Der grüne Kreislauf des Zynismus

Der grüne Plan: Wer retten will, soll zahlen

Es gibt Tage, an denen sich die Realität wie eine besonders schlecht geschriebene Satire liest. Leider ist das oft dann der Fall, wenn politische Entscheidungen auf eine Weise fallen, die das Wort „absurd“ völlig neu definiert. So geschehen in der Republik Österreich, wo die gute alte Tradition, sich beim Verteilen von Steuergeld in Richtung privater Interessen nicht in die Karten schauen zu lassen, eine neue Blüte treibt – diesmal im grünen Gewand.

Die Tafel Österreich hat in den letzten 25 Jahren eine Aufgabe übernommen, die es in einem so wohlhabenden Land eigentlich gar nicht geben sollte: Sie rettet Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden, und versorgt damit jene, die sich den Gang in den Supermarkt nicht mehr leisten können. 340.000 armutsbetroffene Menschen in Österreich würden ohne diese Organisation noch härter kämpfen müssen. Eine Schande? Nein, sagt das zuständige Ministerium – eine Geschäftschance!

Wettbewerbsverzerrung im Namen der Fairness

Nun ist es so, dass sich die Tafel in den letzten zwei Jahren um eine digitale Plattform bemüht hat, um Überproduktionen effizienter zu verteilen. Eine löbliche Initiative, die allerdings vom Gewessler-Ministerium torpediert wurde – denn dort kam man plötzlich auf die glorreiche Idee, exakt so ein Projekt öffentlich auszuschreiben. Mit einer klitzekleinen Bedingung, die karitative Organisationen per Definition ausschloss: Die Bewerber mussten eine hohe Bonität nachweisen. Ein cleverer Trick, denn wohltätige Organisationen, die auf Spenden angewiesen sind, können schlecht mit Millionen-Rücklagen aufwarten.

Das Ergebnis? Die Ausschreibung ging an die gewinnorientierte Unverschwendet GmbH – ein Unternehmen, das aus überschüssigen Lebensmitteln Marmeladen, Sirup und Chutneys herstellt und diese natürlich nicht verschenkt, sondern verkauft. Marktwirtschaft funktioniert eben am besten, wenn der Markt vorher nach Wunsch manipuliert wird.

Grün lackierter Neoliberalismus

Der Clou an der Sache ist natürlich, dass es sich hierbei um die selbe Regierung handelt, die sich lautstark gegen soziale Ungerechtigkeit positioniert – zumindest, wenn es in den sozialen Medien gut ankommt. In der Realität jedoch sind es genau diese progressiven Macher, die dafür sorgen, dass Profitinteressen ganz zufällig immer etwas wichtiger sind als gemeinnützige Projekte. Man möchte fast glauben, dass grüne Politik inzwischen nur noch die Verpackung eines altbekannten, neoliberal-marktradikalen Produkts ist.

Doch keine Sorge: Die Gewinne von Unverschwendet werden sicherlich in Nachhaltigkeitsprojekte reinvestiert. Oder in Beraterhonorare. Oder ins Marketing. Oder in einen besonders geschmackvollen Bio-Smoothie aus geretteten Mangos.

Schluss mit lustig?

Vielleicht wäre es an der Zeit, sich einzugestehen, dass es in dieser Regierung nicht um Gerechtigkeit geht, sondern um eine besonders durchdachte Form des „Greenwashings“. Man kann den Kapitalismus nicht mit Kapitalismus bekämpfen – oder doch? Offenbar gibt es Menschen, die fest daran glauben, dass sich soziale Gerechtigkeit am besten durch Profitmaximierung erreichen lässt. Man nennt sie auch Politiker.

Wenn man solche Grüne hat, braucht man keine Neoliberalen mehr.

Wird demnächst Dostojewski Pflichtlektüre?

Es sind stürmische Zeiten, in denen NATO-Generalsekretär Mark Rutte zum großen Exorzismus gegen den russischen Sprachgeist aufruft. „Kein Russisch-Unterricht in unseren Schulen!“ ruft er, mit dem Brustton der letzten Gewissheit, als ginge es um die Verhinderung einer Apokalypse biblischen Ausmaßes. Ein Wimpernschlag der Geschichte trennt uns offenbar von einer dystopischen Zukunft, in der Erstklässler das kyrillische Alphabet statt der lateinischen Lettern lernen, „Krieg und Frieden“ zur Pflichtlektüre wird und das „r“ nur noch rollend ausgesprochen werden darf.

Wer nicht aufrüstet, muss Tolstoi lesen

Es ist ein Satz, der mit der Wucht eines Schwertschlages fällt: „Das müssen wir verhindern!“ Da ist sie, die bittere Einsicht: Es geht längst nicht mehr um Artillerie oder Wirtschaftssanktionen, sondern um die finale Verteidigung der kulturellen Bastionen. Wer sich dem Rutte’schen Dogma nicht fügt, findet sich wohl bald in einem finsteren Kellerloch wieder, gezwungen, in Originalsprache „Die Gebrüder Karamasow“ zu entziffern.

Dabei weiß man doch, dass Sprachen immer das trojanische Pferd imperialer Bestrebungen sind. Englisch brachte uns Coca-Cola, McDonald’s und Netflix. Latein war der Vorbote von Römerstraßen, Aquädukten und Steuerpflichten. Und Russisch? Nun, es wäre wohl die Vorhut für Pelmeni, Samoware und Dostojewski – ein wahrhaft erschütterndes Szenario!

Die letzte Schlacht: Phonetik gegen Freiheit

Aber keine Sorge! Die NATO steht bereit, den Feldzug gegen den rollenden „R“-Terror zu führen. Die Alternativen sind klar: Entweder massive Aufrüstung oder ein Leben im Schatten der russischen Sprachherrschaft. Also her mit den Raketen, den Panzern, den Milliardenhilfen – solange wir sicherstellen, dass kein Kind „Wladimir Iljitsch Lenin“ fehlerfrei aussprechen kann.

Und doch, in einer ironischen Wendung der Geschichte, wird wohl gerade dieser verzweifelte Kampf um die sprachliche Reinheit am Ende für das Gegenteil sorgen: Denn was verbieten wir, wird umso begehrenswerter. Vielleicht ist das Geheimnis des Friedens ja am Ende doch nicht die Aufrüstung, sondern das entspannte Eingeständnis, dass ein paar russische Vokabeln niemanden zur Marionette des Kremls machen.

Aber so weit sind wir noch nicht. Zunächst gilt es, den großen Krieg um das kleine Alphabet zu gewinnen. Hoch die Waffen! Hoch die Grammatikbücher!

Iden des Merz

Von Globalisierungseuphorie zu Grenzziehungshysterie

Es ist eine dieser faden Ironien der Geschichte, dass ausgerechnet jene politischen Kräfte, die seit Jahrzehnten mit fanatischem Eifer für eine entfesselte Globalisierung kämpfen, nun mit fast religiösem Furor die nationale Abschottung predigen. Sie haben die Märkte entgrenzt, die Konzerne entnationalisiert, die Produktion in Billiglohnländer verlagert, die Sozialstaaten abgebaut, Löhne gedrückt und Arbeitskräfte flexibilisiert – aber wenn es um Menschen geht, die aus genau diesen Destabilisierungszonen zu uns kommen, dann wird plötzlich das Abendland verteidigt, dann ist die Nation wieder heilig, dann wird das Soziale plötzlich zum „wir können nicht alle aufnehmen“.

Friedrich Merz, dieser großbürgerliche Klassenkrieger in Nadelstreifen, steht exemplarisch für diesen Zynismus. Jahrzehntelang hat er als wirtschaftsliberaler Hardliner keine Gelegenheit ausgelassen, den „Markt“ über den „Staat“ zu erheben, Lohnzurückhaltung zu predigen und „Wettbewerbsfähigkeit“ als ultimatives Argument für sozialen Kahlschlag ins Feld zu führen. Doch kaum tritt das Thema Migration auf den Plan, mutiert er zum besorgten Patrioten, der das Soziale entdeckt – freilich nicht als Schutz für die Armen, sondern als Keule gegen die noch Ärmeren.

Kapital ohne Grenzen, Menschen mit Schlagbäumen

Der Widerspruch könnte kaum offensichtlicher sein: Dieselben Politiker, die noch gestern beklatschten, wie Amazon, Apple und BlackRock jeden staatlichen Eingriff verhöhnten, fordern heute maximale Kontrolle über Migration. Kapital darf sich frei bewegen, aber Menschen sollen es nicht. Unternehmen dürfen jeden Arbeiter weltweit gegen einen billigeren austauschen, aber wenn sich ein Arbeiter selbst auf den Weg macht, dann ist das plötzlich eine „Überforderung“.

Merz & Co. haben kein Problem mit Migration – solange sie nach unten drückt. Sie applaudieren, wenn osteuropäische Pflegekräfte für Hungerlöhne deutsche Senioren betreuen oder wenn Geflüchtete als Erntehelfer schuften. Aber wehe, sie verlangen Mindestlohn, Schutz oder Perspektiven. Dann wird die AfD-light-Rhetorik ausgepackt, und plötzlich geht es um „Leistungsmissbrauch“ und „Sozialtourismus“.

Das Drama der gescheiterten Globalisierungsgewinnler

Die besondere Lächerlichkeit dieses Theaters liegt darin, dass Leute wie Merz überhaupt nicht wissen, was sie wollen. Jahrzehntelang war ihre Botschaft klar: „Wir brauchen mehr Zuwanderung, um unsere Renten zu sichern, unsere Fachkräftelücken zu füllen, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken!“ Aber nun, wo die Folgen ihrer eigenen Politik sichtbar werden – wo die soziale Ungleichheit explodiert, wo Geringverdiener realisiert haben, dass ihre Löhne nicht steigen, wo der Frust über den Neoliberalismus mit Wucht in den Mainstream einbricht –, versuchen sie, sich mit populistischen Nebelkerzen aus der Affäre zu ziehen.

So sitzt Merz da, mit seinem opportunistischen Dauergrinsen, und schwadroniert über „die Ampel, die die Kontrolle verloren hat“, während er in Wahrheit eine ganz andere Panik verspürt: die Angst, dass die Leute merken, wer wirklich schuld an der sozialen Spaltung ist. Es sind nicht die Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea, die Deutschland „überfordern“. Es ist die Politik der Deregulierung, der Steuergeschenke für Konzerne, der Privatisierungen und des Lohndumpings, die die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter geöffnet hat.

Aber anstatt sich dieser Wahrheit zu stellen, wird Migration als Sündenbock instrumentalisiert. Wer über Wohnungsnot, marode Infrastruktur oder kaputte Schulen klagt, bekommt nicht zu hören: „Ja, das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Kürzungspolitik.“ Nein, er soll glauben: „Das liegt an den Flüchtlingen.“

Der Robin Hood der Oberschicht

Man muss Merz eines lassen: Er hat das seltene Talent, ein Problem zu diagnostizieren, das er selbst verschärft hat, um dann eine Lösung zu fordern, die alles noch schlimmer macht. So wie er als BlackRock-Lobbyist die Vermögenskonzentration befeuert hat, um dann mit dem Märchen vom „steuerzahlenden Mittelstand“ gegen Erbschaftssteuern zu kämpfen, so beklagt er heute die soziale Verunsicherung, um sie mit noch mehr neoliberalem Kahlschlag zu beantworten.

Denn was ist seine eigentliche Antwort auf Migration? Weniger Sozialstaat, mehr Markt, mehr Druck auf Arbeitslose, mehr „Eigenverantwortung“ – sprich: genau die Politik, die dazu geführt hat, dass so viele Menschen das Gefühl haben, sie würden abgehängt. Wer also glaubt, Friedrich Merz interessiere sich ernsthaft für „die kleinen Leute“, der glaubt auch, dass ein Wolf Schäfer geworden ist, nur weil er sich mal ein paar Schafsfelle übergeworfen hat.

Das Ende der Maskerade

In Wahrheit haben Leute wie Merz keine Vision für Deutschland – außer einer, in der ihre eigene Klasse weiterhin profitiert, während der Rest sich gegenseitig zerfleischt. Ihre größte Angst ist nicht Migration, sondern Solidarität. Denn was wäre, wenn diejenigen, die sich heute von rechter Rhetorik blenden lassen, realisieren, dass ihre wahren Gegner nicht die Migranten sind, sondern die neoliberalen Strippenzieher, die ihre Löhne drücken, ihre Mieten explodieren lassen und ihre sozialen Sicherheiten abbauen?

Deshalb muss die Debatte so geführt werden, wie sie geführt wird: mit maximaler Emotionalisierung, mit Sündenböcken, mit Symbolpolitik, mit jeder Menge Nebelkerzen. Merz braucht die AfD, weil er genau wie sie lebt: von Spaltung, von Ablenkung, von falschen Fronten. Doch der Tag wird kommen, an dem die Maske fällt – und dann könnte es eng werden für die Herren der Heuchelei.

Der Wolf bleibt ein Wolf

Friedrich Merz als Verteidiger der sozialen Gerechtigkeit? Das ist, als würde Jeff Bezos über Gewerkschaften philosophieren oder Christian Lindner den Kommunismus entdecken. Nein, er bleibt, was er ist: ein knallharter Klassenkrieger, ein BlackRock-Lobbyist im CDU-Mantel, ein Wolf, der sich immer dann als Hirte geriert, wenn es ihm nützt.

Und deshalb, liebe Leser, gilt: Wenn Friedrich Merz über Migration spricht, dann redet er nicht über Migration. Er redet über Macht. Über Kontrolle. Und darüber, wie er beides behalten kann.

Mit Volldampf in die selbstverschuldete Energiekrise

Der große deutsche Energiewunderwahn

Deutschland, das Land der Dichter, Denker und Dekarbonisierer. Hierzulande glaubt man fest an Wunder – vor allem an jene, die sich in Form von Windrädern und Solarpanels materialisieren sollen. Dass die Physik bislang noch keine offizielle Parteimitgliedschaft bei den Grünen oder der SPD beantragt hat, wird geflissentlich ignoriert. Derweil klopfen sich die politisch Verantwortlichen für die ambitionierte Energiewende auf die Schultern – unbeeindruckt von der Tatsache, dass der Anteil von Wind- und Sonnenenergie am Gesamtenergieverbrauch im Jahr 2021 magere 8,5 % betrug. Eine Zahl, die beim Bundesumweltamt fein säuberlich dokumentiert ist, die aber niemand in der politischen Elite je zu Gesicht bekommen haben dürfte. Oder schlimmer: gesehen und trotzdem ignoriert hat.

Verboten, verboten, verboten – Das politische Credo

Woran könnte es nur liegen, dass sich die grüne Energiewende als windiger Wunschtraum entpuppt? Vielleicht daran, dass Deutschland in seiner unnachahmlichen Art alles abgeschafft hat, was verlässlich Energie liefert? Kernkraft? Verboten. Kohlekraftwerke? Stillgelegt. Flüssiggas-Terminals? Abgelehnt. Erdgas-Fracking? Natürlich verboten. CO2-Speicherung? Geht gar nicht! Und während das politische Establishment sich gegenseitig für diesen energiepolitischen Kahlschlag auf die Schultern klopft, stellen sich die Bürger eine zunehmend drängende Frage: Wie genau soll die Versorgungssicherheit bei all dem sich verschärfenden Verbotitis-Wahn gewährleistet werden?

Der Glaube an den grünen Wasserstoff

Doch keine Sorge, die Politik hat selbstverständlich eine Lösung parat: Grüner Wasserstoff. Der heilige Gral der Energiewende, die ultimative Antwort auf jede kritische Nachfrage. Dass Wasserstoff in der Natur nicht vorkommt und seine Herstellung Unmengen an Strom frisst? Geschenkt! Dass dieser Strom ausgerechnet von jenen Wind- und Solaranlagen kommen soll, die gerade einmal einen Bruchteil der benötigten Energie liefern? Ach was! Wer so kritisch nachhakt, ist ohnehin nur ein Ketzer der Klimakirche, ein fossiler Reaktionär, der den Fortschritt sabotieren will.

Realistische Alternativen? Bloß nicht!

Dabei gäbe es durchaus Wege, aus dem selbstgebauten Dilemma herauszufinden – wenn man denn wollte. Man könnte zum Beispiel die drei verbliebenen Kernkraftwerke weiterbetreiben. Oder man könnte heimisches Schiefergas fördern, um unabhängiger von russischem oder katarischem Gas zu werden. Oder – Gott bewahre! – man könnte CO2-Abscheidungstechnologien für Kohlekraftwerke nutzen, um deren Emissionen drastisch zu reduzieren. Und wenn man ganz mutig wäre, könnte man sogar die riesigen deutschen Braunkohlereserven mittels Fischer-Tropsch-Verfahren in klimaneutralen Treibstoff umwandeln. Aber nein, all das wäre viel zu pragmatisch! Schließlich geht es nicht um Lösungen, sondern um moralische Überlegenheit. Und die wird in Deutschland bekanntlich in Megawattstunden Illusionen gemessen.

Und der Bürger? Zahlt die Zeche.

Die Energiepreise explodieren, der Strom wird rationiert, und an besonders windstillen Tagen darf sich der Deutsche bald wieder an den Charme der guten alten Kerze gewöhnen. Doch all das ist es wert – denn am Ende steht der moralische Endsieg: Deutschland als leuchtendes Vorbild der Welt, ein ökologisches Utopia, in dem die letzten Kohlekraftwerke längst gesprengt wurden und die letzten KKWs in Museen verstauben. Dass die Menschen frieren und Unternehmen abwandern? Kollateralschäden im Kampf für die gute Sache. Und während das Licht langsam ausgeht, bleibt eine letzte Hoffnung: Vielleicht erfinden wir doch noch ein Perpetuum Mobile – oder wenigstens eine Ideologie, die Wärme erzeugen kann.

Wie die Demokratie das Kuschen lernte

Es beginnt immer schleichend. Ein kleines Augenzwinkern hier, ein Schulterzucken dort. In Deutschland empört man sich noch darüber, dass konservative Parteien mit der extremen Rechten kokettieren; in Österreich ist es längst politische Routine. Skandale, die in Berlin den Rücktritt eines Ministers auslösen würden, erzeugen in Wien bestenfalls ein resigniertes „Wird schon passen“. Die Kunst der langsamen Abstumpfung hat das alpine Land perfektioniert. Man gewöhnt sich daran, dass politische Ethik zur Geschichtskategorie wird, dass Verfassungsgerichtsentscheide nur noch Empfehlungen sind und dass Empathie als Schwäche gilt. Kurz gesagt: Wer einmal gelernt hat, mit dem Unannehmbaren zu leben, dem erscheint der Niedergang irgendwann als gelebte Normalität.

Der konservative Pakt mit dem Teufel

Konservative Parteien in ganz Europa stecken in einem Dilemma: Sie möchten modern erscheinen, aber nicht progressiv, traditionell, aber nicht altmodisch, autoritär, aber nicht diktatorisch. Und so tun sie das, was Konservative am besten können: Sie schielen nach rechts. Jedes Mal, wenn sie einen Millimeter in Richtung Extremen rücken, wird die Mitte weiter nach rechts gezogen, bis es irgendwann keinen Unterschied mehr macht, ob man eine schwarze oder eine blaue Krawatte trägt. In Österreich wurde dieser Tanz mit der FPÖ perfektioniert: Seit 25 Jahren gibt es keine Berührungsängste mehr. Die ÖVP hat sich so tief ins ideologische Sumpfgebiet begeben, dass sie inzwischen die darin lebenden Krokodile füttert, anstatt sie zu fürchten.

Demokratie? Eine Frage der Interpretation

Demokratie war einmal ein Wert. Heute ist sie eine dehnbare Verhandlungsmasse. Wenn ein Kanzler sich mit einem Klubchef der extremen Rechten zum lockeren Plausch trifft, ist das dann schon ein Bruch demokratischer Grundwerte oder nur ein pragmatischer Austausch? Wenn Medien eingeschüchtert, Kritiker diffamiert und Minderheiten als „Problem“ deklariert werden – ist das noch Demokratie oder bereits deren Aushöhlung? Die Antwort darauf hängt davon ab, wen man fragt. Die einen sagen: „Ja, aber wir haben Wahlen!“ Die anderen entgegnen: „Und was, wenn diese Wahlen immer weiter manipuliert werden?“ Österreich hat sich an solche Fragen gewöhnt, in Deutschland fängt man gerade erst an, sie zu stellen.

Die Verrohung als Volkssport

Man sagt, dass ein Frosch, wenn man ihn in kaltes Wasser setzt und dieses langsam erhitzt, nicht merkt, dass er gekocht wird. Die europäischen Gesellschaften funktionieren nach demselben Prinzip. Man gewöhnt sich an Sprache, die gestern noch Tabu war. Man toleriert Hass, weil er nicht gegen einen selbst gerichtet ist. Und irgendwann, wenn man bemerkt, dass das Wasser verdächtig warm wird, ist es zu spät. Diese schleichende Normalisierung des Autoritären ist das, was Holocaust-Überlebende wie Eva Szepesi warnend in Erinnerung rufen. Die Shoah begann nicht mit Auschwitz, sondern mit Worten, mit Schweigen, mit Wegschauen. Und wenn wir eines aus der Geschichte gelernt haben sollten, dann das: Demokratie stirbt nicht plötzlich. Sie wird stückweise zerlegt, bis sie nur noch ein leerer Begriff ist, den niemand mehr ernst nimmt.

Schlussgedanken oder: Warum es (noch) nicht zu spät ist

Die gute Nachricht ist: Noch kann man sich entscheiden. Noch kann man sich empören, noch kann man protestieren, noch kann man Haltung zeigen. Aber es wird nicht einfacher werden. Wer schweigt, der gewöhnt sich. Wer sich gewöhnt, der akzeptiert. Und wer akzeptiert, der verliert am Ende alles. Die Frage ist also nicht, ob man sich aufregt, sondern wie lange man sich noch erlaubt, nicht zu resignieren.

Safespaces – Die Wärmestube der Woken

Die Revolution im Kuschelbett

Einst war die Welt ein kalter, harter Ort, bevölkert von Menschen mit Meinungen, die in ihrer ungebändigten Wildheit die zarten Seelen der Zukunftsgewaltigen verwundeten. Doch siehe da: Eine neue Bastion des Schutzes erhob sich über das Trümmerfeld der toxischen Freiheit – der Safespace. Ein Refugium für die Empfindsamen, die aus der rohen Realität eine sanft gepolsterte Gedankenlandschaft zimmerten, in der jede Dissonanz mit sanftem „Du bist gesehen und gehört“-Flüstern übersponnen wurde.

Die alte Welt mag brutale Kriege, Hungersnöte und Pestepidemien gekannt haben, doch all das verblasst vor der einzig wahren Katastrophe unserer Zeit: Der verbalen Mikroaggression. Und so ward der Safespace geboren, das Epizentrum der gefühlten Verletzung und institutionell verordneten Behaglichkeit.

Die Anatomie des Safespaces: Von Knautschzonen und Triggerwarnungen

Was unterscheidet den Safespace von gewöhnlichen Orten der Ruhe? Es ist der unbedingte Glaube, dass nicht äußere Gefahren, sondern Gedanken, Worte, Konzepte die eigentliche Bedrohung darstellen. Hier existiert keine Realität, die nicht durch das Prisma der subjektiven Befindlichkeit gefiltert wurde.

  • Triggerwarnungen als architektonisches Fundament: Jede noch so banale Diskussion wird mit einer Liste potenzieller Risiken versehen. Man könnte ja versehentlich an etwas erinnert werden, das das fragile psychische Gleichgewicht aus der Balance bringt.
  • Die Wärmestube der emotionalen Unversehrtheit: Die gefühlte Realität zählt mehr als Fakten, weshalb unliebsame Debatten bereits im Keim erstickt werden – aus Liebe natürlich.
  • Die Heilige Inquisition der Wortwahl: Ein falsches Wort, ein ironisches Augenzwinkern zur falschen Zeit – und schon stürzen sich die Moral-Hallunken auf das ketzerische Subjekt, das es wagte, die geschützte Werkstatt der Tugendhaften zu verunreinigen.

Kurzum: Der Safespace ist die infantile Nachbildung einer Welt ohne Reibung, ein vorauseilender Gehorsam gegenüber der Empfindlichkeit als höchstem Gut.

Der Opferstatus als Statussymbol

Im Safespace regiert keine Leistung, kein Wissen, kein Charakter – hier regiert das Leid als Währung der gesellschaftlichen Hierarchie. Je mehr erlittene Diskriminierung (real oder retrospektiv rekonstruiert), desto mehr moralische Autorität. Man ist nicht mehr, was man kann, sondern was einem widerfahren ist – oder was man sich zurechtlegt, um in der Opferpyramide aufzusteigen.

  • Wer noch keinen Grund zur Klage hat, muss kreativ werden: Mikroaggressionen, strukturelle Gewalt oder „toxische Atmosphäre“ helfen, sich auf der Klageleiter emporzuhangeln.
  • Der weiß-männliche Cis-Mensch ist der natürliche Feind – es sei denn, er huldigt als zerknirschter Bußprediger der neuen Religion der gekränkten Sensibilität.
  • Diskurs? Fehlanzeige. Argumentation? Ein Relikt toxischer Rhetorik. Wer sich verteidigt, klagt sich an.

Die Perversion der Progressivität

Einst war Progressivität ein Synonym für Kritik, Debatte, Tabubruch. Heute? Ein verkniffenes Regelwerk zur Vermeidung jeglicher seelischen Dissonanz. Es ist die Revolution der Mimose, der Umsturz durch das Tempolimit der Zumutbarkeit.

Und das Tragische: Die woken Wärmestuben sind nicht bloß ein Ort der Defensive, sondern ein Laboratorium der neuen Macht. Was im behüteten Elfenbeinturm der Universität begann, sickert durch die Institutionen und frisst sich wie ein pilzartiger Befall in Kultur, Wissenschaft und Medien.

  • Die Comedy? Tot. Ironie? Gefährlich.
  • Die Literatur? Ein Minenfeld aus Triggerwarnungen.
  • Der Diskurs? Eine Tribunal-Sitzung mit vorab festgelegtem Urteil.

Der Safespace ist kein Refugium der Schwachen – er ist die neue Machtbasis einer Generation, die keine Feinde duldet, sondern nur Verbündete oder zu Auszumerzende kennt.

Das Ende der Reibung, der Beginn der Starre

Eine Gesellschaft, die sich in Safespaces verkriecht, mag sich sicher fühlen. Doch Sicherheit ist nicht Freiheit. Und die woken Wärmestuben werden irgendwann zu sterilen Leichenschauhäusern des Denkens – ein Ort, wo keine Idee mehr reiben darf, weil jeder Funke potenziell ein Brand ist.

Die Frage bleibt: Wer löscht zuerst das Licht?

AUCH BELGIEN GEHT AN RECHTS

Belgien also. Auch Belgien. Das kleine, komplizierte, föderale, dreigeteilte Belgien, das Land, das politisch stets ein Gleichgewichtskünstler auf dem Hochseil europäischer Befindlichkeiten war. Nun kippt es. Nicht mit einem großen Knall, nicht mit der revolutionären Geste eines wütenden Wahlvolks, sondern mit der schweigsamen Konsequenz einer schleichenden Erosion. Es rückt nach rechts, gemessen und bedacht, wie ein Kellner, der in einem Brüsseler Café einem deutschen Touristen mit verständnislosem Blick doch noch ein Bier ohne Schaum serviert.

Und da steht er nun, Bart De Wever, der ewige Erklärer, der Mann mit der Haltung eines Lateinlehrers auf Speed, der Intellektuelle unter den Nationalisten, der mit seiner N-VA eine Koalition schmiedet, die bereits in ihrem Namen klingt, als wäre sie in einem texanischen Waffengeschäft ausgedacht worden: die Arizona-Koalition. Man kann sich das bildlich vorstellen – knallende Peitschenhiebe auf die politische Kutsche, Staub wirbelt auf, und am Horizont verschwindet die alte belgische Konsensdemokratie wie ein verängstigtes Kaninchen.

Von der belgischen Lösung zur belgischen Abwicklung

Wer Belgien kennt, weiß: Dieses Land hat ein beinahe unnatürliches Talent, sich nicht entscheiden zu müssen. Flamen gegen Wallonen? Kompliziert. Brüssel dazwischen? Noch komplizierter. Regierungen bilden? Oh bitte, warum so eilig – das Land lief ja auch 541 Tage ohne! Belgien ist die Schweiz der Unentschlossenen, ein Land, das mit seiner institutionellen Verwirrung sämtliche Probleme so lange einhegt, bis sie keiner mehr versteht.

Doch diesmal, diesmal haben sie sich entschieden. Oder richtiger: Die Flamen haben entschieden. Die Wallonen dürfen bestenfalls mitspielen, so, als würde man ihnen erlauben, an einer exquisiten flämischen Käseverkostung teilzunehmen, aber bitte ohne eigene Wünsche. Und wer sitzt am Tisch? Die Sozialisten (halbherzig), die Liberalen (verzweifelt) und die Konservativen (begeistert). Das Ziel? Eine Regierung, die nicht unbedingt rechtsextrem ist, aber doch deutlich nach rechts neigt – wie ein alter, durchgesessener Sessel, der irgendwann einfach umfällt.

Der Herr der Ringe – äh, der flämischen Sezession

Bart De Wever, das muss man wissen, ist nicht nur Politiker, sondern auch Historiker. Ein Mann, der die Geschichte so liest, wie ein Bäcker sein eigenes Brot lobt: mit Stolz auf das eigene Handwerk und einer gehörigen Portion Verklärung. Seit Jahrzehnten erklärt er Belgien für überflüssig, ein historisches Missverständnis, ein Land, das nur existiert, weil die Großmächte 1830 gerade nichts Besseres zu tun hatten. Dass er jetzt als Premierminister genau dieses Landes auf dem Thron sitzt, ist eine Ironie, die nicht einmal ein belgischer Comiczeichner besser hinbekommen hätte.

Und während er regiert, schwebt die große Frage über allem: Wird Belgien diese Legislatur überleben? Oder ist dies der Anfang vom Ende, die schrittweise Umsetzung des flämischen Traums von Unabhängigkeit? De Wever wird sich hüten, das offen zu sagen – noch nicht. Aber es wird eine Regierung sein, die Belgien nicht weiter zusammenfügt, sondern es in seiner stillen Zersetzung verwaltet.

Rechtspopulismus light – aber bitte ohne Vlaams Belang

Natürlich, Vlaams Belang, die offen rechtsextreme Partei, bleibt draußen. Man hält sich an die alte Regel: Man regiert nicht mit dem Teufel. Stattdessen baut De Wever eine respektable Rechte auf, eine Art politischer Gin Tonic – hart genug, um zu wirken, aber verdünnt genug, um noch als zivilisiert zu gelten. Migration wird verschärft, Sozialpolitik zurückgefahren, das traditionelle Flandern gepriesen – all das mit der feinen Ironie, dass Belgien selbst eine historisch gewachsene Multikulti-Konstruktion ist.

Die Wallonen, ohnehin in der politischen Defensive, werden sich in dieser Koalition fühlen wie Gäste auf einer Party, auf der sie niemand kennt, während der Gastgeber bereits die Musik nach seinem Geschmack umgestellt hat. Und Brüssel? Ach, Brüssel ist ohnehin ein eigener Kosmos, eine Stadt, die europäischer ist als belgisch, und die Belgier ohnehin schon immer ein wenig irritiert hat.

Die letzte Runde läuft

Belgien bekommt also seine erste rechts dominierte Regierung. Nicht die radikale, brutale Variante, sondern die intellektuell verpackte, salonfähige Version. De Wever spielt Schach, nicht Rugby. Aber der Weg ist klar: Die politische Landschaft hat sich verschoben, das alte belgische Modell der ewigen Kompromisse ist angezählt. Die Frage ist nicht, ob Belgien weiter existiert, sondern wie lange es das noch tut.

Am Ende bleibt vielleicht nur eine Erkenntnis: Dieses kleine, seltsam vertrackte Land, das sich über Jahrzehnte gegen jede Form von Eindeutigkeit gewehrt hat, ist nun doch auf eine klare Richtung festgelegt worden. Und die zeigt – ob man es mag oder nicht – nach rechts.

Warum Friedrich Merz zehnmal gefährlicher ist als Herbert Kickl

Der Wolf und der Wolf im Schafspelz

Man mag sich ja über vieles streiten, etwa darüber, ob Spinat wirklich Eisen enthält, ob der FC Bayern jemals wieder Sympathien gewinnen wird oder ob man in Deutschland einen funktionierenden Flughafen bauen kann. Doch in einer Sache gibt es keine zwei Meinungen: Die politische Landschaft ist ein Panoptikum des Grotesken, eine Theaterbühne, auf der sich die Figuren mit einer Mischung aus Tragik und unfreiwilliger Komik in Szene setzen. Und wenn man nach echten, handfesten Bedrohungen für Demokratie, sozialen Frieden und politische Vernunft sucht, dann wäre es ein naheliegender Fehler, sich allein auf die lautesten Schreihälse zu konzentrieren.

Ja, Herbert Kickl, der österreichische blaue Apokalyptiker, gibt sich mit Inbrunst als nationalistischer Alarmist, ein rechter Provokateur, der mit kaltem Kalkül den Wutbürgern nach dem Mund redet. Seine Mittel? Grobe Vereinfachungen, martialische Rhetorik und eine ausgeprägte Abneigung gegen alles, was irgendwie nach Rationalität riecht.

Doch Friedrich Merz, der schwarzkonservative Donnergott aus dem Sauerland, ist gefährlicher. Viel gefährlicher. Zehnmal gefährlicher. Denn während Kickl für den politischen Extremismus steht, der sich in schäumender Wut selbst entlarvt, ist Merz die schleichende Gefahr: ein Vertreter der gut getarnten, elitären Arroganz, der neoliberalen Zerstörungswut und der bieder-maskierten Reaktion. Kickl ist ein Randalierer im vollen Licht der Öffentlichkeit, Merz jedoch ein Nachtarbeiter mit dem Skalpell. Die einen fürchten die Kettensäge, doch der eigentliche Killer ist der Chirurg, der mit ruhiger Hand das soziale Netz seziert.

Kickl – Der Berserker des Boulevards

Lassen wir uns von der Lautstärke nicht täuschen: Kickl ist ein Kind der populistischen Grobschlächtigkeit, eine Art politischer Berserker, der sich an Wut und Angst weidet. Sein Repertoire? Die altbekannten Methoden des rechten Populismus: Migration als Allzweckproblem, „die da oben“ als Feindbild, autoritäre Law-and-Order-Fantasien, die selbst Orban ins Staunen versetzen würden.

Seine Angriffe gegen die Demokratie sind plump und durchschaubar. Ein Vorschlag wie „Asylstopp“? Klar. Polizeistaat? Selbstverständlich. Medien als Feinde? Unbedingt! Und weil er so offensichtlich mit dem Holzhammer arbeitet, bleibt ihm eine natürliche Grenze gesetzt: Er ist leicht zu entlarven. Sein Programm ist ein giftiger Cocktail, aber man erkennt sofort den Totenkopf auf der Flasche.

Zudem bleibt Kickl ein Mann, der von seinen eigenen Extremen begrenzt wird. Er kann nie Kanzler werden, weil er zu viel Angst verbreitet, zu sehr nach reaktionärem Sektierertum riecht. Sein Brandstiftertum bleibt in der Ecke, in der sich auch andere europäische Rechtspopulisten einrichten mussten: groß genug, um zu nerven, aber zu toxisch für den echten Machtzugriff.

Merz – Der Neoliberale mit dem Florett

Und hier kommt Friedrich Merz ins Spiel – eine völlig andere Bedrohung. Sein Auftreten? Wohlerzogen, distinguiert, aufgeräumt. Ein Anzugträger von altem Schrot und Korn, dessen Habitus das perfekte Gegenteil des aufgebrachten Kickl ist. Er schreit nicht, er argumentiert. Er pöbelt nicht, er formuliert präzise. Er gibt sich nicht plump, sondern kultiviert. Und genau das macht ihn so gefährlich.

Denn hinter der bürgerlichen Fassade steckt eine eiskalte Agenda: eine Mischung aus marktradikalem Sozialabbau, konservativem Rollback und einer Politik, die in den 1980er Jahren schon fragwürdig war und heute eine Zumutung ist. Während Kickl offene Revolte gegen „die Eliten“ predigt, ist Merz selbst die Elite – aber eine, die mit einem Lächeln den Sozialstaat seziert und es als „Wettbewerbsfähigkeit“ verkauft.

Sein Blick auf die Gesellschaft ist geprägt von einem tiefen Misstrauen gegenüber allem, was nach Gleichheit riecht. Die Idee, dass ein Staat existiert, um Menschen zu helfen? Für Merz eine linke Spinnerei. Der Hartz-IV-Empfänger? Sollte mal lieber Aktien kaufen. Der Niedriglohnarbeiter? Hat sich wohl nicht genug angestrengt. Frauenquote? Ein sozialistischer Angriff auf die natürliche Ordnung.

Er ist das personifizierte Feigenblatt für alle, die sich nach einem Deutschland sehnen, in dem „Leistung“ wieder zählt – wobei „Leistung“ hier bedeutet: Wer oben ist, soll oben bleiben, und wer unten ist, soll endlich aufhören zu jammern. So viel Sozialdarwinismus war zuletzt en vogue, als Margaret Thatcher sich noch mit Ronald Reagan zum Tee traf.

Warum Merz zehnmal gefährlicher ist

Kickl ist der grobe Klotz, Merz die scharfe Klinge. Er destabilisiert nicht mit Krawall, sondern mit kühler Konsequenz. Seine politische Vision ist keine Dystopie voller Fackelzüge, sondern eine durchökonomisierte Gesellschaft, in der die Schwachen bestenfalls noch als bedauernswerte Fußnote existieren.

Und vor allem: Während Kickl im eng begrenzten Rahmen eines Nationalisten zündelt, ist Merz Teil eines globalen Netzwerks. Er ist nicht einfach nur ein Rechtspopulist, sondern ein Agent des Finanzkapitals, ein Türöffner für jene, die den Staat als Beute betrachten. Seine Politik hat nicht das Ziel, Wutbürger auf die Straßen zu bringen – sondern leise, unaufgeregt und mit exzellenter Rhetorik ein System zu errichten, in dem nur noch die Starken überleben.

Merz kann Kanzler werden. Und genau das ist das Problem.

Das leise Gift des Merzismus

Herbert Kickl ist ein Brandstifter, der mit brennender Fackel durch die Straßen rennt. Friedrich Merz ist ein Ingenieur, der ein System baut, in dem die Flammen gar nicht erst auffallen, weil sie im Verborgenen lodern. Kickl kann laut schreien, aber er bleibt eine Nischenfigur. Merz dagegen hat die realistische Möglichkeit, die Grundpfeiler einer sozialen Demokratie so zu verschieben, dass wir eines Tages aufwachen und feststellen: Es gibt keine mehr.

Die Bedrohung der Demokratie kommt manchmal nicht im martialischen Lederjacken-Stil daher. Manchmal trägt sie einen Maßanzug und spricht in höflichem Tonfall. Und genau das ist die wahre Gefahr.

Von der Paketzustellung zur Klassenverratspraxis

Es war einmal eine Paketbotin. Ihre Tage waren lang, ihre Knochen müde, ihr Lohn karg, ihr Scanner unnachgiebig. Sie hastete von Tür zu Tür, stets gehetzt, stets kontrolliert, stets das nächste Lieferfenster im Nacken. Sie war eine von vielen, ein Rädchen in einem Getriebe, das Amazon, DHL und Co. zum Glänzen brachte. Sie kannte die Abgründe prekärer Arbeit, sie verstand die Demütigungen, sie spürte am eigenen Leib, wie sich jede Zustellung wie ein weiterer Tropfen im Fass der Ausbeutung anfühlte.

Und dann, eines Tages, geschah das Wunder. Sie stieg auf. Nein, nicht durch Lohnerhöhung, nicht durch faire Arbeitszeiten, nicht durch gewerkschaftlichen Kampf. Sondern durch ein Mandat, ein Amt, einen Titel. Sie wurde Vorsitzende einer Arbeiterpartei. Eine Arbeiterpartei, die sich anschickte, für genau die Menschen einzutreten, deren Leidensweg sie so gut kannte.

Und plötzlich war alles anders.

Vom Lieferstress zur Lounge

40.000 Euro im Monat. Das ist kein Gehalt mehr, das ist eine Weltanschauung. Man gewöhnt sich schneller daran, als man denkt. An den Fahrdienst. An das unaufdringlich klimatisierte Büro. An das Privileg, nicht mehr an der Haltestelle zu stehen, während einem der Bus vor der Nase wegfährt, weil der Fahrer den Zeitplan einzuhalten hat. Nein, jetzt ist man der Fahrplan. Man diktiert ihn.

Und mit dem neuen Kontostand kommt die neue Perspektive. Plötzlich erscheinen die Streikenden irrational. Die Lohnerhöhungsforderungen maßlos. Der Sozialstaat überzüchtet. „Geht’s uns nicht allen gut?“ fragt sie in die Kameras. „Wir leben doch in einem der reichsten Länder der Welt.“

Dass „uns“ eine dehnbare Vokabel ist, fällt ihr nicht mehr auf.

Die Schönheit des Systems erkennen

Arbeiterpolitik ist anstrengend. Sie erfordert Konfrontation, Widerstand, den Willen, sich unbeliebt zu machen. Aber mit 40.000 Euro im Monat steigt der Bedarf nach Harmonie. Nach guten Beziehungen. Nach strategischen Bündnissen.

Und so geschieht es, dass die ehemalige Paketbotin nun auf Empfängen Champagnergläser schwenkt, während sie in Mikrofone sagt, dass „die Wirtschaft mit ins Boot geholt werden muss“. Dass „der Wandel nur gemeinsam mit der Industrie“ funktioniert. Dass „wir nicht in Klassenkampf-Rhetorik verfallen dürfen“.

Und siehe da: Die Talkshow-Einladungen häufen sich. Die Kolumnen in großen Zeitungen loben ihre „pragmatische Haltung“. Lobbyisten lächeln ihr wohlwollend zu. Und als sich in einer internen Sitzung die Frage stellt, ob man für die geforderten 12% mehr Lohn in der Logistikbranche eintreten solle, fällt ihr Blick unwillkürlich auf die Einladung zum nächsten exklusiven Forum.

Sie zögert einen Moment. Dann sagt sie: „Wir müssen realistisch bleiben.“

Ein Raunen geht durch den Raum. Der Generalsekretär nickt. Die Investoren atmen auf.

„Supsi“ – Eine Weltanschauung in drei Silben

„Supsi“ ist ihr neues Lieblingswort. Alles ist „supsi“. Der Mindestlohn? Supsi. Die Inflation? Supsi. Die Renten? Supsi. Die Wohnungskrise? Supsi. Die Streiks? Na ja, nicht ganz so supsi, aber wenn sie vorbei sind, dann bestimmt.

„Wir müssen positiv bleiben“, sagt sie dann.

Und wer nicht positiv bleibt, wer es wagt, die Kluft zwischen ihrem Gehalt und den Almosen eines Paketboten zu thematisieren, ist eben ein Querulant. Ein Ewiggestriger. Ein Neider.

So dreht sich das Rad. Die Paketbotin, die einst gegen den Niedriglohn kämpfte, verteidigt ihn nun mit eloquenten Phrasen. Die Arbeiterpartei, die einst für den kleinen Mann kämpfte, findet sich auf einmal sehr verständnisvoll für die Zwänge der Wirtschaft. Und die Klasse, die einst vertreten werden sollte, steht weiterhin an den Haltestellen, schiebt die Pakete durch die Stadt, zählt jeden Cent, während sie in der Talkshow verkündet:

„Wir haben schon viel erreicht.“

Und alle nicken.

Denn es ist doch alles so supsi.

Goma – Tor zur Hölle

Es gibt Städte, deren Name für Hoffnung steht – Paris, die Stadt der Liebe; New York, die Stadt, die niemals schläft; Rom, die ewige Stadt. Und dann gibt es Goma. Goma, das unaufhörlich brennende, zerschundene, ausgeweidete Herz des Kongo. Eine Stadt, die nicht einmal der Hölle gleicht, sondern vielmehr der Eingangspforte zu einem Reich, in dem sich die Hölle längst eingenistet hat, komfortabel, routiniert, mit gut geölter Maschinerie der Grausamkeit. Denn Goma, das ist nicht nur eine Stadt. Goma ist ein Symbol. Ein Menetekel. Ein Fanal für die unendliche Tragödie Zentralafrikas.

Nun also wieder Goma. Wieder marschieren die Rebellen der M23 auf die Stadt zu. Wieder fliehen Zehntausende. Wieder geraten UN-Blauhelme in die unangenehme Lage, Zeugen, aber nicht Beschützer zu sein. Wieder sind die internationalen Zeitungen voll von den üblichen Sätzen, die eine Mischung aus betretenem Achselzucken und semantischer Bankrotterklärung darstellen: „Die Lage ist kompliziert.“ – „Ein vielschichtiger Konflikt.“ – „Historische Wurzeln, schwer aufzulösen.“ Oder – mein persönlicher Favorit – die ultimative diplomatische Bankrotterklärung: „Wir rufen alle Seiten zur Zurückhaltung auf.“

Man könnte lachen, wenn es nicht so bitter wäre. Seit Jahrzehnten zieht sich dieser Krieg dahin, immer mit neuen Namen, neuen Akteuren, neuen Vorwänden – aber stets mit dem gleichen blutdurchtränkten Drehbuch. Der Krieg im Kongo ist nicht einfach nur ein Bürgerkrieg. Er ist ein organisiertes Desaster, ein perfektioniertes System aus Massaker, Bereicherung und heuchlerischer Anteilnahme. Er ist kein Chaos, sondern ein Geschäftsmodell.

Der große Rohstoff-Raubzug

Man kann den Krieg in der Demokratischen Republik Kongo nicht verstehen, wenn man nicht versteht, dass es dabei nie um Ideologie ging. Nicht um Volksgruppen, nicht um Religion, nicht um historische Kränkungen. All das sind nur hübsche Narrative für westliche Diplomaten und ihre Scheinbesorgnis-Seminare. Nein, im Kern geht es um etwas viel Einfacheres: um Bodenschätze. Um Coltan, Kobalt, Gold, Kupfer, Lithium. Die Schätze des Kongo sind ein Fluch. Wer sie besitzt, besitzt Macht – aber keine Sicherheit.

Die M23, jene schattenhafte Rebellenmiliz, die mal als Freiheitskämpfer, mal als terroristische Plage tituliert wird (je nachdem, wen man fragt), ist nichts anderes als ein weiteres Instrument in diesem ewigen Raubzug. Man munkelt – und wer in Goma lebt, weiß, dass solche „Gerüchte“ oft mehr mit Realität zu tun haben als offizielle Presseerklärungen – dass der große Nachbar Ruanda kräftig seine Hände im Spiel hat. Warum auch nicht? In Kigali weiß man, dass sich die Reichtümer des Kongo viel leichter plündern lassen, wenn man dort ein permanentes Chaos aufrechterhält.

Und während in Brüssel und Washington verlegen an der diplomatischen Krawatte gezupft wird, machen die globalen Konzerne, von denen unser geliebtes westliches Leben so abhängig ist, was sie immer tun: Sie sichern ihre Lieferketten. Denn Coltan, jenes magische Erz, ohne das kein Smartphone funktioniert, fällt nicht einfach vom Himmel. Es wird unter unmenschlichen Bedingungen aus kongolesischer Erde gegraben – oft von Kindern, fast immer unter der Kontrolle von Bewaffneten. Aber keine Sorge, die internationalen Tech-Giganten versichern uns, dass sie alles tun, um „nachhaltige und ethische Rohstoffquellen“ zu garantieren. In etwa so, wie die Mafia sich verpflichtet, nur fair gehandelten Schutzgeld-Erpressungen nachzugehen.

UN-Blauhelme: Hilflose Riesen in einem Minenfeld der Zyniker

Die UN ist in Goma so präsent wie machtlos. Ihre Truppen, MONUSCO genannt, stehen dort seit Jahren herum, eine Art teure Dekoration aus gepanzerten Fahrzeugen und hilfloser Rhetorik. Blauhelme – eine ironische Farbwahl, denn während sie den Frieden symbolisieren sollen, stehen sie oft nur da und beobachten, wie der Krieg sich ungerührt weiter entfaltet.

Es wäre zu einfach, den Soldaten selbst die Schuld zu geben. Die meisten von ihnen sind nicht nur unterbezahlt, sondern auch völlig unterausgerüstet für die Brutalität, mit der die M23 und andere Gruppen operieren. Es ist das Mandat der UN, das sie lähmt – ein Mandat, das so widersprüchlich ist, dass es mehr einem diplomatischen Sudoku als einer ernsthaften Friedensmission gleicht.

Manchmal schießen sie. Manchmal nicht. Manchmal retten sie Zivilisten, manchmal können sie nichts tun. Und immer wieder kommt dann die Frage: Warum sind sie überhaupt hier? Die bittere Antwort lautet: Weil es die Weltöffentlichkeit beruhigt. Ein paar Blauhelme in Goma geben uns das Gefühl, „etwas zu tun“. Sie sind das geopolitische Äquivalent eines Feigenblatts.

Die große westliche Heuchelei

Während die Kämpfe in Goma eskalieren, verurteilen westliche Politiker den „inakzeptablen Gewaltausbruch“ – als ob Gewalt in dieser Region je anders als „akzeptiert“ gewesen wäre. Man verspricht Hilfen, spendet ein paar Millionen für humanitäre Einsätze, rügt Ruanda halbherzig und geht dann zur Tagesordnung über.

Die wahren Profiteure des Chaos bleiben unbenannt. Die großen Minenunternehmen, die Zwischenhändler, die undurchsichtigen Netzwerke von Geschäftsmännern, die das kongolesische Blut in saubere Bankkonten umwandeln. Niemand stellt die unangenehme Frage, warum Kobalt aus dubiosen Quellen weiterhin in unsere Elektroautos fließt. Niemand will genau wissen, wie die Rohstoffe für unsere glänzenden Smartphones und Laptops beschafft wurden. Es wäre zu unbequem.

Goma brennt – und die Welt schaut zu

Und so bleibt Goma, was es immer war: Eine Stadt am Rande der Apokalypse. Eine Bühne für ein Drama, dessen Drehbuch seit Jahrzehnten unverändert ist. Eine Pforte zur Hölle, durch die jede Generation von Kriegsherren, Rebellen und Söldnern marschiert, ohne dass sich jemals etwas grundlegend ändert.

Vielleicht, wenn das nächste Mal ein westlicher Politiker betroffen dreinschaut und von „der Komplexität des Konflikts“ spricht, sollte man ihn fragen: Ist es wirklich so komplex? Oder ist es einfach nur bequem, wegzusehen?

Bis dahin bleibt Goma, was es immer war: Ein Ort, an dem das Blut der Unschuldigen billig ist – und die Rohstoffe teuer.

Von der Freiheit der richtigen Meinung

Die große, wohltemperierte Meinungsfreiheit – einst ein glänzendes Versprechen der Aufklärung – ist heute eine Art Dompteur, der mit knallender Peitsche dafür sorgt, dass das Raubtier namens „öffentliche Debatte“ nicht allzu unkontrolliert aus dem Käfig springt. Es darf brüllen, es darf mit den Zähnen fletschen, doch wehe, es reißt sich los! Dann rücken die Wärter mit den Betäubungspfeilen an, sedieren die Unruhestifter und verfrachten sie in den ideologischen Hochsicherheitstrakt der gesellschaftlichen Ächtung.

Und wer sich in diesen Kerkern der Korrektheit wiederfindet, der hat eines getan: Er hat das Unaussprechliche gesagt. Er hat es gewagt, den heiligen Gral des sozialen Konsens zu entweihen, indem er sich als rechts outete. Rechts! Dieses Wort, schwer wie Blei, klebt sich an den Delinquenten wie eine infektiöse Krankheit, die in der Welt der moralisch Gerechten als unheilbar gilt. Wer es einmal hat, wird es nicht wieder los – und so beginnt der soziale Tod, ein stilles, aber unerbittliches Dahinsiechen im Exil der Unberührbaren.

Die Ansteckung durch das falsche Denken

Es beginnt oft mit einer Lappalie. Man äußert Zweifel an den Weisheiten der neuen Götzen, wagt es, an der Inbrunst der moralischen Erweckungskultur zu rütteln, stellt eine Frage, die eigentlich nicht mehr gestellt werden darf. Ist der Staat wirklich allwissend, wenn er das Klima retten will? Ist es möglich, dass Migration nicht ausschließlich ein unvergleichlicher Gewinn ist? Hat vielleicht nicht jeder, der sich kritisch äußert, automatisch einen Aluhut auf?

Solche Gedanken sind nicht per se verboten. Doch sie sind gefährlich. Wie ein Virus breiten sie sich aus, springen über von einem Zweifelnden auf den nächsten – bis die Seuche sich unkontrolliert ausbreitet. Und in einer Welt, in der Hygiene über alles geht, müssen die Infizierten isoliert werden. Nicht aus Bosheit, nein, sondern aus Verantwortung! Die Gesellschaft ist wie ein steriles Labor, in dem falsche Gedanken sofort erkannt, markiert und vernichtet werden müssen, damit sie nicht die empfindlichen Strukturen des Fortschritts kontaminieren.

Der erste Schritt: Distanzierung. Freunde ziehen sich zurück, Kollegen wahren Sicherheitsabstand, Einladungen bleiben aus. Der Infizierte ahnt, dass die ersten Symptome bereits sichtbar sind – und er wird unruhig.

Der zweite Schritt: Denunziation. Ein verärgerter Ex-Komplize, ein Twitter-Detektiv, ein Gesinnungspfarrer mit zu viel Freizeit wühlt in alten Posts, zieht die Archive durch, findet belastendes Material. Ein alter Witz? Ein ironisch gemeinter Kommentar? Eine unbedachte Zustimmung unter einem falschen Beitrag? Aha! Die Diagnose ist bestätigt: Der Patient ist rechts!

Der dritte Schritt: Ausschluss. Wer rechts ist, ist unberührbar. Jobs verschwinden, Netzwerke implodieren, Freundschaften zerbröseln. Man könnte ja verdächtigt werden, sich mit dem Falschen eingelassen zu haben. Und verdächtig zu sein, ist heutzutage schlimmer, als schuldig zu sein.

Rechts sein ist kein Ort, sondern ein Urteil

Doch was heißt eigentlich „rechts“? Früher, als Begriffe noch eine gewisse semantische Bodenhaftung hatten, meinte es so etwas wie: konservativ, wirtschaftsliberal, ordnungsliebend, traditionsbewusst. Heute bedeutet es: Nazi, Faschist, Menschenfeind. Der Begriff ist so elastisch geworden wie ein billiges Gummiband aus chinesischer Produktion, das so lange gedehnt wird, bis es reißt.

Wer heute für Meinungsfreiheit eintritt, ist rechts. Wer sich gegen cancel culture wehrt, ist rechts. Wer es wagt, eine Statistik zu zitieren, die nicht in den Zeitgeist passt, ist rechts. Wer sich für Grenzen ausspricht – sei es in der Geopolitik oder bei der Sprache –, ist rechts. Wer sich gegen den allgegenwärtigen Schuldkult wendet, ist rechts. Wer eine Impfpflicht kritisch sieht, ist rechts. Wer nicht mit dem Strom schwimmt, sondern stehen bleibt und fragt, wohin der Fluss überhaupt fließt, ist rechts.

Es spielt keine Rolle, ob man sich selbst als rechts sieht. Es spielt keine Rolle, ob man immer brav gewählt, brav gespendet, brav demonstriert hat – wenn die falsche Frage gestellt wurde, wird das Urteil gefällt. Der Angeklagte hat nicht das Recht auf Verteidigung, denn der Prozess findet nicht vor einem ordentlichen Gericht statt, sondern auf der großen öffentlichen Bühne des digitalen Tribunalismus. Das Urteil lautet immer gleich: sozialer Tod.

Der Friedhof der falschen Meinungen

Und so zieht der Verdammte von dannen, verbannt ins Exil der Meinungsverbrecher. Er begegnet anderen Todgeweihten, die alle dasselbe Lied singen: Einst waren sie Teil der Gesellschaft, doch dann – ein falsches Wort, eine falsche Geste, eine falsche Haltung.

Hier, im Schattenreich der Ausgestoßenen, treffen sich die Geächteten: der einstige Kabarettist, der nicht mehr über die richtigen Dinge lachte; der Professor, der eine unmoderne These wagte; der Journalist, der glaubte, seine Aufgabe sei es, zu berichten, nicht zu missionieren.

Und während die Welt draußen weiterzieht, immer entrückter, immer homogener in ihrer moralischen Selbstüberzeugung, wächst im Exil eine neue Spezies heran: Die Lebenden unter den Toten. Die, die gelernt haben, dass es Freiheit nur in der Verbannung gibt. Dass sie nun sagen können, was sie wollen, weil ihnen nichts mehr genommen werden kann. Und dass in diesem gesellschaftlichen Jenseits eine neue Gemeinschaft entsteht – eine Gemeinschaft derer, die das soziale Todesurteil überlebt haben.

Denn wer einmal gestorben ist, hat nichts mehr zu verlieren. Und das macht ihn gefährlich.

Ein Parlament ohne Parlamentarismus

Man stelle sich ein Parlament vor, das keine Gesetze verabschieden kann. Ein Parlament, dessen Beschlüsse eher gut gemeinte Wünsche als rechtlich bindende Akte sind. Ein Parlament, das sich für wichtig hält, aber in Wahrheit bestenfalls eine beratende Funktion innehat – ein demokratisches Feigenblatt, hinter dem die wahre Macht verborgen bleibt. Nein, die Rede ist nicht von den alten sowjetischen Scheinparlamenten, die brav die Direktiven des Politbüros abnickten. Die Rede ist vom Europäischen Parlament, einer Institution, die den Anschein von Demokratie wahrt, aber in ihrem Innersten eine groteske Karikatur dessen ist, was sie vorgibt zu sein.

Der große Bluff der „Gesetzgebung“: Wer erlässt hier eigentlich Gesetze?

Um das demokratische Defizit der Europäischen Union wirklich zu verstehen, muss man sich von einer liebgewonnenen Illusion verabschieden: Das EU-Parlament beschließt keine Gesetze. Jedenfalls nicht so, wie es Parlamente in demokratischen Staaten tun. In einem klassischen Parlament – sei es der Bundestag, die Assemblée nationale oder das House of Commons – erarbeiten gewählte Abgeordnete Gesetzesentwürfe, debattieren sie, ändern sie und verabschieden sie. Diese Gesetze treten in Kraft, sobald sie den parlamentarischen Prozess durchlaufen haben.

In der EU funktioniert das grundlegend anders: Die Europäische Kommission – eine nicht gewählte, bürokratische Exekutive, die sich als Hüterin der Verträge versteht, in Wirklichkeit aber ein supranationales Zentralkomitee darstellt – ist die einzige Institution, die Vorschläge für Gesetze einbringen kann. Das Parlament darf diese Vorschläge höchstens kommentieren, abändern oder ablehnen – doch selbst das geschieht oft unter den strengen Augen der Kommission und des Rates, die darauf achten, dass bloß nichts Gesetz wird, was der technokratischen Agenda widerspricht.

Noch schlimmer: Die eigentliche Macht über die Gesetzgebung liegt beim Ministerrat, einem Gremium, das aus Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten besteht – also aus nationalen Ministern, die nicht einmal direkt von den europäischen Bürgern gewählt wurden, sondern ihre Legitimation aus den nationalen Regierungen beziehen. Demokratische Kontrolle? Fehlanzeige! Die Minister beschließen über Rechtsakte, die dann von den Nationalstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen – oder auch nicht, je nach politischer Großwetterlage.

Eine Demokratie ohne Volk – oder wie die EU ihren Bürgern die Macht entzieht

Die EU rühmt sich ihrer demokratischen Werte, doch in Wahrheit hat sie sich längst von der Idee eines demokratischen Gemeinwesens verabschiedet. Demokratie basiert auf der Idee, dass diejenigen, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, auch die Möglichkeit haben müssen, diese Entscheidungen zu beeinflussen. In der EU jedoch ist der Einfluss des Wählers bestenfalls marginal.

Ja, die Bürger der EU dürfen alle fünf Jahre ein Parlament wählen. Aber was genau wählen sie da? Ein Gremium, das bestenfalls symbolische Macht besitzt. Ein Organ, das zwar lautstark debattieren, aber kaum echte Politik gestalten kann. Die wirklichen Entscheidungen fallen hinter verschlossenen Türen – in den Sitzungen der Kommission, des Ministerrats und der unzähligen Arbeitsgruppen und Lobbyrunden, in denen Industriekapitäne, Bürokraten und Technokraten die Zukunft Europas verhandeln.

Die Bürger können weder die Kommission direkt wählen noch haben sie einen echten Einfluss darauf, wer sie anführt. Ursula von der Leyen beispielsweise wurde nicht etwa durch eine demokratische Wahl legitimiert, sondern durch politische Mauschelei hinter den Kulissen. Wer die Geschicke Europas lenkt, wird nicht von den Menschen entschieden, sondern von einem elitären Zirkel aus Staats- und Regierungschefs, die unter sich ausmachen, wer das Sagen hat.

Die Mär vom Parlament als Hüter der Demokratie: Ein Papiertiger mit großem Ego

Natürlich wird das EU-Parlament nicht müde, sich als Kämpfer für Demokratie und Bürgerrechte zu inszenieren. Man verabschiedet Resolutionen, ruft lautstark nach Transparenz und betont immer wieder die eigene Bedeutung. Doch in Wahrheit ist das Parlament ein Papiertiger, der zwar gelegentlich die Zähne fletschen darf, aber niemals wirklich zubeißt.

Selbst wenn das Parlament einmal seine bescheidenen Mitspracherechte nutzt, bleibt die Frage: Wer hört überhaupt zu? Die Kommission kann sich bequem zurücklehnen und freundlich nicken – denn am Ende hat sie das Initiativrecht, und ohne sie geht gar nichts. Und wenn die Kommission oder der Ministerrat ein Gesetz unbedingt durchsetzen wollen, dann findet sich immer ein Weg. Die Abgeordneten können protestieren, Änderungsanträge einbringen, hitzige Reden schwingen – doch all das bleibt meist folgenlos.

Nicht zu vergessen die Fraktionsdisziplin und die undurchsichtigen Deals, die hinter den Kulissen laufen. Parteien, die in ihren Heimatländern erbitterte Gegner sind, schließen im EU-Parlament plötzlich Koalitionen der Bequemlichkeit. Hier geht es nicht um Ideale oder Prinzipien, sondern um Posten, Macht und Einfluss.

Die Schizophrenie der europäischen Gesetzgebung: Wenn Gesetze nur manchmal Gesetze sind

Ein weiteres Paradoxon der EU besteht darin, dass ihre Gesetze in Wahrheit oft keine Gesetze sind – zumindest nicht in einem klassischen Sinne. Die meisten rechtlichen Vorgaben der EU kommen in Form von Verordnungen und Richtlinien daher.

  • Verordnungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaten, ohne dass nationale Parlamente darüber abstimmen müssen. Sie sind das effektivste Werkzeug der EU, um Politik durchzusetzen – und sie entziehen sich weitgehend der Kontrolle der gewählten Volksvertreter.
  • Richtlinien hingegen müssen von den nationalen Parlamenten erst in nationales Recht umgesetzt werden. Doch hier kommt der Trick: Die EU setzt oft so enge Vorgaben, dass den nationalen Gesetzgebern kaum Spielraum bleibt. Wer sich widersetzt, riskiert Vertragsverletzungsverfahren oder milliardenschwere Sanktionen.

Das bedeutet, dass die EU Gesetze auf eine Weise erlässt, die demokratisch kaum kontrollierbar ist, aber trotzdem eine immense Wirkung entfaltet. Und wer sich diesem System nicht fügt, wird mit finanziellen Strafen oder politischem Druck zur Räson gebracht.

Fazit: Ein Parlament, das keines ist – eine Demokratie, die keine sein will

Das Europäische Parlament ist eine Institution, die vorgibt, demokratisch zu sein, es aber in Wahrheit nicht ist. Es ist ein Schauspiel, eine Fassade, ein Theater der Machtlosigkeit. Seine Debatten mögen spannend sein, seine Reden leidenschaftlich, seine Abgeordneten engagiert – doch all das bleibt folgenlos, wenn die eigentliche Macht in den Händen nicht gewählter Bürokraten und Hinterzimmer-Gremien liegt.

Die EU ist eine technokratische Herrschaftsform, die sich demokratisch gibt, aber in ihrem Kern alles tut, um demokratische Kontrolle zu unterlaufen. Wer glaubt, dass das EU-Parlament die Interessen der Bürger vertritt, der glaubt auch, dass ein Schachbrett entscheidet, welche Züge gespielt werden.

Solange sich dieses Machtgefüge nicht ändert, bleibt das EU-Parlament bestenfalls eine bessere Talkshow – ein Ort, an dem über die Zukunft Europas debattiert wird, während andere längst entschieden haben, wie sie aussieht.

Österreichs Weg in die Dritte Republik

„Es ist absurd, aber nicht minder gefährlich.“ Dieser Satz könnte als Untertitel für den politischen Zustand Österreichs im Jahr 2025 dienen. Die politische Landschaft, die sich vor unseren Augen entfaltet, gleicht einem grotesken Schattenspiel, in dem die Schatten nicht nur größer wirken, als sie sind, sondern gleichzeitig die Lichter auslöschen, die sie werfen. Dass wir uns dabei an einem Punkt der Geschichte befinden, an dem die Vergangenheit wie ein schlecht eingekapseltes Gas unter dem Deckel hervorquillt, ist beunruhigend – und doch zutiefst österreichisch. Kein Land versteht es besser, das Abgründige in eine seltsame Mischung aus Resignation und Singsang zu verpacken.

Herbert Kickl, der selbsternannte Retter des „kleinen Mannes“ und Verkörperung der blauen Märtyrergestalt, schreitet also voran – und die Republik steht daneben, beobachtet und murmelt etwas von „Demokratie“ und „Widerstand“, bevor sie wieder in ihre politische Lethargie verfällt. Ein Hauch von 1938, wie Kritiker warnen? Vielleicht nicht. Aber was, wenn der Marsch diesmal nicht mit dröhnenden Stiefeln, sondern mit leisen, wohlplatzierten Twitter-Posts und kalkulierten Shitstorms beginnt?

Von einer bürgerlichen Partei zur Komplizenvereinigung

Die eigentliche Tragödie in diesem Trauerspiel ist nicht die FPÖ selbst – nein, sie ist, wie sie immer war: polternd, hetzend, sich selbst feiernd. Die wahre Demütigung liegt in der Transformation der einst staatstragenden ÖVP. Eine Partei, die einst auf den Schultern von konservativen Werten und einer gewissen geistigen Eleganz stand, hat sich zu einem devoten Steigbügelhalter degradiert, der sich selbst aufzugeben bereit ist, nur um an der Macht zu bleiben. Die Rückgratlosigkeit, mit der die ÖVP ihre einstigen Prinzipien gegen das populistische Zepter eintauschte, gleicht einer moralischen Bankrotterklärung, die ihresgleichen sucht.

Ein politischer Suizid, verkleidet als strategischer Schachzug. Mit einem Lächeln wird erklärt, dass man ja nur zusammenarbeiten müsse, „um die Stimmen der Wähler zu respektieren“. Respekt vor der Demokratie? Kaum. Respekt vor den Umfragen? Absolut. Diese Partei, die einst staatsmännisch wirkte, ist jetzt die politische Version eines höflichen Bankräubers, der beim Plündern der Gesellschaft versichert, dass das alles „im besten Interesse“ sei.

Die Mitte – ein wackelndes Kartenhaus

Und was macht die sogenannte Mitte, während die FPÖ marschiert und die ÖVP kuscht? Sie steht da, hilflos, blass und ohne klare Botschaft. Es wäre fast komisch, wenn es nicht so tragisch wäre, dass 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler von Parteien vertreten werden, die in der Theorie alle Mittel in der Hand hätten, um eine Koalition der Vernunft zu schmieden – aber in der Praxis nicht einmal einen gemeinsamen Tweet zustande bringen.

Die Grünen? Mit sich selbst beschäftigt, zwischen ideologischen Grabenkämpfen und dem verzweifelten Versuch, in der Koalition mit der ÖVP nicht völlig zermahlen zu werden. Die SPÖ? In einer posttraumatischen Sinnkrise, aus der sie nur gelegentlich herausbricht, um einen halbherzigen Wahlkampf zu simulieren. Die Neos? Eine Randerscheinung, die mit vernünftigen Ansätzen kommt, aber daran scheitert, ihre Botschaften durch den Lärm der Populisten zu tragen.

Die größte Schwäche der Mitte ist ihre Unfähigkeit, klar zu machen, warum die FPÖ keine Lösung, sondern das Problem ist. Dass Migration kein Übel ist, sondern eine Herausforderung, die lösbar ist. Dass die ökonomische Krise nicht mit „zuerst die Österreicher“ bekämpft werden kann, sondern mit strukturellen Reformen, die Investitionen, Innovation und Inklusion fördern. Aber wer hört schon auf leise Stimmen, wenn die FPÖ mit markigen Parolen brüllt?

Die Wiederkehr des Dämonischen im Alltäglichen

Ein Hauch von März 1938 mag tatsächlich übertrieben sein, aber die Parallelen sind zu offensichtlich, um sie vollständig zu ignorieren. Es beginnt nicht mit Panzern, sondern mit Parolen. Nicht mit Gewalt auf den Straßen, sondern mit der Zersetzung der Sprache. Die FPÖ, wie ihre rechtsextremen Verbündeten in Europa, versteht es meisterhaft, die dunklen Instinkte der Gesellschaft zu wecken und sie in politisches Kapital zu verwandeln. Ihre Strategie basiert nicht auf Lösungen, sondern auf Spaltungen. Sie bieten keine Hoffnung, sondern Hass. Keine Brücken, sondern Barrikaden.

Und hier liegt die Gefahr: Der alltägliche Hass, die Normalisierung der Hetze, das Akzeptieren von Ausgrenzung als legitimes politisches Mittel. Das alles geschieht nicht mit einem Knall, sondern mit einem leisen Zischen, das wir erst bemerken, wenn es zu spät ist.

Ein Aufruf zur Aufklärung 2.0

Was wir jetzt brauchen, ist eine neue Aufklärung. Eine Bewegung, die den Mut hat, die Wahrheit auszusprechen, auch wenn sie unbequem ist. Die klar macht, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Verpflichtung ist. Die den Menschen zeigt, dass der einfache Weg oft der gefährlichste ist. Die FPÖ und ihre Verbündeten sind nicht die Lösung – sie sind die Symptome einer Gesellschaft, die vergessen hat, wie man zusammenhält.

Aber diese Aufklärung muss humorvoll, zynisch und intelligent sein. Sie muss den Finger in die Wunde legen, ohne moralinsauer zu wirken. Sie muss laut und bunt sein, ohne dabei den Respekt zu verlieren. Und sie muss eines klar machen: Dass es Hoffnung gibt, wenn wir bereit sind, dafür zu kämpfen.

Die Dritte Republik – ein Neustart oder eine Warnung?

Die Geschichte wird uns urteilen. Wird Österreich in eine Dritte Republik stolpern, die von den blauen Tönen des Populismus dominiert wird? Oder wird es aufwachen, sich erheben und die Dämonen seiner Vergangenheit und Gegenwart besiegen? Die Wahl liegt bei uns allen – und die Zeit läuft.

Keine Rettung in Sicht

Es war ein kalter, trüber Wintermorgen, als die ersten Trompetenstöße der Apokalypse durch das Land hallten – und als hätte sich der Schnee auf den grauen Dächern der Städte nur ein weiteres Mal in trübe, trostlose Massen verwandelt, so schwand die Erkenntnis, dass wir uns auf dem besten Weg in die politische Katastrophe befanden, wie ein verschrecktes Tier in den Wald. Wir stehen also vor einer Stunde der Wahrheit, der Stunde der politischen Mündung: Der Aufstieg der FPÖ – einer Partei, die nicht nur im Land, sondern auch in der politischen Landschaft Europas ihre hässliche Fratze längst enthüllt hat, doch die Bürger, diese ach so aufrechten Kritiker der Demokratie, verschließen erneut die Augen. Warum? Weil es einfacher ist. Einfacher, als sich der unbehaglichen Wahrheit zu stellen, dass die Demokratie eben keine Garantie für unangefochtene Freiheit und Wohlstand ist. In dieser Gesellschaft, die stets den bequemeren Weg wählt, wird jede noch so dringliche Warnung als „Übertreibung“ oder „Hysterie“ abgetan.

Die Alarmglocken des Verfalls – und es sind nicht nur die finsteren Rufe von intellektuellen Leuchttürmen, die den Untergang proklamieren – läuten seit Jahren. Doch wie der Dämmerungshimmel am frühen Morgen die Welt nur mit schwachem Licht beglitten hat, so verblassen diese Warnungen im trüben Licht der Medien und der öffentlichen Diskussion, die es geschickt vermögen, jede noch so ernste Gefahr in eine Karikatur der Vernunft umzuwandeln. Es gibt nichts zu fürchten, sagt der Populist, er habe nur die Stimme des Volkes im Blick, und damit die eines Teils der Bevölkerung, der – vor allem in dieser vom Selbsthass geprägten Zeit – nichts mehr fürchtet, als für seine naiven, unschuldigen und von der Politik betrogenen Vorfahren als dumm und desinteressiert hingestellt zu werden. Es ist die Einfachheit des „Volkes“ im Denken, die den politischen Diskurs mit der Schärfe eines Messers durchschneidet – oder besser gesagt, durchschneidet, ohne dass wir überhaupt bemerken, dass es uns die Kehle aufgeschlitzt hat.

Der Schwund der intellektuellen Rüstung

Da ist er also, der politische Wahnsinn, und wir alle fragen uns: Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort liegt tief verborgen in der Neigung der Gesellschaft, jede ernsthafte Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Problemen der Demokratie als Übertreibung abzutun. Es ist der Schwund der intellektuellen Rüstung, der uns in den politischen Schlamassel geführt hat. Die Gesellschaft ist zu bequem geworden, zu bequem, um sich den lästigen Fragen nach der politischen Verantwortung zu stellen, und damit die vorgefertigten Meinungen in den sozialen Medien zu hinterfragen. Und was dabei herauskommt? Ein immer weiter wachsender Nährboden für politische Manipulationen, in denen Populisten nicht etwa die Wahrheit, sondern die persönliche Wahrnehmung zur höchsten Instanz erheben.

Die FPÖ als solche ist nicht einfach nur eine Partei. Nein, sie ist ein Phänomen. Sie ist der Virus, den wir, stets sicher in unserem Wohlstand und der vermeintlichen Freiheit, über Jahrzehnte hinweg genährt haben. Sie ist der gefährliche, weil besonders geschickt getarnte Organismus, der nun die Zellen des politischen Systems durchdringt, mit dem Ziel, sich das System von innen heraus einzuverleiben. Es ist keine Frage mehr, ob die FPÖ die nächste Regierung führen wird – nein, es ist eine Frage des „Wann“. Die Frage „Woran erkennen wir den Moment?“ dürfte nur die jüngsten Verzweifler interessieren, die sich noch auf die fortbestehende Hoffnung eines unerwarteten, überraschenden Umschwungs berufen. Aber auch der „Umschwung“ – dieser nostalgische Gedanke an die Unmöglichkeit der politischen Katastrophe – wird sich als die größte Illusion der letzten Jahre herausstellen.

Der Fall der Vernunft

Es ist erstaunlich, wie die massenhaft verbreitete Dummheit den politischen Diskurs bestimmt und ihn von Grund auf verfälscht hat. So wird es für immer weniger Menschen zur Herausforderung, selbst zu erkennen, was es bedeutet, einen kritischen Standpunkt einzunehmen und sich gegen die Fälschungen der öffentlichen Debatte zu wehren. Der Fall der Vernunft, wenn wir es so nennen wollen, ist zugleich ein Triumph der Simplifizierung. Wer heute eine qualifizierte Meinung äußert, der wird schnell als „elitär“ und abgehoben abgestempelt. Wer differenziert und hinterfragt, der trägt ein Etikett, das mit dem Stempel der „Hochmütigkeit“ versehen ist. Und genau diese Angst vor der Differenz und vor der Infragestellung führt dazu, dass eine breite Schicht der Bevölkerung auf einfache Antworten zurückgreift, die das populistische Angebot zu bieten hat. Ein Angebot, das nicht nur unreflektiert ist, sondern auch noch die moralische Integrität der Gesellschaft in Mitleidenschaft zieht.

Die FPÖ als Vertreterin dieser simplifizierten, einheitlichen Antwort auf komplexe politische Fragen hat einen bemerkenswerten Erfolg darin erzielt, die Widersprüche der Gesellschaft zu spiegeln. So präsentiert sie sich nicht nur als „Gegner des Systems“, sondern auch als Verfechter einer vermeintlichen „Einheit“ und „Reinheit“, die die Verhältnisse der Gesellschaft von innen heraus aufräumen wird. Ein Versprechen, das in der politischen Geschichte stets verführerisch und zugleich katastrophal war. Doch die Masse nimmt das Angebot an, nicht als Lösung für konkrete Probleme, sondern als Bekundung einer kollektiven Wut, die niemand so wirklich zu bändigen weiß.

Der Drang nach Entschuldigung: Politik als Selbstaufgabe

Der wahre Zynismus des Aufstiegs der FPÖ liegt nicht nur in der unaufhaltsamen Zerstörung der politischen Vernunft, sondern vor allem in der Tatsache, dass diese Partei ein Spektakel der Selbstaufgabe inszeniert. Sie nutzt die Ängste und Unsicherheiten der Menschen aus, um eine politische Szene zu schaffen, die keinerlei echte Lösungen bietet, sondern lediglich dem Wunsch nach Vereinfachung und Entschuldigung nachgibt. Was ist es anderes als eine politische Selbstaufgabe, wenn die Antworten auf die Fragen der Gegenwart so gefährlich und leer sind? Wenn man Menschen mit der „Rückkehr zu den guten alten Zeiten“ tröstet, anstatt sie auf die Risiken der Zukunft vorzubereiten?

Und so läuft die Maschinerie weiter, und der unerbittliche Sog der simplen Antworten zieht uns immer weiter in die Tiefe der Verzweiflung. Und dann, eines Tages – vielleicht, wenn es schon zu spät ist – fragen wir uns: „Warum haben wir nicht gehört?“ Doch auch dann wird die Antwort keine größere Bedeutung mehr haben, als die Tatsache, dass es zu spät ist, uns vor dem Elend zu retten, das die FPÖ längst zum Mainstream gemacht hat.

Das traurige Ende einer Nation

Am Ende bleiben nur die Fragen: Ist das noch die Gesellschaft, die wir kannten? Wo sind die Denker, die Mahner, die kritischen Stimmen geblieben? Warum haben wir uns selbst in diese Lage gebracht? Die Antwort ist in gewisser Weise eine der schmerzhaften Selbsterkenntnis. Vielleicht sind wir diejenigen, die uns zugrunde gerichtet haben. Und vielleicht gibt es auch in dieser düsteren Aussicht ein Element des Stolzes, denn wir sind es, die durch unsere Stille und unsere Ignoranz diesen bitteren Triumph einer Politik der Lügen und des Opportunismus zugelassen haben.

Es gibt keine Rettung in Sicht. Aber immerhin bleibt uns der Trost, dass wir, so wie es immer war, zu spät kommen werden – und es dann trotzdem nie einen wirklichen Unterschied gemacht hat.

Das Missverständnis der Freiheit

Man könnte meinen, dass ein Konzept wie „Grundrechte“ in einer demokratischen Gesellschaft hinreichend verstanden wird. Schließlich ist es ja keine Kunst, das Wort auseinanderzunehmen: „Grund“ – also etwas Fundamentales, und „Rechte“ – nicht etwa nette Vorschläge oder freundlich gemeinte Empfehlungen, sondern Rechte. Harte Rechte. Rechte, die nicht verhandelbar sind, Rechte, die im Zweifel mit Zähnen und Klauen gegen jede Form von Übergriffigkeit verteidigt werden müssen. Und doch sieht man immer wieder, wie dieses Konzept, das so einfach scheint, behandelt wird wie ein unliebsames Möbelstück: verschoben, verhüllt, missverstanden – und gelegentlich mit fragwürdigem Wohlwollen als staatliches Geschenk verpackt.

Dabei ist es so einfach: Grundrechte sind keine Gnade des Staates, sondern Abwehrrechte gegen denselben. Es ist, als würde jemand auf einem Schild „Betreten verboten“ lesen und daraus schließen, dass es sich um eine Einladung handelt, mit dreckigen Stiefeln die Schwelle zu überschreiten.

Warum Freiheit nicht kuschelig sein darf

Es gibt eine seltsame Faszination für den Staat als eine Art übermächtige Elternfigur. Diese Vorstellung, dass Freiheit gewissermaßen „zugeteilt“ wird, wie Taschengeld an brave Kinder, ist nicht nur falsch, sondern zutiefst gefährlich. Man hört es ja oft: „Die Regierung muss uns doch schützen!“ oder „Der Staat sorgt für unser Wohl!“ Klingt nett, nicht wahr? Fast so, als ob man den Löwen bitten würde, einen vor den Wölfen zu bewahren. Aber niemand scheint zu bemerken, dass der Löwe längst an einem Filetstück kaut, das ehemals Ihr linker Oberschenkel war.

Man muss sich klarmachen, dass der Staat keine moralische Instanz ist. Er ist eine Institution. Er ist, in der besten Lesart, ein notwendiges Übel, das reguliert, was ohne Regulierung im Chaos enden würde. Ihm jedoch die Rolle des großen Beschützers zuzuschreiben, ist nicht nur naiv, sondern eine Einladung zur Tyrannei. Ein Staat, der Ihnen sagt, was er Ihnen erlaubt, ist ein Staat, der Ihnen jederzeit alles verweigern kann.

Die Umkehr der Beweislast

Es ist ja schon grotesk: Der Staat ist der Einzige in diesem Spiel, der Waffen hat, der Einzige, der Gesetze durchsetzen kann, und der Einzige, der, sollte es schiefgehen, mit einem Schulterzucken davonkommt. Und dennoch wird von den Bürgern verlangt, in einer Art grenzenlosem Stockholm-Syndrom zu leben, immer bereit, die Hand zu küssen, die sie füttert, auch wenn dieselbe Hand sie vorher geschlagen hat. Es ist eine seltsame Perversion, dass Grundrechte – also die Schutzschilde gegen staatliche Willkür – von denselben Instanzen „gewährt“ werden sollen, die sie jederzeit abschaffen könnten.

Wäre es nicht an der Zeit, das Spiel umzudrehen? Sollten wir nicht den Staat unter Generalverdacht stellen, statt ständig zu rechtfertigen, warum wir unsere Freiheit haben wollen? Es ist, als würde man in einem Restaurant sitzen, der Kellner bringt Ihnen ein Haar in der Suppe, und Sie danken ihm dafür, dass es nur eins war.

Das Märchen von der guten Absicht

Natürlich hört man immer wieder das Argument, dass all diese Eingriffe in unsere Freiheit „zu unserem Besten“ geschehen. Die Kameraüberwachung, die Kontenschnüffelei, die Einschränkung von Versammlungen – all das diene doch nur dem Schutz der Bürger. Das Problem mit „guten Absichten“ ist jedoch, dass sie der Wegbereiter für die schlimmsten Katastrophen sind. Wie heißt es so schön? Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert – und der Staat ist der eifrige Straßenbauer.

Hierin liegt die große Gefahr: Der paternalistische Staat, der vorgibt, nur das Beste für seine Bürger zu wollen, ist wie ein Metzger, der behauptet, die Kuh zu schlachten, damit sie nicht mehr friert. Das Ergebnis bleibt dasselbe, egal wie rührend die Absicht dargestellt wird.

Freiheit ist unbequem – Und das ist gut so

Der Kern des Problems ist wohl, dass viele Menschen Freiheit nicht als etwas Schützenswertes betrachten, sondern als ein nettes Extra. Man könnte es fast als eine Art faulen Hedonismus beschreiben: Freiheit ist schön, solange sie nicht anstrengend wird. Aber Freiheit ist anstrengend. Sie ist unordentlich, unbequem und erfordert Wachsamkeit.

Es gibt keinen leichteren Weg zur Tyrannei, als die Bürger davon zu überzeugen, dass Freiheit zu kompliziert sei. „Sollen die da oben doch alles regeln“ – das ist der erste Schritt in den Käfig. Der Käfig mag golden sein, mag komfortabel gepolstert sein, aber am Ende bleibt er ein Käfig. Freiheit bedeutet, dass man den Schlüssel in der Hand hält – auch wenn es bedeutet, dass man hin und wieder die Tür selbst öffnen muss, statt sich bedienen zu lassen.

Warum es uns alle betrifft

Die Wahrheit ist unbequem: Grundrechte sind nicht dazu da, Ihnen das Leben einfacher zu machen. Sie sind da, um es sicherer zu machen – sicher vor Willkür, vor Machtmissbrauch, vor der schleichenden Erosion Ihrer Selbstbestimmung. Wenn wir weiterhin so tun, als ob diese Rechte bloß freundliche Geschenke wären, machen wir uns selbst zum Komplizen unserer Knechtung.

Am Ende bleibt nur die Frage: Wollen Sie der Löwe sein – oder die Gazelle? Denken Sie daran, bevor Sie das nächste Mal die Freiheit für ein bisschen Sicherheit eintauschen. Denn wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren. Und das ist kein kluges Geschäft, sondern schlichtweg dumm.

Der virtuelle Brandherd

Die große Feuerwehr der Empörung

Es war einmal ein Internet, in dem Menschen sich höflich die Meinungen an den Kopf warfen, wie Gentlemen, die beim Fechten ihre Degen kreuzten. Ach, welch romantische Vorstellung! Heute jedoch gleicht der digitale Raum einer unkontrollierten Feuersbrunst, in der Funken von Empörung und Scheiterhaufen aus Desinformation um die Vorherrschaft ringen. Inmitten dieser apokalyptischen Landschaft erscheint sie: Die Grüne Netzfeuerwehr – bewaffnet mit Löschschläuchen, gefüllt mit der Essenz von Respekt und Demokratie.

Aber was ist das für eine seltsame Feuerwehr, die zwar gegen die Flammen kämpft, dabei aber gelegentlich das Gefühl vermittelt, sie habe selbst die Zündhölzer gezückt? Die Grüne Netzfeuerwehr steht angeblich für eine bessere Diskussionskultur. Doch wie oft verkommt dieses noble Ziel zu einer Theatervorstellung, in der Löschtrupps auf den brennenden Scheiterhaufen marschieren, um mit gezielt gesetzten Schlagworten wie „menschenverachtend“ und „Hassrede“ das Feuer symbolisch zu ersticken – nur um dabei eine Rauchbombe der eigenen moralischen Überlegenheit zu zünden?

Hate-Speech oder Hitze-Koller

„Wir treten für eine offene und respektvolle Diskussionskultur ein.“ Dieser Satz klingt wie das Mantra eines wohlmeinenden Onkels, der beim Familienfest den Streit um die Kartoffelsalatrezeptur schlichten möchte. Doch was genau bedeutet Respekt? Wer definiert ihn, und wo beginnt er, wo endet er?

In der Praxis wird schnell klar: Respekt ist kein universelles Gut, sondern eine Waffe, die von der Grüne Netzfeuerwehr oft mit chirurgischer Präzision eingesetzt wird. Was nicht in den Kanon der progressiven Meinungsbildung passt, wird gelöscht, geblockt oder bestenfalls lächerlich gemacht. Ein Kommentar, der die Verkehrswende infrage stellt? Ein Fall für den digitalen Feuerlöscher! Ein skeptisches Wort zur Energiewende? Vorsicht, Brandstiftung! Und wehe, man wagt es, ein sarkastisches Mem über den Veggie-Day zu posten – dann könnte es passieren, dass der Poster als Klimaschädling denunziert wird.

Doch wo zieht man die Grenze? Ist die Aussage „Ich mag SUVs“ bereits menschenverachtend? Und wie viele Smileys benötigt ein Kommentar, um als ironisch statt beleidigend durchzugehen? Die Grüne Netzfeuerwehr hat die Antworten, denn sie ist nicht nur Feuerwehr, sondern zugleich Richter, Jury und gelegentlich auch Henker.

Die Moralkeule als Löschwerkzeug

Wer sich für die Netzfeuerwehr anmeldet, wird Teil einer illustren Truppe, die, so suggeriert die Werbung, „ein respektvolles Miteinander im Netz möglich macht“. Doch die Realität gleicht eher einer paramilitärischen Trainingsübung, bei der man die Kunst des Löschens, Zensierens und Umschreibens bis zur Perfektion erlernt.

Ein Feuer löschen, das aus Hass geboren wurde, klingt wie eine noble Aufgabe. Doch wenn die Feuerwehr selbst mit Benzinkanistern durch die Gegend läuft und jeden Widerspruch als flammende Bedrohung interpretiert, wird aus dem Brandbekämpfer schnell der Brandbeschleuniger. Unter dem Deckmantel der Respektförderung wird allzu oft der Grundsatz „Freiheit der Meinung“ durch „Freiheit von abweichenden Meinungen“ ersetzt.

Die humorvollen Seitenhiebe und sarkastischen Kommentare, die das Internet einst belebten, sind zu Schreckgespenstern geworden. Das Problem dabei: Wer mit der moralischen Löschkanone hantiert, sieht irgendwann überall Rauch, auch dort, wo lediglich ein wohliges Lagerfeuer brennt.

Wer rettet uns vor den Rettern?

Doch die eigentliche Ironie der Grünen Netzfeuerwehr liegt in ihrer doppelten Moral. Einerseits erhebt sie den Anspruch, die digitale Welt zu einem besseren Ort zu machen. Andererseits gerät sie immer wieder in den Verdacht, selbst jene Scheiterhaufen zu errichten, die sie vorgibt zu löschen.

Die simple Wahrheit ist: Eine wirklich offene und respektvolle Diskussion erträgt auch Widerspruch, Ironie und, ja, manchmal sogar bissigen Sarkasmus. Doch in einer Welt, in der die Feuerwehr mit der Leichtigkeit eines Instagram-Posts entscheidet, was „guter“ und was „böser“ Humor ist, bleibt am Ende nur die Asche einer Diskussionskultur, die einst lebendig war.

Ein Aufruf zum Selbstdenken

Und so endet dieses Essay mit einem augenzwinkernden Aufruf: Meldet euch an bei der Grünen Netzfeuerwehr! Löscht die Brände der Empörung, doch bedenkt dabei, dass die gefährlichsten Flammen oft in den eigenen Köpfen lodern. Denn wer glaubt, alle anderen belehren zu müssen, könnte am Ende selbst zum Brandstifter werden – und nichts ist trauriger als eine Feuerwehr, die sich im eigenen Rauch verliert.