
Die neue Zensur trägt Robe und liest Kommentare
Willkommen im postmodernen Feuilleton der Meinungsfreiheit, Ausgabe Feldkirch, Vorarlberg. Schauplatz: ein Landesgericht, das im Namen der Demokratie urteilt, was man noch sagen darf, wenn die Volksmeinung nicht deckungsgleich mit dem Tonfall der Parteizentrale ist.
Ein 66-jähriger Mann, in jedem Prospekt der Pensionsversicherung als “bürgerlich beruhigter Rentenheini” abgebildet, wagt sich ins digitale Bierzelt namens Kommentarspalte. Dort, wo die sprachliche Abrissbirne zum guten Ton gehört, erdreistet er sich – oh Wehe! – zu einem Vergleich, der weniger schmeichelhaft als drastisch ist. Der politische Gegner, ein SPÖ-Kandidat, wird sinngemäß als käuflich tituliert, „wie eine Nutte“, also als jemand, der für Geld tut, was Prinzipien andernfalls verbieten würden.
Man kann das geschmacklos finden, vulgär, unfair – all das ist legitim. Aber was man nun nicht mehr darf: es sagen. Jedenfalls nicht ohne pekuniäre Folgen in der Höhe von 7.200 Euro. Willkommen im pädagogisierten Strafrecht, wo es längst nicht mehr um Gerechtigkeit geht, sondern um Erziehung.
Die Demokratur des Anstands
Die Begründung ist dabei so bezeichnend wie entlarvend: Es gehe um den „Schutz der demokratischen Debatte“. Eine Formulierung, die an Absurdität kaum zu überbieten ist – etwa so, als würde man zur Rettung eines Brennenden dessen Haus fluten.
Denn was ist diese demokratische Debatte eigentlich noch wert, wenn sie nur unter der Bedingung geführt werden darf, dass sich niemand gekränkt fühlt? Wenn Satire, Zorn, derbste Rhetorik und eben auch: Beleidigung nicht mehr als Symptome einer lebendigen Auseinandersetzung gelten, sondern als justiziable Ordnungsverstöße gegen die Hygiene des öffentlichen Diskurses?
Die Demokratie, so scheint es, soll nicht mehr aushalten, sondern abschalten. Nicht mehr streiten, sondern sanktionieren. Und sie hat ihre Richter gefunden. Richter, die sich berufen fühlen, aus dem Pensionskästchen ein Exempel zu schnitzen.
Von der Robe zum Rohrstock
Strafe einen, erziehe hundert. Diese pädagogische Maxime stammt ursprünglich aus Systemen, in denen Meinungsäußerung bereits als Subversion galt. In einem demokratischen Staat jedoch sollte der Bürger kein zu erziehendes Kind, sondern ein mündiger Mitspieler sein. Ein solcher darf, ja muss sogar, der Obrigkeit auf die Füße treten dürfen – notfalls mit schmutzigen Stiefeln.
Aber statt Respekt für das Recht auf drastische Meinung zu zeigen, wird nun der altbekannte Rohrstock gezückt – elegant versteckt hinter Begriffen wie „Ehrschutz“ oder „Würde des Amtes“. Das Problem daran: Die Würde eines Politikers bemisst sich nicht an der Unverletzlichkeit seiner Eitelkeit, sondern an der Robustheit seines Charakters. Wer öffentliche Ämter bekleidet, steht im Regen des Zorns – und sollte darin nicht gleich ertrinken.
Politiker, die wegen beleidigender Kommentare vor Gericht ziehen, senden ein seltsames Signal: Dass sie, trotz ihrer Machtfülle, die Kritik eines Pensionsisten für gefährlich genug halten, um den Rechtsstaat in Marsch zu setzen. Wenn das keine Schwäche ist, was dann?
Moralgerichtsbarkeit für Fortgeschrittene
Das Urteil von Feldkirch ist dabei kein Einzelfall, sondern Teil einer wachsenden Tendenz: Die Justiz wird zur moralischen Anstandsinstanz, die weniger das Unrecht des Handelns als das Unwohlsein der Betroffenen zu bewerten scheint.
Gerichte entscheiden nicht mehr nur über Schuld, sondern über Haltung. Und Haltung ist ein dehnbarer Begriff. Wer sie nicht zeigt, oder schlimmer: die falsche zeigt, findet sich im Fadenkreuz des „gesellschaftlichen Konsenses“ wieder – einem nebulösen Phantom, das immer dort auftaucht, wo die Freiheit des Einzelnen gerade unbequem wird.
Dass der betroffene Pensionist „sonst ein besonnener Mensch“ sei, wie es im Bericht heißt, ist im Übrigen ein wunderbarer Hinweis auf das perfide Prinzip dieses Systems: Nicht nur, dass er verurteilt wird – er wird dabei noch als irrationaler Ausnahmefall dargestellt. Der brave Bürger soll sehen: Nur wer plötzlich entgleist, muss zahlen. Der Rest möge artig bleiben.
Kollektive Dressur via Einzelurteil
Dass es sich um eine Privatklage handelt, macht die Sache nicht besser, sondern gefährlicher. Denn hier verschwimmt die Grenze zwischen Recht und politischem Kalkül. Der Politiker inszeniert sich als Opfer, der Staatsapparat vollzieht die Säuberung, die Öffentlichkeit bekommt ein abschreckendes Beispiel.
Das Ganze hat fast etwas Liturgisches: Der reuige Sünder bekennt, das Gericht spricht, der Staat kassiert. Und wir? Wir klatschen oder schweigen. Beides ist gewollt.
Wer hingegen fragt, ob eine Demokratie das wirklich nötig hat – ob sie so fragil ist, dass sie durch derbe Sprüche ins Wanken gerät –, der gilt schnell als Querulant, ewiggestriger Meinungsabsolutist oder, Gott bewahre, als Feind des Fortschritts.
Fazit: Meinungsfreiheit auf Bewährung
Das Urteil von Feldkirch ist ein Meilenstein – allerdings kein glorreicher. Es markiert den Punkt, an dem aus Meinungsfreiheit ein Risikospiel wurde. Wer sich äußert, muss künftig mitrechnen: nicht nur mit Widerspruch, sondern mit Strafandrohung.
Was bleibt, ist eine Demokratie, die sich den Anschein gibt, frei zu sein – solange die Freiheit in den vorgesehenen Bahnen bleibt. Eine Demokratie, die ihre Bürger nicht mehr mit Argumenten überzeugt, sondern mit Paragraphen erzieht.
Und wer jetzt noch glaubt, das sei übertrieben, dem sei ein Rat gegeben:
Schreiben Sie doch einfach mal einen Kommentar unter einem Politikerportrait.
Vielleicht lernen Sie auf diese Weise bald den Unterschied zwischen Demokratie und Disziplinierung.
Er kostet 7.200 Euro.