Es ist immer wieder erstaunlich, wie ein Festival von glitzernden Kostümen, falschen Pailletten und kunstvoll geschminkten Lippenstiftflächen plötzlich zu einem geopolitischen Zirkus werden kann. Der Eurovision Song Contest, dieses versponnene, alljährliche Spektakel, das eigentlich von quäkenden Popstimmen, unkoordinierten Tanzchoreografien und dem subtilen Schmerz eines Live-Publikums lebt, ist nun offiziell ein Ort, an dem Staatenpolitik lautstark und mit hoher Oktanzahl durch die Lautsprecherboxen brüllt. Israel darf also teilnehmen – und Österreich darf die Bühne stellen – während die Welt zusieht und einige Länder empört den Kopf schütteln, als hätte jemand im Pausenraum des Multikulturalismus aus Versehen das Licht des rationalen Denkens ausgeschaltet.
Was für ein glorreicher Augenblick, wenn Musik plötzlich nicht mehr nach Harmonien, Tonarten oder gar nach dem intimen Flattern eines Herzschlags beurteilt wird, sondern nach der Frage, ob die politische Landkarte gerade ein bisschen zu sehr nach Konflikt aussieht. Der irische Sender RTÉ findet die Teilnahme „unzumutbar“ – angesichts des „entsetzlichen Verlusts von Menschenleben“. Unzumutbar also. Nicht moralisch problematisch, nicht politisch heikel, nein, schlicht unzumutbar. Welch ein Ausdruck für die elegante Grazie moderner Sprache! Man fragt sich, ob RTÉ auch den morgendlichen Toast ablehnt, weil in der Welt Menschen hungrig sind, oder ob nur dann Unzumutbarkeit greift, wenn sie nach Fernsehquoten schmeckt.
Musik, die von Geopolitik singt
Spanien, so meldet es José Pablo López, Präsident von RTVE, besteht auf der Maxime: ESC ist kein reiner Musikwettbewerb, sondern ein „Festival, das von geopolitischen Interessen dominiert wird“. Welch scharfsinnige Beobachtung! Ein Wettbewerb, der seit 1956 dazu diente, ein wenig Europa zusammenzuschweißen, Musik zu feiern und vor allem die kindliche Freude am Verstimmen in Mikrofonen zu ermöglichen, wird nun auf einmal zum Schachbrett internationaler Diplomatie. Man könnte fast applaudieren, wäre da nicht die schale Ironie: Länder, die mit dem ESC jährlich Millionen in die Finanzierung stecken, treten nun auf moralische Barrikaden, während der ORF, offenbar der unerschütterliche Don Quijote der musikalischen Neutralität, die Bühne aufbaut, als sei sie ein Friedenspalast.
Dass Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien zu den Hauptgeldgebern zählen, verleiht dem Boykottgedanken einen geradezu kafkaesken Charme. Es ist, als würde man einen Bankier bitten, die Zinsen zu boykottieren, weil ihm die Farbe des Geldes nicht gefällt. Und dennoch: Niederlande, Slowenien und andere Länder erwägen den Rückzug, als hätten sie den unheilvollen Traum eines ESC ohne diplomatische Verwicklungen durchlitten und wären nun zu politisch korrekt, um weiterzusingen. Man hört die imaginären Dirigenten schon stöhnen: „Mehr Geopolitik im Takt, bitte!“
Glitzernde Heuchelei
Und so sitzt man nun da, zwischen dem Schimmer von Sequins und dem dunklen Schatten der Realität, und fragt sich: Wie viele Lieder können noch von Liebe, Frieden und Einhörnern singen, bevor die politische Landkarte jede Note vergiftet? Der Eurovision Song Contest – einst ein frivoles Stelldichein der europäischen Selbstüberhöhung, heute ein Spiegelkabinett der moralischen Ambivalenz. Die Zuschauer starren gebannt auf den Bildschirm, während Journalisten die emotionale Unverträglichkeit von „Singen mit Juden“ analysieren, als handele es sich um ein metaphysisches Problem, das nur durch strikte Nicht-Teilnahme gelöst werden kann.
Inmitten all dieser absurden Schattierungen des Ernstes bleibt eine Wahrheit: Musik kennt keine Grenzen. Sie schert sich nicht um Embargos, Boykotte oder moralische Gutachten von der Sorte, die sich in Vorstandsetagen und Medienhäusern heimlich über Tee und Kekse austauschen. Musik ist subversiv, anarchisch, gelegentlich unerträglich, und vor allem: unberechenbar. Genau darin liegt die Ironie. Während Nationen sich in glänzender, diplomatischer Heuchelei sonnen, läuft im Hintergrund ein schief gesungenes Duett, das alles übertönt. Das Publikum jubelt, weint oder lacht, und für einen kurzen Moment ist die Welt wieder genau so absurd wie sie sein sollte.
Man kann also nur eins raten: Singt. Singt laut. Singt schlecht. Singt mit oder ohne Zustimmung der geopolitischen Eliten. Denn am Ende ist es die Musik, die bleibt – glitzernd, schrill, widersprüchlich, und vor allem unbestechlich.