Die Wiederkehr der Kriegstüchtigkeit

Man möchte meinen, Deutschland habe sich an ein Mantra gehalten, das in hiesigen Kreisen allzu oft als universelles Heilmittel für jede politische Krise betrachtet wird: „Mehr Waffen, mehr Sicherheit.“ Es ist eine beinahe poetische Verknappung des altbewährten Spruchs, dass Kanonenbrot und Militärparaden das Rückgrat einer friedlichen Gesellschaft seien.

Doch es ist natürlich nicht „Aufrüstung“, sondern „Verteidigung“. Eine begriffliche Nuance, die etwa so subtil ist wie ein Leopard-2-Panzer, der mit maximaler Geschwindigkeit durch die semantische Debatte pflügt. Würde der aufmerksame Bürger nachfragen, warum so massiv in „Sicherheit“ investiert werden muss, könnte man ihm sicher mit charmantem Regierungsdeutsch begegnen: „Es ist kompliziert.“ Und damit wäre die Debatte wohl beendet, ehe sie begonnen hat.

Straßen, Brücken und andere Feinheiten der Kriegslogistik

Was genau umfasst eigentlich die ominöse „Infrastruktur“, die dieser Tage so gerne als Herzstück der Modernisierung angepriesen wird? Nun, sicherlich nicht nur Bahnstrecken, damit die täglichen Pendler pünktlich ihre Zielorte erreichen. Nein, es sind vor allem die Brücken und Straßen, die Panzer tragen können müssen. Flughäfen, die auch im Krisenfall schweres Material abfertigen können. Häfen, die sich nicht nur für den Import von italienischem Rotwein, sondern auch für die logistische Versorgung einer kämpfenden Truppe eignen.

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass Deutschland sich – zum ersten Mal seit langem – darauf vorbereitet, ein „kriegstüchtiger“ Staat zu werden. Ein Begriff, der in den 1990er Jahren noch als anachronistisch, gar obszön galt, hat plötzlich den Nimbus der Unvermeidlichkeit. Wer sich daran stört, wird milde belächelt und als naiver Friedensromantiker abgetan. Wer es öffentlich kritisiert, dem wird angedeutet, er könne ja mal nach Russland ziehen, um dort seine pazifistischen Neigungen auszuleben.

Die Propaganda des Alternativlosen

Man würde es nicht glauben, aber in den „seriösen“ Medien gibt es offenbar ein geheimes Redaktionshandbuch für Rüstungsberichterstattung. Darin steht: Vermeide die Begriffe „Militarisierung“, „Aufrüstung“ oder gar „Kriegsvorbereitung“. Sprich stattdessen von „Modernisierung“, „Förderung der Einsatzbereitschaft“ und „Bündnisverpflichtungen“. Erwecke nicht den Eindruck, dass hier milliardenschwere Konzerne an der Umverteilung von Steuergeldern interessiert sein könnten. Betone stattdessen, dass wir mit unseren Investitionen lediglich „Versäumnisse der Vergangenheit aufholen“.

Das Wunderbare an dieser Form der Berichterstattung ist ihre unausgesprochene Alternativlosigkeit. Wer hätte nicht gerne eine gut ausgestattete Armee? Wer wollte schon zusehen, wie „die anderen“ aufrüsten, während wir uns in Lämmernatur übten? Und so dreht sich das Argumentationskarussell, bis auch die letzten Skeptiker nur noch ein gedankenverlorenes „Ja, aber…“ hervorbringen, ehe sie resigniert ihre Zeitung zusammenfalten.

Tucholsky würde sich im Grab umdrehen

Währenddessen bleibt der Unbequeme, der ewig währende Mahner, der auch heute noch mit seinen Zeilen in den Ohren klingelt: Kurt Tucholsky, der schon 1921 in der „Weltbühne“ schrieb, dass nichts schwerer sei, als „sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Ein Nein, das in der aktuellen Debatte wenig Chancen hat, gehört zu werden. Ein Nein, das in Redaktionsstuben als Relikt vergangener Zeiten abgetan wird. Ein Nein, das nicht in die auf Hochglanz polierte Zukunftsvision eines wehrhaften Deutschlands passt.

Es bleibt also nur noch die Frage, wie lange es dauert, bis die ersten Politiker voller Stolz verkünden: „Deutschland ist wieder kriegstüchtig!“ Wahrscheinlich nicht mehr lange. Und vermutlich werden sie dabei auch noch Beifall ernten.

Über welche Dimensionen sprechen wir heute

1 Million Sekunden sind 11 Tage

Klingt überschaubar, nicht wahr? In elf Tagen kann man sich von einer Erkältung erholen, ein schlecht geplantes Bauprojekt verfehlen oder sich in einen dreiteiligen Netflix-True-Crime-Dokumentarfilm vertiefen. 1 Million klingt groß, erhaben, bedeutungsvoll – bis man feststellt, dass es einfach nur knapp anderthalb Wochen sind. Und doch, wer mit „Millionen“ um sich wirft, genießt in der Regel Respekt. Ein Millionär? Ein Schwergewicht. Eine Million Tote? Eine Tragödie. Eine Million fünfzigste Wahlkampfversprechung? Ein Dienstag.

1 Milliarde Sekunden sind 31 Jahre und 259 Tage

Die Perspektive wechselt. Plötzlich sind wir in der Länge eines ganzen Menschenlebens angekommen. Ein Mensch kann in dieser Zeit geboren werden, aufwachsen, Steuern zahlen, ein Eigenheim finanzieren (wenn er vor 20 Jahren investiert hat) und nach drei Jahrzehnten feststellen, dass er sich immer noch keinen Tesla leisten kann. Die „Milliarde“ jedoch, die so gerne als Chiffre des Fortschritts verkauft wird – ob nun in Staatsverschuldung, Tech-Start-up-Bewertungen oder bei jenen, die „Milliardär“ als Berufsbezeichnung in ihre Social-Media-Profile schreiben – verliert, wie die Million zuvor, schnell an Relevanz, wenn sie in die Sphäre des Alltags übersetzt wird.

1 Billion Sekunden sind 31.710 Jahre

Nun wird es absurd. Wir sprechen von Zeiträumen, die so weit jenseits des menschlichen Verstandes liegen, dass sie nur noch in der geologischen Geschichte oder der Science-Fiction eine Bedeutung haben. Vor 31.710 Jahren gab es keine Zivilisationen, keine verschuldeten Staaten, keine Milliardäre, keine „New Economy“, keine Zentralbanken, die mal eben Billionen in die Märkte pumpen, um eine Krise zu kaschieren. Damals malte man noch Mammuts an Höhlenwände und wusste nicht, dass Jahrtausende später eine Finanzelite mit ebenjenen Zahlen jonglieren würde, als handle es sich um das Kleingeld eines römischen Legionärs.

Die Billion als neue Einheit der Bedeutungslosigkeit

Die Billion ist in unserer modernen Finanzwelt nichts weiter als eine abstrakte Luftnummer. Regierungen werfen mit Billionen um sich, als seien es Knödel im Oktoberfestzelt. Banken retten sich mit Billionen, während der Durchschnittsbürger mit dem Taschenrechner versucht zu verstehen, wie seine Nebenkostenabrechnung schon wieder um 400 % steigen konnte. Die Zahlen verlieren jede Anbindung an die Realität, die Menschheit lässt sie bereitwillig los – und am Ende interessiert es niemanden mehr, ob eine Verschuldung „nur“ eine Billion oder eben zehn Billionen beträgt. Es sind eben „nur Zahlen“.

Das Problem der Skalenblindheit

Wer Billionen als Peanuts abtut, darf sich nicht wundern, wenn der Wert des Einzelnen, des Individuums, sich auflöst. Die „Statistik“ wird zum Deutungsrahmen, das „Big Picture“ zählt, während das Kleingedruckte, die Biografie, das gelebte Leben als unerheblich abgetan wird. 1 Milliarde hier, 1 Billion dort – aber was bedeutet das noch, wenn jeder Einzelne von uns dennoch nach 80 Jahren biologischer Uhr verabschiedet wird?

Am Ende stellt sich die Frage: Sind wir nicht alle nur Sekunden in einem System, das großer klingt, als es in Wahrheit ist?

Von der zivilisatorischen Last, sich in die Luft zu sprengen

Warum Fortschritt auch rückwärts funktionieren kann

Endlich! Nach Jahrzehnten der selbstauferlegten humanitären Kastration wagt sich Europa wieder an die wirklich wichtigen Fragen des militärischen Fortschritts. Litauen hat es vorgemacht, nun denkt Polen darüber nach, den feuchten Träumen alter Generalstäbe neue Realität zu verleihen: Landminen und Streumunition als legitime Mittel zur nationalen Selbstverwirklichung. Denn, so erklärt es Polens Regierungschef Donald Tusk mit feurigem Pathos: Man müsse jede Möglichkeit zur Verteidigung nutzen! Ein Satz, der klingt, als hätte er sich gerade selbst in den Uniformrock eines Napoleon hineinmetamorphisiert.

Lange genug hatten sich Gutmenschen, Menschenrechtsgruppen und andere „Naivlinge“ mit ihren Moralpredigten gegen die hochentwickelte Kunst des Verstümmelns gewandt. Sie sprachen von Dingen wie „kollateralen Schäden“, von Bauernkindern, die auf dem Heimweg ihre Beine einbüßen, oder von ungezählten, blind durch die Lande irrenden Sprengkörpern, die noch Jahre nach einem Konflikt willkürlich explodieren. Doch nun dürfen wir endlich wieder pragmatisch sein! Eine Mine, die Jahrzehnte auf ein Ziel wartet, ist schließlich eine wahre Investition in die Zukunft. Und wenn schon eine Nation keine guten Rentensysteme zu bieten hat, so kann sie wenigstens verlässliche Tretfallen hinterlassen.

Humanismus ist Luxus, den sich Kriegswirtschaft nicht leisten kann

Man möchte sich fragen, was dieser verirrte Humanismus die letzten Jahrzehnte überhaupt gebracht hat. Die Hoffnung auf eine zivilisierte Welt? Pff. Frieden? Sieht man ja, wohin das geführt hat! Wozu sich also mit überkommenen Idealen wie der Genfer Konvention oder gar dem gesunden Menschenverstand belasten, wenn man sich stattdessen endlich wieder auf das Wesentliche konzentrieren kann: die Kunst des Krieges!

Und wo, wenn nicht in Polen, dem Land mit einer langen Tradition als europäisches Schachbrett der Geopolitik, wäre diese Renaissance des Sprengstoffs besser aufgehoben? Wo doch der westliche Nachbar Deutschland allzu lange im Friedensmief verweilte, stets larmoyant mahnt und mit weichen Waffenlieferungen nervt. In Polen hingegen kehrt die Realpolitik zu ihren Wurzeln zurück: Minen und Streumunition sind nicht nur pragmatisch, sie sind auch eine Art kollektive Versicherung – nach dem Motto: Wer uns nicht will, soll uns wenigstens nicht unbeschadet betreten können.

Universaldienstpflicht – weil auch der Frieden militärische Übung braucht

Doch damit nicht genug! In einem mutigen Schritt Richtung Wehrhaftigkeit dürfen bald alle polnischen Männer – und auf Wunsch auch die Frauen! – eine militärische Ausbildung durchlaufen. Welch Fortschritt! Welch Gleichberechtigung! Endlich kann sich niemand mehr auf biologische Gegebenheiten oder gesellschaftliche Friedensillusionen herausreden. Die Moderne verlangt nach Schützengräben, und die Demokratie verpflichtet nun einmal alle gleichermaßen zum Exerzieren.

Und man mag sich ausmalen, welche Perlen zivilisatorischer Harmonie daraus erwachsen werden: Junggesellenabschiede mit echten Handgranaten, Management-Seminare mit Scharfschützen-Training und romantische Picknicks, bei denen die Panzerabwehrrakete gleich griffbereit liegt. Man stelle sich nur die Hochzeiten der Zukunft vor: Der Brautvater hält keine langweilige Rede mehr, sondern feuert zur Feier des Tages ein paar Salven gen Himmel.

Ein bisschen Vergangenheit hat noch niemandem geschadet

Vielleicht wird Polen damit sogar zum Trendsetter in Europa. Frankreich könnte seine Fremdenlegion zum Pflichtprogramm für Schulabgänger machen, Deutschland den Pazifismus offiziell abschaffen und Finnland seine Wehrpflicht auf Touristen ausweiten. Schließlich muss sich der alte Kontinent gegen eine zunehmend unsichere Welt wappnen. Und wer könnte das besser als Nationen, die bereits historisch bewiesen haben, dass Krieg eine wunderbare Möglichkeit ist, die Bevölkerungsdichte langfristig zu reduzieren?

Man könnte fast meinen, die Menschheit sei auf dem besten Wege, sich selbst ad absurdum zu führen. Doch wer braucht schon Humanismus, wenn es Landminen gibt? Und so schreiten wir entschlossen voran – zurück in eine Zukunft, die so aussieht wie das dunkle Kapitel, das wir eigentlich schon geschlossen hatten.

Vorsicht, radioaktiv – Der deutsche Sonderweg der Vernunft

Es gibt Dinge, die sind so offensichtlich absurd, dass sie sich einer rationalen Diskussion verweigern. Man kann sie nur satirisch sezieren, denn jeder Versuch, mit Logik heranzugehen, endet unweigerlich in einem intellektuellen Totalschaden. Ein solches Phänomen ist die deutsche Atompolitik: Während hierzulande die letzten Atomkraftwerke mit feierlichem Trompetenschall abgeschaltet wurden, brüten dieselben politischen Kreise, die eben noch den „Atomausstieg“ als Akt höchster Moral feierten, nun über die Frage, wie Deutschland endlich eine eigene Atombombe bekommen kann. Ein Wahnsinn mit Methode!

Atomstrom? Nein danke! Atomwaffen? Her damit!

Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass das Land der „German Angst“ ausgerechnet dort hemmungslos forschrittlich wird, wo es um die ultimative Vernichtungswaffe geht. Während man mit moralischer Überlegenheit jede Debatte über eine sichere und saubere Energiequelle im Keim erstickt, sprießen gleichzeitig strategische Planspiele über „nukleare Teilhabe“ wie radioaktive Pilze nach dem GAU. Die Widersprüchlichkeit ist atemberaubend: Deutsche Kernkraftwerke sind zu gefährlich für den Betrieb, aber deutsche Atombomben offenbar unverzichtbar für den Weltfrieden. Das nennt man wohl Fortschritt mit Sicherheitsgarantie – für wen, bleibt allerdings offen.

Von der Energiewende zur atomaren Wende

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Deutschen, die seit Jahrzehnten ihre panische Ablehnung gegen jegliche Nutzung der Kernkraft zelebrieren, sollen plötzlich bereit sein, nukleare Sprengköpfe zu entwickeln? Es ist dieselbe Gesellschaft, in der Windräder als einziger moralisch vertretbarer Energieerzeuger gelten, die aber nun mit dem Gedanken spielt, radioaktive Apokalypse als politisches Instrument in Erwägung zu ziehen. Warum auch nicht? Schließlich sind Atomkraftwerke Teufelszeug, weil sie Strom erzeugen – Atomwaffen hingegen haben den charmanten Vorteil, dass sie nur eine einmalige (und hoffentlich nie genutzte) Gefahr darstellen. Das ist deutsche Effizienz in Reinform!

Ein Land der Widersprüche: Angst vor allem, außer vor sich selbst

Wäre die Sache nicht so tragikomisch, man könnte fast lachen. Deutschland fürchtet sich vor Strahlung aus Kernreaktoren, aber offenbar nicht vor Strahlung aus nuklearen Sprengköpfen. Man meidet Lebensmittel, die mit minimalsten Mengen radioaktiver Strahlung belastet sind, aber hält es für eine legitime geopolitische Strategie, mit Strahlung in Gigatonnen-Dimensionen zu drohen. Kein Wunder, dass dieses Land bei den Olympischen Spielen der Doppelmoral regelmäßig den ersten Platz belegt.

Die Waschmaschine als Kriegswaffe

Erinnern wir uns an das Jahr 2022, als Ursula von der Leyen mit einem süffisanten Lächeln verkündete, Russland plündere europäische Waschmaschinen, um deren Mikrochips in Raketen zu verbauen. Welch ein Höhnisches Gelächter aus den Elfenbeintürmen der EU! Welch eine Gewissheit, dass der „Bär“ mit rostigem Löffel im Suppentopf der Moderne rühre! Doch siehe da, kaum zwei Jahre später hat sich die Erklärung magisch gewandelt: Plötzlich ist Russland eine „klare und unmittelbar bevorstehende Bedrohung“. Und welch ein Zufall, dass just in diesem Moment eine Investition von 800 Milliarden Euro in die Verteidigung natürlich unausweichlich ist. Wer fragt da noch nach Waschmaschinen?

Die Brüsseler Angstfabrik

Die Kunst der Manipulation hat in Europa eine Hochblüte erreicht, die selbst die berüchtigtsten Regime der Geschichte vor Neid erblassen ließe. Angst ist das große Zauberwort! Angst vor dem Klima, Angst vor Viren, Angst vor Krieg. Angst als ultimatives Herrschaftsinstrument, als raffinierte Methode, um Bürger in eine schleichende, aber allumfassende Knechtschaft zu treiben. Denn ein Mensch, der Angst hat, hinterfragt nicht. Ein Mensch, der Angst hat, gehorcht. Und so werden wir Schritt für Schritt entmündigt, beraubt, ausgenommen, bis nur noch ein träges Kollektiv resignierter Untertanen bleibt, unfähig, sich gegen das Joch einer selbstherrlichen Brüsseler Elite zu wehren.

Der Preis der Unterwerfung

Während die USA und Russland pragmatisch nach Möglichkeiten suchen, ihre Differenzen mit einem Minimum an Eigeninteresse zu überwinden, erweist sich Europa einmal mehr als die Hochburg jener Globalisten, die den Kontinent in den Abgrund treiben. Mit einem beinahe bewundernswerten Eifer setzen sie ihr apokalyptisches Werk fort, als gäbe es keinen Morgen. Das Wohl des einfachen Bürgers? Eine lästige Fußnote. Wirtschaftliche Stabilität? Ein Kollateralschaden des großen Narrativs. Die Wahrheit? Ein dehnbarer Begriff in den Händen einer durch und durch korrupten Klasse, die sich als Retter inszeniert, während sie den Niedergang orchestriert.

Geiseln einer nicht gewählten Mafia

Die eigentliche Frage, die sich uns stellt, ist nicht, wie wir den nächsten erfundenen oder inszenierten Krisen entgehen können. Die eigentliche Frage ist: Wie konnten wir es zulassen, Geiseln einer nicht gewählten Mafia zu werden, die uns Tag für Tag, Entscheidung für Entscheidung weiter in den Sumpf der Fremdbestimmung zieht? Ist es Feigheit? Bequemlichkeit? Oder doch nur eine tief verinnerlichte Konditionierung, die uns glauben lässt, dass der Wahnsinn von heute die Normalität von morgen sein muss?

Der Abgesang auf die Vernunft

So bleibt uns nur, Zeugen einer Tragikomödie zu sein, deren Drehbuch von skrupellosen Technokraten geschrieben wurde. Vielleicht, in einem Anfall kollektiver Erleuchtung, werden wir erkennen, dass die wahren Feinde nicht in Moskau, nicht in Peking und nicht einmal in Washington sitzen. Vielleicht werden wir dann begreifen, dass der eigentliche Kampf nicht gegen externe Bedrohungen geführt werden muss, sondern gegen jene, die aus den eigenen Reihen kommen. Doch bis dahin bleibt uns nur eines: Das groteske Schauspiel mit einem letzten Hauch von Galgenhumor zu betrachten.

Nun gibt’s halt Bürgerkrieg

Nur Menschen, die in einem mit Wattebäuschen gefüllten Wolkenkuckucksheim leben konnten von einem „inklusiven friedlichen Machtübergang“ in Syrien schwadronieren.

Die Realität hat wieder gegen die Grünen gewonnen.

Es war eine schöne Utopie, wirklich. Eine von diesen Vorstellungen, die mit Zuckerwatte in den Ohren und moralischer Hybris im Herzen gesponnen werden. Ein bunter Reigen aus Twitter-Humanismus, diplomatischem Wishful Thinking und dieser charakteristischen Ignoranz gegenüber der Natur des Menschen, die insbesondere jene an den Tag legen, die sich selbst für die edelsten Vertreter dieser Spezies halten. Ein „inklusiver friedlicher Machtübergang“ sollte es sein. Eine „demokratische Lösung“. Als sei Syrien eine Fakultätssitzung der Genderwissenschaften und nicht ein zutiefst gespaltenes, von Diktatur und ethnisch-konfessionellen Konflikten gezeichnetes Land. Aber das Konzept des Realismus war ja stets eine Domäne der anderen, der „Bösen“. Wer Zweifel hatte, wurde ohnehin schnell in die Schublade der kaltherzigen Zyniker oder gar der verkappten Assad-Apologeten gesteckt.

Die wunderbare Welt der westlichen Illusionen

Der Westen – oder besser gesagt, das postpolitische Moralprekariat unserer Tage – lebt bekanntlich in einer geistigen Blase, in der Komplexität durch die glorreiche Vereinfachung ersetzt wurde: „Diktator böse, Opposition gut.“ Basta. Dass „Opposition“ in diesem Fall von dschihadistischen Milizen über regional gelenkte Kriegsfürsten bis hin zu machtgierigen Clans so ziemlich alles umfassen konnte, was auch nur ansatzweise ein Gewehr halten konnte, fiel dem politischen Idealismus kaum auf. Wer braucht schon eine differenzierte Analyse, wenn die Welt sich so viel bequemer in „Hell“ und „Dunkel“ einteilen lässt?

Es wurde demonstriert, getwittert, appelliert. „Der Westen muss helfen!“ Und in diesem Hilferuf schwang die völlige Naivität mit, dass ein von außen initiierter, gewaltfreier Wandel überhaupt möglich sei. Wurde das je in der Geschichte der Menschheit erreicht? Wenn ja, dann wohl ausschließlich in den feuchten Träumen der diplomatischen Salons.

Stärke setzt sich durch

Aber dann kamen die alten Realitäten wieder einmal zurück und bissen zu. Assad wurde nicht weggezwitschert, seine Armee nicht von westlichen Mahnworten in die Flucht geschlagen. Die Opposition, so heldenhaft sie in den sozialen Medien verkauft wurde, war in Wirklichkeit ein unkoordinierter Haufen mit widersprüchlichen Agenden, in dem radikale Islamisten schnell das Sagen hatten. Und dann kam Russland, das anders als der Westen nicht an feinsinnigen Narrativen, sondern an knallharten geopolitischen Interessen interessiert war. Das Assad-Regime überlebte, weil es militärisch die besseren Karten hatte, weil es die Brutalität besaß, um sich durchzusetzen, und weil es – anders als seine Gegner – auf eine einigermaßen funktionierende Struktur zurückgreifen konnte.

Die, die heute vom Bürgerkrieg entsetzt sind, wollten einen Regime Change, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was danach passieren würde. Sie glaubten an „Demokratisierung“ durch guten Willen und erhobenen Zeigefinger. Sie ignorierten die Dynamik von Macht und Gewalt, die seit Jahrtausenden die politische Realität bestimmen. Und jetzt? Jetzt stehen sie mit offenem Mund da und beklagen das Chaos. Wie konnte das nur passieren?

Das moralische Debakel

Das eigentliche Debakel dieser tragischen Geschichte ist nicht nur das geopolitische Scheitern des Westens, sondern das moralische. Die Hybris, zu glauben, dass man durch gutes Zureden und Sanktionen eine Diktatur zum Einsturz bringen könne, ist das eine. Aber der eigentliche Skandal ist, dass man Millionen von Menschen in einen Bürgerkrieg gestürzt hat, ohne auch nur einen Gedanken an das „Danach“ zu verschwenden. Die wahren Verantwortlichen dieses Elends sind nicht nur die Akteure vor Ort, sondern auch jene, die von sicherer europäischer Warte aus ihre Wunschbilder in die Realität projiziert haben. Und wenn nun Wellen von Flüchtlingen kommen, wenn die Region weiter ins Chaos stürzt, dann ist das Geschrei wieder groß. Aber die Einsicht? Die bleibt aus.

Lektionen, die nie gelernt werden

Syrien ist nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte westlicher Selbstüberschätzung. Die Idee, dass „gute Absichten“ ausreichen, um die Welt zu retten, wurde abermals in Blut ertränkt. Doch anstatt daraus zu lernen, wird der nächste moralische Kreuzzug vorbereitet. Das nächste Land, das „gerettet“ werden muss. Die nächste Einmischung, die mit hehren Worten gerechtfertigt wird. Die nächste Katastrophe, die sich hätte vermeiden lassen, wenn die Welt nicht von Träumern, sondern von Realisten betrachtet würde.

Aber wer will das schon? Realismus ist anstrengend. Träumen ist so viel einfacher. Bis die Realität wieder zurückschlägt.

Der russische Papiertiger

Russland, jenes Land, das gleichermaßen als armes, rückständiges Elendsloch ohne funktionierende Wirtschaft und als monströse Bedrohung der freien Welt imaginiert wird, ist der tragische Held unserer Zeit. Ein Land, das keine funktionierenden Toiletten, aber strategische Hyperschallraketen produziert. Ein Land, dessen Wirtschaft angeblich nur auf Gas, Wodka und der Verklärung der eigenen Bedeutung basiert – und doch, wie ein Schemen aus dunklen Zeiten, dem hochgerüsteten Westen ein Grauen einjagt, das man zuletzt in den Fieberträumen des Kalten Krieges erlebte.

Man fragt sich, wie es diese Horde von betrunkenen, einfältigen, feigen und mit verrosteten Kalaschnikows ausgerüsteten Bauernschlächtern schafft, die vereinigte Wertegemeinschaft in einen Zustand panischer Aufrüstung zu treiben. Aber die westliche Öffentlichkeit – von Leitmedien und Thinktanks sanft ins Narrativ gewiegt – weiß: Russland ist der Schrödingersche Bär. Tot und lebendig zugleich, erbärmlich und übermächtig, ein Clown mit Atombomben.

Die unsichtbare Wirtschaftsmacht

Die russische Wirtschaft, so erfahren wir von den klügsten Ökonomen unserer Tage, sei nichts weiter als ein entkernter Rohstoffbasar, der einzig von der Gnade globaler Märkte lebt. Der Rubel – wertlos. Das Bruttoinlandsprodukt – kaum größer als das Belgiens. Die Industrie – ein rostiges Relikt sowjetischer Hybris. Die Sanktionen – der Sargnagel des Kremls.

Dass dieselben Experten seit zwei Jahren unentwegt den baldigen Zusammenbruch dieses Wirtschaftswunders des Scheiterns vorhersagen, gehört zur narrativen Folklore. Wie das sprichwörtliche Kind, das jeden Tag ruft, der Wolf sei da – nur um dann mit staunendem Gesicht vor der russischen Handelsbilanz zu stehen, die irgendwie doch schwarze Zahlen schreibt.

Die Armee der Toten

Die russische Armee, so wird uns erklärt, sei eine Ansammlung von Demotivierten, Kriegsdienstverweigerern, Greisen und Strafgefangenen. Die Eliteeinheiten vernichtet, die Offiziere inkompetent, die Ausrüstung aus Zeiten des Afghanistankrieges. In sozialen Netzwerken kursieren Videos von altertümlichen Panzern, während westliche Analysten mit strenger Miene das baldige Versiegen russischer Munitionsbestände prognostizieren.

Doch seltsamerweise schießen die Granaten weiter, die Frontlinien bewegen sich in Zeitlupe – wenn überhaupt – und die westlichen Waffenarsenale leeren sich zusehends schneller als die russischen. Vielleicht, so munkeln einige, haben die Russen heimlich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Oder schlimmer: Sie könnten einfach gelernt haben, dass man Krieg nicht mit PowerPoint-Präsentationen, sondern mit Artillerie entscheidet.

Der Feind als Spiegelbild

Vielleicht liegt der wahre Grund für die panische Fixierung auf Russland weniger in der Stärke Moskaus als in der eigenen Schwäche. Ein Europa, das sich selbst zur Friedensmacht erklärt hat, verlernt irgendwann den Krieg – und erschrickt umso mehr, wenn jemand anders ihn noch beherrscht. Ein Westen, der sich seit Jahrzehnten in moralischer Überlegenheit suhlt, erträgt es nicht, wenn jemand anders sich den Luxus nimmt, zynisch eigene Interessen zu verfolgen.

Die russische Bedrohung ist deshalb so furchteinflößend, weil sie den westlichen Glauben an die eigene Alternativlosigkeit infrage stellt. Wenn Russland trotz aller Verachtung nicht kollabiert, was sagt das über unsere eigenen Gesellschaften? Wenn russische Soldaten in Schützengräben kämpfen, während unsere Armeen Genderleitfäden verteilen – wer ist dann eigentlich der Zyniker?

Der ewige Endsieg

Der mediale Marschtritt der Propaganda ist dabei von einer seltsamen Mischung aus Triumphgeheul und Endzeitstimmung geprägt. Russland ist schon besiegt – aber noch nicht besiegt genug. Die russische Armee steht am Rande des Zusammenbruchs – doch wenn wir nicht morgen weitere Milliardenpakete schnüren, wird sie Paris erreichen. Putin ist ein paranoider Despot, dem die eigene Bevölkerung längst den Gehorsam verweigert – aber wenn wir jetzt nicht den Gürtel enger schnallen, werden seine Truppen in Berlin den Reichstag entglasen.

Dieses seltsame Doppelspiel aus Überheblichkeit und Panik ist die eigentliche Satire unserer Zeit. Der Westen feiert sich für seine moralische Überlegenheit – während er die Rückkehr von Schützengräben und Artilleriegefechten heraufbeschwört. Wir singen Lieder von Freiheit und Demokratie – während wir Zensurgesetze verschärfen und Menschen mit abweichenden Meinungen als „russische Propagandisten“ ächten. Die Welt ist wieder einfach geworden: hier die Guten, dort die Bösen.

Der russische Phönix

Und so bleibt Russland, wie es schon immer war: das große Missverständnis der europäischen Seele. Ein Land, das man gleichermaßen verachtet und fürchtet. Ein Feind, den man belächelt und doch nicht besiegen kann. Ein Mythos, den der Westen mehr braucht, als Russland ihn selbst je hätte erfinden können.

Vielleicht wird Russland in zehn Jahren zusammenbrechen. Vielleicht auch nicht. Doch solange der Westen es braucht, um seine eigene Schwäche zu kaschieren, wird es ewig auferstehen – als Schreckgespenst, als Projektionsfläche, als Spiegelbild der eigenen Abgründe.

Denn der beste Feind ist immer der, den man selbst am dringendsten braucht.

Wollt ihr die totale Aufrüstung?

Es ist eine wunderbare Ironie unserer Epoche, dass der Frieden von denen am lautesten beschworen wird, die sich bis an die Zähne bewaffnen. Die Schreihälse der Hochmoral, jene, die sich einst in universitären Seminarräumen als letzte Pazifisten der Nachkriegsgesellschaft gerierten, sind nun die Ersten, die den Klingelbeutel der Wehrhaftigkeit schwingen, während sie an den Fahnenmasten der Wertegemeinschaft Wimpel mit der Aufschrift Frieden schaffen mit noch mehr Waffen hissen. Es ist dies ein Paradox von geradezu klassischer Schönheit: Je mehr Raketen gen Osten starren, desto inniger scheint der Wunsch nach Harmonie.

Der Feind, der keiner war, aber immer einer sein muss

Natürlich ist der Feind immer der andere – ein mühsam herbeihalluziniertes Monstrum, das irgendwo zwischen Kremlmauern und Panzertürmen haust. Dass dieser Feind, den man in der Glut der eigenen Ideologie backt, in den letzten Jahrzehnten mehrmals seine Fratze wandelte – von östlichem Klassenfeind zur postsowjetischen Geschäftsgelegenheit, um wieder zurück zu mutieren zur existenziellen Bedrohung –, ist dabei nur ein marginaler Schönheitsfehler. Schließlich geht es in der Geopolitik nicht um Konsistenz, sondern um Inszenierung. Der Krieg ist eine Bühne, auf der die Bösewichte je nach Dramaturgie ausgetauscht werden – nur der Regisseur bleibt derselbe.

Die neuen Friedenskrieger

So marschiert nun ein ganzes Heer von Friedenskriegern in den Kommentarsektionen der Leitmedien, bewaffnet mit moralischer Überlegenheit und dem Duktus der Unumstößlichkeit. Wer Bedenken äußert, wer sich vielleicht gar an die eigene Überzeugung erinnert, dass Aufrüstung selten zu Abrüstung geführt hat, wird mit den stumpfen Lanzen der Twitter-Legionäre aufgespießt. Es ist eine schöne neue Welt, in der Waffenlieferungen zur ultimativen Form der Menschenliebe erklärt werden – ein Neusprech, gegen das Orwells Dystopie wie ein netter Vorschlag für eine Verwaltungsreform anmutet.

Ein zärtlicher Menschenfreund

Und wer sind die Profiteure dieses neuen Pazifismus? Die Rüstungsindustrie, die seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit das schmierige Antlitz des Bösen trug, erfährt eine wundersame Rehabilitierung. Rheinmetall, Lockheed Martin und Konsorten dürfen sich nun als Partner der humanitären Weltordnung präsentieren – die Karikatur des Heuschrecken-Kapitalismus verwandelt sich in den Schutzengel der Freiheit. Die Hände, die Bomben basteln, schütteln nun ungeniert die Hände derer, die einst Transparente mit Make Love, not War durch die Straßen trugen.

Der Frieden muss kriegstüchtig sein

„Der Frieden muss kriegstüchtig sein“, heißt es neuerdings in der salbungsvollen Rhetorik der Kanzleramtslyriker. Welch ein Satz! Eine wahre Orchidee der politischen Sprache, in ihrer grotesken Selbstwidersprüchlichkeit von fast schon aphoristischer Brillanz. Man fragt sich unweigerlich, ob in den Ministerien mittlerweile Lehrstühle für Dialektik eingerichtet wurden – oder ob es einfach der kreative Endpunkt einer saturierten Elite ist, die ihre Moral wie Haute Couture trägt: elegant, teuer und vollkommen unpraktisch.

Das Ende der Vernunft

Die öffentliche Debatte hat längst die Grenzen der Vernunft verlassen und sich in das neblige Niemandsland moralischer Selbsterhöhung verabschiedet. Argumente zählen nicht mehr, Skepsis gilt als Ketzerei, Zweifel ist Verrat. Wer auf Entspannungspolitik verweist, muss sich als naiver Träumer oder schlimmer noch, als fünfte Kolonne des Feindes beschimpfen lassen. Der Diskurs ist keine Auseinandersetzung mehr, sondern ein Tribunal, in dem nur noch Schuldige gesucht werden – und der Freispruch ohnehin nie vorgesehen ist.

Der Countdown läuft

Währenddessen ticken die Uhren der Waffenlieferungen. Milliardenpakete werden geschnürt, als handele es sich um wohltätige Spenden für Bedürftige. Die Aufrüstung hat längst ihre eigene Dynamik entfaltet, ein Perpetuum Mobile der Angst, das sich selbst mit immer neuen Bedrohungsszenarien am Laufen hält. Es scheint, als habe die Menschheit in ihrer Hybris vergessen, dass sich jene, die mit dem Säbel rasseln, oft genug selbst an der Klinge schneiden.

Applaus für die Kanonen

Am Ende bleibt die bitterste Pointe: Der totale Frieden verlangt die totale Aufrüstung – und je mehr Waffen gen Himmel ragen, desto friedlicher soll die Welt werden. Der Sarkasmus der Geschichte besteht darin, dass die Stimmen der Vernunft heute leiser sind als die Rüstungsaufträge. Doch vielleicht ist das ja der eigentliche Sinn der ganzen Farce: die triumphale Rückkehr des Wahnsinns, getarnt als Akt der Humanität. Denn was wäre die Zivilisation anderes als eine Tragödie, die sich selbst als Komödie missversteht?

Vom segensreichen Mangel

Es gehört zu den hübscheren Paradoxien der Gegenwart, dass die Tugenden, die man als Kind den Armen eintrichtert, später in eleganten Feuilletons den Wohlhabenden als Lebenskunst verkauft werden. „Sparsamkeit“ – dieses Wort, das in den unteren sozialen Schichten klingt wie eine rustikale Drohung, blüht in den oberen Etagen der Gesellschaft zu einer Art ästhetischem Zen-Garten auf. Wer wenig hat, soll sich einschränken, weil es sich nicht anders schickt; wer viel hat, soll sich einschränken, weil es sich besonders schick macht.

Die Demut des Mangels als bürgerliche Dekoration

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Askese, korrekt dosiert, den Wohlstand amüsanter macht. Der Verzicht auf Fleisch, Flugreisen oder maßlose Online-Bestellungen gerät – vorausgesetzt, er erfolgt freiwillig – zur raffinierten Selbstinszenierung. Eine handgetöpferte Porzellanschale mit sorgsam portioniertem Bio-Porridge sagt in den richtigen Kreisen mehr über den Lebensstil ihres Besitzers aus als ein geleaster SUV. Wer hätte gedacht, dass der Verzicht auf ein Croissant oder die Abwesenheit von Plastikstrohhalmen zur sozialen Distinktion taugen würde?

Der arme Schlucker hingegen, der seine Miete nicht mehr zahlen kann und sich das Croissant aus blankem Zwang verkneift, wird nicht als Vorbild gefeiert, sondern als tragischer Einzelfall bedauert – oder gleich unter Verdacht gestellt, seine Misere durch mangelnde Arbeitsmoral selbst verschuldet zu haben. Der Unterschied zwischen sparsam und arm liegt eben nicht im Haben, sondern im Wollen.

Die feinen Unterschiede der Entbehrung

Das ärgerliche an der Sparsamkeit ist, dass sie sich so hübsch verkaufen lässt, solange sie von jenen exerziert wird, die sie sich leisten können. Wer sich ein Tiny House für 200.000 Euro bauen lässt, lebt nachhaltig. Wer sich eine Einzimmerwohnung mit 12 Quadratmetern teilen muss, lebt prekär. Die Frage, ob der Verzicht auf Raum, Essen oder Komfort aus freiem Willen oder aus Not erfolgt, entscheidet über seine moralische Wertigkeit.

Die Reichen predigen Mäßigung, während sie sich in minimalistische Designwohnungen zurückziehen, deren leergeräumte Kühle ein kleines Vermögen gekostet hat. Die Armen sollen sparen, aber bitte ohne ästhetischen Mehrwert – keine handgewebten Decken aus Bio-Leinen, sondern Polyester-Fleecedecken aus dem Discounter, unter denen man notfalls auch erfriert.

Kapitalismuskritik für Besserverdienende

Die Ideologie der Sparsamkeit ist in Wahrheit eine von oben nach unten durchgereichte Erziehungsmaßnahme. Wer predigt, dass weniger mehr sei, sorgt zuverlässig dafür, dass unten weniger und oben mehr bleibt. Kein Zufall, dass ausgerechnet in Zeiten von Inflation und Energiekrise das Ideal der Bescheidenheit eine Renaissance feiert. Plötzlich heißt es, man solle das Licht früher ausmachen, weniger heizen, kürzer duschen – nicht etwa, weil die Weltwirtschaft von einer absurd ungleichen Verteilung von Ressourcen geprägt ist, sondern weil ein wenig Selbstkasteiung dem Charakter ungemein zuträglich sei.

Die neoliberale Sparsamkeit schult die Armen zur Bescheidenheit und die Reichen zur Selbstzufriedenheit. Der eine friert aus Not, der andere aus Überzeugung – beide werden zu besseren Menschen, allerdings aus höchst unterschiedlichen Gründen.

Die moralische Gymnastik der Besitzenden

Der eigentliche Triumph der Wohlstandsgesellschaft besteht darin, dass sie es geschafft hat, den Mangel als Tugend zu inszenieren. Die Kunst besteht darin, die eigene Selbstbeschränkung so weit zu kultivieren, dass sie am Ende mehr kostet als der ursprüngliche Überfluss. Wer teure Detox-Retreats besucht, statt sich vollzufressen, ist nicht etwa ein gequälter Hungernder, sondern ein moralisches Vorbild. Es gibt keinen besseren Beweis für den Wohlstand als die Fähigkeit, ihm zeitweise zu entsagen.

Die Armen dürfen sich dieser Diät freilich nicht anschließen. Wer den ganzen Monat Haferflocken und Leitungswasser konsumiert, weil das Geld nicht reicht, wird niemals zum Vorreiter eines neuen Lebensgefühls stilisiert. Sparsamkeit ist nur dann eine Tugend, wenn sie nicht wirklich notwendig ist.

Fazit: Die Verklärung des Weniger

Sparsamkeit als Ratgeber für die Armen ist der blanke Hohn. Es ist die unsichtbare Zwangsjacke, die ihnen von einer Gesellschaft verpasst wird, die sich das „Weniger“ nur leisten kann, weil sie vorher ein obszönes „Mehr“ angehäuft hat. Die wohltemperierte Armut der Privilegierten bleibt ein Lifestyle, während die echte Armut der Besitzlosen nach wie vor ein Makel ist.

Man könnte nun darauf hinweisen, dass es eine kleine Unverschämtheit sei, den Verzicht zu einer moralischen Kategorie zu erklären, solange nur ein Teil der Gesellschaft überhaupt die Wahl hat, sich zu enthalten. Aber vielleicht ist genau das der Trick: Wer den Mangel freiwillig wählt, fühlt sich als besserer Mensch. Wer ihn gezwungenermaßen erleidet, gilt als gescheiterter Konsument.

Wohl dem, der so reich ist, sich das Weniger leisten zu können.

Der sanfte Irrtum der Naiven

Bis vor kurzem dachte ich noch, wir werden von Idioten regiert. Ich muss mich korrigieren. Wir werden von skrupellosen Wahnsinnigen regiert.

Lange Zeit lebte ich in jenem behaglichen Irrtum, der den kritischen Zeitgenossen sanft umschmeichelt wie die schützende Umarmung einer bröckelnden Mutterbrust: Die da oben wissen es einfach nicht besser. Ach, hätten sie nur ein paar Bücher gelesen, ein wenig Grips in den hohlen Köpfen, ein bisschen moralische Integrität zwischen den Lenden – wir alle lebten in einer wohltemperierten Demokratie, in der Rationalität und Gemeinwohl gemeinsam im Sonnenstuhl lümmeln. Der dumme Politiker als tragikomische Figur, ein Clown mit Kravatte, der sich rührend müht, aber eben nicht ganz mit den besten Waffen des Geistes ausgestattet ist. Man könnte fast Mitleid haben.

Aber was, wenn sie gar nicht dumm sind? Was, wenn die Unfähigkeit, die wir ihnen so gönnerhaft attestieren, in Wahrheit der perfekte Vorwand ist, um nicht von ihrem wahren Charakter abzulenken? Der Idiot kann wenigstens noch bedauert werden. Der Wahnsinnige hingegen verfolgt einen Plan.

Die neue Avantgarde der Kaltblütigen

Die politischen Eliten unserer Zeit sind keine Trottel, sie sind strategische Nihilisten. Ihnen fehlt nicht die Intelligenz, ihnen fehlt der moralische Kompass – und das ist kein Defekt, sondern eine bewusste Entscheidung. In einer Welt, die sich längst von der Vorstellung verabschiedet hat, dass Wahrheit, Anstand oder gar Gemeinsinn irgendeine Rolle spielen könnten, regiert nicht mehr der kluge Pragmatiker oder der visionäre Reformer. Nein, das Zeitalter gehört den eiskalten Soziopathen mit PowerPoint-Folien.

Das sieht man an der rhetorischen Architektur ihrer Lügen: Jeder Satz sorgfältig so formuliert, dass er nur gerade genug Wahrheit enthält, um den naiven Beobachter zu betören, während die eigentliche Botschaft sich in einem Nebel aus PR-Sprech und pseudointellektueller Floskelästhetik verflüchtigt. Es sind die Tonalitäten der Verachtung, in denen diese Leute kommunizieren: Das gönnerhafte Lächeln eines Pressesprechers, der gerade zum 38. Mal erklärt, warum Milliarden für Waffenlieferungen alternativlos sind, während die Rentnerin sich am Pfandautomaten die monatliche Proteinration zusammensammelt.

Die große Simulation

Die westliche Demokratie, so wie sie sich uns heute darbietet, ist eine täuschend echt simulierte Ruine. Die Fassaden stehen noch, aber dahinter wuchert der Pilz des autoritären Kontrollstaats. Alles wird öffentlich verhandelt, aber nichts wird entschieden. Wahlkämpfe sind Werbekampagnen ohne Produkt. Parlamente sind Theaterbühnen, auf denen die Abgeordneten mit jener stoischen Würde das Nichts beschließen, als handle es sich um metaphysische Offenbarungen.

Die Inszenierung ist perfekt: Die Zeitungen veröffentlichen pflichtschuldigst die Debattenprotokolle, die Talkshows veranstalten ihre rituellen Empörungskabarette, und das Wahlvolk bekommt pünktlich alle vier Jahre einen feuchten Stimmzettel in die Hand gedrückt – eine sakrale Geste, die uns glauben machen soll, wir hätten an diesem Spektakel tatsächlich Anteil.

Zynismus als Bürgerpflicht

Was bleibt dem denkenden Menschen da noch übrig, außer in gepflegten Zynismus zu verfallen? Vielleicht sollten wir nicht mehr in Protest, sondern in Parodie machen. Wählen gehen als Akt der ironischen Selbstbeschmutzung, Steuern zahlen als kabarettistischer Beitrag zur globalen Geldwäsche, Medien konsumieren als avantgardistische Performance des freiwilligen Verblödens.

Vielleicht ist der Zyniker heute der letzte wahrhaft freie Bürger: einer, der sich an der Absurdität des Systems ergötzt, ohne sich noch einzubilden, er könnte es verändern. Denn wer noch ernsthaft hofft, die Wahnsinnigen mit Argumenten bekehren zu können, gleicht dem Mann, der dem hungrigen Wolf das vegetarische Menü empfiehlt.

Die hohe Kunst des gepflegten Untergangs

Es bleibt uns also nur die noble Aufgabe, unseren eigenen Untergang mit Stil zu inszenieren. Wenn wir schon untergehen, dann bitte mit einem Whiskyglas in der Hand und einem sardonischen Grinsen auf den Lippen. Lassen wir uns nicht mehr täuschen von der Illusion, dass diese Welt noch in irgendeinem rationalen Sinn zu retten sei. Der Zug ist abgefahren, das Bordbistro serviert lauwarmen Champagner, und im Führerstand sitzen keine Idioten.

Es sind Wahnsinnige.

Aber sie wissen genau, was sie tun.

Mir kommen die Tränen!

Keir Starmer bei der Ramadan-Iftar-Veranstaltung im britischen Parlament: „Ich weiß, dass dies eine sehr schwierige Zeit für die Muslime im Vereinigten Königreich war, mit dem Schmerz des Konflikts in Gaza und dem Leiden der Palästinenser.“

Ah, die erhabene Kunst des Politischen Sprechens. Ein Akt der Diplomatie, bei dem keine Worte zu zufällig gewählt sind, jeder Satz wie ein Kunstwerk, das in seiner Ambiguität und Zweideutigkeit genauso viel abverlangt wie es verspricht: ein wahres Meisterwerk der Vermeidung und gleichzeitigen Absichtserklärung. Und so steht er da, der ehrenwerte Keir Starmer, der Mann, der sich stets als Architekt des „Neuen Labour“ versteht, als heiliges Bollwerk gegen die Geister der Vergangenheit, der nur zu gerne seine progressive Agenda ausrollt und dabei den Stempel des Kritikers des Antisemitismus trägt. Und dennoch – inmitten seiner Rede bei der Ramadan-Iftar-Veranstaltung im britischen Parlament – gelingt ihm etwas, das uns alle, die wir ein wenig mehr politisches Bewusstsein zu hegen wagen, mit ehrlicher Verwirrung und ungläubigem Staunen zurücklässt.

„Sehr schwierige Zeit für die Muslime im Vereinigten Königreich“?

Es ist kein Witz, was Keir Starmer da in den Raum wirft, aber irgendwie könnte man es fast für einen halten. Eine Aussage, die so wohldosiert und dennoch so unklar ist, dass sie fast wie ein schlecht inszenierter Comedy-Auftritt wirkt. Da spricht er, der Vorsitzende der britischen Labour-Partei, mit einer Haltung, die uns glauben machen will, er sei der sprachliche Übersetzer des tiefen Leids der Muslime im Vereinigten Königreich. Und damit nicht genug – er stellt das Ganze noch auf eine Stufe mit dem „Schmerz des Konflikts in Gaza“ und dem „Leiden der Palästinenser“. Ah, jetzt wird alles klar! Es ist das alte, bewährte Rezept der politischen Manipulation, das sich nahtlos in die Tradition einer gewissen Art von britischer Diplomatie einreiht – eine Diplomatie, die nichts anderes zu tun hat, als zu verschleiern und zu beruhigen, anstatt echte, messbare Konsequenzen zu ziehen.

Aber Moment mal: Wie genau kann eine solche Aussage von Starmer als so bedeutend oder gar so tiefgründig gelten, wenn sie gerade jene Spaltung zu fördern scheint, die in seiner eigenen Partei seit Jahren brodelt? Denn während er sich als Fürsprecher für Muslime im Vereinigten Königreich präsentiert, bleibt eine Frage in der Luft hängen: Sind das wirklich die Muslime, von denen er spricht? Oder spricht er vielmehr für eine Ideologie, die sich eine vermeintliche „opferzentrierte“ Identität zueignet, die es ihm ermöglicht, sich ein Stück der moralischen Decke über seine eigene politische Agenda zu ziehen?

Antisemitismus à la Corbyn?

Ah, ja, da kommt sie wieder, die alte Geschichte des Antisemitismus innerhalb der Labour Party. Es ist fast ein ironisches Schauspiel, das immer wieder auflebt: Während Starmer seine Partei von den Flügeln des „Corbynismus“ zu befreien versucht – einer Ära, die von Vorwürfen des Antisemitismus begleitet war – scheint der Schatten von Corbyn noch immer über den Hallen von Labour zu hängen. Und so lesen wir seine Worte nicht ohne eine gewisse, eher zynische Brille. Was bedeutet es, wenn ein politischer Führer in einem so kritischen Moment des geopolitischen Konflikts auf Gaza und Palästina verweist und sich dabei den Eindruck zu erwecken versucht, er würde die muslimische Gemeinschaft in Großbritannien nicht nur in den Mittelpunkt seiner politischen Überlegungen rücken, sondern sie auch als Opfer stilisieren? Ist es nicht genau die Art von Rhetorik, die viele seiner Kritiker als „unreflektierte Solidarität“ und nicht als einen ernsthaften politischen Diskurs bezeichnen würden?

Vielleicht sollte er sich fragen: Inwieweit ist es wirklich eine „sehr schwierige Zeit“ für die Muslime im Vereinigten Königreich? Sollen wir annehmen, dass Muslime in Großbritannien kollektiv und einheitlich in einer schweren Krise stecken, die ausschließlich von den dramatischen Entwicklungen in Gaza abhängt? Aber was ist mit den anderen Gemeinschaften, den anderen Minderheiten, den anderen betroffenen Bevölkerungsgruppen im Land? Haben sie keine „schwierige Zeit“? Haben die jenen, die unter dem Brexit leiden, die Armen, die Obdachlosen, die Arbeitslosen oder die viel zu vielen Menschen, die unter der britischen Regierung der letzten Jahre zu leiden hatten, nicht auch ihre eigenen Ängste und Nöte, die durch politische Fehlentscheidungen und gesellschaftliche Apathie genährt werden?

Ein verschwörerisches Spiel mit den Wahrheiten

Was Starmer mit seinem Satz in Wahrheit anstrebt, ist ein wahres Meisterstück der politischen Opportunität. In einer Zeit, in der der Konflikt in Gaza erneut alle Schlagzeilen dominiert und die westliche Welt in ihrer Unfähigkeit, den alten Konflikt zu lösen, zunehmend in Resignation verfällt, stellt sich der Labour-Chef als der „besorgte Vater“ einer Gemeinschaft dar, die in seiner Darstellung ständig mit den gewaltigen Belastungen eines nicht enden wollenden Konflikts zu kämpfen hat. Doch anstatt den politischen Finger auf die wahren Ursachen dieses Konflikts zu richten oder gar auf die strukturellen Probleme hinzuweisen, die die westliche Außenpolitik über Jahrzehnten hinweg befeuert hat, gibt er sich dem Spiel der Vereinfachung hin. Einem Spiel, das das Leid der Palästinenser und die Herausforderungen der Muslime in Großbritannien auf eine Weise verknüpft, die weder eine Lösung anbietet noch wirklich weiterführt.

Keir Starmer macht es sich leicht, indem er mit der „schwierigen Zeit“ und dem „Leiden“ der Palästinenser in Gaza ein Zitat wie ein magisches Mantra über den Raum schwenkt. Und was bleibt am Ende? Eine hohle Geste, die weder konkrete politische Forderungen stellt noch den Mut hat, sich wirklich mit den komplizierten Fragen auseinanderzusetzen, die der Nahost-Konflikt aufwirft. Der eigentliche Witz ist, dass er dies tut, ohne jemals in den Spiegel zu blicken und sich zu fragen, ob sein eigenes Handeln, seine eigene politische Agenda nicht oft genug an der „schwierigen Zeit“ vieler anderer Menschen in Großbritannien vorbeigeht.

Der Pomp und die Phrasen

Es ist schon fast tragikomisch, wie sehr die große politische Bühne oft in den Nebel der Phrasendrescherei und der scheinbar tiefgründigen Aussagen abtaucht. Diese Kunst des Sprechens, die uns glauben machen will, dass Worte allein die Welt verändern können – und das oft mit einer solchen Raffinesse, dass wir uns in den fein gesponnenen Netzen der Bedeutung verlieren. Keir Starmer, der in dieser Hinsicht genauso brillant agiert wie ein Jongleur in einem Zirkus, entblößt sich doch immer wieder als jemand, der in seinen „moralischen“ Erklärungen ebenso sehr die Augen vor den realen politischen und gesellschaftlichen Problemen verschließt. Und so bleibt am Ende nur eines: der Zynismus. Der Zynismus, dass in all der Rhetorik und den schönen Worten der eigentliche Sinn von Politik – die Sorge um das Wohl der Menschen, die Verantwortung für die Gemeinschaft und die Bereitschaft, sich unbequemen Wahrheiten zu stellen – für immer weiter verloren geht.

Die Orchester spielen noch

Wohin steuert die Titanic Europa?

Es gibt Bilder, die sich mit der Zeit aus der Historie in die Köpfe einbrennen, bis sie von reiner Erinnerung zu universalem Symbol mutieren. Die Titanic, im Mondlicht aufschäumend, kurz vor dem unvermeidlichen Kuss mit dem Eisberg, gehört zweifelsohne dazu. Ein Bild, das den Hybris des Fortschritts, die fragile Überheblichkeit menschlicher Ingenieurskunst und den blinden Glauben an die eigene Unbesiegbarkeit in einem einzigen stählern glänzenden Denkmal verdichtet. Und während im Maschinenraum des alten Europas längst Wasser in die Kessel schwappt, klammern sich die Deckpassagiere an den letzten Champagnerkelch der liberalen Illusionen. Die Orchester spielen noch, und sei es nur, um die Schreie zu übertönen.

Wer hat den Kapitän gewählt?

Die Frage nach der Verantwortlichkeit stellt sich in der europäischen Tragödie stets mit einer gewissen Verspätung – und wird bevorzugt in möglichst verschlungenen Passivsätzen beantwortet. Man „habe“ den Kurs eingeschlagen, es „seien“ Entscheidungen getroffen worden, der Markt „verlange“ Maßnahmen. Die politische Klasse, jene unsichtbare Schar an Steuermännern im dunklen Maschinenraum, versteht es meisterhaft, sich als Getriebene zu inszenieren, während sie die Ruder selbst in Händen hält. Wer aber hat diesen unsichtbaren Kapitänen je ein Mandat erteilt? Wer hat Ursula von der Leyen, Christine Lagarde oder Olaf Scholz – die europäischen Piloten des Selbstverständlichen – je direkt an die Kommandobrücke gewählt? Der Passagier der Holzklasse findet sich vor der bitteren Erkenntnis wieder: Demokratie, so scheint es, ist das Recht, alle vier Jahre zwischen mehreren Spielarten der Ohnmacht zu wählen.

Der unsichtbare Eisberg namens System

Gewiss, wer allzu penetrant auf die Schattenseiten des Systems hinweist, wird schnell als Verschwörungstheoretiker disqualifiziert – ein Wort, das sich der europäische Diskurs in den letzten Jahren mit einer bedenklichen Gier einverleibt hat. Doch die eigentliche Verschwörung geschieht ganz ohne Geheimlogen oder Rauchersalons. Sie heißt „Sachzwang“, „Marktkonformität“ und „Alternativlosigkeit“. Der Eisberg ist kein Zufallsprodukt, sondern eine geopolitisch-ökonomische Notwendigkeit, die auf dem Schiffsmanifest von Anfang an mitgeführt wurde. Niemand hat den Eisberg gewählt – aber er ist die unvermeidliche Konsequenz eines Kursbuchs, dessen Seiten von Banken, Konzernen und Think Tanks mit sanfter Hand geschrieben wurden.

Der Untergang als choreografierte Inszenierung

Natürlich wird auch dieser Untergang kein plötzlicher Knall sein, sondern ein wohldosierter, in Brüsseler Arbeitsgruppen präzise vorgedachter Abstiegsprozess. Es wird Rettungspakete geben, Gipfelbeschlüsse, Stabilitätsmechanismen, Green Deals, digitale Zentralbankwährungen und eine lückenlose Überwachung zur Wahrung der Freiheit. Jede neue Katastrophe wird mit der Präzision eines Opernlibrettos inszeniert, jedes Härtefall-Programm als Akt der Humanität gefeiert, während der Wasserpegel in den unteren Decks stetig steigt. Das Personal von EU-Kommission, EZB und Weltwirtschaftsforum hat sich längst mit dem Untergang arrangiert – man plant nur noch die Eleganz des finalen Aufpralls.

Ironie als letzte Rettungsweste

Und was bleibt dem Passagier, der sein Ticket zur Post-Demokratie wider Willen gelöst hat? Die Hoffnung auf Rettungsboote? Die wurden längst in den ersten Klassen verstaut. Die Option, sich an der nächsten Wahlurne ein besseres Schicksal zu erhoffen? Ein mildes Lächeln. Es bleibt nur die Ironie – diese dünne, zynische Rettungsweste, die in der Lage ist, den Untergang wenigstens mit einem Anflug von Würde zu begleiten. Der europäische Geist, der sich Jahrhunderte lang in Aufklärung, Kritik und Humanismus erschöpfte, wird seine letzte Reinkarnation wohl als bitter lachender Clown erleben.

Die Hoffnung stirbt synchron mit der Batterie des Blackbox-Rekorders

Vielleicht, wenn die Trümmer des alten Kontinents längst von den Wellen verschlungen sind, wird sich eine neue Besatzung an den Wiederaufbau wagen. Vielleicht wird man die Blackbox bergen und die letzten Funksprüche auswerten. Und vielleicht wird sich dann in einem vergilbten Datenstrom ein lakonischer Kommentar aus der Holzklasse wiederfinden: „Wir haben es doch gewusst – aber das Orchester spielte so schön.“

Der Mythos vom Sparstrumpf der Nation

Ein Sondervermögen namens Märchenstunde

Wenn Politiker*innen in jenen seltenen Momenten, da sie nicht in Mikrofone säuseln, sondern zu ihrer eigentlichen Berufung zurückkehren – der Erfindung von Euphemismen –, ein Wort wie Sondervermögen in die Welt setzen, dann geschieht dies nicht zufällig, sondern mit der filigranen Kalkulation eines Uhrmachers. Der Begriff trägt in sich bereits die halbe Propaganda: Vermögen klingt nach Besitz, nach Goldbarren im Tresor, nach Omas wertvollem Porzellanservice, das man für schlechte Zeiten unter dem Bett hortet. Wer wollte schon etwas gegen Vermögen haben? Und sonder- ist der keusche Schleier, der das profane Geld mit einer Aura von Seriosität umhüllt. Ein Sondervermögen könnte auch ein mysteriöser, nur Eingeweihten zugänglicher Fonds sein, in den sich, völlig überraschend, die ungenutzten Milliarden aus Haushaltsüberschüssen der letzten Jahre verirrt haben – und der nun, einem göttlichen Wunder gleich, für große Aufgaben mobilisiert werden darf.

Doch leider – ach, wie leider! – ist ein Sondervermögen nicht der Sparstrumpf der Nation, sondern eine Buchungstrickserei aus der Mottenkiste finanzpolitischer Taschenspielerkunst. Mit biederer Frechheit handelt es sich schlicht um neue Schulden, nur eben unter falscher Flagge. Dass man die Neuverschuldung nicht einfach so nennen mag, ist verständlich – immerhin könnte die Bevölkerung im schlafwandlerischen Dämmerzustand zwischen Netflix-Binge und Instagram-Scrollen auf die Idee kommen, sich zu fragen, warum in einer Zeit, in der jeden Tag aufs Neue eiserne Sparsamkeit gepredigt wird, plötzlich Milliardenbeträge wie Konfetti in den Wind gepustet werden. Doch mit dem Begriff Sondervermögen lässt sich diese Frage elegant umschiffen, als handele es sich nicht um schnödes Geld, sondern um eine metaphysische Kategorie.

Die Kunst des semantischen Schwindels

Die hohe Schule der politischen Kommunikation besteht ja bekanntlich darin, die Realität durch Wortschöpfungen in eine freundlichere Gestalt zu verwandeln. Wo es kracht und stinkt, spricht man von Herausforderungen. Wird irgendwo ein Krankenhaus geschlossen, heißt es, die Versorgungsstrukturen werden neu geordnet. Und wenn der Staat sich bis über beide Ohren verschuldet, um Löcher zu stopfen, die durch jahrzehntelangen Sparwahn erst aufgerissen wurden, dann ist das plötzlich ein Sondervermögen.

Was nach Wohlstand klingt, ist in Wahrheit ein Paradebeispiel jener grotesken Dialektik, die nur in spätkapitalistischen Demokratien möglich ist: Die Unfähigkeit, vorhandenes Vermögen zu erhalten oder neu zu schaffen, wird rhetorisch in sein Gegenteil verkehrt. Hier erweist sich die Sprache einmal mehr als das, was Karl Kraus einst das Wohnzimmer des Lügens nannte – ein heimeliges Refugium, in dem sich die Wirklichkeit weichgebettet und mit Spitzendeckchen versehen der Unverfälschtheit entzieht.

Die Verantwortungslosenverwaltung

Natürlich könnte man einwenden, dass es in Krisenzeiten manchmal notwendig ist, Schulden aufzunehmen, um akute Notlagen zu bewältigen. Doch darum geht es längst nicht mehr. Denn die Idee des Sondervermögens ist nicht bloß ein finanzieller Kniff, sondern ein Symptom jener pathologischen Phobie vor langfristiger Verantwortung, die das politische Personal der Gegenwart wie ein chronisches Leiden befallen hat. Da die Schuldenbremse als sakrosanktes Dogma das politische Denken blockiert wie ein Aneurysma die Blutbahn, bedient man sich immer neuer Schattenhaushalte, Nebenhaushalte, Ausgleichshaushalte – ein labyrinthisches Gewirr, in dem sich irgendwann niemand mehr zurechtfindet, nicht einmal der Bundesrechnungshof.

Der Trick besteht darin, sich selbst für den Moment zu entlasten, ohne den eigenen politischen Narrativ zu beschädigen. Ein Sondervermögen ist das perfekte Vehikel für diese Art der Verantwortungslosigkeitsverwaltung, weil es zwei entscheidende Vorteile bietet: Erstens bleibt die offizielle Schuldenquote sauber, zweitens kann man die Schuld für künftige Kürzungen auf ein ominöses Finanzkonstrukt abwälzen, das nach ein paar Jahren ohnehin keiner mehr versteht. Die Rechnung zahlen dann – wie immer – diejenigen, die sich keine Lobbyisten leisten können.

Der heimliche Humor der Bürokratie

Man könnte all das als zynische Machttechnik abtun, wäre da nicht dieser köstlich absurde Zug, der dem Sondervermögen innewohnt. Denn der Bürokrat an sich, dieser lichtscheue Aktenhorter im schlammbraunen Cordanzug, besitzt einen trockenen, gleichwohl tiefgründigen Humor. Wenn in der Käfighaltung des Ministerialapparats die Idee geboren wird, neue Schulden Vermögen zu nennen, dann liegt darin eine Chuzpe, die dem absurden Theater des Samuel Beckett würdig wäre. Es ist eine Art finanzieller Dadaismus, bei dem die Buchhalter die wahren Avantgardisten sind.

Man möchte sich die Gesichter jener Beamt*innen vorstellen, die mit federleichtem Grinsen den Haushaltsentwurf aufsetzen, während sie sich in innerster Seelenruhe ausmalen, wie das Wort Vermögen durch die Talkshows geistern wird – ein Schelmenstück der Bürokratie, das sich vor der Öffentlichkeit mit der kühlen Eleganz einer Altherrenkrawatte versteckt.

Vom Kredit als anthropologischer Konstante

Was bleibt, ist die traurige Einsicht, dass der moderne Staat sich längst von seinem ursprünglichen Versprechen verabschiedet hat, der Bevölkerung eine langfristige Perspektive zu bieten. Stattdessen regiert der Modus der fortwährenden Übergangslösung. Das Sondervermögen ist nur die logische Konsequenz einer Gesellschaft, die sich nicht mehr zutraut, über die eigene Nasenspitze hinaus zu denken.

Vielleicht ist der Kredit – ob als Hypothek, Dispo oder Staatsschuld – die wahre anthropologische Konstante des Kapitalismus: Die ewige Hoffnung, dass sich die Dinge irgendwann von selbst regeln, wenn man nur lange genug so tut, als gäbe es keine Rechnung. Und vielleicht ist das Sondervermögen ja doch in gewisser Weise ehrlich – ein letzter, unfreiwilliger Witz auf Kosten derer, die glauben, dass es im Leben um mehr geht als darum, sich von einem Zahlungsaufschub zum nächsten zu hangeln.

Denn wie sagte schon Bertolt Brecht: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Und was ist eine neue Schuldenaufnahme gegen die Erfindung eines Sondervermögens?

Bremsversagen Schuldenbremse

Ein Hoch auf die politische Elastizität – oder wie man das Rückgrat biegt, ohne es zu brechen

Man stelle sich vor, ein Hausbesitzer kündigte vollmundig an, die bröckelnde Fassade seines Altbaus endlich einer gründlichen Sanierung zu unterziehen – mit eigenen Mitteln selbstverständlich, ohne neue Schulden, ganz so, wie es sich für einen soliden Haushälter gehört. Kaum aber hat er den Mietern diese frohe Botschaft verkündet, entdeckt er plötzlich, dass das Fundament eigentlich auch schon seit Jahrzehnten auf wackligen Säulen steht, der Dachstuhl von Holzwürmern zerfressen ist und die Heizung sich nur noch mit Bittgebeten in Gang setzen lässt. Nun bricht hektische Betriebsamkeit aus: Man benötigt dringend Geld. Viel Geld. Aber Schulden machen? Um Himmels willen, nein! Das wäre ja gegen jede Prinzipientreue! Und so erfindet der pfiffige Eigentümer das Sondervermögen – ein wahrhaft euphemistisches Meisterstück sprachlicher Alchemie, das aus schnöder Neuverschuldung plötzlich eine goldglänzende Rücklage zaubert.

Natürlich ist dieser fiktive Hauseigentümer kein anderer als der Staat – jener vielgliedrige, sich selbst steuernde Organismus, der sich an seinen eigenen Prinzipien nur dann stört, wenn sie seinen Gestaltungsspielraum beschränken. Die Schuldenbremse, einst als Bollwerk gegen fiskalische Hemmungslosigkeit gefeiert, erweist sich in Krisenzeiten als genauso biegsam wie ein Bambusrohr im Wind. Ein kurzer Notruf in Richtung Verfassungsjuristen, ein paar kunstvoll konstruierte Haushaltskniffe – schon ist der eiserne Grundsatz der Neuverschuldungsvermeidung in wohlfeile Flexibilität transformiert. Sondervermögen heißen die neuen Zaubertruhen, und wer bei diesem Begriff noch an Rücklagen oder Sparguthaben denkt, hat die Funktionsweise des politischen Schönsprech-Generators gründlich unterschätzt.

Demokratie im Schlussspurt – Mit Vollgas am Wählerwillen vorbei

Die eigentliche Pointe der jüngsten Haushaltsakrobatik liegt freilich nicht in der kreativen Umbenennung von Schulden, sondern in der fast schon rührenden Unverfrorenheit, mit der sich eine abgewählte Regierung auf den letzten Metern ihrer Amtszeit noch schnell eine Zwei-Drittel-Mehrheit organisiert, die es wenige Wochen später gar nicht mehr geben wird. In parlamentarischen Dämmerstunden, wenn die Aufmerksamkeit des Souveräns bereits auf die nächste Legislaturperiode gerichtet ist, lassen sich erstaunliche Dinge durchsetzen – zum Beispiel eine Grundgesetzänderung, deren Tragweite die Volksvertreter vor laufenden Kameras mit dem Brustton der Überzeugung als alternativlos deklarieren.

Dabei könnte man sich mit etwas Geschichtsbewusstsein daran erinnern, dass demokratische Legitimation nicht allein in der arithmetischen Mehrheit besteht, sondern auch in der Fähigkeit, den Wählerwillen nicht bloß zu exekutieren, sondern zu respektieren. Doch warum sich mit solchen Spitzfindigkeiten aufhalten, wenn die Macht noch für ein paar Monate reicht, um Entscheidungen zu zementieren, die der Nachfolger vielleicht gar nicht mehr revidieren kann? Man muss es ja nicht gleich „Selbstermächtigung“ nennen – nennen wir es einfach haushaltspolitische Prophylaxe.

Vom Haben und Nichthaben – Die Wunderwelt der Nullzinsen

Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass in Zeiten globaler Krisen und galoppierender Investitionsnotstände besondere Maßnahmen nötig seien. Das ist zweifellos richtig. Doch der Eifer, mit dem die Schuldenbremse in den Stand-by-Modus versetzt wird, korrespondiert merkwürdigerweise nie mit einer ernsthaften Debatte darüber, wie sich öffentliche Einnahmen dauerhaft stabilisieren ließen. Man könnte ja mal – nur als Gedankenspiel – über eine Vermögenssteuer sprechen, oder über eine höhere Kapitalertragssteuer. Aber solche Ideen landen im politischen Diskurs in der Regel schneller auf dem Abstellgleis, als man „Belastung der Leistungsträger“ sagen kann. Lieber lässt man sich bei der Bank seines Vertrauens eine Kreditlinie einrichten – pardon: ein Sondervermögen.

Ein Tipp am Rande: Versuchen Sie doch mal, Ihrer Hausbank zu erklären, dass Ihr Dispokredit eigentlich kein Kredit, sondern ein Sondervermögen sei – eine kreative Rücklage zur Absicherung zukünftiger Investitionen. Die Reaktion des Bankberaters dürfte irgendwo zwischen verstörter Heiterkeit und stiller Verzweiflung oszillieren.

Die Bremsen sind gelöst, der Hang ist steil

Es wäre zu billig, den aktuellen Haushaltstricksereien bloße Fahrlässigkeit zu unterstellen. In Wahrheit zeugt das, was wir erleben, von einem beachtlichen Maß an politischer Kreativität – einer Flexibilität, die allerdings stets dann zur Höchstform aufläuft, wenn es darum geht, sich selbst Spielräume zu schaffen. Die Schuldenbremse ist längst kein ehernes Gesetz mehr, sondern ein dehnbarer Gummi-Paragraf, den man in Notzeiten mit einem kurzen juristischen Stretching auf jede gewünschte Länge ziehen kann.

Die Frage ist nur: Wann wird das Bremsversagen zur Gewohnheit? Und wie lange kann ein politisches System es sich leisten, den Wählerwillen in kleinen, zynischen Dosen zu verabreichen – stets lächelnd, stets im Namen der Sachzwänge, stets mit dem beruhigenden Hinweis, dass es keine Alternative gebe?

Vielleicht brauchen wir ja bald ein eigenes Sondervermögen zur Rettung der Glaubwürdigkeit. Aber ob sich dafür noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit finden ließe?

Die Wahrheit in der Falle

Arthur Ponsonby und die Kunst der Kriegspropaganda

Es gibt Momente, in denen die Wahrheit in der Geschichte zu einem bloßen Spielball wird – ein zerschlagenes Relikt, das von den feisten Händen der Macht zermalmt wird, nur um in einem dreckigen Handtuch von rhetorischen Lügen zu verschwinden. Arthur Ponsonby, der britische Staatsbeamte, Politiker und Pazifist, verstand dies wie kaum ein anderer. In seinem 1928 veröffentlichten Werk Falsehood in Wartime zeichnete er ein Bild, das die wahren Waffen des Krieges ans Licht brachte – nicht die Kanonen und Gewehre, sondern die Lügen, die sie begleiten. Und wie ein wahres Meisterwerk der politisch-satirischen Auseinandersetzung, rechnet Ponsonby mit der Doppelmoral der Kriegsmaschinerie ab und entlarvt das, was wir als „Kriegspropaganda“ kennen, als die systematische Zerstörung der Wahrheit.

Die – wie Ponsonby sie beschreibt – elenden Methoden der Kriegspropaganda, die von den Kriegsführenden eingesetzt werden, lassen den düsteren Schatten eines Teufels in einer aufgeräumten Jacke erkennen: Sie sind die Masken, hinter denen die grausamste aller Wahrheiten versteckt wird – diejenige, dass Krieg, wie er auch in den höchsten Rufen der Zivilisation begründet wird, in seiner Essenz nie „für die Menschen“ geführt wird. Es ist ein Schauspiel, das die Wahrheit von Anfang an opfert, und zwar mit einer Vehemenz, die in Ponsonbys Worten ihren traurigen Höhepunkt fand: „Nach der Kriegserklärung ist die Wahrheit das erste Opfer.“ Die Wahrheit, dieses unschuldige Lamm, das sich erbarmungslos dem Moloch der Propaganda opfert.

Doch was könnte er, der so unmissverständlich den Schleier der Lügen löst, uns über den Inhalt der Propaganda erzählen? Die zehn Regeln Ponsonbys, die er in seinem Buch niederschreibt, sind nicht nur eine Entlarvung, sie sind eine meisterhaft aufgebaute Kritik am System, das so gut darin ist, sich zu tarnen, während es mit feiner Zerstörungskraft die Wahrnehmung der Masse manipuliert.

1. „Wir wollen keinen Krieg!“

Die erste Regel Ponsonbys ist ein denkbar unschuldiger Auftakt, wie er im Handbuch des Lügenkrieges nicht fehlen darf: „Wir wollen keinen Krieg!“ Hier wird der gute Wille propagiert, der edle Wille des Friedens – der Wille, der niemals den ersten Schuss abfeuert, der niemals die Waffen anhebt, der die Feinde mit offenen Armen empfängt und den ehrlichen Dialog sucht. Was für ein Heldentum! Was für eine Selbstverständlichkeit! Doch wer glaubt noch daran? Dieser Satz ist der flimmernde Scheinwerfer, der die dunklen, blutgetränkten Stollen eines Krieges in ihrer Grausamkeit zu kaschieren versucht. Wer hätte je gedacht, dass hinter diesen hehren Worten die Planung für die größte der menschlichen Katastrophen liegt?

2. „Der Gegner ist allein für den Krieg verantwortlich!“

Sobald dieser Punkt erreicht ist, erleben wir die Verdrehung des Geschehens auf dem Präsentierteller. Es ist so einfach, den Gegner als das personifizierte Böse zu brandmarken. Dieser einfache Akt der Zuweisung von Schuld sorgt dafür, dass die eigene Nation von jeder Verantwortung befreit wird. Die Kriegspropaganda liebt diese simplen Narrative: der Böse, der Unmensch, der Aggressor – er ist allein der Übeltäter. Der andere – der „wir“ im Satz – bleibt unberührt, der gute Samariter, der sich gegen das Chaos auflehnt. Diese Regel ist die Biene, die den Stock des nationalen Stolzes nährt, sie trägt eine unverkennbare Waffe in sich: den moralischen Überlegenheitsanspruch.

3. „Der Führer des feindlichen Lagers wird dämonisiert.“

„Satan persönlich“, so könnte man sagen, wird hier eingeführt. In der Propaganda gibt es keinen Raum für die Nuancen der Persönlichkeit. Der Feindführer muss nicht nur fehlerhaft sein – er muss ein Monstrum sein. Die Darstellung des Feindes als eine dämonische Gestalt ist nicht nur rhetorische Übertreibung, sie ist ein entscheidender Schritt, um die eigene Bevölkerung auf den Krieg vorzubereiten. Je schlimmer der Gegner dargestellt wird, desto geringer wird der Widerstand gegen die eigene Kriegsführung. Denn wer will schon mit einem Monster verhandeln, wenn es doch besser ist, das Monster zu vernichten?

4. „Wir verteidigen ein edles Ziel und keine besonderen Interessen!“

Nun, hier erreicht die Propaganda ihren Höhepunkt der Heuchelei. Die Kriegsführung wird als eine heilige Mission dargestellt, als eine noble Pflicht. Es geht nicht um Macht, um territoriale Gewinne, um Ölquellen oder Rohstoffe – oh nein! Es geht um das Wohl der Menschheit, um Freiheit, Gerechtigkeit und das Streben nach dem Guten. Was für ein atemberaubendes Narrativ! Die wahre Agenda wird uns als edles, reines Ziel verkauft – und wie erfolgreich! Wer könnte schon gegen so ein heiliges Anliegen kämpfen? Wer will schon in die Riege der Unmoralischen eingehen?

5. „Der Feind begeht wissentlich Grausamkeiten, wenn wir Fehler machen, geschieht dies unbeabsichtigt.“

„Wir sind die Unschuldigen“, verkündet diese Regel. Unsere Fehler – und seien sie noch so katastrophal – sind immer unbeabsichtigt, das Ergebnis von Missverständnissen oder unglücklichen Umständen. Auf der anderen Seite jedoch ist der Feind der reinste Zynismus. Jeder Tropfen Blut, den er vergießt, ist kein Zufall, sondern eine bewusste, teuflische Tat. In dieser Rhetorik wird der moralische Unterschied klar: Wir – die guten und anständigen – und sie – die grausamen und abscheulichen. Es ist ein moralischer Trick, der die einfache Unterscheidung zwischen Gut und Böse in einer so simplen Art und Weise liefert, dass er beinahe unmerklich wird. Doch wehe dem, der das hinterfragt.

6. „Der Feind benutzt unerlaubte Waffen.“

Oh, der Schock und die Empörung, die diese Regel hervorruft! Der Feind, ein Barbar, hat den „guten Krieg“ durch die Verwendung von verbotenen Waffen entweidet. Die moralische Entrüstung ist grenzenlos. Doch diese Darstellung ist nicht nur eine übliche Taktik, sie hat eine fast sakrale Bedeutung: Sie macht den Feind nicht nur in seinen Handlungen, sondern in seiner Existenz zu einem Abtrünnigen. Es ist ein moralisches Argument, das den Feind außerhalb des Rechtssystems stellt.

7. „Wir erleiden geringe Verluste, die Verluste des Feindes sind erheblich.“

Eine Regel, die nicht nur die Realität der Kriegsführung verzerrt, sondern sie gleichsam in ihre eigene Form von Fantasie überführt. Die eigenen Verluste – so gering wie möglich dargestellt, sogar als symbolische Opfer des edlen Kampfes – die des Feindes jedoch werden als unvorstellbar grausam beschrieben. Sie sind das Argument für den „guten Krieg“, während die eigenen Opfer als eine Art noble Selbstaufopferung präsentiert werden.

8. „Anerkannte Kulturträger und Wissenschaftler unterstützen unser Anliegen.“

Was wäre die Kriegspropaganda ohne das ehrwürdige „Bekenntnis der Gelehrten“? Die wichtigsten Stimmen der Zivilisation – Philosophen, Wissenschaftler, Künstler – sie alle stimmen in den Chor ein und erklären den Krieg für gerechtfertigt. Diese Regel ist das beste Rezept, um den Krieg als etwas Zivilisiertes erscheinen zu lassen, etwas von der gebildeten Klasse Abgesegnetes. So wird der Krieg nicht nur zu einem politischen Akt, sondern zu einem Akt der Kultur.

9. „Unser Anliegen hat etwas Heiliges.“

Kriege, die von diesem Glauben genährt werden, erlangen eine fast religiöse Dimension. Sie sind nicht nur Kämpfe um Macht, sie sind Kämpfe um das Gute, um das Heilige, um das einzig Wahre. Der Krieg wird so zu einer Art spirituellen Mission, einer Pflicht, die nicht nur mit Tod, sondern auch mit einer beinahe heiligen Entrückung verbunden ist.

10. „Wer unsere Propaganda in Zweifel zieht, arbeitet für den Feind und ist damit ein Verräter.“

Und schließlich die bedrohliche, alles zerstörende Drohung: Wer diese Wahrheit in Frage stellt, ist ein Feind der Nation. Wer an der heiligen Botschaft zweifelt, ist nicht nur ein Irrer, sondern ein Verräter, der das Wohl des Volkes gefährdet. Das System lebt von dieser Regel, denn es ist der Druck, der jeden Einzelnen zwingt, in Linie zu bleiben. Zweifel werden zu Verrat, und der Verrat ist eine der tödlichsten Sünden in einem Krieg.

Die Propaganda als ein Spiegel der Gesellschaft

Arthur Ponsonbys zehn Regeln sind nicht nur ein historisches Relikt, sie sind auch ein Spiegel für die Mechanismen der Wahrheitsverzerrung, die wir immer wieder in verschiedenen Formen wiederfinden. Wie sehr sich die Welt auch verändert haben mag, die Werkzeuge der Kriegspropaganda haben sich nur verfeinert. Wir leben in einer Ära, in der die Wahrheit nicht nur im Krieg, sondern auch im alltäglichen Leben ein seltenes Gut ist. Ponsonby erinnert uns daran, dass der Krieg mehr ist als das Zerstören von Leben; er ist das Zerstören von Wahrheiten. Und wenn wir nicht wachsam sind, wird uns die nächste „große Wahrheit“ möglicherweise ebenso schnell wie die letzte vorenthalten – denn sie ist längst das erste Opfer.

Europa, Trump und der Preis der Moral

Der Elefant im Kristallpalast

Donald Trump, dieser orangefarbene Apokalyptiker, hat es wieder getan. Ein einziger Satz, ein beiläufig in den US-Kongress geschmettertes Aperçu, und die kollektive Hirnrinde des europäischen Politbetriebs zuckt in nervöser Ehrpusseligkeit. Die EU, so raunzt der demagogische Sonnenkönig von Mar-a-Lago, habe mehr Geld für russisches Öl und Gas ausgegeben als für die Verteidigung der Ukraine. Und wie so oft bei Trump liegt in der bitteren Provokation eine unbequeme Wahrheit verborgen – was ihn vermutlich selbst am meisten überrascht haben dürfte.

Der Kontinent der moralischen Superlative

Europa – das ist der Weltgeist in Seidenbluse, der Hort der universalistischen Moral, die spirituelle Heimstatt der Menschenrechte, kurz: die unbestrittene Hauptstadt des Bessermenschentums. Hierzulande erklärt man den Schwellenländern die Energiewende und den USA die Todesstrafe, während man selbst in fossilen Wohlstandsblasen haust, deren Heizungspumpen sich glucksend aus sibirischen Pipelines speisen.

Dass die EU seit drei Jahren Putin mit Milliardenbeträgen den Kriegsapparat schmiert, während sie der Ukraine in tröpfelnden Almosen humanitäre Checkbücher entgegenwedelt – ach, das ist ein Sachverhalt, den man lieber hinter Parlamentsfloskeln und Nachhaltigkeitszertifikaten verbirgt. Wie nannte es der große Philosoph Karl Kraus doch gleich? Die höchste Form der Heuchelei sei jene, die sich selbst nicht einmal als Heuchelei begreife.

Realpolitik oder Selbstbetrug?

Nun könnte man ja einwenden, der fossile Fetischismus der EU sei eine unvermeidliche Notwendigkeit der Realpolitik – ein pragmatischer Pakt mit dem Teufel zur Aufrechterhaltung der sozialen Wärme in den Eigenheimparadiesen des Rhein-Main-Gebiets. Man könnte sagen: Der Winter ist lang, das Gas knapp, und wer heizt, der sündigt. Doch diese zynische Ehrlichkeit bleibt in Brüssel ebenso Mangelware wie handfeste Energiestrategien.

Stattdessen pflegt man eine semantische Doppelmoral, die jede Pipeline in ein politisches Paradoxon verwandelt: Russische Energieimporte heißen „Übergangslösungen“, während Waffenlieferungen an die Ukraine „unverzichtbare Solidarität“ genannt werden. Man führt keinen Wirtschaftskrieg, sondern nur „gezielte Sanktionen“, während der Rubel in Gazprom-Kassen munter weiterrollt.

Der Trump-Moment

Und dann kommt ausgerechnet Donald J. Trump daher, dieser großmäulige Störenfried der diplomatischen Fassade, und entlarvt die europäische Doppelmoral in einem einzigen Satz. Ein Zyniker, der die Wahrheit sagt, bleibt immer noch ein Zyniker – aber eben auch einer, der die Wahrheit sagt. Vielleicht liegt darin die größte Kränkung für die feinnervige europäische Seele: Dass sie sich von einem Trump das moralische Nacktsein vorführen lassen muss.

Der Selbstbetrug der Wertegemeinschaft

Freilich ist der wahre Skandal nicht, dass Europa russisches Gas kauft – sondern dass Europa sich dabei weiterhin für die Avantgarde der Menschlichkeit hält. Wer in Davos mit heiligem Ernst von Klimaneutralität doziert, während der Mercedes-SUV in der Garagenauffahrt noch auf Gazprom-Diesel tuckert, der sollte zumindest die Anständigkeit besitzen, seine Hybris als solche zu benennen.

Es ist die alte europäische Krankheit: Die Vorstellung, dass noble Absichten den moralischen Bankrott der Realität kompensieren könnten. Die Ukraine verteidigen, aber bitte nur mit Lippenbekenntnissen und Waffen aus den Depots der 80er-Jahre. Energieunabhängigkeit predigen, aber am liebsten auf der Grundlage russischer Moleküle. Sanktionen verhängen, aber nur so, dass sie weder den Porsche Cayenne noch den Heizölvorrat gefährden.

Die Dialektik des Wohlstands

Europa hat sich in eine dialektische Zwickmühle manövriert, in der es gleichzeitig seine moralische Überlegenheit behauptet und seine ökonomische Abhängigkeit pflegt. Man prangert den Aggressor an und finanziert ihn mit diskretem Dauerauftrag. Man fordert Wertegemeinschaften, aber nur so lange, wie diese den eigenen Wohlstand nicht substanziell gefährden.

Dabei wäre der ehrliche Weg so einfach: Wenigstens einmal zu sagen, dass man sich seinen Frieden mit dem fossilen Opportunismus gemacht hat. Dass Wohlstand in diesen Breiten nun mal wichtiger ist als die ukrainische Souveränität. Dass ein warmes Wohnzimmer in Stuttgart mehr zählt als ein kaltes Grab in Bachmut.

Die unbequeme Wahrheit

Doch diese Ehrlichkeit wird es nicht geben. Stattdessen wird man weiter Moralstolz predigen und sich gleichzeitig von Gazprom die Gasspeicher auffüllen lassen. Der europäische Heiligenschein bleibt poliert, während im Hintergrund der Rubel rollt. Und irgendwann, wenn der Krieg vorüber ist und der letzte ukrainische Soldat für unsere Prinzipien gestorben ist, wird man feierliche Gedenkreden halten – selbstverständlich klimaneutral.

Bis dahin aber sei Trump gedankt. Nicht dafür, dass er die Wahrheit gesagt hat – sondern dafür, dass er uns daran erinnert hat, dass sie in Europa niemand hören will.