Soldaten in die Ukraine?

Die NATO als Wanderzirkus der Sicherheitspolitik

Wenn irgendwo in Brüssel ein schlecht belüfteter Konferenzraum seine Türen öffnet, wabert sogleich jenes Zauberwort durch die Gänge: Solidarität. Ein Zauberwort, das in etwa so viel Zauber entfaltet wie eine halb leere Ketchupflasche beim Grillen. In diesem Namen wird der Osten „gestärkt“, der Westen „versichert“ und der Süden „vergessen“. Nun aber, welch schillernde Pirouette der Rhetorik, wird tatsächlich diskutiert, ob deutsche Soldaten in die Ukraine geschickt werden könnten. Und man reibt sich die Augen: Sind wir noch im Theater der diplomatischen Vernunft – oder bereits im Kabarett der geopolitischen Geisterfahrer?

Es ist doch offensichtlich: Wer eine Lösung des Ukrainekrieges ernsthaft anstrebt, muss – ob es gefällt oder nicht – die Brille des Gegners zumindest einmal probeweise aufsetzen. Putins Motiv war eben nicht der plötzliche Drang, Sonnenblumenfelder in Brand zu setzen, sondern das Gefühl, dass die NATO, dieser Wanderzirkus westlicher Machtprojektion, ihm direkt in die Datscha stolpert. Und da soll nun die große Friedensidee darin bestehen, NATO-Soldaten in der Ukraine selbst aufzustellen? Das ist, als würde man einen Streit um Nachbars Hecke dadurch schlichten wollen, dass man mitten hinein einen Truppenübungsplatz betoniert.

Von Gespenstern und Spukgestalten

Doch die Frage drängt sich auf: Warum diese Phantomdebatte gerade jetzt? Warum geistert die groteske Vorstellung durch Zeitungen und Talkshows, als handele es sich um eine Frage der Zeit, bis der erste deutsche Panzer mit schwarz-rot-goldenem Fähnchen vor Odessa parkt?
Vielleicht, weil man die Realität nicht mehr erträgt und sich mit Gespenstern besser arrangieren kann als mit nackten Zahlen. Denn nackte Zahlen zeigen: Hunderttausende Ukrainer haben den heldenhaften Aufruf zur Landesverteidigung derart ernst genommen, dass sie mit bemerkenswertem Tempo und erstaunlicher Entschlossenheit in deutschen Turnhallen und Bürgerämtern aufgetaucht sind – Bürgergeld statt Bürgerkrieg. Und das deutsche Publikum, das nun von denselben Moderatoren dazu aufgerufen werden soll, seine eigenen Söhne gen Osten zu schicken, darf sich fragen: Kämpfen wir für ein Land, dessen kampffähige Bevölkerung gerade bei uns auf dem Spielplatz Latte Macchiato trinkt?

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Litauen als geopolitisches Fitnessstudio

Gleichzeitig exerziert Deutschland seine militärische Potenz am Ostseestrand: Eine Kampfbrigade nach Litauen! Eine von vieren, wohlverstanden. Es ist ein bisschen wie beim Krafttraining: Man stellt sich mit stolzgeschwellter Brust an die Hantelbank, hebt aber nur das, was gerade so geht, und ruft dabei laut in den Raum: „Schaut alle, ich stemme hier die Freiheit!“ Doch wehe, es kommt einer auf die Idee, diese fragile Pose durch den Vorschlag weiterer Soldaten in der Ukraine zu ruinieren. Denn wer in Litauen mit dem Säbel rasselt, sollte nicht gleichzeitig in der Ukraine mit der Trompete einmarschieren – irgendwann glaubt man seine eigene Show noch.

Die Wiederauferstehung der Wehrpflicht

Natürlich bleibt die Frage, woher die vielen Soldaten eigentlich kommen sollen. Ein Land, das sich schon beim Bauen eines Flughafens verschluckt, soll plötzlich eine Armee für den Osten aufstellen? Die logische Konsequenz wäre: Wehrpflicht. Ach ja, die Wehrpflicht, dieses historische Möbelstück, das man in den Keller gestellt hatte, weil es nach Moder und Mief roch. Nun holt man es hervor, klopft den Staub ab und stellt es als neueste Errungenschaft in die politische Schaufensterauslage. Dass dabei eine Generation, die gerade den Unterschied zwischen „Homeoffice“ und „Workation“ entdeckt hat, plötzlich in Stiefeln und Tarnfarbe durch den Matsch stapfen soll, bleibt die Pointe, die niemand zu Ende erzählt.

Testlauf für den Ernstfall?

Im besten Fall, seien wir gnädig, handelt es sich bei all dem Gerede nur um das geistige Recycling von schlechten Ideen. Wie bei einer Schallplatte, die hakt und immer wieder dieselbe Leier abspielt: „Verantwortung übernehmen, Freiheit verteidigen, Wertegemeinschaft!“ – und das Publikum seufzt, weil der Text längst bekannt ist. Im schlimmsten Fall aber, und hier wird die Sache ungemütlich, könnte das alles ein Testballon sein. Ein schüchterner Versuch, auszuloten, ob die deutsche Bevölkerung auch dann „Hurra“ schreit, wenn es nicht um eine abstrakte Ostflanke geht, sondern um die direkte Konfrontation mit Russland. Angriffskrieg – ein Wort, das bisher mit Schaudern nur aus Geschichtsbüchern herüberwehte, wird dann auf einmal zur Schicksalsfrage im Polit-Talk am Dienstagabend.

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