Alte und Kranke – das Sparschwein des IWF

Wenn der Internationale Währungsfonds – dieser wirtschaftspolitische Batman in Anzug und Zahlenfetisch – den Zeigefinger hebt, dann beugt sich die Politik brav wie ein Chorknabe bei der Sonntagsmesse. Denn was der IWF sagt, ist keine Meinung, es ist – im modernen Regierungssprech – alternativlos. Die Nachricht klingt harmlos, fast fürsorglich, wie ein Anruf der eigenen Bank, der einem mitteilt, dass man „vorsichtiger wirtschaften“ sollte, ehe das Konto endgültig in den Bereich „archäologische Ruine“ kippt. Die „heuer beschlossenen bzw. angekündigten Maßnahmen“, wie es bürokratisch so schön heißt, seien bereits ein erster Schritt, um den Schuldenanstieg zu bremsen – oder, mit anderen Worten: Der Patient Staat hat Fieber, aber statt Medikamente gibt’s erstmal Diät. Zuckerfrei, freudlos, und vor allem: solidarisch. Denn gespart wird an denen, die sich am wenigsten wehren – den Alten und den Kranken.

Natürlich sagt das keiner so direkt. Der IWF spricht von „Effizienzpotenzial“, die Politik von „nachhaltiger Finanzarchitektur“ – und das Echo in den Medien klingt wie eine harmonische Symphonie aus ökonomischer Vernunft und moralischer Alternativlosigkeit. Die Rentner? Werden „an der Lebenserwartung beteiligt“. Die Kranken? Werden zu „verantwortungsvoller Inanspruchnahme der Systeme“ ermuntert. Sparen heißt heute nicht mehr: etwas wegnehmen. Es heißt: neue Anreize setzen. Und wenn jemand auf dem Weg zum OP-Tisch zusammenbricht – na gut, dann war der Anreiz eben zu hoch.

Wirtschaftliche Vernunft oder politische Schizophrenie?

Merkwürdig nur, dass dieselbe Regierung, die heute den Gürtel enger schnallt, gestern noch voller Euphorie Milliardenpakete für alles Mögliche geschnürt hat: Klimarettung, Corona-Kompensationen, Beamtenpensionen im Paralleluniversum. Da floss das Geld wie Apfelsaft auf einer Kinderparty – großzügig, unreflektiert, und nach dem dritten Glas leicht erbrechlich. Jetzt plötzlich: Katerstimmung. Aber nicht bei denen, die getrunken haben, sondern bei denen, die schon vorher nüchtern waren. Denn sparen müssen jetzt nicht etwa jene, die politische Träume auf Pump finanziert haben, sondern die, die keine Lobby haben. Die Rentnerin, die sich zwischen Heizung und Butter entscheiden muss. Der Kassenpatient, der monatelang auf ein MRT wartet, während das Gesundheitsministerium ein neues Digitalprojekt mit Beratungsfirmen testet.

Und das Beste: All das geschieht im Namen der Generationengerechtigkeit! Man müsse „die Systeme für die Jungen erhalten“, sagen dieselben Politiker, die gerade Milliarden in Kurzzeitmaßnahmen pumpen, die exakt jenen Jungen eine Zukunft verbauen. Es ist die ökonomische Form der Schizophrenie: Man stiehlt den Enkeln das Erbe und nennt es Reform.

Pensionisten als Staatsfeinde

Der neue Lieblingsfeind der Spararchitekten ist der Pensionist. Nicht der Steuervermeider, nicht die Bankenrettung, nicht das Beraterwesen in Ministerien – nein, es ist die alte Dame mit Rollator, die mit ihrer Existenz die Statistik verhagelt. Man hört es durch die Blume, aber deutlich: Wer zu lange lebt, ist ein Kostenfaktor. Die Subtilität dieser Erzählung ist bemerkenswert. Früher galt das Alter als Lebensleistung, heute ist es eine fiskalische Unverschämtheit.

Pensionen werden eingefroren, angepasst, entkoppelt – nicht an die Lebenshaltungskosten, sondern an die Laune des Finanzministers. Gleichzeitig steigen die Gehälter im staatsnahen Bereich weiter, so planbar wie der Sonnenaufgang – und genauso alternativlos. Der Mythos, dass „alle ihren Beitrag leisten müssen“, gilt eben nur für jene, deren Beitrag keine politischen Konsequenzen hat. Oder, wie es der IWF ausdrücken würde: Low resistance, high yield.

Der schönste Ort zum Sparen – solange man gesund ist

Noch perfider wird’s im Gesundheitswesen. Der IWF empfiehlt Einsparungspotenzial, die Regierung nickt. Schließlich ist der Mensch am Ende seines Lebens teuer. Notfallstationen, Medikamente, Pflege – das alles kostet. Und was nichts einbringt, wird rationalisiert. Immerhin handelt es sich hier nicht um Produktivität, sondern um Menschlichkeit – ein schlecht kapitalisierbarer Wert. Und daher: zu streichen.

Die geplanten „Strukturmaßnahmen“ – herrlich, dieses Wort – bedeuten in der Praxis: Krankenhäuser zusammenlegen, Leistungen kürzen, Digitalisierung als Ersatz für Personal feiern. Chatbots statt Pflegekräfte, automatisierte Diagnosen statt Fachärzte, „Triage by Algorithmus“. Wer Glück hat, stirbt schnell. Wer Pech hat, wird weitergeleitet.

Dass genau dieses System von denselben Leuten beklatscht wird, die bei jeder Gesundheitskampagne betonen, wie wichtig Prävention und Menschlichkeit seien, ist kein Widerspruch – es ist das neue Normal. Heuchelei wurde professionalisiert, mit Logo, Farbpalette und PR-Berater.

Die absurde Logik der Zahlenheiligen

Die Politik der Gegenwart gleicht einem absurden Theaterstück, in dem niemand mehr weiß, ob er Schauspieler oder Zuschauer ist. Die Schuldenbremse wird angebetet wie eine goldene Kalbsleber – selbst wenn sie dem Patienten auf der Trage das Atmen erschwert. Sparen wird nicht mehr hinterfragt, sondern als Tugend gefeiert, selbst wenn es ökonomisch widersinnig ist. Denn jeder Ökonom weiß: Man kann sich nicht aus einer Krise herausknausern. Aber man kann so tun, als hätte man keine andere Wahl.

So lebt man von der Illusion der „verantwortungsvollen Haushaltsführung“, während man gleichzeitig das Fundament des Sozialstaates aushöhlt. Und alle machen mit: Medien, weil sie Reformen gut finden, solange sie nicht selbst betroffen sind. Experten, weil sie sich in Studien verlieren. Und Bürger, weil ihnen niemand erklärt hat, dass auch ein „sparsamer Staat“ arm machen kann – vor allem die Falschen.

Applaus vom IWF, Apnoe beim Volk

Man möchte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Aber zum Glück hat Satire ihre stärksten Momente im Angesicht der Absurdität. Und was ist absurder als eine Regierung, die sich von internationalen Institutionen diktieren lässt, bei wem im Land zu kürzen sei? Der Internationale Währungsfonds hat gesprochen. Die Regierung gehorcht. Die Alten zahlen. Die Kranken warten. Und die Jungen? Die sollen später irgendwann mal dafür danken, dass man ihnen den Weg in eine finanziell stabile, aber moralisch bankrotte Zukunft geebnet hat.

Und wenn das alles nicht hilft, dann kann man ja noch ein bisschen an der Bildung sparen. Wer nicht versteht, was mit ihm passiert, protestiert auch nicht. Effizienzpotenzial, eben.

Studenplan: Mathe, Deutsch, Krieg

In einer Zeit, in der das deutsche Bildungssystem bereits an der Integration des Digitalen scheitert wie ein W-LAN-Router in der Turnhalle, wirkt der neueste Vorstoß konservativer Sicherheitspolitik wie ein tragikomischer Versuch, dem Schulalltag endlich wieder Ernsthaftigkeit zu verleihen – mit Betonung auf Ernst. Roderich Kiesewetter, laut Visitenkarte ein Verteidigungspolitiker, laut Interview eher eine Kreuzung aus Airbag und Alarmglocke, fordert Krisentraining an Schulen. Nicht etwa, weil der nächste Mathetest für viele Kinder bereits eine Form von Katastrophenerfahrung darstellt, sondern weil Russland – so seine Einschätzung – in ein bis zwei Jahren möglicherweise NATO-Gebiet angreift. Inklusive Hausaufgabenkontrolle, versteht sich.

Dass Kinder heute kaum noch wissen, wer Konrad Adenauer war, dafür aber die emotionale Biographie von Influencern rezitieren können, scheint nicht das Problem zu sein. Nein, das eigentliche Versäumnis besteht laut Kiesewetter darin, dass sie sich im Falle eines Luftangriffs nicht korrekt verhalten würden. Dass sie im Angesicht geopolitischer Verwerfungen weder mit Sandsack noch mit stoischer Miene aufwarten können. Dass sie – wie er es nennt – „besonders anfällig“ sind. Also keine Soldaten, sondern halt nur: Kinder.

Resilienzunterricht statt Religionsunterricht: Beten hilft nicht mehr

Der Begriff der Resilienz, ursprünglich aus der Psychologie kommend und dort als gesunde Widerstandskraft gegen traumatische Erlebnisse gefeiert, wird nun also aus dem kuscheligen Kontext von Achtsamkeit und Feelgood-Coaching herausgerissen und in die martialische Wirklichkeit überführt. Was früher als „innere Stärke“ galt, heißt heute: Wie verhalte ich mich bei Luftalarm? Was in der Vergangenheit vielleicht mit einer pädagogischen Wanderung durch den nahegelegenen Wald erledigt war („Natur stärkt die Seele“), soll jetzt offenbar durch Planspiele ersetzt werden: Wo finde ich den nächsten Bunker? Wie entziffere ich NATO-Funkfrequenzen? Und was ist der Unterschied zwischen Atombunker und Fahrradkeller?

In den nordischen Ländern – so die neidische Anmerkung Kiesewetters – sei man da weiter. Dort gibt es Notfallrationen, Evakuierungspläne, Sirenen-Apps. Vielleicht auch ein Schulfach „Geopolitisches Überleben für Fortgeschrittene“. In Deutschland hingegen traut man Kindern nicht mal zu, ohne Helmpflicht auf dem Schulweg unterwegs zu sein. Der Ruf nach „mehr Resilienztraining“ wirkt da wie ein verzweifelter Versuch, der Jugend wenigstens noch irgendetwas beizubringen – wenn schon keine Rechtschreibung, dann eben Kriegsvorbereitung.

Bildungspolitik als Theaterprobe fürs Schlachtfeld

Man stelle sich vor: der Stundenplan des Jahres 2026.
08:00 – Mathematik (Grundrechenarten und ballistische Flugbahn)
09:00 – Deutsch (Erörterung: Sollten Drohnen genderneutral benannt werden?)
10:30 – Politik (Die NATO: Geschichte eines kollektiven Nervenzusammenbruchs)
12:00 – Kriegsvorbereitung (Praktikum: Tarnen, Täuschen, TikTok meiden)
14:00 – Ethik (Moral in der Atomruine – eine Fallstudie)

Der Klassenraum wird zur Bunkerattrappe. Die Pausenglocke klingt wie Fliegeralarm. Und die Schulpsychologin wird zur Feldärztin mit Seelsorgeoption. Das klingt grotesk? Ja, aber nicht grotesker als die Idee, dass dieselbe Politikergeneration, die es nicht schafft, Lehrpläne zu digitalisieren oder Lehrermangel zu beheben, nun über Nacht das Land auf den Verteidigungsfall vorbereiten möchte. Was kommt als Nächstes? Bundesjugendspiele mit Scharfschützeneinlage?

Natürlich, wir leben in Zeiten der Unsicherheit. Natürlich ist es nicht falsch, über Zivilschutz nachzudenken. Aber die perverse Logik, nach der Kinder nun an vorderster Front der politischen Symbolik geparkt werden – weil man sich nicht traut, Erwachsenen zumutet, Vorräte anzulegen oder sich mit geopolitischen Realitäten auseinanderzusetzen – ist nichts anderes als eine weitere Form der Verantwortungsdelegation. Die Jugend wird zur Projektionsfläche für das, was die Politik selbst nicht zu leisten vermag: Klarheit, Mut, Vorbereitung. Und dann wundert man sich, warum die Fridays-for-Future-Generation lieber demonstriert als Dienst tut.

Pädagogik im Camouflage-Mantel

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Schulen zur Vorhut politischer Experimente gemacht werden. Schon die Pisa-Schocks der 2000er hatten mehr mit politischer Symbolik zu tun als mit echter Reform. Die Inklusionsdebatte wurde von oben verordnet, ohne Ressourcen. Und jetzt also das: Militarisierte Pädagogik, weil irgendwo die Sirenen heulen könnten.

Wer als Kind in einem Schulsystem aufwächst, das ihm beibringt, jederzeit mit dem Schlimmsten zu rechnen, lernt nicht Resilienz – er lernt Angst. Wer Krisentraining mit Lebenskompetenz verwechselt, verlegt das Bildungsideal vom Denken ins Ducken. Und wer Schüler*innen zur Verteidigungslinie der Innenpolitik macht, braucht sich nicht wundern, wenn die nächste Generation nicht rebelliert, sondern resigniert.

Krieg als Horizont der Bildungsdebatte

Kiesewetter ist dabei nicht das Problem – er ist nur das Symptom einer politischen Klasse, die ihre eigene Ratlosigkeit in martialischen Formulierungen versteckt. Weil echte Prävention teuer, komplex und unpopulär ist, gibt man lieber psychologische Ratschläge: Die Kinder sollen bitte stabil bleiben, während man selbst keine Stabilität zustande bringt. Die Schulen sollen Katastrophenräume werden, weil die Politik keine Vision für friedliche Bildung hat. Und alle sollen sich vorbereiten – aber niemand fragt, worauf eigentlich.

Denn am Ende dieses Weges steht nicht die Resilienz, sondern die Resignation. Wenn Bildung nicht mehr bedeutet, die Welt zu verstehen, sondern sich vor ihr zu fürchten, dann ist nicht der Schüler gefährdet, sondern die Demokratie.

Das Gegenteil von Krieg ist nicht Frieden, sondern Bildung

Vielleicht wäre es an der Zeit, den Spieß umzudrehen. Statt Resilienztraining: Rhetorikkurse für Politiker. Statt Fluchtrouten im Schulflur: Debatten über Außenpolitik in der Mittelstufe. Statt Tarnfarbe auf dem Lehrplan: der Mut, Schüler ernst zu nehmen, ohne sie gleich zu Soldaten der Resilienz zu machen.

Denn Resilienz beginnt nicht bei Sandsäcken. Sie beginnt bei Sinn. Und wenn das Bildungssystem der Ort sein soll, an dem junge Menschen lernen, dieser Welt standzuhalten, dann sollte man ihnen vielleicht beibringen, wie man denkt – nicht nur, wie man duckt.

Die große Erleichterung in kleinen Gläsern

Man muss sich das politische Drama der Gegenwart in seinem vollen Ausmaß vorstellen: Da taumelt die Welt in ein neues multipolares Zeitalter, während Kriege, Krisen und Klimakollaps sich wie Aktienpakete um die Aufmerksamkeitsspitze der Medien kloppen – und just in dieser Kulisse atmet Europa auf, denn: Der Whiskey bleibt zollfrei.

Ja, richtig gelesen. Kein Scherz, kein metaphorischer Hustenanfall diplomatischer Natur – ganz real: Die Europäische Kommission, dieses wankelmütige Wesen zwischen Technokratie und Tagtraum, hat beschlossen, vorerst keine Strafzölle auf US-amerikanischen Bourbon zu erheben. Die erste Liste von Vergeltungsprodukten im transatlantischen Zollkrieg ist veröffentlicht – und siehe da: Der Whiskey wurde ausgeladen wie ein betrunkener Onkel von einer Familienfeier, bei der man endlich mal seriös wirken wollte.

Gerade noch mal Glück gehabt. Für die transatlantischen Beziehungen. Für die Happy Hour. Für jeden, der seine Welterklärung gerne mit einem rauchigen Unterton genießt.

Whiskey als Weltpolitik: Flüssiger Frieden in Eichenfässern

Denn machen wir uns nichts vor: Im postfaktischen Zeitalter, in dem Pressemitteilungen länger halten als Koalitionen, ist der Bourbon längst mehr als nur ein Destillat. Er ist Symbol, Seismograph und semiotischer Supergau zugleich. Wer ihn besteuert, legt die Axt an das transatlantische Narrativ, das da lautet: Freiheit, Gleichheit, Kater.

Strafzölle auf Bourbon wären nichts Geringeres als die rituelle Beleidigung des amerikanischen Mythos, der in jeder Flasche Jack Daniel’s mitverkorkt wird. Ein Angriff auf das heilige Gleichgewicht zwischen Mais, Eiche und Marktliberalismus. Und wer weiß – wäre es dazu gekommen, hätten sich womöglich ganze NATO-Gipfel in tränenreichen Whisky-Tastings aufgelöst. Stoltenberg mit feuchtem Blick über einem Glas „Knob Creek“. Macron, der versucht, einem texanischen Abgesandten das französische Konzept von „Appellation d’Origine Contrôlée“ zu erklären, während Ursula von der Leyen nervös mit einem Flaschenöffner spielt. Tragisch-komisch, hochprozentig.

Die Kommission und ihr Einkaufszettel der Eskalation

Natürlich hatte man – ganz EU-typisch – vorerst nur geplant. Es war, wie immer, alles in einem frühen Stadium, „eine von vielen Optionen“, „kein endgültiger Beschluss“, „Teil eines fortlaufenden Prüfprozesses“. Oder, wie man es in Brüssel nennt: ein halbfertiger Kompromiss in Kommasetzung.

Die ursprüngliche Strafliste war dabei ein Kuriositätenkabinett europäischer Wertewahrung: Harley-Davidson, Jeans, Erdnussbutter – kurzum, alles, was nach amerikanischer Folklore riecht. Dass der Whiskey es nun nicht mehr auf die Liste geschafft hat, ist keine sachliche Entscheidung, sondern ein kulturpolitischer Gnadenakt. Die EU sagt: Wir sehen eure Flugzeugsubventionen – aber wir nehmen euch nicht den Drink weg. Wir sind nicht barbarenhaft. Wir sind europäisch.

Kant hätte wohl gesagt: Das ist kategorischer Imperativ auf Kornbasis. Schiller hätte es besungen. Churchill hätte es gesoffen.

Die Rettung des Bourbons – oder: Der Alkohol als letzter Globalist

Was bleibt uns denn sonst noch, wenn alles andere auseinanderbricht? Die EU klebt am Zahnfleisch, das transatlantische Bündnis knirscht wie ein schlecht geölter Sargdeckel, und das Vertrauen in die regelbasierte Weltordnung ist ähnlich standfest wie ein belgischer Sommer. In solchen Zeiten braucht es stabile Konstanten. Und was wäre stabiler als 45 Volumenprozent in einer Glasflasche mit Sternenbanneretikett?

Bourbon ist der letzte Globalist, der noch in jeder Zunge Verständnis auslöst. Er kennt keine Zollgrenzen, nur Durststrecken. Er stellt keine geopolitischen Forderungen – nur gelegentlich das Gleichgewicht der Leber. Er ist weder rechts noch links, sondern ganz einfach: runter. Und das eint.

Darum ist es nur folgerichtig, dass man ihn aus dem Strafzollgewitter herausgehalten hat. Denn würden wir anfangen, Whiskey zu sanktionieren – was käme als Nächstes? Brieffreundschaften mit Kanada unter Genehmigungsvorbehalt? Moralabgaben auf Netflix-Serien mit unkorrektem Humorgehalt?

Europa, du alter Gentleman mit schwankender Hand

Natürlich muss man die EU an dieser Stelle auch loben – zumindest kurz, bevor man wieder in gewohnter Manier an ihr herumnörgelt wie ein Pariser Barkeeper an einem schlecht gemixten Manhattan. Es gehört Mut dazu, eine Drohkulisse aufzubauen und dann feierlich einen Rückzieher zu machen, der aussieht wie eine strategische Entscheidung. Europa ist in diesem Sinne der Gentleman unter den geopolitischen Akteuren: zu höflich zum Zuschlagen, aber stets bereit, die Waffe auf den Tisch zu legen und dabei bedeutungsvoll zu nicken.

Man kennt das von Familienfesten: Die Oma sagt, sie kommt diesmal wirklich nicht, wenn ihr wieder über Politik redet – steht dann aber trotzdem mit Kartoffelsalat in der Tür. So auch die Kommission: „Wir erheben Zölle, jawohl – aber nicht auf das Zeug, das uns gefällt. Wir haben ja schließlich auch unsere Prinzipien. Sie sind halt nur… selektiv.“

Schlussgedanke mit Schuss

Und so endet die Posse, wie sie begann: mit einem Verwaltungsakt, den niemand verstanden hat, aber alle mit einem kurzen Nicken akzeptieren – wie einen besonders absurden Theaterabend im Berliner Ensemble.

Der Whiskey bleibt frei. Die Würde des Freihandels ist gerettet. Europa zeigt sich einmal mehr als die Tante, die zwar droht, dir das WLAN abzudrehen, aber dann doch heimlich dein Handy auflädt, weil sie dich ja irgendwie doch lieb hat.

Gerade noch mal Glück gehabt.
Zum Wohl.

Der Staat in Watte, das Volk im Visier

Es gibt in der Geschichte der politischen Philosophie Momente, da blitzt für einen winzigen Augenblick so etwas wie Klarheit auf – wie ein Sonnenstrahl auf einem Haufen bürokratischer Knochen. Einer dieser lichten Momente war die Idee, dass Gesetze – man höre und staune – nicht dazu da sind, dem Staat ein angenehmes Arbeitsumfeld zu garantieren, sondern um seine Macht einzuhegen. Und tatsächlich: Grundrechte, Menschenrechte, Bürgerrechte – das klingt wie ein Arsenal an Schutzschilden für den Einzelnen, für das verletzliche, fehlbare, oft etwas ungewaschene Wesen namens „Bürger“, das zwischen Behörde und Budgetloch leicht zerrieben werden kann wie ein Marienkäfer zwischen zwei Gesetzeswalzen.

Doch siehe da: Wir leben in Zeiten, in denen man sich fragt, ob der Sinn des Grundgesetzes nicht doch eher darin besteht, dem Staat eine Ruhezone zu verschaffen, frei von störendem Widerspruch, nervigen Demonstrationen und Leuten, die partout ihre Meinung behalten wollen. Der Leviathan von einst, der gebändigt werden sollte, läuft heute wieder frei herum – allerdings mit Genderbroschüre, CO₂-Kompensation und DSGVO-konformer Kameraüberwachung im Gepäck.

Die neue Dialektik: Kritik ist Gewalt, Kontrolle ist Fürsorge

Früher war es einfach: Der Staat war stark, der Bürger schwach, also musste man den Bürger schützen. Heute ist der Bürger „radikalisiert“, sobald er gegen etwas protestiert, was sich als „alternativlos“ etikettiert hat – selbst wenn dieses Etikett nur über ein paar verwelkten politischen Bekenntnissen klebt wie ein Bio-Aufkleber auf einem tiefgefrorenen Atomkloß. Und so erleben wir eine rhetorische Umdrehung von bemerkenswerter Eleganz: Kontrolle wird zur Fürsorge erklärt, Überwachung zur notwendigen Maßnahme, Zensur zur Verteidigung der Demokratie.

Wer also etwa auf dem Marktplatz sagt, dass vielleicht nicht jede pandemiebedingte Maßnahme ein Ausbund von Weisheit war, wird nicht mehr als Bürger mit Meinung wahrgenommen, sondern als potenzieller Feind der staatlich autorisierten Wahrheit. Der Staat – das arme Ding – fühlt sich plötzlich „bedroht“. Und zwar nicht von Aufrüstung, Machtmissbrauch oder Lobbyismus, sondern von Bürgern mit Fragen.
Wir erleben: Das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit verwandelt sich in eine Art bedingte Leihgabe – zu nutzen nur in staatlich zugelassenen Rahmen. Eine Art Knäckebrotfreiheit: knusprig, aber brüchig.

Das Menschenrecht als Baugenehmigung für Gehorsam

Natürlich, niemand will es so sagen – und das ist Teil des Spiels. Man redet von Verantwortung, gemeinschaftlichem Handeln, Vertrauen in die Institutionen. Und dabei schleicht sich eine stille Entkernung ein: Grundrechte werden zur moralischen Belohnung für staatstreues Verhalten. Wer sich benimmt, darf demonstrieren. Wer brav impft, darf reisen. Wer keine kritischen Fragen stellt, wird nicht unter Beobachtung gestellt.

Der ursprüngliche Sinn, dass diese Rechte explizit auch – oder gerade – gegen einen übergriffigen Staat gerichtet sind, verblasst wie ein ausgeblichener Wahlplakattext. Man hat das Grundgesetz nicht geschaffen, um eine administrative Komfortzone einzurichten. Es ist kein Safe Space für Ministerpräsidentenkonferenzen. Es ist ein Instrument, um den Staat zu fesseln, zu beschneiden, zu zähmen. Es ist – im besten Sinne – ein Maulkorb für Macht. Doch wehe dem, der das heute sagt. Der wird, je nach Lautstärke, als Populist, Schwurbler oder Verfassungsfeind markiert. Und dabei will er vielleicht nur erinnern, was ein Artikel 1 bis 20 eigentlich bezweckt.

Wenn das Recht schweigt, während der Staat spricht

Es ist ein interessantes Phänomen unserer Zeit, dass sich selbst die eloquentesten Verfassungsrechtler in einen Zustand reflexartiger Staatsapologie versetzen, sobald es darum geht, ob Maßnahmen „verhältnismäßig“ seien. Verhältnismäßig – dieses schöne Gummiwort! Es dehnt sich wie eine Yogalehrerin mit zweifelhafter Ausbildung, solange es nur nicht um die Verhältnisse geht, die tatsächlich Menschen schaden. Die Betroffenen? Kollateralschäden. Die Maßnahmen? Notwendig. Die Kritik? Antisozial.

Wer es wagt, die Zweck-Mittel-Verhältnisse umzukehren und zu sagen: Der Staat hat sich vor den Bürgern zu rechtfertigen, nicht umgekehrt, der gerät schnell in Erklärungsnot. Dabei müsste man eigentlich nur das Grundgesetz vorlesen. Nicht interpretieren. Einfach vorlesen.
Aber das ist heute eine radikale Handlung geworden – wie das laute Vorlesen eines verbotenen Märchens in einer Dystopie, in der die Hüter des Guten beschlossen haben, dass das Gute eben nur sie selbst bedeuten kann.

Vom Untertan zum Verdächtigen

Früher war man ein Untertan, heute ist man ein potenzieller Gefährder. Der Unterschied? Man trägt keine Uniform mehr, sondern ein iPhone – das jeden Schritt meldet, jede Nachricht speichert, jedes Gespräch protokolliert. Der Fortschritt hat aus dem Untertan einen selbstverwalteten Datensatz gemacht. Der Staat muss heute keine Spitzel mehr schicken – er lässt uns einfach unsere Zustimmung selbst klicken.

Und währenddessen wird das Verhältnis zwischen Bürger und Staat leise, aber konsequent verschoben: Nicht mehr das Individuum ist schutzbedürftig – sondern der Staat. Der große, mächtige, millionenschwere Apparat fürchtet sich vor Telegram-Gruppen, Handzetteln und falschen Meinungen. Ein Kritiker wird zur „Bedrohung der demokratischen Ordnung“, während die tatsächliche Ordnung – mit all ihrer Exekutivmacht – sich in diffusem Antifaschismus wärmt, den sie als Tarnumhang für präventive Eingriffe nutzt.

Die Rückkehr der Souveränität – oder ihr letzter Gruß

Wenn der Staat sich vor seiner Bevölkerung fürchten muss, dann ist etwas faul. Aber wenn der Staat so tut, als müsse er sich fürchten, um die Bevölkerung zu disziplinieren – dann ist alles verloren. Die Umkehrung der Schutzrichtung, die pervertierte Lesart von Grundrechten als staatlicher Besitzstandsschutz, ist kein Missverständnis. Sie ist Strategie. Eine schleichende, höflich verkleidete, auf Paragrafen gestützte Strategie zur Immunisierung gegen Demokratie.

Und wir, die Bürger? Wir stehen daneben, mit verunsichertem Blick und FFP2-Maske im Gesicht, und fragen uns, ob wir das so wollen. Die traurige Antwort: Viele merken es gar nicht. Die schärfsten Gefängnisse sind die, deren Gitter aus „alternativlosen Maßnahmen“ bestehen. Die stillsten Diktaturen sind die, in denen man sich „frei fühlt“, solange man nichts sagt.

Das Grundgesetz ist ein Schutzschild – kein Schlagstock. Es wurde geschrieben, damit der Staat sich rechtfertigen muss. Nicht damit er durchregiert, solange es eine Mehrheit gibt, die gerade keine Lust auf Debatte hat. Wer das vergisst, verdient den nächsten autoritären Schub. Und diesmal wird er nicht in Uniform kommen, sondern im Hoodie, mit Regenbogenlogo und einer gut geölten Pressestelle.

Tatperson, Täterschaft und Taktgefühl

Es ist eine unscheinbare Nachricht, wie sie täglich durchs Land rauscht, gesprochen von seriösen Nachrichtensprecher:innen mit betonfreier Stimme, glatten Sakkos und geföhnten Phrasen: „Die Suche nach der Tatperson läuft.“
Kein Mensch zuckt mehr. Niemand hält inne. Die Meldung rinnt wie lauwarmes Wasser durch den Gehörgang, und erst beim zweiten Hinhören – wenn man nicht gerade damit beschäftigt ist, seine CO₂-Bilanz mit veganem Linsenkuchen zu kompensieren – beginnt sich da etwas zu regen: Tatperson? War da nicht mal… Täter?

Nein, nein, ruft da der Fortschritt, von der Kanzel der moralischen Orthografie: Täter sei ein altes Wort. Männlich kodiert. Schuldhaft. Exkludierend. Tatperson, das ist inklusiv. Geschlechtsneutral. Ohne Vorverurteilung. Und überhaupt: Wer sind wir denn, die Schuldfrage schon im Wort zu klären?
Die Sprache, einst Werkzeug zur Erkenntnis, wird zum Neutralitätslabor, zur Silbenbegradigung, zur moralisch aufgeladenen Teppichkante, über die niemand mehr stolpern soll – weil sie sonst „Trigger“ rufen könnten. Und also läuft die Suche. Nicht nach dem Täter. Sondern nach der Tatperson. Und damit, wenn wir ehrlich sind: nach dem letzten Rest sprachlicher Klarheit.

Der Täter hat sich aus dem Staub der Semantik gemacht

Der Täter, das war einmal ein fester Begriff. Kein schöner, aber ein notwendiger. In ihm steckte Handlung, Verantwortung, Konsequenz. Er war – Achtung – eindeutig. Aber Eindeutigkeit ist heute verdächtig. Man will nicht urteilen, sondern „einordnen“. Man will nicht benennen, sondern „sensibilisieren“. Und also weicht der Täter der Tatperson – ein Passivum mit Personalausweis, ein sprachlicher Fluchtraum für alle, die lieber nichts Falsches sagen, als irgendetwas Richtiges.

Das Bemerkenswerte ist: Es ist ja nicht so, dass die Welt weniger brutal geworden wäre. Ganz im Gegenteil. Während draußen echte Taten geschehen – mit Opfern, Schmerzen, Waffen, Blut – verlegen wir uns darauf, die sprachlichen Splitter aus dem Diskurs zu pulen. Anstatt über Kriminalität zu sprechen, diskutieren wir über ihre Formulierung. Und während sich die Wirklichkeit weiter radikalisiert, radikalisiert sich die Sprache – in Richtung Zahnarztwartezimmer.

Denn „Tatperson“, das klingt nicht nach Strafrecht. Es klingt nach Soziologiepraktikum. Man sieht einen jungen Mann mit Bauchnabelpiercing und Therapielatte, wie er sagt: „Wir müssen auch die Perspektive der Tatperson einbeziehen. Vielleicht hat sie sich ja selbst als Opfer ihrer sozialen Konstruktion erlebt.“
Täter? Nein. Das wäre zu einfach. Zu abschließend. Zu wenig „differenziert“. Der Täter wird zur „Tatperson“, die Bombe zum „pyrotechnischen Vorfall“, der Einbruch zur „nächtlichen Kontaktaufnahme“. Die Welt wird weichgespült, aber nicht sanfter.

Sprache als Sedierungsmittel einer überforderten Öffentlichkeit

Woher kommt diese sprachliche Neurose? Aus Angst, natürlich. Nicht etwa vor Tätern, sondern vor Vorwürfen. Der schlimmste Vorwurf in der spätmodernen Republik lautet heute nicht mehr „Lüge“, sondern: Unsensibilität. Wer Täter sagt, ohne genderneutrale Triggerwarnung, wer Opfer benennt, ohne auf koloniale Sprachspuren zu achten, riskiert nicht mehr nur Kritik, sondern Cancel. Die Sprache wird zur Zone der Selbstzensur. Jedes Wort ein potenzielles Minenfeld. Jeder Satz ein diplomatischer Drahtseilakt.

Und so entstehen Monster wie „Tatperson“. Ein sprachliches Konstrukt, geboren aus der Angst vor Zuschreibung. Es ist das sprachliche Äquivalent zum „Nichtstun mit bester Absicht“. Man will alles sagen, ohne etwas Falsches zu sagen – und am Ende sagt man: nichts. Die Sprache wird zur leeren Hülle, gefüllt mit gut gemeinter Absicht. Doch wir wissen: Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit wohlmeinenden Formulierungen.

Historische Parallelen: Wie Euphemismen die Klarheit auffressen

Wer glaubt, diese Entwicklung sei ein Zeichen von Fortschritt, dem sei ein Blick in die Geschichte empfohlen. In autoritären Systemen war die Sprache immer zuerst Ziel der Säuberung – nicht der Täter, sondern der Begriff. Die DDR sprach nicht von Mauer, sondern von „antifaschistischem Schutzwall“. Die Nazis sprachen nicht von Mord, sondern von „Sonderbehandlung“. Und heute sprechen wir nicht von Täter, sondern von Tatperson.
Natürlich – der Vergleich soll nicht gleichsetzen. Aber er darf erinnern: Wenn Sprache aufhört, zu benennen, beginnt die Wirklichkeit, sich zu tarnen. Und wenn alles nur noch in Watte verpackt daherkommt, dann hört man irgendwann nicht mehr das Knirschen unter den Füßen.

Pointenfreiheit als Programm: Wie man mit gutem Willen schlechte Sprache macht

Die Bürokratie hat das längst verstanden. Polizeimeldungen lesen sich heute wie das Ergebnis eines Poetry-Slams in der Reha-Klinik für beleidigte Konsonanten.
„Eine bislang unbekannte Tatperson entwendete mehrere Nahrungsmittel aus einem Einzelhandelsgeschäft.“
Ach ja? Früher nannte man das Ladendiebstahl.
Oder:
„Ein körperlicher Übergriff durch eine männlich gelesene Person mit mutmaßlich eingeschränktem emotionalem Selbstregulationsvermögen.“
Übersetzt: Ein Typ hat jemanden verdroschen.
Aber das klingt halt nicht so… sensitiv.

Die Schlusspointe: Die Suche läuft – aber nicht nach der Tatperson

Und so läuft sie weiter, die Suche. Die Polizei fahndet, das Fernsehen berichtet, der Diskurs rotiert – und niemand will die Täter sein. Nicht in der Sprache, nicht in der Politik, nicht im echten Leben. Alle sind immer nur „betroffen“. Von Zuständen. Von Entwicklungen. Von Missverständnissen.
Aber wer ist verantwortlich?

Der Täter jedenfalls nicht. Er ist jetzt eine Tatperson. Eine Tatperson unter vielen. Eine Erscheinungsform. Eine Möglichkeit. Und damit ist alles gesagt – und zugleich: nichts.

Doch eines ist sicher:
Die Suche nach der Klarheit läuft.
Die Suche nach Mut in der Sprache läuft.
Und die Suche nach der Tatperson?
Die läuft ins Leere.

Wie man ohne Bankerfahrung Chefbanker wird

Was braucht man, um Vize-Chef einer europäischen Bank zu werden? Fachkenntnis? Ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium, vielleicht gar internationale Finanzpraxis, ein paar durchlebte Quartalsbilanzen, ein Jahrzehnt zwischen Börsenkrach und Aufsichtsrat? Nicht in Österreich. Nicht in der EU. Und vor allem nicht, wenn es um Posten geht, die so gut bezahlt sind, dass selbst ein Hedgefondsmanager sich diskret die Augen reibt. Karl Nehammer, ein Mann, dessen ökonomische Erfahrung nachweislich darin besteht, zu wissen, dass Geld existiert, soll künftig den Vize-Vorsitz einer EU-Bank übernehmen. Warum? Weil er weiß, wer in Brüssel mit wem zu Mittag isst. So jedenfalls die inoffizielle Begründung – die offizielle dürfte irgendwo zwischen „Anerkennung seiner Leistungen“ und „Stärkung der österreichischen Position in Europa“ liegen. Mit anderen Worten: Geschwurbel im Maßanzug.

Nehammer, gelernter Kommunikationssoldat, passionierter Durchhalteappellierer, ist nicht als Banker aufgefallen, sondern als rhetorische Nebelkerze auf zwei Beinen. Seine Kompetenz in Finanzfragen gleicht der eines Bauerns beim Mikrochipsortieren – aber er war halt da. Und loyal. Und verfügbar. Und irgendwann musste man ihn ja unterbringen – also, warum nicht dort, wo’s still ist, prestigeträchtig, und wo man, wenn man brav lächelt, 31.000 Euro im Monat bekommt, exklusive Spesen, exklusive Status, exklusive Realitätsverlust?

Der österreichische Postenschacher – eine Operette in Moll

Die SPÖ, die sich neuerdings wieder als moralischer Notausgang der Republik präsentiert, spielt brav mit: Der Deal ist einfach, klassisch, österreichisch. Die ÖVP darf ihren abgehalfterten Ex-Kanzler parken, die SPÖ bekommt dafür das Finanzministerium – ein Tauschgeschäft, wie es sich Josef II. nicht schöner hätte ausdenken können, barock, verlogen, aber immerhin effizient. Und am Ende – das ist das eigentlich Tragische – sind alle zufrieden. Nur der Bürger, also der Zahler, also der, der nicht gefragt wurde, sitzt da und darf ausrechnen, wie viele Kindergartenplätze, Pflegekräfte oder Klohäuschen man mit 31.000 Euro monatlich betreiben könnte.

Es ist die alte Kunst des politischen Tauschhandels: Du gibst mir dein Amt, ich geb dir meinen Mann. Das ist kein Skandal – das ist gelebte Realverfassung. In Österreich geht Macht nicht verloren, sie wird recycelt. Und manchmal landet sie eben in Brüssel, diesem großen Friedhof gescheiterter Innenpolitiker, wo man seinen Lebensabend damit verbringt, im „European Bubble Bistro“ über „Governance-Strukturen“ zu parlieren, während draußen echte Menschen echte Probleme haben.

Von Null auf Kontenstand: Karriere ohne Kompetenz

Man stelle sich vor, ein einfacher Bürger bewirbt sich auf einen hochdotierten Spitzenposten im Bankensektor. Ohne Ausbildung. Ohne Praxis. Ohne Qualifikation, außer vielleicht: Ich habe beim Budgetausschuss öfter genickt. Der Lebenslauf würde im ersten Rundordner landen – und zwar dem mit dem Etikett „Papierkorb“. Aber in der Politik gelten andere Maßstäbe. Nicht Können zählt, sondern Zugehörigkeit. Netzwerke. Loyalität. Die Fähigkeit, stillzuhalten, wenn’s peinlich wird, und laut zu werden, wenn’s taktisch ist. Nehammer hat das perfektioniert: Er war nie der Scharfmacher, nie der Strippenzieher – er war immer das Gesicht vor dem Vorhang. Der Mann, der sagt, was andere sich nicht trauen – oder nicht merken, dass man es besser lassen sollte. Und dafür wird man belohnt. Nicht mit Anerkennung, aber mit Alimentierung.

Die EU-Bank ist kein Ort für Banker mehr – sie ist ein Lazarett für Karrieren, ein politisches Endlager, ein Hochsicherheitstrakt für Unbrauchbares mit Parteibuch. Dort sitzen Menschen, die Europa gestalten sollen, aber nicht einmal ein Haushaltsbuch führen könnten, ohne sich über das Minus zu wundern. Und währenddessen verkünden sie in feierlichen Broschüren, dass „wirtschaftliche Resilienz“ und „nachhaltige Investitionen“ die Zukunft seien – ohne zu erklären, was das eigentlich ist. Muss man auch nicht. Die Sprache der Eurokratie funktioniert wie Weihrauch: Undurchsichtig, aber irgendwie bedeutungsvoll.

„Bezahlt wird’s von uns.“ Oder: Demokratie als Geschäftsmodell

Natürlich – und das ist der schönste Hohn in dieser ganzen Posse – wird das alles finanziert von uns. Den Steuerzahlern. Den Idioten der Demokratie. Denjenigen, die tatsächlich glauben, mit einer Wahlstimme würden sie mitbestimmen, wer was wann wo macht. Aber Wahlen sind in der politischen Wirklichkeit nichts als Kulissenwechsel. Die Schauspieler bleiben dieselben. Nur ihre Kostüme ändern sich – mal Kanzler, mal EU-Banker, mal Aufsichtsrat, mal Experte in eigener Sache.

Was für ein Geschäftsmodell: Du ruinierst deine Glaubwürdigkeit in der Innenpolitik und wirst dafür mit einem hochdotierten, risikofreien Auslandsjob belohnt. Kein Unternehmen der Welt würde so operieren – außer, es wäre ein Staatsbetrieb. Und genau das ist der feuchte Traum aller Parteistrategen: Ein Staatswesen, das sich selbst verwaltet wie eine Erbengemeinschaft auf Valium.

Historischer Nachhall oder: Metternich lächelt aus dem Off

Es hat Tradition in Österreich, dass politische Ämter keine Aufgabe, sondern ein Besitz sind. Von Metternich über Kreisky bis zu Faymann wurde Politik stets als Form der elitären Eigenverwaltung verstanden. Wer einmal oben ist, bleibt oben – auch wenn er fällt. Die Fallhöhe wird abgefedert von Parteinetzwerken, Loyalitätsprogrammen und einer Öffentlichkeit, die so abgestumpft ist, dass sie Korruption nur noch dann erkennt, wenn jemand wirklich den Koffer voller Geld fotografiert.

Karl Nehammer reiht sich nahtlos in diese Tradition ein: kein Fürst, kein Revolutionär, kein Visionär – aber ein Mann des Apparats. Ein Teil des Problems, das sich selbst als Lösung tarnt. Wäre er in einem anderen Jahrhundert geboren, säße er heute vermutlich im Schatten eines Fürsten und würde dessen Kutschenfahrplan organisieren. Heute organisiert er halt „europäische Investitionsstrategien“. Inhaltlich macht das keinen großen Unterschied.

Schlussakkord in B-Moll: Wenn Scheitern Karriere ist

Und so endet diese kleine österreichische Tragödie nicht mit Empörung, sondern mit Achselzucken. Der Bürger hat sich längst daran gewöhnt, dass Leistung in der Politik ungefähr so viel zählt wie Ehrlichkeit auf einer Parteispende. Es ist alles ein Spiel – und Karl Nehammer hat gelernt, wie man es spielt. Nicht gut. Nicht glaubwürdig. Aber effizient.

Der Deal? Er steht. Die SPÖ bekommt ein Ministerium, die ÖVP bekommt ihren Ex-Kanzler entsorgt, Europa bekommt eine neue Investitionsfigurine – und wir bekommen die Rechnung. Wie immer.
Und am Ende, wenn wir unsere Steuererklärung ausfüllen, dürfen wir uns leise fragen: Wer isst eigentlich heute mit wem zu Mittag in Brüssel?

Der lange Weg vom Denken zum Denunzierten

„Früher nannte man es Aufklärung. Heute nennt man es Verschwörung.“
Ein Satz wie ein Faustschlag – nicht ins Gesicht, sondern tiefer, ins Mark jener Zeit, die sich selbst für klüger hält als alle Epochen vor ihr, weil sie einen Taschenrechner in der Hosentasche trägt und sich über den Algorithmus mehr Gedanken macht als über das eigene Gewissen. Die Aufklärung war einst das Licht, das den Nebel der Dogmen durchdrang. Heute ist sie das grelle Spotlight, mit dem derjenige geblendet wird, der es wagt, Fragen zu stellen. Wer denkt, wird verdächtig. Wer widerspricht, wird verdunkelt. Und wer am helllichten Tag noch wagt, „Wieso?“ zu sagen, gilt als Querulant, Schlechtmensch oder wahlweise als Gefahr für die Demokratie – deren heiliges Götzenbild mittlerweile so fragil ist, dass es schon bei einem kritischen Tweet zu zittern beginnt.

Der aufklärerische Geist, der Kant und Voltaire inspirierte, würde heute auf einer Landesliste keine Chance bekommen. Zu sperrig, zu unbequem, zu wenig hashtags. Statt Vernunftkritik herrscht Konsenspflicht. Statt Diskurs: Diskreditierung. Und an die Stelle des selbstbewussten Individuums, das sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen bedient, ist ein digital gesteuertes Kollektivwesen getreten, das sich seiner Haltung ohne Zurechtweisung durch den Faktenchecker schämt.

Der inquisitorische Humanismus – Wer nicht mitmacht, ist raus

„Wer Fragen stellt, wird zum Feind. Wer widerspricht, wird zum Risiko.“
Noch nie war die moralische Haltung so leicht zu haben wie heute. Sie kostet nichts – außer den Verstand. Denn denken ist gefährlich geworden. Nicht weil es verboten wäre – Gott bewahre, wir leben schließlich in einer Demokratie –, sondern weil es sanktioniert wird. Nicht juristisch, sondern gesellschaftlich. Wer Fragen stellt, darf das selbstverständlich tun, aber er sollte vorher seine Karriere in Sicherheit bringen, seine Freunde verabschieden und sein soziales Konto auf emotionalen Ruin einstellen. Denn Fragen stören den Fluss der Empörung, den Algorithmus der Tugend, die Timeline der Korrektheit. Wer fragt, ist ein Störfaktor im System der Selbsterregung. Und wer gar widerspricht, wird behandelt wie ein Virus im großen Körper der kollektiv beschlossenen Realität.

Der neue Humanismus ist ein inquisitorischer. Er spricht von Toleranz, solange keiner widerspricht. Er spricht von Vielfalt, solange alle gleich denken. Er lobt die Wissenschaft – aber nur die, die zur Ideologie passt. Andere Meinungen gelten nicht als andere Meinungen, sondern als „Desinformation“. Ein Wort, das früher aus dem Wörterbuch des Kalten Krieges stammte und heute aus dem Mund von Menschen kommt, die glauben, dass Haltung wichtiger ist als Logik. Wer dagegenhält, ist nicht einfach anderer Ansicht – er ist rechts, esoterisch, russisch oder alles zusammen. Eine moderne Form der Exkommunikation, allerdings ohne Latein, dafür mit Instagram-Story.

Der Mehrheitsfetisch – Warum Wahrheit keine Likes braucht

„Doch Wahrheit braucht keine Mehrheit. Sie braucht Mut.“
Es ist ein alter Irrtum, der sich in neuen Kleidern zeigt: die Idee, dass die Mehrheit recht hat, weil sie Mehrheit ist. Eine demokratische Lebenslüge, die Politik und Medien nur zu gerne pflegen. Doch die Wahrheit war noch nie populär. Wer sie ausspricht, war immer ein Außenseiter – Sokrates musste den Schierlingsbecher trinken, Galileo seine Erkenntnisse widerrufen, Giordano Bruno brannte für seine Gedanken, nicht für sein Ego. Heute gibt es keine Scheiterhaufen mehr – es gibt Hashtags, Löschungen, Rufmorde und Subtilitäten der sozialen Vernichtung. Die Mechanismen sind eleganter geworden, aber nicht weniger brutal.

Die Wahrheit ist unbequem, weil sie sich nicht an Umfragen orientiert. Sie kennt keine Talkshows, keine Parteiprogramme, keine Influencer. Sie steht einfach im Raum – nackt, kalt und unbestechlich. Und sie wartet. Nicht auf Zustimmung, sondern auf Menschen mit Rückgrat. Menschen, die bereit sind, sich zwischen die Fronten zu stellen, ohne ein eigenes Heer. Die wissen, dass sie verlieren können, aber lieber mit Würde scheitern als im moralischen Kollektiv gewinnen. Die Wahrheit braucht keine Mehrheit – sie braucht Einzelne. Und das ist ihr Segen und ihr Fluch zugleich.

Helden der Gegenwart – Zwischen Cancel Culture und Kontrollgesellschaft

„Und Menschen wie dich.“
Ein Satz, der heute wie ein Affront wirkt. Weil er Verantwortung überträgt in einer Zeit, die lieber delegiert. An die Experten, die Gremien, die Zertifikate. Wer heute selbst denkt, ist verdächtig autonom. Autonomie – einst Ideal, heute Sicherheitsrisiko. Der moderne Mensch ist verunsichert, weil er gewohnt ist, Meinungen wie Schuhe zu kaufen: passend zur Saison und bequem. Doch Wahrheit passt selten. Sie drückt, sie scheuert, sie macht blasen.

Menschen, die heute für Wahrheit einstehen, sind nicht Helden im klassischen Sinne. Sie sind oft schrullig, sperrig, schwer verdaulich. Keine Posterboys, keine glatten Fernsehgesichter. Sie kommen ohne PR-Team, aber mit Haltung. Sie widersprechen, wo andere mit dem Strom schwimmen. Und sie gehen oft unter – in der Empörung, im Gelächter, in der Ignoranz. Doch sie sind da. Und ohne sie wäre der Boden, auf dem wir Freiheit behaupten, nur ein dekoriertes Minenfeld.

Die neue Unfreiheit unter dem Banner des Guten

Die größte Tragik unserer Gegenwart ist nicht, dass Menschen belogen werden. Sondern dass sie nicht mehr merken, wenn sie belogen werden – weil sie es gar nicht wissen wollen. Der neue Konformismus kommt nicht in Stiefeln, sondern mit moralischem Lächeln. Er fragt nicht, er belehrt. Er zensiert nicht, er schützt. Und wer das merkt, wer darauf hinweist, wird nicht bekämpft – sondern umarmt. Mit einem Würgegriff aus Mitleid, Ironie und digitaler Ausschaltung.

Was bleibt? Der Zweifel. Die letzte Bastion der Freiheit. Wer zweifelt, denkt. Wer denkt, stört. Und wer stört, lebt. Vielleicht nicht bequem, aber wahrhaftig. Und am Ende ist das vielleicht die letzte Form des Widerstands: der Mut, sich nicht zu fügen, sondern zu fragen.

Früher nannte man es Aufklärung.
Heute nennt man es: gefährlich.

Vom General, der wagte, Klartext zu sprechen

Es war kein Donnerschlag, es war kein Aufstand, es war bloß ein Satz. Und doch war es, als hätte jemand in einem Tempel der Tugend plötzlich den Feuerlöscher bedient: trocken, sachlich, ohne jedes Pathos – aber mit einem Geräusch, das die betroffenen Gesichter der anwesenden Diskutanten schlagartig entflammte. In einer deutschen Fernsehsendung, diesem modernen Pranger mit Studiopublikum und Sozialpädagogenlizenz, erlaubte sich ein ehemaliger Brigadegeneral der Bundeswehr das Undenkbare: Er nannte den Krieg, was er ist. Kein abstrakter Freiheitskampf, keine Netflix-kompatible Heldensaga, kein moralisches Wellnessprogramm zur westlichen Selbstvergewisserung – sondern: Krieg. Mit Toten. Mit Verstümmelten. Mit Zielen. Und vor allem: mit Grenzen.

Der Mann – Erich Vad, ehemaliger militärpolitischer Berater im Bundeskanzleramt – sprach aus, was jeder denkt, der sich zwischen der täglichen Kriegsrhetorik und den allabendlichen Panzerbilanzen noch ein bisschen Restverstand bewahrt hat: Ein Krieg, den man nicht gewinnen kann, sollte besser beendet werden, bevor er alle anderen mit in den Abgrund zieht. Eine Aussage, so einfach wie Sprengstoff – in einem Land, das seinen strategischen Kompass irgendwo zwischen moralischem Furor und tagespolitischer Selbsterlösung verloren hat.

Das Vokabular der Erlösten

Denn was Vad sagte, war nicht pazifistisch, nicht sentimental, nicht einmal originell. Es war nur eines: realistisch. Und das ist heute, in einem Deutschland der 2020er, in dem „Wertegeleitete Außenpolitik“ wie ein veganer Fleischersatz serviert wird – mit viel Verpackung, wenig Substanz und einem leicht bitteren Nachgeschmack –, ein Skandal. Denn die moralische Avantgarde duldet keinen Widerspruch, erst recht nicht von jemandem, der aus der Praxis kommt. Wer sich jahrelang mit der NATO, mit Krisenregionen, mit realer Truppenführung beschäftigt hat, ist denkbar schlecht geeignet für Talkshows, deren stärkstes rhetorisches Kaliber die Betroffenheitsfloskel ist.

Vad stört das Ritual. Er tanzt nicht mit im Reigen der Gesinnungstänzer, die ihre Haltung wie Orden tragen – und ihre Ahnungslosigkeit wie Uniform. Stattdessen zitiert er Zahlen. Strategien. Militärgeschichte. Und – Gott bewahre – er zieht historische Parallelen. Zu Serbien 1999. Zu Bagdad 2003. Zu all den Interventionen, die mit flammenden Reden begannen und in Trümmerlandschaften endeten. Der Punkt ist nicht, dass die NATO damals Völkerrecht gebrochen hat. Der Punkt ist: Niemand redet mehr darüber. Die politische Amnesie ist vollständig, das Gedächtnis selektiv, der Kontext eine Bedrohung für das Narrativ. Und Vad – nun ja, der erinnert zu viel.

Die Empörung als Ersatz für Argumente

Die Reaktionen folgen prompt und vorhersehbar wie der Wetterbericht in der Tagesschau: aus allen Ecken hagelt es Etiketten. „Putin-Versteher“. „Kapitulationsideologe“. „russisches Narrativ“. Der General wird zum dissidenten Schattengewächs erklärt, weil er den Irrsinn nicht euphemisiert, sondern benennt. Und das in einer Sprache, die weder erregt noch erbaut, sondern erklärt. Eine Sprache, mit der man früher vielleicht Generäle oder Staatsmänner beeindruckt hätte – heute aber maximal einen Shitstorm auf Twitter (Pardon: X) auslöst.

Das Spiel ist durchschaubar: Man begegnet strategischer Nüchternheit nicht mit Gegenstrategien, sondern mit moralisierender Selbstverteidigung. Wer fragt, ob ein Sieg überhaupt realistisch ist, wird des Defätismus verdächtigt. Wer fordert, Diplomatie nicht als Feigheit, sondern als Instrument zu begreifen, wird als Verräter diffamiert. Und wer es wagt, das Ende eines Krieges auch als Ziel zu benennen – nicht nur seine Verlängerung – der wird ausgegrenzt. Denn in einem Diskurs, der sich selbst für eine ethische Missionierung begreift, ist das Ziel nicht der Frieden, sondern das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Und das, so scheint es, genügt.

Kanon der Gerechten, Chor der Vergesslichen

Natürlich hat Vad recht. Und genau das macht ihn gefährlich. Denn er rührt an die große Illusion unserer Zeit: Dass man mit Haltung die Gesetze der Realität außer Kraft setzen könne. Dass man mit Sonntagsreden Drohnen aufhalten könne. Dass man mit Gendersternchen in Pressemitteilungen geopolitische Interessen neutralisieren könne. Es ist der alte westliche Hochmut im neuen moralischen Gewand – eine Hybris, die sich für Demut hält, solange sie sich im Spiegel ihrer eigenen Pressekonferenzen betrachtet.

Die Parallelen zur Geschichte sind zu deutlich, um sie nicht zu benennen: Wer 1917 den Ersten Weltkrieg beenden wollte, war ein Vaterlandsverräter. Wer 1968 gegen den Vietnamkrieg protestierte, war Kommunist. Wer 2003 den Irakkrieg kritisierte, war ein Sicherheitsrisiko. Und heute? Heute ist, wer auf Verhandlungen pocht, ein Feind der Menschenrechte. Wer nach einer politischen Lösung ruft, ein Apologet der Gewalt. Wer an das Völkerrecht erinnert, ein Querfront-Fantast.

Von Haltung und Heuchelei

So verkehrt sich das Vokabular der Friedensbewegung ins Gegenteil: „Waffen für den Frieden“, „Krieg für die Freiheit“, „Eskalation als Notwendigkeit“. Das erinnert an die alten Sprachkunststücke der Macht: „Arbeit macht frei“, „Schutzhaft“, „chirurgische Schläge“. Nur dass heute die Humanisten in PR-Agenturen sitzen und ihre Kriegsrethorik mit Empathie garnieren. Die Humanität der Bombardierung ist das neue Mantra. Der zivilisierte Krieg – geführt mit sauberen Händen, aber schmutzigen Konsequenzen.

Und so werden nicht mehr Generäle gehört, sondern Gefühle. Die Analyse weicht der Attitüde. Der Diskurs wird zur Dienstleistung, das Denken zum Risiko. Vad aber verweigert sich diesem Spiel. Und darin liegt seine Bedeutung – und seine Bedrohung.

Schlussakkord ohne Finale

Ein Krieg, der militärisch nicht zu gewinnen ist, muss beendet werden. Nicht irgendwann. Nicht „nach dem Sieg“. Sondern: Jetzt. Das ist keine Kapitulation, das ist keine Schwäche – es ist das Eingeständnis, dass Vernunft kein Feind der Moral ist, sondern ihre Voraussetzung. Wer das nicht erkennt, wird bald wieder Geschichtsbücher schreiben – über neue Trümmer, neue Totenlisten, neue Versäumnisse.

Die Pointe? Sie ist bitter: In einer Gesellschaft, die Realismus mit Zynismus verwechselt und Moral mit Mandat, ist derjenige gefährlich, der nicht einfühlsam, sondern erfahrungssatt spricht. Der nicht besser weiß, sondern besser erinnert.

Erich Vad hat den Krieg nicht erfunden. Er hat ihn nur benannt. Und das, so scheint es, ist heute das größere Verbrechen.

Der Krieg beginnt im Kopf – und dort dreht er zuerst durch

Es gibt einen Punkt, an dem jede Gesellschaft kollektiv in den Wahnsinn kippt – nicht plötzlich, nicht dramatisch, sondern schleichend, wie eine Einweisung mit Anstand. Zuerst wird nur ein bisschen die Stimme erhoben, dann werden Vokabeln gewechselt („Verteidigungsfall“ statt „Krieg“, „Mobilisierung“ statt „Menschenschlachtung“), dann redet jemand von Verantwortung. Und ehe man sich versieht, rechnet ein CDU-Politiker ganz nüchtern mit fünftausend Gefallenen – am Tag, wohlgemerkt, nicht im Monat, nicht in einem schlecht geschriebenen Historienroman, sondern in einem Interview. Als wäre es ein Bauprojekt. Als plane man eine neue ICE-Strecke und müsse halt mit ein paar Kollateralschäden rechnen. Fünftausend – das ist eine Kleinstadt, eine Großveranstaltung, ein Stadionblock. Und sie sollen fallen – täglich –, damit irgendetwas irgendwo verteidigt wird, das man kaum noch greifen kann, weil längst die Grenzen zwischen Realität, Wahn und geopolitischem Pathos verschwimmen.

Vom Wellenbrecher zur Menschenwelle: Die Psychodynamik der Dauerhysterie

Was mit Corona begann – und da sprechen wir nicht vom Virus, sondern von der affektiven Dauerpanik im Managementsystem des Politischen –, das findet nun seine Fortsetzung in der nächsten „historischen Herausforderung“. Man könnte fast meinen, das politische Establishment ist süchtig nach Ausnahmezustand: ein bisschen Virus, ein bisschen Ukraine, demnächst vielleicht noch eine Alien-Invasion. Hauptsache, der Bürger bleibt in Habachtstellung, zwischen Impftermin, Sirenenprobe und digitalem Wehrdienstformular.

In diesem Kontext erscheint Patrick Sensburgs Zahlenspiel wie die mathematische Fortsetzung eines kollektiven Kontrollverlusts: Wenn schon keine Kontrolle mehr über Inflation, Energiepreise oder Migration – dann wenigstens über den Tod. Fünf­tausend am Tag. Klare Rechnung, saubere Statistik. Da hat der Bürokrat in der Tarnuniform endlich wieder einen Plan. Nur dumm, dass der Plan Menschenleben kostet – nicht hypothetisch, nicht am Reißbrett, sondern ganz real, mit Schrapnell im Bauch und Brief an die Hinterbliebenen. Und niemand fragt ernsthaft: Was zur Hölle geht eigentlich in diesen Köpfen vor?

Aufrüstung als Ersatzreligion – Ein Sakrament aus Stahl

Man kennt es aus dystopischen Romanen: Wenn der Sinn zerbricht, wird die Rüstung zur Religion. Und was früher die Hostie war, ist heute der NATO-Standard. In einer Gesellschaft, der jedes metaphysische Koordinatensystem abhandengekommen ist, wird die Kriegsbereitschaft zum letzten Dogma. Der Glaube an den Frieden? Naiv. Diplomatie? Feigheit. Wer heute noch mit dem Begriff „Verhandlung“ ankommt, wird behandelt wie ein Ketzer, der die Sakramente verweigert.

Dass nun ausgerechnet ein CDU-Politiker – jener Partei, die einst „Verantwortung“ mit Maß und Mitte buchstabierte – von einer Million Mann Bundeswehr spricht, hat fast schon etwas biblisch Zynisches. Eine Million. Man fühlt sich an alte Aufmärsche erinnert, an den manischen Größenwahn vergangener Jahrhunderte, bei denen man dachte: „Sowas kann nie wieder passieren. Dafür sind wir heute zu aufgeklärt.“ Nun ja. Offenbar nicht. Offenbar ist der Krieg, so wie man ihn heute denkt, ein identitätsstiftender Raum geworden: Wer kämpft, gehört dazu. Wer zweifelt, wird ausgebürgert – moralisch, gesellschaftlich, irgendwann vielleicht auch juristisch.

Der Kanzler als Schweigeritter, die Opposition als Einpeitscher

In der Groteske unserer Gegenwart muss man nicht mehr zwischen Regierung und Opposition unterscheiden, sondern zwischen Grad und Art der Panik. Der Kanzler schweigt sich durch die Apokalypse, als säße er beim Zahnarzt ohne Betäubung, während Teile der CDU mit feuchten Augen vom „neuen Wehrwillen“ sprechen – ein Begriff, der klingt wie aus einer schlecht restaurierten Wehrmachtsbroschüre entnommen. Wer heute zur Besonnenheit mahnt, wird als Schwächling diffamiert, als Putin-Versteher, als Sicherheitsrisiko. Krieg ist der neue Bürgertest: Wer bereit ist, den eigenen Sohn an die Front zu schicken, darf mitreden. Wer stattdessen lieber noch mal nachfragt, ob es nicht vielleicht doch einen anderen Weg gäbe, wird zur persona non grata erklärt. „Unsolidarisch“, „verantwortungslos“, „fünfte Kolonne“. Die neue Inquisition hat Uniform, Ukraine-Flagge und Twitteraccount.

Der Soldat als Menschenmaterial – und sonst nichts

Wenn Politiker von „5000 Gefallenen pro Tag“ sprechen, dann verrät das nicht nur einen Mangel an Empathie, sondern auch eine Denkweise, die den Menschen nicht als Bürger, nicht als Subjekt, sondern als Ressource betrachtet. Menschenmaterial. Ein Begriff, der offiziell nicht mehr verwendet wird, aber in diesen Äußerungen latent mitschwingt. Was zählt, ist die Masse, die Verfügbarkeit, die Entbehrlichkeit. In dieser Logik muss die Bundeswehr aufgestockt werden – nicht, weil man ein Sicherheitskonzept hätte, sondern weil man glaubt, man müsse sich „wappnen“. Wappnen wofür? Für den Dritten Weltkrieg? Für eine Rückeroberung von Donezk durch Bad Reichenhall? Für das gute Gefühl, „etwas getan zu haben“ – auch wenn es am Ende bloß ein kollektiver Suizid mit Ankündigung ist?

Historische Amnesie als Staatsraison

Dass gerade Deutschland, das Land mit der gründlichsten Aufarbeitung aller Zeiten, offenbar nichts aus der eigenen Geschichte gelernt hat, ist nicht nur tragisch, es ist absurd. Als hätte man das gesamte zwanzigste Jahrhundert durchgearbeitet – nur um am Ende zu dem Schluss zu kommen: „Vielleicht hätten wir damals einfach noch mehr Leute einziehen sollen.“ Wo einst „Nie wieder Krieg“ das kategorische Imperativ der Außenpolitik war, wird heute mit „Mut zur Härte“ geworben. „Wehrhaftigkeit“, „Verteidigungsetat“, „Kriegstüchtigkeit“ – Wörter, die man so lange nicht mehr hören wollte, bis man sie irgendwann wieder sexy fand. Und wer das nicht mitmacht, der wird als gestriger Träumer verlacht, als störenfried im Maschinenraum der Moralität.

Pointe ohne Trost – aber mit Klarheit

Und so kommt es, dass wir jetzt dort stehen, wo wir niemals wieder stehen wollten: An einem Punkt, an dem Politiker wieder anfangen, mit Toten zu rechnen, als wären sie Posten in einem Excel-Sheet. An einem Punkt, an dem Aufrüstung als Selbstzweck gilt, als moralisches Gebot, als heilige Pflicht. Und niemand hält inne. Niemand sagt: Stopp. Was tun wir hier eigentlich? Stattdessen marschieren sie weiter – nicht mit Stiefeln, sondern mit wohlmeinenden Hashtags. Nicht mit Stahlhelmen, sondern mit der Überzeugung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Nur dass Geschichte – wie wir wissen sollten – keine Seiten kennt. Sie kennt nur Konsequenzen.

Sondervermögen – aber leider gewinnt nur der Krieg

Es klingt ja erstmal harmlos. Fast charmant. Sondervermögen. Als würde irgendwo im Tresor des Finanzministeriums ein besonders guter Jahrgang Rotwein lagern, der nun für etwas Besonderes geöffnet wird – ein großes Fest, vielleicht sogar für das Volk. 500 Milliarden Euro – das ist eine Summe, bei der sogar Hedgefonds die Stirn kraus ziehen. Und man könnte meinen, ein so gigantisches Budget sei doch – ganz naheliegend – gedacht für die Heilung all jener Wunden, die dieses Land seit Jahrzehnten vernarben lässt: bröckelnde Schulen, verrottete Brücken, Zugverspätungen, deren Komik längst zur Tragik mutierte.

Doch wer sich mit funkelnden Augen der Illusion hingibt, dass dieses Sondervermögen unser Leben verbessern soll – wer glaubt, dass damit die Kita-Plätze kommen, die Glasfaserkabel, die barrierefreien Bahnhöfe, die wohnliche Zukunft – der glaubt vermutlich auch, dass Politiker nachts von Bürgerwohl träumen.

Denn wie sich herausstellt, geht es bei diesem Geld nicht etwa um Lebensqualität. Es geht um Kriegsqualität. Oder, wie man es in den Pressetexten nennt: Verteidigungsfähigkeit durch infrastrukturelle Resilienz im Bündnisfall. Auf gut Deutsch: Deutschland wird NATO-Durchmarschstraße. Willkommen im Land der rollenden Panzer – möglichst klimaneutral natürlich.

Die Wiederverzauberung des Schienenverkehrs – jetzt mit Leopard-Logistik

Wer hätte gedacht, dass die Bahn eines Tages doch wieder sexy wird? Nicht für Pendler natürlich – deren tägliches Leid wird auch von 500 Milliarden nicht gemildert. Die ICEs werden weiterhin wegen „technischer Störungen im Betriebsablauf“ stehen bleiben wie maulende Esel. Nein, es ist die Bundeswehr, die sich freut. Endlich bekommen wir wieder ein Schienennetz, das funktioniert – allerdings primär für den Zweck, Panzer quer durch das Land zu verfrachten, im Idealfall in Richtung Osten.

Während der gewöhnliche Bürger im Fernverkehr mit einer verkrüppelten App um Sitzplatzreservierungen kämpft, wird im Hintergrund längst geprobt, wie schnell ein Truppenverband von Rheinland-Pfalz nach Litauen kommt – inklusive Brückenbelastungstests, NATO-Streckenanalysen und „militärischer Durchleitungsrechte“, die in keinem Sommerinterview angesprochen werden.

Die Vision ist also klar: Während Oma Hilde auf Bahnsteig 7 ihren Anschluss verpasst, rattert auf Gleis 8 ein Munitionszug vorbei – pünktlich, zuverlässig und völlig emissionskompensiert. Deutschland 2025: Die Bahn kommt. Für den Krieg.

Autobahnen für den Angriff – Betonierte Bündnistreue

Natürlich betrifft das auch die Autobahnen, dieses Symbol der deutschen Ingenieurskunst, das einst für Freiheit stand und heute primär für Baustellen und Funklöcher. Das Sondervermögen wird auch hier eingreifen – aber nicht etwa, um die Mobilität der Menschen zu verbessern, sondern um die „Verlegefähigkeit schwerer Verbände“ sicherzustellen. Das ist keine Theorie. Das steht so in den Planungen.

Was der Durchschnittsbürger als 12 Kilometer langes, nervenzermürbendes Verkehrschaos erlebt, ist in Wahrheit ein strategisches Trainingsfeld. Die rechte Spur ist nicht verstopft – sie ist verteidigungsbereit. Die Raststätten an der A2? Logistische Knotenpunkte. Das Autobahnkreuz Köln-Ost? Ein möglicher Umschlagplatz für Nachschub im Fall des „Artikel-5-Szenarios“.

Wer also glaubt, die Verkehrswende sei dazu gedacht, dass der Mensch schneller, sicherer oder klimafreundlicher von A nach B kommt, hat das neue Narrativ nicht verstanden: Die wahre Mobilitätswende bedeutet, dass das Kriegsgerät im Stau den Vorrang bekommt – mit Blaulicht, Panzerkette und Bündnistreue im Tank.

Die Inszenierung der „wehrhaften Demokratie“ – mit Beton und Brüssel

Natürlich wird das Ganze nicht als Kriegsvorbereitung verkauft. Nein, man spricht von „Resilienz“, von „Bündnisfähigkeit“, von „Sicherstellung der Verteidigungslogistik“. Und wer dagegen den Mund aufmacht, wird sehr schnell mit der Replik abgekanzelt: Willst du etwa, dass Putin durchmarschiert? Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht wollen einige Menschen auch einfach nicht, dass der nächste europäische Großkrieg durch Deutschland durchmarschiert – egal in welche Richtung.

Das Sondervermögen Infrastruktur ist keine Investition in Frieden. Es ist eine Investition in Kriegstauglichkeit – moralisch aufgeladen, medial flankiert, demokratisch kaum debattiert. Und es ist Teil eines größeren Spiels: Deutschland, der bröckelnde Riese, soll wieder funktionsfähig gemacht werden – nicht als Heimat, sondern als Operationsbasis.

Die europäische Integration findet inzwischen auf Beton statt. Wer Brücken baut, tut es nicht mehr für Menschen, sondern für Marschkolonnen. Wer Gleise legt, plant nicht den Schülertransport, sondern das Gefechtsfeld. Und wer Budget bewilligt, tut es nicht mehr mit Blick auf Gemeinwohl, sondern auf die Gefechtsbereitschaft bis 2030.

Historischer Schatten: Von der Völkerverständigung zur Verlegeplanung

Man könnte sagen, das alles sei pragmatisch. Man könnte auch sagen, es sei fatal. Denn wer ein wenig Geschichtsbewusstsein besitzt – und das sollte man in diesem Land tunlichst mitführen wie einen gültigen Fahrschein – weiß, dass Infrastruktur nie neutral ist. In jedem Reich, in jeder Epoche, wurden Straßen, Gleise und Brücken nicht nur gebaut, um Menschen zu verbinden, sondern um Truppen zu bewegen. Die Römer wussten das. Napoleon auch. Und Deutschland? Hat Erfahrung. Leider.

Dass sich ausgerechnet dieses Land – nach zwei Weltkriegen, nach Auschwitz, nach dem Schwur „Nie wieder“ – heute wieder in Infrastruktur für Frontlinien investiert, ohne dass es einen Aufschrei gibt, ist ein zivilisatorischer Tiefpunkt, verpackt in PR-Sprech.

Die Vorstellung, dass deutsche Züge in litauische Gefechtszonen rollen, weil Berlin sie dazu ertüchtigt hat, ist nicht nur politisch problematisch. Sie ist moralisch obszön. Und sie wird verkauft wie ein Upgrade auf dem Digitalgipfel.

Pointe ohne Trost: Das Leben wird nicht besser, aber der Krieg pünktlicher

Am Ende bleibt ein bitteres Fazit: Das Leben der Menschen in diesem Land wird durch diese Investition nicht einfacher, nicht gerechter, nicht lebenswerter. Wer morgens um sechs im Regionalzug friert, weil die Heizung wieder ausfiel, wird auch in zehn Jahren keine Wärme spüren – außer vielleicht die Resthitze eines Tieffliegers.

500 Milliarden Euro – die größte Einzelinvestition seit Generationen – fließt nicht in das, was dieses Land zusammenhält. Sondern in das, was es kampffähig macht. Man hat nicht Schulen gebaut, sondern „Anfahrtsachsen“ für Bündnistruppen. Man hat keine Zukunft geschaffen, sondern Durchmarschräume.

Und das alles unter dem Banner der „Sicherheit“. Aber Sicherheit wovor? Vor dem Feind, der am Horizont inszeniert wird – oder vor der Wahrheit, dass ein Land, das seine Infrastruktur nur noch aus der Perspektive der NATO denkt, längst nicht mehr zukunftsfähig, sondern bloß noch aufmarschfähig ist?

Der Krieg kommt vielleicht nie. Aber die Vorbereitung ist längst da. Und sie rollt, pünktlicher als jeder Nahverkehrszug, mitten durch das Herz der Republik.

Einheitspartei Deutschland

Der grüne Geist in schwarzem Gewand

Es war einmal eine Partei, die nannte sich Christlich Demokratisch, und sie war stolz darauf, in grauen Anzügen das große Grau der Bundesrepublik zu verwalten. Adenauer, Kohl, Merkel – ein Triumphzug der Bräsigkeit, ein Fest des gepflegten Maßes, konservativ bis in die Hornhaut der Augen. Und plötzlich – Puff! – nach Jahrzehnten der Kontinuität, der gefalteten Hände, der pflichtschuldigen Weihnachtsbotschaften mit brennenden Adventskerzen, kommt da etwas ins Rollen. Kein Erdbeben, kein Tsunami. Nein. Etwas viel Heimtückischeres: eine grünliche Wolke. Kaum sichtbar, kaum riechbar, aber sie kriecht durch jede Ritze. Und siehe da: Plötzlich spricht man in der CDU nicht mehr vom Eigenheim, sondern von Flächenversiegelung. Nicht mehr von Kernenergie, sondern von der emotionalen Belastung des Atommülls. Und wer dann noch behauptet, Gendersternchen seien keine Notwendigkeit, sondern ein orthografischer Herzinfarkt – der fliegt. Und zwar nicht im Flugzeug, das wäre zu klimaschädlich. Nein, mit dem Lastenrad – rückwärts.

Vom C ins G – Eine Lautverschiebung mit Folgen

Wo früher das „C“ im Parteinamen noch für die althergebrachte, miefende, aber irgendwie beruhigende Vorstellung eines höheren moralischen Koordinatensystems stand, scheint es heute eher für „Cancel Culture“ zu stehen. Oder, wie ein besonders eifriger JU-Funktionär neulich euphorisch zwitscherte: „Wir müssen uns der ökologischen Verantwortung stellen, auch wenn wir dafür unsere Wurzeln neu definieren!“ Aha. Das ist, als würde ein Baum sich entschließen, zur Orchidee zu werden, weil’s gerade trendiger ist. Die CDU, einst Bollwerk gegen ideologische Verirrung, verwandelt sich zusehends in eine weichgespülte, grün-kompatible Selbsthilfegruppe für ehemals Konservative mit schlechtem Gewissen.

Merz, der ewige Phantomschmerz des deutschen Wirtschaftsliberalismus, nickt sich durch Talkshows wie ein entfremdeter Gast auf der eigenen Beerdigung. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet er, der einstige Erbe der Wirtschaftskompetenz, jetzt über „Transformation“ doziert, als ob er im Keller heimlich Habecks Tagebücher liest. Und wehe dem, der es wagt, in einem CDU-Kreisverband laut zu fragen, ob nicht vielleicht doch der Verbrennungsmotor ein bisschen weniger Teufel als Teufelszeug ist – der wird schief angesehen, wie ein Raucher in einer anthroposophischen Kita.

Kuschelgrün ist das neue Schwarz

Die neue schwarz-grüne Liebe ist keine Vernunftehe, sie ist ein toxisches Tinder-Date mit der Klimakrise als Trauzeugen. Die CDU rennt der grünen Hegemonie hinterher wie ein pubertierender Schüler dem Vegan-Hipstermädchen aus dem Philosophie-Leistungskurs. Alles, was nicht nachhaltig ist, wird geopfert: Werte, Profil, Mitglieder mit eigener Meinung. Man will ja nicht als rechts gelten, um Himmels willen! Lieber moralisch einwandfrei untergehen als mit einem Funken Skepsis die politische Mitte verteidigen.

Denn heute gilt: Wenn du nicht so denkst wie die Grünen, fliegst du glatt aus der CDU. Du darfst selbstverständlich noch darin sein, formell gesehen – aber wehe, du öffnest den Mund. Die Parteibasis funktioniert mittlerweile wie eine Mischung aus Bio-Sekte und Meinungs-Kontrollrat: Wer nicht gendergerecht spricht, keine Baumpatenschaft übernimmt und mindestens einmal im Jahr auf einem Klimakongress auftritt (im Leinenanzug, versteht sich), wird sanft, aber bestimmt in die politische Bedeutungslosigkeit entlassen.

Die Stärke der Rechten ist immer die Schwäche der Linken und der Demokraten

Wenn das Gute versagt, gewinnt das Primitive

Es ist eine historische Konstante, eine politische Gravitationskraft, so vorhersehbar wie das Wetter in Wanne-Eickel oder das Lächeln von Olaf Scholz: Immer dann, wenn Linke und Demokraten sich ihrer inneren Widersprüche zu sehr hingeben, wenn sie sich in akademisch-pedantischen Debatten über Sternchen, Hautfarben und Geschlechtervielfalt verzetteln, wenn sie aus jeder symbolischen Nebensächlichkeit ein moralisches Armageddon basteln, dann – ja, dann stehen sie schon da, mit fester Frisur und loser Rhetorik, die Rechten. Nicht, weil sie besser sind, sondern weil die anderen schlechter werden. Ihre Stärke ist kein Produkt strategischer Genialität, sondern eine Reaktion – auf das geistige Chaos ihrer Gegner, auf die Realitätsverleugnung der Mitte, auf das Pathos ohne Pragmatismus.

Es ist kein Wunder, dass rechte Parolen wie Pfeile durch einen diskursiven Nebel fliegen, der von der Linken selbst erzeugt wurde – mit einem Räucherstäbchen aus Empörung, Verbotsforderungen und moralischer Hybris. Die Rechten brauchen keine Argumente, solange die Linke keine Klarheit hat. Keine Lösungen, solange die Demokraten sich gegenseitig in Wortfindungspanik neutralisieren. Und keine Ideale, solange das Ideal der Linken darin besteht, niemanden zu kränken – außer jene, die es wagen, den Pragmatismus zu verteidigen.

Moralische Hochsitze und politische Niederlagen

Wer auf einem Hochsitz sitzt, hat den besseren Überblick – aber auch den weitesten Fall. Die Linke, insbesondere in ihrer intellektuellen, urbanen Ausprägung, hat sich in den letzten Jahren ein moralisches Hochplateau gebaut, auf dem man sich gegenseitig für den richtigen Sprachgebrauch, die angemessene Sensibilität und die korrekte Haltung beklatscht. Man diskutiert nicht mehr, man korrigiert sich. Man kämpft nicht mehr gegen soziale Ungleichheit, sondern gegen sprachliche Unreinheiten. Es ist ein Diskurs geworden, der keine Arbeiter mehr braucht – nur noch Seminarbesucher.

Währenddessen läuft der kleine Mann – das ist der mit dem Brötchen in der Hand und dem kaputten Fahrwerk im Golf IV – kopfschüttelnd davon. Nicht, weil er plötzlich AfD mag. Sondern weil ihn niemand mehr versteht. Weil seine Sorgen im semantischen Feinschliff der Wohlmeinenden verloren gehen wie ein schlichter Gedanke in einer Gender-Tagung. Er sieht: Die Linke kämpft für Minderheiten, aber nicht für seine Stromrechnung. Sie schützt die Sprache vor Diskriminierung, aber nicht die Straße vor Verwahrlosung. Sie umarmt die Welt, aber nicht das eigene Viertel.

Die Demokraten – Technokratie als Ablenkung vom Bedeutungsverlust

Und die Demokraten? Die Mitte? Sie steht da wie ein überforderter Schiedsrichter im Spiel der Ideologien – pfeift zu spät, erklärt zu viel und zeigt Karten, die keiner mehr ernst nimmt. Was sie Politik nennen, ist oft nichts weiter als Verwaltung von Stillstand mit freundlichem Gesichtsausdruck. Sie machen Politik wie Excel-Tabellen: korrekt, sachlich, völlig unberührbar. Aber Politik ist keine Steuererklärung, sie ist Drama, Leidenschaft, Richtung. Und wer nur moderiert, statt zu führen, wird am Ende von denen verdrängt, die wenigstens so tun, als würden sie wissen, wo’s langgeht – selbst wenn sie nur ins Dunkel marschieren.

Demokratische Parteien sind in vielen Ländern zu Maschinen geworden, die sich mehr mit internen Kommissionen als mit externen Realitäten beschäftigen. Ihre Sprache klingt wie ein Handbuch zur Bedienung einer Ethik-Waschmaschine. Es wird alles reingewaschen, was sich noch irgendwie nach Standpunkt anhört – bis nur noch ein Restposten von Allgemeinplätzen bleibt: Vielfalt, Nachhaltigkeit, Fortschritt, Resilienz. Kein Wunder, dass viele Menschen sich nach jemandem sehnen, der nicht nur redet, sondern brüllt – auch wenn er Unsinn brüllt.

Rechte Simplizität als Antwort auf linke Komplexitätspanik

Die Rechte gewinnt nicht, weil sie gut ist, sondern weil sie einfach ist. Ihre Stärke liegt im Mantra des Klartextes, im Versprechen der Rückkehr zur Ordnung, im scheinbar einfachen „gesunden Menschenverstand“, der nichts anderes ist als intellektuelle Insolvenz mit einem Lächeln. Wenn die Linke Differenzierung fordert, sagt die Rechte: „Zu viel durcheinander!“ Wenn die Demokraten abwägen, sagt die Rechte: „Zu weich!“ Wenn die progressiven Kräfte warnen, sagt die Rechte: „Jetzt reicht’s!“

Und die Leute hören zu – nicht, weil sie überzeugt sind, sondern weil sie erschöpft sind. Erschöpft von einem politischen Betrieb, der sich lieber in die eigene symbolische Reinheit verliebt als in die praktische Verbesserung der Wirklichkeit. Die Rechten brauchen keine Vision, solange die anderen ihre Brille verloren haben. Sie müssen keine Antworten geben, wenn die Linke nicht mal mehr weiß, was die Frage ist.

Historische Wiederholung mit Variationen

Die Geschichte kennt dieses Muster gut: Immer dann, wenn sich die Linken im Labyrinth ihrer eigenen Theorie verirren und die Demokraten ihre eigenen Kompromisse nicht mehr verkaufen können, kommen sie zurück: die Rechten, die Vereinfacher, die Rückwärtsläufer. Die Revolution frisst ihre Kinder, und die Demokratie füttert ihre Gegner mit ihrer Selbstzweifel-Diät.

Die Weimarer Republik ging nicht an Hitler zugrunde, sondern an Demokraten, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, und Linken, die sich mehr mit dem ideologischen Klassenfeind in der eigenen Bewegung stritten als mit dem Faschismus draußen. Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Aber sie reimt sich. Und aktuell klingt sie wie ein Gedicht von Brecht, das von Friedrich Merz vorgetragen wird – mit AfD-Untertiteln.

Die Rechte wird nicht stark – sie wird eingeladen

Die Rechte wächst nicht aus eigener Kraft. Sie wird genährt von der Schwäche ihrer Gegner. Sie lebt von ihren Feinden wie ein Parasit auf einem Wirt, der zu höflich ist, um sich zu kratzen. Man klagt über Populismus, doch bietet selbst keine populären Ideen. Man empört sich über die Sprache der Rechten, doch liefert selbst keine greifbaren Inhalte. Man zitiert Hannah Arendt, aber hat die Kneipe vergessen, in der Politik wirklich passiert.

Die große Tragik unserer Zeit ist nicht die Rückkehr der Rechten, sondern die Selbstlähmung derer, die es besser wissen müssten. Denn die Demokratie stirbt nicht durch einen Putsch. Sie stirbt, wenn ihre Verteidiger beginnen, sich nur noch gegenseitig zu korrigieren, statt gemeinsam zu kämpfen.

Zwischen Sprachgewalt und Rechtsstaat – Die selektive Empörung

Einleitung in die gepflegte Absurdität

Es ist ein Land, das sich rühmt, aus der Geschichte gelernt zu haben – und sich dabei in grotesker Wiederholung selbst karikiert. Die Bundesrepublik Deutschland, demokratischer Rechtsstaat, Hort der Meinungsfreiheit und Bastion der Würde des Menschen, sofern dieser Mensch die richtige Gesinnung, das passende Parteibuch und eine lupenrein linksrotgrüngewaschene Moralagenda mitbringt. Denn wehe, wehe, wenn er anders denkt, spricht, wählt – oder schlimmer noch: AfD-Mitglied war. Dann wird aus der Würde eine variable Größe, aus dem Recht ein Gummiband, und aus dem „wehrhaften Rechtsstaat“ ein dressiertes Zirkuspferd, das auf Zuruf selektive Pirouetten dreht.

Im Zentrum des neuen Justiz-Kabaretts: die ehemalige AfD-Politikerin Joana Cotar, Zielscheibe eines Beleidigungsmarathons mit dem liebevoll-flapsigen Titel „Nazinutte“. Ein Wort, das in seiner widerwärtigen Doppeldeutigkeit so tief unter die Gürtellinie kriecht, dass selbst ein Schlangenbeschwörer neidisch würde. Strafantrag gestellt. Staatsanwaltschaft: „Och nö.“ Kein öffentliches Interesse. Kein Anfangsverdacht. Man wolle sich die Mühe der Rechtsstaatlichkeit offenbar nicht machen, wenn das Opfer das Falsche vertritt. Anders beim grünen Heilsbringer Habeck, den ein Wutbürger zum „Schwachkopf Professional“ erklärte – ein Kalauer mit Haarpflege-Tiefgang und politischem Schaumfestiger. Doch siehe da: Hausdurchsuchung, Computer beschlagnahmt, mediale Prangerbank reserviert.

Wenn die Justiz zur Gesinnungspolizei wird

Es ist die moralisch aufgeladene Relativitätstheorie des deutschen Strafrechts: Dieselbe Tat wird je nach ideologischer Windrichtung zur Bagatelle oder zur Staatsaffäre hochgejazzt. Man kennt es aus den Talkshows: Wenn Rechte pöbeln, ist es Hassrede. Wenn Linke pöbeln, ist es Satire. Wenn Klimakleber blockieren, ist es ziviler Ungehorsam. Wenn Spaziergänger demonstrieren, ist es Reichsbürgertum. Und wenn jemand wie Joana Cotar als „Nazinutte“ tituliert wird, dann zuckt man allenfalls müde die Achseln – was hatte sie auch erwartet, so als Ex-AfDlerin? Wer sich freiwillig in den medialen Schwefelkessel setzt, darf sich nicht wundern, wenn’s da drin brodelt. Doch so funktioniert ein Rechtsstaat eben nicht. Oder sollte es nicht.

Die Unterscheidung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und strafbarer Beleidigung ist eigentlich ein hohes Gut, fein justiert auf dem schmalen Grat zwischen Redefreiheit und Persönlichkeitsrecht. Doch inzwischen scheint diese Gratwanderung eher eine Einbahnstraße zu sein – mit einem dicken „Zutritt nur für moralisch Reine“-Schild am Eingang. Medienanwalt David Geßner bringt es auf den Punkt: Das Cotar-Zitat sei eindeutig beleidigend. Kein Witz, keine Satire, keine Kunstfreiheit, die da noch rettend eingreifen könnte. Und doch: Keine Konsequenz. Der Rechtsstaat macht sich klein, wenn er eigentlich groß sein müsste – weil er Schiss hat, auf der falschen Seite zu stehen. Oder schlimmer noch: weil er längst Partei geworden ist.

Die Dialektik der Doppelmoral

Man stelle sich einmal die umgekehrte Szene vor: Ein grüner Politiker wird auf offener Bühne „linksversiffter Ökonazi“ genannt – von einem rechten YouTuber mit Deutschlandfähnchen im Profilbild. Die Empörungswelle würde Tsunami-ähnliche Höhen erklimmen. Talkshows würden Sondersendungen veranstalten, die ARD würde eine Doku drehen mit dem Titel „Hass hat ein Gesicht – Wie rechte Sprache unsere Demokratie zersetzt“, und die Bundeszentrale für politische Bildung würde das Pamphlet in Comicform an Schulen verteilen. Aber wenn Cotar beleidigt wird, dann heißt es bestenfalls: „Naja, man muss ja nicht gleich alles juristisch klären…“

Es ist diese asymmetrische Empfindlichkeit, die das politische Klima so toxisch macht. Es geht längst nicht mehr darum, was gesagt wird, sondern wer es sagt – und gegen wen. Aus der Verfolgung von Straftaten wird moralisch motivierte Exekution oder selektive Toleranz. Und das ist gefährlich. Denn wer die Gleichheit vor dem Gesetz schleift, der fräst das Fundament der Demokratie an. Mit jeder nicht verfolgten Beleidigung gegen die falsche Person wird die Botschaft ausgesendet: Es gibt Bürger erster und zweiter Klasse. Oder wie man es in neuen Sprachregelungen formulieren könnte: privilegierte Narrative und toxische Mindermeinungen.

Nie wieder. Vielleicht. Irgendwann.

Es gibt sie noch, die guten alten Rituale der Republik. Zum Beispiel: eine Studie beauftragen, damit sich die Republik in die Augen schaut – oder wenigstens ins Gesicht. Seit 2018 lässt das Parlament den Antisemitismus vermessen, seziert, in Prozentzahlen gefasst. Und wenn man sich dabei selbst lobt, dann wenigstens dafür, dass man hingeschaut hat. Nicht jeder schaut überhaupt noch hin.

Doch diesmal hat die Realität dem Ritual einen Strich durch die Idylle gemacht: Am 7. Oktober 2023 verübte die Hamas ein Massaker an israelischen Zivilisten. Es war der blutigste Angriff auf Juden seit der Shoah. Die Bilder – brutal, unmissverständlich, grauenvoll – gingen um die Welt. Und was macht Österreich? Es stellt eine Frage: War das eigentlich wirklich Terror?

Was ist schon ein Terrorakt? – Eine Frage des Blickwinkels

Immerhin 69 Prozent der 2.037 österreichweit Befragten ab 16 Jahren sind sich einig: Ja, das war Terror. Eine ordentliche Mehrheit – in anderen Ländern nennt man das „konsensfähig“. In Österreich sagt man dazu wohl: „Gerade noch tragbar.“

Anders sieht das die Gruppe der Befragten mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund. Dort halten nur 39 Prozent das Massaker für Terror. 40 Prozent hingegen – man muss es zweimal lesen – verneinen das ausdrücklich. Der Rest schweigt oder zögert.

Eine kognitive Dissonanz in Reinform: Was weltweit als Angriff auf die Menschlichkeit gilt, wird hier als Debattenstoff wahrgenommen. Vielleicht war es ja auch ein kulturelles Missverständnis. Oder einfach nur – Perspektive?

Shoa light – Die neue Mode der Relativierung

Noch erschütternder sind jene Zahlen, bei denen man sich fragt, ob der Geschichtsunterricht nicht längst durch YouTube ersetzt wurde. 21 Prozent der türkisch- oder arabischstämmigen Befragten glauben, die Berichte über die Konzentrationslager seien übertrieben. In der Gesamtbevölkerung immerhin acht Prozent.

Acht Prozent! In einem Land, das Mauthausen in der DNA tragen sollte, in dem jedes Kind die Bilder der befreiten Lager kennt – oder kennen sollte. Stattdessen: Lager als „Erzählung“, Vernichtung als „Narrativ“, Holocaust als Hyperbel. Das 20. Jahrhundert als Memefläche mit Filter.

Die Jugend rebelliert – gegen Geschichte

Noch ein Schlag in den Bildungssolarplexus: Ausgerechnet die 16- bis 25-Jährigen sind am empfänglichsten für antisemitische Tendenzen. 15 Prozent dieser Altersgruppe zweifeln an der Shoa – nicht als historisches Ereignis, sondern an ihrer Dimension, an ihrer Wahrheit.

Woher kommt diese Ignoranz? Vielleicht ist es nicht Desinteresse, sondern Überfütterung. Wer jeden Tag fünf Stunden „Content“ konsumiert, dem erscheint das reale Grauen von Auschwitz womöglich wie ein besonders schlechter Netflix-Dreh. Kein Cliffhanger, kein Algorithmus, kein Like.

Die Welt wird kuratiert – und Antisemitismus klickt leider gut.

Der neue Antisemitismus trägt viele Masken

Es gibt ihn noch, den klassischen Antisemitismus – dumpf, plump, aus dem Bauch heraus. Aber viel gefährlicher ist der neue, der akademisierte, der intersektionale. Der, der sich nicht mehr gegen „die Juden“ richtet, sondern gegen „Israel“. Der die Shoa nicht leugnet, aber in einen Wettbewerb der Opfer stellt. Der nicht hasst, sondern „kritisiert“. Nur leider eben ausschließlich jüdische Staaten.

Wer sagt: „Ich habe nichts gegen Juden, aber …“, hat schon verloren. Das „aber“ wiegt schwerer als jede Geschichtsstunde. Und es ist salonfähig geworden. Auch in Universitätsfluren, auf Podien, in linksliberalen Milieus, die sonst bei jedem Wimpernschlag Diskriminierung wittern – nur nicht, wenn es um Juden geht.

Der österreichische Umgang mit Schuld – eine Volkssportart

Man will sich ja bessern. Wirklich. Aber bitte ohne zu viel Aufwand. Gedenktafeln sind okay. Schulprojekte auch. Vielleicht eine Kerze am 27. Jänner. Aber bitte kein emotionales Investment. Und vor allem: keine Konfrontation mit der Gegenwart.

Antisemitismus? Den gibt’s doch nur „bei denen“. Bei den Rechten. Oder bei „den Zuwanderern“. Dass er mitten im Bildungsbürgertum blüht, im Gymnasium, in der Sozialarbeit, am Küchentisch – das ist schwerer zuzugeben. Vielleicht braucht es dafür eine neue Studie. Oder besser: ein gutes Feuilleton.

Österreich, du kannst einpacken – oder anfangen

Die neue Studie ist ein Dokument des Versagens – nicht der Forschung, sondern der Gesellschaft. Sie zeigt: Antisemitismus lebt, atmet, geht zur Schule, studiert, wählt. Er ist nicht am Rand. Er ist mittendrin.

Was also tun? Vielleicht radikaler unterrichten. Vielleicht aufhören, das Unaussprechliche ständig zu relativieren. Vielleicht endlich verstehen, dass „Nie wieder“ kein Kalenderspruch ist, sondern eine Arbeitsanweisung.

Oder wir machen weiter wie bisher. Warten auf die nächste Studie. Die nächste Runde Ratlosigkeit. Vielleicht sogar mit multimedialer Begleitkampagne. Mit Influencer*innen und Hashtags. #ErinnerungskulturDeluxe.

Aber eines ist sicher: Wer im moralischen Spiegel nichts mehr sieht, sollte nicht das Licht dimmen. Sondern die Augen aufmachen.

Jeder weiß, so darf es nicht bleiben.

Es ist ein offenes Geheimnis, ein Tabu, das keines ist, weil es so laut in den Straßenschluchten widerhallt, dass es selbst der Taubstumme im fernen Vorort erahnen kann. Jeder sieht es, jeder spürt es, aber alle tun so, als wäre es nicht da. Wie eine Party, auf der sich alle bestens amüsieren, während im Hintergrund ein Haus brennt. „Ach, lass uns noch einen Drink nehmen, wir sehen dann schon, was passiert.“ So ist der Status quo, so ist die Gegenwart: ein grotesker Maskenball, eine Operette, die sich ernst nimmt, obwohl das Libretto von einem Betrunkenen in einer Nacht des Deliriums verfasst wurde.

Jeder weiß, so kann es nicht bleiben.

Doch wie das bei Krankheiten ist, die nicht diagnostiziert werden, gibt es auch keine Therapie. Oder schlimmer: Die Therapeuten sind dieselben, die das Gift verkaufen. „Wir haben hier ein wundervolles Heilmittel!“ rufen sie mit breitem Grinsen, während sie die Krankheit erst mühsam ins Leben gerufen haben. Aber wehe dem, der aufbegehrt! Er ist der Käfer in der Suppe, der Spielverderber, der, der die Musik zu früh abstellt. So lebt es sich gemütlicher, wenn man den Wecker ignoriert, wenn man sich rühmend auf die Schulter klopft, weil man das Ende der Geschichte herbeigeredet hat. Währenddessen steht sie da, die Geschichte, an der Bar, mit einem bitteren Lächeln und einem doppelten Whiskey, und wartet. Auf das nächste Kapitel.

Niemand glaubt, dass sich etwas ändert.

Der Pessimist sagt: Es bleibt alles, wie es ist. Der Optimist sagt: Vielleicht bleibt es alles, wie es ist. Der Realist sagt: Es bleibt alles, wie es ist, nur schlimmer. Und dann gibt es noch jene, die Revolution rufen, Reformen fordern, Erneuerung versprechen. Ihre Worte perlen an der Wand der Trägheit ab wie Regen an einer Windschutzscheibe. Sie inszenieren sich als die nächsten Heilsbringer, während sie aus demselben Teig geknetet sind wie ihre Vorgänger. „Vertraut uns! Diesmal machen wir es richtig!“ rufen sie, und jeder weiß, es ist eine Wiederholung, ein Abziehbild, ein weiteres Kapitel in der unendlichen Chronik der Selbstillusion.

Aber vielleicht, ja vielleicht, ist es gerade dieser leise Zweifel, dieser unerhörte Funken Skepsis, der doch noch etwas in Bewegung setzt. Vielleicht ist es die Reibung zwischen Gewissheit und Müdigkeit, zwischen Wut und Resignation, die etwas entstehen lässt. Doch bis dahin: Noch ein Drink, die Musik spielt weiter, das Haus brennt, und die Party geht ihren gewohnten Gang.

Die gelenkte Masse

Es war einmal ein Märchen, das so oft erzählt wurde, dass man es für wahr hielt: das Märchen der freien Meinung. Seine gläubigen Anhänger predigten von einem pluralistischen Paradies, in dem jeder Bürger seine Überzeugungen unbehelligt hegen und pflegen dürfe, als wären sie sorgsam gehegte Bonsai-Bäumchen – individuell, wohlgestaltet und autonom gewachsen. Doch wie jeder halbwegs aufgeweckte Mensch inzwischen bemerkt haben sollte, wird die Meinung der Masse nicht nur beeinflusst, sondern mit chirurgischer Präzision geformt, bearbeitet, getrimmt und, falls nötig, amputiert.

Die Magier der Meinung: Wer lenkt das Denken?

Edward Bernays, der große Puppenspieler der Public Relations, wusste bereits vor hundert Jahren: Die herrschende Minderheit benötigt nur das richtige Werkzeug, um die Mehrheit nach ihrem Willen tanzen zu lassen. Und siehe da, die Mittel zur Massenbeeinflussung haben sich seither geradezu kunstvoll verfeinert. Früher bedurfte es noch grober Propagandamethoden, martialischer Plakate und pathetischer Reden. Heute reichen geschickt platzierte Narrative, wiederholte Schlagworte und eine Prise Empörung, um das öffentliche Denken in gewünschte Bahnen zu lenken.

Die Medien? Unabhängig! Natürlich – so unabhängig wie der Dompteur vom Zirkusdirektor. Was sich als kritischer Journalismus ausgibt, ist in Wahrheit oft nur gut kaschierte Agenda-Umsetzung. Wer zahlt, bestimmt die Musik, und die Konzerne, Stiftungen und Regierungen, die das Orchester finanzieren, wünschen sich eine einheitliche Melodie, die in den Ohren der Massen als harmonische Wahrheit erklingt.

Der selbstverschuldete Gedankenkäfig

Nun könnte man meinen, dass die Bevölkerung irgendwann misstrauisch würde. Dass die ewige Wiederholung identischer Phrasen in Leitmedien und „unabhängigen“ Fact-Checking-Portalen Verdacht erregen müsste. Doch weit gefehlt! Die Kunst der Manipulation besteht nicht nur darin, Gedanken zu lenken, sondern auch, den Glauben zu etablieren, dass man diese Gedanken selbst gedacht hat. Wer in seinem eigenen Kopf eine Meinung entdeckt, die zufällig exakt der medialen Erzählung entspricht, hält sich für informiert und klopft sich auf die Schulter. „Ich habe mir eine eigene Meinung gebildet!“, sagt er – und merkt nicht, dass er nur die vorgefertigte Meinung wiederkäut, die ihm serviert wurde.

Und wehe dem, der aus dem Chor der Gleichdenkenden ausschert! Wer es wagt, gegen die orchestrierte Wahrheit aufzubegehren, wird gnadenlos mit der moralischen Keule erschlagen. Von „Desinformation“ bis „gefährlicher Verschwörungstheorie“ reicht das Repertoire der modernen Gedankenpolizei, die mit der Eleganz eines Vorschlaghammers jede Abweichung niederknüppelt.

Der Konsument als Komplize

Doch was wäre das System der gelenkten Meinung ohne seine eifrigen Vollstrecker? Die Masse selbst spielt eine nicht unwesentliche Rolle in diesem absurden Theater. Wie Lemminge, die sich gegenseitig zur Klippe treiben, bekämpfen sich Menschen im Namen einer Wahrheit, die nicht die ihre ist. Mit Feuereifer überwachen sie sich gegenseitig, korrigieren sich in sozialen Medien und stellen sicher, dass niemand den vorgegebenen Pfad verlässt. Es ist eine Form der freiwilligen Zensur, die so effizient ist, dass die alte autoritäre Methoden längst obsolet geworden sind. Orwell hätte seine Freude daran.

Der letzte Akt: Ein Applaus für die Illusion!

Und so stehen wir hier, bewundern unser eigenes geistiges Gefängnis und nennen es Freiheit. Wir lachen über vergangene Diktaturen, über plumpen Stalinismus und die groteske Propaganda vergangener Epochen – und merken nicht, dass wir heute in einer raffinierteren Version desselben Spiels gefangen sind.

Vielleicht, nur vielleicht, gibt es noch Hoffnung. Aber wer will schon die unbequeme Wahrheit hören, wenn die Lüge so süß klingt?