Der Messias aus dem Maschinenraum

Wenn einer aus der Tiefe des Gewerkschaftskellers, wo die Neonröhren brummen und das Linoleum die Tränen gescheiterter Tarifverhandlungen aufgesogen hat, aufsteigt in die verstaubte Ehrenloge der sozialdemokratischen Selbstgerechtigkeit, dann hat das schon etwas Erhabenes, beinahe Biblisches: Andi B., der Bürgermeister aus T., der Mann, dessen rhetorisches Arsenal irgendwo zwischen Volkshochschule und Fußballkantine changiert, hat sich erhoben wie ein rot eingefärbter Phoenix aus dem Aschenbecher der Partei. Man kann ihm das fast nicht übelnehmen. Fast. Denn wie so viele, die sich plötzlich als tragische Helden ihrer eigenen Netflix-Serie begreifen, fehlt auch ihm ein entscheidendes Korrektiv: die Erkenntnis der eigenen Begrenztheit. Wo andere zögern, zweifeln, korrigieren, marschiert er – angetrieben von einer Mischung aus Sendungsbewusstsein, verklärtem Klassenkampf und einem unterschätzten Hang zur Selbstüberschätzung – durch Talkshows und Parteitage, als wäre er der letzte aufrechte Sozialist in einer Welt aus neoliberalen Zuckerbäckerfiguren.

Die Inkompetenz der Selbstsicheren

Der Dunning-Kruger-Effekt – dieses herrlich zynische Geschenk aus der psychologischen Forschung, das besagt, dass gerade jene, die am wenigsten wissen, am lautesten verkünden, sie wüssten alles – scheint bei B. nicht nur wirksam zu sein, sondern seine Lieblingsstrategie. Seine Interviews klingen, als hätte man einen Fünftklässler mit einem Che-Guevara-T-Shirt in ein Uniseminar über politische Ökonomie gesetzt: viele große Worte, wenig Substanz, und stets das Gefühl, dass die eigentliche Pointe in einem Revolutionspamphlet aus den 70ern steht. Der Unterschied zwischen Idealismus und Naivität ist schmal, und B. tanzt diesen Drahtseilakt mit einer Selbstsicherheit, die nur jemand haben kann, der nie ernsthaft damit konfrontiert wurde, wie komplex die Welt tatsächlich ist. Seine Behauptung, Marx hätte heute TikTok – ein ungewollt brillanter Einblick in die historische Bildungslücke der Generation Realo-Sozialist – ist sinnbildlich für die intellektuelle Tapferkeit, mit der er gegen Windmühlen kämpft, die längst zu Windrädern mutiert sind.

B.ismus – Die Utopie der Dampfplauderer

Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass gerade jene, die sich als Gegenentwurf zum Establishment stilisieren, die gleiche hohle Rhetorik, das gleiche Selbstlob, die gleiche Rechthaberei kultivieren wie ihre Gegner. B. ist hier keine Ausnahme, sondern Paradebeispiel. Sein „B.ismus“, wie manche seiner Jünger es zärtlich nennen, ist weniger eine politische Richtung als eine performative Dauerempörung, eine Art moralischer Diarrhö, bei der jeder Halbsatz in ein Manifest gegossen wird. Ihm fehlt, was große Politiker einst auszeichnete: Ironie, Maß und die Fähigkeit, eigene Fehler nicht als Verrat, sondern als Chance zur Reflexion zu begreifen. Stattdessen serviert er uns eine dialektisch entkernte Version des Sozialismus, gewürzt mit billigem Pathos und einem verklärten Blick auf eine Arbeiterklasse, die längst E-Scooter fährt und Lieferando nutzt.

Mit dem Herz am linken Rand und dem Kopf in der Wolke

Und doch, bei aller Kritik, liegt in B. auch ein Stück Tragik. Er meint es ja gut. Und das macht es so viel schlimmer. Denn wer gutmeinend ist, aber schlecht informiert, richtet am meisten Schaden an. Die Sozialdemokratie, ohnehin in der Midlife-Crisis ihrer politischen Relevanz, hat mit B. eine Figur geschaffen, die aus den richtigen Gründen das Falsche tut. Sein Hang zu flachen Phrasen über „echte Arbeit“, seine kindliche Begeisterung für Klassenkampfparolen, sein trotziges Pochen auf Werte, die er selbst nicht differenziert durchdringt, all das macht ihn zur Gallionsfigur jener Linken, die lieber in der Vergangenheit schwelgt, als sich der unbequemen Gegenwart zu stellen.

Fazit: Die Tragikomödie eines Funktionärs

Am Ende bleibt B. eine emblematische Figur für eine Zeit, in der moralischer Rigorismus als Ersatz für intellektuelle Tiefe gilt. Er ist kein Scharlatan, kein bewusster Blender. Er ist einfach das, was passiert, wenn Überzeugung ohne Selbstreflexion auf öffentliche Bühne trifft. Der Dunning-Kruger-Effekt ist keine Krankheit – er ist ein Spiegel. Und in diesem Spiegel sehen wir nicht nur B., sondern auch uns: wie wir klatschen, wenn jemand laut ist, statt klug; wie wir Hoffnung verwechseln mit Kompetenz; wie wir vergessen, dass Politik kein Poetry Slam ist. Andi B. ist das traurige, manchmal amüsante, oft peinliche Symptom einer sozialdemokratischen Selbsttäuschung, die sich lieber in Wohlfühl-Rhetorik ergeht, als sich den Mühen der Ebene zu stellen. Und wenn der Applaus verklungen ist, wird selbst der treueste Genosse merken, dass Lautsein nicht dasselbe ist wie Recht haben.

Neulich im Vizekanzleramt

Oder: Wie Andi Babler lernte, zwischen Kommunikation, Medien und Inhalt zu unterscheiden, ohne sich dabei das Rückgrat zu verrenken

Von der großen Politik und kleinen Sprechblasen

Neulich also im Vizekanzleramt. Nicht, dass man dort regelmäßig verkehren würde – die Türsteher sind streng, die Sprache ist verklausuliert und der Kaffee schmeckt wie die politische Mitte: wässrig, bitter, aber leider alternativlos. Doch diesmal war etwas anders. Eine leichte Unruhe vibrierte durch die Gänge, irgendwo zwischen dem Duft von Bürokaffee und dem säuselnden Rauschen eines Shitstorms, der sich gerade erst auf Twitter zu formieren begann. Denn: Der Babler-Andi war da. Und er wurde – man raune es sich zu – „gecoacht“.

Was genau wurde ihm beigebracht? Oder besser gefragt: Wozu überhaupt ein Coaching? Wurde der Babler nun vorbereitet, aufbereitet, abgerichtet, aufgepeppt oder bloß weichgeklopft? Und worum ging es da eigentlich? Um Inhalte? Um Medien? Um Kommunikation? Oder doch bloß um die Verpackung des Nichts in möglichst wortgewaltige Allgemeinplätze?

Die offizielle Version klang natürlich harmlos: „Strategische Kommunikation“. Das ist Politiksprech für „Wir wissen auch nicht, was wir sagen sollen, aber wir üben es trotzdem“. Doch die Optionen, die sich auftun, sind vielfältig – und allesamt gleich beunruhigend.

Die Medienaufbereitung von Kommunikationsinhalten

Diese Variante klingt auf den ersten Blick wie eine praktische Küchentechnik. Man nehme einen rohen Kommunikationsinhalt – sagen wir: „Wir sind gegen Armut“ – und schäle ihn solange, bis er medienkompatibel ist. Nicht zu kantig, nicht zu weich, keine Kanten, die irgendwo anecken könnten. Dann kommt das Ganze in die Heißluftfritteuse des medialen Diskurses, wo es bei 200 Grad Empörung goldbraun knusprig geröstet wird. Fertig ist der Sager.

Aber Moment: Was ist, wenn der Inhalt selbst gar nicht vorhanden ist? Wenn „Kommunikation“ nur eine Hülle ist, in die man notdürftig irgendetwas hineinstopft, das klingt wie Haltung, aber sich anfühlt wie heißer Dampf? Dann wird aus Medienaufbereitung plötzlich das politische Pendant zur Lebensmittelindustrie: viel Verpackung, wenig Nährwert, aber Hauptsache, das Etikett ist bunt.

Babler, der Mann, der einst den Klassenkampf mit dem Feuereifer eines Turnlehrers verkündete, wird hier zum Testobjekt postideologischer Werberhetorik. Aus dem „Kapitalismus ist schuld“ wird „Wir müssen den Menschen wieder zuhören“. Kommunikativer Leberkäse, in veganem Design.

Die Kommunikationsaufbereitung von Medieninhalten

Oder war es vielleicht umgekehrt? Wurde Babler etwa darin geschult, wie man Medieninhalte kommuniziert? Also: Wie man reagiert, wenn wieder einmal ein Interview schiefgeht, ein Facebook-Post viral geht oder ein ORF-Moderator es wagt, eine echte Frage zu stellen?

Hier geht es nicht mehr um Inhalte, sondern um Schadensbegrenzung. Um jene hohe Kunst der Schein-Reflexion, bei der man auf Kritik nicht mit Argumenten, sondern mit einem „Ich verstehe die Sorge der Menschen“ reagiert – einer semantischen Rauchgranate, die jedes Gespräch in Nebel hüllt.

Kommunikationsaufbereitung in diesem Sinne heißt: Nicht reden, um etwas zu sagen, sondern reden, um nichts falsch zu machen. Das klingt banal, ist aber die Essenz moderner PR-Strategien: Risikovermeidung als Weltanschauung. Das revolutionäre Pathos wird ersetzt durch „eine konstruktive Gesprächsbasis“. Die Faust wird zur flachen Hand, bereit für das nächste Versöhnungsfoto.

Die Medienvorbereitung von Kommunikationsinhalten

Ah, das klingt noch technokratischer. Fast schon wie ein Unterkapitel aus einem geheimen Regierungs-Styleguide: „Wie gestalte ich einen Tweet, der aussieht wie eine Pressemitteilung, aber klingt wie eine Einladung zum Heurigen?“ Medienvorbereitung ist die Kunst, einen Satz so zu bauen, dass er in jedes Format passt: als Inseratenzitat, als Tickertext, als Fernseheinblendung.

Und so lernt auch der Babler-Andy: Niemals einen Satz sagen, der länger ist als ein Werbespot. Keine Pointe, die sich nicht in maximal 12 Sekunden erklären lässt. Keine Ideologie, die man nicht zur Not auch als „Narrativ“ verkaufen kann.

Früher hätte man so etwas „Propaganda“ genannt, aber heute ist es „Message Discipline“. Und statt „Parteilinie“ sagt man „strategische Kommunikation“. Klingt besser. Meint dasselbe.

Die Kommunikationsvorbereitung von Medieninhalten

Hier wird es endgültig kafkaesk. Kommunikationsvorbereitung von Medieninhalten – das ist wie eine Gebrauchsanweisung für den Spiegel, bevor man hineinschaut. Man trainiert den Babler auf das Echo, das seine Worte vielleicht erzeugen könnten, wenn sie denn jemand ernst nehmen würde.

Man coacht ihn also nicht für das, was ist, sondern für das, was sein könnte, wenn man es nur klug genug simuliert. Medien als Möglichkeitsraum, Kommunikation als Versuchsanordnung. So wird aus dem Vizekanzleramt ein Theaterlabor der postfaktischen Rhetorik.

Und am Ende?

Am Ende steht da ein Andi Babler, der aussieht wie ein Mann mit Überzeugungen, aber spricht wie ein Formularfeld. Der das Wort „sozial“ häufiger sagt als „Mensch“, aber dennoch keiner weiß, ob er tatsächlich mit irgendwem reden will. Der „Kanzler kann ich auch“ denkt, aber dabei klingt wie ein automatischer Anrufbeantworter, der seine eigenen Inhalte nicht mehr versteht.

Denn das Coaching hat gewirkt. Er kommuniziert. Er mediert. Er verarbeitet. Und niemand weiß mehr, wovon eigentlich.

Und irgendwo in der Parteizentrale wird zufrieden genickt. Mission accomplished.

Wäre da nicht diese leise, boshafte Stimme in uns, die flüstert: Vielleicht sollte man lieber mal wieder Politik aufbereiten – nicht Kommunikation. Aber das, so heißt es, sei „nicht vermittelbar“.

Vom Exil zum Exzess

Die Verantwortung des Westens für das Regime der Mullahs im Iran

Prolog des Vergessens: Die Geburt eines Ungeheuers unter westlicher Aufsicht

Der 1. Februar 1979 war kein Tag wie jeder andere. An diesem Morgen landete ein alter Mann mit strengem Blick, schwarzem Turban und einer Aura messianischer Entschlossenheit auf dem Flughafen Teheran. Sein Name: Ayatollah Ruhollah Khomeini. Seine Herkunft an diesem Tag: Paris. Sein Ziel: die Macht. Seine Methode: eine Revolution, orchestriert aus dem Exil – und flankiert von einem Westen, der lieber zusah, statt zu verstehen. Was folgte, war keine Befreiung, sondern die Einsetzung einer religiösen Diktatur. Und wer glaubt, dass dieses Regime den authentischen Willen des persischen Volkes ausdrückt, verwechselt Ursache und Wirkung.

Denn das islamistische Mullah-Regime, das sich seither im Iran etabliert hat, war weder der unausweichliche Ausdruck eines „islamischen Erwachens“ noch ein rein inneriranischer Prozess. Es war – und das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden – auch ein Ergebnis westlicher Kurzsichtigkeit, strategischer Selbsttäuschung und geopolitischer Interessenpolitik. Es war die Geburt eines Monsters unter westlicher Aufsicht.

Vom Schah zur Schande: Wie der Westen erst unterstützte und dann fallen ließ

Die Geschichte beginnt nicht mit Khomeini, sondern mit einem anderen entscheidenden westlichen Eingriff: dem Putsch von 1953. Damals stürzten amerikanische und britische Geheimdienste (CIA und MI6) den demokratisch gewählten Premierminister Mohammad Mossadegh, der es gewagt hatte, die iranische Erdölindustrie zu verstaatlichen. Das war schlecht fürs Empire und schlecht fürs Business – also musste er weg. An seine Stelle wurde der Schah Mohammad Reza Pahlavi mit eiserner Unterstützung der USA wieder eingesetzt. Die Botschaft war klar: Demokratische Selbstbestimmung wird toleriert – solange sie westliche Interessen nicht stört.

Das Schah-Regime entwickelte sich zu einer modernisierenden, aber zunehmend autokratischen Herrschaft, die innenpolitisch durch Unterdrückung, Geheimdienste (SAVAK) und ein Bündnis aus Eliten und Monarchie geprägt war. Der Westen sah zu – oder besser: profitierte, solange Öl floss, Verträge unterzeichnet wurden und der Iran als Bollwerk gegen den Kommunismus fungierte.

Khomeinis Rückflug aus Paris: Die stille Komplizenschaft Europas

Doch als der Wind der Unzufriedenheit Ende der 1970er über den Iran fegte – getrieben von sozialer Ungleichheit, Repression und kultureller Entfremdung – war es nicht der Westen, der auf Demokratisierung drängte. Stattdessen zog man sich langsam zurück, versuchte, mit allen Optionen zu liebäugeln und ließ ein Vakuum entstehen, das nur darauf wartete, gefüllt zu werden.

Dass ausgerechnet Frankreich Ayatollah Khomeini großzügig Exil bot, war keine historische Randnotiz, sondern ein geopolitisch folgenschwerer Akt. In einem kleinen Vorort südlich von Paris saß der künftige Revolutionsführer, hielt Audienzen ab, ließ revolutionäre Manifeste auf Tonband aufnehmen und koordinierte von dort die Erhebung gegen den Schah. Die westlichen Medien – fasziniert von der romantischen Idee einer „Volksrevolution“ – stilisierten Khomeini zum Heilsbringer. Die Menschen im Iran, von Zensur und politischer Repression geprägt, griffen nach jedem Symbol des Wandels – ohne zu ahnen, dass sie nicht Freiheit, sondern einen neuen Totalitarismus bekommen würden.

Und was tat der Westen? Er ließ Khomeini gewähren. Frankreich verweigerte dem Schah Asyl, hieß Khomeini willkommen. Washington schwankte zwischen Desinteresse und naivem Kalkül, dass man auch mit dem neuen Regime würde verhandeln können. Die Machtübernahme der Mullahs war kein Betriebsunfall – sie war das Ergebnis westlicher Fehleinschätzung, symbolischer Schwäche und moralischer Inkonsequenz.

Ein Gottesstaat als Exportprodukt: Vom Iran zur globalen Destabilisierung

Seit 1979 herrscht im Iran kein frei gewähltes System, sondern ein theokratischer Machtapparat, in dem politische Macht sich über religiöse Legitimität definiert – kontrolliert von einem „Obersten Führer“, der über allem steht: über Gesetzen, über dem Parlament, über dem Volk. Khomeinis Rückkehr war keine Befreiung – sie war der Beginn einer umfassenden Islamisierung des Staates, der Justiz, der Bildung, der Geschlechterrollen. Frauen wurden entrechtet, Andersdenkende verfolgt, ganze Generationen ideologisch umerzogen.

Aber die Tragödie endet nicht an den iranischen Grenzen. Das islamistische Regime exportierte seine Revolution – ideologisch, strategisch, terroristisch. Von der Hisbollah im Libanon bis zu Milizen im Irak, von antisemitischer Rhetorik bis zur Leugnung des Holocaust: Das Mullah-Regime ist kein lokales Phänomen, sondern eine regional und global destabilisierende Kraft. Und es darf nicht vergessen werden: Dieses Regime existiert nicht, weil die Perser es wollten – sondern weil der Westen zu lange zugesehen, zu spät verstanden und zu oft relativiert hat.

Erinnerung gegen das Vergessen: Warum historische Verantwortung heute zählt

Es geht nicht darum, den Westen als alleinigen Schuldigen zu dämonisieren. Aber es geht darum, Verantwortung nicht in der Gegenwart zu beginnen, sondern in der Vergangenheit zu suchen. Der Iran war einst ein Land mit demokratischem Potential, einer weltoffenen Gesellschaft, einer reichen Kultur und intellektuellen Vielfalt. Dass dieses Land heute von einem klerikalen Machtapparat kontrolliert wird, der das eigene Volk unterdrückt und international mit Terror sympathisiert, ist kein unvermeidliches Schicksal – es ist ein historisch mitverschuldetes Ergebnis.

Man kann die Geschichte nicht ungeschehen machen. Aber man kann – und muss – sie erinnern. Der Westen hat nicht nur die Revolution ermöglicht, er hat sie durch Ignoranz, Eigennutz und Symbolpolitik befördert. Wer heute Freiheit für Iranerinnen und Iraner fordert, muss auch den Mut haben, in den eigenen Spiegel zu schauen.

Denn: Niemals vergessen – dass ein terroristisches Mullah-Regime im Iran existiert, hat mit dem Westen zu tun. Nicht, weil das persische Volk es gewollt hätte. Sondern weil es verraten wurde. Von denen, die wussten – und nichts taten.

„Gedanken und Gebete“

Das ritualisierte Verstummen in Satzform

Kaum sind die Sirenen verklungen, kaum ist der Tatort mit Flatterband in behördlicher Pietät eingeschnürt, kaum haben die Fernsehsender ihre Eilmeldungsschleifen mit „Was wir bisher wissen“ und „Hier sehen Sie die ersten Bilder“ gefüttert, da beginnt auch schon das alte Theater. Mit der Präzision eines mittelmäßigen Uhrwerks, das man alle paar Wochen nachstellen muss, setzen die Stimmen der politischen Akteure ein – erst zögerlich betroffen, dann betroffen zögerlich, und schließlich im Kanon leerformelhafter Solidaritätsbekundung. „Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen“, murmeln sie, als würden sie es nicht zum hundertsten Mal sagen, als wäre es nicht ein Refrain, den sie wie ein schlechtes Mantra herunterleiern, bei dem der Sinn mit jedem Sprechen weiter verdunstet. Was hier stattfindet, ist kein Mitfühlen, sondern das sprachliche Gegenteil: eine sprachlich perfekt getarnte Form der inneren Emigration.

Es ist, als wären Politikerstatements nach einem Amoklauf das politische Äquivalent zur automatischen Antwortmail: „Ich bin momentan nicht erreichbar, aber mein Gewissen hat eine Benachrichtigung erhalten.“ Es ist alles da – das Betroffenheitskorsett, die unvermeidliche Floskel vom „unfassbaren Geschehen“, die scheinheilige Mahnung zur Besonnenheit, als ob Empörung selbst schon Gewalt wäre, und natürlich, ganz am Ende, der Joker: „Jetzt ist nicht die Zeit für politische Debatten.“ Wann dann, möchte man brüllen, wenn nicht jetzt?

Wenn die Sprache in den Ruhestand geht

Die Politiker, die nun vor Kameras stehen, wirken wie schlecht gecastete Nebenfiguren in einem endlosen Remake einer sehr schlechten Serie. Dieselben Sätze, dieselben Stirnfalten, dieselbe ernste Stimme mit dem feierlichen Timbre eines sonntäglichen Wetterberichts. Man erwartet fast, dass sie beim dritten Satz aus der Rolle fallen, kurz aufblicken und sagen: „Waren Sie eigentlich gestern auch im Tatort überrascht, dass der Kommissar der Mörder war?“ – so wenig hat ihre Rede mit der Wirklichkeit zu tun. Die Sprachhülsen, in die sie ihr vermeintliches Mitgefühl pressen, erinnern mehr an Produktbeschreibungen eines besonders langweiligen Staubsaugers: effektiv, effizient, emotionslos.

Es ist ein rhetorischer Tanz auf dünnem Eis, bei dem niemand zu stolpern scheint – nicht, weil sie so sicher wären, sondern weil sie nie wirklich gegangen sind. Ihre Worte schreiten nicht voran, sie schleichen. Und sie schleichen nicht in die Zukunft, sondern zurück in eine Vergangenheit des Vergessens. Diese Statements sind sprachgewordene Ausweichmanöver, syntaktische Fluchtversuche aus einer Realität, der sie sich politisch längst entzogen haben.

Gedanken, Gebete – und sonst?

Und dann kommt er, der Höhepunkt der Hilflosigkeit, als wäre es ein sakrales Manöver zur Selbstentschuldigung: „Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Opfern.“ Ein Satz, der in seiner theologischen Anmaßung von einer solchen Seelenruhe kündet, dass man meinen könnte, er sei eigens dafür erfunden worden, die eigene Untätigkeit zu verklären. Als ob das Gebet im politischen Kontext mehr sei als ein rhetorisches Sedativum für die Öffentlichkeit, als ob ein frommer Gedanke ein Kind reanimieren könnte, das gerade noch von einem Projektil durchsiebt wurde.

Nein, das Gebet ist hier nicht Ausdruck von Glaube, sondern die letzte Bastion der Verantwortungslosigkeit. Ein Gedankenversprechen an ein Publikum, das längst gelernt hat, zwischen Satz und Handlung zu unterscheiden. Denn während der Innenminister noch salbungsvoll – sollte der Täter noch am Leben sein – von „der vollen Härte des Rechtsstaats“ faselt, wird am nächsten Tag im Parlament der Gesetzesantrag zur Verschärfung des Waffenrechts vertagt – aus Rücksicht auf „die aktuell angespannte emotionale Lage“. Ironie ist keine rhetorische Figur mehr. Sie ist politische Praxis.

Die politische Waschmaschine – mit Schleudergang

In den Stunden nach einem Amoklauf mutieren politische Parteien zu PR-Agenturen mit eingebautem Weichzeichner. Die Pressestellen laufen heiß, Textbausteine werden zu Textfassaden gestapelt, und jede Empörung über strukturelles Versagen wird mit dem Argument „nicht instrumentalisieren!“ abgewehrt, als wäre die Debatte über Ursachen bereits ein Missbrauch der Toten. Es ist ein rhetorisches Perpetuum mobile: Der Täter war „psychisch labil“, die Waffen „legal erworben“, die Polizei „schnell vor Ort“, und die Stadt, das Land oder die ganze Gesellschaft „steht unter Schock“. Und während man all das aufzählt, hofft man, dass die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums kürzer ist als die Halbwertszeit einer Entrüstung.

Manchmal, in besonders transparenten Momenten, bricht dann doch ein Funken Wahrheit durch: wenn ein Lokalpolitiker in der dritten Talkshow des Abends ins Mikro lallt, man müsse „die sozialen Netzwerke in den Griff bekommen“, während der Täter seine Tatwaffe aus dem heimischen Schrank gezogen hat, den Papa ihm legal überlassen hatte – „zur sportlichen Nutzung“, versteht sich. An diesem Punkt ist die Satire nicht tot. Sie ist einfach zu faul, sich noch aufzuregen.

Der Revolutionssimulator

Wenn westliche Aktivisten Weltpolitik auf Instagram spielen

Man erkennt sie an den palästinensischen Halstüchern, den eilig zurechtgefilterten Selfies vom letzten „Free Palestine“-Marsch und den hochmoralischen Captions, die meist mehr Ausrufezeichen als Argumente enthalten. Es ist eine neue Generation des Engagements, in der man nichts wissen muss, um alles zu fühlen – und zwar sehr laut. Die westliche Aktivistenszene, urban, jung, virtuos im Kuratieren von Empörung, lebt in einem moralischen Paralleluniversum, in dem Grautöne bereits als Verrat gelten. Die Welt ist klar aufgeteilt: Israel = Apartheidstaat, Palästinenser = ewige Opfer. Wer das nicht so sieht, hat entweder „nichts verstanden“ oder „Zionistenpropaganda“ geschluckt, was im Aktivistensprech ungefähr so klingt wie „vom Teufel besessen“.

Die realen Gegebenheiten vor Ort interessieren nicht – es geht um Haltung, um Sichtbarkeit, um die Performanz des Widerstandes. Gaza ist für viele dieser moralisch überakuten Kosmopoliten weniger ein geographischer Ort als ein mythischer Sehnsuchtsraum der eigenen Radikalisierungsfantasien. Dort, im fernen Nahen Osten, kämpfen angeblich Menschen für ihre Freiheit – stellvertretend auch für den westlichen Aktivisten, der sich in Berlin-Neukölln oder in einem veganen Wiener WG-Zimmer mit Bambusvorhängen und „Critical Whiteness“-Lektüre die Nächte um die Ohren schlägt, um empörte Threads zu schreiben. Die Tatsache, dass diese Freiheitskämpfer queere Menschen auf offener Straße von Dächern werfen, Frauen unter Schleierzwang stellen und jegliche Opposition im Keim ersticken, wird dabei elegant übergangen. Ein bisschen Patriarchat, ein bisschen Scharia – wer wird denn so kleinlich sein! Es geht schließlich ums Prinzip!

Der ironische Höhepunkt ist erreicht, wenn diese Aktivisten, die sich in ihrer Freizeit gegen jede Form toxischer Männlichkeit, Gewalt und Autoritarismus aussprechen, ausgerechnet Organisationen wie die Hamas verteidigen – eine Bande reaktionärer, gewalttätiger Gotteskrieger, die von Gendergerechtigkeit etwa so viel halten wie ein Steinzeitmensch von Solarenergie. Aber hey: Dekolonialer Widerstand! Das klingt gut, das klebt gut auf Buttons, das verkauft sich gut auf Podien, auf denen man sich gegenseitig mit einer Mischung aus moralischem Größenwahn und gefährlichem Halbwissen bestärkt.

Die Waffe dieser Szene ist nicht der Diskurs, sondern der Shitstorm. Wer differenziert, wird gecancelt. Wer widerspricht, ist rechts. Wer auf die Fakten hinweist – etwa, dass die Hamas in ihrer Charta die Vernichtung des jüdischen Volkes fordert –, hat „internalisierte Islamophobie“. Der Debattenraum wird zur Echokammer, zur ideologischen Druckkammer, in der jeder Widerspruch als Mikroaggression gilt, jeder Hinweis auf Realität als koloniale Gewalt.

Und wenn dann – alle paar Wochen – wieder Bilder brennender Häuser durch die Feeds rauschen, setzt eine ritualisierte Empörungsperformance ein: Profile werden mit Flaggen bestückt, Linktrees mit Petitionen gefüllt, Hashtags getrommelt wie bei einem digitalen Voodooritual. Doch kaum versiegt der Strom der Aufmerksamkeit, kehrt man zurück zum Brunch, zur Achtsamkeit, zum Yoga mit Mantra – um beim nächsten Raketenhagel wieder lautstark „Ceasefire now!“ zu rufen, ohne auch nur einmal zu fragen, wer da zuerst geschossen hat. Die westliche Aktivistenszene lebt vom Konflikt, aber nicht in ihm – ihr Engagement ist so risikofrei wie ein Netflix-Abo, aber mit deutlich mehr moralischer Selbstgefälligkeit.

Die Moral im Nebel

Wie aus Barbarei Widerstand wird und aus Recht ein Verbrechen

Wenn ein demokratischer Staat – sagen wir: Israel – ein Schiff stoppt, das trotz vorheriger Warnung versucht, eine Blockade zu durchbrechen, und die Passagiere danach freundlich mit Wasser, Brot und einer Rückfahrkarte in ihre jeweiligen Heimatländer verabschiedet, dann schreit man in den klimatisierten Redaktionsstuben Europas auf: „Piraterie! Kidnapping! Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!“
Wenn aber eine islamistische Terrororganisation – sagen wir: die Hamas – nachts in Häuser einbricht, Kinder, Frauen und Alte verschleppt, sie in stickigen Tunneln zwischen Sprengfallen und rostigen Kühlschränken monatelang als lebendige Schutzschilde missbraucht, dann ist das: „Ein Akt des Widerstands.“ Widerstand? Gegen wen – die Menschheit?

Willkommen im moralischen Paralleluniversum des postfaktischen Gutmenschentums, wo Realität nur stört, wenn sie nicht ins Weltbild passt.

Die Heuchelei als Lebensform: Eine postmoderne Symphonie in Moll

Man stelle sich vor, der Rot-Kreuz-Konvoi, der Geiseln in Gaza besucht, müsste sich erst mit einem Kalaschnikow-Quiz bei Kerzenlicht beweisen, bevor er zu den eingesperrten Senioren vorgelassen wird. Erste Frage: „Wie heißt der Oberterrorist mit Vornamen?“ Zweite: „Nennen Sie drei Möglichkeiten, wie man ein Baby als Deckung benutzen kann.“ Wer alle drei richtig hat, darf ins Tunnelabteil Nummer 7.
Was für die Weltöffentlichkeit dennoch als mutmaßlicher Teil des „Widerstandes“ durchgeht, wäre in jedem anderen Konflikt ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof – aber wehe, man schlägt das im Zusammenhang mit Palästinensern vor. Dann ist man sofort „islamophob“, „kolonial rassistisch“ oder einfach nur „Teil des Problems“.

Man sollte eigentlich Satire daraus machen, aber die Realität ist schneller. Kafka wäre neidisch – und vermutlich sprachlos.

Kollateralmoral: Wenn Bomben intelligent sind, aber die Debatte dumm bleibt

Die IDF wirft Flugblätter ab, warnt per SMS und Anruf, baut Fluchtkorridore – alles, um Zivilisten zu schonen. Hamas? Baut Tunnel unter Krankenhäusern, feuert Raketen aus Kindergärten. Die Welt? Empört sich über Israel. Die Rakete zählt nicht, wenn sie von einer „unterdrückten“ Hand kommt. Die Bombe schon, wenn sie von einem demokratisch gewählten Parlament genehmigt wurde.
Die moralische Buchhaltung der internationalen Gemeinschaft ist ein bisschen wie Wirecard – nur mit weniger Konsequenz. Hauptsache, das Feindbild bleibt intakt: Der kleine David ist plötzlich ein Goliath mit Atombombe, der sich gefälligst nicht gegen Steinschleudern und Tunnelkrieger wehren darf.

Die Ästhetik der Täterverklärung

Nichts liebt der europäische Intellektuelle mehr als einen bewaffneten Unterdrückten, vorausgesetzt, er ist weit genug weg und trägt ein Kopftuch. Am besten eines mit Symbolwert. Die Kalaschnikow wird dann zur Feder der Entrechteten, der Sprengstoffgürtel zum Notizbuch der Geschichte.
Dabei müsste man nur einmal – ganz mutig – die Parolen der Hamas auf Englisch übersetzen und in einem Berliner Seminar für Postkoloniale Literatur verlesen. Spätestens beim Aufruf zur Vernichtung aller Juden würde selbst der dekonstruktivistischste Derrida-Jünger rot werden. Und das nicht aus Scham, sondern aus Irritation über die sprachliche Direktheit. Ironie ist hier keine Strategie, sondern fehl am Platz.

Die Geisel als PR-Gimmick

Die Entführung Unschuldiger wird im Hamas-Narrativ zur Trophäe. Im internationalen Diskurs aber leider auch. Sobald eine Geisel mit schwerem Trauma freikommt, beginnt das Wettrennen der Relativierung: War sie wirklich so schlimm behandelt worden? Gab es vielleicht Gemüse zu essen? Durfte sie lesen? War der Tunnel wenigstens gut belüftet?
Diese Fragen werden mit einem dermaßen perversen Unterton gestellt, dass man glauben könnte, die Tunnel seien Spa-Anlagen mit eingeschränkter Lichtversorgung. Dass es sich um ein brutales Menschenschinderregime handelt, das seine eigene Bevölkerung als Ressource missbraucht, bleibt lieber unausgesprochen. Das würde die feine Balance der westlichen Empörungsethik stören.

Die verkehrte Welt ist kein Ort, sondern ein Zustand

Man kann nicht auf der einen Seite verlangen, dass sich Israel wie ein Schweizer Uhrwerk an jedes moralische Detail hält, während man auf der anderen Seite die Hamas behandelt wie eine wilde Naturgewalt, die halt tut, was Naturgewalten tun: töten, zerstören, entführen.
Doch wer einem Akteur alle Verantwortung abspricht, spricht ihm letztlich auch die Menschlichkeit ab – und damit auch jede Hoffnung auf Wandel. Vielleicht ist das die bitterste Pointe der ganzen Geschichte: dass ausgerechnet jene, die am lautesten „Menschlichkeit!“ fordern, sie dort am wenigsten erwarten, wo sie am nötigsten wäre.

Aus der Rolle fallen und aus der Falle rollen

Das große Schauspiel der Rollen: Wir alle sind Gefangene unseres eigenen Theaters

Es ist eine unverrückbare Wahrheit der Moderne, dass der Mensch als soziales Wesen, um nicht zu sagen: als sozialer Zombie, in Rollen gezwängt wird – jene urkomischen, absurden, manchmal grotesk bis kafkaesk anmutenden Masken, die man ihm mit mehr oder weniger schmeichelhafter Vehemenz aufzwingt. Die Rolle als Mitarbeiter, als Elternteil, als Bürger, als Freund, als dieses oder jenes – ein eng gestricktes Korsett der Erwartung, das mit eisernem Griff jede freie Bewegung erschlägt, ehe sie überhaupt beginnen kann. „Bleib in deiner Rolle!“, so das unverblümte Kommando, das durch die Kultur hallt wie der Kettensägenmarsch eines militanten Konformismus. Es ist der tyrannische Imperativ, der jede Individualität niederzwingt, jede kühne Spur des Andersseins unter dem Teppich der Durchschnittlichkeit verschwinden lässt.

Wer sich diesem Rollenspiel widersetzt, der fällt aus der Rolle – und damit aus der vermeintlichen Sicherheit, die sie vorgaukelt. Doch Vorsicht: Das Ausfallen gilt hier nicht als Freiheit, sondern als Abweichung, als Störung, als Fall in die soziale Bedeutungslosigkeit, manchmal gar in den persönlichen Ruin. Die Rolle ist eine Falle, und der große Schwindel der Gesellschaft besteht darin, jene Rolle als Schutzraum zu verkaufen, als sicheren Hafen in einem Sturm namens Leben, obwohl sie in Wahrheit nichts weiter ist als ein Gefängnis mit Stofftapeten.

Aus der Rolle fallen: Der Tabubruch der Selbstentfremdung

Wenn jemand aus der Rolle fällt, gerät er in eine prekäre Lage, die man in unserer Zeit mit fast schon psychopathologischer Verachtung abstraft. Man wird zum „Problemfall“ erklärt, zum „Schrägstrich“ im fein säuberlich kalkulierten sozialen Gefüge. Wer sich weigert, das Skript der Gesellschaft stur runterzuspielen, wird schnell zum Unruhestifter, zum Unangepassten, zum Risiko für den kollektiven Gemütsfrieden. Die Rolle zu verlassen, bedeutet, das Narrativ zu sprengen – und damit nicht selten den eigenen Lebensplan.

Doch ist das Fallen aus der Rolle nicht zugleich der vielleicht letzte Akt der Selbstbestimmung? In einer Welt, die nach Konformität lechzt wie der Verdurstende nach Wasser, mutet jeder Ausbruch wie eine kleine Revolution an, ein triumphaler Sieg des freien Geistes über die allgegenwärtige Anpassungsmaschinerie. Und gerade darin liegt die bittere Ironie: Der soziale Preis für diese Freiheit ist hoch – sehr hoch. Man wird zum Außenseiter, zum Objekt des Spottes, zum lebenden Beweis, dass das System Fehler hat, die es nur ungern offenlegt.

Die Rolle zu verlassen, heißt auch, sich selbst zu ent-täuschen. Man erkennt, dass die vermeintliche Identität, die man jahrelang gepflegt hat, nur eine Fassade war, ein von außen verordneter Dresscode. Dieses Fallen ist ein befreiender wie schmerzvoller Prozess, der mit einem Verlust beginnt – dem Verlust der Illusion von Stabilität und Zugehörigkeit. Es ist ein intellektueller und existenzieller Sprung ins kalte Wasser, den nur wenige wagen, und der für viele mit bitteren Einsamkeiten und scharfen Konflikten endet.

Aus der Falle rollen: Die Kunst der unerwarteten Wendung

Doch hier endet die Geschichte nicht in fatalistischem Fatalismus. Aus der Rolle zu fallen bedeutet nicht zwangsläufig, in die Falle zu tappen. Im Gegenteil: Es ist die Einladung, aus der Falle zu rollen, sich also aus der eingefahrenen Denk- und Handlungsspirale zu befreien, die jede freie Bewegung erstickt. Die Falle heißt Anpassung, Stillstand, das konforme Rad im Hamsterrad. Das Rollen hingegen ist Bewegung, Veränderung, das Sich-Lösen von Fesseln – ein Verdrängen der Engstirnigkeit durch die Kraft des Humors, der Satire, des scharfsinnigen Zynismus.

Die Überlebensstrategie liegt nicht im heldenhaften Kampf gegen die Machtstrukturen allein, sondern im eleganten Entgleiten, im geschmeidigen Ausweichen – dem kunstvollen Roll-away, das der Verhärtung der Strukturen ihre Starrheit nimmt und das starre System sozusagen mit einem Augenzwinkern narrt. Dieses Rollen aus der Falle heraus ist eine subversive Lebenskunst, die das Steife und Dogmatische auflockert und Raum für neue Perspektiven schafft.

Dabei ist das Rollen kein simpler Akt des Weglaufens oder Vermeidens, sondern eine aktive, bewusste Entscheidung für die Ambivalenz des Lebens, für das Chaos und die Freiheit jenseits der Norm. Es ist die Ironie, dass gerade im Abfallen aus der Rolle, im Roll-away aus der Falle, eine neue Form von Stabilität erwachsen kann – nicht die trügerische Sicherheit des Sockels, sondern die lebendige Balance eines fahrenden Zirkusakrobaten, der den Boden unter den Füßen ständig neu entdeckt.

Fazit: Die paradoxe Freiheit des Ausbruchs

Die Überlebensstrategie „Aus der Rolle fallen und aus der Falle rollen“ ist ein Rezept für jene, die sich nicht mit der üblichen Verdummung durch Anpassung zufriedengeben wollen. Es ist ein Aufruf, die Komfortzone der vorgefertigten Identitäten hinter sich zu lassen und das Leben als permanentes Experiment zu begreifen – voller Stolpersteine, aber auch voller Überraschungen.

Diese Strategie ist radikal, unbequem und gefährlich, aber zugleich die vielleicht einzige Möglichkeit, in einer zunehmend entfremdeten Welt wirklich lebendig zu bleiben. Denn was ist Leben anderes als ein fortwährender Prozess des Rollens? Ein permanentes Fallen und Wiederaufstehen? Die Rolle mag Sicherheit suggerieren, doch die wahre Freiheit liegt im Bruch mit der Rolle – im mutigen, rebellischen, humorvollen Fallen und Rollen.

Denn nur wer aus der Rolle fällt, kann aus der Falle rollen. Und nur wer aus der Falle rollt, hat Chancen, das Leben nicht als Gefängnis, sondern als Spielfeld zu begreifen.

Wenn Sie jetzt sagen: „Zu viel Theorie, zu wenig Praxis!“, dann seien Sie gewarnt – genau so hat die Rolle, aus der Sie fallen sollten, Sie fest im Griff. Also: raus aus dem Theater, runter von der Bühne, ab ins Rollen!

Die Unspürbarkeit des Mangels

Vom Verschwinden kleiner Summen oder: Wie man lernt, den Geldbeutel zu ignorieren

Es ist eine dieser Sätze, deren geistige Unbedarftheit wie ein mit Samthandschuhen geprügelter Hohn durch die Fernsehgeräte in die Wohnzimmer der Republik flackert: 30, 50 oder gar 80 Euro im Monat seien, so dozierte ÖVP-Budgetsprecher Andreas Hanger jüngst mit dem staatsmännischen Timbre eines Mannes, der noch nie bei der Supermarktkasse zwischen Käse und Katzenfutter abwägen musste, „kaum spürbar“. Kaum spürbar also – wie ein leiser Windhauch auf der Nasenspitze, ein kaum wahrnehmbares Vibrieren in der Hosentasche, wenn der Dispokredit sich meldet. Welch Triumph der Ironie, dass ausgerechnet ein Vertreter jener Partei, deren soziale Bodenhaftung sich etwa auf Flughöhe einer Golfplatzterrasse bewegt, darüber referiert, wie spürbar Mangel für die breite Bevölkerung ist. Aber vielleicht ist das ja das neue politische Messaging: Den Leuten erklären, dass das, was sie fühlen, gar nicht real sei – ein wenig wie einem frierenden Menschen zu erklären, dass Kälte nur ein Konstrukt sei. Willkommen im Zeitalter des monetären Gaslightings.

Die Arithmetik der Eliten: Wenn 80 Euro zu Taschengeld verkommen

80 Euro – eine Summe, die mancherorts den Unterschied zwischen einem überlebbaren Monat und dem Bankgespräch über Ratenstundung bedeutet. Für andere, so scheint es, ist sie der Preis einer überwürzten Hotelküche, eines halben Golfnachmittags oder des dritten Glases Pinot Noir in einer Parlamentskantine, in der die Realität draußen bleiben muss wie ein ungeimpfter Obdachloser im Coworking Space. Aber ach, in den luftigen Höhen der Regierungsbüros, wo Excel-Tabellen die Empathie ersetzen und Budgetposten statt Brot das Volk nähren sollen, ist der Geldwert eine Frage der Perspektive: Für den einen das Trinkgeld der Macht, für die andere das fehlende Geld für das Schulheft des Kindes. Und vielleicht ist es ja auch nur ein semantisches Missverständnis – „kaum spürbar“ könnte ja bedeuten: kaum noch erträglich spürbar. Ein kleiner Unterschied mit gewaltiger Wirkung.

Vom bürgerlichen Zynismus in Nadelstreifen

Natürlich, Hanger ist kein Einzelfall – er ist Symptom. Ausdruck einer politischen Kaste, die sich selbst längst zur Elite erklärt hat und daher auch deren Weltbild adaptiert hat: Ein Land, das sich in Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bemisst, nicht in geplatzten Mietzahlungen und Aldi-Bons. Diese Art von Politiker – der bürgerliche Technokrat mit weichgewaschener Sprache und harter Agenda – ist das Ergebnis jahrzehntelanger neoliberaler Erziehungsarbeit. Man erkennt sie daran, dass sie bei Begriffen wie „Leistungsträger“ zu nicken beginnen und bei „Armutsgrenze“ nervös ihre Akten sortieren. Hanger spricht also nicht als Mensch, der 80 Euro nicht braucht – sondern als Funktion einer Ideologie, die nur das anerkennt, was sich statistisch rechtfertigen lässt. Armut? Ein Rechenfehler. Angst? Eine Befindlichkeit. Realität? Eine PR-Frage.

Humor als letzte Waffe gegen die postfaktische Entblödung

Aber man muss es ihnen lassen: Eine gewisse Chuzpe, ja fast schon Komik liegt in dieser kognitiven Selbstentleibung. Wie ein Kellner, der erklärt, dass der Gast den Hunger gar nicht wirklich spürt, oder ein Arzt, der mit leerem Blick über die Existenz von Schmerzen philosophiert. Man möchte fast applaudieren, so überzeugend wird hier Ignoranz als Sachverstand verkauft. Vielleicht sollte man das Kabinett künftig nicht mehr als „Regierung“ bezeichnen, sondern als Ensemble einer satirischen Großinszenierung. Hanger in der Rolle des realitätsfernen Budgetkaspers, der dem Volk seine wirtschaftliche Lage als Luxusproblem auslegt – das hätte sogar Karl Kraus gefallen. Vielleicht ist das die einzig gesunde Reaktion auf diesen politischen Zynismus: nicht Wut, sondern galliges Lachen. Denn wer die Realsatire erkennt, muss nicht mehr über sie verzweifeln – nur noch darüber schreiben.

Epilog für 80 Euro: Eine kleine Summe mit großer Symbolkraft

Und so bleibt die Frage: Was sind schon 80 Euro? Eine Frage, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln beantworten lässt. Für die einen: der Lebensinhalt einer Woche. Für die anderen: der Preis ihrer Arroganz. Am Ende steht weniger die Summe im Raum als die entlarvende Haltung, mit der sie abgetan wird – ein Schlag ins Gesicht, verpackt in höflicher Sprache, lackiert mit dem Tonfall des allwissenden Politsprechers. „Kaum spürbar“ ist kein finanzielles Urteil – es ist ein moralischer Offenbarungseid. Und wer das nicht spürt, hat vielleicht wirklich den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Oder er verdient schlicht zu viel, um sich noch an Menschen zu erinnern, für die 80 Euro mehr bedeuten als die nächste Flasche Lobbyisten-Champagner.

Der General der Peinlichkeit

oder: Wie Friedrich Merz die Bundeswehr zur Supermacht machen will

Die Kasernenfarce – Bewachtes Nichts im militärischen Niemandsland

Man muss es sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen, wie eine zu lange liegengebliebene Panzerkeksration: Da steht er, Friedrich Merz, seines Zeichens Kanzler einer Republik im fortgeschrittenen Stadium der sicherheitspolitischen Schizophrenie, und kündigt an, Deutschland solle künftig die „konventionell stärkste Armee Europas“ unterhalten. Die Pointe? Seine künftige Supermacht hat sich zur privaten Hausbewachung degradiert. Jährlich 660 Millionen Euro, mehr als ein halbes BND-Budget, fließen in private Sicherheitsfirmen – damit unsere tapferen Verteidiger der Freiheit nicht selbst vor ihren Kasernentoren frieren müssen. Soldaten, die einst dem Warschauer Pakt entgegenstarrten, stehen heute hinterm Fenster und winken dem Wachdienst von Securitas zum Schichtwechsel.

Merz will Panzer rollen lassen, während Bundeswehrgelände vom Rentner mit Mütze bewacht wird. Und wenn es ernst wird? Dann ruft man wohl die Wachschutz-Hotline. Willkommen in der „wehrhaften Demokratie“ des 21. Jahrhunderts: 80.000 Berufssoldaten, aber kein Vertrauen, dass sie eine Schranke bedienen können.

Wehrhaft wie eine Bockwurst – Das kollektive Trauma der Großmachtfantasien

Natürlich – das alles ist nicht neu. Es ist nicht einmal originell. Denn der Wunsch, Deutschland zur militärischen Vormacht zu machen, hat Geschichte. Eine düstere, eine blutige, eine pathologisch selbstüberschätzte Geschichte. Zweimal wurde dieses Land vom Größenwahn übermannt, zweimal folgte der Totalschaden. Und nun steht Merz da wie ein Manager, der seine dritte Insolvenz mit einem neuen Businessplan erklärt: Diesmal wird alles anders! Diesmal klappt das!

In Berlin geht man scheinbar davon aus, dass historische Amnesie eine Tugend ist. Die Realitäten werden ausgeblendet wie ein hässlicher Teppich im Gästezimmer: Dass die Bundeswehr an Materialmangel, struktureller Korruption und bürokratischer Paralyse leidet. Dass ein Drittel der Waffenlager leer sind, und der Rest aus D-Mark-Zeiten stammt. Aber Merz will investieren! Milliarden! In Drohnen, Munition, Uniformen mit Taschen, in einen Traum aus Titan.

Nur: Wer glaubt ihm das noch? Das gleiche politische Establishment, das beim BER, der Maut, dem Digitalministerium und dem Maskendeal versagte, will jetzt das europäische Militärmonopol errichten. Man möchte lachen, wenn es nicht so teuer wäre.

Supermacht Deutschland? Zwischen Wehrsportgruppe und Waffenstillstand

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich die versprochene Superarmee der Zukunft anfühlen würde: Eine Digitalpanzerdivision, bei der sich das WLAN automatisch mit dem Truppennachschub synchronisiert – außer es regnet. Soldaten mit neuen Kampfstiefeln, die nach zwei Märschen platzen. Kampfjets ohne Ersatzteile. Und dann wäre da noch das Personalproblem: Wer genau soll all das bedienen? Die Bundeswehr findet nicht genug Bewerber, selbst mit „Work-Life-Balance in Uniform“. Vielleicht hofft man auf Quereinsteiger von Amazon Logistics.

Derweil schmilzt die außenpolitische Glaubwürdigkeit dahin wie die Patronenlager im Hochsommer. Die NATO belächelt die deutschen Ambitionen, osteuropäische Staaten rüsten längst alleine auf, und Paris spielt auf Zeit – wie immer, wenn Berlin über Krieg redet. Man muss es mit bitterem Spott sagen: Deutschland kann heute keinen einzigen Tag Krieg führen, ohne nach 72 Stunden um Leihmunition zu bitten.

Und Merz? Der will Europa führen. Wie ein Finanzberater, der das Haushaltsbuch mit dem NATO-Doppelbeschluss verwechselt.

Die Bundeswehr als Management-Case – Kapitalismus mit Kalaschnikow

Was hinter all dem steckt, ist nicht nur politischer Größenwahn, sondern neoliberaler Irrsinn in Tarnfleck. Eine marktkonforme Armee, gelenkt von Excel-Tabellen und Public-Private-Partnerschaften. Sicherheitspolitik als Unternehmensberatung. Die Bundeswehr als DAX-Konzern mit Raketenabteilung. Friedrich Merz, der Rüstungspapst von BlackRock-Gnaden, könnte die Brigade künftig wie einen Hedgefonds managen. Verlustfrei. Nachhaltig. ESG-konform.

Wird der nächste Krieg dann klimaneutral geführt? Mit CO₂-Kompensation für jede abgefeuerte Granate? Vielleicht baut man den Leo 3 gleich mit veganem Leder und USB-C-Anschluss. Die neue Verteidigungslinie: Ethikrat plus Rüstungsethik. Hauptsache, der Krieg bleibt „wirtschaftlich sinnvoll“. Orwell hätte seine helle Freude.

Und am Ende? Ein Zapfenstreich für die Realität

Am Ende dieses kabarettreifen Szenarios steht ein Land, das sich selbst nicht mehr ernst nimmt. Eine Regierung, die aufrüstet, während sie abrüstet. Eine Armee, die stolz ist, noch existieren zu dürfen. Und ein Kanzler, der glaubt, mit Pathos könne man Panzer reparieren. Vielleicht wird er sich eines Tages hinstellen, auf einer Parade, zwischen Leopard und Lügen, und mit zittriger Stimme verkünden: „Wir haben Europa sicher gemacht.“

Aber sicher wovor?
Vor sich selbst?
Vor der Wiederholung?
Vor der Wahrheit?

Vielleicht bleibt uns ja nur noch, uns augenzwinkernd abzuwenden, während draußen der Wachmann das Kasernentor schließt.

Die Revolution frisst ihre Influencer

Es war einmal, in einer Welt, die sich für unendlich entwicklungsfähig hielt, in der jede Idee, die dreist genug war, um sich „progressiv“ zu nennen, sofort auf T-Shirts gedruckt, in TED-Talks verwurstet und als Diversity-Workshop für Rüstungskonzerne gebucht wurde – da glaubte man, der Fortschritt sei eine Einbahnstraße in Richtung Licht. Was für eine herrliche Illusion. Der Fortschritt, der mit flatternden Regenbogenfahnen, genderneutralem Marketing und neoliberaler Feel-Good-Rhetorik Einzug hielt, hat inzwischen einen zynischen Beigeschmack bekommen – ein bisschen wie Sojamilch in altem Espresso: gut gemeint, aber irgendwie… faul. Während der Kapitalismus sich die Kleider des Humanismus überzieht, verkommt die Idee des „Progressiven“ zum Ornament an der Fratze eines Systems, das mit jedem likebaren Post auf Social Media ein weiteres Stück seiner autoritären Zähne fletscht.

Die Dialektik der Data Governance oder: Brave New Büroschlaf

Was einst als Emanzipation von alten Machtstrukturen gefeiert wurde – man denke an das Internet, diesen digitalen Garten Eden für Utopisten mit WLAN – mutierte in erstaunlicher Geschwindigkeit zu einem totalen Panoptikum freiwilliger Selbstüberwachung. Man äußert heute seine Meinung frei – aber mit einem nervösen Blick auf den Algorithmus. Der Kapitalismus liebt die progressive Maske: je mehr Optionen, desto besser. Aber wehe, jemand klickt auf die falsche. Da ist sie wieder, die unsichtbare Hand des Marktes, diesmal jedoch nicht als ökonomisches Prinzip, sondern als „Content Moderation“, gesteuert von Firmen, die sich für neutral halten, solange sie das Richtige denken – also das ökonomisch Verwertbare.

„Du darfst alles sagen“, ruft die neue Freiheit, „aber sag es bitte in einer Sprache, die wir verkaufen können.“ Das progressive Versprechen, alle Stimmen zu hören, endet spätestens dann, wenn jemand eine Stimme erhebt, die nicht ins Markendesign passt. Und so findet man sich wieder – nicht in einer offenen Gesellschaft, sondern in einer offenen Planstelle für Konformismus, Feedbackschleifen und Diversity-Consulting.

Die sanfte Diktatur der Zustimmung oder: Cancel me gently

Man wird heute nicht mehr von der Bühne gezerrt – man wird eingeladen, sich selbst zu entfernen. Es ist der feuchte Traum jeder Bürokratie: eine Bevölkerung, die ihre eigenen Formulare ausfüllt, ihre eigenen Gedanken überprüft und ihre eigenen Abweichungen meldet. Der Kapitalismus, längst kein Wolf im Schafspelz mehr, sondern ein Schaf im Hoodie mit moralischer Mission, hat das Disziplinieren delegiert – an eine Armee von Konsumenten, die glauben, sie seien Akteure der Veränderung, während sie in Wahrheit nur Kunden sind, die sich selbst outsourcen.

Progressivität wird nicht mehr an der radikalen Infragestellung von Macht gemessen, sondern an der korrekten Haltung beim Kniefall. Wer „woke“ ist, darf alles sagen – solange es nicht den Produktionsfluss stört. Und wer aus der Reihe tanzt, wird nicht weggesperrt, sondern entmonetarisiert. Das ist die neue Zensur: keine Bücherverbote, sondern Sichtbarkeitsentzug. Keine Folter, sondern Shadowbanning. Eine Dystopie im Kuschelmodus.

Utopie als Corporate Branding, der Regenbogen auf dem Panzer

Dass der Kapitalismus alles frisst, war bekannt. Dass er aber selbst seine größten Kritiker in Limited Editions verwandelt, ist die wahre Meisterleistung. Der Kapitalismus hat Greta Thunberg in eine TikTok-Ästhetik gepresst und die Klimakatastrophe in ein Geschäftsmodell verwandelt. Unternehmen werben mit Nachhaltigkeit, während sie Wälder roden, sie sprechen von mental health, während sie Burnouts optimieren, sie feiern Pride, während sie in Ländern investieren, in denen Homosexualität illegal ist – aber nur außerhalb des Pride-Monats, versteht sich.

Was einst links war – Kritik, Skepsis, Ironie, Widerstand – ist heute Teil der Marketingabteilung. Und die Grenze zwischen Utopie und Verkaufsstrategie ist dünner als die Plastikfolie auf Bio-Gurken. Der Kapitalismus hat verstanden: Wer den Fortschritt besitzen will, muss ihn emotionalisieren. Und so wird jede Rebellion sofort in eine App verwandelt, jede Kritik in eine Keynote, jede Utopie in eine Subscription.

Wenn der Algorithmus links blinkt und rechts abbiegt

Irgendwann – und das Irgendwann ist nicht hypothetisch, sondern längst vergangene Gegenwart – wird das Progressivere zum Autoritären im Kapitalismus, weil es gar nicht anders kann. Denn in einem System, das jede Idee nach ihrer Marktgängigkeit bewertet, wird jede Emanzipation zur Dienstleistung, jeder Widerstand zur Funktion, jede linke Theorie zum Content-Modul im Corporate Curriculum.

Wir sind nicht auf dem Weg in eine neue Gesellschaft – wir sind auf dem Weg in ein Update der alten, mit schönerem Interface. Und während wir uns gegenseitig für unsere progressiven Posts liken, verengt sich der Handlungsspielraum wie ein Pop-up-Fenster mit 17 Cookie-Hinweisen. Willkommen im autoritären Kapitalismus – powered by Inclusion, Diversity & AI.

Fußfesseln für Millionäre

oder: Wenn der Rechtsstaat auf High Heels durchs Elend stolziert

Sie haben es wieder getan. Ganz leise. Mit samtbezogenen Handschuhen, damit man den Schlag nicht hört. Wieder wurde ein Stück Rechtsstaatlichkeit zu Grabe getragen, und niemand hat den Leichenschmaus bemerkt, weil der Friedhof inzwischen als Parlament durchgeht und der Totengräber im Designeranzug auftritt. Was da im Namen der „Resozialisierung“ durchgewunken wurde, klingt harmlos, fast nach humanitärer Fortschrittsrhetorik, aber in Wahrheit handelt es sich um nichts Geringeres als die endgültige Aushöhlung eines Prinzips, das man früher unter „Gleichheit vor dem Gesetz“ kannte, heute jedoch nur noch im Museum für politische Folklore besichtigen kann. Die Fußfessel – einst als Brücke aus dem Gefängnis ins Leben gedacht – wird jetzt zur goldenen Eintrittskarte für eine neue Kaste der Halbstraflosen: Die Elite-Häftlinge, die Verurteilten mit Vitamin B, mit Bankerfreund, Baugrund und BMW vor dem Haus, die auch in der Schande noch nach Zitrone duften und deren Reuegefühle sich in Fünf-Sterne-Wellnessanlagen vollziehen dürfen, während der Pöbel seine Schuld im Zellenloch abtragen darf, wo weder Fußfessel noch Fußbodenheizung vorgesehen sind.

Wer zahlt, schafft an – auch beim Strafvollzug

Was hier geschieht, ist nicht etwa ein Justizskandal, sondern der gelebte Sarkasmus eines Systems, das sich längst damit abgefunden hat, dass Moral und Gesetz zwei getrennte Bücher führen. Der neue „Resozialisierungspfad“ ist nur für jene begehbar, die sich ihre Schuld mit Kreditkarte leisten können. Eine schöne neue Welt, in der Gerechtigkeit nicht mehr blind ist, sondern kurzsichtig, auf Reichtum fokussiert und von Lobbyisten mit Gucci-Gestell ausgestattet. Wer zahlt, schafft an – auch beim Strafmaß. Wer das Glück hat, in einer Villa mit Alarmanlage und Gartenpool zu wohnen, darf sich über einen formvollendeten Hausarrest mit Aussicht freuen. Wer hingegen in einer Einzimmerwohnung lebt, darf im stinkenden Anstaltsflur über Gerechtigkeit nachdenken. Es ist, als hätte man das Sprichwort „Hinter Schloss und Riegel“ neu interpretiert: Der Schlüssel passt nur noch in goldene Türschlösser.

Grasser, Grasser über alles – oder: Wie man aus 8 Jahren 1 macht

Betrachten wir die Realität anhand eines Einzelfalls, dessen Name inzwischen als Marke für politische Frechheit gelten darf: Grasser. Karl-Heinz, der ewige Sunnyboy der neoliberalen Ära, für den das Wort „Verantwortung“ immer klang wie eine Beleidigung, steht beispielhaft für das, was mit diesem Gesetz nun institutionalisiert wurde: Straffreiheit für Stilvolle, Milde für Millionäre. Acht Jahre Haft, urteilte das Gericht – aber wer geglaubt hat, das bedeute acht Jahre Haft, war entweder naiv, oder kein Jurist. Ein Jahr in echter Haft – der Rest ist Spa-Resozialisierung im Eigenheim mit Wellnessbereich. Die Fußfessel, das Accessoire des modernen Delinquenten mit Netzwerk, ersetzt heute die Häftlingskleidung – maßgeschneidert, GPS-überwacht, aber stets tragbar mit polierter Gürtelschnalle.

Dass Grasser seine Strafe möglicherweise in Form eines „beschäftigten Alltags“ am Golfplatz oder im „Außendienst“ verbüßen darf, ist nicht nur zynisch, es ist das neue Normal. Arbeiten darf er – sofern ein Freund ihn „beschäftigt“. Und da er viele Freunde hat, die noch nie einem Ethik-Kurs beigewohnt haben, ist das kein Problem. Es ist ein Job auf Zuruf, eine Haft im Homeoffice, ein Fegefeuer mit Catering.

Der neue Standesstaat – aus den Ruinen des Rechts gebaut

Mit dieser Neuinterpretation der Strafvollzugsordnung wird nicht etwa das Prinzip der Gnade gepflegt, sondern jenes der Kastengesellschaft. Es entsteht eine neue Form des Standesstaats: oben die Delinquenten mit Einfamilienhaus und Steuerberater, unten die Schuldigen ohne Anwalt, ohne Vitamin B, ohne Lobby. Für die einen bedeutet eine Verurteilung: Karriereknick und Fußfessel. Für die anderen: Existenzvernichtung, Knast und Stigmatisierung fürs Leben. Während Grasser mit GPS-Sender im Garten schlendert, sitzt sein armer Zeitgenosse ohne Freunde, Wohnung oder Golfpartner in der Justizanstalt und faltet Briefkuverts für fünf Euro pro Tag – abzüglich Haftkosten. Er ist nicht nur inhaftiert, sondern auch noch verschuldet durch die Vollstreckung seiner Strafe. Die einen kassieren, die anderen zahlen – selbst im Strafvollzug. Willkommen in der Realsatire.

Zwischen Zynismus und Systemversagen – ein Nachruf auf die Gerechtigkeit

Wir erleben die langsame Transformation eines Rechtsstaates in ein Dekorationsobjekt für Sonntagsreden. Gerechtigkeit ist längst nicht mehr Maßstab, sondern Kulisse. Die politische Klasse täuscht Empörung vor, während sie an der Aushebelung fundamentaler Prinzipien werkt – mit juristischer Präzision und moralischer Flexibilität. Man könnte meinen, es handle sich um ein dunkles Kapitel unserer Demokratie – in Wahrheit ist es bereits das nächste Kapitel, und die nächsten Seiten werden bereits geschrieben. Wer heute die Fußfessel umlegt, dem reichen morgen vielleicht Hausarrest im Ausland oder ein digitales Ehrenwort. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – zumindest nicht für die, die sie sich leisten können.

Die Wahrheit ist bitter und spöttisch zugleich: In einem System, in dem der Geldbeutel über die Form der Strafe entscheidet, wird das Recht nicht mehr gesprochen, sondern verhandelt – auf Augenhöhe mit jenen, die sich nie ducken mussten. Die Fußfessel ist nicht mehr Symbol der Integration, sondern der Segregation. Sie trennt – nicht gut von böse, sondern arm von reich. Der Rechtsstaat? Er lebt noch, aber nur auf Widerruf – und mit GPS-Tracking in der Villa am Stadtrand.

„Österreich ist frei!“ – und was das heute (noch) bedeutet

Am 15. Mai 1955 war es so weit. Auf dem Balkon des Schlosses Belvedere verkündete der damalige Außenminister Leopold Figl jenen Satz, der sich tief in das kollektive Gedächtnis der österreichischen Nation einbrannte: „Österreich ist frei!“ – drei Worte, einfach, klar, kraftvoll. Sie standen am Ende jahrelanger Verhandlungen, diplomatischer Winkelzüge und eines nicht unbeträchtlichen Maßes an politischem Opportunismus – aber auch für die Geburt einer souveränen Zweiten Republik. Der Österreichische Staatsvertrag war mehr als ein internationales Dokument – er war ein Symbol, ein Versprechen, ein Akt der Wiedergeburt.

70 Jahre später lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Was war dieser Staatsvertrag eigentlich, wie kam es dazu – und was bleibt davon in der Gegenwart, in einer Welt, in der Freiheit längst zur Vokabel in Imagebroschüren verkommen ist?

Zwischen Besatzungsmächten und Bündnisfreiheit: Die Geburt einer Zweiten Republik

Der Österreichische Staatsvertrag wurde am 15. Mai 1955 im Schloss Belvedere von Vertretern der vier Besatzungsmächte – der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs – sowie der österreichischen Bundesregierung unterzeichnet. Damit endete offiziell die zehnjährige alliierte Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg. Österreich wurde als unabhängiger und demokratischer Staat wiederhergestellt.

Doch die wahre politische Leistung bestand in der internationalen Anerkennung der österreichischen Neutralität, die am 26. Oktober 1955 gesetzlich verankert wurde. Österreich erklärte sich bereit, dauerhaft neutral zu bleiben, keinem Militärbündnis beizutreten und keine fremden Truppen auf seinem Boden zuzulassen. Das war der Preis – und das diplomatische Kunststück zugleich – das Österreich zwischen Ost und West einen einzigartigen Handlungsspielraum verschaffte.

Es war ein politischer Balanceakt mit historischem Gewicht: Während Europa sich in NATO und Warschauer Pakt aufteilte, behauptete sich Österreich als neutraler Vermittler und Gastgeber des Dialogs. Eine Rolle, die Wien mit dem Sitz internationaler Organisationen wie der UNO oder der OSZE bis heute spielt – auch wenn manchmal mehr Schein als Sein geblieben ist.

Der Staatsvertrag als Mythos und Realpolitik

Der Staatsvertrag wurde über die Jahre zu einem Gründungsmythos stilisiert – nicht ohne Grund. Er markierte den endgültigen Bruch mit dem nationalsozialistischen Erbe, wenngleich Österreich sich lange Zeit lieber selbst als „erstes Opfer“ statt als Mitverantwortlicher der NS-Verbrechen inszenierte. Erst Jahrzehnte später begann eine breitere, kritischere Auseinandersetzung mit der Rolle vieler Österreicher im Dritten Reich – der Staatsvertrag war ein Anfang, aber sicher kein Abschluss dieser Aufarbeitung.

Und doch: Das Narrativ vom befreiten, „wiedergeborenen“ Österreich half einer zerrissenen Nation, sich selbst neu zu konstruieren. Nicht mehr deutschnational, nicht mehr provinziell, sondern europäisch, offen und – neutral. Der Staatsvertrag lieferte nicht nur die völkerrechtliche Grundlage, sondern auch das emotionale Fundament für ein neues nationales Selbstbewusstsein.

Und heute? Freiheit im Zeitalter der Apathie

Was bleibt heute, in einer Zeit, in der Begriffe wie Souveränität, Unabhängigkeit und Neutralität oft eher rhetorische Accessoires als gelebte Praxis sind? In der globale Abhängigkeiten, ökonomische Verflechtungen und sicherheitspolitische Spannungen Neutralität zu einem Begriff der Vergangenheit machen?

Österreichs Neutralität wird – je nach ideologischer Brille – als überholtes Relikt oder als wertvolles diplomatisches Kapital betrachtet. Die sicherheitspolitische Realität hat sich längst verändert: Kooperation mit der NATO, Teilnahme an EU-Battlegroups, weltweite militärische Beteiligung im Rahmen von Friedensmissionen. Der Geist des Staatsvertrags wird hier oft bemüht – und ebenso oft kreativ interpretiert.

Gleichzeitig hat die Erinnerung an 1955 auch einen inneren Auftrag: Freiheit ist nichts Selbstverständliches. Sie muss errungen, gestaltet und verteidigt werden. Nicht nur gegen äußere Bedrohungen, sondern auch gegen innere Gleichgültigkeit. Denn Freiheit, das zeigt die Geschichte des Staatsvertrags, ist kein Zustand – sie ist ein Prozess. Und sie beginnt immer mit dem Willen zur Verantwortung.

Fazit: Ein Vertrag – und ein Vermächtnis

Der 15. Mai ist mehr als ein historisches Datum. Er erinnert uns daran, dass politische Weitsicht, kluge Diplomatie und ein Mindestmaß an nationalem Konsens tatsächlich etwas bewegen können. In einer Welt, die von Polarisierung, Rückzug und nationalem Egoismus geprägt ist, wirkt dieser Gedanke fast romantisch – aber auch dringend notwendig.

70 Jahre nach seiner Unterzeichnung bleibt der Österreichische Staatsvertrag ein Mahnmal, ein Modell und ein Mythos. Möge er nicht nur gefeiert, sondern auch verstanden werden.

Denn: „Österreich ist frei“ – bleibt nur dann mehr als ein historischer Satz, wenn wir bereit sind, diese Freiheit täglich neu zu denken.

TAROT

Der Diplomatische Narr auf der Neubaugasse der Metaphysik

Hauptkarte: Der Magier (I)

Der Magier steht für kommunikative Kraft, Selbstermächtigung und die Fähigkeit, aus dem Nichts ein Protokoll zu zaubern. In Oliver Gruber-Lavins Fall wird der Magier zur diplomatischen Allzweckwaffe: Er spricht höflich, verbeugt sich tief, und zieht dabei mit geschmeidigem Lächeln ein genehmigtes Kulturprogramm aus dem Hut – inklusive indischer Tanzperformance in der Säulenhalle. Kein Trick zu billig, keine Geste zu groß.

Seelenkarte: Der Hierophant (V)

Als Vertreter eines humanitären Ordens passt der Hierophant wie die Rüstung zum Ritter. Oliver verkörpert die Institution im Menschen – mit einem Faible für Rituale, internationale Gäste und formvollendete E-Mail-Salven an halbstaatliche Stellen. Spirituelle Dogmatik trifft auf diplomatisches Fingerspitzengefühl. Zwischen den Zeilen liest man stets: „Ich weiß, wie das Spiel läuft.“

Schattenkarte: Der Turm (XVI)

Ein wenig Implosion schadet nie. Hinter dem höflich gestärkten Kragen lodert mitunter ein revolutionäres Flämmchen. Der Turm zeigt: Auch Institutionen wackeln, wenn sie zu lange nicht auf Mails antworten. Die Eruption kommt – zynisch, sarkastisch, aber stets in Schönschrift.

Wegkarte: Der Wagen (VII)

Die Bewegung nach außen. Delegationen. Symposien. Galaabende. Oliver Gruber-Lavin sitzt am Steuer des Kulturexpress Europa-Asien. Der Wagen zeigt: Hier ist einer unterwegs. Nicht wegen des Ruhms, sondern weil der Terminplan es verlangt – mit Fahrplan, Fahne und Förmlichkeiten.

Bonuskarte: Die Mäßigkeit (XIV)

Trotz aller Ironie: Da ist ein tiefes Bedürfnis nach Ausgleich, Verständigung, sogar Weltfrieden – sofern dieser notariell beglaubigt, mit Buffet und musikalischer Umrahmung stattfindet. Die Mäßigkeit ist die Essenz des kultivierten Austauschs. Oliver weiß: Die Welt ist ein Tanz – und irgendwer muss die Bühne organisieren.

Fazit:

Ein moderner Tarot-Templer in höfischer Mission, zwischen Kosmopolitismus und höfischem Sarkasmus pendelnd. Wenn Hochkultur und Höflichkeit eine Uniform tragen würden, hieße der Träger wahrscheinlich Gruber-Lavin.

Der Frieden fährt jetzt Panzer – 80 Jahre nach dem Krieg

Am 8. Mai 1945, heute vor exakt 80 Jahren, verstummten die Kanonen des Zweiten Weltkriegs – Europas letzte große Apokalypse, bevor wir lernten, Zerstörung präziser zu gestalten. Was damals als Tag der Befreiung gefeiert wurde, hat sich heute zum Tag der gesinnungsethischen Doppeldeutigkeit entwickelt. Eine Gelegenheit für Politiker*innen aller Couleur, mit feierlich gesenktem Blick und blitzenden PR-Augen zu verkünden, dass wir niemals vergessen dürfen, dass Frieden unser höchstes Gut ist – und dass dieser leider nur mit mehr Waffen gesichert werden kann.

Wie beruhigend, dass wir als aufgeklärte, liberale Demokratien gelernt haben, unsere Worte genauso gezielt einzusetzen wie Marschflugkörper. „Nie wieder Krieg“ – das klingt nach Mahnmal, meint aber längst das nächste Rüstungsbündnis. Wer heute „Frieden“ sagt, meint eine strategisch saturierte Eskalationsbereitschaft mit wertebasiertem Anstrich. Wir liefern keine Waffen, um zu töten – wir liefern sie, um zu retten. Das ist kein Zynismus, das ist Verteidigungspolitik mit PowerPoint-Zertifikat.

Wenn das Erinnern zur Pose wird

Der 8. Mai ist heute weniger ein Tag der Reflexion als ein Kalender-Event mit fest eingebauter Doppelmoral. Es wird gekranzniedergelegt, geschwiegen und gleichzeitig lautstark betont, wie wichtig es sei, nicht neutral zu sein. Moralische Klarheit ist wieder gefragt, Schwarz und Weiß liegen endlich wieder klar getrennt wie in einem frühen Western. Nur dass die Guten diesmal NATO heißen und das Ziel nicht mehr Völkerverständigung, sondern Systemwettbewerb ist.

Und so wird Gedenken heute zur stilisierten Haltungsübung. Die alten Veteranen, sofern noch lebendig, nicken dazu milde. Vielleicht erinnern sie sich noch an eine Zeit, in der Krieg als Scheitern galt – und nicht als moralisch gerechtfertigte Option mit Lieferkette und Bundestagsmandat. Damals kämpfte man gegen Faschismus, heute reicht ein böser Blick aus dem Osten, um den militärischen Komplex wieder auf Betriebstemperatur zu bringen.

Pazifismus – der letzte Fetisch einer übermüdeten Nachkriegsethik

Wie rührend: Es gibt sie noch, diese Menschen, die an Frieden glauben. Meistens sind sie alt, Lehrer oder Katholiken. Oder alles zugleich. Sie schreiben Leserbriefe, die niemand mehr druckt, und stehen mit Transparenten vor Ministerien, während über ihren Köpfen die Eurofighter trainieren, das Neue Europa zu sichern. Sie sagen Dinge wie: „Man müsste verhandeln.“ Oder: „Auch der Gegner hat Interessen.“ Welch dekadente Sentimentalität!

Denn in der realpolitischen Gegenwart gibt es keine Zeit für Naivität. Wer heute noch vom Frieden spricht, während sich die Verteidigungshaushalte verdoppeln, wird mindestens belächelt, wenn nicht gleich unter russischem Verdacht verhaftet. Die Zeitenwende duldet keine Zweifel – höchstens Lieferverzögerungen bei Leopard-Ersatzteilen. Und während sich der Pazifismus ins Private zurückzieht wie ein alternder Hund in die Garage, feiern die Rüstungsaktien ein Comeback wie Dieter Bohlen bei RTL.

Der Krieg als Karrierechance – oder: Wie man aus Geschichte endlich wieder Profit schlägt

Man könnte fast meinen, der Krieg ist zurück – aber diesmal als Businessmodell mit Integritätsgarantie. Zwischen den Mahnreden zum 8. Mai blinken die Quartalszahlen der Rüstungskonzerne: Rheinmetall, Hensoldt, Lockheed – Namen, die klingen wie Soundtracks der neuen Weltordnung. Frieden ist schön, aber Marge ist schöner. Und während der gemeine Steuerzahler noch glaubt, Solidarität werde in humanitärer Hilfe gemessen, wissen die CEOs: Am Ende zählt die Reichweite – von Raketen wie von Reichweitenmedien.

Auch in der Politik wird wieder gekämpft, diesmal um Glaubwürdigkeit im Kriegsdiskurs. Wer heute Karriere machen will, darf nicht zögern, Waffenlieferungen zu fordern. Jeder Talkshow-Auftritt ist ein Stellungskrieg im moralischen Gelände. Je härter der Ton, desto reiner das Gewissen. Wer differenziert, verliert. Die Schlacht um die Narrative wird mit denselben Mitteln geführt wie die auf dem Schlachtfeld: mit Drohnen, Satelliten und der atomaren Option, einen Tweet zu löschen.

Fazit: Nie wieder Krieg – wir meinen es ernst. Bis zur nächsten Lieferung.

Der 8. Mai 1945 – ein Tag der Befreiung. Und heute? Ein Tag der Betriebsanleitung für ein Friedensverständnis, das ohne Rüstung nicht mehr auskommt. Wir gedenken, wir mahnen, wir liefern. Die Mahnmale stehen noch, aber sie haben neue Nachbarn bekommen: Logistikzentren für ballistische Hoffnung. Der Frieden ist nicht tot – er wurde nur ausgelagert. In parlamentarische Ausschüsse, in diplomatische Telegramme, in NATO-Papierberge.

Es bleibt also dabei: „Nie wieder Krieg“ – außer, es ist wirklich dringend. Und falls doch: Wir hätten da was im Lager.

Gedenkmarketing und Erinnerungskapital

… oder: Der Krieg ist vorbei, die Dividende lebt

Am 8. Mai 2025 bekennt sich die deutsche Wirtschaft. 49 Unternehmen unterschreiben eine feierlich-verantwortungsbewusste Erklärung zum 80. Jahrestag des Kriegsendes. Mit der Betroffenheitsprosa eines institutionellen Schuldbekenntnisses, das wie ein Messingplättchen auf die Vergangenheit genietet wird. Nicht, weil es wehtut, sondern weil es gut aussieht. Man gedenkt, man erinnert, man übernimmt Verantwortung. So wie man CO2 kompensiert – man produziert weiter, aber pflanzt symbolisch einen Baum.

Die Vorstandsetagen von Bayer, BASF, Siemens und Evonik haben Auschwitz überlebt, sogar glänzend. Sie haben sich gewandelt, gereinigt, transformiert – aus den Dreckslöchern der Geschichte empor in die Hochglanzbroschüren der Gegenwart. Heute sprechen sie vom Gedenken, damals lieferten sie Zyklon B, Stahl, synthetischen Treibstoff. Ein Jahrhundert später ist aus der Kriegsbeihilfe die „Vision für eine nachhaltige Zukunft“ geworden. Transformation durch Zeitablauf – oder: Wenn der Geschichtsspeicher überläuft, archiviert man ihn in PDF.

Was also unterscheidet das heutige „Nie wieder!“ von gestern? Nur der Kontext. Früher wurde produziert, heute wird erinnert. Früher für den Endsieg, heute für das Employer Branding. Früher war der Geschäftspartner das Reich, heute ist es die Weltgemeinschaft. Und irgendwo dazwischen liegt das moralisch neutralste aller deutschen Erfolgsmodelle: die betriebswirtschaftliche Resilienz.

Die Säuberung beginnt im Sprachgebrauch – oder: Wenn sich Verantwortung wie ein Vorstandsprotokoll liest

Die Erklärung der Wirtschaft zum 8. Mai liest sich wie ein Ethik-Leitfaden für Juristen mit Medienscheu. Voller pathosgesättigter Wendungen über Verantwortung, Erinnerung und Mahnung. Kein Wort zu den konkreten Gewinnen in der NS-Zeit. Kein Wort zu Zwangsarbeit, zu Kriegskrediten, zu Produktionsausweitungen im Zeichen der „Mobilmachung“. Dafür jede Menge moralisches Korrektiv in schönem Zukunftssprech.

Die Machtübernahme von 1933, heißt es, wäre ohne das „Versagen der damaligen Entscheidungsträger“ nicht möglich gewesen. Ach. Versagen? Oder vielleicht doch lieber: aktive Unterstützung, freiwillige Kooperation, glasklarer Opportunismus? Doch so etwas passt nicht in einen Satz, den auch ein PR-Berater formuliert haben könnte, ohne ins Schwitzen zu kommen.

Es ist faszinierend, wie die semantische Kur in solchen Texten funktioniert. Aus Tätern werden „verstrickte Akteure“, aus Profiteuren „Entscheidungsträger mit Verantwortungspotenzial“. Und aus Unternehmen, die sich einst an Menschenversuchen und Rüstungsaufträgen bereicherten, werden heute „Verantwortungsträger im Kampf gegen Antisemitismus“. Es ist ein Sprachwandel der Eleganz – eine Umschreibung, so glatt, dass man sich darin spiegeln könnte. Wenn man wollte.

Die neue Moral heißt Imagepflege – oder: Auschwitz als Kommunikationsstrategie

Was bei all dem Gedenken auffällt: Es ist selektiv. Es blendet aus, was unangenehm wäre. Kein Satz zu den heutigen Verflechtungen dieser Konzerne mit autoritären Staaten. Kein Wort zu Rüstungsexporten, zu Arbeitsbedingungen in der globalisierten Lieferkette, zu Gewinnmargen im Schatten geopolitischer Konflikte. Denn was zählt, ist das Symbol. Und Symbole sind bekanntlich steuerfrei.

Das Auschwitz-Gedenken wird hier zum Moralkitt einer Öffentlichkeit, die gelernt hat, mit Vergangenheit zu handeln wie mit Aktien: Man kauft billig ein, hofft auf steigenden Kurs der Reue, und verkauft mit Gewinn die neue Haltung. Der Holocaust als Hintergrundfolie für ESG-Reports – nicht als Abgrund, sondern als Alibi.

Und so gedenken heute Vorstände, die gleichzeitig mit einem Bein in Asien, mit dem anderen im Silicon Valley stehen. Sie sprechen von Demokratie, während sie weltweit Arbeitsrechte flexibilisieren. Sie erinnern an Zivilcourage, während sie Betriebsräte ausbremsen. Sie beklagen das Schweigen von 1933 – und schweigen 2025 zu allem, was sich nicht mit Compliance verträgt.

Schlussstrichdebatte reloaded – oder: Wenn der Schlussstrich als Denkpause kommt

„Einen Schlussstrich darf und wird es mit uns nicht geben.“ Das klingt so wunderbar entschlossen, dass man kurz klatschen möchte. Aber was heißt das eigentlich? Vielleicht, dass es keinen Schlussstrich gibt, solange sich auf der richtigen Seite der Geschichte noch etwas Kapital schlagen lässt. Vielleicht heißt es auch, dass man die Geschichte weiterverwendet – wie eine Lizenz, die man immer wieder neu auflegt. Version 8.0, updatefähig, mit Haltungskomponente.

Das Gedenken der Unternehmen ist kein Schlussstrich – aber auch kein Neuanfang. Es ist ein Zustand der historischen Betriebsbereitschaft: Die Vergangenheit wird besichtigt wie ein Museum, nicht durchlitten wie eine Schuld. Sie ist ein Geschäftsbereich. Und das hat sie ja auch immer schon gut gemacht.

Fazit: Erinnerung ja, Verantwortung nur auf Anfrage

Die Erklärung zum 8. Mai ist gut gemeint. Und das ist das Problem. Sie ist nicht mutig, nicht konkret, nicht selbstkritisch. Sie ist ein Manifest der gut gebürsteten Selbstvergewisserung – ein Gedenkpapier mit Firmenlogo. Und sie passt hervorragend in unsere Zeit: Eine Zeit, in der man alles reflektiert – solange man nicht handeln muss. Eine Zeit, in der sogar der Krieg zum Teil der Corporate Identity wird.

Denn wie sagte Bertolt Brecht so treffend?
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Und heute steht auf dem Etikett:
„Made in Germany – nachhaltig, verantwortungsvoll, zukunftssicher.“

Eine Schelle mit Horn

Ein Staatssekretär, ein Audi A8, vier Betrunkene und der Holocaust-Vergleich: Die Operette der Verantwortungslosigkeit

I. Die Schwere eines Fahrzeugs in Tonnen – und in Symbolik

Es gibt Autos und es gibt Allegorien. Der Audi A8 in Langversion – jenseits der 120.000 Euro, durchsetzt mit Massagefunktion, klimatisierten Ledersitzen und einem Kühlschrank für genau jene Weißweine, die man später rhetorisch zu viel getrunken haben könnte – ist beides. Wenn ein Staatssekretär (jene seltsame hybride Lebensform zwischen Aktenstaub und Machtgelüsten) sich in dieses Fahrzeug setzt, dann fährt er nicht einfach. Nein, er schwebt. Über dem Pöbel, über den Lebensrealitäten seiner Wähler, ja sogar über dem Gesetz der Gravitation des gesunden Menschenverstands. In diesem A8 fährt keine Privatperson – hier rollt der Staat selbst, gepanzert gegen Anstand, mit Vierradantrieb in Richtung Selbstzerstörung.

II. Vier Betrunkene steigen ein – der Anfang einer mittelmäßigen Anekdote

Man stelle sich nun die Szene vor: vier alkoholisierte Jugendliche, vermutlich mit billigen Bierfahnen und einem Weltbild, das irgendwo zwischen Mario Barth und Telegram verschwimmt, betreten das Zugabteil. Ein Staatssekretär – sagen wir, mittleren Alters, mit dem Habitus eines Mannes, der einmal Goethe gelesen hat, aber ihn in der Steuererklärung nicht wiederfand – wird Zeuge ihrer Provokationen. Statt jedoch in souveräner Gelassenheit zu verharren oder sich an die nüchterne Verantwortung seiner Rolle zu erinnern, greift er zum sakrosankten Vergleichs-Vorschlaghammer der deutschen Erinnerungskultur: dem Holocaust.

III. 85 Jahre zurück – oder: Die instrumentalisierte Angst des privilegierten Mannes

„Ich hab mich so gefühlt wie vor 85 Jahren“, säuselt der Staatssekretär und sieht sich dabei offenbar im eigenen inneren Schwarz-Weiß-Film: Es ist 1938, er ist ein armer verfolgter Mensch, und diese vier Betrunkenen sind… die SA? Die Gestapo? Oder einfach nur betrunkene Halbstarke mit verbaler Diarrhöe?

Man muss schon sehr tief in seinem Empathiekonto überzogen haben, um eine Situation, in der man sich aus einem Bahnabteil entfernen könnte, mit dem Zustand der totalen Rechtlosigkeit und Vernichtungsgefahr unter dem NS-Regime zu vergleichen. Ein solcher Vergleich ist nicht nur geschmacklos – er ist intellektuell faul, moralisch korrupt und historisch ignorant. Es ist, als würde ein Millionär beim Anblick einer Steuerprüfung „Enteignung“ rufen oder ein Influencer seinen Algorithmusverlust mit „Zensur“ gleichsetzen.

IV. Der moralische Offenbarungseid im Monat der Befreiung

Dass diese Äußerung ausgerechnet im Mai fiel, jenem Monat, in dem sich die Befreiung der Konzentrationslager jährt, ist kein bedauerlicher Zufall, sondern ein bitterer Beleg für die emotionale Unbildung eines politischen Funktionärs. Es zeigt: Erinnerungskultur ist keine Immunisierung gegen moralische Abstürze. Und wenn jemand, der mit öffentlichem Geld, öffentlicher Würde und öffentlicher Repräsentation betraut ist, sich derart entblößt, dann ist nicht nur Rücktritt geboten – dann müsste man über die Rückrufbarkeit von Charaktereigenschaften diskutieren.

V. Ein Rücktritt wäre ein Anfang – aber kein Trost

Die Frage ist nicht nur, ob der Mann zurücktritt, sondern warum es überhaupt erst so weit kommen konnte. Wer ins hohe Amt berufen wird, ohne sich der Tiefe der Geschichte bewusst zu sein, ist wie ein Flugkapitän, der Höhenangst hat – es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Absturz kommt.

Aber wie sagte einst Kurt Tucholsky, der viel besser wusste, wie man Satire in Anstand verpackt: „Satire darf alles – nur nicht langweilen.“ Und langweilig ist das Spektakel nicht. Es ist entlarvend, es ist grotesk, es ist eine Schelle mit Horn – laut, peinlich und doch bezeichnend für den Zustand eines Landes, das sich in Sonntagsreden seiner Vergangenheit rühmt und sie werktags instrumentalisiert.