrüstung. Haltung wird simuliert, während man sich krümmt. Moral wird angedeutet, nie aber behauptet. Und Israel? Das bleibt die ewige Projektionsfläche für das deutsche Bedürfnis, Schuld zu delegieren, ohne sie abzugeben.

Das Kreuz mit der Schuld – Kulturelle Selbstverleugnung als neuer Exorzismus

Was früher Buße hieß, nennt sich heute postkoloniale Kritik. Doch die rituelle Selbstkasteiung westlicher Gesellschaften hat eine neue Stufe erreicht: die kulturelle Selbstverleugnung als Tugend. Wer heute einen klaren Satz über die Verteidigung demokratischer Werte sagt, sieht sich schnell dem Verdacht des „Eurozentrismus“ ausgesetzt. Solidarität mit Israel? Koloniale Arroganz. Verteidigung westlicher Rechtsprinzipien? Imperialistische Erbsünde. Der neue Kult des Schuldgefühls verlangt nicht nur Demut – er verlangt Selbstauflösung. Und nichts eignet sich besser als Sühneopfer als Israel: ein jüdischer Staat, gegründet auf westlich-demokratischen Prinzipien, bewaffnet, selbstbewusst – also gleich doppelt verdächtig.

Der Clou: Man nennt es „Reflexion“, meint aber Selbstverachtung. Und so verbeugt sich Europa mit wachsender Inbrunst vor jenen, die es verachten, während es jene belehrt, die es verteidigen. Israel steht dann nicht als Verbündeter da, sondern als Störenfried – eine peinliche Erinnerung daran, dass man selbst einmal für Aufklärung, Freiheit und Wehrhaftigkeit stand. Heute reicht ein gepostetes Gedicht von Mahmoud Darwish, um sich auf der richtigen Seite zu wähnen – und gleichzeitig die eigene Geschichte in den Papierkorb zu werfen.

Schluss mit dem Selbstbetrug

Es wird Zeit, die Begriffe wieder zu ordnen. Terror ist Terror. Selbstverteidigung ist kein Verbrechen. Und Israel ist kein koloniales Konstrukt, sondern ein existenzielles Bollwerk gegen einen fanatisierten Nihilismus. Wer das nicht erkennt, hat entweder zu viel Adorno zitiert oder zu wenig Realität gesehen. Klarheit ist kein aggressiver Akt, sondern eine moralische Notwendigkeit. Verantwortung bedeutet, nicht neutral zu sein zwischen Demokratie und Barbarei – denn wer in der Mitte zwischen Anstand und Fanatismus steht, steht immer auf der falschen Seite.


Denn Solidarität ist kein Bauchgefühl. Sie ist eine Entscheidung. Und sie sollte, verdammt nochmal, nicht so schwerfallen.

Im Theater der Absurden: Zwei Männer, ein Ultimatum, null Verstand

Wenn zwei alte Männer mit der Welt Schach spielen, aber keiner weiß, wo das Brett steht

Man stelle sich die Szene vor: Zwei Männer – beide mit Alterserscheinungen, die entweder vom Whiskey, vom Machtmissbrauch oder von zu viel Bildschirmzeit stammen – führen eine Diskussion, die jeden diplomatischen Beobachter das Zittern lehrt, jedoch nicht vor Ehrfurcht, sondern vor Verzweiflung. Der eine heißt Trump, bekannt als der Erfinder des „alternativen Fakts“, und hält nun in seiner zweiten Amtszeit Hof auf einer Plattform, die klingt wie ein überambitioniertes Wellness-Start-up („Truth Social“) – der andere heißt Medwedew, ein Mann, der einst als Präsident Russlands galt, heute aber mehr wie ein Telegram-Bot auf Koks agiert. Beide werfen mit Worten um sich, als seien es Wasserballons auf einem Kindergartenfest – nur dass die Ballons mit Plutonium gefüllt sind.

Trump, der sich offenbar für den Chuck Norris der Geopolitik hält, kündigt per social media die Verlegung zweier Atom-U-Boote in „geeignete Regionen“ an. Die Orte bleiben vage, weil Vagheit bei Trump zur Methode gehört – Unklarheit ist sein Schwert, Dunst sein Schild. Das erinnert nicht zufällig an Fernsehformate der 90er: Showdown ohne Drehbuch, dafür mit viel Nebelmaschine. Dass die Welt dabei als Bühne herhalten muss, ist nur folgerichtig – immerhin ist sie ja ohnehin schon Kulisse geworden in einem Theater, das längst keine Handlungen mehr kennt, nur noch Attitüden.

Die Rückkehr der Apokalypse als Politikstil – Retro ist das neue Real

Was aber wirklich bemerkenswert ist, ist nicht die atomare Andeutung an sich – das ist im 21. Jahrhundert leider schon fast ein Stilmittel. Es ist der Tonfall: ein kindischer, provokativer, pubertär-kriegerischer Sound, der sich um jeden historischen Ernst foutiert. Trump, der Mann, der Twitter durch den rhetorischen Fleischwolf gedreht hat, gibt sich „überrascht“, dass mit Putin zwar gute Gespräche möglich waren, aber trotzdem Bomben fliegen. Diese Mischung aus gespielter Naivität und tatsächlicher Realitätsverweigerung ist mehr als gefährlich – sie ist symptomatisch für eine Weltordnung, die ihre Fäden verloren hat, aber weiterhin so tut, als liefe alles nach Drehbuch.

Und Medwedew? Der grummelige Ersatz-Stalin mit Telegram-Zugang, dessen Drohungen mittlerweile fast schon literarisch wirken – jedenfalls in ihrer manischen Wiederholung. Dass er Trump als „Opa“ bezeichnet, ist fast poetisch. Ein gealterter Halbgott beleidigt einen anderen, als säße man in einer antiken Tragödie, nur ohne Chor, dafür mit Social Media. Beide umgeben sich mit Pathos, das den Eindruck erwecken soll, es ginge noch um Prinzipien. Tatsächlich geht es nur noch um Egos. Und um Klicks. Und um die Möglichkeit, sich als letzte virile Instanz in einer entmannten Welt zu präsentieren – mit nuklearem Subtext, versteht sich.

Die Rolle Europas: Der Kontinent als Fußnote

Und Europa? Nun, Europa sitzt wie immer am Katzentisch der Geschichte, löffelt kalte Suppe und murmelt etwas von „regelbasierter Ordnung“, während sich am anderen Ende des Saals zwei testosterongetriebene Atompäpste mit Ultimaten bewerfen. Brüssel veröffentlicht eine „scharfe Stellungnahme“, Berlin telefoniert mit sich selbst, und Paris gibt sich verschnupft über mangelnden Respekt gegenüber französischer Diplomatie – kurz: Business as usual. Das große Projekt der europäischen Friedensordnung wirkt in solchen Momenten wie ein gut gemeinter Aquarellkurs inmitten eines Flammenmeers.

Die U-Boote? Europa hat keine. Jedenfalls keine, die man erwähnen möchte. Was bleibt, ist Empörung in PDF-Form, eine Gipfelkonferenz mit schlechtem Kaffee und die vage Hoffnung, dass sich die Großen doch bitte wieder benehmen mögen. Doch das Problem ist: Die Großen haben sich nie benommen. Und Europa war nie groß. Es war immer nur der moralische Erzähler einer Geschichte, die andere schreiben – mit Blut, Stahl und dem Wort „Sicherheit“ im Munde.

Atomare Schatten in börsennotierten Zeiten

Währenddessen zittern die Märkte. Natürlich. Börsenkurse, diese sensiblen Seismografen globaler Grobheit, reagieren auf Trumps U-Boot-Show mit dem klassischen Abwärtsschnupfen. Der DAX taumelt, Analysten dreschen semantisches Stroh, und das goldene Kalb Kapital bekommt mal wieder ein bisschen Fieber. Die Eskalation ist also angekommen, wo sie hingehört: im Depot. Und wie immer ist es diese Mischung aus geopolitischem Horror und monetärer Nervosität, die unsere Gegenwart so einzigartig schizophren macht: Ein Satz auf Truth Social lässt Milliarden verschwinden, ein U-Boot in Bewegung ersetzt einen Friedensplan. Willkommen im Zeitalter der Simulation.

Das eigentliche Drama ist jedoch, dass niemand mehr glaubt, dass jemand glaubt. Alle Akteure agieren wie Figuren in einem aufgeblähten Rollenspiel, in dem jeder weiß, dass der Endgegner nur ein Algorithmus ist. Die Drohung wird zur Inszenierung, das Ultimatum zum Clickbait. Und der Atomkrieg? Vielleicht nur ein besonders gut getimter Marketing-Gag.

Schlussstück ohne Pointe: Wir spielen Krieg – aber keiner weiß mehr, wie man Frieden macht

Was bleibt also, außer ein resigniertes Schulterzucken mit intellektuellem Überbau? Die Vorstellung, dass ein einziger alter Mann auf einer Social-Media-Plattform darüber entscheidet, wie nah zwei Atom-U-Boote an Russland heranschleichen, ist grotesk – und gleichzeitig völlig logisch. In einer Welt, in der die politische Rationalität durch ein Gemisch aus Showgeschäft, Altersstarrsinn und nuklearer Nostalgie ersetzt wurde, ist alles möglich. Und nichts mehr wahrscheinlich.

Vielleicht ist das die neue Konstante: Dass wir nicht mehr wissen, ob wir uns in einem Weltkrieg befinden oder nur in einer besonders absurden Episode spätkapitalistischer Realitätssatire. Die Grenzen verschwimmen, die Sprache implodiert, die Logik kapituliert. Und mittendrin steht Europa, milde verwirrt, leicht enttäuscht und – wie immer – ohne Plan, aber mit vielen Prinzipien. Irgendwo in der Ferne ein U-Boot. Und ein Tweet. Und eine Frage: Wann genau wurde das alles eigentlich normal?

Wissenschaft oder Weihrauch?

Die Popper’sche Zumutung – über Falsifikation, modische Wahrheiten und akademischen Ablasshandel

Es war einmal ein Denker namens Karl Popper, der mit britisch-wienerischer Gründlichkeit die Wissenschaft in eine Zwangsjacke aus Logik und Skepsis steckte. Für ihn war eine These nur dann wissenschaftlich, wenn sie falsifizierbar war – also widerlegbar im Prinzip, prüfbar in der Praxis, und dem kalten Schwert der Realität ausgesetzt wie ein Fisch auf dem Trockenen. Kein Dogma, keine letzte Wahrheit, keine sakrosankte Theorie durfte vor der Möglichkeit ihrer Widerlegung sicher sein. Wissenschaft, so Popper, sei ein Wettlauf gegen das eigene Irrtumspotenzial – ein disziplinierter Narzissmus, der sich am liebsten selbst widerlegt, um zu wachsen.

Wie unhöflich! Wie antisozial! Wie neurotisch!

Denn diese Zumutung, dass Wissenschaft mehr mit methodischer Bescheidenheit als mit moralischer Gewissheit zu tun hat, widerspricht allem, was der moderne Mensch von der Wissenschaft erwartet: Erlösung, Orientierung, Identität. Was bei Popper ein gefährlicher Vorschlag zur intellektuellen Demut war, ist heute für viele nur noch ein staubiges Fußnotenskelett aus der Epoche der alten, weißen Männer mit Brillen. Denn längst hat sich ein anderer Geist durch die akademischen Tempel geschlichen – einer, der keine Thesen mehr überprüft, sondern Weltbilder zementiert. Willkommen in der Ära der Modewissenschaft.

Das postmoderne Dogma – Wenn die These nicht falsifizierbar sein darf, weil sonst der Seminarraum implodiert

Es ist ein feiner, fast unhörbarer Wechsel, der da stattfand: Statt Thesen aufzustellen, die man widerlegen kann, werden heute Narrative gebaut, die man nicht in Frage stellen darf. Aus prüfbarer Hypothese wurde dekonstruktiver Mythos, aus experimenteller Neugier ein identitärer Kult. Der Diskurs hat die Evidenz abgelöst. Es zählt nicht mehr, ob etwas stimmt, sondern ob es „problematisiert“ werden kann. Wer fragt, ob eine Theorie überprüfbar ist, wird verdächtigt, „epistemische Gewalt“ auszuüben.

Ein besonders glänzendes Beispiel dieses Wandels: die Genderwissenschaft, dieses polyphonetische Labyrinth aus Text, Text über Text und Text über die Texte über Text. Dort wird nicht geforscht, sondern gedeutet – mit einer Inbrunst, die mittelalterliche Theologen neidisch gemacht hätte. Die Realität – Biologie, Statistik, Beobachtung – ist nicht die Basis, sondern das zu überwindende Hindernis. Wer fragt, ob Geschlecht auch biologische Komponenten habe, wird mit dem intellektuellen Holzhammer der Dekonstruktion erschlagen: „Was ist schon Biologie außer ein kulturelles Konstrukt, das sich als Natur ausgibt?“ Eine These, so immun gegen Falsifikation, dass selbst der Papst erröten würde.

Doch Popper würde wohl trocken antworten: „Wenn nichts widerlegt werden kann, dann ist es auch keine Wissenschaft. Sondern Glaube. Oder Ideologie. Oder Theater mit Fußnoten.“

Alte Geister in neuen Kutten – Die Renaissance der Ideologie mit akademischem Anstrich

Nun wäre das alles nur amüsant, wenn es nicht historische Vorläufer gäbe, die deutlich machten, wie gefährlich diese Art der Wissenschaftssimulation werden kann. Denn auch andere Systeme hatten ihre Modewissenschaften – nur nannten sie sie nicht so höflich. Im Dritten Reich blühte die sogenannte „Rassenforschung“: ein Gemisch aus biologistischer Scharlatanerie, pseudostatistischer Arroganz und ideologisch vorgegebener Zielstruktur. Dort wurde nicht geforscht, sondern bewiesen – beweisen sollte man, dass es Unterschiede gäbe, hierarchisch, erblich, unüberwindbar. Und siehe da: Die Ergebnisse passten stets zur Ideologie. Falsifizieren? Das war Judenkram.

In der DDR trug dieselbe Haltung ein anderes Kostüm: Der „wissenschaftliche Sozialismus“ – allein der Begriff ein Oxymoron in drei Akten. Dort wurde nicht überprüft, ob eine Theorie funktioniert, sondern die Realität wurde geprüft, ob sie sich dem Marxismus-Leninismus unterwirft. Wer Zweifel anmeldete, war kein Skeptiker, sondern „Klassenfeind“. Wer empirisch dachte, galt als Konterrevolutionär. Auch hier: Wissenschaft war kein Werkzeug zur Erkenntnis, sondern ein Service zur Legitimierung des Systems.

Man sollte meinen, Europa hätte daraus gelernt. Doch was ist der Unterschied zwischen der Behauptung, „die Rasse bestimmt den Geist“, und der Behauptung, „das Geschlecht bestimmt die Wahrheitsperspektive“ – wenn beide immun gegen Kritik, aber übervoll mit moralischem Pathos vorgetragen werden?

Die neue Unantastbarkeit – Kritik als Sakrileg

Wir leben in einer Zeit, in der jede Kritik an bestimmten akademischen Feldern als politischer Affront gilt. Nicht das Argument zählt, sondern die Position des Kritikers im soziokulturellen Koordinatensystem. Ist er alt? Weiß? Männlich? Dann kann es sich nur um Reaktion handeln. Die These selbst wird nicht mehr an der Realität gemessen, sondern an der Biografie des Sprechers. Ein Rückfall in prämoderne Erkenntnistheorie: Nicht was gesagt wird, sondern wer es sagt, entscheidet über die Wahrheit.

Damit hat sich die Wissenschaft endgültig von Popper verabschiedet. Nicht durch einen offenen Putsch, sondern durch intellektuelle Ermüdung. Warum soll man sich anstrengenden Überprüfungen aussetzen, wenn man auch in wohlfeilen Panels über „Diskurse“, „Narrative“ und „hegemoniale Strukturen“ parlieren kann – ganz ohne Risiko? Die neue Modewissenschaft ist eine Art akademischer Wellness: beruhigend, bestätigend, bequem. Die These ist, was mir nützt. Falsifizieren? Nur meine Kritiker.

Die Wissenschaft als Dienstleister des Zeitgeists

Es bleibt das bittere Fazit: Was heute oft als Wissenschaft verkauft wird, ist häufig nur eine gutgekleidete Form der Weltanschauung. Sie will nicht zweifeln, sondern bestätigen. Nicht prüfen, sondern predigen. Die Labore wurden durch Seminarräume ersetzt, das Mikroskop durch das Schlagwort, der Beweis durch das Betroffenheitszeugnis. Statt sich der Wirklichkeit auszusetzen, konstruiert man sie um – bis sie endlich passt.

Und wer widerspricht? Der wird gelöscht, gecancelt, exmatrikuliert oder wenigstens bei der nächsten Drittmittelvergabe übersehen. Die Falsifikation hat in der modernen Akademie keinen Platz mehr – nicht, weil sie widerlegt wurde, sondern weil sie unbequem ist. Sie stört beim Rechtbehalten.

Nachsatz: Der Popper-Test für unsere Zeit

Vielleicht sollte man ein kleines Experiment wagen – im Sinne Poppers. Man nehme eine These, etwa: „Geschlechterrollen sind rein soziale Konstrukte, völlig unabhängig von biologischen Grundlagen.“ Dann frage man: Was müsste passieren, damit diese These als falsch gilt? Wenn die Antwort lautet: „Nichts. Jede Gegenmeinung ist Ausdruck des Patriarchats“ – dann ist die These kein wissenschaftliches Statement, sondern ein Glaubensartikel.

Und das ist völlig in Ordnung – solange man es als solchen deklariert. Doch wehe dem, der sich Wissenschaft nennt, aber sich der Prüfung verweigert. Denn der hat nicht nur Popper verraten. Sondern die Idee von Aufklärung selbst.

Wenn die größte Enzyklopädie der Welt zum Propagandawerkzeug wird

Die neue Weltordnung der Fußnoten

Man stelle sich vor: Eine Enzyklopädie – also ein Bollwerk des Wissens, eine Kathedrale der Aufklärung, ein digitaler Parnass der Fakten – wird infiltriert. Nicht etwa durch Heuschrecken, sondern durch Hyperlinks. Nicht mit Bomben, sondern mit Formulierungen, die so neutral klingen wie „umstritten“, „teilweise belegt“ oder „aus palästinensischer Perspektive verständlich“. Willkommen in der Matrix des Wissens, deren Rückgrat ein kollektiver Konsens ist, ausgehandelt von anonymen Nutzerkonten mit Kosenamen wie „FalastinFreedomFighter92“ oder „ZioNopes1973“.

Die Anti-Defamation League, selbst nicht gerade zimperlich in der Wortwahl, hat jüngst einen Bericht veröffentlicht, der einen Skandal beschreibt, der – wäre er ein Film – irgendwo zwischen „Mr. Robot“ und einer Doku über al-Qaida landen würde. Mindestens 30 Autoren (eine geradezu biblische Zahl, wie man sagen möchte) haben Wikipedia gezielt als Propagandafläche benutzt. Die Rede ist von einer „Koordination“, die mehr Disziplin aufweist als ein nordkoreanisches Ballettensemble. Ihr Ziel: Israel raus, Hamas rein – nicht geografisch, sondern semantisch.

Wenn der Tunnel zum „Widerstandsbauwerk“ wird

Da werden Terroranschläge zu politischen Unmutsbekundungen umdekliniert, Hamas-Raketen zu „emotionalen Hilferufen“ stilisiert und Massaker zu „Vorfällen mit unklarer Faktenlage“ relativiert. Die Enzyklopädie als semantisches Minenfeld. Man könnte meinen, ein paar hyperideologisierte Aktivisten hätten sich die Tastaturen blutig getippt, doch was sich hier abzeichnet, ist weit mehr: ein organisiertes, langfristiges Desinformationsprogramm unter dem Deckmantel der Neutralität.

Der Bericht nennt es „systematische Eingriffe“. Ein Euphemismus, der glatt auch von der Hamas-PR-Abteilung stammen könnte. In Wahrheit: eine digitale Intifada. Die zynische Ironie dabei? Die Täter berufen sich auf die Grundsätze der Wikipedia selbst – Neutralität, Konsens, belegbare Quellen – um genau diese Prinzipien zu unterwandern. Ein semantischer Coup d’État.

Der große Quellenverschiebebahnhof

Es ist das Paradoxon der Moderne: Je mehr Quellen man verlinkt, desto glaubwürdiger erscheint der Unsinn. Da werden tote Links recycelt wie Plastik in Jakarta, Studien aus ideologischen Echokammern als wissenschaftliche Kronzeugen angeführt, und Aussagen von Hamas-Sympathisanten werden unter dem Label „palästinensische Zivilgesellschaft“ verkauft. Es ist das perfekte Verbrechen: unsichtbar, unblutig, unbemerkt.

Doch was macht das mit einer Plattform, die sich als Hüterin der kollektiven Wahrheit versteht? Es zerstört nicht nur Vertrauen – es installiert neue Wahrheiten. Wer heute „Zionismus“ googelt, trifft auf eine Definition, die klingt, als hätte Edward Said sie persönlich ins Etherpad getippt. Nicht mehr Befreiungsideologie, sondern Kolonialprojekt. Ein Narrativwechsel, orchestriert von Tastatur-Taliban mit VPN-Zugang.

Die Demokratie der Editierbarkeit – Fluch und Fassade

Wikipedia, so heißt es, ist die demokratischste aller Wissensplattformen. Jeder darf mitreden. Jeder darf mitgestalten. Doch was geschieht, wenn diese Offenheit zur Einfallspforte für ideologische Trojaner wird? Wenn das Prinzip der Editierbarkeit von jenen instrumentalisiert wird, die sich einen feuchten Dreck um Objektivität scheren?

Die ADL nennt das „Canvassing“. Klingt wie ein harmloser Nachmittagsworkshop, ist aber in Wahrheit digitale Guerillakriegsführung. Da werden Stimmen mobilisiert, Mehrheiten simuliert, Abstimmungen verzerrt. Das Ganze über externe Kommunikationskanäle, damit der schöne Schein der Wikipedia-internen Konsensfindung gewahrt bleibt. Orwell hätte seine helle Freude an dieser neuen Dialektik: Krieg ist Frieden, Terror ist Widerstand, Hamas ist karitativ.

Neutralität als Feigenblatt der Manipulation

Wikipedia selbst wiegelt ab – wie stets, wenn’s brenzlig wird. Man verweist auf Richtlinien, Moderatoren, die heilige Dreifaltigkeit aus „Diskussionsseiten“, „Requests for Comment“ und dem Wächterrat der Administratoren. Doch was nützen Regeln, wenn sie von jenen gebrochen werden, die sie gleichzeitig zitieren? Die Perversion besteht nicht im Regelbruch – sie besteht im Regelgebrauch zur Unterwanderung. Neutralität wird hier zur Waffe.

Was ist Wahrheit, wenn sie im Konsens ausgehandelt wird? Was ist Objektivität, wenn ihre Aushandlung von den Lautesten dominiert wird? Wikipedia ist längst kein Abbild der Wirklichkeit mehr – es ist ein Schachbrett, auf dem Meinungen zu Fakten werden, wenn nur genügend Bauern im Spiel sind.

Satire trifft Realität: Die neue digitale Zensur

Der bittere Witz an der Sache ist, dass wir es längst gewohnt sind, Desinformation in dunklen Ecken des Netzes zu vermuten – auf Telegram-Kanälen, in TikTok-Videos oder auf Webseiten, die aussehen wie aus der Zeit von Windows 95. Doch dass die große heilige Wikipedia, diese Leuchtturmseite der westlichen Aufklärung, nun selbst zur Gummizelle für Faktenverrenkungen geworden ist, das hat eine Qualität, die jedes Meme zum Weinen bringt.

Denn mit jedem Klick, mit jeder Google-Suche, mit jedem Sprachmodell, das seine Daten aus der Wikipedia schöpft, wird dieses verzerrte Wissen weiterverbreitet. Der Skandal ist nicht nur die Manipulation – der Skandal ist ihre Unsichtbarkeit.

Und was nun? Eine Ethikkommission für Fußnoten?

Die ADL fordert Expertenpanels, Super-Editoren, politische Task Forces. Ein bisschen Bürokratie gegen die semantische Flut. Man will das Wissen sichern, mit Siegeln, Stempeln und Stellenbeschreibungen. Doch wer entscheidet, wer „Experte“ ist? Wer bewacht die Wächter? Und wann wird aus dem Schutz vor Desinformation eine neue Form von Zensur?

Vielleicht ist das größte Problem nicht die Unterwanderung, sondern unsere Naivität. Der Glaube, dass etwas „objektiv“ sei, nur weil es in der Wikipedia steht. Dass Konsens gleich Wahrheit sei. Vielleicht ist es Zeit, der Enzyklopädie die Unschuld zu nehmen – und uns selbst die Illusion.

Fazit: Die Wahrheit braucht keine Hyperlinks – nur Rückgrat

Was bleibt? Eine bittere Erkenntnis und eine bittere Pointe: Wikipedia war nie der heilige Gral der Wahrheit. Es ist ein Spiegel – und wie jeder Spiegel kann er auch ein Zerrbild sein. Die Wahrheit stirbt nicht an der Lüge, sondern an ihrer schleichenden Umschreibung. Fußnote für Fußnote. Eintrag für Eintrag. Und wenn wir nicht aufpassen, dann ist die nächste Enzyklopädie, die wir lesen, von einer KI geschrieben – mit Daten aus einem System, das längst kein Wissen mehr liefert, sondern Narrative.

Und dann stehen wir da, wissend, aber ohne Wahrheit. Und fragen uns: Wer hat’s geschrieben? Und schlimmer noch – warum wir es geglaubt haben.

Ende der Durchsage. Willkommen im Informationskrieg. Mögen die besten Editoren gewinnen.

Gottes kleine Pausenräume

oder: Der fromme Wahnsinn der deutschen Bildungslandschaft

Die stille Revolution hinter verschlossenen Türen

Wie still muss ein Gebet sein, damit es niemand merkt? Wie harmlos ein Raum, damit er nicht auffällt? Und wie naiv muss eine Gesellschaft sein, um zu glauben, dass 176 „multireligiöse“ Gebetsräume an Schulen einfach nur ein Ausdruck liberaler Religionsausübung sind – so neutral, so offen, so unschuldig wie ein diffusionsoffener Wandanstrich? Nordrhein-Westfalen, das Musterländle des progressiv-bürokratischen Bildungsidealismus, hat wieder einmal geliefert: Eine neue Statistik zeigt, dass an exakt 176 Schulen (eine Zahl, die verdächtig nach Exaktheit riecht, aber vermutlich auf dem Zufallswürfel eines Ministerialbeamten basiert) Räume existieren, in denen Schüler beten dürfen. Alle. Jederzeit. Anscheinend. Für alle Religionen. Sogar für den fliegenden Spaghettimonsterismus, sollte man meinen.

Natürlich darf niemand laut lachen, wenn das Ministerium die frohe Botschaft verkündet. Man muss sich stattdessen betroffen die Stirn reiben, leise „Pluralismus“ murmeln und ein zustimmendes Nicken andeuten, als verstünde man, was hier passiert. Denn Kritik daran – sei sie sachlich, satirisch oder schlicht gesundem Menschenverstand entsprungen – wird sofort mit dem Säbel der Toleranz niedergerungen. Wer fragt, ob solche Räume vielleicht weniger die Vielfalt fördern als vielmehr Parallelwelten zementieren, wird mit der üblichen Rhetorik der Weltoffenheit plattgewalzt: Natürlich sind diese Räume für alle da! Ja, sicher. Und der Türsteher entscheidet spontan per Koranvers, Bibelzitat oder Bhagavad-Gītā-Stelle, ob du reindarfst.

Multikulti im Mehrzweckraum – Sakrale Zonen im Schulalltag der Widersprüche

Stellen wir uns den Alltag vor. Im Gebetsraum der Gesamtschule Wokenstein betet um 12:07 die islamische Schülergruppe gen Mekka, um 12:45 schiebt sich der katholische Jugendkreis mit Gitarren hinein, um „Jesus in unser Herz zu lassen“, und um 13:30 zündet die buddhistische AG ein Räucherstäbchen an. Um 14:00 Uhr tagt dann das atheistische Schülerparlament, das mit ironischem Ernst darüber diskutiert, wie man den Raum in einen Ort der „spirituell befreiten Reflexion“ umgestalten könnte – natürlich mit respektvollem Verweis auf das Selbstbestimmungsgesetz und inklusive aller genderdiversen Identitäten.

Was für ein Spektakel! Und was für eine Farce!

Die Wahrheit ist: Diese Räume sind keine Tempel der Toleranz, sondern Monokulturen im multireligiösen Tarnanzug. Wer glaubt, dass in einer Schule im Duisburger Norden Christen, Juden, Muslime, Hindus und Agnostiker sich reihum respektvoll in einem Raum der spirituellen Koexistenz ablösen, glaubt auch, dass das Bürgergeld Leistungsanreize setzt und die Deutsche Bahn im Stundentakt pünktlich fährt.

Der neue Schulglaube: Beten, Beugen, Bußgeldkataloge

Während der Biologieunterricht über Evolution, Zellteilung und Sexualität stolpert – zumeist gehemmt von den sensiblen Empfindlichkeiten religiös konnotierter Elternhäuser – wird gleichzeitig ein Raum eingerichtet, in dem dieselben Schüler metaphysisch-genital fixierte Moralvorstellungen kultivieren dürfen. Ein Widerspruch? Nur, wenn man noch an den Zusammenhang zwischen Bildung und Aufklärung glaubt.

Heutzutage ist Bildung ein Balanceakt zwischen kultureller Selbstverleugnung und pädagogischer Selbsthypnose. Die Schule, die früher eine Anstalt war (wie herrlich altmodisch dieses Wort!), ist nun ein therapeutischer Erlebnispark mit religiösen Feelgood-Zonen, Diversity-Schulungen und Pronomen-Workshops. Ein Ort, an dem der Lehrer nicht mehr bildet, sondern begleitet. Am liebsten im genderneutralen Tonfall mit empathischer Körpersprache.

Der Gebetsraum wird so zur sakralen Verlängerung dieser neuen Glaubenssysteme: Ob Allah, Jehova oder woke Fluidität – was zählt, ist der Ausdruck subjektiver Wahrheit. Nicht die Konfrontation mit Fakten, sondern das Wohlfühlen in der Blase der Überzeugung. Das pädagogische Ideal: ein harmonischer Eintopf aus Intersektionalität, Weltethos und Wohlfühlfrömmigkeit.

Und wo sind die Tampon-Automaten?

Natürlich fragt man sich zu Recht: Wenn Gebetsräume flächendeckend eingeführt werden, wo bleiben die anderen Zeichen dieser neuen Schulreligion? Wo ist der Tampon-Automat auf der Jungentoilette, selbstverständlich mit Hinweisschild in sieben Sprachen und Piktogrammen für Sehbehinderte? Wo sind die Unisex-Klos mit Duftkerzen und Hafermilchspendern? Und natürlich: Wo ist der Infostand zum Selbstbestimmungsgesetz, flankiert von einer Broschüre über Menstruation bei transmaskulinen Schülern?

Man kann das alles für grotesk halten – oder für notwendig. Je nachdem, wie stark man bereits in die Denkweise des ministerialen Spaghettidenkens eingetaucht ist. In der Sprache der Verwaltung sind all diese Maßnahmen schlicht „Schritte zur Inklusion“. Aber jeder, der einmal an einer Gesamtkonferenz teilgenommen hat, weiß: Hinter der Inklusionsfassade lauert oft eine Kakophonie aus Dogmen, Empfindlichkeiten und ideologischer Überbetreuung.

Fazit: Beten mit Bauchgefühl

Nordrhein-Westfalen hat einen Weg gefunden, die Schule zur Kapelle der Gegenwart zu machen. Nicht, weil dort gebetet wird – das wäre an sich noch das Harmloseste. Sondern weil der Glaube an Bildung durch den Glauben an Stimmungen, Zugehörigkeit und subjektive Identitäten ersetzt wurde.

176 Gebetsräume sind keine Bedrohung. Sie sind ein Symptom. Ein Symbol für eine Bildungswelt, die sich mehr um Gefühle als um Inhalte sorgt. Die lieber Räume schafft als Horizonte. Die glaubt, dass man Konflikte durch Rückzugsorte löst.

Und deshalb bleibt nur ein Vorschlag: Warum nicht gleich den gesamten Stundenplan in eine Art säkular-religiöse Liturgie umwandeln? Morgens Yoga, mittags ein bisschen interkultureller Tanz, nachmittags Beten, Beichten, Basteln. Und in der Pause ein kleiner Workshop über Mikroaggressionen und das Patriarchat im Chemieunterricht.

Denn wer braucht schon Wissen, wenn man Glaube hat?

Palantir oder: Der Blick, der zurückblickt

Die schöne neue Übersichtlichkeit – Überwachung als Service

In einer Epoche, in der die Daten schneller fließen als das Wasser aus einer Berliner Leitung (jener Stadt, in der selbst Digitalisierung gelegentlich noch als Schamanismus gilt), stellt sich die Welt auf ein neues Dogma ein: Wissen ist Macht, und absolute Macht ergibt sich aus absolutem Wissen. Willkommen im Zeitalter von Palantir – dem Start-up, das längst keines mehr ist, sondern die digitale Reinkarnation des allsehenden Auges von Sauron, jedoch mit Benutzeroberfläche, Support-Hotline und freundlichem Investorengesicht.

Palantir, benannt nach den Sehenden Steinen aus Tolkiens düsterer Mythologie – und wer das nicht sofort als Warnung versteht, hat entweder zu wenig Fantasie oder zu viel Vertrauen in Silicon Valley –, verkauft nicht Produkte, sondern Möglichkeiten: die Möglichkeit, alles mit allem zu verbinden, jede Bewegung, jede Entscheidung, jeden Atemzug eines Menschen in kausale Beziehung zu setzen mit dem großen Algorithmus-Weltgeist, den wir irrtümlich „Sicherheit“ nennen.

Transparenz ist die neue Privatsphäre – oder: Warum du keine Geheimnisse mehr brauchst, weil du ohnehin keine hast

Datenschutz, ein bürgerliches Luxusproblem der 1990er, überlebt in der Ära Palantir nur noch als museale Erinnerung in Grundgesetzkommentaren und alten Snowden-Memes. Wo früher Richtervorbehalte und richterliche Zurückhaltung herrschten, dominiert heute das Prinzip „Daten zuerst, Fragen später“. Palantir hilft Regierungen, Geheimdiensten und Polizeibehörden, ihre Bürger besser zu „verstehen“. Und wer würde sich nicht gerne verstanden fühlen? Besonders von einer Software, die mit Machine Learning erkennt, dass du deinen Cousin dritten Grades kennst, der in Wuppertal einmal mit jemandem telefoniert hat, der 2007 in einer Chatgruppe war, in der auch ein späterer Gefährder einen Katzensticker gepostet hat.

Die Logik ist bestechend in ihrer Monstrosität: Alles ist potenziell verdächtig – man muss es nur richtig miteinander verknüpfen. Und das kann Palantir: 10 Millionen Datenpunkte pro Minute? Kein Problem. Namen, Orte, Telefonnummern, Flugbewegungen, Finanztransaktionen, Facebook-Likes, WhatsApp-Metadaten und das letzte Tinder-Swipe – alles läuft zusammen im Palantir-Gehirn, das nie schläft, nie vergisst und nie die Menschlichkeit der Maschinen in Frage stellt, weil sie gar keine braucht.

Die Unschuldsvermutung stirbt im Dashboard

Der Clou: Palantir präsentiert seine Erkenntnisse nicht als trockenes Excel-Archiv, sondern als schick animierte Oberfläche – eine Art iTunes für Verdachtsmomente. Polizeibeamte und Analysten lieben das, denn endlich ist Überwachung sexy, intuitiv, gamifiziert. Jeder ist ein bisschen Sherlock Holmes, nur mit weniger Pfeife und mehr Filterfunktion. Die Unschuldsvermutung? Ein sentimentales Relikt. In einer Welt, in der Korrelation gern für Kausalität gehalten wird, ist der Verdacht die neue Wahrheit.

Wie bequem: Wenn der Verdacht auf Knopfdruck visualisiert wird, wird auch das Denken delegiert. Das System hat’s gesagt, also muss es stimmen. Verantwortung? Liegt beim Code. Und der ist natürlich „proprietär“, geheim, geschützt – ausgerechnet in einem System, das Transparenz von seinen Nutzern (alias Bürgern) fordert, aber selbst agiert wie eine Blackbox im Tarnkappenmodus.

Der Neoliberalismus trifft den Polizeistaat – Daten als Renditeobjekt

Palantir ist dabei nicht einmal originell böse. Es ist nicht Orwell, es ist Excel mit Ambitionen. Es ist nicht Dystopie im klassischen Sinne, sondern schlicht eine weitere Form von Plattformkapitalismus. Der Kunde ist König – sofern der König ein Ministerium ist, das möglichst viel Kontrolle will, möglichst wenig Verantwortung trägt und ein Budget hat, das sich nicht nach Wählerwünschen, sondern nach Bedrohungsszenarien richtet.

Die Ironie? Palantir verkauft seine Dienste oft in Demokratien, die sich als Bollwerke gegen totalitäre Systeme verstehen. Doch während man mit dem Zeigefinger auf China deutet, integriert man im Hintergrund genau jene Technologien, die man andernorts als Überwachungsstaat brandmarkt. Nur mit besserem Marketing. Der Sozialkredit ist halt einfach netter, wenn man ihn auf Englisch bekommt.

Und wo bleibt der Aufschrei?

Er bleibt aus. Denn wer gegen „Sicherheit“ argumentiert, klingt immer wie jemand, der etwas zu verbergen hat. Das ist der perfide Charme dieser neuen Kontrollarchitektur: Sie tarnt sich als Fortschritt, als Effizienz, als Schutz. Und die Bürger? Sie nicken. Sie haben ja „nichts zu verbergen“. Bis sie plötzlich etwas „falsch“ gemacht haben, ohne es zu wissen. Bis ein Algorithmus sie falsch verstanden hat. Und dann? Viel Glück beim Widerspruch gegen eine KI-gesteuerte Verdachtsmatrix.

Die Frage ist nicht mehr, ob wir in einer Überwachungsgesellschaft leben. Die Frage ist, wie viel Design und UX es braucht, bis wir es lieben, überwacht zu werden.

Epik der Ironie – und der ganz reale Wahnsinn

Palantir ist keine Fiktion. Es ist Realität mit Logo, Mitarbeiterhandbuch und Cloud-Zugang. Es ist ein Unternehmen, das mit Daten handelt, als wären es Waren. Es ist ein Werkzeug, das Demokratie in ein Planspiel verwandelt – und das mit einem einzigen Mausklick zur Tyrannei in Schönschrift werden kann.

Und wir? Wir scrollen weiter, stimmen AGBs zu, teilen Standortdaten, installieren Gesundheits-Apps, sprechen mit Sprachassistenten und wundern uns, wenn irgendwann die Polizei schon weiß, dass wir heute lieber Pizza statt Salat bestellt haben.

Nachsatz aus dem Spiegel der Vernunft

Der Palantír in Tolkiens Welt konnte vieles zeigen – aber nie die ganze Wahrheit. Er zeigte, was man sehen sollte, nicht, was war. Und wer zu lange hineinsah, verlor sich. Auch das: keine Metapher mehr, sondern Betriebsanleitung.

Palantir: Aus dem CIA-Inkubator direkt ins Innenministerium

Palantir Technologies wurde 2003 gegründet – mit Startkapital von In-Q-Tel, dem Investmentarm der CIA. Der Auftrag war klar: Eine Plattform zur Auswertung massiver Datenmengen – aus Geheimdienstquellen, Überwachungssystemen, Polizeidatenbanken. Früh wurde klar: Wer dieses Werkzeug besitzt, kann Muster erkennen, wo der Mensch nur Datenmüll sieht – oder glaubt, noch Privatsphäre zu haben.

Peter Thiel, Mitgründer und radikaler Libertärer mit autoritären Neigungen, erklärte 2009 offen, dass „Demokratie und Freiheit nicht mehr vereinbar“ seien. Und er wusste: Der Weg zur Macht führt nicht mehr über Parlamente, sondern über Plattformen. Palantir war sein trojanisches Pferd.

Das Produkt: Totale Auswertung.

Palantirs Flagschiff-Software Gotham wird weltweit von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten genutzt. Die Software ist kein „klassisches Überwachungstool“, sondern eine Datenfusionsmaschine. Sie saugt strukturierte und unstrukturierte Daten aus:

  • Behördenakten (Strafverfolgung, Ausländerbehörden, Gesundheitsämter)
  • Mobilfunkmetadaten
  • Kreditkartenzahlungen
  • Open Source Intelligence (OSINT): Soziale Medien, Nachrichtenportale
  • Lizenzkennzeichenerkennungssysteme
  • Videoüberwachung
  • Gesundheitsdaten (z. B. in den USA im Zuge von COVID-19)

Was Gotham daraus macht, ist eine Art soziale Rasterfahndung in Echtzeit: Verknüpfungen, Aufenthaltsorte, Netzwerke, mutmaßliche „Gefährder“ – auf Knopfdruck.

Deutschland: Kein Widerstand. Nur Unterschriften.

2017: Das Bundeskriminalamt (BKA) testet Palantir für die Terrorismusabwehr.

2018: Das hessische Innenministerium unter Peter Beuth (CDU) führt Palantir unter dem Tarnnamen HessenDATA ein – ohne Ausschreibung, direkt, auf Zuruf. Der damalige Datenschutzbeauftragte schlägt Alarm. Ergebnis: Ein Gutachten wird erstellt, das dem BKA abrät. Die Polizei bleibt dabei.

2020: Nordrhein-Westfalen unter Innenminister Herbert Reul (CDU) führt Palantir ein. Name diesmal: NADIA. Kostenpunkt: Millionen Euro. Angeblich DSGVO-konform. Kritiker sprechen von einer „Rechtsstaatssimulation“.

2023: Der Bund plant ein eigenes „Datenanalysezentrum“. Und: Palantir ist als „Partner“ im Gespräch. Der Begriff polizeilicher Datenverbund wird zum Euphemismus für Überwachungskonzerne mit Außenstelle in Washington D.C.

Die Bilanz: Kein Terror verhindert, aber Grundrechte beschädigt

Erfolgsmeldungen? Keine. Weder in Hessen noch in NRW gibt es belastbare Hinweise, dass Palantir-Antiterrorsoftware je ein Anschlagsvorhaben vereitelt hätte. Stattdessen:

  • 2021: Die „Frankfurter Neue Presse“ deckt auf, dass Beamte in HessenDATA private Daten von Journalisten und Aktivisten abfragten – für „private Zwecke“.
  • 2022: Das Bundesverfassungsgericht urteilt: Teile der Hessendatennutzung sind verfassungswidrig. Der Staat hat seine Pflicht zum Schutz personenbezogener Daten verletzt.
  • 2023: Datenschutzbeauftragte monieren erneut: Die Trennung zwischen Analyse und operativen Daten wird systematisch verwischt. Der Zweckbindungsgrundsatz? Eine Formalität.

Die Polizei selbst? Begeistert. Das Tool sei „unverzichtbar“. Die Gewerkschaft der Polizei spricht von „Gamechanger“. Die Frage, ob ein rechtsstaatliches System auf ein intransparentes US-System angewiesen sein sollte, stellt keiner mehr laut.

Europa macht es nach – oder schlimmer

  • Frankreich: Palantir wird vom Militär eingesetzt – u. a. für Auslandseinsätze in Mali.
  • Niederlande: Die Steuerbehörde nutzt Palantir-ähnliche Systeme für Risikoanalysen – und diskriminierte damit systematisch Menschen mit Migrationshintergrund (Skandal: „Toeslagenaffaire“).
  • UK: Die NHS (National Health Service) vergibt einen Millionenauftrag an Palantir zur Analyse von Patientendaten – unter massivem Protest von Ärzten und Datenschützern.

Demokratische Institutionen, die früher Grundrechte garantierten, werden zu Auftraggebern eines Unternehmens, das sich von diesen Rechten nie hat beeindrucken lassen.

Wer kontrolliert die Kontrolleure? Niemand.

Die Verträge mit Palantir sind geheim. Die Öffentlichkeit erfährt Details oft nur durch Anfragen von Journalist:innen oder geleakte Dokumente. Kein Parlament prüft die Algorithmen. Kein öffentliches Audit offenbart, wie Fehlanalysen entstehen. Kein Bürger hat Einblick, ob er falsch verdächtigt wurde.

Der Staat outsourct nicht nur seine technische Infrastruktur – er externalisiert seine Verantwortung.

Palantir sagt: „Nur Daten, keine Entscheidungen.“
Doch Daten strukturieren Entscheidungen. Und sie tun es in einer Blackbox, die nicht verklagbar, nicht nachvollziehbar, nicht demokratisch legitimiert ist.

Realpolitik trifft Sicherheitsillusion: Die stille Umkehrung der Beweislast

Mit Palantir etabliert sich ein neuer Gesellschaftsvertrag: Du bist sicher – aber nur solange du keine Anomalie bist. Kein abweichender Aufenthaltsort, kein auffälliger Geldtransfer, kein „ungewöhnlicher Kontakt“.

Das Narrativ der Behörden: „Wir müssen mit den Daten arbeiten, die wir haben.“
Die Wahrheit: Sie sammeln die Daten, mit denen sie dich irgendwann zur Gefahr erklären können.

So entsteht der paradoxe Effekt, dass in der angeblich freiesten Gesellschaft der Welt der Verdacht zur Norm wird – und der Rechtsstaat zur Fassade.

Schlussakkord: Eine Demokratie auf Bewährung

Palantir ist kein Konzern der Zukunft. Es ist ein Unternehmen der Gegenwart – ein Unternehmen, das Demokratie als Datenproblem löst. Es baut nicht an der Dystopie – es ist die Dystopie, nur dass sie in den Farben von Ordnung, Effizienz und Prävention erscheint.

Die Frage ist nicht mehr, ob diese Entwicklung aufzuhalten ist. Die Frage ist, wann der Preis sichtbar wird. Und ob es dann zu spät ist.

Denn wer glaubt, er könne einer Regierung mit Vollzugriff auf Vergangenheit, Gegenwart und Prognosen seiner Bewegungen widersprechen – der hat weder Palantir noch Peter Thiel verstanden.

„Der Führer im Flaschenhals“

Die Flasche und das Vaterland – Vinophile Verirrungen im Schatten der Geschichte

Man muss sich das einmal in aller Nüchternheit vorstellen – wobei Nüchternheit in dieser Geschichte mit Vorsicht zu genießen ist. Ein Mann aus dem Lavanttal, einer jener pittoresken Landstriche, wo die Berge sich noch scheuen, den Horizont zu verletzen, steht nun im Jahre des Herrn 2025 vor einem Geschworenengericht in Klagenfurt – nicht etwa wegen Mord, Totschlag oder Steuerhinterziehung, sondern weil er sich offenbar der schwerwiegenden Tat schuldig gemacht haben soll, eine Weinflasche mit dem Konterfei eines gewissen Adolf Hitler zur Schau gestellt zu haben. Ja, richtig gelesen: Wein. Flasche. Hitler.

Als wäre der Nationalsozialismus nicht schon historisch hinreichend verflüssigt worden, nun also auch noch als Kellereiprodukt etikettiert. Das Grauen als Retro-Chic. Das Verbrechen in Flaschenform. Der Massenmörder als Markenbotschafter. In dieser Geschichte treffen sich postmoderne Geschmacklosigkeit und geschichtliche Verantwortung in einem Schrebergarten, um sich mit einem lautlosen „Heil“ zu zuprosten – und zwar ganz ohne ironische Brechung. Oder doch?

Schrebergarten-Goebbels – Provinzposse mit ideologischem Dosenöffner

Der Tatort: eine Gartenhütte, vermutlich von Zwergerln bewacht, mit Geranien geschmückt, irgendwo zwischen Rindenmulch und Rainfarn. Dort, wo andere Gartenzwerge aufstellen oder Solarleuchten mit Farbwechsel, da stellt unser mutmaßlicher Patriot eine Flasche mit dem Führer auf. Ein Mahnmal? Ein Witz? Ein peinlich entgleister Sammlerfetisch? Oder doch ein stilles „Na endlich wieder Ordnung“-Statement?

Die Antwort kennt womöglich nur der Mann selbst, der nun auf dem harten Holz des Gerichtssaals Platz nehmen darf, flankiert von Paragraphenreitern in Robe. Dass das Ganze ein Fall fürs Geschworenengericht ist, spricht nicht gerade für seine Bagatellisierung. Man nimmt es ernst, das demokratische Antikörper-Training, selbst wenn es gegen eine Weinflasche geht. Die Demokratie hat bekanntlich viele Feinde – doch nur wenige von ihnen tragen Schraubverschluss.

Die Republik im Spiegelkabinett – Wenn der Rechtsstaat zum Stresstest wird

Und doch steht über all dem ein ernster Satz wie aus Granit gemeißelt: Für den Mann gilt die Unschuldsvermutung. Ja, auch für den mit der Hitlerflasche im Rosenbeet. Auch für ihn schlägt das große Herz des Rechtsstaates, der sich, wenn auch unter Magenkrämpfen, auch solcher „Repräsentanten“ seiner selbst annimmt. Aber wie viel Satire verträgt ein Paragraf? Wie viel historische Verblendung steckt noch in der staubigen Erde der Heimatliebe?

Es ist ein österreichisches Lehrstück, das hier gegeben wird – irgendwo zwischen Joseph Roth und Karl Valentin, zwischen Kafka und Karl Kraus. Und es spielt in einer Gegenwart, die zunehmend ihre Geschichte zu vergessen scheint, um sie dann in grotesker Form wieder aufleben zu lassen: als Accessoire, als Social-Media-Gag, als identitärer Code in ironiefreier Zone. Die Demokratie, sagt man, sei eine zarte Pflanze – in Österreich wächst sie offenbar sogar zwischen Gartenzwergen und Hitlerflaschen.

Der letzte Tropfen – Über Geschmack, Gerichte und geschmacklose Gerichte

Nun also der Prozess. Ein Mann, eine Flasche, ein Staat. Man wird Beweisfotos zeigen, Zeugen hören, Paragrafen wälzen. Und irgendwo im Hintergrund steht sie, die große Frage: Darf man das? Und vor allem: Warum zum Teufel will man das überhaupt?

Vielleicht ist das Ganze nur der traurige Beleg für eine unstillbare Sehnsucht nach Bedeutung – nach irgendeiner Form von Relevanz in einer Zeit, die ihre Helden in Realityshows und Influencer-Videos findet. Der Mann mit der Führerflasche steht symbolisch für ein Unvermögen, die Geschichte zu verarbeiten – er hat sie stattdessen entkorkt und auf ein Regal gestellt. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Der Richter wird entscheiden, das Urteil sprechen. Aber die Farce bleibt.

Und der Rechtsstaat so: „Na servas.“

Man fragt sich: Wird die Demokratie das überstehen? Nun, sie hat Schlimmeres überlebt – aber selten in so bizarr folkloristischer Form. Es ist eine Tragikomödie auf mittlerer Hitze gekocht, in der provinzieller Dilettantismus auf den bitteren Ernst einer Vergangenheit trifft, die noch nicht verjährt ist.

Und so steht sie da, die Republik, mit gerunzelter Stirn, leicht verschämt grinsend, ein bisschen wütend, ein bisschen müde, und sagt sich vielleicht insgeheim: „Wir haben Hitler vertrieben, aber nicht die Dummheit.“
Und das ist – wie immer in Österreich – sowohl das Problem als auch die Pointe.


„Führerwein im Schrebergarten – das ist nicht nur ein Prozess, das ist ein Symptom.“