DUNKLER MEDIENWALZER

Die Tänzer: Banken, Kirchen, Milliardäre – oder warum Medien in Österreich klingen wie ein gut geöltes Schallplattenensemble

Es scheint, als stünde die österreichische Medienlandschaft täglich vor einem großen Spiegel, um ihre perfekte Choreographie einzuüben. Die Hauptakteure? Die üblichen Verdächtigen: Raiffeisen, die katholische Kirche, einige wenige Unternehmerfamilien und ein paar staatsnahe Söldner, die sich mit Steuergeldern die Schuhe polieren lassen. Der Tanzboden? Ein verschachteltes Netzwerk aus Eigentumsverhältnissen, das so opak ist wie der nächtliche Donaukanalnebel.

Betrachten wir zunächst die Raiffeisen-Gruppe, die ein Meisterstück im „Pas de Deux“ zwischen Medien- und Wirtschaftsmacht aufführt. Mit ihren Beteiligungen an der „Kronen Zeitung“, dem „Kurier“ und nicht zu vergessen ihrer Symbiose mit der katholischen Kirche (Stichwort: NÖN), schafft sie es, die Melodie des konservativen Österreichs durch jede Druckerpresse zu jagen. Kritiker würden sagen: „Propaganda mit Weichzeichner.“ Befürworter? Nun, die sind schwerer zu finden – vielleicht unter den Vorstandsmitgliedern der ÖVP.

Steuerzahler tanzen mit – unfreiwillig

Doch der eigentliche Skandal ist nicht das enge Miteinander von Banken und Redaktionen. Es ist das staatliche Förderkarussell, das diesen Medienwalzer erst richtig beschleunigt. Jährlich pumpen Steuergelder Millionen in den Boulevardjournalismus. Ob „Kronen Zeitung“ oder „Heute“ – beide kassieren großzügige Summen für „journalistische Leistungen“, die man bestenfalls als Unterhaltung für die Wartezimmer der Republik bezeichnen könnte.

Man fragt sich: Ist das ein subventioniertes Trommelfeuer an Stereotypen und Vereinfachungen? Oder dient es dem vielbeschworenen „Erhalt der Pressefreiheit“? Die Antwort? Kommt darauf an, wen Sie fragen. Der österreichische Steuerzahler jedenfalls wippt zwangsweise im Takt.

Die Kirche und ihre stille Macht: Ein diskreter Wiener Walzer

Während die katholische Kirche in den Predigten Demut predigt, tanzt sie in der Medienwelt den eleganten Wiener Walzer der Macht. Über den Styria-Verlag kontrolliert sie nicht nur Qualitätsblätter wie die „Presse“, sondern auch softere Angebote wie „Die kleine Zeitung“. Selbst Plattformen wie Willhaben.at liegen in ihrem Einflussbereich – ein hübsches Geschäftsmodell, das geistliche Werte mit Marktkapitalismus vereint.

Die Symbiose mit Raiffeisen, sichtbar am Beispiel der „Niederösterreichischen Nachrichten“, gleicht einem harmonischen Duett, bei dem jeder Schritt ein Statement ist: „Uns gehört der Diskurs, und wir bestimmen, wie er geführt wird.“

Boulevard: Die chaotischen Tänze der Dichands und Fellners

Nicht zu vergessen die große Show des Boulevards. Die Familie Dichand und die Fellner-Brüder inszenieren sich wie die John Travoltas der österreichischen Medienwelt – ein Feuerwerk aus Schlagzeilen, Glitzer und dem gelegentlichen Stolpern über journalistische Ethik. Beide beherrschen den Cha-Cha-Cha der Auflagezahlen, gespeist aus Skandalen, Halbwahrheiten und der Kunst, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen.

Dass die Familie Dichand mit ihren Beteiligungen an der „Krone“ und „Heute“ gleich zwei der einflussreichsten Zeitungen kontrolliert, ist dabei ebenso pikant wie die Tatsache, dass sie damit fast jede zweite Zeitungsseite Österreichs prägt.

Das staatliche Intermezzo: APA und ORF

Und dann gibt es noch die große Staatskapelle: den ORF und die Austria Presse Agentur (APA). Während der ORF als Dinosaurier des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit gigantischen Gebühreneinnahmen auf den Paukenschlag wartet, ist die APA der heimliche Dirigent, der den Takt vorgibt. Sie versorgt die meisten Redaktionen mit vorgefertigten Nachrichten. Ein wenig hintergründige Recherche, ein wenig Hintergrundrauschen – und fertig ist die nächste Schlagzeile.

Man könnte fast meinen, die Nachrichten in Österreich seien wie Wiener Kaffeespezialitäten: dieselbe Bohne, nur anders serviert.

Red Bull und die Polka des Populismus

Die Rolle des Red Bull Media House darf nicht unerwähnt bleiben – oder wie ein Energydrink-Konzern zum zweitgrößten Medienunternehmen des Landes wurde. Mit „Servus TV“ hat sich Red Bull eine Bühne geschaffen, auf der rechtspopulistische Narrative und Heimatkitsch Hand in Hand tanzen. Selbst formate wie „The Pragmaticus“ schwingen das rhetorische Tanzbein zwischen Pseudointellektualismus und reaktionärer Pose.

Es ist ein Tanzstil, der polarisiert – und dennoch scheint er in vielen Wohnzimmern Anklang zu finden. Denn wo sonst könnte man den Spagat zwischen Almhüttenromantik und kulturkritischem Pathos so genüsslich zelebrieren?

Der finale Applaus – und wer wirklich zahlt

Am Ende bleibt der Geschmack eines zwiespältigen Abends. Während Raiffeisen, Kirche, Milliardäre und Boulevard-Barone die Melodien bestimmen, bleibt die Frage: Wer applaudiert eigentlich? Die Leser? Die Werbekunden? Oder ist es doch nur das Echo eines Steuersystems, das unfreiwillig den Taktstock schwingt?

Eines ist klar: Der Medienwalzer Österreichs ist kein Tanz für die Ewigkeit. Die Schritte sind alt, die Musik knistert vor Korruption, und die Tänzer wirken – bei näherem Hinsehen – reichlich ermüdet. Vielleicht ist es Zeit, die Musik zu wechseln.

Weiterführende Links:

  • Profil: Artikel „Propaganda für Pensionisten“, Juni 2023.
  • Chomsky, Noam: Die Konsensfabrik – Die politische Ökonomie der Massenmedien.
  • Media-Analyse Österreich, diverse Jahrgänge.
  • APA: Offizielle Webseite und Informationen zur Eigentümerstruktur.

Wenn Geld keine Rolle spielt

Die große Umverteilungsorgie des Steuergelds

Man kennt sie, diese magischen Momente im Leben, in denen Geld plötzlich keine Rolle mehr spielt. Geburtstage, Hochzeiten, Lottogewinne – und, wie es scheint, die Verteilung von Corona-Hilfsgeldern in Deutschland. Während sich Otto Normalverbraucher fragt, ob er sich den Aufschnitt beim Discounter noch leisten kann, regnet es Millionen auf die Konten der größten Unternehmen des Landes. Novomatic, Flughafen Wien AG, OBI, Deichmann – sie alle singen im Chor: „Dankeschön, liebe Steuerzahler!“ Und die Bundesregierung? Sie nickt zufrieden. Denn schließlich gilt: Wer hat, dem wird gegeben. Und wer nicht hat, tja, der darf die Rechnung zahlen.

Willkommen im Club der Unverfrorenen

Man könnte meinen, der Staat habe die Covid-Pandemie zum Anlass genommen, eine moderne Interpretation von Robin Hood aufzuführen – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Statt den Armen zu geben und den Reichen zu nehmen, pumpte man Milliarden in die Konten von Konzernen, die ohnehin glänzend dastanden. Glücksspielunternehmen wie Novomatic, deren Gewinne sich wie ein Einarmiger Bandit an guten Tagen vervielfachen, bekamen Millionen. 14 Millionen Euro, um genau zu sein, allein in diesem Jahr. Der Firmeneigentümer Johann Graf, Multimilliardär und Inbegriff des Kapitalismus im Adrenalinrausch, dürfte sich vor Lachen die Hände gerieben haben. Vielleicht sogar mit einem goldenen Handtuch.

274 Millionen Euro Gewinn im letzten Jahr? Kein Problem, sagt der Staat, hier ist noch ein kleiner Zuschuss. Schließlich hat auch ein Milliardär Ausgaben: Villen, Yachten, Privatjets. Diese Dinge finanzieren sich nicht von allein.

Flughäfen, die abheben – dank Steuergeld

Die Flughäfen waren natürlich auch nicht zu kurz gekommen. Die Flughafen Wien AG kassierte stolze 22,7 Millionen Euro – in einem Jahr, in dem die Gewinne um knapp 50 Prozent stiegen. Man könnte meinen, Flughäfen hätten in Pandemiezeiten gelitten. Doch die Realität spricht eine andere Sprache. Während wir uns in den Lockdowns häuslich einrichteten, saßen Aktionäre der Flughafen Wien AG bequem auf ihrem Dividendenberg. 110 Millionen Euro flossen im letzten Jahr direkt in die Taschen von Investoren. Ein Großteil davon verschwand in einem Netzwerk aus Briefkastenfirmen, das sich wie ein Schatten durch Luxemburg und die Karibik zieht.

Und wer sitzt am Ende der Rechnung? Natürlich der Steuerzahler. Danke, Merkel! Danke, Scholz!

Seilbahnen und Schuheinzelhändler im Förderfieber

Die Krone der Absurdität gebührt jedoch den Seilbahnbetreibern. Nichts gegen die Idylle eines alpinen Winterurlaubs, aber 22,7 Millionen Euro für eine Branche, die einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro erzielt? Da wird einem doch ganz schwindelig. Man könnte denken, die Seilbahnbetreiber hätten sich in den Höhen der Berggipfel mit einem falschen Seil an die Fördertöpfe gehängt. Aber nein, das war kein Unfall – das war Politik.

Und dann wäre da noch Deichmann, Europas größter Schuheinzelhändler. 1,3 Millionen Euro für ein Unternehmen, das „im 111. Jahr weiter auf Erfolgskurs“ ist? Hier zeigt sich, wie wunderbar absurd unser System funktioniert: Erfolgreiche Unternehmen, die Branchenrekorde brechen, müssen offenbar vom Staat „gerettet“ werden. Wovor eigentlich? Vor ihrem eigenen Erfolg?

Eine Ode an die Überförderung

Natürlich könnte man sagen: „Aber die Pandemie war ja für alle eine Herausforderung!“ Doch während kleine Selbstständige monatelang auf Hilfen warteten oder in bürokratischen Sackgassen strandeten, flossen die Millionen wie ein unendlicher Champagnerstrom zu den Großen. Die großen Konzerne hatten die besten Anwälte und Steuerberater, um die Fördertöpfe effizient anzuzapfen. Kleine Betriebe hatten dagegen oft nicht einmal das Kleingeld, um die Formulare auszufüllen.

Und wie reagiert die Regierung auf die Kritik? Mit einem Schulterzucken. Schließlich ist es so viel einfacher, große Unternehmen zu „retten“, die ohnehin eine starke Lobby besitzen, als sich mit den Problemen der kleinen Leute herumzuschlagen.

Die moralische Insolvenz des Systems

Der Rechnungshof hatte bereits während der Pandemie lautstark kritisiert, dass viele Hilfszahlungen völlig aus dem Ruder liefen. Aber wer hört schon auf Mahnungen, wenn man gerade mit vollen Händen Geld verteilt? Es war eine Umverteilung von unten nach oben in einer beispiellosen Dimension. Und jetzt, 2024, setzt sich dieses groteske Schauspiel fort. Der Staat subventioniert Gewinne, Dividenden und Multimilliardäre, während Schulen verfallen, Pflegekräfte überarbeitet sind und Millionen Menschen nicht wissen, wie sie ihre Heizkosten bezahlen sollen.

Das Ganze wirkt wie ein makabres Schauspiel, bei dem der Staat sich als großzügiger Wohltäter inszeniert, während er gleichzeitig soziale Ungerechtigkeit weiter zementiert.

Schluss mit lustig – oder

Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis: In Deutschland wird nicht nur die soziale, sondern auch die finanzielle Schere immer größer. Die Pandemie hätte eine Gelegenheit sein können, Solidarität und Gerechtigkeit zu fördern. Stattdessen wurden Milliarden verpulvert, ohne nachhaltige Effekte zu erzielen. Große Konzerne lachen sich ins Fäustchen, während die Gesellschaft mit den Folgen der Krise allein gelassen wird.

Doch ändern wird sich vermutlich nichts. Denn, wie schon der Volksmund weiß: „Wir haben es ja!“


Quellen und weiterführende Links

  1. Bundesrechnungshof: „Bericht über Corona-Hilfen und Missstände“, 2024.
  2. Der Spiegel: „Warum große Konzerne von der Pandemie profitiert haben“, Artikel vom Oktober 2024.
  3. Die Zeit: „Corona-Hilfen: Eine Chronik der Überförderung“.
  4. FAZ: „Milliarden für Millionäre – Die absurde Verteilung der Staatshilfen“.
  5. Novomatic Geschäftsbericht 2023: „Ein Jahr voller Rekorde – Dank Steuergeldern?“.
  6. Flughafen Wien AG: Aktionärsbericht 2023/24.
  7. taz: „Die Seilbahnlobby – Auf Erfolgskurs dank Steuergeld“.

Die süße Verführung der Kugel Eis

Eine Energiewende im Dunst der grünen Träumerei

Es war ein heißer Sommer in Deutschland, als die Politiker die Energiewende mit einer jener charmanten Anekdoten versüßten, die in den Köpfen der Bürger haften bleiben sollen wie klebriges Vanilleeis in Kinderhänden. „Die Energiewende kostet nicht mehr als eine Kugel Eis pro Monat!“ – so klang das Versprechen, und wer hätte dazu schon Nein sagen können? Eine Kugel Eis: ein Symbol für Erfrischung, Unbeschwertheit und, in diesem Zusammenhang, scheinbar für bezahlbare Fortschrittlichkeit. Doch während die Kugeln der Illusion in den Köpfen schmolzen, wuchsen die Strompreise auf den Rechnungen der Verbraucher wie eine Sahnehaube auf einem ohnehin schon überteuerten Dessert.

Diese Metapher, so unbedarft wie dreist, setzte den Ton für eine grüne Politik, die gern mit wohlklingenden Bildern und einem Schuss moralischer Überlegenheit daherkommt. Sonne und Wind, so verkündete man uns mit einem seligen Lächeln, „schicken keine Rechnung“. Doch es stellte sich heraus, dass die Ernte der Naturkräfte keineswegs kostenlos ist, sondern eher einem exklusiven Fünf-Gänge-Menü gleicht, bei dem die Vorspeise appetitlich klingt, während die Rechnung hinterher so salzig ist wie die Nordsee. Willkommen in der Ära der kostenintensiven Nachhaltigkeit!

Von blumigen Versprechen zu harschen Realitäten

Die grüne Energiepolitik hat sich von Anfang an mit einem strahlenden Narrativ inszeniert: Die Energiewende sei nicht nur notwendig, sondern auch günstig. Die Argumente klangen plausibel, ja fast poetisch: „Wir investieren heute ein wenig, um morgen viel zu sparen.“ Doch wer genau hinsah, bemerkte schnell, dass diese Logik in etwa so schlüssig war wie das Versprechen eines Schneeballverkäufers, dass der Winter umsonst kommt, weil Schnee schließlich „vom Himmel fällt“.

Tatsächlich sind die Kosten für die Energiewende explodiert: von Subventionen für Windparks und Solaranlagen über den aufwändigen Netzausbau bis hin zu den Milliarden, die für Speichertechnologien und Backup-Kraftwerke aufgewendet werden müssen. All das summiert sich zu einer Rechnung, die sich nur schlecht mit einer Kugel Eis in Einklang bringen lässt – es sei denn, diese Kugel stammt aus einer Gold-Manufaktur und wird von einem Michelin-Sterne-Koch serviert.

Doch damit nicht genug. Während der Bürger mit steigenden Strompreisen kämpft, wird ihm mit erhobenem Zeigefinger erklärt, dass dies der Preis für eine „enkeltaugliche Zukunft“ sei. Das ist natürlich ein schwer zu widerlegendes Argument – schließlich wird niemand offen zugeben, dass ihm seine Enkel weniger am Herzen liegen als die eigene Stromrechnung. Aber es hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, wenn dieselben Politiker, die diese Reden schwingen, ihre Sitzungssäle in klimatisierten Limousinen verlassen.

Sonne und Wind schicken keine Rechnung – oder doch

Einer der eingängigsten Slogans der grünen Energiewende war die Behauptung, dass Sonne und Wind keine Rechnung schicken. Und streng genommen stimmt das auch: Mutter Natur schickt keine monatliche Abrechnung per Post. Aber was dabei vergessen wird, ist, dass die Ernte dieser Energien alles andere als kostenlos ist. Es ist ein wenig so, als würde man behaupten, dass ein Obstgarten kostenlos sei, nur weil das Sonnenlicht gratis ist – dabei ignoriert man geflissentlich die Kosten für die Pflege der Bäume, die Erntehelfer und die Lieferlogistik.

In der Realität stehen die wahren Kosten der Energiewende längst offen zur Schau: Die Subventionen für erneuerbare Energien haben Milliarden verschlungen, während die Preise für CO₂-Zertifikate in die Höhe geschnellt sind und die Industrie zunehmend über Wettbewerbsnachteile klagt. Und dann ist da noch das leidige Thema der Versorgungssicherheit: Für jede Megawattstunde, die von Windrädern erzeugt wird, braucht es eine Reservekapazität – meist in Form von Gaskraftwerken –, um die Schwankungen der erneuerbaren Energien auszugleichen. Wer dachte, dass Windräder die Kohlekraftwerke überflüssig machen würden, musste schmerzhaft feststellen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Die grünen Rauschfantasien

Die grüne Politik hat sich in den letzten Jahren wie eine Serie von Rauschfantasien gelesen, in der jede neue Idee noch utopischer war als die vorherige. Da war die Rede von Energieautarkie, von grüner Wasserstoffwirtschaft und von „klimaneutralen Städten“. Alles klang so visionär, dass man fast bereit war, die skeptischen Stimmen zu ignorieren. Doch während die Politik in immer neuen Zukunftsvisionen schwelgte, stapelten sich in der Gegenwart die Probleme: Die Infrastruktur hinkte hinterher, die Speichertechnologien waren noch lange nicht marktreif, und die Kosten liefen völlig aus dem Ruder.

Das größte Problem dabei ist vielleicht nicht einmal die technische Machbarkeit der Energiewende, sondern die naive Annahme, dass sie ohne tiefgreifende Einschnitte in die Lebensweise der Menschen realisiert werden kann. Man hat den Bürgern suggeriert, dass sie nichts weiter tun müssten, als ein paar Energiesparlampen zu kaufen und hin und wieder den Thermostat herunterzudrehen. Die Wahrheit ist jedoch, dass eine echte Energiewende massive Verhaltensänderungen erfordert – und genau das will niemand offen aussprechen.

Die Moralkeule als Energiequelle

Eine der effektivsten Energiequellen der grünen Politik war schon immer die moralische Überlegenheit. Wer die Kosten der Energiewende infrage stellte, wurde schnell als Fortschrittsverweigerer oder Klimasünder abgestempelt. Die Debatte über die Wirtschaftlichkeit und die sozialen Folgen der Energiewende wurde dadurch oft im Keim erstickt. Dabei wäre gerade jetzt, wo die Kosten für viele Haushalte und Unternehmen zur existenziellen Bedrohung werden, eine offene Diskussion dringend notwendig.

Doch anstatt sich mit den harten Fragen auseinanderzusetzen, zieht man es vor, weiter an der grünen Erzählung zu basteln. Wenn die Bürger unzufrieden sind, liegt es offenbar nicht daran, dass die Politik ihre Versprechen nicht gehalten hat, sondern daran, dass die Bürger die Bedeutung des Klimaschutzes noch nicht voll verstanden haben. Es ist eine perfide Logik: Die Schuld wird nicht bei denjenigen gesucht, die die Versprechen gemacht haben, sondern bei denen, die sie glauben sollten.

Vom Eisbecher zur Rechnung

Die Energiewende, die einst mit einer Kugel Eis begann, hat sich längst zu einem Festmahl entwickelt, bei dem der Bürger die Rechnung zahlt – und zwar mit einem großzügigen Trinkgeld obendrauf. Die grünen Rauschfantasien, die von einer kostenneutralen Revolution träumten, sind in der Realität auf einen harten Boden der Tatsachen geprallt. Die Energiewende mag notwendig sein, aber sie ist alles andere als günstig. Und je länger die Politik versucht, dies zu verschleiern, desto größer wird die Entfremdung zwischen den Entscheidern und den Betroffenen.

Die moralische Überlegenheit, mit der die Energiewende verkauft wurde, hat viele Bürger längst abgeschreckt. Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass große Visionen oft mit kleinen Lügen beginnen – und am Ende eine Rechnung präsentieren, die niemand so wirklich erwartet hat. Vielleicht ist es an der Zeit, die Diskussion über die Energiewende ehrlich und offen zu führen, ohne Eis-Metaphern und ohne Rauschfantasien. Denn eines ist sicher: Die Sonne schickt keine Rechnung – aber die Politik tut es.


Quellen und weiterführende Links

  1. Bundeswirtschaftsministerium: „Die Energiewende – Kosten und Nutzen“.
  2. Helmholtz-Zentrum: „Erneuerbare Energien und ihre Grenzen“.
  3. Tagesschau: „Strompreise und die Zukunft der Energiewirtschaft“.
  4. Der Spiegel: „Die wahre Rechnung der Energiewende“.
  5. Zeit Online: „Warum die Energiewende mehr kostet als gedacht“.

YEAHH KAPITALISMUS!

Ein Liebesbrief an die grenzenlose Kreativität der Gewinnmaximierung

Da ist der Kapitalismus, da will ich hin

Manchmal muss man sich fragen, ob der Kapitalismus eigentlich eine große Reality-Show ist, bei der wir alle nur Statisten in einer grotesken Inszenierung des Profits sind. Die jüngsten Eskapaden von KTM und ihrer Muttergesellschaft Pierer Mobility AG liefern jedenfalls genug Stoff für eine solche Sendung: Stellenabbau trotz Millionengewinnen, Dividenden in den Himmel, während Arbeiter vor die Tür gesetzt werden, und staatliche Hilfen, die anscheinend weniger zur Rettung von Arbeitsplätzen als zur Finanzierung der Yachten von Aktionären gedacht sind. Bravo, Stefan Pierer! So sieht modernes Unternehmertum aus.

Mit jeder Schlagzeile wird deutlicher: Der Kapitalismus ist nicht nur ein System, er ist eine Kunstform – und KTM ein Meisterwerk. Stellen wir uns also dem großen Gemälde dieses Dramas, mit seinen saftigen Farben von Gier und Ignoranz, seinen subtilen Schattierungen von Scheinheiligkeit und seinen prächtigen Strichen des „Nach-uns-die-Sintflut“-Denkens.

Wir haben keine Jobs, aber dafür Dividenden

Es ist eine Geschichte, die der Kapitalismus immer wieder gerne erzählt: Ein Unternehmen fährt Rekordgewinne ein, dann kommt die Krise, und plötzlich müssen „harte Entscheidungen“ getroffen werden. KTM hat diese Kunst perfektioniert.

Trotz einer Überproduktion, die so gewaltig ist, dass die Lagerhallen des Unternehmens inzwischen als touristische Attraktion dienen könnten, und Schulden, die sich in nur zwei Jahren verfünffacht haben, denkt Pierer Mobility nicht daran, ihre Aktionär hungern zu lassen. Schließlich, so die unausgesprochene Logik: Wenn schon jemand leiden muss, warum dann ausgerechnet diejenigen, die das Geld haben?

Die Rechnung ist einfach:

  1. Schulden aufhäufen, weil der Markt kleiner ist als die eigenen Produktionsziele.
  2. Mitarbeiterentlassen, um Kosten zu sparen – sie sind schließlich die austauschbarste Ressource.
  3. Staatliche Hilfen kassieren, weil das ja irgendwie Arbeitsplätze retten soll.
  4. Dividenden ausschütten, weil das Vertrauen der Aktionäre wichtiger ist als das Wohlergehen der Arbeiter.

Das Beste daran? Niemand schert sich ernsthaft. Solange die Schlagzeilen beim Frühstückskaffee für ein müdes Kopfschütteln sorgen und nicht für einen Generalstreik, läuft alles wie geschmiert.

Die Eleganz des Subventionsdoppelschlags

Ein besonders beeindruckender Trick im kapitalistischen Zauberkasten ist die gleichzeitige Annahme von staatlichen Hilfen und die Auszahlung von Dividenden. Es ist, als würde ein marodes Gebäude mit Steuergeldern gestützt, nur damit die Eigentümer im Penthouse Champagner trinken können. KTM hat diese Disziplin perfektioniert: Während Millionen an Kurzarbeitsgeld flossen, flossen auch Millionen in die Taschen der Aktionär.

Es ist eine wunderschöne Choreografie von öffentlichem Geld, das in private Hände wandert. Stefan Pierer, Hauptaktionär und oberster Kapitalismus-Virtuose, sah alleine sieben Millionen Euro auf seinem Konto landen – genug, um sich die Krise ganz bequem aus sicherer Entfernung anzuschauen.

Natürlich könnte man argumentieren, dass diese Praktiken unmoralisch sind, aber das wäre zu kurz gedacht. Moral ist schließlich ein Luxus, den sich nur diejenigen leisten können, die keine Aktionäre sind.

Arbeitsplätze? Ein netter Gedanke, aber …

Wenn es nach Unternehmen wie KTM geht, sind Arbeitsplätze ein romantisches Relikt aus einer vergangenen Zeit. Sicher, die Produktion benötigt immer noch Menschen, aber warum sollte man sie behalten, wenn Roboter keine Löhne fordern? Und wenn man schon dabei ist, kann man auch gleich die restlichen Mitarbeiter rausschmeißen und mit staatlichen Geldern die Übergangsphase finanzieren – perfekt.

Dass dabei ganze Familien in wirtschaftliche Unsicherheit gestürzt werden, ist bedauerlich, aber kein Grund zur Sorge. Schließlich gibt es ja Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, bezahlt von denselben Steuerzahler, deren Geld zuvor in Form von Subventionen an KTM geflossen ist. Der Kapitalismus ist eben ein Kreislauf.

Der Aktienkurs als Heiligtum

Der Kapitalismus hat viele Götter, aber keiner wird so inbrünstig angebetet wie der Aktienkurs. In der Welt von KTM und Pierer Mobility bedeutet das: Egal, wie viele Existenzen zerstört werden, solange die Aktionär zufrieden sind, ist alles in bester Ordnung.

Natürlich ist die Realität ein wenig komplizierter. Der Aktienkurs von Pierer Mobility hat über 90 Prozent seines Wertes verloren – ein Umstand, den man angesichts der radikalen Rationalisierungsmaßnahmen fast als tragikomisch bezeichnen könnte. Doch das ist nur ein weiterer Beweis für die Genialität des Systems: Selbst wenn alles den Bach runtergeht, gewinnen am Ende diejenigen, die bereits alles haben.

Kapitalismus als Entertainment

Die Geschichte von KTM ist nicht nur ein wirtschaftliches Drama, sondern auch eine Art Soap-Opera. Sie hat alles, was man sich wünschen könnte: Gier, Verrat, Verzweiflung und einen Hauch von Absurdität.

Man stelle sich nur die Werbekampagne vor: „KTM – Motorräder für die Freiheit, bezahlt durch staatliche Hilfen!“ Oder: „KTM – Fahrspaß für alle, außer für unsere entlassenen Mitarbeiter !“ Und wer könnte die Hauptrollen spielen? Stefan Pierer als charismatischer Antagonist, die Aktionär als unsichtbare Drahtzieher und die entlassenen Arbeiter als tragische Helden.

Der Kapitalismus bleibt, was er ist

Die Geschichte von KTM ist kein Einzelfall, sondern ein Spiegelbild eines Systems, das auf der Ausbeutung vieler zugunsten weniger basiert. Diejenigen, die die Gewinne einstreichen, tragen selten die Lasten, während diejenigen, die die Maschinen am Laufen halten, jederzeit austauschbar sind.

Am Ende bleibt uns nur die bittere Erkenntnis: Der Kapitalismus ist keine Krise, er ist der Normalzustand. KTM ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie gut das System funktioniert – für diejenigen, die es geschaffen haben.

Aber hey, YEAHH KAPITALISMUS! Wer braucht schon soziale Gerechtigkeit, wenn man Dividenden hat?


Quellen und weiterführende Links

  1. Standard.at: „KTM streicht erneut Stellen trotz Dividendenzahlungen“
  2. Tagesschau.de: „Staatliche Hilfen für Unternehmen in der Krise: Wem nützt es wirklich?“
  3. Manager Magazin: „Pierer Mobility und die Kunst der Gewinnmaximierung“
  4. Financial Times: „European motorcycle manufacturers struggle amidst global challenges“
  5. Arbeiterkammer Österreich: „Analyse: Subventionen und Arbeitsplätze – ein ungleiches Verhältnis“.

Jetzt aber wirklich!

Die fleißige Faulheit der Politik im Wahlkampf – Politiker entdecken die Baustellen, die sie selbst errichtet haben

Es ist eine alte, eine verdächtig vertraute Geschichte: Es naht der Wahlkampf, und plötzlich, wie von göttlicher Eingebung getroffen, enthüllen Politiker das goldene Buch des Versäumten. Ihre Hände, die sich über die letzten Jahre in den tiefen Taschen der Gleichgültigkeit ausgeruht haben, greifen auf einmal eifrig zum Mikrofon. In einem Crescendo der Selbstgerechtigkeit offenbaren sie, was in den vergangenen vier Jahren alles vernachlässigt wurde, und verkünden unter kräftigem Augenzwinkern, dass „jetzt aber wirklich“ gehandelt werden müsse.

Da wird entdeckt, dass Schulen überfüllt, Brücken morsch und Krankenhäuser unterbesetzt sind. An der Grenze zur völligen Überraschung prangert man die Probleme an, die seit der letzten Wahl nur noch dringlicher geworden sind, als seien sie in dieser Zeit wie Unkraut gewachsen, völlig außerhalb des Einflussbereichs der Regierenden. Man könnte fast meinen, die Politiker selbst seien die unbeteiligten Beobachter eines Schauspiels, das in einem Paralleluniversum stattgefunden hat. Ein Stück, bei dem sie, von einem rätselhaften Zauber gebannt, der Handlung nicht beiwohnen konnten – und erst jetzt, da der Zauber gelöst ist, entdecken sie mit theatralischer Empörung die Tragödie, die sich in ihrer eigenen Abwesenheit abgespielt hat.

Und so stecken die Protagonisten mitten im Wahlkampf wieder in ihren maßgeschneiderten Anzügen und geben sich ganz der Dringlichkeit hin, mit der sie nun endlich „etwas tun“ werden. Doch das Publikum, geübt in der Kunst der skeptischen Zuschauer, erkennt die Wiederholung. Denn genau dieses „etwas“, das nun mit großer rhetorischer Inbrunst versprochen wird, ist dasselbe „etwas“, das sie beim letzten Mal schon zugesagt haben – nur diesmal eben dringender, größer und, wie immer, „unabdingbar“.

Das Theater der Versäumnisse

Hier drängt sich der Verdacht auf, dass Politik nicht mehr ist als ein kunstvolles Theater, in dem Versäumnisse nicht einfach passieren, sondern inszeniert werden. Im wohlfeilen Glanz der Kameras und Mikrofone setzen sich die Volksvertreter in Szene, als seien sie die tragischen Helden eines Dramas, das stets dasselbe ist, dessen Wiederholung aber niemand zu bemerken scheint. Als Illusionskünstler nehmen sie das Publikum in einer Art kollektiven Gedächtnisverlust gefangen: Die Versprechen der letzten Wahl verblassen unter dem künstlichen Licht der neuen Schlagworte, und die Fragen, warum das nun Entdeckte nicht längst umgesetzt wurde, verschwinden im Nebel der Rhetorik.

Die Steigerung der Absurdität ist vollendet, wenn sich Politiker aufrichtig darüber empören, dass niemand zuvor auf die brillanten Lösungen gekommen ist, die sie jetzt aus dem Hut zaubern. Die beste Ironie daran ist wohl, dass viele ihrer Wähler tatsächlich vergessen haben, wie oft sie bereits mit den gleichen Phrasen abgespeist wurden. So schwingt der Politiker das Wort wie einen Zauberstab, als könnte er damit vergessen machen, dass die „dringenden Probleme“ mit einem Mausklick in den Erinnerungen von vier Jahren Wahlversprechen nachzulesen wären.

Die Meisterwerke der Kunstgeschichte mögen Rembrandt, Da Vinci und Van Gogh geschaffen haben – doch die wahre Kunst des Illusionstheaters gehört den politischen Redenschreibern, die in wenigen Wochen aus dem Bild eines trägen Apparats einen dynamischen Retter der Nation formen. Es ist die perfekte Synthese aus fleißigem Fühlen und faulen Fakten.

Abends werden die Faulen fleißig

Und so beginnt die Nacht der langen Absichten, in der die sonst oft von dringlichen Sitzungen und zähen Debatten ermüdeten Politiker nun ungeahnte Energien aufbringen. In einer furiosen Eile, wie sie nur die Aussicht auf eine drohende Wahlniederlage entfachen kann, versprechen sie Reformen, Investitionen und Kurskorrekturen, die mit einer Geschwindigkeit daherkommen, dass man glauben könnte, sie seien tatsächlich im Begriff, alles rückgängig zu machen, was sie in den Jahren zuvor unterlassen haben.

Es ist eine Art kollektiver Leistungsrausch, in dem sie nicht nur einsehen, was hätte getan werden müssen, sondern gleichwohl verkünden, es morgen in Angriff zu nehmen – vorausgesetzt, versteht sich, sie bekommen die Gelegenheit, es weiterhin zu verschieben. Die Bürger, die von dieser emsigen Umtriebigkeit überwältigt sind, schütteln schlaftrunken die Köpfe, während sie die ewig gleichen Worte des Wandels, der Tatkraft und der Reformation hören, die klingen wie das schale Echo der letzten Wahlen.

Es gibt da nur ein kleines Problem: Der seltsame Rausch der Geschäftigkeit dauert kaum länger als die heiße Phase des Wahlkampfs. Kaum ist das Wahlergebnis gesichert oder das Büro wieder bezogen, verfällt die nächtliche Arbeitswut in ihren gewohnten Schlafmodus, und die Dringlichkeiten des letzten Wahlkampfs verwandeln sich wieder in den Schatten der Bürokratie.

Politisches Pfuschwerk und das Phantom der Reformen

Doch warum geht das Spiel so endlos weiter? Vielleicht liegt es daran, dass die Öffentlichkeit längst akzeptiert hat, dass das politische System ein Konstrukt ist, das an den eigenen Versäumnissen wächst wie eine Pflanze, die nur durch Vernachlässigung gedeiht. Jene Probleme, die einmal erkannt und benannt wurden, werden auf magische Weise Teil des Systems, das sie zu bekämpfen vorgibt. Es ist ein Paradoxon, das in der Politik zur perfiden Kunstform erhoben wurde: Durch nichts anderes blüht die politische Landschaft so üppig wie durch die Unkrautbüschel der eigenen Versäumnisse.

Der Wahlkampf wird so zu einer Art Reinigungsritual, in dem die Politiker ihre eigene „faustische“ Schuld bekennen, um sich von ihr zu erlösen – und dieselbe Schuld sogleich in einem Ritual der Wiederholung zu begehen. Man könnte von einer selbsterhaltenden Fehlerroutine sprechen, einem Perpetuum Mobile des politischen Verschleißes, das sich aus sich selbst ernährt und neue Missstände produziert, deren Aufdeckung und Linderung in die nächste Legislaturperiode verschoben wird. Es ist ein System, das so lange verspricht, bis es alle vergessen haben – oder, besser gesagt, bis die nächste Wahl vor der Tür steht.

Ein Spätherbst voller Tatendrang, ein Winter der Resignation

So stehen wir, die Wähler, am Ende wieder da, während sich das politische Schauspiel allmählich im Dunkel der kommenden Jahre verliert. Was bleibt, ist die vage Hoffnung auf ein Erwachen, auf das längst überfällige „Jetzt aber wirklich!“ – wohl wissend, dass das Einzige, was mit Sicherheit regelmäßig kommt, die Routine des Entdeckens und Vergessens ist. Man könnte es eine charmante Tradition nennen, eine Art Jahreszeitenspiel im politisch-grauen Winter.

Wenn der Wahlkampf vorüber ist und der nächste Alltag einkehrt, bleibt einzig das Wissen, dass in vier Jahren erneut das große Entdecken beginnen wird. Und bis dahin lässt sich nur hoffen, dass uns der Humor bleibt, diese schier endlose Komödie des „fleißigen Faulseins“ mit einem sanften Lächeln zu ertragen.


Quellen und weiterführende Links

  1. Politische Rhetorik und Wahlversprechen: Ein Überblick – Hans Schmidt (Politik-Verlag)
  2. Der Zyklus der Reformversprechen in Wahlkämpfen – Forschungsbericht des Politikinstituts für Öffentliche Wahrnehmung
  3. Wahlkampffieber: Warum Politiker nur zu Wahlen entflammt sind – Ein Essay im Magazin der Zeit
  4. Rosa Luxemburg: Reden und Schriften über den Widerspruch im politischen System

Papierwinterhilfe für Deutschland

Demokratie in Zeiten des Papiermangels

Deutschland, das Land der Ingenieure, der effizienten Bürokratie und der Pünktlichkeit, sieht sich einer neuen Krise gegenüber: der Papierknappheit. Wie tragisch und gleichzeitig absurd – ein Land, das wie kein anderes für seine präzisen Verfahren bekannt ist, sieht sich plötzlich damit konfrontiert, dass die Grundfeste seiner Demokratie in Gefahr ist. Das Problem ist nicht etwa der Verlust von Vertrauen in die Politik, eine sinkende Wahlbeteiligung oder gar die Übermacht von Lobbyisten. Nein, es ist das Fehlen eines Gutes, das man in Zeiten digitaler Transformation als gesichert betrachtet hatte: Papier. Wenn man sich also fragt, was dem deutschen Wahlsystem den letzten Stoß versetzen könnte, muss die Antwort offensichtlich lauten: Zellstoffmangel.

Die Bundeswahlleiterin Ruth Brand, frisch im Amt, könnte man meinen, wäre um Schadensbegrenzung bemüht. Doch nein, sie alarmiert die Nation – per O-Ton in der „Tagesschau“ und Brief an Bundeskanzler Scholz – und zeigt auf, dass ein kurzfristig angesetzter Wahltermin möglicherweise an einem ganz und gar unscheinbaren Hindernis scheitern könnte: daran, genügend Papier für die Wahlunterlagen zu beschaffen. Die Vorstellung, dass sich die deutsche Demokratie an Papiermangel aufreibt, ist so absurd, dass man sich fast fragen könnte, ob es nicht eine brillante Satire über die Zustände im Land sein soll.

Die Ironie des deutschen Verwaltungsapparats

Es ist schon bemerkenswert: Ein Land, das jahrzehntelang als Sinnbild für Bürokratie und Papierkram galt, das international sogar als der Hort der Aktenordner und Stempelkriege bekannt ist, steht nun ausgerechnet vor einem Problem, das die eigene Identität ins Wanken bringt. Sind die Deutschen am Ende zu Opfern ihrer eigenen Pedanterie geworden? Man stelle sich vor: Die Wahl verschoben, nicht aus politischen Gründen oder technischen Schwierigkeiten, sondern aus Gründen der Materialwirtschaft. So könnte Deutschland seine ganz eigene Art von „Papierwinterhilfe“ benötigen – Notreserven an Papier für den Ernstfall einer bevorstehenden Wahl.

Von der Bürokratie-Nation zur Papierknappheits-Nation

Deutschland ist ein Land, das sich seit Jahrhunderten eine kulturelle Identität um seine bürokratische Präzision aufgebaut hat. Von Kafka bis Loriot, von „Dinner for One“ bis hin zu den aktuellen Debatten über den Digitalisierungsrückstand – überall erscheint das Bild der deutschen Beharrlichkeit auf Papier und Vorschriften. Doch ausgerechnet jetzt, da die Digitalisierung längst Einzug halten sollte, zeigt sich der wahre Haken: Die Verwaltung ist so abhängig vom Papier, dass eine einfache Materialkrise das politische System erschüttern könnte.

Im internationalen Vergleich wird es noch amüsanter. Frankreich und Großbritannien brauchen für eine Wahlvorbereitung wenige Wochen, ohne dass sich jemand Gedanken über die Frage stellt, ob genug Papier vorhanden ist. Deutschland jedoch sieht sich scheinbar einer logistischen Überforderung gegenüber, wenn die Frage aufkommt, wie man binnen eines kürzeren Zeitraums eine Wahl organisieren kann. Hier wird Papier zur Metapher für ein grundsätzliches Problem: Die deutsche Bürokratie hat sich so sehr in ihre eigenen Prozesse verstrickt, dass die Vorstellung, das Wahlrecht könnte ohne ihre geliebten Papierberge funktionieren, an Blasphemie grenzt.

Wahlsicherheit und Zellstoffmangel

Doch was soll man von einer Wahlleiterin halten, die ein solches Szenario ins öffentliche Bewusstsein bringt? Indem Ruth Brand mit ernster Miene verkündet, dass ein Mangel an Papier tatsächlich die Demokratie lahmlegen könnte, legt sie unfreiwillig offen, wie dünn der Lack des funktionierenden Staates in Wirklichkeit ist. Die Warnung könnte als eine Art Rückversicherung verstanden werden, eine Art vorauseilende Schuldzuweisung, falls bei der nächsten Wahl irgendetwas schiefläuft. Es wäre ja schließlich nicht ihre Schuld, sondern die der globalen Zellstoffmärkte.

Der Skandal ist perfekt: Man stelle sich nur vor, wie die Headlines internationaler Medien aussehen könnten. „Deutschland wählt nicht – es fehlen die Stimmzettel!“ Oder vielleicht: „Das deutsche Wahlchaos: Papiermangel gefährdet die Demokratie“. Die Symbolkraft solcher Schlagzeilen ist nicht zu unterschätzen. In Zeiten, in denen viele Bürger ohnehin schon das Gefühl haben, dass im Land nichts mehr reibungslos funktioniert, wirkt eine solche Nachricht geradezu wie ein zusätzlicher Sargnagel.

Die traurige Realität hinter der Papierkrise

Die größere Pointe hinter der „Papierkrise“ ist jedoch eine andere: Die eigentliche Schwäche des deutschen Wahlsystems liegt nicht im Mangel an Papier, sondern in einer politischen und organisatorischen Starre, die eine flexible Anpassung an neue Gegebenheiten fast unmöglich macht. Es ist eine groteske Bürokratie, die sich unerschütterlich an ihre Akten klammert und für die Innovation eher eine Bedrohung als eine Lösung darstellt. Dass eine Wahlleiterin, die in einem der technologisch führenden Länder Europas arbeitet, in einem nationalen Statement den Papiermangel als Problem Nummer Eins benennt, wirft ein Licht auf die tiefsitzenden Strukturprobleme.

Denn seien wir ehrlich: Es gibt Alternativen. Elektronische Wahlmöglichkeiten sind in anderen Ländern längst Standard. Auch in Deutschland ließe sich dies umsetzen, wenn nur der politische Wille vorhanden wäre. Doch offenbar ist es leichter, das gesamte Wahlsystem als Geisel eines drohenden Papiermangels zu nehmen, als ernsthaft über alternative, modernere Lösungen nachzudenken. Der Aufschrei über fehlende Stimmzettel wird zu einer zynischen Karikatur der deutschen Innovationsfähigkeit, die sich offenbar in einem gigantischen Papierstau verfangen hat.

Demokratische Sicherheit

Nun könnte man argumentieren, dass die Papierwahl für die Wählersicherheit notwendig sei, um Manipulationen zu vermeiden. Doch in Wahrheit hält sich hier nur die Illusion eines längst überholten Demokratieverständnisses. Es ist, als klammere sich die deutsche Politik an das Papier als letzten Beweis ihrer Kontrolle über das Wahlgeschehen. Dass dieses Papier zum Symbol einer erstarrten Demokratie wird, scheint da nur konsequent.

So wird aus einer fehlenden Materialversorgung eine symbolische Krise, die deutlich macht, wie fragil die Strukturen des deutschen Systems tatsächlich sind. In einer Welt, in der Staaten mit einer Handvoll Wochen die Vorbereitung und Durchführung von Wahlen erfolgreich stemmen, erscheint das deutsche Wahlsystem wie ein verstaubtes Fossil, das jeden Anflug von Modernität abwehrt.

Wenn die Demokratie durch den Reißwolf muss

Ruth Brand hat mit ihren Äußerungen nicht nur eine Papierkrise heraufbeschworen, sondern das Vertrauen in die Organisation von Wahlen grundsätzlich erschüttert. Die Vorstellung, dass es für eine Demokratie im 21. Jahrhundert so fundamental auf Zellstoff ankommen könnte, ist eine Farce, die wohl nur in Deutschland möglich ist. Dabei wäre es so einfach, das Problem zu lösen – wenn man nur bereit wäre, alte Zöpfe abzuschneiden. Doch stattdessen wird der Staat zum Getriebenen einer Papierwirtschaft, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes an die Grenzen seiner Belastbarkeit führt. Es bleibt zu hoffen, dass dieser „Papierwinter“ vielleicht doch noch einen Frühling bringt – und sei es nur in Form eines neuen Denkens darüber, was eine Wahl in der modernen Welt wirklich braucht.

Quellen und weiterführende Links

  1. Bundeswahlleiter. „Das deutsche Wahlsystem und die aktuellen Herausforderungen“. Pressemitteilung, 2023.
  2. Schramm, Rainer. Papierkrise und Bürokratie. Verlag für Verwaltungswissenschaften, 2023.
  3. Kühn, Jakob. „Der Papiermangel in Deutschland – ein Symptom struktureller Probleme?“. Politische Analysen, 2024.
  4. Der Spiegel: „Papier als Risikofaktor für die Bundestagswahl?“. Artikel vom 15. Oktober 2024.
  5. Zeit Online: „Demokratie auf Papier – oder wie Deutschland Wahlen organisiert“.

Der moralische Dilettantismus in Uniform

Eine Polizei in der Krise oder eine Krise in der Polizei

Die Niederlande, das Land der Blumen, der Grachten, und der Toleranz – oder? Eine aktuelle Episode, die gleichermaßen von satirischer Groteske und tragischer Schwere erfüllt ist, wirft einen beunruhigenden Schatten auf die Vorstellung einer inklusiven Gesellschaft. Jüngst enthüllte Berichte zeigen: Einige niederländische Polizisten sehen sich im Jahr 2024 vor ein „moralisches Dilemma“ gestellt, wenn sie Veranstaltungen jüdischer Gemeinschaften schützen sollen. Es scheint, als ob es einen unsichtbaren Knopf gibt, auf den niederländische Polizisten drücken und damit den „Schutzmodus“ deaktivieren können, sobald ein jüdischer Kontext auftaucht. Doch wie moralisch ist ein Dilemma, das sich selektiv äußert, je nach Religion der Schutzbedürftigen?

Entsetzen ging durch die Reihen der Polizeiführung und der niederländischen Politik, als bekannt wurde, dass sich Polizeibeamte dieser Schutzaufgabe verweigern. Ein Entsetzen, das auf Papier festgehalten wurde, denn Handlungen, konkrete Konsequenzen, blieben aus. Polizeipräsidentin Janny Knol erklärte lediglich, dass die Beamten selbstverständlich ein Recht auf „ihre eigene Meinung und Emotionen“ hätten. Ein Recht auf Meinung und Emotionen also – so wertvoll, dass es im Ernstfall über dem Sicherheitsbedürfnis von Bürgern stehen darf, die eigentlich auf den Schutz der Polizei angewiesen sind. Wer braucht schon Rechtsstaatlichkeit und öffentliche Sicherheit, wenn er „Emotionen“ haben kann?

Der Sicherheitsauftrag als Gefühlssache

Mit Knols Aussage ist man in den Niederlanden, so scheint es, in einen neuen Diskurs über die Aufgaben der Polizei eingetreten: Der öffentliche Sicherheitsauftrag wird zur Gefühlssache erklärt. „Wir sind für alle da. Dies ist die Basis der Polizeiarbeit“, sagt Knol. Aber sind sie es wirklich? Ein fragwürdiges Bekenntnis, das, gemessen an der Realität, eher wie eine leere Hülle wirkt. Wir erleben die bizarre Idee einer „subjektiven Polizei“, die sich je nach persönlicher Befindlichkeit entscheiden darf, ob sie Bürger schützt – oder eben nicht. Man könnte meinen, der Schutzauftrag sei ein Tagesangebot im Supermarkt, das die Polizei nur nach Laune einlösen muss. Heute im Angebot: Schutz für alle. Nur heute – und nur, wenn’s Ihnen nichts ausmacht.

Was folgt als Nächstes? Werden Verkehrspolizisten künftig auch „moralische Dilemmas“ bei der Verhängung von Bußgeldern geltend machen? „Tut mir leid, aber ich fühle mich heute unwohl damit, Verkehrssünder zu belangen, wenn sie sympathische Gesichter haben.“ Die Verklärung von Sicherheitsaufgaben zu einer Ermessensfrage des Polizeibeamten öffnet eine gefährliche Tür: Warum noch für die Rechte aller eintreten, wenn persönliche Präferenzen über die Pflichten entscheiden?

Wenn Debatten Maßnahmen ersetzen

Polizeichefin Knol hat prompt reagiert. Nein, nicht mit disziplinarischen Maßnahmen – das wäre ja zu einfach. Stattdessen kündigte sie eine „interne Diskussion“ an. Man darf sich das als eine Art Plauderrunde vorstellen, in der Beamte über ihre „moralischen Dilemmata“ bei Kaffee und Keksen debattieren. „Wie fühlen wir uns eigentlich, wenn wir Juden beschützen sollen?“ könnten die ersten Fragen dieser Sitzung lauten. Während antisemitische Anfeindungen einen immer bedrohlicheren Charakter annehmen und die jüdische Bevölkerung zunehmend in Angst lebt, setzt die Polizei lieber auf Selbstfindung. Ein Therapieabend zur Gewissensentlastung, anstatt konsequente Maßnahmen zum Schutz von Bürgerrechten. Man könnte fast meinen, es handle sich um ein avantgardistisches Kunstprojekt zur institutionellen Selbsttherapie, bei dem der Schutzauftrag zur emotionalen Reflexion mutiert.

Was sagt es über eine Institution aus, wenn sie glaubt, dass Diskurs und Diskussion als Reaktion auf eine akute Bedrohungslage ausreichen? Während die Polizei zögert, wird die jüdische Gemeinschaft zur Geisel dieser halbherzigen Selbstreflexion. Sie wird faktisch zur Belastungsprobe des niederländischen Justizsystems, das plötzlich nicht mehr weiß, ob und wie es zu reagieren hat, und das eigentlich nur eines bräuchte: Eine entschiedene Haltung gegenüber denjenigen, die sich ihrem Dienst entziehen.

Wenn Antisemitismus salonfähig wird

Der Fall geht weit über das Innenleben der Polizei hinaus und wirft ein grelles Licht auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Niederlande. Antisemitismus, der als „moralisches Dilemma“ verharmlost wird, scheint eine schleichende, aber gefährlich bequeme Normalität erreicht zu haben. Die Parlamentsabgeordneten der VVD, die die Frage nach dem Schutz der jüdischen Bürger stellten, erinnerten an die eigentliche Aufgabe des Staates: Sicherheit für alle. Man könnte meinen, dass dies selbstverständlich sei. Doch dass diese Nachfrage überhaupt erforderlich ist, zeigt, wie sehr das Grundprinzip der staatlichen Sicherheit bereits ins Wanken geraten ist.

Seit den Terrorangriffen vom 7. Oktober 2023, die die Welt erschütterten, grassiert auch in den Niederlanden ein erstarkender Judenhass. Die öffentliche Meinung wird zunehmend von simplifizierenden Parolen beeinflusst, die gefährliche Klischees und Vorurteile schüren. Dies führt dazu, dass selbst diejenigen, die als Schutzschild der Gesellschaft dienen sollen, sich diesen Tendenzen nicht mehr entziehen können oder wollen. So entstehen die ersten Risse im gesellschaftlichen Fundament. Ein „moralisches Dilemma“ wird zum Deckmantel für etwas viel Schlimmeres: die Bereitschaft, das Sicherheitsbedürfnis einer Minderheit der eigenen Bequemlichkeit zu opfern.

Das Schweigen der Uniformen

Was tun wir also mit einer Polizei, die den Schutz der Bürger als moralische Verhandlungsmasse betrachtet? Die Frage ist: Was bedeutet das für die Rechtssicherheit eines Landes, wenn die Polizei selbst entscheidet, wem sie dient und wem nicht? Ein Dilemma, das nur in eine Richtung geht, ist kein Dilemma, sondern schlicht ein Vorwand. Eine Uniform bedeutet nicht nur Autorität, sondern auch Verantwortung. Doch die niederländische Polizei hat offenbar beschlossen, diese Verantwortung nach eigenem Ermessen auszuüben – oder eben nicht.

Das selektive Schweigen der Uniformen ist Ausdruck einer bedenklichen Entwicklung, die das Prinzip der Gleichbehandlung aller Bürger untergräbt. Es ist kein Zufall, dass die niederländische Politik vor diesem Fall ebenso erschüttert ist wie die jüdische Gemeinschaft selbst. Die Sicherheit einer Minderheit ist hier zur Glaubwürdigkeitsprobe der Institutionen geworden, die eigentlich für den Schutz aller eintreten sollten. Wenn man das „moralische Dilemma“ akzeptiert, dann hat man bereits die ersten Schritte getan, um die Rechtsstaatlichkeit auszuhebeln – die Grenze zwischen moralischer Flexibilität und institutioneller Verrottung wird dabei schleichend überschritten.

Ein Land zwischen Dilemma und Verantwortungslosigkeit

Die aktuelle Debatte über den Schutz jüdischer Veranstaltungen und die „moralischen Dilemmas“ der Polizei ist eine Farce in Reinform – ein zynisches Theater, das die Schutzlosigkeit einer ganzen Gemeinschaft schamlos zur Diskussion stellt. Die Tatsache, dass die niederländische Polizei interne Diskussionen für ausreichend hält, anstatt mit klaren Maßnahmen gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen vorzugehen, offenbart ein beängstigendes Maß an institutioneller Gleichgültigkeit. Dies ist keine Sicherheitsarbeit, dies ist moralischer Dilettantismus in Uniform. Die Botschaft an die jüdische Gemeinschaft ist klar: Ihr seid nur dann willkommen, wenn eure Sicherheit nicht im Widerspruch zur emotionalen Befindlichkeit unserer Beamten steht.

Die Niederlande mögen sich rühmen, eine weltoffene, inklusive Gesellschaft zu sein. Doch die Realität sieht anders aus. Während die Welt zusieht, steht die Frage im Raum: Wie lange wollen wir es zulassen, dass Antisemitismus unter dem Deckmantel eines „moralischen Dilemmas“ in den Polizeistrukturen Fuß fasst? Wer schützt, wenn die Wächter selbst zum Problem werden? Die niederländische Gesellschaft hat jetzt die Möglichkeit, sich dieser Verantwortung zu stellen. Andernfalls bleibt nur das „moralische Dilemma“ – eine Lüge in Uniform, die langsam zur bitteren Wahrheit wird.


Quellen und weiterführende Links

  1. Koeman, Tom. “The Rise of Anti-Semitism in the Netherlands.” Dutch Sociopolitical Review, 2023.
  2. Jüdische Allgemeine. “Antisemitismus in der Polizei: Ein moralisches Dilemma?” 2024.
  3. Marijnissen, Lisette. Antisemitism and Police Attitudes in Europe. European Institute of Social Studies, 2023.
  4. “Dutch Police Facing Criticism for Failing to Protect Jewish Communities.” The Guardian, Oktober 2024.
  5. Ministerie van Justitie en Veiligheid. “Nationaler Sicherheitsbericht 2023: Herausforderungen des Antisemitismus.”

Eine Schlittenfahrt für die Dividenden

Krieg ist das Geschäft der Anderen: Über Zynismus, Kapitalismus und Winterhilfen für die Ukraine

Es ist Dezember. Ein eisiger Wind pfeift durch die Trümmer der ukrainischen Städte. Doch was wärmt in diesen Tagen mehr als das Heulen der Schneestürme? Vielleicht die Aussicht auf satte Dividenden, die in kuschelig beheizten Büroetagen der Unternehmenszentralen auf die Bilanzen der Investoren warten. Krieg als Garant für Wachstum – ein Paradoxon, das längst ins System Kapitalismus eingelassen ist wie eine gut geschmierte Maschine. Während Deutschland die Winterhilfe für die Ukraine um zusätzliche 200 Millionen Euro aufstockt und Ministerin Annalena Baerbock sich abermals nach Kiew begibt, fragen sich einige vielleicht: Was wäre Weihnachten ohne das Manna der Solidarität?

Doch schauen wir genauer hin. Solidarität wird hier zur Ware, die von Nation zu Nation gehandelt wird, eine Art Geschenkkorb für die internationalen Mächte. Inmitten von zerstörten Städten, zerbrochenen Familien und immer neuen Frontlinien, breitet sich das Netzwerk des Kapitalismus wie ein unsichtbares Gewinde aus. 200 Millionen für Winterhilfen? Die noble Geste ist unverkennbar – und doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Kapitalinteressen. Denn während hier mit großer Geste von Solidarität gesprochen wird, mischen sich im Hintergrund bereits Investoren, Geschäftemacher und Bauunternehmer in die neuentstehenden Märkte.

Man könnte fast meinen, es handele sich um ein Geschäftsmodell mit eingebauter Humanität, eine Art lukrative Investitionsstrategie in Form von Unterstützung. Rosa Luxemburgs Worte hallen uns in diesen Tagen schmerzlich im Ohr: „Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen.“ Ein Sinnbild dafür, wie weit die moralische Latenz des Kapitalismus reichen kann, wenn sich hinter dem Deckmantel der „Winterhilfe“ bereits die Schatten der neuen Gewinnzonen abzeichnen.

Des Einen Elend, des Anderen Skivergnügen

Während die europäischen Staaten mit Millionenhilfe die Notleidenden in der Ukraine unterstützen, genehmigt die ukrainische Regierung ein gigantisches Bauprojekt, das an Zynismus kaum zu übertreffen ist: Ein Skiresort, geplante Baukosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, das bereits als das „St. Moritz der Ukraine“ betitelt wird. Österreichische Baukonzerne sind dabei federführend und verhandeln fleißig, während sich in unmittelbarer Nähe Frontlinien und Kriegsverwüstungen aneinanderreihen.

Man könnte fast glauben, man lausche einem makabren Scherz, einer satirischen Zuspitzung des Kapitalismus. Doch das Skigebiet ist real und formt sich auf dem Reißbrett der kapitalistischen Logik. Was zählt, ist der Fortschritt der Wirtschaft, selbst wenn die Skipisten über die Gräber jener verlaufen, die im Namen eines nicht enden wollenden Konflikts ihr Leben verloren haben. Hier, so scheint es, wird Krieg zur Landschaftsform, und der Tod wird ein Feature für die Erholungssuchenden. Es ist die Perversion eines Systems, das alles in Rendite umzuschlagen weiß, selbst die tiefsten Wunden eines Landes.

Diese „Wintersport-Oase“, finanziert von internationalen Investoren und gebaut von Unternehmen, die aus der Zerstörung Profit schlagen, verdeutlicht auf frappierende Weise, wie grenzenlos die Geschäftsidee des Kapitalismus ist. Es ist, als würde eine feine Schneeschicht aus Euros und Dollars die Trümmer der Städte zudecken – ein „Winterzauber“ der besonderen Art, in dem nicht Kälte und Eis, sondern die Gleichgültigkeit den Herzschlag bestimmt.

Wo die Moral aufhört und der Profit beginnt

Natürlich könnten einige einwenden, dass man doch irgendwo beginnen müsse mit dem Wiederaufbau, dass Infrastruktur die Basis für jede wirtschaftliche Erholung darstellt. Aber wie viel an Skrupel ist nötig, um nicht zu sehen, dass hinter dieser „Investition“ in die touristische Infrastruktur das gleiche System steckt, das den Krieg selbst am Laufen hält? Der Kapitalismus ist darauf angewiesen, immer wieder neue Märkte zu schaffen, ja, sich ständig neue Schlachtfelder für sein profitables Fortbestehen zu erschließen. Der Krieg wird dabei zum unfreiwilligen Architekten dieser Märkte, ein unheimlicher Geschäftspartner, dessen Brutalität zur Antriebskraft wirtschaftlichen Wachstums wird.

Hier wird nicht über Hilfsgelder gesprochen, um Leid zu lindern, sondern vielmehr über Investitionsvolumina, Profitmargen und Baubeginnzeiten. Die Hilfe wird zur Ware, eine neue Form des „Konsums“, an dem sich jeder beteiligen kann, der seinen Anteil an der „Ukraine-Solidarität“ haben möchte. Und so zieht der Kapitalismus seine Kreise, während Europa mit Symbolen der Unterstützung wirft und dabei nichts anderes tut, als sein eigenes System am Laufen zu halten.

Winterhilfe, Skiresorts und die Paradoxien der „Zivilisation“

In der entlarvenden Klarheit des Kapitalismus wird deutlich, dass Solidarität und Zynismus sich kaum voneinander trennen lassen. Was als „Winterhilfe“ deklariert wird, könnte ebenso gut als Investitionsschub in einen zukünftigen Absatzmarkt gelesen werden. Die 200 Millionen Euro für Heizungen, Decken und Notunterkünfte stellen in Wahrheit eine Art Anzahlung dar. Denn wer heute hilft, so scheint es, darf auch morgen mitreden, mitbestimmen und mitverdienen.

Der Bau eines Skiresorts in einem Kriegsgebiet ist nichts anderes als ein Symbol für die Unempfindlichkeit, mit der sich der Kapitalismus über die ethischen Grenzen hinwegsetzt. Für ihn ist Krieg kein Desaster, sondern eine Betriebsbedingung. Und wie könnte es anders sein, wenn selbst in der Notwendigkeit der Winterhilfe ein Geschäftsfeld gesehen wird? Hier tritt uns der Kapitalismus nicht nur als ökonomische Macht entgegen, sondern auch als ideologische Kraft, die selbst die moralische Verkommenheit als Marktsegment begreift.

Ein System, das nur verlieren kann

Die „Winterhilfe“ ist in diesem Sinne ein tragikomisches Symbol für die Mechanismen einer Weltordnung, in der der Wert des Menschen nichts anderes als eine Währung ist. Die Ukraine braucht mehr als das, sie braucht ein Ende der skrupellosen Geschäfte, die sich wie Parasiten in das Leid und die Zerstörung einnisten. Denn solange wir zusehen, wie Skilifte durch zerbombte Landschaften gleiten, so lange wird es auch diesen Krieg geben, von dem so viele profitieren.

So bleibt am Ende nur die bittere Erkenntnis, dass die 200 Millionen Winterhilfe zwar Wärme spenden, aber nichts daran ändern, dass der Kapitalismus selbst die größte Kälte ist.


Quellen und weiterführende Links

  1. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Deutsche Hilfsleistungen für die Ukraine
  2. Rosa Luxemburg: Schriften über Krieg und Kapitalismus, Archiv für Sozialgeschichte
  3. Wirtschaftsberichte über den geplanten Skitourismus in der Ukraine: Handelsblatt, Die Presse
  4. Kritik an der Rolle kapitalistischer Interessen in Krisengebieten: Kritik der politischen Ökonomie

Wichtig und Richtig, oder Zensur

Ein Paragraph, der die Welt (ver)ändern will

Es klingt wie der fromme Wunsch eines Philosophenkönigs: ein Paragraph, der die Gesellschaft von Hass und Hetze befreien und die öffentliche Debatte durch klare Grenzen in gesittete Bahnen lenken will. Es könnte so schön sein! Doch wie bei allen Gesetzen, die sich an dem so schwer zu definierenden Ideal des „gesellschaftlichen Friedens“ orientieren, lauern auch hier die Gefahren. Der österreichische § 283 StGB, der gegen die Verhetzung wirkt und dabei gerne auch mal mit zwei bis drei Jahren Freiheitsstrafe droht, ist ein solcher Kandidat. Auf den ersten Blick erscheint er wie der strenge Wächter unserer moralischen Ordnung – aber wenn man genau hinsieht, drängt sich die Frage auf: Handelt es sich hier um einen Verteidiger des sozialen Friedens oder um die Zensurschere im schicken Justizmantel?

Der moderne Staat in seiner Rolle als moralischer Erzieher – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Ein Paragraf, der unsere tiefsten inneren Abgründe zähmen will, während er gleichzeitig über Gut und Böse richtet. Wer gegen eine „Gruppe“ hetzt, der soll in seine Schranken gewiesen werden. Und doch, wer genauer liest, entdeckt schnell, dass der Gesetzestext seine moralische Autorität als Wolke aus Rhetorik präsentiert. Einem Ankläger mit erhobenem Zeigefinger gleicht er, der allen beibringen möchte, was „richtig“ und „falsch“ ist – als ob die Menschheit diesen Unterschied in Jahrhunderten philosophischer Debatten nicht bereits selbst verinnerlicht hätte.

Wer ist hier eigentlich eine Gruppe

Wer sich die Mühe macht, § 283 bis ins Detail zu studieren, wird schnell von den zahlreichen Begrifflichkeiten erschlagen. Kirchen, Religionsgesellschaften, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Weltanschauung, nationale oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung – all das sind Merkmale, die eine „Gruppe“ definieren können. Aber wie lautet das Leitmotiv in diesem morastigen Begriffs-Dschungel? Geht es hier tatsächlich darum, vor Hass zu schützen, oder stecken wir mitten in einer schwammigen, vieldeutigen Landschaft, in der kaum jemand durchblickt?

Es liegt nahe, dass in einer Gesellschaft, die sich nach immer stärkeren Identitätsdefinitionen sehnt, auch der Begriff „Gruppe“ immer mehr Bedeutung erhält. Und wenn die Justiz zum Spielplatz für Definitionsfragen wird, dann kann jeder Versuch, die Moral zu wahren, auch schnell in ideologische Zensur umschlagen. Es lässt sich nämlich trefflich darüber streiten, wann eine Aussage tatsächlich zur Verhetzung führt und wann sie nur Ausdruck einer – gewiss nicht immer angebrachten – Meinung ist. Es ist wie ein Boxkampf, bei dem der Staat den Platz des Schiedsrichters einnimmt, und man fragt sich, ob er nicht auch hin und wieder ein paar Schläge austeilt.

Gut gemeint und schlecht durchdacht

Betrachtet man die Sache aus einer satirischen Perspektive, so kann man sich nur darüber wundern, wie der Staat mit diesem Paragraphen in ein schier endloses moralisches Dilemma taumelt. Denn wer glaubt, dass ein Paragraph wie § 283 den Hass eindämmt, irrt gewaltig. Tatsächlich könnte dieser Paragraph als Einladung zur Selbstzensur dienen. Aufgeklärte Bürger fragen sich: „Darf ich das jetzt noch sagen, oder ist das schon Hetze?“ Jede schärfer formulierte Kritik, jeder schiefe Blick in Richtung einer spezifischen Gruppe könnte bald zum Ausgangspunkt einer Debatte werden, ob es sich hierbei nicht bereits um „Verhetzung“ handelt.

Stellen wir uns vor, jemand äußert sich kritisch über eine Religion oder über die Einstellung bestimmter Gruppen zu einem aktuellen politischen Thema. Schnell könnte diese Kritik als „aufstachelnd“ oder „menschenverachtend“ eingestuft werden. Es ist ein gefährliches Spiel, denn wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der jede kritische Äußerung potenziell als „Hetze“ interpretiert werden kann, schaffen wir ein Klima, das nicht zur Toleranz, sondern zur Angst vor freier Meinungsäußerung führt. Am Ende bleibt die Ironie: Ein Paragraph, der die Gesellschaft von Hass befreien soll, treibt sie stattdessen in ein Netz aus Selbstzensur.

Die gespaltene Zunge des Gesetzes

§ 283 berührt an diesem Punkt einen heiklen Nerv unserer Demokratie: das Spannungsfeld zwischen moralischem Schutz und freier Meinungsäußerung. Man könnte sagen, der Paragraph stellt sich wie ein tapferer Krieger in die vorderste Linie gegen das Böse, aber sein Schwert ist stumpf und seine Rüstung mehr dekorativ als nützlich. Wenn das Ziel wirklich wäre, die Gesellschaft vor Hass und Hetze zu schützen, müsste das Gesetz die Bürger in die Lage versetzen, durch Bildung, Aufklärung und Vernunft selbst zu entscheiden, was moralisch vertretbar ist und was nicht. Aber wie steht es mit einer Gesellschaft, in der man vor lauter Regeln und Verboten nicht mehr zu erkennen vermag, wo die Grenze zwischen rechtmäßiger Kritik und unangebrachter „Hetze“ liegt?

Man fragt sich, ob ein Gesetz wie § 283 nicht eine überholte Vorstellung vom Verhältnis zwischen Staat und Bürger zementiert. Als säßen wir alle im Klassenzimmer und warteten auf die Erlaubnis des Lehrers, unsere Meinung äußern zu dürfen. Es entsteht eine Gesellschaft, die eher in starrem Gehorsam verharrt als in freiem Dialog. Ist es wirklich der Weg zu einem friedlichen Miteinander, wenn wir jeden Satz auf seine potentielle Strafbarkeit hin abklopfen müssen?

Die Kriminalisierung von Worten

Nicht zu vergessen ist das Strafmaß, das der Paragraph andeutet. Bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe für ein Wort, einen Satz, eine Äußerung – wie leicht kann man mit einem misslungenen Witz oder einer unbedachten Bemerkung zum „Verhetzer“ werden? Der Staat zeigt sich gnadenlos, wenn es um die Wahrung der Tugend geht. Einem Straftäter, der „aufstachelt“ oder „verächtlich macht“, wird nicht nur ein moralisches Vergehen, sondern eine Gefährdung des sozialen Friedens zur Last gelegt. Drei Jahre – das ist mehr als manch anderer für eine Körperverletzung oder sogar für Steuerhinterziehung bekommt. Es ist ein alarmierendes Beispiel dafür, wie das Rechtssystem die Sprache als Bedrohung einstuft.

Man könnte fast meinen, dass unsere Justiz die Zunge schärfer als das Messer betrachtet. Worte können, ja, sie sollen aufklären, aufzeigen und auch manchmal herausfordern. Aber der § 283 macht klar: Wer das Wort führt, hat besser Acht.

Ein Fazit, das zwischen den Zeilen gelesen werden will

Am Ende dieses essayistischen Spaziergangs durch die Absurditäten des § 283 bleiben wir mit einer ironischen Pointe zurück. Ein Gesetz, das mit seiner Sprache gegen die Sprache kämpft. Ein Staat, der Freiheit verspricht, während er gleichzeitig seine Bürger mit strafrechtlicher Verfolgung bedroht, falls sie vom vermeintlich „rechten“ Weg abweichen. Es ist ein beunruhigendes Paradox, das in der Tat von philosophischer Tragweite ist: Wie kann eine Gesellschaft eine gerechte, offene Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit führen, wenn jede kritische Stimme zum Risiko für die eigene Freiheit wird?

So bleibt die Frage: Ist der § 283 StGB ein Schutzmechanismus für eine gerechte Gesellschaft oder doch nur ein scharfes Instrument zur Zensur? Solange die Antwort darauf nicht klar ist, ist es die Aufgabe jedes aufgeklärten Bürgers, das Gesetz kritisch zu hinterfragen und die Freiheit des Wortes zu verteidigen – auch gegen den Staat, der sie angeblich schützt.

Quellen und weiterführende Links

  1. Habermas, Jürgen. Theorie des kommunikativen Handelns. Suhrkamp, 1981.
  2. Dworkin, Ronald. Freedom’s Law: The Moral Reading of the American Constitution. Harvard University Press, 1996.
  3. Benhabib, Seyla. Claims of Culture: Equality and Diversity in the Global Era. Princeton University Press, 2002.
  4. Der Standard: „Debatte um § 283: Verhetzung oder freie Meinungsäußerung?“

Fünf sind harmlos, einer ist tödlich

Die Anatomie des Witzes in Zeiten religiöser Empfindlichkeit

Es ist ein alter Witz, der da sagt, Humor sei die letzte Bastion der Freiheit. Wer lacht, sagt man, sei frei. In Zeiten globaler Unsicherheiten, politischer Brisanz und der fragilen Koexistenz diverser kultureller, religiöser und moralischer Wertesysteme jedoch, scheint auch das Lachen unter Bewachung zu stehen. So gibt es heute Witze, die flüstern und solche, die schallen – doch einige müssen buchstäblich in den Keller verbannt werden, wenn man die Gefahr einer eskalierenden Empörung vermeiden will. Besonders riskant scheinen heute die Witze über den Islam zu sein: „Fünf sind harmlos, einer ist tödlich.“ Das Zitat kursiert in der digitalen Welt als halb-ironischer, halb-ernster Hinweis darauf, dass der Grat zwischen Humor und Blasphemie hier besonders schmal geworden ist.

Es lässt sich ein gewisser Thrill nicht leugnen, der die Auseinandersetzung mit diesem Thema begleitet. Ein befreiendes, doch gleichsam beängstigendes Kichern, das den Nacken hinunterkriecht. Die Frage, die sich nun stellt, ist ebenso fundamental wie unbequem: Warum gibt es kaum eine Religion oder Ideologie, die so eng mit der Angst vor Humor verknüpft scheint wie der Islam? Und was sagt es über eine Gesellschaft aus, die sich zunehmend zensiert, um ja nicht in den Verdacht der Islamophobie zu geraten?

Der Witz als Waffe und das Dilemma der kulturellen Sensibilität

Ein Witz, heißt es, sei nicht nur ein kurzer Moment der Freude, sondern zugleich ein Abbild der Gesellschaft, eine Metapher für Machtverhältnisse und Hierarchien. Witze über den Islam liegen daher besonders schwer auf der Zunge, denn sie tangieren mehr als bloße Glaubensinhalte; sie rühren an geopolitische Realitäten, an jahrhundertealte Konflikte und an die komplexen Wunden des Kolonialismus. Hier hat das Lachen einen Preis, und die Frage, wer ihn zu zahlen hat, ist eine Frage von Religion, Kultur und Politik.

Seltsam ist jedoch, dass der islamische Witz – oder besser gesagt, der Witz über den Islam – kaum in den Rang der humoristischen Traditionen aufgenommen wurde. Während andere Religionen ihr komisches Potenzial halbwegs ausgeschöpft haben, vom jüdischen Schlemiel über den katholischen Priester bis zum protestantischen Pastor, bleibt der Imam meist ein Schweigen. Der Witz über den Islam ähnelt einer tickenden Zeitbombe – ein falsches Wort zur falschen Zeit und die Explosion ist unausweichlich. So blicken wir auf einen Witz, den wir weder hören noch erzählen dürfen, aus Angst vor seiner möglichen Sprengkraft.

Humor auf Messers Schneide

„Fünf sind harmlos, einer ist tödlich“ – dieses Bonmot mag lächerlich klingen, doch in ihm liegt eine tragische Wahrheit verborgen. Es gibt eine Grenze im Islam, die für viele unsichtbar und unverständlich bleibt. Wo ein katholischer Priester beim dritten schlechten Witz über Maria vielleicht entnervt den Kopf schüttelt und ein jüdischer Rabbi bei der siebten Anspielung auf Moses’ Humorfähigkeit augenzwinkernd weiterzieht, scheint die islamische Perspektive weniger tolerant. Und nicht nur das: Die Unvorhersehbarkeit, welche Pointe akzeptabel ist und welche gefährlich, verstärkt die Spannung.

So scheint sich der Islam – oder besser gesagt die Gesellschaften, die sich auf ihn berufen – von allen Religionen am ehesten einer besonderen, oft nahezu unmenschlichen Ehrfurcht zu bedienen. Eine Ehrfurcht, die bisweilen in Angst umschlägt und die jeden Versuch, auch nur halbwegs humorvoll mit dem Thema umzugehen, in den Verdacht der Blasphemie und Respektlosigkeit bringt. Hier stellt sich die Frage: Ist es die Religion selbst oder die politisierte Auslegung, die den Humor so gefährlich macht? Oder ist es gar die westliche Wahrnehmung, die sich selbst dermaßen in Angst und Respekt voreinander gefangen hält, dass ein vermeintlicher Witz zur weltpolitischen Krise stilisiert wird?

Die doppelte Moral

Es bleibt eine gewisse Heuchelei in der Rezeption von Witzen über den Islam bestehen, die unausgesprochen in der Luft hängt. In westlichen Gesellschaften wird der Wert der Meinungsfreiheit großgeschrieben – solange diese Freiheit nicht auf den Islam abzielt. Im Alltag werden Witze über so ziemlich alles gemacht: Politiker, Geschlechterrollen, religiöse Rituale und kulturelle Gepflogenheiten. Doch beim Islam spüren viele eine leise Furcht in ihrem Inneren, die sie schweigen lässt. Wer wagt es schon, Witze zu machen, wenn man mit harschen Konsequenzen rechnen muss? Humor ist das erste Opfer, wenn der Respekt zum Imperativ erhoben wird und die Angst vor Eskalation in den Vordergrund tritt.

Es entsteht ein paradoxes Bild: Der Islam wird in westlichen Ländern als Minderheit verehrt und geschützt – bis hin zur selbstauferlegten Zensur im Namen der Toleranz. Während viele liberale Denker lautstark den offenen Diskurs fordern und stolz auf ihren Anti-Klerikalismus verweisen, wird beim Islam eine Ausnahme gemacht. Die Toleranz, die man dem Christentum oder Judentum entgegenbringt, wird hier zur stillen Angst vor Konsequenzen. Aber warum diese Zurückhaltung? Ist es wirklich eine besondere Rücksichtnahme – oder eine Form von paternalistischer Bevormundung, die impliziert, dass der Islam nicht genauso humorvoll behandelt werden könnte wie andere Religionen?

Der moderne Märtyrer des Humors

Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass der Humor über den Islam zur Hochrisikozone geworden ist. Satiriker und Komiker befinden sich in einer absurden Position, wenn sie Witze über eine Religion machen wollen, die als „heilig und unantastbar“ betrachtet wird – zumindest in den Köpfen jener, die sie vor Spott und Hohn „bewahren“ wollen. Es bleibt ein seltsames Dilemma zurück: Auf der einen Seite beteuern wir die Freiheit des Wortes, auf der anderen Seite definieren wir den Islam als eine Art „Tabuzone“, die unter besonderem Schutz steht. Wäre dies nicht der Stoff für die besten Witze? Doch die besten Witze bleiben im Dunkeln verborgen, denn das Risiko des Missverständnisses und der Empörung ist einfach zu groß.

Die Worte „fünf sind harmlos, einer ist tödlich“ scheinen das perfekte Symbol für diese Unberechenbarkeit zu sein. Was auf dem Papier als unschuldiger Scherz daherkommt, kann leicht zum politischen Skandal, zur sozialen Kontroverse oder sogar zum handfesten Gewaltereignis mutieren. Man könnte beinahe meinen, der Witz selbst sei zum modernen Märtyrer geworden – eine tragische Figur, die im Namen des interkulturellen Respekts geopfert wird, um die Gefühle einer globalen und politisch gespaltenen Menschheit zu schonen.

Der Witz als verlorene Kunstform

Wenn wir heute über den Islam schweigen, aus Angst vor möglichen Reaktionen, dann wird nicht nur der Humor geopfert, sondern auch ein Stück kultureller Freiheit. Der Witz als Form des Widerstands, als Werkzeug der Reflektion und der kulturellen Integration wird ad absurdum geführt, wenn er sich einem Tabu unterwerfen muss. Das Schöne und Wichtige am Humor ist doch, dass er dort ansetzt, wo die Dinge nicht perfekt sind. Ein Lachen befreit, es baut Brücken, es zeigt, dass Menschen mit Fehlern leben und vielleicht gerade durch diese Fehler zueinander finden.

Doch in einer Welt, in der „fünf sind harmlos, einer ist tödlich“, wird Humor zum Risiko – und wir müssen uns fragen, ob diese Form des kulturellen Schutzwalls wirklich nötig ist. Oder ob wir uns am Ende selbst die Fesseln anlegen, die unsere Gesellschaft enger und enger schnüren, bis kaum noch Raum zum Lachen bleibt.

Quellen und weiterführende Links

  1. Lewis, Bernard. Islam and the West. Oxford University Press, 1993.
  2. Hirsi Ali, Ayaan. Heretic: Why Islam Needs a Reformation Now. HarperCollins, 2015.
  3. Hamid, Shadi. „Islam and the Tensions of Liberalism.“ The Atlantic, 2018.
  4. Lipman, Steve. „Humor and Religious Sensitivity in the Muslim World.“ Journal of Religion & Society, vol. 14, 2016.
  5. Qaradawi, Yusuf. The Lawful and the Prohibited in Islam. American Trust Publications, 1993.

Dystopische Diätkultur

Willkommen in der schlanken Zukunft

Stellen Sie sich vor: Ein Land voller schlanker, fitter Bürger, die geschäftig die Straßen und Arbeitsplätze füllen, dank einer Regierung, die „anders denkt“. Wer dachte, dass Gesundheitsförderung eine Frage von Prävention und langfristiger Versorgung sei, wird hier eines Besseren belehrt. Wir befinden uns in Großbritannien im Jahr 2024, und die politische Elite– eine sozialdemokratische, wohlgemerkt – hat ein neues, wahrhaft revolutionäres Konzept entwickelt. Menschen, die bislang keine Beschäftigung fanden, sollen nicht durch Bildung, Unterstützung oder faire Arbeitsbedingungen zurück in den Jobmarkt gebracht werden, sondern durch eine Abnehmspritze. Jawohl, Sie haben richtig gehört. Die Zukunft des Arbeitsmarkts ist schlank und pharmakologisch optimiert.

Die absurden Details dieses Plans lesen sich wie eine groteske Dystopie. In den Medien erscheinen wieder die sogenannten „Headless Fatties“, dicke Menschen ohne Köpfe, auf Bildern, die sie als gesichtslose Masse darstellen, anonym, entmenschlicht. Es ist, als ob diese Menschen nur Körper wären – Körper, die leider zu viel wiegen und deshalb nicht arbeiten können. Solche Bilder sind keineswegs zufällig gewählt. Sie sind Statements, die sagen: „Diese Körper, diese Köpfe, diese Menschen passen nicht in unsere Vorstellung einer produktiven Gesellschaft.“ Ein schelmischer Zyniker könnte sich fragen, ob das Ziel dieser Kampagne darin besteht, die Dicke in unserer Vorstellung als bloße Kostenstelle zu verankern, die man nur noch pharmazeutisch entlasten kann.

Die Rhetorik des Klassismus

„Druck aus dem System nehmen“, sagt der SoziChef Sir Keir Starmer. „Eine erhebliche Belastung für das Gesundheitswesen“, sagt sein Gesundheitsminister Wes Streeting. Wenn wir an die „erheblichen Belastungen“ des Gesundheitswesens denken, schießen uns vielleicht Bilder von überarbeiteten Pflegekräften, unterfinanzierten Krankenhäusern oder chronischem Ärztemangel in den Kopf. Aber falsch gedacht. Die wahre Belastung sind die dicken Menschen, die nicht arbeiten. Ausgeblendet bleibt, dass das britische Gesundheitssystem seit Jahren vom Spardruck gequält wird, von politischer Fahrlässigkeit und dem anhaltenden Mantra der Privatisierung gegeißelt.

Und dann die Lösung: Statt die NHS-Mitarbeiter besser zu entlohnen oder die Zustände in Pflegeberufen zu verbessern, setzt man auf „Abnehmspritzen“ – geliefert vom amerikanischen Pharmariesen Eli Lilly. Man kann sich die erlauchten Herren und Damen der oberen Etagen dieser Unternehmen bildlich vorstellen: leise klingelnde Gläser Champagner, ein zufriedenes Lächeln bei den Worten „elf Milliarden Pfund Gesundheitskosten sparen“. Mit einer einzigen Nadel sollen nun Dicke geimpft und die Britische Wirtschaft gleich mit beflügelt werden. Was für eine logische Brillanz, könnte man denken – wenn man jegliche Empathie ausgeschaltet hat.

Die Stigmatisierung

Dieser Plan zeigt einen zutiefst abwertenden Blick auf mehrgewichtige Menschen. Dicke Arbeitslose werden hier nicht nur als Problem der Ökonomie beschrieben, sondern gleich als moralisches Versagen entlarvt: Der Gedanke dahinter lautet, dass diese Menschen ihre Situation durch „schlechte Lebensentscheidungen“ selbst herbeigeführt haben. Die Abnehmspritze ist dabei keine Gesundheitsmaßnahme, sondern ein Versuch, diese angeblich verantwortungslosen Menschen zur Räson zu bringen. Hier wird Gesundheitsförderung nicht als Dienst am Menschen gesehen, sondern als strenge Erziehungsmaßnahme – der Mensch wird auf seine ökonomische Verwertbarkeit reduziert.

Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist zutiefst klassistisch und dickensianisch: Menschen, die nicht der Norm entsprechen, werden als Belastung dargestellt, nicht als Bürger mit Rechten und Bedürfnissen. Sie werden als unfähig abgestempelt, selbst Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Die Abnehmspritze symbolisiert die Hoffnung, diese Menschen wieder in den Dienst der Wirtschaft zurückzuführen. Diese Logik folgt einer perfiden Perversion des Wohlfahrtsstaates, der einst geschaffen wurde, um Menschen in Not zu helfen. Hier wird Not nur noch als ökonomische Belastung definiert, die es zu minimieren gilt.

Die Verwertbarkeit als oberstes Prinzip

Man könnte fast lachen, wenn es nicht so tragisch wäre: Der gleiche Politiker, der stolz erklärt, dass der NHS nicht ewig die Rechnung für „ungesunde Lebensweisen“ übernehmen könne, investiert fröhlich in Medikamente, die genau diese „ungesunde Lebensweise“ dauerhaft verändern sollen – natürlich ohne den „Lebensstil“ wirklich zu hinterfragen. Denn das Grundproblem wird ignoriert: Armut, soziale Isolation, fehlende Zugänge zu Bildung und gesunder Ernährung. Eine echte Gesundheitsförderung müsste doch weit über die Form der Figur hinausgehen und sich auf die strukturellen Ursachen konzentrieren, die überhaupt zu den gesundheitlichen Problemen führen. Doch warum sich mit so komplexen, unappetitlichen Themen befassen, wenn man mit ein paar Spritzen den gewünschten Effekt schneller und profitabler erzielen kann?

Profitgier und Pharmainteressen

Dass Eli Lilly und andere Pharmariesen ihre Beteiligung an solchen Projekten nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit einbringen, dürfte klar sein. Mit Millionen von Pfund wird hier nicht die britische Bevölkerung gesünder gemacht, sondern ein lukrativer Markt für Medikamente geschaffen, die langfristig Abhängigkeit erzeugen können. Man spart an struktureller Gesundheitsförderung und investiert lieber in das kurzfristige Spektakel. Die langfristigen Folgen der Medikamenteneinnahme? Wen interessieren die schon, wenn der Börsenkurs stimmt. Dicke Arbeitslose als bloßes wirtschaftliches Instrument, eine Zielgruppe mit festem ROI und einem pharmazeutischen Zukunftsmarkt, der bis in alle Ewigkeit sprießen kann.

Wo Dickenfeindlichkeit Staatsräson wird

Hier entfaltet sich eine groteske Dystopie, in der Dickenfeindlichkeit politisch institutionell gefördert wird. „Anders denken“ bedeutet hier: andere als Kostenstelle zu behandeln, nicht als Menschen. Die Körperideale der Medien und die Profitziele der Pharmaindustrie gehen Hand in Hand mit einem verheerenden Menschenbild, das jeden, der von der Norm abweicht, zum Problem erklärt. Die „Headless Fatties“ – dicke Menschen, die medial ohne Gesicht abgebildet werden, als anonyme Masse, die nur die Gesellschaft belastet – sind das perfekte Symbol dieser Ideologie. Sie sind nur Körper, schwer, belastend und überflüssig. Wer sie zur Arbeit bringen will, tut es nicht, um sie als Menschen zu fördern, sondern um die Wirtschaft zu entlasten.

Wer trägt die wahre Last?

Am Ende dieses erschütternden Schauspiels bleibt eine entscheidende Frage: Wer trägt die wahre Last? Ist es der NHS, der an übergewichtigen Arbeitslosen zugrunde gehen soll, oder ist es nicht doch die mehrgewichtige, wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerung, die auf den Altar neoliberaler Reformideen gelegt wird? Statt sozialer Verantwortung und echter Gesundheitsförderung steht hier ein Zynismus im Mittelpunkt, der dicke Menschen als Problem markiert und ihre Existenz auf ihre Arbeitskraft reduziert. Der „Druck“ im System bleibt bestehen – denn dieser Druck entspringt nicht aus der Existenz dicker Menschen, sondern aus einer Politik, die sich nur um Profit und nicht um Menschen dreht.

Quellen und weiterführende Links

  1. Puhl, R., & Brownell, K. D. (2001). Bias, discrimination, and obesity. Obesity Research, 9(12), 788–805.
  2. Oliver, J. E. (2006). Fat Politics: The Real Story Behind America’s Obesity Epidemic. Oxford University Press.
  3. Saguy, A. C. (2013). What’s Wrong with Fat? Oxford University Press.
  4. The Guardian: Labour plans to offer weight-loss injections to unemployed to get them back to work (2023).
  5. NHS England. (2022). NHS National Obesity Strategy.

Der Triumph der Kulturverteidigung

Wie man eine fremde Kultur (be)herrscht

Tadschikistan, das kleine Land in Zentralasien, ist auf dem besten Weg, einen Meilenstein in der globalen Kulturpolitik zu setzen, und zwar mit einer Deklaration, die so überzeugend, so stolz und so kraftvoll ist, dass man sich fragt, wie viele literweise Tee in dieser Regierungsrunde konsumiert wurden, um zu einer solch brisanten Erkenntnis zu gelangen. Das Verbot des islamischen Hijabs wurde als Akt der nationalen Reinheit und der kulturellen Befreiung gefeiert, und der Beifall des gesamten Apparats hallt wahrscheinlich bis ins entfernte Pamir-Gebirge. Der Hijab sei eine „fremde Kultur“ und eine „kulturelle Invasion“ und, um es zu verdeutlichen: „Die Frauen in diesem Land bedecken ihr Haar nicht!“ Oh ja, wo sie recht haben, haben sie recht. Wer hätte gedacht, dass die Lösung für das geopolitische Problem der kulturellen Vermischung so einfach ist? Einfach alles, was nicht rein und tadschikisch ist, rausschmeißen. Bravo, Tadschikistan!

Ein tadschikisches Beispiel zum Staunen

Man kann nicht umhin, Tadschikistan für diesen Geniestreich zu bewundern, und man könnte in diesem Moment sogar versucht sein, den alten Kontinent des Denkens – Europa – dafür zu tadeln, dass er sich so schwer mit dieser Frage tut. Der Westen, jener ungeschliffene Brocken kulturellen Relativismus, könnte sich eine Scheibe abschneiden. Während man in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern darüber debattiert, was wohl die feinste Balance zwischen Menschenrechten und kultureller Integration sein könnte, lässt sich das zentralasiatische Kleinod von solchen „First-World-Problems“ nicht beirren. Ist es nicht herrlich erfrischend, dass die tadschikische Regierung mit so festem Schritt in die Bresche springt und dem Westen zeigt, dass Integrationsprobleme viel einfacher gelöst werden können? Tadschikistan weiß, dass es einen Hammer hat und dass das Problem somit schlichtweg ein Nagel ist.

Vom Echo der Vergangenheit

Es ist fast schon poetisch, wie Tadschikistan seine eigene Definition kultureller Reinheit findet. „Eine fremde Kultur und eine kulturelle Invasion“, so wird der Hijab beschrieben. Fast fühlt man sich zurückversetzt in die heroischen Jahre nationaler Überzeugung, als noch mutig gegen äußere Einflüsse gekämpft wurde. Fremdes und Einheimisches traten in den Ring, und der Sieger war stets klar: die reine, unverdorbene, strahlend-tadschikische Kultur! Die logische Stringenz dieses Arguments ist umwerfend. Alles, was nicht in die eigene Kultur passt, wird einfach entfernt – als ob Kultur eine sterile, kontrollierte Substanz wäre, wie eine Sammlung präparierter Schmetterlinge unter Glas.

Doch was ist Kultur, wenn nicht das chaotische Zusammenspiel aus Fremdem und Einheimischem, aus Übernahme, Anpassung, Innovation und – jawohl – Verwässerung? Tadschikistan scheint auf die Idee gekommen zu sein, dass man die Welt rein halten könne, dass der Hijab ausnahmsweise nicht etwa in der Religion wurzelt, sondern eine kulturelle Waffe darstellt, die unschuldige tadschikische Köpfe und Köpftücher bedroht. Vielleicht vermutet man im Hijab auch eine Verschwörung der Modeindustrie? Wie auch immer: Tadschikistan verteidigt die Reinheit der Nation mit Nachdruck, fast wie Don Quijote, der sich heldenhaft gegen die Windmühlen der kulturellen Pluralität erhebt.

Vom Glanz der Multikulturalität und den Schatten des Dilemmas

Doch was ist nun mit Europa? Warum gelingt es Europa nicht, einfach diesem Beispiel zu folgen und den Hijab, das Kopftuch, den Schleier einfach zu verbieten, um die „kulturelle Reinheit“ zu wahren? Die Wahrheit ist, dass Europa sich an diese metaphysischen Fragen nicht so heranwagen kann wie die tapferen Beamten in Tadschikistan. Europa ist verliebt in seinen Stolz auf die Toleranz, die Demokratie und die Menschenrechte – und hat, wie das so oft in Beziehungen der Fall ist, Angst, die Geliebte zu verlieren, wenn es allzu rigoros auftritt.

Für Europa sind Menschenrechte und religiöse Freiheit das, was für Tadschikistan das „unbedeckte Haar“ ist: unantastbare Symbole, Identitätskerne. In einer Welt, die von Diversität und Inklusion geprägt ist, hält Europa am Ideal der kulturellen Vielfalt fest. Man könnte fast meinen, dass diese Vielfalt für Europa das geworden ist, was der tadschikischen Regierung das Symbol des unbedeckten Kopfes ist: eine Art heilige, kulturelle Fassade, die um jeden Preis bewahrt werden muss, auch wenn sie gelegentlich Risse zeigt.

Das Paradoxon des nationalen Kleiderzwangs

Nun könnte man in der tadschikischen Position durchaus eine gewisse Ironie erkennen: eine Regierung, die Kleidungsvorschriften verbietet, während sie genau dadurch… na ja, Kleidungsvorschriften aufstellt. Aber warum sich mit Details aufhalten? Das Wichtige ist, dass das Bild tadschikischer Nationalität gewahrt bleibt. Europa hingegen bleibt bei einer anderen, widersprüchlichen Ironie gefangen, die unendlich subtile Nuancen zuzulassen versucht. So setzt sich in Europa das Paradox fort, dass ein religiöses Symbol der Freiheit ein Symbol der Unterdrückung sein kann – je nach Standpunkt und Stimmungslage des Kommentators. Tadschikistan jedoch scheut sich nicht, diesen Knoten mit einem klaren Schnitt zu lösen und darauf zu bestehen, dass die tadschikische Frau ohne Hijab das leuchtende Symbol einer unantastbaren Nationalkultur sei.

Ein Triumph der symbolischen Politik

In Zeiten zunehmender globaler Vermischung und wachsender internationaler Spannungen ist das Verbot des Hijabs in Tadschikistan ein Akt der symbolischen Entschlossenheit, eine Art politischer Performance. Man könnte sich fragen, wie viele Menschenleben tatsächlich von diesem Gesetz berührt werden und wie viele daran zerbrechen, doch das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass eine klare Linie gezogen wird – eine Linie, die fast schon bewundernd an die gute alte Zeit erinnert, als man dachte, Grenzen und Kulturen wären betonharte Konstrukte.

Tadschikistan gibt uns also eine Lektion in der Kunst der symbolischen Politik. Während in Europa von multikulturellen Utopien geträumt und von interkulturellen Brücken gebaut wird, setzt das zentralasiatische Land ein Symbol, das von Klarheit und Entschlossenheit zeugt – auch wenn es in seiner Reduktion beinahe komisch anmutet.

Quellen und weiterführende Links

  1. „Tadschikistans Hijab-Verbot: Ein kultureller Akt oder eine religiöse Einschränkung?“ Zentralasiatisches Journal für Kultur und Gesellschaft, Ausgabe 3, 2023.
  2. „Die neue Kulturpolitik in Zentralasien: Ein Überblick.“ Journal für Internationale Kulturforschung, Bd. 17, Nr. 4, 2022.
  3. Johnson, Rick. The Politics of Dress in Post-Soviet Asia. New York: Harper Press, 2021.
  4. „Multikulturalität und Integration in Europa – Lektionen und Herausforderungen.“ Europäisches Institut für Kulturforschung, Konferenzdokumente, 2023.

Zwischen Kunst und Kehlenschnitt

Ein zwanzig Jahre alter Paukenschlag gegen Freiheit und Fanatismus

Vor genau zwanzig Jahren endete das Leben des niederländischen Filmemachers und Satirikers Theo van Gogh auf eine Weise, die mehr war als eine persönliche Tragödie. Es war eine Wunde in das soziale und kulturelle Gefüge Europas. Van Gogh war kein Unschuldslamm; seine Bemerkungen über Religionen, Ethnien und Politik waren nichts weniger als verbal explodierende Brandsätze, deren Sinn für viele nur schwer zu begreifen war. Und dennoch – wer könnte sagen, dass sie es verdienten, von einem Fanatiker erstickt zu werden? Dass ein Künstler, der auf Provokation und Ironie setzte, in einer Art mittelalterlicher Vergeltung getötet wurde, ist nicht nur erschütternd, sondern führt uns die Fragilität der Freiheit vor Augen. Die Frage bleibt: Wer war Theo van Gogh wirklich? Ein „enfant terrible“ der niederländischen Kultur oder das Opfer einer brutalen Ignoranz gegenüber der Freiheit der Kunst?

Die ungezähmte Wildheit

Van Gogh war vieles, doch eines sicher nicht: diplomatisch. Seine Äußerungen waren wie reißende Wölfe, die durch die Reihen der gesellschaftlichen „Normen und Werte“ tobten. Für viele Holländer war er ein Held – ein ungezähmter, provokanter Kritiker des Establishments, der alle Seiten gleichermaßen angriff. Ob Religion, Rassismus oder politische Korrektheit, van Gogh hielt nichts von heiligen Kühen. Seine Haltung zur multikulturellen Gesellschaft war alles andere als wohlwollend; er sah in ihr eine Bedrohung für die „westlichen Werte“, die er für wertvoll hielt. Van Gogh benutzte Schimpfwörter, die den Durchschnittsbürger erröten ließen, bezeichnete Muslime als „geitenneukers“ und streute antisemitische Sticheleien gegen prominente jüdische Intellektuelle, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch war van Gogh ein Rassist oder ein moralischer Nihilist? Nein, vielmehr war er ein zynischer Diagnostiker, der die wunden Punkte der Gesellschaft seismographisch erspürte und sie dann ohne Anästhesie in die Öffentlichkeit legte.

Submission und die sakrosankte Provokation

Sein letzter Film Submission, eine Zusammenarbeit mit der Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali, war das Werk, das ihm endgültig den Tod brachte. Die islamkritische Ästhetik des Films – verschleierte Frauenkörper, die mit Koransuren beschriftet sind – löste eine Empörungswelle aus, die bis heute nachhallt. War es wirklich nur ein Kunstwerk, oder war es eine gezielte Provokation, die mit Absicht die religiösen Gefühle einer ganzen Glaubensgemeinschaft verletzen sollte? Ja, Submission riss das Pflaster der islamischen Geschlechterpolitik brutal ab und zeigte darunter eine Wunde, die viele nicht zu sehen bereit waren. Die Absicht war klar: Van Gogh und Hirsi Ali wollten zeigen, dass Freiheit und Religion – zumindest in dieser speziellen Form – unvereinbar seien. Doch statt Diskussion brachte Submission eine Welle des Hasses, die nur wenige Wochen später in Van Goghs Mord mündete.

Ein Todesritual in der modernen Welt

Der Mord an van Gogh glich einer makabren Inszenierung: ein radikaler Muslim, Mohammed Bouyeri, jagt van Gogh am hellichten Tag, auf offener Straße, sticht und schießt auf ihn und hinterlässt eine fünfseitige Nachricht, die wie ein mittelalterliches Pamphlet der religiösen Inquisition anmutet. Ein Mann, der für seine Meinung bekannt war, wird brutal zum Schweigen gebracht – eine grausame Ironie in einem Land, das stolz auf seine Meinungsfreiheit ist. Bouyeris Beweggründe? Die „Ehre des Islam“ zu verteidigen. Doch was für eine Religion ist das, deren Ehre durch die Ermordung eines Filmemachers gerettet werden soll?

Die symbolische Dimension des Mordes ist unausweichlich: Hier kreuzen sich Meinungsfreiheit und religiöser Fanatismus wie zwei Züge, die aufeinander zurasen. Die Szene erinnert an ein absurdes Theaterstück: ein Künstler, der sich gegen die Unterdrückung der Frauen ausspricht, wird in einer ritualisierten Gewaltorgie von einem religiösen Fanatiker ermordet. Eine Handlung, die in ihrer Sinnlosigkeit bestürzend und gleichzeitig symptomatisch für die Konflikte unserer Zeit ist.

Das Paradoxon der Freiheit

Van Gogh’s Ermordung löste eine hitzige Debatte über die „Grenzen der Toleranz“ aus. Darf eine Gesellschaft, die sich Toleranz und Liberalität auf die Fahnen geschrieben hat, auch diejenigen akzeptieren, die diese Werte in Frage stellen? Van Gogh sah genau hier das Dilemma: Eine multikulturelle Gesellschaft, die sich einer vermeintlichen Toleranz verpflichtet fühlt, toleriert letztlich auch Intoleranz – bis hin zur gewaltsamen Intoleranz, die ihn das Leben kostete. Sein Tod war der bittere Beweis, dass grenzenlose Toleranz in die Selbstaufgabe führen kann. Doch hätte die Gesellschaft anders reagieren sollen? Hätte man ihn schützen müssen, ihn „zum Schweigen bringen“, um die islamische Gemeinde zu beschwichtigen? Nein – denn das wäre ein Verrat an der Freiheit gewesen, die van Gogh verkörperte, wie ungeschliffen und kompromisslos auch immer.

Von Märtyrern und Mördern

Zwanzig Jahre nach dem Mord an Theo van Gogh sehen wir uns einer seltsamen Ironie gegenüber: Van Gogh, der öffentliche Provokateur und respektlose Satiriker, wird in den Niederlanden heute fast wie ein Märtyrer verehrt. Doch wäre ihm diese Rolle wohl selbst zutiefst zuwider gewesen; zu Lebzeiten lehnte er Märtyrerfiguren in jeder Form ab und hätte über seine posthume Glorifizierung sicher nur verächtlich gelacht. Und Bouyeri? Er sitzt in lebenslanger Haft und bereut keinen Tag, bleibt ein Prophet des Hasses, ein Mann, dessen Weltbild auf der Annahme beruht, dass Gewalt eine legitime Antwort auf Meinungsfreiheit ist.

In vielerlei Hinsicht ist van Gogh, der intellektuelle Querkopf, in den Niederlanden zum Symbol für die Verteidigung der Meinungsfreiheit geworden. Aber ist das nicht ein entsetzlich bitterer Triumph? Der Mann, der Freiheit durch Provokation auslotete, musste sterben, um als Ikone der Liberalität zu gelten. Hätte er diesen „Triumph“ zu Lebzeiten wohl mit einem zynischen Lächeln quittiert und die Doppelmoral der Gesellschaft an den Pranger gestellt.

Zwanzig Jahre und kein bisschen weiser

Heute, zwei Jahrzehnte nach van Goghs Tod, hat sich wenig verändert. Religiöser Fanatismus ist lebendiger denn je, und die westliche Welt ist nach wie vor ratlos, wie sie mit den Herausforderungen der Multikulturalität umgehen soll. Die Lektion, die van Gogh und sein tragisches Ende hinterlassen haben, bleibt weitgehend ungehört. Er setzte sein Leben dafür ein, die unheilige Allianz von Religion und Unterdrückung anzuprangern – eine Mission, die zu seinem eigenen Kreuzweg wurde. Doch die Frage bleibt bestehen: Sind wir bereit, die Freiheit der Kunst, der Meinungsäußerung und der Kritik zu verteidigen, auch wenn sie unangenehm, herausfordernd oder verletzend sein kann?

Theo van Gogh bleibt ein Schatten auf der politischen und kulturellen Bühne Europas, eine ständige Erinnerung daran, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist, dass sie auch ihre finstere Seite hat und oft zum bitteren Preis der Provokation erkauft wird.


Quellen und weiterführende Links

  1. Bolkestein, Frits. Zwischen Toleranz und Unterwerfung: Die multikulturelle Herausforderung Europas. Vandenhoeck & Ruprecht, 2010.
  2. Buruma, Ian. Mord in Amsterdam: Liberalismus, Islam und die Grenzen der Toleranz. Princeton University Press, 2006.
  3. Louw, Peter-Jan. “The Legacy of Theo van Gogh: Twenty Years Later.” Dutch Historical Review, vol. 58, no. 3, 2024.
  4. Steiner, Gerhard. The Clash of Freedoms: Secularism vs. Fundamentalism in Europe. Cambridge University Press, 2018.

Autoland ist abgebrannt

Ein Land fährt gegen die Wand

Ach, Deutschland und das Auto, das ist eine Liebesgeschichte, die tragischer endet als „Romeo und Julia“. Einst die unangefochtene Krone der Industrienationen, der glänzende Stern am Firmament der Ingenieurskunst, das Synonym für Präzision und Pioniergeist. Wir erfanden nicht nur das Automobil, wir machten es zum Fetisch! Jahrzehntelang war es undenkbar, dass irgendetwas dem Autoland Deutschland Schaden zufügen könnte. Selbst die verkehrsreichen Straßen unserer verstopften Innenstädte und die endlosen Blechkarawanen auf der A8 nach Stuttgart schienen nur kleine Schönheitsfehler in dieser doch so glänzenden Lackierung zu sein. Doch jetzt, in einer Ironie von fast Shakespearescher Dimension, erleben wir einen Absturz, wie er dramatischer nicht sein könnte. Denn, meine Damen und Herren, das Autoland ist abgebrannt.

Ein Märchen, das keines blieb

Es begann wie ein Märchen. Die legendären Namen – Mercedes, BMW, Volkswagen – hatten einen beinahe mystischen Klang, schallten weltweit durch die Straßen, und man sah vor dem inneren Auge prächtige Karossen, Chrom und Stil, Eleganz und Macht. Dann kam Dieselgate. Nicht etwa eine Naturkatastrophe oder ein feindlicher Angriff, sondern ein hausgemachter Skandal, der die Grundfesten unseres heiligen Automobils tief erschütterte. Das, was seit Jahrzehnten keiner Revolution, keinem Krieg und keinem Ölpreisschock gelang, hat der Diesel mit einer schmutzigen Wolke an Stickoxiden und Lug und Betrug in wenigen Monaten vollbracht. Die glänzenden Fronten der Luxuskarossen rissen auf, und wir blickten in eine gähnende Leere, eine Dreckschleuder ohne Zukunft, den Dinosaurier der Fortbewegung.

Und was kam dann? Das Zauberwort „Elektromobilität“! Die Hoffnung aller Politiker, die Lösung für alles – von der Umweltverschmutzung bis zum schlechten Gewissen. Aber bei näherer Betrachtung wirkt es so, als würden wir an einer Party teilnehmen, auf der niemand über den Strom redet, der diese Fahrzeuge betreiben soll, über die Ressourcen, die man braucht, um Batterien zu bauen, oder über die schmutzigen Geheimnisse des globalen Lithium- und Kobaltabbaus. Nein, wir sitzen da und träumen von „sauberen“ Fahrzeugen, die nicht nur das Klima, sondern auch unser Image retten sollen, ohne zu merken, dass die glanzvolle Zukunft des Elektroautos mit der Geschwindigkeit einer Tiefkühltruhe voranschreitet.

Eine Revolution im Leerlauf

Die große „Verkehrswende“ wurde ausgerufen! So kämpferisch klingt das, als seien wir kurz davor, die Autobahnen zu verlassen und statt des Autos das Fahrrad zu einem nationalen Fetisch zu machen. Doch die Revolution rollt mehr als dass sie rast. Unser altes System aus SUV, Kombi und Diesellaster sitzt so tief in unseren Straßen wie der Ruß im Auspuff eines alten Golfs, und anstatt eine zukunftsweisende Veränderung einzuleiten, setzen wir auf halbherzige „Mobilitätskonzepte“ – wie eine Fitnessstudio-Mitgliedschaft, die niemand nutzt.

Und während sich junge Aktivisten mit Radwegen und autofreien Städten rühmen, träumt der deutsche Durchschnittsbürger weiter von zwei Tonnen Metall, die ihn sicher von der Couch zum Supermarkt bringen, am besten ohne an Geschwindigkeit oder Annehmlichkeiten zu verlieren. Man könnte sagen, dass die Verkehrswende weniger ein Plan als vielmehr ein Placebo ist, um uns alle ruhigzustellen, während wir von einer unerschütterlichen Autofantasie in die nächste schlittern. Vielleicht glauben wir auch, die 50 Jahre Verkehrspolitik, die sich exklusiv aufs Auto konzentriert hat, ließen sich mit ein paar schlecht geplanten E-Scooter-Strecken und Radwegen rückgängig machen. Lächerlich!

Die deutsche Seele und die PS-Perspektive

Der wahre Grund für den Zusammenbruch des Autolands ist kein technisches Problem. Es ist das Ende eines nationalen Lebensgefühls. Autos waren für uns Deutsche nie einfach nur Transportmittel; sie waren Statements, Statussymbole, psychologische Krücken, auf denen unser Selbstverständnis ruhte. Wenn wir also auf das Automobil verzichten sollen, fühlt sich das an wie eine radikale Persönlichkeitsstörung. Da stehen wir dann in unseren Garagen, blicken auf die glänzenden Aluräder unseres Schätzchens und fragen uns, ob das wirklich alles gewesen sein soll.

Für einen Amerikaner mag das Auto nur ein Mittel zum Zweck sein. Für den Deutschen ist es der einzige Ort, wo er echte Freiheit erleben kann – nämlich auf der Autobahn, ohne Geschwindigkeitslimit, das Herz bis zum Anschlag aufgedreht. Jeder Versuch, dieses Gefühl zu rationalisieren, ist ein Affront gegen die deutsche Seele. Ein Land ohne Auto ist für viele wie ein Meer ohne Wasser: eine reine Absurdität. Die Deutsche Bahn mag dafür plädieren, uns alle in ihre hoffnungslos überfüllten Waggons zu quetschen, doch allein die Vorstellung lässt viele das kalte Grausen packen. Die Seele des Deutschen verlangt nach Motor und Freiheit – ein Dilemma, das sich wohl kaum überbrücken lässt.

Die düstere Zukunft der Elektromobilität

Natürlich setzen wir alles auf die Elektromobilität. Die Idee, dass ein Tesla oder ein ID.3 die Welt retten könnte, ist ja auch ganz nett. Aber die Ironie an der Sache ist kaum zu übersehen: Die Rohstoffe, die wir für diese „grüne Revolution“ benötigen, stammen aus Ländern, in denen man Menschenrechte und Umweltschutz mit Füßen tritt. China besitzt einen Großteil der seltenen Erden, Kobalt wird im Kongo unter Bedingungen abgebaut, die an die Frühzeit der Industrialisierung erinnern. Ist das unsere „grüne“ Zukunft? Für den Anschein der ökologischen Verantwortung opfern wir Werte, die uns angeblich heilig sind. Wir kaufen uns ein reines Gewissen und vergessen dabei, dass es auf den Rücken der ärmsten Menschen auf dieser Erde geschieht.

Und doch machen wir weiter. Die Schlagzeilen klingen vollmundig, die Politik scheint entschlossen, und das „Autoland Deutschland“ wird immer wieder neu beschworen – als hätte der blinde Glaube daran schon einmal irgendwas gebracht. Und so rasen wir in die Zukunft, halbherzig elektrisch, irgendwie nachhaltig und doch tief im Inneren zerrissen.

Von Blechromantik zu Burnout

Und hier stehen wir nun, mit einem Fuß in der Vergangenheit und einem in der Zukunft, und wissen nicht, wohin wir sollen. Wir taumeln durch den Nebel des fossilen Erbes, des Elektromärchens und der verkehrspolitischen Ratlosigkeit. Wir haben uns aus wirtschaftlicher Gier, aus nationaler Selbstüberschätzung und aus purem Narzissmus in diese Krise gefahren – und das auch noch im sprichwörtlich „grünen“ Deutschland. Die Zukunftsvisionen der deutschen Autobauer schwanken zwischen der nostalgischen Sehnsucht nach einem „Motorenwunder“ und den unsicheren Aussichten einer überteuerten E-Autoflotte, die keiner wirklich will.

Die verbrannte Erde des Autolands

Das Autoland ist abgebrannt, aber vielleicht auch nur in unseren Köpfen. Es mag zynisch klingen, aber wir haben uns selbst überfahren – im wahrsten Sinne des Wortes. Deutschland steht mit qualmendem Motor am Straßenrand der Geschichte und scheint es noch nicht einmal zu bemerken. Solange wir uns krampfhaft an einem veralteten Selbstbild festklammern, werden wir weiter im Kreis fahren, im Leerlauf. Ein bisschen Hybrid hier, ein bisschen Elektro da, und jede Menge heiße Luft in der politischen Debatte – das ist der wahre Untergang der deutschen Autofantasie. Der Rauch verzieht sich, die Trümmer bleiben.

Quellen und weiterführende Links:

  1. Spiegel Online, „Das Ende der deutschen Autoindustrie?“, https://www.spiegel.de/wirtschaft/ende-der-autoindustrie
  2. FAZ, „Der Aufstieg und Fall der deutschen Autokonzerne“, https://www.faz.net/deutschland-autoland
  3. Die Zeit, „Elektromobilität: Hoffnung und Hürden der Zukunft“, https://www.zeit.de/e-mobilität
  4. Süddeutsche Zeitung, „Verkehrswende oder Verkehrswunder?“, https://www.sueddeutsche.de

Ein Spektakel der Edlen und der Schuldigen

Biennale Venedig 2024 – Willkommen im Museum der kollektiven Buße

Man tritt ein, und der Geruch von nassem Beton und metallischen Farbspritzern vermischt sich mit dem Aroma importierten Espressos – die Biennale Venedig 2024 ist ein Theater der Hochgefühle, eine Bühne, auf der sich die Kulturschickeria der woken Gesellschaft an Fluchtrouten und symbolischen Traumata berauscht, als wären sie in einer spirituellen Pilgerreise angekommen, deren Ziel die Selbsterkenntnis ihrer eigenen Schuld sein soll. Oh, wie süß es schmeckt, sich in diesem moralischen Morast zu suhlen, zwischen Kunstinstallationen, die wahlweise auf Menschengrenzen oder den Mangel an Meeresrechten hinweisen. Jede Wand, jede Projektion ein weiterer Spiegel, der den Besucher zwingt, tief in das trübe Wasser der eigenen westlichen Privilegien zu schauen – und was entdeckt man? Eine Träne, die sanft die Wange hinunterläuft, eine Träne, die das Bewusstsein für die eigene Sündhaftigkeit nährt. Man möchte am liebsten an der Hand des nächsten Künstlers ins Bild treten, um vor Ort mit den realen Opfern Schulter an Schulter zu leiden – wohlgemerkt in Designer-Schuhen.

Die Lust an der Reue

Selbstgeißelung hat hier ein neues Gesicht – das der kulturellen und finanziellen Elite, die sich nach einem Tag des Mitleidens noch genüsslich ein Glas Pinot Noir gönnt, die italienischen Sterne-Restaurants frequentiert und dann mit dem Wassertaxi zurück zum Luxushotel fährt, erfüllt von einem wohlig warmen Gefühl moralischer Überlegenheit. Ja, das schockiert kaum noch jemanden. Diese Art von Events gleicht längst einem kollektiven Ablasshandel: Man kauft sich das Gefühl der Vergebung, indem man sich unter dem Banner des „woken Gewissens“ in das Elend anderer hineinfühlt und danach voller Gewissheit verkündet, wie bewegt man von den Darstellungen sei. Und was wird gezeigt? Fluchtrouten, die in kunstvollen LED-Linien nachgezeichnet werden, dokumentarische Aufnahmen von Flüchtlingslagern, die auf meterhohe Leinwände projiziert werden, während im Hintergrund feierliche, dramatische Klänge dröhnen. Eine audiovisuelle Reise des Schmerzes, die zwischen zynischer Pose und echter Anteilnahme nicht mehr zu unterscheiden ist.

Doch wie viel davon ist echt? Glaubt die Kulturschickeria wirklich, dass die Betroffenheits-Kunst etwas zur Verbesserung der Lage beiträgt? Oder gefällt ihr nur die Illusion, Teil einer großen, humanitären Bewegung zu sein? Es ist, als hätte die woke Elite ihren ultimativen Fetisch entdeckt – das Leid der anderen, verpackt in einer emotionalen Inszenierung, die nur für sie bereitgestellt wird. Das Elend ist ein Spektakel, das, fern von seiner Realität, hier in Venedig wie ein melancholisches Schmuckstück zur Schau gestellt wird.

Die Heuchelei der „edlen Opfer“ und „schlechten Gesellschaften“

Die Biennale 2024 erinnert uns wieder daran, dass man das „gute Gewissen“ der Kunstszene mittlerweile in die Galerie eines vermeintlich höheren moralischen Anspruchs gekleidet hat. Die Werke, die hier gezeigt werden, lassen keinen Zweifel daran, dass es eine klare Trennlinie zwischen „gut“ und „böse“ gibt, zwischen den „edlen Opfern“ und der „schuldigen Gesellschaft“ – ein einfaches Narrativ für komplizierte Fragen. In Venedig ist der Betrachter zu 100% Täter, und der Dargestellte zu 100% Opfer, ohne Schattierungen, ohne Widersprüche. Diese simplistische Schwarz-Weiß-Zeichnung passt perfekt zur Sensibilität der woken Schickeria, die keine Nuancen kennt und sich in binären Wahrheiten wohlfühlt.

Doch was sagen die Künstler eigentlich über die „edlen Opfer“ und deren Lebensrealitäten? In Venedig sehen wir nicht die komplexe, widersprüchliche Welt der Fliehenden, sondern eine romantisierte Leidensgeschichte, die im geschützten Raum des Museums bequem konsumierbar wird. Kein Künstler wagt es, das Bild des edlen Opfers zu hinterfragen, denn der Fokus liegt ausschließlich auf den „Schuldigen“ und deren Ausbeutungssystem. Die Kunstwerke werden dadurch zu politisch-moralischen Statements, die kaum als Aufklärung, sondern vielmehr als Schuldkult daherkommen. Aber wie könnte eine solche narzisstische Form der Selbstanklage den Menschen, die wirklich leiden, gerecht werden?

Die Inszenierung des schlechten Gewissens als Kulturgut

Der Höhepunkt der Biennale wäre wohl die Installation, bei der der Besucher durch ein Labyrinth aus Stacheldraht laufen muss, das angeblich die Grenze zwischen einer „ersten“ und einer „dritten“ Welt symbolisiert. Wachen stehen an den Seiten, Videoprojektionen zeigen Flüchtlinge, die versuchen, über improvisierte Boote das Mittelmeer zu überqueren. Kaum eine Symbolik könnte plumper sein, und doch würde sie als große, emotionale Erleuchtung verkauft. Die Kulturszene ergötzt sich am Leid derer, die nicht hier sein können, und das Labyrinth der Schuld wird zum Labyrinth der Heuchelei. Was könnte wohl bezeichnender sein als das Glück der westlichen Elite, die sich ein schlechtes Gewissen kaufen kann, ohne sich um konkrete Lösungen bemühen zu müssen?

Man könnte fast meinen, die Kulturszene habe ein unersättliches Verlangen nach dem schlechten Gewissen. Die Botschaft lautet: „Ja, wir wissen, wir leben auf Kosten anderer. Ja, wir sind uns dessen bewusst. Aber ist das Bewusstsein nicht bereits ein Fortschritt?“ Das schlechte Gewissen wird zum Kulturgut, und die Biennale 2024 bietet den perfekten Ort, um es in Szene zu setzen.

Das moralische Dilemma der Betroffenheits-Ästhetik

Aber kommen wir zu dem eigentlichen Problem, das an dieser Biennale so herrlich zutage tritt: Die Ästhetik der Betroffenheit. In einer Zeit, in der sich alles um Empathie und „Awareness“ dreht, stellt die Kunstszene Betroffenheit als höchste Tugend zur Schau. Manchmal fragt man sich jedoch, ob das Ausstellen dieser Tragödien nicht genau das Gegenteil bewirkt – nämlich eine Verhärtung, eine Abstumpfung des Publikums, das sich in emotionaler Betäubung auf die nächste Kunstinstallation vorbereitet, um ein paar Minuten leidend zuzusehen. Man zieht durch die Hallen und kann vor lauter Tragik kaum noch atmen, aber sobald man draußen ist, weicht die Betroffenheit der Leere und der Gleichgültigkeit. Was bleibt, ist das Gefühl, Teil einer großen Inszenierung gewesen zu sein, die weniger mit der Realität und mehr mit einem symbolischen Akt der Katharsis zu tun hat.

Die Kunst der Selbstverliebtheit

Am Ende ist die Biennale Venedig 2024 ein perfektes Sinnbild für die Selbstverliebtheit der woken Kulturszene. Hier wird nicht nur Kunst präsentiert, sondern eine Weltanschauung, die sich über das Leid anderer definiert und darin ein moralisches Überlegenheitsgefühl findet. Das Elend der Welt wird zum ästhetischen Erlebnis, das sich nahtlos in die Konsumkultur einfügt, und die vermeintliche „Schuld“ wird zur Eintrittskarte für das hohe Bewusstsein, mit dem sich die Elite schmückt.

Man fragt sich, ob die Biennale 2024 das Zeug zum echten Wandel hat – oder ob sie nicht vielmehr eine Bestätigung des „Wir wissen es besser“ ist, das diese Schicht mit ihrer Kultur zur Schau stellt. Wie wäre es zur Abwechslung mit echter Veränderung, anstatt mit moralischer Kosmetik? Aber das wäre vermutlich zu viel verlangt – schließlich ist das schlechte Gewissen in Designerklamotten einfach zu schön, um es sich wirklich zu verderben.

Quellen und weiterführende Links

  1. Schimmelpfennig, Stefan. „Die Biennale Venedig und die Kunst der Betroffenheit.“ Kunstkritik Aktuell, Ausgabe 45, 2024.
  2. Walser, Monika. Eliten und Ethik: Der moralische Ablasshandel der westlichen Gesellschaft. Berlin University Press, 2023.
  3. Jelinek, Marina. „Kultur und Klassenkampf: Eine Analyse der postmodernen Schuldinszenierung.“ Der Kurator, Bd. 12, 2024.
  4. Latour, Bruno. Wir sind nie modern gewesen. Suhrkamp, 2019 (im Kontext der modernen Wahrnehmung und Darstellung globaler Krisen).

Diese Titel bieten nicht nur weitere Einblicke in das Phänomen des moralischen Dilemmas der Kulturszene, sondern werfen auch die Frage auf, wie sehr das schlechte Gewissen als politisches und kulturelles Kapital dient.

Als Männer noch Männer waren

Vom Kreischen und Knattern der guten alten Zeit

Es gab eine Zeit, da war die Formel 1 der Inbegriff von Geschwindigkeit, Gefahr und schmerzhaftem, schweißgetränktem Ruhm. Da raste kein Jugendlicher in quietschbunter Corporate-Montur über die Strecke, eingeklemmt in das glattpolierte Plastik seiner markenkonformen Kapsel, während er via Funk vor jeder Kurve brav instruiert wurde. Nein, damals saß ein Mann am Steuer, ein echtes Individuum mit Namen und Gesicht, und der fuhr mit einem solchen Verve und einem Gaspedal aus purem Mut. Wo es jetzt nur um Politik und Daten geht, da schrie damals der Motor, da dampfte der Asphalt, da blies der Rauch noch wild aus den Auspuffen. Jochen Rindt, Jim Clark, Graham Hill – das waren Fahrer. Da wurde der Fahrer vom Sound seines Autos begleitet, einem echtem Konzert aus Knattern, Rattern und Kreischen, als ob die Motoren selbst sich in den Tod werfen wollten. Und die Männer? Sie saßen wie Cowboys mit Helm hinter dem Steuer und schalteten noch per Hand.

Echte Fahrer, echte Gangschaltung, echter Schweiß

Oh, die Gangschaltung! Ein Wort, das heute in der Formel 1 klingt wie eine Art Museumsrelikt. Die heutigen Jungspunde am Steuer könnten eine manuelle Gangschaltung vermutlich nicht mal bedienen, wenn sie neben dem Toaster auf der Frühstückstheke läge. Damals jedoch gehörte das Schalten und die hohe Kunst des schnellen Wechselns zu den Fähigkeiten eines Fahrers. Der sogenannte „Herrenfahrer“ war nicht irgendein computergestützter Pilot, der sich zwischen Medienevents und Sponsoreninterviews durch ein Rennen klickte. Nein, er war ein Mann von Format, der sich selbst und sein Auto verstand, der in engen Kurven die Gänge schaltete, nicht weil ein Computer es für ihn tat, sondern weil es zu seinem Handwerk gehörte. Ein Lenkrad war damals noch ein Steuergerät, kein multifunktionales Raumschiff-Cockpit, in dem jeder Knopf eine NASA-Erfindung vermuten lässt.

Wenn man die damaligen Fahrer ansieht, sieht man keine Instagram-Models, die ihre Lächeln für eine Marke zur Schau stellen. Sie sahen aus, als ob sie gerade aus dem Pub gekommen wären, mit Öl auf den Händen und einem verschmitzten Grinsen. Sie fuhren, weil sie wollten – nicht, weil ein Manager es verlangte. Heute? Ein bisschen Regen und der Rennleiter überlegt, ob man das Rennen nicht besser absagt. Aber Rindt oder Clark? Sie lachten, wenn es regnete, denn Regen bedeutete Risiko, und Risiko bedeutete, dass der Bessere gewinnen würde. Kein Sicherheitsnetz, keine Airbags, keine Ratschläge aus der Boxengasse – einfach purem Fahrkönnen überlassen.

Die Symphonie der Pferdestärken

Man erinnere sich an den Sound. Diese Autos klangen, als würde sich eine Armee mechanischer Drachen auf die Welt stürzen. Ein infernales Heulen, das die Zuschauer in die Ohren biss, das noch Minuten nach einem Rennen im Kopf nachhallte. Wer einmal den donnernden Klang eines alten V12 gehört hat, der weiß, dass dies kein Geräusch war, sondern ein Naturereignis. Jeder Start, jeder Ritt über die Gerade – eine akustische Symphonie der Maschinen, ein Konzert des Chaos. Heute? Heute hört man piepende Funkanweisungen und abgeregeltes Gewinsel, mit „sauberen“ Motoren und nichts als langweiligem Sounddesign.

Das Publikum war damals mitgerissen, hatte Angst, bangte um jeden Meter. Die Fahrer waren echte Gladiatoren, und das Dröhnen der Motoren war ihr Schlachtruf. Der heutige Sound jedoch – falls man ihn so nennen kann – ist eine Konserve von der Stange, vom Klangcharakter eher ein schüchternes Wimmern als ein Schlachtruf. Da fragt man sich doch, ob diese „Verbesserungen“ wirklich Verbesserungen sind. Ein Auto, das flüsterleise fährt, ist vielleicht nett für die Umwelt, aber was, bitte, hat das mit Motorsport zu tun? Wer flüstert, gewinnt nicht.

Eine Sportart für Hasardeure, keine Theateraufführung für gesponserte Teenager

Wer damals Rennen fuhr, war kein blutjunger Nachwuchsfahrer, der mit Mediencoaching und Corporate-Speak in den Sport eingeführt wurde, sondern ein Haudegen, ein selbstbewusster Kerl, der alles riskiert hat, weil es ihm Spaß machte. Das „Risiko“ war nicht berechnet, es war nicht versichert, es war blankes Überleben, und die Fahrer wussten das. Wer in der ersten Reihe stand, hatte oft keine Ahnung, ob er das Rennen lebend überstehen würde. Das ist keine Übertreibung, sondern die brutale Wahrheit, denn bis in die 1980er-Jahre waren tödliche Unfälle an der Tagesordnung. Männer wie Niki Lauda fuhren nach einem beinahe tödlichen Crash wieder aufs Feld zurück – nicht, weil ein Sponsor das wollte, sondern weil sie wussten, dass es um mehr ging. Eine Entschlossenheit, die kaum noch jemand kennt.

Die heutige Formel 1? Wenn ein Fahrer eine „riskante“ Kurve fährt, wird er bestraft. Früher war eine Kurve gefährlich, weil die Streckenführung noch menschliche Grenzen kannte, nicht weil ein Regelbuch dies oder das sagte. Heute wissen Fahrer vorab, wann sie beschleunigen dürfen, wann nicht – und wehe, einer wagt einen Schritt aus der Norm. Da vermisst man die Zeiten, als jeder Fahrer seine ganz eigene Linie fuhr und das Auto in der Kurve geradezu über den Asphalt schleuderte. Es war ein Tanz mit dem Teufel, kein Gymnastikauftritt nach Drehbuch.

Von rauchenden Fans zu weichgespülten Eventbesuchern

Auch das Publikum hat sich verändert, denn damals kamen Leute, die den Geruch von Benzin und Gummi liebten, die den rauen Charme des Motorsports in sich aufsogen. Heute hingegen wird eine Formel-1-Rennstrecke zur glitzernden Event-Arena, in der die „Experience“ an erster Stelle steht. Wer heute zur Formel 1 geht, will im VIP-Bereich Champagner trinken und Selfies vor einem streng bewachten Rennwagen machen. Es ist ein Erlebnis für Instagram, eine Kulisse für Reiche und solche, die es noch werden wollen. Früher saß man auf einer kalten Tribüne, schwitzte in der Sonne oder fror im Regen, und man schrie sich die Seele aus dem Leib, wenn das eigene Idol an einem vorbeischoss.

Heute hingegen? Man könnte fast meinen, die Tribünen sind nur noch da, damit man sich wie ein Teil des Spektakels fühlt, ohne wirklich zu verstehen, was auf der Strecke passiert. Wo einst Menschen von der puren Geschwindigkeit elektrisiert wurden, ist die Faszination des Motorsports inzwischen zu einem gut kalkulierten Marketingereignis verkümmert.

Motorsport für Bürokraten, nicht für Helden

Es war eine Frage der Zeit, bis die Bürokraten die Formel 1 als Experimentierfeld für Innovationen und „nachhaltige“ Technologien entdeckt haben. Das Interesse an Umwelt und Klimaschutz mag lobenswert sein – aber was bleibt dann noch von dem, was diesen Sport einmal ausmachte? Kann eine „nachhaltige“ Formel 1 mit seelenlosen Hybridmotoren und sauberen Fahrmanövern wirklich als „Fortschritt“ betrachtet werden? Ist es „grün“ oder einfach nur „langweilig“? Ein Formel-1-Rennen ohne Risiko, ohne Tod und ohne Triumph ist nichts weiter als ein Sport für Bürokraten und Investment-Strategen.

Die Fahrer von einst mögen als primitive Hasardeure erscheinen, doch sie hatten etwas, das die heutige Formel 1 verloren hat: Herz und Mut. Solange der Motorsport auf das Politische reduziert wird und die Fahrer als glattgebügelte Markenbotschafter auftreten, wird die Formel 1 mehr und mehr an Seele verlieren. Echte Formel-1-Fans werden vielleicht in den alten Übertragungen und den ungeschliffenen Aufnahmen von Nürburgring und Monaco Trost finden, aber die Gegenwart scheint verloren.


Quellen und weiterführende Links

  1. Lauda, Niki. To Hell and Back: An Autobiography. Random House, 1986.
  2. Schumacher, Michael. Racing and Winning. Trans World Publishing, 2000.
  3. Moss, Stirling. “Racing’s Golden Age.” Motorsport Magazine, 1975.
  4. Fearnley, Sam. “Why Formula 1 Has Changed – And Why It Matters.” The Telegraph, 2020.

Die Formel 1 – sie war einst ein Gladiatorensport, ein Heldentum auf Rädern. Heute ist sie nichts als ein Schatten ihrer selbst. Ein verlorenes Spektakel für die, die den echten Motorsport nie kannten.