Der Westen rüstet auf, der Osten gräbt sich ein …

… und dazwischen liegt die Wahrheit im Massengrab

Die Weltgeschichte liebt Wiederholungen, vorzugsweise in der grausameren, lächerlicheren, schlechter inszenierten Version. Wir schreiben das Jahr 2025, aber eigentlich könnte es auch 1916, 1942 oder 2003 sein – nur dass diesmal TikTok mitfilmt. Während Europa brav den Scheck ausstellt und Amerika gewohnt zuverlässig den Raketenwerfer liefert, dreht sich das große Hamsterrad der geopolitischen Moritat weiter. Das Drehbuch ist bekannt, die Rollen sind verteilt, und wie immer sind es die unteren Chargen, die das große Finale mit ihrem Blut bezahlen.

Die Europäer, diese alternden Exportweltmeister mit moralischem Zuckerguss, überweisen Milliarden in die Ukraine, als ob der Krieg ein besonders scharf gewürzter Netflix-Account wäre, den man für den Weltfrieden abonnieren muss. Die Amerikaner hingegen, pragmatisch wie immer, schicken das, was sie am besten können: Waffen. Viele Waffen. Mehr Waffen als nötig wären, wenn es jemals um Frieden ginge – aber wer redet noch von Frieden? Der hat in den Talks von Davos oder den Rüstungs-Messen in Abu Dhabi sowieso Hausverbot.

Die Ukro-Betrugsmasche: Kriegswirtschaft als Ponzi-Schema

Man nennt es Hilfe, aber es ist ein perfider Etikettenschwindel. Die Oligarchen, pardon: die „Führungsschicht“ in Kiew, scheffeln sich goldene Keller voll Dollars und Euros, während im Donbas weiter gestorben wird. Der Westen klatscht artig, liefert weiter Panzer und Patronen, schiebt Geld über die Grenze, das unterwegs auf wundersame Weise in Villen am Genfer See und auf Konten in Zypern verschwindet.

Es ist ein gigantisches Umverteilungsprogramm von unten nach oben, von den Steuerzahlern zu den Kriegsgewinnlern. Nur nennt es niemand beim Namen. Lieber versteckt man den Skandal hinter blau-gelben Flaggen-Emojis und moralisierender Rhetorik. Das nennt man heute Wertepolitik. Früher hätte man es organisierten Betrug genannt.

Sterben für die Rüstungsaktienkurse

Die Armen kämpfen, die Reichen zählen das Geld, oder wie es Rosa Luxemburg formulierte: „Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen“. Das ist keine Neuigkeit, das ist der Naturzustand des Kapitalismus im Krieg. Man könnte es zynisch nennen – wäre es nicht einfach nur die logische Fortsetzung der Wirtschaftsordnung, die wir uns eingerichtet haben.

Während Lockheed Martin, Rheinmetall und Co. Kursgewinne feiern, fliegen an der Front die Körperteile durch die Luft. Der Westen nennt das „Verteidigung der Freiheit“. Der Osten nennt es „militärisch-technische Operation“. Die Wahrheit ist: Es ist Geschäft. Und wo Geschäft gemacht wird, stirbt die Moral zuerst. Danach der Mensch.

Die Russen rücken auf, der Westen rückt Papiersoldaten nach

Während in Brüssel noch über die nächste Tranche nachgedacht wird, machen russische Truppen im Osten langsam, beharrlich Geländegewinne. Die Ukraine ist inzwischen ein Dauerprojekt wie der Berliner Flughafen – nur mit mehr Leichenbergen.

Man redet von Offensiven, von Durchbrüchen, von strategischen Umgruppierungen – und meint in Wirklichkeit Rückzüge, Erschöpfung und das schleichende Eingeständnis, dass die „regelbasierte Weltordnung“ an den Schützengräben verblutet. Aber niemand gibt das zu. Stattdessen verlängert man den Krieg wie eine schlechte Fernsehserie, die längst keinen Handlungsbogen mehr hat, nur noch immer neue Staffeln mit höheren Einschaltquoten für CNN und Fox News.

Die unausweichliche Katastrophe

Wie wird das enden? Natürlich hässlich. Es gibt keinen eleganten Ausgang aus einer Farce, die längst zur Tragödie geworden ist. Entweder wird die Ukraine weiter zerschlissen, bis nur noch ein Protektorat übrig bleibt, verwaltet von den Restbeständen der CIA, der BlackRock-Gruppe und den üblichen korrupten Lokalgrößen. Oder der Krieg eskaliert noch weiter, schwappt über in neue Regionen, bis irgendwann jemand in Washington oder Moskau den falschen Knopf drückt – aus Versehen oder aus Berechnung, was am Ende keinen Unterschied macht.

Das Narrativ vom „langen Krieg“ ist bereits Mainstream: Ein Krieg, der nicht gewonnen, sondern verwaltet wird. Ein Krieg als Dauerzustand. Als Geschäftsmodell. Als Polit-Ersatzprogramm für gescheiterte Eliten, die zuhause nichts mehr geregelt kriegen, aber wenigstens auf dem Globus die Muskeln spielen lassen dürfen.

Und wir? Wir zahlen die Rechnung

Am Ende bleibt die bittere Wahrheit: Wir alle bezahlen das – mit unseren Steuergeldern, mit der geopolitischen Destabilisierung, mit den nächsten Flüchtlingswellen, mit der Inflation, mit der Verrohung der politischen Kultur. Während der einfache Ukrainer und der einfache Russe in den Schützengräben erfrieren oder verbrennen, streiten sich westliche Think Tanks um Fußnoten in ihren Papers über „sinnvolle Eskalation“.

Aber trösten wir uns: Die nächsten Friedenspreise sind schon vergeben, die Talkshow-Sessel sind warm, die Journalisten haben ihre Schlagzeilen. Und irgendwo in einem Penthouse in Kiew, Zürich oder Washington wird gerade angestoßen – auf die nächste Waffenlieferung.

Prost.

Die heroische Zumutung – Egon Flaigs Opferkult

Von der Wohltemperierten Kriegsbeobachtung aus dem Lehnstuhl

Man muss schon eine gewisse Chuzpe besitzen, um aus der behaglichen Sesselfalte des FAZ-Feuilletons heraus der Ukraine vorzuhalten, sie habe ihren „Kairos“ verpasst, weil die Diskotheken noch offen sind und die Hantelbänke weiterhin poliert werden. Egon Flaig hat diese Chuzpe – und noch ein bisschen mehr. Er liefert am 11. März 2025 im Feuilleton der FAZ nicht nur eine Lobeshymne auf den heroischen Opfermut, sondern vergibt auch gleich olympische Haltungsnoten für die Kriegsführung der Ukraine, als säße er in der Jury eines martialischen Eiskunstlaufwettbewerbs. Punktabzug fürs fehlende Blutopfer in der Kür, elegante Armführung beim Patriotismus, aber leider zu wenig Selbstaufgabe in der Pflicht. Und immer schön daran denken: Das Leben der anderen ist zum Verbrauchen da.

Flaig, der sich sonst als Althistoriker mit spartanischen Hopliten oder römischen Virtus-Kulturen beschäftigt, greift nun beherzt zur Gegenwartsdiagnose: Die Ukraine sei – o Graus – längst eine postheroische Gesellschaft geworden. Der Verzicht auf eine flächendeckende Generalmobilmachung im Frühjahr 2022 wird ihm zum historischen Betriebsunfall. Das Volk, so seine Lesart, hätte nur auf das Startsignal gewartet, um massenhaft den Fitnessstudio-Jargon gegen das Marschlied zu tauschen. Stattdessen, wie der grantige Professor im Brustton der Poseidonius-Rezeption raunt, bleibe die zivilgesellschaftliche Sphäre „pulsierend“ – ein schamloses Leben zwischen Latte Macchiato und Tanzfläche, während an der Front gekämpft und gestorben wird.

Man fragt sich unwillkürlich: Sitzt Flaig da im deutschen Eichenholzstuhl und notiert sich, wie viele Ukrainer heute wieder „wehrkraftzersetzend“ ihr Leben leben? Und wem genau, möchte man anmerken, nützt eigentlich eine Gesellschaft, die sich vollständig selbst verzehrt, um ihre „Kampfmoral“ zu stärken? Vielleicht sollte man den Diskothekenbesuch gerade deshalb als patriotische Tat begreifen: als Verweigerung der totalen Selbstaufgabe. Doch dazu später mehr.

Der Opferdiskurs als Sitzkreis der Staatsphilosophie

Flaigs Argumentation erinnert an ein geistiges Manöver, das man aus den besseren Oberseminaren kennt, in denen spätabends nach zu viel Rotwein und Nietzschelektüre der Punkt erreicht ist, wo jemand den Satz sagt: „Gemeinschaft ist das, was wir brauchen!“ Das klingt immer schön archaisch, nach Lagerfeuer und Heldengesängen, lässt sich aber nur schwer in die Praxis überführen, es sei denn, man steht auf Gruppenzwang, Opfermythen und Blutsbande als politisches Organisationsprinzip.

Dass Flaig hier mit einem wohlmeinenden Plädoyer für den Krieg als nationalstiftendes Sakrament aufwartet, zeigt eine gewisse Verachtung für das, was Soziologen gemeinhin als die moderne, komplizierte Gesellschaft bezeichnen. Helmuth Plessner, ein Philosoph, den Flaig vielleicht als weichgespülten Sozialromantiker abtun würde, hat diese Problematik bereits 1924 seziert: Gemeinschaft ist schön, solange sie im Kleinen funktioniert – im Freundeskreis, beim Kegelclub oder beim kollektiven Schlagerabend. Wird sie jedoch zum politischen Leitbild, wird’s eng und irgendwann auch tödlich.

Denn die Opferlogik der Gemeinschaft kennt keine diplomatische Zwischentöne. Wer nicht mitmacht, ist der Verräter, der Drückeberger, der Schädling im Organismus der Nation. Dass diese Vorstellung ihre intellektuelle Duftmarke eher in den 1930er Jahren als in einer liberalen Demokratie hat, scheint Flaig nicht weiter zu irritieren.

Kant als Kronzeuge? Nur wenn man ihn falsch zitiert

Um seinem Opferdiskurs das philosophische Krönchen aufzusetzen, ruft Flaig dann auch noch Kant zu Hilfe. Das ist ungefähr so, als würde man die vegane Kantine der Grünen als Argument für den Konsum von Tatar heranziehen. Denn Kant ist zwar ein Moralphilosoph, der von Pflichtethik schwärmt, aber ganz sicher kein Fan militärischer Totalverfügbarkeit. Seine berühmte Frage, welches Recht der Staat habe, Bürger in den Krieg zu schicken, beantwortet er mit einem lakonischen: eigentlich keins. Menschen sind, so Kant, keine Kartoffeln, die man nach Belieben schälen, kochen und verzehren darf – auch nicht im Dienste des Vaterlandes.

Nur wenn der Bürger – durch seine Repräsentanten – der Kriegserklärung zustimmt, darf der Staat sein Leben fordern. Es ist also keine Einbahnstraße in Richtung Schlachtfeld, sondern ein Vertrag zwischen gleichberechtigten Akteuren.

Flaig jedoch legt Kant auf die Couch und diagnostiziert ihm posthum eine heimliche Liebe zum heroischen Opfer. Das ist in etwa so, als würde man Schiller auf den Satz reduzieren: „Das Leben der anderen ist das Güter höchste nicht.“ Derart verkürzt klingt sogar Pathos nach Zynismus.

Die Heimatfront als Problemzone der Kriegsführung

Flaigs gefährlichster Gedankengang aber ist der Versuch, den Zustand der Heimatfront zum Schicksalsfaktor der Nation zu erklären. Die Vorstellung, dass sich die Zivilbevölkerung geschlossen hinter den Kampf stellen müsse – und das bitte nicht nur mit moralischer Unterstützung, sondern möglichst mit völliger Selbstaufgabe – trägt den Ruch einer mentalen Generalmobilmachung.

Man kennt das Prinzip aus der deutschen Geschichte, und zwar nicht aus den besten Kapiteln. George Mosse hat es beschrieben: Wie nach dem Ersten Weltkrieg der Kriegsmythos den Frieden vergiftete, wie aus den Frontsoldaten die neuen Heiligen wurden, um die sich der Opferkult schlang wie ein Lorbeerkranz aus Stacheldraht. Dieser Mythos überlebte den Krieg und nährte die faschistische Versuchung: Wer nicht kämpfte, war kein ganzer Mann; wer nicht litt, war kein ganzer Bürger.

Die Parole vom Durchhalten bis zum Letzten ist keine historische Randnotiz, sondern ein gut dokumentierter Weg in den Abgrund. Und wenn heute wieder jemand mit der Pathos-Keule wedelt und den Fitnessstudio-Besuch als zivilisatorischen Verfall anprangert, sollte man hellhörig werden.

Arendt, Schiller und das animalische Niveau

Zum Schluss serviert Flaig noch eine bildungsbürgerliche Dessertvariation mit Schiller und Arendt. Das klingt nobel, ist aber ein ziemlich schaler Aufguss. „Das Leben ist der Güter höchstes nicht“, zitiert er Schiller – ein Satz, den man wahlweise bei Trauermärschen oder bei Herrenabenden nach dem vierten Schnaps hervorholt. Doch wie Ludwig Marcuse schon sagte: Wer so zitiert, meint meist das Leben der anderen.

Und Arendt? Sie hat mitnichten den heroischen Opfermut gepriesen, sondern davor gewarnt, dass totalitäre Systeme den Menschen nicht nur das Leben nehmen, sondern die Welt selbst – den Raum der Freiheit, des Denkens, des Handelns. Arendt wollte keine Gladiatorenschule für den Westen, sondern eine politische Welt, in der Menschen mehr tun dürfen, als sich gegenseitig zu opfern.

Fazit: Das heroische Delirium einer saturierten Gesellschaft

Flaigs Artikel ist letztlich das Symptom einer saturierten Gesellschaft, die sich den Krieg als moralisches Planspiel zurechtlegt. Während reale Menschen sterben, diskutiert man im Feuilleton darüber, ob genug gestorben wird. Das hat etwas von einem makabren Brettspiel: Risiko für Bildungsbürger.

Man kann es auch anders sagen: Wer vom Schreibtisch aus Selbstaufopferung predigt, führt keinen Diskurs über Werte, sondern inszeniert ein Rollenspiel auf Kosten der Betroffenen.

Ja, wir müssen über Wehrhaftigkeit reden, über politische Verteidigungsethik, über den Preis von Freiheit. Aber solange die Antwort darauf aus einem Cocktail aus Carl Schmitt, Schiller und Zuchtmeisterton besteht, bleibt der Nachgeschmack bitter.

Vielleicht hilft hier ein letzter Gedanke von Ludwig Marcuse weiter: „Wer das Leben gering achtet, um der Sache willen, muss sehr sicher sein, dass es wirklich die Sache aller ist – und nicht nur seine eigene Idee davon.“

Vom höflichen Verschweigen des Elefanten im Wohnzimmer

Man stelle sich Folgendes vor: Ein Salon voller kluger Köpfe, die sich zur gepflegten Abenddiskussion eingefunden haben. Der Wein ist dekantiert, der Käse stammt aus der Provence, das Licht ist schummrig genug, um Falten gnädig zu verschleiern, aber nicht so dunkel, dass die Überheblichkeit an Schärfe verliert. Und da steht er: der Elefant im Raum. Groß, grau, schwer, mit dem diskreten Charme eines Obdachlosen im Feuilleton – der Kapitalismus. Alle sehen ihn, keiner spricht ihn an. Stattdessen debattiert man lieber über Symptome: autoritäre Versuchungen, soziale Kälte, Rechtsruck, Fake News, der hässliche Populismus. Ach ja, und irgendwo ganz hinten in der Fußnote: der Faschismus, dieses Relikt aus der Mottenkiste der Geschichte.

Max Horkheimer, dieser grantige Frankfurter mit Zigarette im Mundwinkel und pessimistischer Stirnfalte, war da weniger zimperlich: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, solle auch vom Faschismus schweigen. Klare Kante, man kann sich dran schneiden. Aber wie unangenehm, wie unhöflich! Denn nichts ist im gutbürgerlichen Diskurs so verpönt wie das Wort „Kapitalismus“. Das riecht nach Klassenkampf, nach Marx, nach rotem Fiebertraum. Lieber philosophiert man über das „böse Internet“ oder das „böse Klima“, als über die ganz banale Tatsache, dass die kapitalistische Produktionsweise ein systemischer Zerstörungsautomat ist. Man nennt es Fortschritt. Oder Freiheit. Oder, wenn man besonders weltgewandt ist, „Marktdynamik“. Und wenn dann am Ende dieser Fortschritt wieder einmal in Stiefeln daherkommt, wundert sich die liberal gesinnte Mitte, warum der Tanz auf dem Vulkan so plötzlich brandgefährlich wurde.

Kapitalismus als Naturgesetz: Das göttliche Prinzip der Unveränderlichkeit

Der Kapitalismus – diese Religion ohne Gott, aber mit Kreditkarte. Er wird nicht mehr als historisch gewachsene Wirtschaftsform betrachtet, sondern als Naturgesetz verkauft. Wie die Schwerkraft, nur ein bisschen gieriger. „Es gibt keine Alternative“, verkündete schon Margaret Thatcher, die eiserne Heilige der Neoliberalen. Wer dagegen aufmuckt, wird behandelt wie ein Esoteriker, der Gravitation leugnet.

Dabei ist es gerade diese Alternativlosigkeit, die das politische Denken stranguliert. Alles wird zur Marktfrage umdeklariert: Gesundheit, Bildung, Wohnen, sogar das Sterben wird optimiert – die Palliativpflege als letztes Wachstumssegment. Und wenn irgendwo ein Staat zu stark reguliert, schreien die Märkte auf wie ein beleidigtes Kind, dem man das Eis verweigert hat.

Das wäre noch halb so schlimm, wenn es beim ökonomischen Darwinismus bliebe. Doch der Kapitalismus braucht den autoritären Schatten, der ihm die Aufräumarbeiten erledigt. Er braucht Grenzschutztruppen, Überwachungssysteme, Sündenböcke, Notstandsrechte. Der Markt frisst keine Grenzen, aber der Kapitalismus braucht sie – wenn nicht geografisch, dann zumindest sozial. Wer unten liegt, bleibt unten. Wer oben ist, darf sich „Leistungsträger“ nennen, selbst wenn sein einziges Talent darin besteht, Aktienpakete zu verwalten.

Faschismus als Reinigungsmechanismus: Das Ventil der bürgerlichen Ordnung

Hier kommt der Faschismus ins Spiel, der ungeliebte Bastard der bürgerlichen Gesellschaft. Er ist nicht das Andere des Kapitalismus, sondern sein Rettungsanker, wenn der schöne Schein der Demokratie brüchig wird. Er reinigt den Markt von überflüssigen Elementen – Arbeitslosen, Fremden, Intellektuellen, Oppositionellen – und verpackt das Ganze als patriotisches Projekt. Das Kapital regiert dann weiter, nur halt etwas grobschlächtiger. Statt Feuilleton gibt’s Propaganda, statt Shareholder-Value nur noch Vaterlandsverteidigung. Der Mehrwert bleibt derselbe.

Natürlich will das niemand hören. Besonders nicht jene, die es sich auf der Plüschcouch des liberalen Mainstreams gemütlich gemacht haben. Sie beklagen den Aufstieg der Rechten, ohne zu fragen, warum die Rechten überall da aufsteigen, wo der Markt das Leben zertrümmert hat. Prekariat, Entwurzelung, soziale Kälte – alles Kollateralschäden der Flexibilisierung. Doch statt den Kapitalismus zu benennen, verlagert man die Schuld auf „die Dummen“, „die Abgehängten“, „die Wutbürger“. Man behandelt das Problem wie eine allergische Reaktion des Pöbels, nicht wie eine systemische Konsequenz.

Die Schweigespirale der Wohlmeinenden: Von der Angst, unmodern zu sein

Warum dieses Schweigen? Weil die Linke in den 1990ern in die Wellnesskur ging. Sie hat den Kapitalismus nicht mehr als Gegner betrachtet, sondern als Partner mit sozialem Antlitz. Schröder, Blair, Clinton – alle wollten sie den Tiger reiten, statt ihn zu erlegen. Heraus kam die Agenda 2010, der dritte Weg, das neoliberale Lächeln. Und als das Kartenhaus 2008 zusammenbrach, reichten die Banken den Kassenzettel an die Gesellschaft weiter. Die Konzerne wurden gerettet, die Armen bekamen Hartz IV. Wer sich darüber beschwerte, war „populistisch“.

Heute gibt es zwar wieder Kapitalismuskritik – aber bitte nur in homöopathischen Dosen. Man redet über Nachhaltigkeit, über grüne Start-ups, über „social entrepreneurship“. Der Kapitalismus soll bitte Bio werden, nachhaltig, gendergerecht und klimaneutral. Wie ein veganer Burger, der trotzdem genauso viel Fett enthält wie der alte. Der Elefant bekommt einen Blümchenkranz um den Hals und darf im Raum bleiben.

Der humorvolle Abgrund: Warum wir trotzdem lachen sollten

Das Tragische an der ganzen Farce ist, dass sie so unfassbar komisch ist. Der Kapitalismus frisst seine Kinder – und die Kinder liefern ihm dafür noch das Catering. Influencer verkaufen uns Detox-Tee, während sie an Burnout leiden. Klimakatastrophen werden als Investitionschance verpackt: „Grünes Wachstum!“ Wer sich das nicht schönsaufen kann, sollte wenigstens lachen. Denn Zynismus ist das letzte Refugium des Verstandes in einer Welt, die sich selbst als alternativlos definiert.

Also ja: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen. Oder besser noch: die Klappe halten, wenn es wieder heißt, der neue autoritäre Führer sei „aus dem Nichts gekommen“. Er kam nicht aus dem Nichts. Er kam aus dem Markt. Er kam aus dem Shareholder Value. Er kam aus der Angst der Besitzenden, den Laden nicht mehr kontrollieren zu können. Und wenn der Kapitalismus wieder einmal wankt, ruft er nicht nach der Demokratie, sondern nach der Kavallerie.

Coda: Vom Mut, den Elefanten zu benennen

Man muss den Kapitalismus nicht abschaffen, um ihn zu kritisieren. Man muss ihn nur beim Namen nennen, ihn entzaubern, ihn von seinem göttlichen Thron holen. Denn solange wir so tun, als wäre der Markt die Natur und der Faschismus der Betriebsunfall, wird sich die Geschichte wiederholen. Immer wieder. Mit immer neuen Gesichtern, aber demselben alten Spiel.

Der Elefant steht da, freundlich trompetend. Vielleicht wäre es langsam Zeit, ihm ins Auge zu sehen.

Die Stunde der Feldherren

Roderich Kiesewetter und die Kunst der Fernbedienungskriegführung

Vom Oberst zur Schießbudenfigur

Es gibt in der deutschen Politik eine seltene Spezies, die sich selbst als sicherheitspolitischen „Vordenker“ versteht und von der Öffentlichkeit als sicherheitspolitisches Echo empfunden wird. Einer, der immer dann tönt, wenn es gerade besonders knallt. Einer, der militärische Planspiele auf Talkshow-Sofas entwirft wie andere Menschen Kreuzworträtsel lösen. Sein Name: Roderich Kiesewetter, CDU, einst Oberst a.D., heute Oberst im Ankündigungsdienst. Er gehört zu jenen Figuren, die sich in Talkshows nicht setzen, sondern lagern – wie Generäle in Napoleon-Filmen –, den Blick auf unsichtbare Landkarten gerichtet, während sie mit der Hand über den Imaginationsglobus fahren und sich fragen: Warum steht da noch ein Gebäude in Moskau?

Kiesewetter, der inzwischen offenbar als eine Art zivilmilitärischer Eventmanager für Eskalationsrhetorik fungiert, sagte jüngst, was viele sich nicht mal im innersten Stammtischtrauma zu denken trauen: Der Krieg müsse „nach Russland getragen werden“. Ziel: Russische Ölraffinerien, Ministerien, Hauptquartiere, Kommandoposten, Gefechtsstände – kurz gesagt: Alles, was brennt oder sich koordinieren lässt. Die Liste seiner präferierten Einschlagsziele liest sich wie der Wunschzettel eines strategischen Bombers, der das Zeitalter der Diplomatie für einen Betriebsunfall hält.

Man könnte meinen, Kiesewetter habe beim großen Basar der Bellizisten ein All-You-Can-Bomb-Menü gebucht. Außenpolitik als Highscore-Spiel im geopolitischen Arcade-Simulator – mit ihm als Commander-in-Chief im Ledersessel des Morgenmagazins. Der Unterschied zwischen Kiesewetter und einem Computerspiel liegt allerdings darin, dass bei Kiesewetter reale Menschen sterben würden. Aber vielleicht ist gerade das der Reiz für manche, die schon mit Clausewitz als Gute-Nacht-Lektüre einschliefen.

Die Sehnsucht nach der großen Entscheidung

Der Satz „Der Krieg muss nach Russland getragen werden“ hallt durch den deutschen Diskurs wie eine schlecht schallgedämpfte MG-Salve durch eine Bibelstunde. Was Kiesewetter hier vorschlägt, ist nichts Geringeres als die freiwillige Bewerbung Deutschlands als Co-Belligerent. In der Sprache des Völkerrechts klingt das wie ein Eintrittsgesuch ins Clubhaus der Beteiligten. In der Sprache der deutschen Nachkriegspolitik klingt es wie der vollständige Gedächtnisverlust.

Denn während andere noch darüber diskutieren, wie man einen Dritten Weltkrieg verhindern kann, hat Kiesewetter offenbar schon die Einladungskarten gedruckt. Das ist konsequent, wenn man davon ausgeht, dass der historische Fehler des 20. Jahrhunderts nicht der Krieg war, sondern seine unzureichende Führung.

Man spürt in seinen Aussagen die fast kindliche Sehnsucht nach dem „großen Wurf“, nach der „letzten Entscheidung“. Der Krieg als ordnendes Prinzip, als „ultima ratio“, das lateinische Feigenblatt, hinter dem sich die blutige Nacktheit der Gewalt verbirgt. Endlich keine lästige Diplomatie mehr, keine langen Verhandlungen, keine normativen Schwurbeleien. Stattdessen: präzise Einschläge und klare Botschaften.

Man könnte meinen, Kiesewetter habe bei Netflix die Serie „Der Zweite Weltkrieg in Farbe“ gebinged und sich dabei gedacht: „Schade, dass es vorbei ist. Aber vielleicht geht da ja noch was.“

Strategie aus der Fußgängerzone

Nun ist Roderich Kiesewetter kein ungebildeter Mann. Er hat gelernt, er hat gedient, er hat gebrüllt, er hat gebuckelt, er hat befohlen. Er weiß, was Krieg ist – oder zumindest wusste er es einmal. Und genau das macht seine jüngsten Äußerungen so irritierend. Denn wer so genau weiß, was Zerstörung bedeutet, der sollte sich vielleicht zweimal überlegen, ob er sie im öffentlich-rechtlichen Sendeformat propagiert wie den Wetterbericht.

Aber vielleicht sind das gar keine echten Vorschläge, sondern rhetorische Pyrotechnik für das sicherheitspolitische Spektakelpublikum. Ein bisschen wie Schausteller auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, die mit künstlichen Explosionen werben, um den Sicherheitsgurt des Zuschauers enger zu schnallen.

Kiesewetters Strategie ähnelt der eines Spielzeugpanzers, den man mit viel Getöse über den Asphalt der Talkshow-Kulisse schiebt, während man ruft: „Jetzt wird zurückgeschossen!“ Dabei ist der Unterschied zwischen Krieg führen und Krieg fordern ungefähr so groß wie der zwischen einem Scharfschützen und einem Mann, der mit der Fernbedienung auf den Fernseher zielt.

Es ist die Strategie der Fußgängerzone: große Worte, lauter Ton, möglichst martialisch. Der Soundtrack dazu: Pathos auf 180 Dezibel, garniert mit dem altbewährten „Wir dürfen keine Angst haben“-Narrativ, das traditionell immer dann ausgepackt wird, wenn es darum geht, anderen den Kopf hinzuhalten.

Die Moralphilosophie des Marschflugkörpers

Natürlich verkauft Kiesewetter seine Vorschläge nicht als Kriegshetze, sondern als Moralpflicht. Er verpackt sie in das Etikett des „Schutzes der Ukraine“, des „Einfrierens des Konflikts“, des „Schwächens der russischen Kriegsmaschinerie“. Das klingt alles sehr nach ethischer Verpflichtung, nach Kant mit Kalaschnikow. Nur dass Kant am Ende des „Kategorischen Imperativs“ nicht das Wort „Luftschlag“ stehen hatte.

Doch genau in diesem moralischen Selbstüberhöhungslabor werden die gefährlichsten Ideen geboren. Wer den Marschflugkörper mit Gewissen versieht, der verliert schnell den Überblick über die Trümmerlandschaften, die er erzeugt. Denn wenn der Krieg nicht mehr nur Mittel ist, sondern plötzlich Tugend – dann gibt es keine Grenze mehr zwischen Verteidigung und Angriff, zwischen Notwehr und Eskalation. Dann wird der Präventivschlag zur Wohltat, der Angriff zur Fürsorge, der Krieg zur Therapie.

Kiesewetter liefert uns das in Reinform. Der Krieg muss nach Russland getragen werden – nicht aus Lust am Zerstören, nein, sondern aus einer geradezu pädagogischen Verpflichtung heraus: Der böse Putin muss „lernen“. Das klingt fast so, als hätte man einen lauten Nachbarn, den man nun aus Erziehungsgründen mit der Abrissbirne besucht.

Applaus vom Balkon der Verantwortungslosigkeit

Die Reaktionen auf Kiesewetters Vorschläge sind bezeichnend: Einige applaudieren, andere schweigen, wieder andere zucken mit den Schultern und sagen: „Naja, irgendwer muss es ja mal sagen.“ Dass dieser Satz meistens der Vorbote für Desaster ist, hat die Geschichte bewiesen. Aber in Zeiten der medialen Empörungskonjunktur kann man mit sowas eben Quote machen.

Der moralische Balkon, von dem Kiesewetter seine Wortsalven abfeuert, ist hoch, sehr hoch. Er steht dort oben, weht das Fähnchen der Verantwortung und schreit in den Hof der Realpolitik hinab: „Jetzt seid doch endlich mal mutig! Zieht mit!“ Dass unten auf dem Boden Menschen leben, sterben, frieren, fliehen – das fällt von da oben schwer auf.

Finale Furiosa

Man kann von Roderich Kiesewetter halten, was man will. Ein Dilettant ist er nicht. Ein Leisetreter auch nicht. Er ist vielmehr der Vertreter jener deutschen Post-Helmut-Kohl-Sicherheitselite, die den Krieg als politisches Werkzeug rehabilitieren will, um endlich nicht mehr als Zauderer dazustehen. Lieber „verantwortungsvoll eskalieren“ als „nichts tun“, lautet die Devise. Das klingt klug, solange man sich nicht überlegt, was „alles tun“ eigentlich konkret bedeutet. Oder wie viele Menschenleben dieser „Krieg, den wir nach Russland tragen“, kosten wird – und wessen Leben genau. Spoiler: Vermutlich nicht das von Kiesewetter.

Und so bleibt am Ende der Eindruck eines Mannes, der mit dem Schwert der Moral fuchtelt, während er auf der geopolitischen Bühne steht und ruft: „Ich will nur helfen!“ Aber wer mit solchen Vorschlägen hilft, der sollte sich nicht wundern, wenn am Ende kein Feuer gelöscht, sondern der ganze Kontinent abgefackelt wird.

Der Krieg nach Russland? Vielleicht fangen wir erst einmal damit an, den Wahnsinn zu Hause zu lassen.

Der Opfermut-Industriekomplex

Präludium der Pietät: Wenn der Krieg ins Wohnzimmer klopft

Manchmal öffnet sich das Fenster zur Hölle nicht mit Panzern, sondern mit Interviews. Auf 3sat, jenem Kanal, der sonst mit Beethoven-Sonaten, Astrophysik-Dokus und der neuesten Kafka-Interpretation die Bildungsbürger zum Einschlafen bringt, wurde jüngst das Tor aufgestoßen für eine viel fundamentalere Debatte: die der Opferbereitschaft. Nicht für den Nächsten, nicht für das Gemeinwohl im Sinne der Wohlfahrtspflege oder der Nachbarschaftshilfe. Nein, für den Krieg.

Der Historiker Egon Flaig, offenbar der Hofchronist der neuen Bellizistenklasse, beklagte im Fernsehen öffentlich die Unwilligkeit der Eltern, ihre Kinder als Soldaten zu sehen – als zukünftige tote Soldaten, präziser gesagt. Ein bitteres Lamento über mangelnden Opfermut. Über verweichlichte Eltern, die partout nicht bereit sind, ihre Brut dem Kugelhagel anzuvertrauen, damit diese dort am Frontabschnitt X für das sogenannte Gemeinwesen bluten, wahlweise sterben.

Man müsse, so Flaig, endlich Schluss machen mit diesem „jahrzehntelangen Pazifismus“, der die Gesellschaft lethargisch und moralisch verkommen habe lassen. Die Lösung? Eine kulturelle Umprogrammierung. Wie beim Thermostat: auf kalt stellen. Herz ausschalten, Gewehr sichern.

Die neue Menschenopferkultur: Ein Upgrade aus der Mottenkiste der Geschichte

Da reibt man sich als Zeitgenosse die müden Augen: Ein Historiker will das Kinderopfer zurück. Nicht in Karthago, nicht im alten Sparta, sondern im Jahr 2025, im deutschen Fernsehen.

Natürlich nicht als religiösen Ritus – nein, viel moderner soll es sein, aufgeklärt quasi, mit didaktischer Begleitbroschüre und PowerPoint-Präsentation. „Eltern, lernt eure Kinder loszulassen“, so könnte das Seminar heißen. Untertitel: „Heldentum statt Helikoptereltern“.

Dass die alten Götter nach Blut schrien, ist bekannt. Baal forderte Erstgeborene, die Azteken versorgten Huitzilopochtli täglich mit Menschenherzen. Und nun also Flaig, der sich vermutlich bei Tacitus und Clausewitz warmgelesen hat und dabei übersah, dass wir seit dem Zweiten Weltkrieg dachten, wir seien wenigstens in Mitteleuropa aus dem Schlachthaus der Geschichte ausgestiegen. Dachten wir. Irrtum.

Offenbar wird das Menschenopfer neu ins Sortiment aufgenommen. Der Markt verlangt es.

Der Krieg als Coachingprogramm: Vom Soft Skill zum Hard Kill

Natürlich geschieht das alles mit dem schönsten Euphemismus-Feuerwerk, das die deutsche Sprache hergibt. „Gemeinwohl“, „Verantwortung“, „Tapferkeit“ – es klingt wie eine Mischung aus Bundeswehr-Broschüre, Ratgeberliteratur für Führungskräfte und Sonntagspredigt. Nur dass zwischen den Zeilen das Maschinengewehr lauert.

Der neue Opfermut ist eine Pflicht zur Selbstabschaffung – am besten der anderen, versteht sich. Und damit kommen wir zum eigentlichen Kern der Debatte: Die, die solche Töne anschlagen, sind in der Regel selbst aus dem Alter der Kriegsverwendbarkeit heraus. Der Altersdurchschnitt der Bellizisten-Clique liegt meist deutlich über dem der Wehrpflichtigen. Flaig selbst? Jahrgang 1949. Den Wehrdienst hat er, man darf es annehmen, erfolgreich überlebt – vermutlich, ohne den Atlantikwall gegen die Invasion verteidigen zu müssen. Umso fröhlicher verteilt er jetzt Einsatzbefehle in Talkshow-Studios.

Das nennt man dann „Diskurs“.

Vom Verteidigen zum Vernichten: Wie Sprache zur Waffe wird

Man sollte genauer hinsehen, wenn Begriffe wie „Verteidigung“ benutzt werden. Verteidigung ist so ein freundliches Wort. Es klingt nach Schutzschild, nach Heimatschutz, nach „Mama, der Wolf kommt, ich mach die Tür zu“. Doch in Wahrheit geht es um das Gegenteil: um Angriffskrieg mit moralischem Etikettenschwindel. Wer heute von Verteidigungsbereitschaft spricht, will Aufrüstung. Wer von Opfermut redet, meint Leichen.

Dabei ist es nicht so, dass Pazifismus ein Irrweg wäre. Pazifismus ist schlicht die zivilisatorische Restintelligenz, die nach den zwei Weltkriegen übriggeblieben ist. Wer ihn diskreditiert, will zurück auf Los. Nicht weil er es muss, sondern weil er es kann.

Das Geschäft mit dem Krieg: Shareholder der Waffenlobby klatschen Beifall

Die Waffenindustrie reibt sich die Hände. Rüstungskonzerne jubeln still in ihren Aktionärsberichten, wenn Professoren und Kommentatoren endlich wieder den Krieg als Notwendigkeit verkaufen. Der Satz „Schuld sei ein jahrzehntelanger Pazifismus“ ist der feuchte Traum jeder PR-Abteilung von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann.

Das Marketing des Todes hat wieder Konjunktur. Die alten Muster werden neu lackiert: Die Kriegspropaganda des 21. Jahrhunderts kommt im Design-Sakko daher, mit Kulturphilosophie-Duktus, in arte-nahen Talkrunden. Sie trägt Lesebrille und ruft zum Töten auf – für das „Gemeinwesen“.

Man könnte lachen, wenn es nicht so perfide wäre.

Die Alternative: Diplomatie als Feindbild

Was wäre denn eigentlich die Alternative? Ganz einfach: Reden. Verhandeln. Diplomatische Lösungen suchen. Verstehen wollen, warum Konflikte eskalieren. Sich die Mühe machen, Friedenslogik zu denken, anstatt Kriegslogik zu befeuern.

Doch das klingt heute wie von einem anderen Planeten. Wer Diplomatie fordert, wird wahlweise als „naiv“, „weltfremd“ oder gleich als „Putin-Versteher“ diffamiert. So einfach ist das. Wer nicht für den Krieg ist, ist gegen das Gute.

Dass es genau das Gegenteil braucht – ein entschiedenes Nein zur Aufrüstung, zu Waffenlieferungen, zur Wiedereinführung des Wehrdienstes –, wird als defätistisch, als unpatriotisch gebrandmarkt. Wer auf Frieden besteht, wird als Gesinnungspazifist beschimpft. Ein Schimpfwort, das es im Duden gar nicht geben sollte, aber in Talkshows inflationär benutzt wird.

Das Resümee: Der Krieg als letzte Antwort der Ideenlosen

Man muss es aussprechen: Wer Opfermut von Eltern fordert, der betreibt nicht Diskurs, sondern Demagogie. Er propagiert das Ende der Zivilisation im Namen ihrer Rettung. Ein Friedhof wird gebaut und als Tempel verkauft.

Die Idee vom „Opfer für das Gemeinwesen“ klingt heroisch, wenn man sie nicht zu Ende denkt. Wer sie zu Ende denkt, sieht Leichensäcke, gebrochene Mütter, amputierte Söhne. Wer sie zu Ende denkt, sieht Propaganda.

Es wird Zeit, sich klar zu positionieren: Nein zu Flaigs Opfermut. Nein zu einer kulturellen Umprogrammierung zurück in die Barbarei. Nein zur Normalisierung des Krieges als Notwendigkeit.

Was es braucht, ist nicht mehr Kriegsbereitschaft, sondern mehr Bereitschaft zum Frieden. Nicht mehr Waffen, sondern mehr Worte. Nicht mehr Helden, sondern mehr Menschen.

Und wenn das naiv klingt, dann sei es so. Lieber naiv als nekrophil.

Und wieder die Ukraine – eine nie versiegende Quelle von Absurditäten

Der Wiederaufbau als Endlosschleife: Willkommen im geopolitischen Perpetuum Mobile

Es gibt Länder, bei denen man den Eindruck hat, sie existieren vor allem als Kulisse für Konferenzen. Die Ukraine ist so ein Land. Man rekonstruiert es permanent, aber nie vollständig. Jede Ruine wird zur Bühne für neue Milliardenversprechen, jedes zerbombte Verwaltungsgebäude zur PowerPoint-Folie in einem G7-Sonderausschuss. Der Wiederaufbau ist längst nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck geworden – wie ein Fitnessstudio-Abo, das man nie kündigt, obwohl man längst weiß, dass man nie hingeht.

Gerade wieder ist es so weit: In Rom – jener Stadt, die selbst so viele Kaiser und Konsuln überlebt hat, dass sie heute alles mit einem milden Lächeln der Ironie betrachtet – treffen sich die westlichen Macher des Fortschritts. Sie sitzen in schallgedämmten Tagungsräumen, tippen auf MacBooks Air, tragen Business-Casual und hören einem Mann zu, der via Video zugeschaltet wird.

Sein Name: Oleksii Chernyshov.
Sein Job: Vizepremierminister der Ukraine für Wiederaufbau.
Sein Status: Angeklagt vom ukrainischen Antikorruptionsbüro wegen Millionenschadens für den Staat.

Und was tut dieser Mann? Er hält – ungerührt, charmant, glatt wie die Fassade eines neu gebauten Shoppingcenters in Dnipro – eine flammende Rede an die Weltgemeinschaft: Investiert in die Ukraine! Helft uns, unsere Zukunft zu gestalten! Vertraut uns!

Die Reaktion? Höflicher Applaus. Einige Notizen. Man nickt zustimmend. Schließlich geht es hier um den Aufbau der Demokratie. Wer wollte da kleinlich sein?

Korruption als System: Der ukrainische Alltag im postheroischen Zeitalter

Man muss das verstehen: In der Ukraine ist Korruption kein Ausrutscher, sondern eine Struktur. Sie ist nicht das Problem des Systems – sie ist das System.

Seit den neunziger Jahren hat sich das Land zu einer Art wirtschaftlicher Parallelwelt entwickelt, in der öffentliche Ämter weniger als Vertrauenspositionen denn als renditestarke Beteiligungen gehandelt werden. Wer ein Ministerium leitet, betreibt kein Ressort – sondern eine Lizenz zur Gewinnmaximierung. Der Staat ist ein Franchise-Modell der Selbstbereicherung.

Oleksii Chernyshov ist da keine Ausnahme, sondern der Prototyp. Der moderne Funktionär, der in teuren Anzügen auftritt, mit perfektem Englisch brilliert und sich im nächsten Atemzug von den gleichen Clans abhängig macht wie seine Vorgänger in den neunziger Jahren, als Oligarchen sich Minister kauften wie andere Leute Golfclubs.

Und das funktioniert bis heute blendend.

Die Oligarchen – oder: Der Elefant im Konferenzraum

Man spricht im Westen gern von „Reformen in der Ukraine“, aber niemand will so genau wissen, was das bedeutet. Das Wort ist längst zu einem Ritual geworden – ein magisches Mantra, das in jedem Statement vorkommen muss, um Seriosität zu simulieren.

Doch in Wirklichkeit weiß jeder: Das Land gehört nach wie vor den Oligarchen. Der Krieg hat das nicht geändert. Im Gegenteil: Krieg ist teuer. Und wer den Krieg finanziert, bekommt auch weiterhin die besten Stücke vom Kuchen.

Die großen Clans – Achmetow, Kolomoiskyi, Firtasch – sie alle sind noch da, auch wenn der ein oder andere zwischendurch mal kurz ins Ausland ausweichen musste, um Sanktionen zu umschiffen. Und immer wenn der Westen Geld schickt, sei es für Waffen, Infrastruktur oder humanitäre Hilfe, dann fließt ein Teil davon – wie von selbst, ohne dass es jemand direkt steuern müsste – in die Taschen dieser Leute.

Das ist keine Panne, das ist Design.

Die NGO-Karawane zieht weiter – mit glänzenden Broschüren und moralischer Überheblichkeit

Aber natürlich sind nicht nur die Oligarchen unterwegs. Auch die NGO-Industrie hat längst die Ukraine als Geschäftsmodell entdeckt.

Von Kiew bis Lwiw zieht eine ganze Armada von westlichen Beratern, Gender-Experten, Transparenz-Coaches und Good-Governance-Konsulenten durchs Land, die den Ukrainern erklären, wie moderne Verwaltung funktioniert. Es ist ein bisschen wie Kolonialismus, nur mit besseren PowerPoint-Folien und ethischen Grundkursen.

Die Honorare der westlichen Berater erreichen bisweilen schwindelerregende Höhen, während sie den Ukrainern die Kunst der Korruptionsbekämpfung näherbringen – in einem Land, in dem jeder weiß, dass das Hauptproblem nicht mangelndes Wissen ist, sondern mangelnder Wille.

Aber das stört niemanden. NGOs sind längst Teil des ökonomischen Ökosystems der Ukraine geworden – sie gehören dazu wie der Zollbeamte an der Grenze oder der Bote mit dem Umschlag im Regierungsflur.

Der Westen will betrogen werden – und die Ukraine liefert

Die eigentliche Pointe ist: Der Westen weiß das alles. Aber er will es nicht ändern. Denn die Ukraine ist zur geopolitischen Projektionsfläche geworden.

Man braucht sie als Bollwerk gegen Russland, als Sinnbild für Freiheit, Demokratie und den Kampf des Guten gegen das Böse. In diesem Narrativ ist kein Platz für Grautöne. Deshalb muss man sich einreden, dass es sich um ein Land handelt, das tapfer auf dem Weg zur europäischen Wertegemeinschaft ist – auch wenn es in Wahrheit ein Clan-Staat mit westlichen Etiketten bleibt.

Das ist die große Doppelmoral:

Man schimpft auf Korruption in Afrika, fordert good governance im Nahen Osten, lässt Entwicklungshilfeprojekte wegen Unregelmäßigkeiten stoppen – aber wenn es um die Ukraine geht, ist plötzlich alles egal.

Weil man es braucht. Weil es nützlich ist. Und weil niemand Lust hat, sich einzugestehen, dass man Milliarden in einen Staat pumpt, der auf den Schmiergeldflüssen reitet wie ein Surfer auf der perfekten Welle.

Und so geht es weiter. Unaufhaltsam.

Der Vizepremier wird also auch weiterhin auftreten. Trotz Anklage. Trotz der Millionen, die irgendwo verschwunden sind. Und das Publikum wird weiterhin zuhören, nicken, investieren, Broschüren drucken und „Zukunft“ sagen, wenn es in Wirklichkeit Gegenwart meint.

Die Ukraine ist eben kein Failed State. Sie ist ein Managed Corruption State.

Mit PR-Abteilung, Konferenzbeteiligung und geopolitischem Freifahrtschein.

Man könnte es fast für eine Satire halten.

Aber es ist Realität.

Und die Realität ist bekanntlich immer die härteste Form des Witzes.

Willkommen im neuen Normal

Vom europäischen Achselzucken im Angesicht iranischer Einschüchterung

Es gibt Dinge, über die man in den besseren Cafés Europas noch nicht spricht. Oder wenn, dann höchstens mit dieser speziellen Mischung aus Weltläufigkeit und schulterzuckender Gleichgültigkeit, die sich so angenehm zwischen Croissant und Flat White einfügt. Zum Beispiel darüber, dass der IRGC – der iranische Revolutionsgarden-Komplex, jene fröhliche Mischung aus Geheimdienst, Miliz und mafiösem Unternehmenskonglomerat – in Schweden mal eben 15.000 Drohbriefe verschickt hat. Ja, richtig gelesen: nicht 15, nicht 150, sondern fünfzehntausend. Das sind mehr als die Auflage mancher Regionalzeitung. Und während sich der durchschnittliche Schwede noch fragt, ob der nächste Brief vom Zahnarzt, von der Steuerbehörde oder vom persischen Gottesstaat kommt, faltet Brüssel sich gemütlich in seine gewohnte Pose der strategischen Ohnmacht.

Man könnte meinen, 15.000 Drohbriefe seien eine Kriegserklärung in Briefmarkenformat. Aber im postheroischen Westen reicht das offenbar gerade einmal für ein betretenes Räuspern auf einer Konferenz. „EU und Iran am Scheideweg“, hieß die Veranstaltung, bei der Shiva Mahboubi, die Sprecherin des Komitees für die Freiheit der politischen Gefangenen, diese kleine Anekdote aus dem europäischen Alltag vortrug. 15.000 Drohungen. Das ist in etwa die Einwohnerzahl von Eslöv. Oder, wenn Sie wollen, die Sitzplatzkapazität eines mittelgroßen Fußballstadions. Nur dass hier eben nicht über den letzten Spieltag geredet wird, sondern über Morddrohungen – ausgeführt mit der Effizienz eines Massenmailings, vermutlich per Excel-Tabelle organisiert.

Das Exportprodukt: Angst

Der Iran hat Öl, Gas und Schiitenmilizen – aber sein Haupt-Exportprodukt scheint mittlerweile die Einschüchterung zu sein. Und diese wird gerne auch mal direkt ins europäische Wohnzimmer geliefert, Porto inklusive. Der IRGC, den Europa immer noch nicht offiziell als Terrororganisation gelistet hat (man will ja niemanden verärgern, schon gar nicht die, die bereits beleidigt sind), nutzt westliche Meinungsfreiheit als Waffe gegen die westliche Meinungsfreiheit. Man könnte fast sagen: Postkoloniale Dialektik auf Scharia-Basis.

Da brennen also irgendwo in Schweden ein paar Bücher – der Koran, um genau zu sein – und die Antwort darauf ist kein theologisches Traktat, sondern eine Drohkulisse aus 15.000 Einschüchterungspostsendungen. Was lehrt uns das? Dass der Gottesstaat den Rechtsstaat nicht fürchtet, sondern benutzt. Während europäische Parlamente noch darüber diskutieren, ob eine Koranverbrennung Ausdruck der Meinungsfreiheit oder nur besonders schlechter Geschmack ist, hat Teheran längst entschieden: Das alles ist eine Einladung zum Mitspielen im asymmetrischen Psychokrieg.

Europas höfliche Kapitulation

Und Europa? Europa murmelt irgendetwas von „Dialog“ und „kritischer Partnerschaft“, bestellt hie und da mal einen Botschafter ein (unter drei Kameras, versteht sich), um dann wieder den diplomatischen Autopilot zu aktivieren. Schließlich geht es um das große Ganze, das berühmte geopolitische Schachbrett, auf dem man sich traditionell lieber selber Schachmatt setzt als unangenehme Züge zu machen. Menschenrechte? Ja, natürlich, ganz oben auf der Agenda – direkt unter Gaslieferungen, Handelsabkommen und der Angst vor noch mehr Flüchtlingen.

Dass der IRGC in Schweden Drohbriefe verschickt, wird da schnell zur „bedauerlichen Einzelfallmaßnahme“. Die EU reagiert mit derselben Entschlossenheit, mit der man auf ein schlechtes WLAN-Signal reagiert: Man tut so, als sei es gleich wieder vorbei, wenn man nur lange genug den Kopf schüttelt.

Sicherheitsgarantie? Nein, danke!

Der Satz „Was wird getan, um die EU-Bürger zu schützen?“ wirkt da fast wie ein Witz mit Anlauf. Was getan wird? Nun ja, man diskutiert. Vielleicht gibt es demnächst ein weiteres Positionspapier, in dem „zutiefst besorgt“ konstatiert wird, dass Bedrohungen dieser Art „inakzeptabel“ seien. Ungefähr so, wie es „inakzeptabel“ ist, wenn ein Hund auf den Teppich macht – nur dass in diesem Fall niemand den Hund wegschickt. Stattdessen streicht man ihm noch übers Fell, weil man auf die nächste Gaslieferung hofft.

Man muss sich das einmal vorstellen: Ein ausländischer Geheimdienst schüchtert europäische Bürger in Massen ein – und die Antwort ist: nichts. Keine Sanktionen. Keine Einreisesperren für Funktionäre. Kein juristisches Vorgehen gegen die Hintermänner. Stattdessen betritt man das Feld der symbolischen Politik und bestellt zum 47. Mal den iranischen Botschafter ein, der sich das wie immer höflich anhört, innerlich gähnt und danach wahrscheinlich sofort den nächsten Telegram-Kanal aktualisiert.

Die Drohung als Normalzustand

Wir leben in Zeiten, in denen der Terror längst nicht mehr mit Bomben kommt, sondern mit Briefumschlägen. Der Schrecken wird nicht mehr in Nacht-und-Nebel-Aktionen ausgeführt, sondern mit der Logik des Callcenters: „Guten Tag, hier ist der IRGC – möchten Sie bedroht werden?“ Und während der postmoderne Europäer noch überlegt, ob das Satire ist oder Ernst, hat der Gottesstaat längst die nächste Excel-Liste vorbereitet.

Die Frage ist also nicht mehr, ob Europa auf der internationalen Bühne eine Rolle spielt. Die Frage ist, ob Europa überhaupt noch Zuschauer ist – oder längst Teil der Kulisse. Der iranische Staat exportiert Drohungen, und der europäische Staat importiert sie klaglos, weil Widerstand unbequem wäre. Das ist der Deal. Das ist der Preis der sogenannten „Zurückhaltung“.

Fazit: Ein Kontinent am Scheideweg – und niemand biegt ab

Man darf sicher sein: Es wird noch viele Konferenzen geben wie „EU und Iran am Scheideweg“. Wahrscheinlich gibt es sie bald im Monatsrhythmus. Und man wird dort viele schöne Worte sagen, die sich gut anhören und nichts bedeuten. Aber am Ende bleibt es beim alten Muster: Der Gottesstaat droht, der Rechtsstaat duckt sich. Und während Shiva Mahboubi noch fragt, wie das alles akzeptabel sein kann, poliert Europa seine rhetorischen Phrasen – bis sie so glatt sind, dass man darauf ausrutschen kann.

Die Drohbriefe sind längst angekommen. Die Frage ist nur: Wann kommt endlich die Antwort?

Das Licht am Ende des Kabels

Von der elektrifizierten Zukunft und der Realität des Verlängerungskabels

Es war einmal ein kleines, wohlhabendes Land mit Windmühlen im Herzen und Solarpaneelen auf den Dächern, das den wohlmeinenden Entschluss fasste, die Welt zu retten – zuerst die eigene, dann vielleicht die der Nachbarn. Die Niederlande, selbsternanntes Paradebeispiel für Klimaschutz und Fortschritt, haben sich in einen leuchtenden Solarstaat verwandelt, in dem selbst der letzte Hinterhof-Kaninchenstall über Photovoltaik verfügt, während der Hase sich fragt, ob er seine Möhre noch roh verzehren darf oder besser kurz über der induktiven Herdplatte gart, bevor das Netz wieder „voll“ ist.

Denn siehe da: Der Strom ist zwar da – nur kommt er nicht mehr durch. Oder nicht überall gleichzeitig. Willkommen in der Ära des Elektro-Stau-Managements, einer Neuinterpretation des technischen Fortschritts: Statt Kohlekraftwerken jetzt Wartelisten für Steckdosen. Man kann es nicht anders nennen: Holland hat sich erfolgreich ins elektrische Nirwana katapultiert, bloß hat niemand daran gedacht, vorher die Verlängerungsschnur zu kaufen.

Von der Gasnadel zur Öko-Überlastung – Ein Volk lernt Entwöhnung

Jahrzehntelang genoss das Land der Tulpen den Luxus, auf seinem eigenen Methan-Kissen zu ruhen, das unter Groningen vergraben lag wie der Schatz des modernen Wohlstands. Doch dann beschloss man, das Gas abzudrehen – ein lobenswerter, geradezu heiliggesprochener Akt ökologischer Buße. Leider war der Beichtstuhl noch nicht fertig verkabelt. Der nationale Netzbetreiber Tennet und seine Kollegen standen also plötzlich da wie ein Elektriker, der am Krankenbett verkündet: „Der Strom kommt… irgendwann. Vielleicht 2034.“

Die Niederlande, so lernen wir, haben die Elektrifizierung mit der Begeisterung eines Vierjährigen angegangen, der das erste Mal mit Bauklötzen spielt: Alles soll größer, bunter, digitaler sein – aber das Fundament ist ein bisschen schief geraten. Man produziert nun brav Solarstrom in rauen Mengen – 2,6 Millionen Haushalte mit Dachmodulen! – nur um festzustellen, dass der selbst erzeugte Strom den Ausgang aus der Steckdose gar nicht mehr findet. Eine Nation erstickt am eigenen ökologischen Ehrgeiz, während auf den Umspannwerken „Überlastet – Bitte später wiederkommen“ blinkt.

Die neue Bescheidenheit: Blackout mit Rabatt

Doch keine Sorge, man hat Lösungen. Und sie sind, wie es sich für ein Land mit Sinn für Pragmatismus gehört, kundenfreundlich verpackt: Wer bereit ist, seinen Stromverbrauch in die Zeit zwischen Frühstück und Mittagsschlaf zu verlegen, darf das zu einem freundlichen Discount tun. Ladestationen für E-Autos? Gerne – aber bitte nicht zwischen 16 und 21 Uhr, da ist das Netz im Koma. Industrielle Großverbraucher erhalten künftig Sonderkonditionen, wenn sie sich verpflichten, zur besten Stoßzeit einfach mal abzuschalten. Das ist kein Witz, sondern Tarifmodell.

Derweil läuft im Fernsehen eine Werbekampagne für „bewussteren Umgang mit Energie“. Im Subtext steht: „Bitte nicht alle gleichzeitig den Toaster benutzen.“ Das ist Klimaschutz mit volkspädagogischer Note, halb Erziehung, halb Kapitulation. Die Technik ist da, das Netz nicht. Aber immerhin die Moral stimmt.

Die Zukunft der Wirtschaft: Batterie oder Bankrott

In Eindhoven, der Region Brainport, sitzt Europas technologische Avantgarde – ein Ort, der lieber Chips herstellt als Kartoffeln schält. Doch auch ASML, Thermo Fisher und Co. müssen jetzt lernen, dass der technische Fortschritt manchmal schneller ist als die Sicherungskasten-Modernisierung. Über 11.900 Unternehmen warten auf einen Netzanschluss, Krankenhäuser inklusive. Innovation braucht Strom, aber den gibt’s nur noch auf Zuteilung. Willkommen in der Planwirtschaft 2.0 – diesmal nicht mit Brotmarken, sondern mit Stromkontingenten.

Die Wirtschaft reagiert pragmatisch: Wer es sich leisten kann, kauft sich ein paar Batterien und baut ein Solarfeld auf dem Parkplatz. Das klingt nach Resilienz, ist aber nichts anderes als der Versuch, die selbst verursachte Netz-Notlage privatwirtschaftlich zu umgehen. Eine elegante Form der Parallelgesellschaft: Während der Mittelstand in Warteschlangen steht, speist der Großkonzern seinen Serverpark aus der eigenen Kellerbatterie.

Der Preis der Dekarbonisierung: 200 Milliarden und ein nervöser Bürgermeister

Die niederländische Regierung schätzt, dass der Ausbau des Stromnetzes bis 2040 rund 200 Milliarden Euro kosten wird. Ein Teil dieser Summe soll durch den Verkauf der deutschen Tennet-Tochter an Investoren aufgebracht werden – was ungefähr so klingt, als würde man den Gartenzaun verkaufen, um den Dachstuhl zu sanieren. Der Rest? Kommt über die Tarife. Also über Sie. Der niederländische Bürger zahlt dann eben, und zwar jedes Jahr mehr – 4,3 bis 4,7 Prozent real, bis mindestens 2034. Wahrscheinlich länger.

Die Bürgermeister sind in heller Aufregung. Jeroen Dijsselbloem aus Eindhoven rechnet bereits durch, wie viele Unternehmen noch abspringen werden, bevor das nächste Umspannwerk fertig ist. Es fehlen 28.000 Techniker, um die Kabel zu verlegen – das ist nicht nur eine Zahl, das ist ein Menetekel. Wer heute Elektriker wird, hat garantierte Vollbeschäftigung bis zur Rente. Wer heute Unternehmer wird, sollte über einen Dieselgenerator nachdenken.

Europa schaut zu – und lernt nichts

Die Niederlande sind, so mahnt man in Brüssel, ein Frühwarnsystem für den Rest der EU. Aber wer hört schon auf Frühwarnsysteme? Wir kennen das aus der Klimapolitik: Erst, wenn der Deich bricht, wird über Sandsäcke gesprochen. Der Kontinent taumelt also weiter in die Elektrifizierungs-Offensive, während die Kupferkabel glühen. Man will das Klima retten – und übersieht dabei, dass auch die banalsten Infrastrukturen irgendwann an ihre Grenzen stoßen.

Vielleicht ist das ja die große Ironie der Energiewende: Am Ende scheitert sie nicht an der Technik, nicht an den Kosten, nicht an der Politik – sondern an der simplen Tatsache, dass kein Mensch rechtzeitig ein Verlängerungskabel bestellt hat.

Fazit? Kein Fazit. Nur ein Stromausfall in Zeitlupe.

Was will uns der Economist damit sagen?

Vom Schlaraffenland der Kriegsökonomie: Die Mär vom Krieg ohne Schweiß, ohne Ruß, ohne Werkbank

Der „Economist“, jenes immer leicht britisch-herablassend grinsende Wochenblatt der Globalisierungseliten, hat wieder einmal in die Zukunft geblickt – und dabei aus Versehen in den Rückspiegel geschaut. Es verkündet, mit jener blendend arroganten Sicherheit, die man sich nur leisten kann, wenn man beim Mittagessen gleichzeitig über Staatsanleihen und Gin-Cocktails parlieren darf, dass der Westen den Krieg neu erfunden hat. Genauer: den Krieg ohne Fabriken, ohne Arbeiter, ohne das ölige Gestöhne von Zahnrädern.

Die Ukraine liefert den Anlass, der Economist liefert die Deutung: Man kann heute Kriege führen, ohne sich mit dem lästigen Ballast einer produzierenden Wirtschaft herumzuschlagen. Der „Komplexe post-industrielle Krieg“ lautet das neue Paradigma. Waffen kommen künftig aus PowerPoint-Präsentationen, Rüstungsproduktion ist ein Software-Update, Drohnen werden bei Amazon bestellt (Prime-Shipping selbstverständlich inklusive). Und falls es doch einmal an Raketen mangelt? Dann ruft man Lockheed Martin an – oder besser noch: man ruft an und lässt den Anrufbeantworter sprechen, während man mit Raytheon schon den nächsten Zoom-Call plant.

So klingt es jedenfalls, wenn ein Londoner Finanzjournalist mit Oxford-Diplom über Artillerieproduktion philosophiert. Das Schöne an dieser Sichtweise: Sie befreit uns von der lästigen Realität der Materialschlachten. Wer noch an Stahlwerke denkt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Der neue Krieg ist clean, digital und vor allem: ausgelagert. Es braucht keine Arbeiterklasse mehr, um ihn zu gewinnen – nur noch Berater, Cloud-Dienste und ETFs mit Rüstungsaktien.

Der Krieg als Cloud-Service: Militärischer Sieg im Abo-Modell

Natürlich, der Artikel drückt es etwas geschmeidiger aus. Der „Economist“ wäre ja nicht der „Economist“, wenn er nicht den neoliberalen Duktus in Reinform beherrschen würde. Da liest sich das dann so: Der Westen muss nicht mehr wie im Zweiten Weltkrieg Fabriken im Akkord umstellen, Frauen an die Fließbänder beordern, Aluminium rationieren oder Nachtschichten in der Munitionsfabrik schieben. Heute erledigen das Märkte und modulare Lieferketten. Wer braucht schon industrielle Kapazitäten, wenn man ein globales Sourcing-Netzwerk hat?

Panzerketten aus Südkorea, Halbleiter aus Taiwan, Zielsuchsysteme aus Kalifornien, Schrauben aus Mexiko, Software-Updates aus Israel – fertig ist das post-industrielle Waffensystem. Der Krieg als Cloud-Service.

Man stelle sich das Szenario vor: Während im Donbass Granatsplitter regnen, läuft im Pentagon das nächste Procurement-Meeting. Man klickt sich durch ein paar Slides, entscheidet zwischen Option A (etwas teurer, aber schneller lieferbar) und Option B (etwas günstiger, aber leider mit 6 Wochen Lieferzeit, da gerade der Containerhafen in Schanghai blockiert ist). Krieg als Betriebswirtschaft. Supply Chain Management mit Todesfolge.

Der Scharfsinn dieses Gedankens liegt natürlich darin, dass er niemandem wehtut – zumindest nicht den westlichen Lesern des „Economist“. Der post-industrielle Krieg hat keine verschwitzten Arbeiter mehr, keine Munitionsfabriken, keine Schlote. Er hat nur noch Algorithmen, Grafiken und Wertschöpfungsketten. Krieg als betriebswirtschaftliche Optimierungsaufgabe.

Die entfesselte Simulation: Warum der „Economist“ immer noch an die unsichtbare Hand glaubt – auch wenn sie inzwischen eine Drohne steuert

Das ist, mit Verlaub, eine ebenso absurde wie konsequente Fortschreibung der neoliberalen Religion. Der Markt wird es schon richten – selbst den Krieg. Rüstung als globalisierter Just-in-Time-Prozess, munitioniert von Start-ups, die gerade noch an der Blockchain gebastelt haben, jetzt aber Drohnenplattformen für den Verteidigungsmarkt bauen. Die Supply Chain der Gewalt ist angeblich so stabil, dass es keiner „Kriegswirtschaft“ im klassischen Sinne mehr bedarf.

Man könnte lachen, wenn es nicht so tragisch wäre. Denn was der „Economist“ hier skizziert, ist nicht nur ein techno-optimistisches Märchen – es ist eine Einladung zur Verantwortungslosigkeit.

Die Ukraine verbraucht Artilleriegranaten im Tempo der industriellen Hölle, der Westen liefert sie im Tempo der PowerPoint-Konferenz. Warum? Weil eben doch keine moderne Kriegsführung ohne industrielle Basis funktioniert. Die Lager sind leer, die Produktionslinien veraltet, die Arbeitskräfte fehlen. Aber der „Economist“ macht daraus eine Tugend: Wir haben die Rüstungsindustrie verschlankt! Wir müssen nicht mehr selbst bauen, wir können delegieren, auslagern, verschieben – auf morgen, auf übermorgen, auf irgendwen.

Zwischen Silicon Valley und Stahlwerk: Die bittere Pointe der digitalen Kriegsführung

Was der „Economist“ wirklich sagt, wenn er schreibt, dass der Westen aufrüsten kann, ohne sich zu re-industrialisieren? Er sagt: Wir wollen das mit dem Krieg schon machen – aber bitte ohne schmutzige Hände. Kein Stahl, kein Schweiß, keine Werkbank. Nur noch KI, Plattformen, Netzwerkzentrierung. Der Krieg der Zukunft soll so sauber aussehen wie ein Apple Store.

Doch die Realität ist bekanntermaßen störrisch. Sie besteht aus Lieferengpässen, aus Mangel an Facharbeitern, aus rostenden Fertigungshallen, die sich nicht mit Excel-Tabellen ersetzen lassen. Die Waffenproduktion ist keine PowerPoint-Präsentation. Sie ist Industrie – ob es dem „Economist“ gefällt oder nicht.

Die zynische Pointe: Während der Westen noch darüber sinniert, wie man den Krieg möglichst effizient ins Digitale outsourcen kann, re-industrialisiert sich der Osten längst wieder. Russland stampft Munitionsfabriken aus dem Boden, China baut Werften im Akkord, und der Westen? Der optimiert weiter seine Slides.

Fazit: Post-industrieller Krieg ist wie Diät-Schokolade – klingt gut, funktioniert nicht

Der „Economist“ hat mal wieder gezeigt, was er am besten kann: Das Unangenehme wegmoderieren. In der eigenen post-industriellen Komfortzone wird der Krieg zum Software-Problem umgedeutet. Bloß keine schmutzigen Hände, bloß keine soziale Frage. Krieg als Dienstleistung, Sieg als PowerPoint-Möglichkeit.

Die Frage bleibt: Was will uns der „Economist“ damit sagen?

Antwort: „Keine Sorge, ihr müsst nichts ändern.“

Und das, man ahnt es, ist genau das Problem.

Ein abendländisches Requiem

Vom Untergang der eigenen Wertschätzung – Oswald Spengler, der Selbsthass und der moralische Narzissmus der Schuld

Es gibt Bücher, die man nur noch mit Samthandschuhen aus dem Regal nimmt, weil sie Staubschichten aus Jahrhunderten angesetzt haben – metaphorisch wie real. Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes ist so eines. Es wird oft genannt, selten gelesen und fast nie verstanden. Die Kulturpessimisten lieben ihn, weil er ihnen eine Weltuntergangs-Prognose schenkt, die sich wie ein warmer Mantel anfühlt: „Seht her, ich habe es immer schon gewusst.“ Die Linksliberalen wiederum zitieren ihn gelegentlich als abschreckendes Beispiel, ohne es nötig zu finden, auch nur den Klappentext zu überfliegen. Und die restliche Gesellschaft? Sie hat Wichtigeres zu tun: Selfies, Gender-Debatten, Nachhaltigkeits-Workshops mit Alpro-Sojamilch-Cappuccino.

Spengler sah den Abendstern des Westens schon leuchten, als Europa noch in Pickelhauben steckte. Sein Befund war klar: Hochkulturen haben biologische Lebenszyklen. Sie werden geboren, sie blühen, sie degenerieren, sie verfaulen – und dann kommt die nächste. Das Leben einer Zivilisation ist wie ein überzüchteter Dackel: erst süß, dann neurotisch, dann tot. Daran ist nichts besonders originell, das wusste schon Polybios. Doch Spengler gab dem ganzen eine barocke Wucht, ein Pathos, das heute kaum noch erträglich scheint, weil unsere Gegenwart alles liebt – außer Pathos.

Und genau darin liegt der Kern unserer Misere: Wir haben nicht nur den Glauben an unsere eigene kulturelle Tragfähigkeit verloren, wir haben uns angewöhnt, daran auch noch Wohlgefallen zu finden. Der Westen, das ist heute nicht mehr das römische Recht, nicht mehr die gotische Kathedrale, nicht mehr Goethe, Kant oder Beethoven – der Westen, das sind TED-Talks über Diversity, unironische LinkedIn-Posts mit Hashtag #Purpose, die Selbstbezichtigung in endlosen Büßerritualen und das Abfeiern der eigenen Dekadenz als Fortschritt.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Westen nicht stirbt, sondern Selbstmord begeht – aus einer Mischung aus schlechtem Gewissen, Hypermoral und intellektuellem Masochismus.

Die Lust an der eigenen Verdammung

„Wir sind schuld.“ Das ist der Kernsatz unserer Zeit. Schuld am Kolonialismus, Schuld an den Weltkriegen, Schuld am Kapitalismus, Schuld an CO₂, Schuld an der Geschichte an sich. Die Selbstanklage ist der neue Katechismus der spätabendländischen Wohlstandsgesellschaft. Wer etwas auf sich hält, geißelt die eigene Herkunft, das eigene Geschlecht, die eigene Zivilisation. Man entschuldigt sich für das Abendland, als hätte man es persönlich in die Knechtschaft geführt.

Es ist ein seltsamer Kult: Ein säkularisiertes Christentum ohne Gott, aber mit umso mehr Sünde. Der Bußfertige schleppt heute keine Geißel mehr durch die Straßen von Perugia, sondern postet auf Instagram über Privilegien-Check und postkoloniale Theorie. Er verzichtet nicht auf Fleisch wegen des Leibes, sondern wegen der CO₂-Bilanz. Er fastet nicht für das Seelenheil, sondern für die Fridays-for-Future-Ästhetik. Es ist ein neuer Ablasshandel entstanden, diesmal mit Bio-Siegel.

Spengler hätte das nicht überrascht. Er sah den Zivilisationsmenschen als saturierten Dekadenzbürger, der sich für seinen eigenen Erfolg schämt, weil er keine metaphysische Legitimation mehr findet. Der moderne Mensch glaubt nicht mehr an Gott, aber umso inbrünstiger an den Klimawandel. Er lacht über den Ablasshandel des Mittelalters, während er im selben Atemzug CO₂-Kompensationen bucht, als würde ihn das von allen Reisen ins All-Inclusive-Hotel moralisch freisprechen.

Der Selbsthass wird zum Distinktionsmerkmal der gebildeten Schicht. Wer heute noch stolz auf seine Kultur ist, steht unter Faschismusverdacht – es sei denn, es handelt sich um eine fremde Kultur, die darf selbstverständlich bewundert, gehuldigt und folkloristisch gefeiert werden. Nur die eigene nicht. Denn wer die eigene Geschichte anerkennt, muss sich auch mit deren Schatten beschäftigen. Und weil man dazu weder Mut noch Maß hat, geht man lieber gleich ganz in den Keller und zieht sich den Sack über den Kopf.

Der Schuldkult als Klassenzeichen

Man muss es klar sagen: Der neue Schuldkult ist nicht Ausdruck von Verantwortung, sondern von Dekadenz. Wer sich die ewige Selbstanklage leisten kann, gehört zu den Gewinnern des Systems. Es ist ein luxuriöses Hobby der saturierten Mittelschicht, sich für die Weltlage zu schämen. Der Selbsthass ist der Champagner der Besserverdiener. Wer in der Plattenbausiedlung aufwächst, hat andere Sorgen, als sich im Feuilleton über postkoloniale Gerechtigkeit zu ereifern.

Oswald Spengler schrieb von der „Zivilisation“ als Spätform der Kultur: steril, technokratisch, bürokratisch, sittlich erschöpft, geistig orientierungslos. Der heutige Westen ist diese Zivilisation in Reinform. Aber statt nüchtern den Verfall zu registrieren, verwandeln wir ihn in eine Religion der Reue. Die Moralindustrie hat Konjunktur. Jeder tweetet sich rein in die große Kollektivbeichte, alle halten sich für schuldig, und wer sich nicht an diesem Selbstgeißelungsritual beteiligt, wird gecancelt.

Der neue Puritanismus ist nicht prüde, sondern hypermoralisch. Früher fragte man: „Ist es wahr?“ Heute lautet die Frage: „Ist es moralisch anschlussfähig?“ Wer widerspricht, ist rechts, rückständig oder – noch schlimmer – nicht empathisch. Dabei übersieht man geflissentlich, dass der moralische Narzissmus selbst eine Form der Selbstvergöttlichung ist: Ich bin so sensibel, dass ich mich selbst hasse – was für ein Held!

Zwischen Hybris und Hysterie

Vielleicht liegt das alles in der Logik der Geschichte. Spengler sagte: Am Ende jeder Kultur steht der Zynismus der überreifen Intelligenz. Und genau das erleben wir. Der Westen ist nicht mehr schöpferisch, sondern reflexiv. Er produziert keine Kathedralen mehr, sondern Diskurse. Kein Epos, sondern Ironie. Kein Fortschritt, sondern Dekonstruktion. Wir reden uns zu Tode, während die Welt weiterzieht.

Der Aufstieg der anderen Kulturen – Asien, Afrika, der globale Süden – ist nicht unbedingt ein Zeichen ihres Triumphs, sondern unseres Rückzugs. Wir haben aufgehört, zu wollen. Wir wollen nur noch verstanden werden. Wir sind die ersten Menschen der Geschichte, die glauben, durch Selbstkritik das Rad der Geschichte anhalten zu können. Das ist entweder genial oder wahnsinnig – vermutlich beides.

Spengler war kein Demokrat, kein Liberaler, kein Menschenfreund. Er war ein melancholischer Prophet des Verfalls. Seine Diagnose war hart, aber vielleicht realistischer, als wir es heute wahrhaben wollen. Der Westen stirbt nicht, weil ihn andere besiegen, sondern weil er selbst beschlossen hat, sich aufzulösen – aus einer Mischung aus moralischer Überdehnung, kultureller Erschöpfung und einer fast schon liebevollen Hingabe an den eigenen Niedergang.

Das bittere Fazit mit einem Augenzwinkern

Was also tun? Nichts. Der Gang der Geschichte ist nicht aufzuhalten, das wusste schon Spengler. Wer aber heute noch den Humor hat, sich das alles anzuschauen – die Hypermoral, den Schuldkult, den Selbsthass und das ironisch gebrochene Pathos der westlichen Gesellschaft –, der kann immerhin aufrecht den Niedergang beobachten. Vielleicht mit einem Glas Wein in der Hand, während draußen die Klimakatastrophe tobt, die postkoloniale Theorie zitiert wird und der nächste Twitter-Shitstorm gegen irgendwen entfacht wird, der es gewagt hat, Kant zu lesen, ohne sich dafür zu entschuldigen.

Vielleicht ist das der wahre Widerstand heute: nicht mitmachen beim kollektiven Selbstzerstörungsprogramm – und trotzdem freundlich bleiben. Denn wer zynisch lächelt, lebt länger.

NEIN, MÜSSEN WIR NICHT

Denn diese Gefahr gibt es nicht!

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit der westliche Alarmismus seine grellen Sirenen aufdreht, obwohl längst niemand mehr am Schalter steht. Da läuft der Lautsprecher von allein weiter – wie ein ausgeleierter Leierkasten am Rande eines Jahrmarkts, den es längst nicht mehr gibt. Russland kommt! Russland greift an! Russland bedroht uns alle! Das ist der neue Soundtrack für Talkshows, Hinterbänkler-Reden und Leitartikel voller transatlantischer Treuegelöbnisse. Dabei hat Russland seit Jahr und Tag – mit Ausnahme seiner unnachahmlich brummigen Rhetorik – keinerlei Anstalten gemacht, auch nur den kleinen Finger in Richtung Europa zu rühren.

Doch wehe, wer das laut sagt. Dann folgt sofort das Tribunal der Hypermoralisten, das die Kategorie „gesunder Menschenverstand“ längst aus seinem Vokabular gestrichen hat. Und überhaupt: Wo kämen wir denn hin, wenn wir den Drohkulissenabbau einmal mit der Realität abgleichen würden? Das geht natürlich nicht. Sonst müsste man ja zugeben, dass der Milliardenaufwand für Waffen und Wehrpflicht-Reanimationsversuche eine Art Selbstbetrug ist – frech finanziert aus den Taschen der Bürger, die jeden Tag an der Supermarktkasse einsehen dürfen, wofür sie die Rechnung zahlen. Spoiler: Nicht für Sicherheit. Sondern für das große Spiel der Machtprojektion.

Ein Phantom namens Putin unter dem Bett der NATO

Der Russe kommt? Nein, der Russe kommt nicht.

Das ist aber schlecht für diejenigen, deren Geschäftsmodell genau davon lebt, dass er es täte. Rüstungslobbyisten, transatlantische Thinktank-Vasallen, sowie jene Minister, die auf dem Gebiet militärischer Planspiele brillieren, weil sie sich sonst nirgends durch Kompetenz auszeichnen. Sie brauchen den Feind wie der Fisch das Wasser. Ohne den Feind gibt es keine Rechtfertigung für die eigenen Aufrüstungsfantasien, keine Rechtfertigung für Milliardenbudgets, keine Rechtfertigung für die Wiederkehr der Wehrpflicht unter dem bunten Tarnanstrich von „Zeitenwende“.

Der Ukrainekrieg ist schlimm, gewiss. Aber wer sich die Mühe macht, mal jenseits der Tagesschau-Narrative nachzulesen, der erkennt: Dieser Krieg begann nicht 2022, sondern 2014. Und es ist eben kein schwarz-weißes Märchen von Gut gegen Böse. Es ist ein klassischer Stellvertreterkrieg, von langer Hand vorbereitet – nicht nur in Moskau, sondern eben auch in Washington, Brüssel und Kiew.

Dass Russland sich nach dem Westen hin ausweiten will, gar die NATO angreifen möchte, ist eine Chimäre. Keine einzige russische Quelle, keine offizielle Verlautbarung, kein Indiz weist darauf hin. Das Gegenteil ist der Fall: Selbst in der russischen Propaganda wird der Westen nicht als militärisches Angriffsziel beschrieben, sondern als dekadenter Gegner, der sich selbst zerlegt.

Doch was passiert, wenn man das sagt? Dann wird man in Deutschland mit der größten Waffe bekämpft, die der politische Diskurs zu bieten hat: der Moralkeule mit NATO-Emblem. „Putinversteher!“ brüllen sie dann.

Danke für das Kompliment. Verstehen ist nämlich besser als Kriegstreiberei.

Wie man Milliarden verbrennt, ohne den Herd anzuschalten

Was ist der Unterschied zwischen einem echten Krieg und einem präventiven Rüstungswahn für einen Krieg, den es gar nicht gibt?

Antwort: Der echte Krieg ist teurer – aber wenigstens hat er einen Gegner.

In Deutschland allerdings geben wir gerade Hunderte Milliarden aus für einen Phantomkrieg. Für Panzer, die nicht fahren, für Flugzeuge, die nicht fliegen, und für Munition, die so teuer ist, dass man sie besser auf einem Sparbuch liegen lässt, als sie zu verschießen.

Das ist kein Verteidigungsfall, das ist eine Mischung aus Diebstahl am Steuerzahler und Schilda-Politik im militärischen Karnevalskostüm.

Die Wehrpflicht soll zurückkommen? Ja gerne, aber gegen wen genau sollen die Jahrgänge 2005 bis 2007 denn kämpfen? Gegen russische Panzer auf der Autobahn A2? Gegen Fallschirmspringer, die über Castrop-Rauxel abspringen? Lächerlich.

Russland steckt militärisch bis zum Hals im ukrainischen Morast, ökonomisch unter westlichen Sanktionen, und geopolitisch auf einem Drahtseil zwischen China, Indien und dem Rest der Welt. Russland ist mit sich selbst beschäftigt.

Aber wenn man den Leuten das sagt, dann heißt es: „Na, warten Sie mal ab!“

Genau. Warten wir mal ab. Seit 30 Jahren warten wir auf den russischen Angriff. Er kommt nicht.

Bündnisfall? Aber gegen wen denn, bitteschön?

Kommen wir zu einer der größten Doppelmoral-Farcen unserer Zeit: dem sogenannten Bündnisfall.

Man könnte meinen, nach der Sprengung von Nord Stream 2 müsste Deutschland einen solchen ausrufen. Denn da wurde die wirtschaftliche Lebensader der deutschen Industrie in die Luft gejagt. Und es spricht vieles dafür, dass Kiew mehr wusste, als es zugibt.

Doch was macht die deutsche Politik? Sie schweigt. Sie schaut betreten auf den Boden wie ein Schüler, der beim Abschreiben erwischt wurde. Ein NATO-Bündnisfall gegen die Ukraine? Undenkbar!

Stattdessen liefern wir weiter Waffen, zahlen die Rechnungen und leisten „Beistand“, den wir niemandem schulden.

Denn, Achtung: Deutschland hat keinerlei rechtliche oder moralische Verpflichtung, sich in der Ukraine einzumischen. Wir sind nicht die Weltpolizei, wir sind auch nicht die Zuchtmeister des Ostens.

Und wenn wir uns ehrlich machen würden, müssten wir sagen:

Unsere Aufgabe ist es, die deutschen Interessen zu vertreten. Nicht die der Ukraine. Nicht die der USA. Und schon gar nicht die der Rüstungsindustrie.

Russland wird Europa nicht angreifen. Punkt.

Putin wird nicht in Berlin einmarschieren. Nicht in Warschau. Nicht in Paris. Er wird nicht die NATO angreifen, weil er weiß, was dann passiert: Das wäre der Untergang seines Landes. Und nein, er ist nicht verrückt. Er ist ein zynischer Machtpolitiker, aber kein Selbstmordattentäter im Kreml-Bunker.

Der Westen hat sich eine Bedrohung herbeigeredet, weil es praktisch ist. Weil es den Lobbyisten nutzt. Weil es den Medien Einschaltquoten bringt. Und weil es den Politikern hilft, die eigenen Versäumnisse zu kaschieren.

Teure Sozialpolitik? Nicht finanzierbar!

Aber Panzerlieferungen? Kein Problem!

Marode Schulen? Kein Geld!

Aber Rüstung? Open Bar!

Das ist die eigentliche Zeitenwende: vom Sozialstaat zur Kriegswirtschaft – ohne Krieg.

Die Gefahr ist ein Geschäftsmodell, nicht die Realität

Also hören wir doch endlich auf mit diesem albernen Theater.

Putin ist kein Heiliger, aber auch kein Hitler. Russland ist ein schwieriger Nachbar, aber kein imperialer Aggressor, der Europa erobern will.

Wer das Gegenteil behauptet, verdient entweder Geld mit der Lüge – oder glaubt an Gespenster.

Und beides ist gleichermaßen gefährlich.

Denn das Spiel mit der Angst führt uns nicht in die Sicherheit, sondern in den Abgrund der Vernunft.

Der sanfte Putsch im Samtgewand der Fürsorge

Ein Handbuch für den fortgeschrittenen Frosch im langsam erhitzten Topf

Autoritäre Systeme, so lehrt uns die Geschichte, marschieren selten mit schweren Stiefeln durch das Hauptportal. Viel eleganter schleichen sie sich durch die Hintertür, getarnt als Retter, Beschützer, Experten. Der moderne Despot hat keinen Schnurrbart mehr, sondern ein fehlerfreies LinkedIn-Profil, ein empathisches Lächeln und ein Abonnement für Nachhaltigkeitsmagazine. Er verspricht nicht Blut und Boden, sondern Sicherheit und Verantwortung. Doch die Muster gleichen sich – wer genauer hinschaut, erkennt die immergleichen Zeichen. Und wer fünf oder mehr davon in seiner Umgebung entdeckt, sollte vielleicht einmal kräftig an seiner Freiheit riechen – sie könnte bereits muffig geworden sein.

1. Die Justiz als Gummiband der Macht

Der erste Griff in den Werkzeugkasten der sanften Tyrannei gilt der Justiz. Natürlich bleibt der Anstrich hübsch demokratisch – niemand wird offen verkünden: „Heute schalte ich das Rechtssystem ab.“ Das wäre unhöflich und würde schlecht auf Instagram aussehen. Stattdessen verpasst man den Gerichten einen dezenten Filter: ein bisschen Einfluss hier, eine strategisch platzierte Personalentscheidung dort, vielleicht noch ein rechtspolitischer Workshop zur „neuen Haltung“. So wird das Recht nicht mehr nach Buchstaben, sondern nach Gesinnung ausgelegt. Richter, die zu streng am Gesetz kleben, sind „zu formalistisch“. Die anderen sind „zukunftsgewandt“. Und irgendwann entscheidet man dann nicht mehr, was richtig ist, sondern wer.

2. Meinungsfreiheit – mit Maulkorb und Stoppuhr

Natürlich darf man noch alles sagen. Das betonen alle Beteiligten täglich, in Talkshows, Podcasts und auf Regierungskanälen mit Reichweiten, von denen Kim Jong-un nur träumen kann. Man darf alles sagen – man muss es nur aushalten können. Denn jede unerwünschte Meinung wird sofort mit einer Einordnung versehen: „problematisch“, „umstritten“, „gefährlich“. Das freie Wort lebt noch, aber es steht unter Kuratel. Es darf sich kurz aus dem Käfig strecken, bevor es zurückgescheucht wird. Früher hieß das Zensur, heute heißt es „Schutz vor Desinformation“. Und wer dagegen protestiert, ist natürlich sofort Teil des Problems. Willkommen im Zeitalter der präventiven Selbstzensur – man weiß ja nie, ob der nächste Satz schon die Karriere kostet.

3. Der Faktencheck als Wächter der einzig gültigen Wahrheit

Früher haben Fakten gesprochen. Heute werden sie „gecheckt“. Das klingt harmlos, fast fürsorglich. Wer könnte schon gegen eine Welt ohne Fehler sein? Doch siehe da: Der moderne Faktenchecker ist kein neutraler Buchhalter der Wirklichkeit, sondern der Zeremonienmeister des offiziellen Narrativs. Er bewertet nicht nur Zahlen, sondern gleich auch die Moral dahinter. Was nicht in den Korridor der akzeptierten Weltdeutung passt, wird mit dem Stempel „falsch“ versehen – selbst wenn es morgen vielleicht schon wahr ist. Das nennt man dann Vorsorge.

4. Kritiker? Nein, das sind „Delegitimierer“!

Ein gesunder Diskurs lebt vom Widerspruch. Ein autoritärer Diskurs lebt von der Auslöschung des Widerspruchs. Aber auch hier geht es sanft zu: Niemand wird heute mehr auf den Marktplatz gezerrt. Stattdessen verwandelt man Kritiker in Pariahs, indem man ihnen Etiketten anklebt. Wer eine Regierung kritisiert, „delegitimiert den Staat“. Wer hinterfragt, „untergräbt das Vertrauen“. Und wer es wagt, öffentlich Zweifel zu äußern, steht mit einem Bein bereits beim Verfassungsschutz im Fokus. Früher war das die Inquisition, heute ist es Demokratiehygiene.

5. Die Medien als Beifahrer der Macht

Die Vierte Gewalt ist tot, es lebe der Pressesprecher. Die Medienlandschaft, einst zersplittert in kontroverse Stimmen, hat sich zur choreografierten Einheitsfront gewandelt. Selbstverständlich unabhängig, betonen die Redaktionen. Natürlich frei, versichern die Moderatoren. Doch der Gleichklang der Kommentare ist unüberhörbar, die Auswahl der Themen frappierend homogen. Wer aus der Reihe tanzt, wird nicht mehr verboten – er wird einfach ignoriert, diffamiert oder demonetarisiert. Das spart den Zensor, man outsourct die Arbeit an den Werbekunden.

6. Diskursverengung – das Buffet schrumpft

Früher durfte man noch über alles reden. Heute darf man über alles reden, sofern es nichts Relevantes ist. Gendersternchen? Ja bitte! Die Zukunft der Mettwurst? Unbedingt! Aber wehe, jemand stellt die Frage, ob es klug ist, sämtliche Grundrechte in einen Dauerlockdown zu schicken oder Sicherheitsgesetze als Dauerzustand zu etablieren. Dann ist Schluss mit lustig. Der Diskurs wird nicht offiziell verboten – er wird so schmal gemacht, dass er nur noch in Turnschuhen durchpasst.

7. Wer anders denkt, steht draußen

Die moderne Form der Ausgrenzung ist subtil. Man lädt die Abweichler nicht mehr zum Gespräch ein, sondern zum Schweigen. Man erinnert sie daran, dass gewisse Meinungen „toxisch“ sind. Wer sie dennoch äußert, bekommt keinen Platz mehr auf den Bühnen der Gesellschaft – weder medial noch akademisch noch kulturell. So wird der Konsens nicht durch Argumente geschaffen, sondern durch Selektion.

8. Melden macht frei – die Renaissance des Denunzianten

Der autoritäre Staat liebt den kleinen Denunzianten von nebenan. Früher hieß das Blockwart, heute heißt es „Meldestelle gegen Hass“. Ein großartiges Konzept: Wer unliebsame Meinungen hört, kann sie direkt beim Amt petzen – anonym, versteht sich. Das schafft Vertrauen! Und sorgt für das schöne Gefühl, zur Volksgesundheit beizutragen. Wer würde da noch Nachbarn treffen, wenn er auch Behörden treffen kann?

9. Konformität als Tugend

Früher war Mut gefragt, heute ist Anpassung die neue Tapferkeit. Wer stromlinienförmig durchs Leben gleitet, wird gelobt. Wer mit den Wölfen heult, wird befördert. Der Konformitätsdruck wird nicht von oben diktiert – er sickert durch die Zwischenräume der Gesellschaft. Von den Redaktionen bis zur Kantine, von der Hochschule bis zum Yoga-Kurs: Wer abweicht, verliert. Wer mitmacht, gewinnt. Zumindest bis zum nächsten Meinungsumschwung.

10. Einschüchterung mit samtweichem Schlagstock

Man könnte meinen, in einem demokratischen Rechtsstaat sei Einschüchterung unmöglich. Aber man muss nur genau hinschauen: Wer den falschen Tweet liked, wird vom Arbeitgeber zum Gespräch gebeten. Wer ein Buch schreibt, das nicht ins Raster passt, verliert seine Lesung. Wer sich öffentlich zu unpassenden Themen äußert, bekommt Drohbriefe – nicht von der Regierung, aber von den moralischen Stellvertretern, die längst die Lufthoheit über den Anstand übernommen haben.

11. Die freundliche Überwachung

Big Brother trägt heute ein T-Shirt mit Regenbogenaufdruck. Er möchte ja nur helfen. Und deshalb weiß er auch, wo du warst, was du gekauft hast, was du gesagt hast und wem du gefolgt bist. Die Kameras am Bahnhof sind für deine Sicherheit. Die Chat-Überwachung ist für den Kampf gegen das Böse. Und die Vorratsdatenspeicherung? Nur eine kleine Rückversicherung für den Ernstfall. Vertrau doch einfach.

Fazit:

Wenn Sie den Eindruck haben, fünf oder mehr dieser Punkte mit einem beherzten „Ja“ beantworten zu können – dann haben wir ein echtes Problem.

Aber keine Sorge, es gibt eine gute Nachricht:
Noch dürfen Sie darüber lachen. Noch.

Die Vision vom Öl-Exorzismus

Stellen wir uns einen Moment vor – nicht zu lang, sonst wird uns schwindelig –, die Menschheit beschließt, das Erdöl vollständig aus ihrem Leben zu verbannen. Radikal. Restlos. Total. Kein Tropfen mehr für den Tank, kein Gramm mehr für die Fabrik. Keine Schlupflöcher, keine Ausnahmen, keine Alibimaßnahmen, bei denen am Ende doch wieder ein Tanker aus Katar in Rotterdam entladen wird, während in Talkshows über grüne Transformation palavert wird.

Nein, ein echter, kompromissloser Ausstieg. Erdöl? Weg. Für immer. Der Stoff, der seit über einem Jahrhundert wie ein dunkler Zaubertrank unsere Zivilisation schmiert, befeuert, verpackt, konserviert, kosmetisiert, bequemer macht – abgestellt. Einfach so. Abgedreht wie ein Ölhahn an der Tankstelle, dessen Benzinzapfpistole ein letztes Mal klackend in den Halter zurückschnappt. Und während wir so tugendtrunken applaudieren, stellt sich die Frage: Was nun?

Denn der Verzicht auf Erdöl ist nicht der Verzicht auf „nur mal schnell das Auto stehen lassen“. Es ist nicht der Rückzug ins Homeoffice mit einem veganen Latte im Emaillebecher. Es ist die freiwillige Rückkehr in eine Welt, in der selbst der Becher nicht mehr existiert. Weder aus Kunststoff noch beschichtet mit irgendeinem Lack, der auf Polymeren basiert. Der Latte läuft dann direkt durch die porösen Tonwände hindurch auf den frisch gebohnerten Lehmboden. Bio, aber eben nass.

Die Rückkehr des Homo Natura oder: Barfuß im Brennnesselfeld

Ohne Erdöl stehen wir nackt da. Und das ist wörtlich gemeint, nicht metaphorisch. Polyester, Nylon, Acryl? Adieu. Der Jogger in seiner atmungsaktiven Funktionskleidung muss sich wieder in den selbstgestrickten Schafwollpulli zwängen, der beim ersten Regenschauer nach Hamm und Stall riecht. Wer auf veganes Leder schwört, wird bitter feststellen, dass auch Kunstleder nun mal aus Polyvinylchlorid besteht – das wiederum aus Erdöl stammt. Der Verzicht auf Öl bedeutet also entweder echtes Leder oder gar kein Leder. Tierquälerei oder Nacktheit. Dazwischen? Nichts als das schroffe Jenseits der Konsequenz.

Die Zahnseide? Plastikfaden, weg. Der Duschvorhang? Polyethylen, weg. Die Dichtung am Wasserhahn? Synthetischer Kautschuk, weg. Das Kondom? Latex mit Additiven auf Erdölbasis, weg. Herzlich willkommen im post-petrochemischen Zeitalter, wo selbst der Liebesakt wieder Risiken birgt, die man seit den 1950ern für erledigt hielt.

Wir leben dann in einer Welt, in der Zahnpasta nicht mehr in der Tube daherkommt, sondern wieder in der Büchse oder auf dem Löffel. Von Mikroplastik keine Spur – aber auch von Emulgatoren, Tensiden und filmbildenden Weichmachern nicht. Unsere Haare werden stumpf sein wie die Borsten eines alten Besens, die Haut spannt, und der Lippenstift? Den gibt es nicht mehr. Auch nicht den veganen. Der war nämlich auch aus Paraffin.

Die große Desinfektion der Hybris oder: Wie wir lernten, den Krankenhauskeim zu lieben

Die Medizin? Sterile Einwegprodukte sind Geschichte. Keine Plastikspritzen mehr, keine Schläuche, keine Infusionsbeutel, keine OP-Masken (außer aus Baumwolle, von der Oma gehäkelt). Prothesen? Unpraktisch ohne Kunststoffe. Herzkatheter? Unmöglich. Auch das Dialysegerät ist dann nur noch ein dekorativer Kupferkessel.

Die Pharmaindustrie muss sich von ihren öligen Trägerstoffen verabschieden. Pillen ohne Beschichtung, Salben ohne Basis, Kapseln ohne Gelatinehülle. Der Arzt wird wieder zum Bader, der Apotheker zum Alchemisten, der mit Mörser und Pestle am Hof der Moderne zerriebene Kräuter verkauft. „Hier, ein bisschen Beinwell gegen den Bandscheibenvorfall. Und bitte aufpassen, es könnte zu inneren Blutungen kommen.“ Die Sterilisation? Wird wieder mit offenem Feuer erledigt. Praktisch, weil dann sowieso alles brennt.

Der Bauernhof als Hightechzentrum der Zukunft oder: Der Mist ist der neue Dünger

Auch die Landwirtschaft muss zurück auf Los. Ohne Kunstdünger, ohne Pestizide, ohne erdölbasierte Herbizide. Der Ertrag schrumpft, der Hunger wächst. Bio für alle klingt charmant, ist aber in Wirklichkeit ein Codewort für: „Esst, was der Boden hergibt – und wenn er nichts hergibt, esst nichts.“ Die Kartoffelernte bleibt mager, weil der Kartoffelkäfer in Ermangelung chemischer Schädlingsbekämpfungsmittel ein goldenes Zeitalter erlebt. Der gute alte Mist ist wieder der Dünger der Stunde. Nur dumm, dass auch der ausstirbt, wenn wir die industrielle Tierhaltung verbieten, was ja im selben Atemzug miterledigt werden soll.

Die Bauindustrie? Ein Fanal der Renaissance-Ästhetik. Dämmstoffe, Farben, Lacke? Alles bislang auf Erdölbasis. Die Neubauten werden daher eher wie mittelalterliche Burgen aussehen: massiv, kalt, feucht und schwer zu heizen. Immerhin: Klimaneutralität ist garantiert, weil niemand mehr wohnen will.

Das Ende der Elektronik oder: Der letzte Blick ins Display

Und dann noch die Hightech. Die Smartphones, Laptops, Solarpanels, Elektroautos. Alles voller Kunststoffe, Spezialharze, Isoliermaterialien, Gehäusekomponenten, Lithium-Ionen-Akkus mit Polymer-Elektrolyten. Die Digitalität basiert auf dem Ölzeitalter wie der Buchdruck auf dem Bleisatz. Der Versuch, ein „grünes“ Smartphone zu bauen, endet spätestens beim ersten Kurzschluss, weil ohne petrochemische Isolierungen der Strom den Weg des geringsten Widerstands nimmt – quer durch den Anwender.

Ohne Erdöl wird auch der Fortschritt dekarbonisiert – nicht im Sinne von CO2-frei, sondern im Sinne von: vorbei.

Die Moral der Geschichte oder: Apokalypse ist auch nur eine Form von Konsequenz

Man könnte fast meinen, wir hätten uns in den letzten Jahrzehnten in eine süßlich schimmernde Plastikkugel eingesponnen, wie die Made in der PET-Flasche. Nun steht der Vorschlag im Raum, diese Kugel zu verlassen – der Totalentzug von Erdöl als Therapieansatz für eine fossil-abhängige Zivilisation. Der kalte Entzug, ganz ohne Methadonprogramm. Und das alles für das höhere Ziel der Klimarettung. Das Problem ist nur: Wir haben uns so umfassend auf das schwarze Gold eingelassen, dass wir gar nicht mehr wissen, wie Leben ohne es geht.

Klar, wir könnten es lernen. Alles ist lernbar, selbst der Verzicht auf Komfort. Doch die Frage bleibt, ob wir das auch wollen. Und ob wir es aushalten.

Denn eines steht fest: Der völlige Ausstieg aus dem Erdöl ist nicht nur das Ende der Plastikgabel und des SUV – es ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Und womöglich der Beginn einer neuen. Vielleicht besseren. Vielleicht ärmeren. Vielleicht nackt, frierend und mit Bienenwachs auf den Lippen statt Labello.

Oder – wie es der Mensch so gerne tut – wir suchen wieder nach einem Kompromiss. Ein bisschen Ausstieg, ein bisschen Erdöl, ein bisschen Apokalypse light.

Denn der Mensch liebt es nun mal, den Untergang zu vertagen. Bis morgen. Oder übermorgen. Vielleicht auch bis nach der nächsten Tankfüllung.

Wenn der Patient Deutschland lacht – und keiner den Notarzt ruft

Über ein klimapolitisches Selbstexperiment zwischen Hybris, Realitätsverlust und der Kunst, sich selbst auf die Schulter zu klopfen, während man fällt.

Es gibt Momente, da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Und dann gibt es Momente, da lacht die ganze Welt – nur Deutschland hält sich die Ohren zu. Der neueste Bericht des Weltenergierats fällt in die zweite Kategorie. Über 100 Experten aus fast 50 Ländern wurden gefragt, wie sie die deutsche Energiewende so finden. Die Antwort ist so bitter wie ein doppelter Espresso, schwarz wie ein Kohlekraftwerk und so deutlich, dass man meinen könnte, es handele sich um Satire. Leider handelt es sich um Realität. Und damit um etwas, das in Deutschland zunehmend als zumutungsfrei ignorierbar gilt.

Ein Scheinriese beim Klimayoga

Man kennt das Bild aus alten Kinderbüchern: Der Scheinriese, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Deutschland hat es geschafft, dieses Bild auf die internationale Energiepolitik zu übertragen. Aus der Ferne betrachtet, hält man uns noch für den klimafreundlichen Musterschüler mit den schmutzigen Fingernägeln der Vergangenheit. Kommt man näher, erkennt man: Da übt gerade jemand den Spagat zwischen Abschalten und Durchhalten – auf einem Bein, mit verbundenen Augen und unter Ausschluss der physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre.

Die Zahlen der Umfrage sind so eindeutig, dass sie in jedem normalen Land einen Untersuchungsausschuss auslösen würden. In Deutschland lösen sie bestenfalls einen warmen Kamillentee aus. 74 Prozent der befragten Experten glauben nicht daran, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erreicht. 79 Prozent bezweifeln die Klimaneutralität bis 2045. Und nur 43 Prozent halten die angestrebten 80 Prozent Ökostrom für realistisch. Das ist in etwa so, als würde der Weltärztebund dem deutschen Gesundheitsminister mitteilen, dass sein Operationsplan eher an russisches Roulette erinnert – und der Minister daraufhin die OP-Termine verdoppelt.

Der Atomausstieg: Moral als Exportschlager – den keiner kauft

Besonders grotesk wird es beim Thema Atomkraft. In Deutschland feiert man den Atomausstieg wie einen moralischen Endsieg. Im Rest der Welt schüttelt man den Kopf – oder fällt gleich vom Stuhl. Null Prozent der EU-Experten finden den deutschen Weg nachahmenswert. Null. Das ist kein Tippfehler, sondern eine Zahl, die klingt wie eine Ohrfeige mit der flachen Hand der Realität. Selbst außerhalb Europas teilen nur fünf Prozent diese Haltung – und das vermutlich aus Höflichkeit.

Man kann sich das bildlich vorstellen: Während Robert Habeck in Berlin den letzten Reaktor abschaltet und dazu Goethe zitiert, telefonieren die Energieexperten von Paris bis Prag mit dem AKW-Betreiber ihres Vertrauens, um sicherzustellen, dass das eigene Licht morgen noch brennt. Deutschland aber sonnt sich im Glanz seiner eigenen Tugend – auch wenn es draußen dunkel wird.

Die Wetter-App als Energieministerium

Das große Missverständnis liegt freilich nicht nur in der Technologie, sondern im Weltbild. Deutschland hält sich für den Vorreiter der grünen Transformation, den Pionier auf dem klimaneutralen Highway. Der Rest der Welt hingegen sieht einen schwergewichtigen Industriekoloss, der sich freiwillig ans Bein fesselt, was sonst nur ein Zen-Mönch in der Sinnkrise täte. Unsere Nachbarn schauen zu, wie Deutschland seine Energieversorgung der Wetter-App überlässt – und das dann „Flexibilisierung“ nennt.

Der schwedische Experte spricht von einem „unrealistischen Live-Experiment“. Die Türkei nennt es „erfolglos“. Und in Frankreich vermutet man, dass der deutsche Energieplan auf der Rückseite eines Bio-Brots geschrieben wurde – mit dem Filzstift der Selbstgerechtigkeit. Es wäre ja alles halb so schlimm, wenn es ein nationaler Sonderweg bliebe. Aber die Nebenwirkungen der deutschen Energiewende betreffen eben nicht nur uns. Europa hängt am deutschen Stromnetz wie der Patient am Tropf – und staunt, dass Deutschland den Beutel jetzt eigenmächtig mit Kamillentee befüllt.

Der klimapolitische Solotanz: Wenn keiner mitmacht, liegt es bestimmt an den anderen

Deutschland sieht sich gern als Anführer einer Bewegung, der leider noch niemand beigetreten ist. Das hat Tradition. Der deutsche Drang zur Weltverbesserung – früher militärisch, heute ökologisch – trifft regelmäßig auf das Missverständnis, dass der Rest der Welt das ähnlich euphorisch sieht. Tut er nicht. Frankreich und Slowenien sprechen es offen aus: Deutschland denkt zu wenig europäisch. Der Rest denkt sich den Teil und baut derweil Kernkraftwerke.

Dass in Deutschland selbst der Wasserstoff nicht zündet, dass die CO₂-Bepreisung im internationalen Vergleich wirkt wie ein veganer Steakabend in Texas, dass die Industrie fluchtartig das Weite sucht – all das wird hierzulande mit einem Lächeln quittiert. Notfalls erklärt man der Welt, dass sie einfach noch nicht so weit ist. Oder man vermutet, wie einst das DDR-Fernsehen, den Neid der anderen. Denn wenn der Sozialismus am Ende war, hieß es auch: Der Klassenfeind hat sabotiert. Heute ist es der Markt.

Das Pfeifen im energiepolitischen Dunkel

Was also passiert jetzt? Richtig: Nichts. Kein ARD-Brennpunkt, kein Bundestagsantrag, keine nächtliche Krisensitzung im Kanzleramt. Der Bericht des Weltenergierats wird weggelächelt wie ein unangenehmer Zahnarzttermin. Vielleicht, weil er nicht ins Narrativ passt. Vielleicht, weil sich niemand die Blöße geben will, einzugestehen, dass man sich verrannt hat. Oder weil der deutsche Politikbetrieb inzwischen so sehr in seiner eigenen Filterblase schwebt, dass selbst internationale Ohrfeigen wie Wellnesskuren wirken.

Dabei wäre es höchste Zeit, aufzuwachen. Und nicht nur mit den Lippenbekenntnissen der politischen Sonntagsreden, sondern mit einer Bilanz, die sich nicht in Windrädern pro Quadratkilometer oder Heizungsumfragen erschöpft. Eine Bilanz, die fragt: Wer zahlt das alles? Wer verliert? Und was, wenn am Ende herauskommt, dass wir die Einzigen sind, die den grünen Weg ins Nirwana gewählt haben – während der Rest der Welt längst andere Pfade beschreitet?

Ein letztes Lachen – bevor das Licht ausgeht?

Die internationale Kritik ist kein Geplänkel am Rande. Sie ist das rote Warnlicht am Armaturenbrett der Energiewende. Und sie zeigt, was wir längst wissen müssten: Wenn man mitten auf der Autobahn den Motor ausbaut, sollte man sich nicht wundern, wenn das Vorbild plötzlich zum Hindernis wird.

Vielleicht lacht die Welt tatsächlich über uns. Vielleicht zuckt sie auch nur mit den Schultern. Das wirklich Bittere ist: Wir selbst merken es nicht mehr. Wir stehen stolz auf dem Abgrund, klopfen uns gegenseitig auf die Schulter und sagen: Siehste, da geht noch was.

Es ist ein Experiment. Vielleicht ein letztes.

Und diesmal schaut die Welt nicht nur zu.

Der postkoloniale Wahnsinn einer Judith Butler

Präludium zum akademischen Exorzismus: Wenn Denken zur Gymnastik wird

Man stelle sich eine Welt vor – man muss gar nicht sehr viel Fantasie bemühen –, in der akademische Diskurse weniger dazu dienen, Wirklichkeit zu begreifen, als sie möglichst weit hinter einer Nebelwand aus Begriffen verschwinden zu lassen. In dieser Welt wird nicht argumentiert, sondern performt. Man debattiert nicht über Tatsachen, sondern über die „Tatsächlichkeit der Tatsache als Text“, in zehnfacher Fußnotenverschachtelung und mit endlosen Verweisen auf Kollegen, die wiederum auf Kollegen verweisen, die längst vergessen haben, worauf sie eigentlich ursprünglich verwiesen hatten. Das klingt wie eine Parodie, ist aber der Alltag ganzer Fakultäten. Und im Zentrum dieses intellektuellen Jahrmarkts steht, wie ein Orakel, das sich selbst als Echo missversteht, niemand Geringeres als Judith Butler.

Judith Butler – ihres Zeichens Hohepriesterin der postmodernen Scholastik, Prophetin der Dekonstruktion, tanzende Derwischin der Begriffszirkel. Wer einmal den Fehler begangen hat, sich ernsthaft in Butlers Werke zu vertiefen, der wird rasch feststellen: Es ist ein wenig wie das Studium von Bedienungsanleitungen für Geräte, die gar nicht existieren, geschrieben in einem Dialekt, den sich der Text selbst erst erschafft, während man ihn liest. Wer es bis zur letzten Seite schafft, verdient eigentlich einen akademischen Orden – oder wenigstens eine Überweisung in eine Rehaklinik für Denkermüdung.

Doch der Wahnsinn fängt hier erst an.

Postkolonialismus als Ablasshandel: Wie die westliche Linke sich selbst entkolonialisiert

Butler hat ein Geschäftsmodell perfektioniert, das an mittelalterliche Ablassbriefe erinnert: Wer ihre Thesen übernimmt, darf sich als entlastet betrachten. Von was? Von der kolonialen Schuld, der westlichen Überheblichkeit, der Dominanzkultur des weißen cis-männlichen Hegemons, von der Last des historischen Bewusstseins überhaupt. Der „postkoloniale Wahnsinn“ beginnt dort, wo sich Denken in Selbstgeißelung verwandelt und Empathie zur performativen Pose mutiert.

Der postkoloniale Diskurs – in Butlerscher Lesart – ist kein differenziertes Nachdenken über globale Machtverhältnisse. Er ist eine Art intellektuelles Flagellantentum: Man schlägt sich auf die Brust, während man die komplexen Konflikte dieser Welt durch das Prisma eines moralischen Schwarz-Weiß-Filters presst. Der Westen ist schuldig, der Osten ist Opfer. Punkt. Wer anderer Meinung ist, hat das Prinzip nicht verstanden und wird auf Twitter gecancelt oder in Fußnoten totgeschwiegen.

In diesem Weltbild ist kein Platz für Grautöne, keine Geduld für Widersprüche, keine Neugier auf den Kontext. Palästina? Unterdrückt. Israel? Kolonial. Ukraine? Randnotiz. Iran? Naja, das ist kompliziert, lassen wir das mal weg. Der Butlerismus folgt dabei der Logik eines binären Moralismus, den er doch vorgibt, zu dekonstruieren. Die Widersprüche sind gewollt – denn nur in der Verwirrung fühlt sich das postkoloniale Gewissen richtig zu Hause.

Semantische Jonglagen: Wenn Wörter nicht mehr bedeuten, was sie bedeuten

Butlers Sprache ist ein einziger rhetorischer Tanz ums goldene Kalb der Beliebigkeit. Hier wird nicht argumentiert, sondern orchestriert – mit Vokabeln, die sich gegenseitig referenzieren, bis sie in sich selbst zusammenfallen wie ein soufflierendes Kartenhaus.

Es ist kein Zufall, dass Butler Sätze schreibt, die wie die literarische Entsprechung eines Knoten in der Zunge wirken. Man lese nur exemplarisch aus Gender Trouble oder Frames of War:

„The ontology of precarity must be rearticulated through the performative enactment of vulnerability in the face of biopolitical necropolitics.“

Wer diesen Satz ohne Luft holen aufsagen kann, dem gebührt ein Preis – aber bitte keiner für Klarheit. Das ist Sprachakrobatik als Machtinstrument. Denn wer unverständlich schreibt, bleibt unangreifbar. Wer sich in Wolken von Jargon hüllt, muss keine Rechenschaft ablegen. Der Leser bleibt ratlos zurück, und das ist Absicht: Wer nichts versteht, kann auch nichts hinterfragen. Der intellektuelle Bluff wird durch ritualisierte Zustimmung verschleiert.

Die politische Schizophrenie der Butler-Jünger

Wer den postkolonialen Wahnsinn einer Judith Butler verstehen will, muss sich auch die Rituale ihrer Anhänger ansehen. Es ist eine Art säkularer Klerus, der sich mit Inbrunst der dekonstruktiven Liturgie hingibt. Das Schöne daran: Man kann sich jederzeit widersprechen, denn das ist ja gerade der Punkt. Wer auf Widersprüchlichkeit hinweist, hat den Diskurs nicht verstanden. Es zählt nicht die Konsistenz, sondern der Gestus.

Die postkoloniale Linke – durch Butlers Prisma betrachtet – hat es geschafft, sich selbst in eine politische Schizophrenie zu treiben: Einerseits feministisch, andererseits verständnisvoll gegenüber islamistischen Patriarchaten. Einerseits für queere Rechte, andererseits solidarisch mit Staaten, in denen Homosexualität mit dem Tod bestraft wird. Einerseits für Diversität, andererseits bereit, jeden Kritiker als „weiß“ und damit irrelevant abzutun, auch wenn es sich um eine säkulare Iranerin handelt, die dem Mullah-Regime entkommen ist.

Das ist kein Zufall, sondern systemimmanent. Der postkoloniale Wahnsinn lebt von der Selbstwidersprüchlichkeit – sie ist seine stärkste Waffe. Wer die Welt nicht mehr in Widersprüchen denken muss, sondern sich an der Widersprüchlichkeit selbst berauscht, braucht keine Antworten mehr. Fragen reichen. Oder besser noch: performative Fragen, in denen die Antwort bereits dekonstruiert ist, bevor sie überhaupt gestellt wurde.

Apokalypse als Seminararbeit: Warum das alles nicht lustig ist – und trotzdem zum Lachen reizt

Man könnte all das belächeln, wäre es nicht so folgenreich. Denn während Butler und ihre Jünger in den Elfenbeintürmen ihrer postkolonialen Dekonstruktionen tanzen, brennt draußen die Welt. Der reale Kolonialismus – der technologische, der wirtschaftliche, der politische – wird weiter betrieben, aber von ganz anderen Akteuren: von China, von Russland, von globalen Konzernen, die sich nicht im Geringsten um Gender-Performativität oder postkoloniale Semantik scheren.

Die Butler-Schule hingegen dekonstruiert die westliche Vernunft – und überlässt das geopolitische Feld jenen, die mit dieser Selbstkasteiung nichts am Hut haben. Während an amerikanischen Unis Pronomen-Diskurse geführt werden, investieren saudische Fonds Milliarden in Tech-Konzerne, Putin rüstet auf, und Xi Jinping freut sich über eine westliche Linke, die sich selbst blockiert.

Man darf also lachen über den postkolonialen Wahnsinn einer Judith Butler. Man muss es sogar, denn Lachen ist manchmal der letzte Ausweg aus der Ohnmacht. Aber das Lachen hat einen schalen Beigeschmack – es ist das Lachen des Clowns im brennenden Zirkuszelt.

Epilog: Oder wie man es in Butlerscher Diktion sagen würde

Das dekonstruktive Selbstgespräch des Subjekts in der Matrix des epistemischen Korridors kulminiert in der performativen Exposition der eigenen Unfähigkeit, zwischen Analyse und Aberglaube zu unterscheiden.

Oder, einfacher gesagt:
Judith Butler hat Recht. Aber nur darin, dass alles Konstruktion ist – auch ihr eigener Wahnsinn.

Willkommen in der postbiologischen Wirklichkeit

Die binäre Zumutung – Warum zwei Geschlechter heute „kolonialistisch“ sind

Es war einmal, in grauer Vorzeit, da galten Dinge wie Gravitation, Photosynthese oder das Vorhandensein zweier Geschlechter als unhinterfragbare Tatsachen. Man nannte diese Dinge damals „Realität“. Doch dann kam der Fortschritt. Der Fortschritt hat bekanntlich viele Gesichter: Er trägt mal Einhornhaarreifen, mal Genderstudies-Abschluss, und manchmal eine scharfe Social-Media-Tirade, die selbst den stärksten Widerspruch in den Boden stampft wie ein pubertierender Sisyphos mit Hantel-Abo.

Heute sind wir klüger. Wir wissen: Nichts ist real, alles ist Dekonstruktion. Der Mond ist kein Himmelskörper, sondern ein weißes, patriarchales Auge, das über uns wacht. Der Stuhl ist kein Stuhl, sondern ein soziales Konstrukt mit vier Beinen. Und „Frau“? Ach bitte! Wer an sowas glaubt, hat wohl den Kolonialismus nie überwunden.

So jedenfalls sehen es jene 200 NGOs, die sich nun empört in die Brust werfen wie hyperaktive Pfauen, weil eine gewisse Reem Alsalem, UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, das Ungeheuerliche gewagt hat: Sie hat angedeutet, dass Frauen biologische Wesen sein könnten – und nicht einfach eine spirituelle Laune des Selbstempfindens. Skandal! Ein Fall für den postmodernen Inquisitionsrat.

Das biologische Geschlecht – ein imperialistisches Dogma?

In der neuen Theologie des Selbstempfindens ist das Geschlecht nicht mehr an biologische Realitäten gebunden, sondern an den Akt der Deklaration. Wer sagt, er sei eine Frau, ist eine Frau. Punkt. Wer das anzweifelt, outet sich als Anachronist, als rückständiger Biologist – schlimmer noch: als heimlicher Kolonialist.

Denn das Beharren auf „zwei Geschlechtern“ wird heute nicht mehr als biomedizinischer Fakt betrachtet, sondern als Relikt aus der Zeit, als europäische Seefahrer den Globus mit Sextanten, Pocken und Geschlechtskategorien überzogen.

Das Gametenmodell, wonach es in der sexuellen Fortpflanzung Eizellen und Spermien gibt? Igitt! Biologistischer Reduktionismus. Richard Dawkins? Ein Fossil der Kolonialforschung, der sich noch traut, von „Anisogamie“ zu sprechen, als wäre das eine Eigenschaft der Natur und nicht ein Werkzeug westlicher Unterdrückung.

Die Abschaffung der Frau – ein inklusives Fortschrittsprojekt

Die Linguistik ist bekanntlich das Einfallstor der Weltveränderung. Wer die Wörter kontrolliert, kontrolliert die Wirklichkeit – oder schafft sie gleich ganz neu. Und so wird das Wort „Frau“ heute mit der Sorgfalt einer alten Tapete entfernt: Schicht für Schicht, bis nichts mehr übrig bleibt als „gebärende Person“, „Menstruierende“, „Vagina-Besitzer mit Vorderloch“.

Man könnte meinen, dies sei Satire, doch die Realität hat die Satire längst überholt. Der Mensch wird zur Lego-Figur seiner Identitätsbausteine. Auf das Feld „Geschlecht“ darf jede*r schreiben, was gerade in den Lebensabschnitt passt. Wer morgen Lust hat, in die „non-binäre“ Rolle zu schlüpfen, tut das. Wer übermorgen „Femme-Fluid-Demi-Gender-Queer“ sein möchte, muss das nur laut genug twittern.

Nur eine Gruppe darf das nicht: Frauen, die darauf bestehen, biologisch definiert zu sein. Denn das ist exkludierend. Wer nicht bereit ist, im Schutzraum für Vergewaltigungsopfer einen Mann mit Bart und Penis zu akzeptieren, der sich als Frau identifiziert, betreibt Exklusivität. Und Exklusivität, das weiß jeder, der drei Minuten Gender-Workshop durchgehalten hat, ist die neue Form von Gewalt.

Statistische Magie – wenn Frauen plötzlich Vergewaltiger werden

Die Abschaffung des biologischen Geschlechts hat viele Vorteile – für Männer jedenfalls. In Norwegen etwa schnellte die Zahl der „von Frauen begangenen Vergewaltigungen“ innerhalb von zwei Jahren von zwölf auf 44. Welch ein Triumph der Gleichstellung! Endlich sind auch Frauen mal Täter. Also jedenfalls Frauen, die bis vorgestern noch Männer waren.

Das nennt man in der Kriminalstatistik „Geschlechterparität durch Selbstdeklaration“. Auch in Kanada und Großbritannien freut man sich über diese neuen „weiblichen Straftäter“. Die Polizei fragt freundlich: „Wie fühlen Sie sich heute?“ Und wer „weiblich“ sagt, wird prompt als solcher Täter ins Register eingetragen. Gender ist halt fluide, Vergewaltigung auch.

Frauenräume – ein überholtes Konzept der Cis-Nostalgiker

Räume nur für Frauen? Frauenhäuser? Lesben-Treffen? Alles passé. Schließlich leben wir im Zeitalter der „erzwungenen Inklusion“. Wer heute ein Frauenhaus betreibt, wird schief angesehen, wenn er den Zugang auf Personen mit Uterus beschränkt. Schließlich kann auch ein Mann menstruieren – sagt Twitter. Und wenn ein Mann sich als lesbische Frau identifiziert, ist das zu akzeptieren, sonst hagelt es Hashtags.

Die Folge: Frauenhäuser schließen, weil Fördergelder gestrichen werden. Lesben-Gruppen werden verklagt, weil sie nicht mit Männern schlafen wollen, die sich als Frauen identifizieren. In Australien hat ein Gericht der Lesbian Action Group verboten, sich ausschließlich mit biologischen Frauen zu treffen. Wohlgemerkt: Ein Hotel darf explizit schwule Männer bevorzugen – aber Frauen, die unter sich bleiben wollen, sind jetzt gesetzlich suspekt.

Die Kinder – das nächste Schlachtfeld

Der Geschlechterkrieg macht vor Kindern nicht halt. Mädchen, die in der Pubertät ihre eigene Sexualität entdecken und sich unwohl fühlen, werden heute nicht mehr von weisen Frauen begleitet, sondern von Chirurgen und Endokrinologen. Statt „Du bist vielleicht lesbisch“ heißt es: „Du bist trans.“ Und schwupps ist der Weg in die operative Selbstoptimierung geebnet.

70 Prozent der Mädchen, die sich mit Geschlechtsdysphorie an die größte Gender-Klinik Großbritanniens wenden, sind lesbisch. Ein Großteil von ihnen wird später „detransitionieren“, also versuchen, den Schaden wieder rückgängig zu machen – wenn es dann noch geht. Die Brüste sind weg, die Eierstöcke auch, aber wenigstens stimmt die „Genderidentität“ wieder.

Das nennt man Fortschritt. Früher hat man schwule und lesbische Jugendliche in Konversionstherapien gesteckt, heute schickt man sie unters Messer. Der Westen nennt das Emanzipation.

Die cancelbare Frau – wenn Meinungsfreiheit zum Luxus wird

Wer all das anspricht, riskiert heute nicht nur seinen Ruf, sondern sein gesamtes Leben. Frauen, die öffentlich über biologische Realitäten sprechen, werden als „TERFs“ diffamiert – „Trans-Exclusionary Radical Feminists“, eine Art Ketzervokabel der Gegenwart. Das reicht vom Online-Mobbing bis zu realen Morddrohungen.

Einige Frauen verloren ihre Jobs, andere ihre Freundschaften, wieder andere ihren Mut. Manche verloren ihr Leben – an den Suizid. Denn wer die Kategorie „Frau“ verteidigt, wird behandelt, als habe er gerade ein Parteibuch der Taliban gefunden.

Fazit: Die Frau ist tot, es lebe die „Person mit Reproduktionshintergrund“

Reem Alsalem hat mit ihrem Bericht nichts anderes getan als das Offensichtliche zu sagen: Dass Schutzräume für Frauen notwendig sind, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, dass Sprache der Wirklichkeit verpflichtet sein sollte.

Dafür erntet sie den Vorwurf des Kolonialismus. Denn im neuen Weltbild ist Biologie nur noch ein Tool der Unterdrückung. Der Körper ist ein Kostüm. Die Realität ist ein Übergriff.

Man fragt sich fast: Warum hat Alsalem nicht gleich den Erdball abgeschafft? Auch der ist eine binäre Zumutung: Tag und Nacht, Nord- und Südhalbkugel, Ebbe und Flut. Alles Kolonialismus. Alles muss weg.

Nur eines bleibt bestehen: der moralische Hochmut der neuen Tugendwächter. Der ist bekanntlich nicht binär, sondern universal.