Friedenssicherung mit Einschränkungen: Österreich auf diplomatischem Eiertanz

Die Neutralität – ein Mantel für alle Wetterlagen

Es gibt Länder, die sind groß. Es gibt Länder, die sind mächtig. Und dann gibt es Österreich – ein Land, das sich gern großmächtig fühlt, solange niemand auf die Idee kommt, das wörtlich zu nehmen. Die Neutralität, jenes sakrosankte Staatsprinzip, ist das Schweizer Taschenmesser der österreichischen Außenpolitik: geeignet für alles und nichts zugleich, jederzeit vorzeigbar, jedoch möglichst ohne es wirklich zu benutzen.

Klaudia Tanner, ihres Zeichens Verteidigungsministerin und Hüterin des vermutlich am wenigsten ausgelasteten Heeres westlich der Donau, hat nun in bedächtig-wohlüberlegter Tonlage verkündet, dass eine Beteiligung Österreichs an einer Friedensmission in der Ukraine nicht ausgeschlossen sei. Vorausgesetzt, es gibt einen Waffenstillstand. Und vorausgesetzt, es ist keine Mission im Kriegsfall. Und vorausgesetzt, die Verfassung lässt es zu. Und vermutlich auch vorausgesetzt, dass die Temperaturen angenehm, die Verpflegung biologisch und die Uniformen farblich abgestimmt sind.

Das ist bemerkenswert. Nicht etwa, weil Österreich jetzt die Weltbühne betritt, sondern weil es mit bemerkenswerter Präzision nichts sagt, dabei aber so tut, als wäre das eine relevante politische Handlung. Österreich möchte helfen, ja, aber nur, wenn es ungefährlich ist. Nur, wenn niemand schießt. Und nur, wenn es nicht auffällt.

Das Kriegsvermeidungskompetenzzentrum Alpenland

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Friedensmission in einem der brutalsten Konflikte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg – aber nur, wenn kein Krieg mehr ist. Das ist, als würde die Feuerwehr beim Großbrand vor der Tür ankündigen: „Wir kommen, sobald es nicht mehr brennt.“ Eine Friedensmission im Kriegsfall sei ausgeschlossen, heißt es – was logisch klingt, aber bei genauerem Hinsehen eine absurde Bankrotterklärung ist. Denn wann, wenn nicht im Krieg, bräuchte es eine Friedensmission?

Doch Österreich versteht unter „Friedenssicherung“ offenbar ein humanitäres Panoramatraining mit Sicherheitsabstand. Der „Einsatz nach dem Einsatz“, eine Art moralisches Nachbeben, das auftritt, sobald alle anderen längst wieder abgezogen sind. Solange das Risiko null ist, die PR-Bilder hübsch und der Kaffee am Checkpoint trinkbar – dann kann man sich eine Beteiligung vielleicht überlegen.

Geopolitisches Mitläufertum mit Sicherheitsabstand

Es ist kein Zufall, dass die österreichische Außenpolitik seit Jahrzehnten mit bemerkenswerter Leidenschaft an ihrer eigenen Irrelevanz feilt. Wo andere Staaten Interessen haben, hat Österreich Befindlichkeiten. Wo andere Position beziehen, gibt man hierzulande bekannt, prinzipiell offen für Gespräche zu sein – in alle Richtungen natürlich, neutral eben.

Diese Neutralität, einst ein kluger Schachzug in der Blockkonfrontation, ist mittlerweile zur Ausrede für außenpolitische Abstinenz verkommen. Sie dient als Tarnkappe für das Nichtstun, als Tarnnetz für geistige Bewegungslosigkeit. Während andere Länder liefern – Waffen, Hilfsgüter, politische Impulse – liefert Österreich Primärmitteilungen ohne Wirkung und die vage Aussicht, vielleicht irgendwann mal „dabei zu sein“.

Die Ukraine kämpft derweil ums Überleben, unter enormem Blutzoll. Aber Österreich gibt zu bedenken, dass die Neutralität keinen „Kriegseinsatz“ erlaube – als hätte das jemand verlangt. Niemand hat verlangt, dass Österreich Leopard-Panzer nach Kiew rollt oder Tarnkappenbomber über die Ostukraine schickt. Doch die wiederholte Betonung des „Nicht-Dabeiseins“ ist selbst zur Pose geworden – als sei das Fernbleiben eine Form moralischer Überlegenheit.

Friedenspolitik auf rhetorischem Tretboot

Man kann das Ganze auch so lesen: Österreich möchte schon gern irgendwie relevant sein, sich aber auf keinen Fall dabei die Finger verbrennen. Eine Friedensmission? Ja, vielleicht, irgendwann, wenn es keine Risiken mehr gibt, und man vorher rechtzeitig sagen kann, dass man immer für Frieden war. Es ist die klassische Kunst der politischen Ambiguität: so formulieren, dass man später in jedem Fall sagen kann, man habe es ja gesagt – ganz egal, was tatsächlich geschieht.

Diese Form des „aktiven Abwartens“ ist bezeichnend für eine politische Klasse, die jede Aussage sofort mit zwei Fußnoten relativiert. Wer so spricht, will keine Verantwortung, sondern Rückversicherung. Tanner möchte offenbar helfen, aber nur, wenn sichergestellt ist, dass niemand merkt, dass Österreich mitgemacht hat – oder mitmachen wollte. Das ist Außenpolitik im Modus des Ghostings: Signale senden, aber nie zurückrufen.

Vom humanitären Reflex zur PR-Pose

Der Begriff „Friedensmission“ ist dabei ohnehin ein sprachliches Nebelgranatlein. Was genau bedeutet das? Sanitäter? Blauhelme? Beobachter? Feldpostbeamte mit Yoga-Ausbildung? Oder vielleicht doch nur eine kleine Delegation mit Pressematerial und symbolischem Zelt? Man weiß es nicht. Und genau das ist wohl auch der Punkt. Solange die Debatte über mögliche Eventualitäten schwebt, muss man keine Entscheidungen treffen. Politik als hypothetisches Schachspiel auf einem Brett, das gar nicht aufgebaut ist.

So wird aus einer potenziellen humanitären Aktion eine PR-Strategie. Eine PR-Strategie, die vor allem verhindern soll, dass jemand den Verdacht äußert, Österreich sei nicht empathisch genug. Man ist empathisch, selbstverständlich. Nur eben nicht so weit, dass man sich körperlich einbringen müsste. Moralische Präsenz ja – aber bitte kontaktlos.

Ein Land übt sich im Wegschauen

In Wahrheit ist die Frage, ob Österreich sich theoretisch an einer hypothetischen Friedensmission nach einem Waffenstillstand beteiligen könnte, eine politische Nullnummer. Der Satz sagt nichts, bedeutet nichts und kostet nichts. Und gerade deshalb ist er so beliebt.

Was bleibt, ist ein Staat, der sich aus allem heraushalten will, aber bitte mit Applaus. Ein Staat, der von Frieden spricht, solange er sich nicht bewegen muss. Der auf Neutralität pocht, aber nicht erklären kann, wofür sie eigentlich noch nützlich ist. Und der eine Ministerin hat, die jeden möglichen Einsatz mit so vielen Einschränkungen versieht, dass nur noch ein PR-Besuch mit Fototermin in Frage kommt.

Fazit: Wer zu spät kommt, darf immerhin noch zuschauen

Österreichs außenpolitische Linie in der Ukraine-Frage ist die diplomatische Variante des Wartens auf besseres Wetter. Nur dass der Sturm bereits tobt – und der Regenschirm längst weggeflogen ist. Die Welt bewegt sich, aber Österreich sitzt im Gartenstuhl der Geschichte, murmelt etwas von „Neutralität“ und rührt im lauwarmen Verlängerter.

Und vielleicht ist genau das das österreichische Erfolgsrezept: Durch Untätigkeit auffallen. Durch Abwesenheit Eindruck machen. Und durch maximale Zurückhaltung maximale Bedeutungslosigkeit kaschieren.

Friedensmission? Gern. Aber nur nach Voranmeldung. Und bitte ohne Risiko.

Der Sieg der Humanität durch Kollaboration mit der Barbarei

Die moralische Selbstermächtigung des Westens: Bomben für den Frieden

Es gehört zu den größten intellektuellen Kunststücken der Neuzeit, Krieg als Menschenrechtsinstrument zu deklarieren. Das 21. Jahrhundert hat die Bombe zur Träne gemacht, das Maschinengewehr zur Umarmung und die gezielte Destabilisierung souveräner Staaten zur edelsten Form der internationalen Fürsorge. Man nennt es „Intervention“, „Friedensmission“ oder gleich ganz unironisch „Schutzverantwortung“. Klingt schön. Klingt fast wie Mutter Theresa mit einem NATO-Mandat.

Syrien war die Bühne für das große westliche Erlösungsdrama. Der Plot: ein böser Diktator, edle Rebellen, ein sehnsüchtig wartendes Volk. Die Realität: ein imperialer Albtraum aus Heuchelei, Interessenpolitik und moralischer Schizophrenie. Bereits 2011, zu Beginn des sogenannten „Aufstands“, marschierten keine demokratieverliebten Freiheitskämpfer durch die Gassen Homs‘, sondern bewaffnete Islamisten mit Gott auf den Lippen und Kalaschnikows in den Händen. Es waren keine Student*innen mit Menschenrechtsplakaten, sondern bärtige Fanatiker mit Scharia-Fahnen, die das Rückgrat des bewaffneten Widerstands bildeten. Und doch klatschte der Westen Beifall, rief „Frühling!“, während das Land in den Winter stürzte.

Al-Qaida, unser Mann in Syrien

In einer dieser paradoxen Volten, zu der nur die westliche Außenpolitik fähig ist, wurde Al-Qaida in Syrien vom Staatsfeind zur diskreten Hoffnungsträgerin umdeklariert. Terrororganisationen, die zuvor weltweit als Inbegriff des Bösen galten, wurden plötzlich als „Opposition“ hofiert. Man nannte sie „moderate Rebellen“ – ein Euphemismus, der ungefähr so glaubwürdig ist wie ein veganer Schlachthof.

Geld floss. Waffen auch. Koordiniert, gefördert, moralisch flankiert von einer Medienmaschinerie, die mit infantilem Furor Assad zur Hölle und alles, was gegen ihn kämpfte, zum Himmel erklärte. Dass diese Rebellen Menschen köpften, Christenkreuze zerschlugen, Minderheiten vergewaltigten und ganze Dörfer auslöschten, fiel unter die Kategorie „Kollateralschaden auf dem Weg zur Freiheit“. Die humanitäre Rhetorik wurde zur semantischen Zwangsjacke, in der jede Form von Brutalität zum Befreiungsakt mutierte.

Der Sturz Assads: Vom Regimewechsel zur Staatszerstörung

Der Sturz Assads war nie das Ziel – er war der Auftakt. Es ging nie um Bashar al-Assad als Person, sondern um Syrien als strategisches Scharnier, als Transitland, als Gasleitung, als geopolitischer Vorposten. Was auf Assads Grabmal geschrieben steht, war längst vorher auf den Konferenztischen der Strippenzieher aus Washington, Brüssel, Tel Aviv, Ankara, Riad, Doha und Amman eingraviert: Divide et impera.

Seitdem ist Syrien ein Flickenteppich aus Einflusszonen, ein Labor für Stellvertreterkriege, ein Kraterfeld westlicher Ideale. Minderheiten – Alawiten, Christen, Drusen – wurden enteignet, gefoltert, vergewaltigt oder einfach ganz klassisch hingerichtet. Mütter starben mit Kindern im Arm, während ihre Häuser in Flammen aufgingen und westliche Intellektuelle auf Podien über die „Zukunft Syriens“ sinnierten – vorzugsweise ohne Syrer.

Der „Arabische Frühling“ wurde zur Staubwolke aus Blut, Trümmern und Interessen. Und die Demokratie? Sie wurde beigesetzt – mit militärischen Ehren, natürlich.

Jolani, Präsident ohne Wahl – Demokratie nach Art der NATO

Es ist eine Pointe von fast schon poetischer Unverfrorenheit: Der Terrorist Abu Mohammed al-Jolani, langjähriger Al-Qaida-Kader und Anführer der Nusra-Front (nun rebranded als HTS), wird heute von westlichen Medien als legitimer Vertreter des „neuen Syrien“ präsentiert. Ein Mann, der einst enthusiastisch Sprengstoffgürtel verteilte, tritt heute im Sakko auf, spricht über Governance und wird vom US-Sender PBS interviewt, als wäre er ein skandinavischer Reformpolitiker mit Migrationshintergrund.

Keine Wahl, kein Mandat, kein Parlament – aber volle Anerkennung. Ausgerechnet jene, die Syrien in einen kalifatischen Alptraum verwandeln wollten, erhalten heute die Lizenz zur Repräsentation. Demokratie ist plötzlich keine Voraussetzung mehr, sondern ein optionales Accessoire im Rucksack geopolitischer Zweckmäßigkeit. Jolani hat keine Legitimation, aber er hat die richtigen Feinde – das reicht.

Wien, 7-größte syrische Stadt: Importierte Konflikte, exportierte Naivität

Während in Syrien ethnische Säuberungen stattfinden und islamistische Ordnungssysteme errichtet werden, öffnen sich in Europa die Türen – aus Mitleid, Unwissen oder schlechtem Gewissen. Das Ergebnis: In Wien leben heute so viele Syrer, dass man scherzhaft (oder alarmistisch) sagen könnte, es sei die siebtgrößte syrische Stadt. Doch wer sind diese Menschen? Opfer? Ja. Aber nur? Nein.

Man hat die Konflikte importiert, mit samt ihrer sozialen Dynamik, ihrer ideologischen Verfasstheit, ihrer Schuld und ihren Tätern. Niemand weiß genau, wer da kam. Welche Rolle sie im Krieg spielten. Ob sie Flüchtlinge oder Fluchthelfer waren. Ob sie verfolgt oder Verfolger sind. Die Differenzierung blieb auf der Strecke – sie war dem politischen Diskurs zu mühsam, dem moralischen Selbstbild zu gefährlich.

So leben nun Täter unter Opfern, Fanatiker unter Traumatisierten, politische Zündschnüre unter Nachbarn. Es ist ein soziales Dynamit, das nur noch auf den Funken wartet – und wir, mit typisch westlicher Überheblichkeit, hoffen, dass es nicht bei uns zündet.

Moralische Insolvenz bei voller Rhetorikleistung

Man kann nicht permanent von Menschenrechten sprechen und gleichzeitig Gruppen aufrüsten, die diese mit Füßen treten. Man kann nicht Demokratie fordern und Terroristen als Gesprächspartner salonfähig machen. Man kann nicht Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig die Bomben werfen, die sie zu Flüchtlingen machten. Und doch – genau das ist geschehen. Immer wieder.

Syrien ist kein Unfall. Es ist kein tragischer Irrtum. Es ist das Ergebnis einer Politik, die ihre Prinzipien dem Zweck opfert, ihre Ideale nur noch als Dekoration versteht und ihre Moral als PR-Instrument missbraucht. Die zynische Pointe: Je mehr sie ruft, sie handle aus Menschlichkeit, desto brutaler und unmenschlicher werden die Folgen.


Fazit:

Syrien ist kein Einzelfall. Es ist ein Lehrstück. Ein Spiegel. Ein Mahnmal für das Ende jeglicher westlicher Selbstreflexion. Wenn wir wirklich glauben, dass Demokratie durch Al-Qaida exportiert, Frieden durch Bomben geschaffen und Ordnung durch Zerschlagung möglich ist – dann sind wir nicht mehr nur Heuchler. Dann sind wir Komplizen.

Und vielleicht, nur vielleicht, ist das die eigentliche Tragödie. Nicht der Krieg. Sondern der westliche Glaube, man führe ihn aus Liebe.

Der digitale Euro: Wenn die Freiheit auf einen Chip passt

Die Illusion des Fortschritts: Oder wie man uns in der Zukunft rückwärts enteignet

Es beginnt – wie immer – mit einem Versprechen. Fortschritt! Innovation! Effizienz! Das ist das Zuckerbrot der digitalen Welt, das täglich in Brüssel, Frankfurt und Berlin frisch gebacken wird. In Hochglanzbroschüren, politischen Sonntagsreden und auf den Webseiten der Europäischen Zentralbank liest sich der digitale Euro wie der logische nächste Schritt der Währungs-Evolution. Ein kleines Stück Software für den Menschen, ein großer Schritt für die Technokratie.

Und wie immer gilt: Je blumiger die Sprache, desto düsterer die Absicht. Denn hinter der Fassade von „modernem Bezahlen“, „digitaler Souveränität“ und „Europas Rolle im globalen Wettbewerb“ verbirgt sich nicht weniger als die finale Zerschlagung der Anonymität im Zahlungsverkehr. Das Bargeld – jener letzte, krächzende Hüter der persönlichen Freiheit – wird in den Feuertod geschickt. Und während es leise knistert, zieht man uns ein goldenes Halsband aus Code um den Nacken.

Lagarde unplugged: Wenn die Wahrheit versehentlich gesagt wird

Manchmal ist die Realität so grotesk, dass man sie für einen Sketch halten könnte – wäre sie nicht protokolliert und archiviert. Im März 2023 fiel EZB-Chefin Christine Lagarde auf einen Telefonstreich herein. Sie glaubte, mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu sprechen, doch am anderen Ende der Leitung lauerte das russische Prankster-Duo Vovan & Lexus – ein Schelmenstreich, der zur Offenbarung wurde.

Denn was sie in ihrer unbewachten Offenheit von sich gab, war ein seltener Moment der Wahrheit: Es werde „Kontrolle geben“. Für alles. Eventuell, so sagte sie zögerlich, könnte man für „sehr kleine Beträge“, also 300 bis 400 Euro (ein Begriff von „sehr klein“, den man wohl nur in den Hallen der EZB für realistisch hält), eine gewisse Freiheit zulassen – aber auch das sei „gefährlich“.

Gefährlich! Nicht etwa der totale Zugriff auf den Zahlungsverkehr. Nein, gefährlich ist der Gedanke, Bürgern einen Bereich zuzugestehen, in dem sie sich unbeobachtet bewegen dürfen. Das Maß an Orwell’scher Umkehrung ist so perfekt, dass man meinen könnte, die EZB würde ihre Pressemitteilungen von einem KI-generierten George Orwell im Praktikum formulieren lassen.

Die Mär von der Geldwäsche: Generalverdacht als Geschäftsmodell

Natürlich, wenn dann doch mal gefragt wird – meist von einem übermüdeten Oppositionspolitiker oder einem verwirrten Rentner in der Regionalzeitung –, bekommt man prompt die altbekannten Phrasen geliefert: Terrorbekämpfung! Geldwäsche! Schutz der Integrität des Finanzsystems! Man sieht förmlich, wie sich das Sprechblasen-Sekretariat im Keller der Kommission dabei selbst auf die Schulter klopft.

Doch machen wir uns nichts vor: Die Behauptung, man müsse 500 Millionen Bürger unter Generalverdacht stellen, weil irgendwo jemand eine Kalaschnikow mit Bargeld gekauft hat, ist intellektuell beleidigend. Wenn wir jedes System, das auch von Kriminellen genutzt wird, präventiv überwachen müssten, dann sollten wir vielleicht auch das Atmen unter Aufsicht stellen. Schließlich gibt es Terroristen, die Sauerstoff konsumieren.

Die Wahrheit ist: Der digitale Euro ist nicht die Antwort auf die Frage nach Sicherheit, sondern die Antwort auf einen unausgesprochenen Kontrollwunsch. Die Angst der Machteliten ist nicht die Geldwäsche – es ist die Tatsache, dass Menschen in einer Welt existieren, in der sie sich noch außerhalb des digitalen Panoptikums bewegen können. Das ist der eigentliche Dorn im Auge der Architekten dieser digitalen Reformation: der Gedanke, dass es Dinge gibt, die sich ihrem Zugriff entziehen.

Die technische Salami-Taktik: Programmierbares Geld für programmierte Menschen

Wer sich die technischen Richtlinien des digitalen Euro anschaut – ja, die gibt es, wenn auch tief versteckt unter der Sedimentschicht von PDF-Anlagen und regulatorischem Kauderwelsch – der findet dort das, was öffentlich nur leise gestammelt wird: Das Geld der Zukunft ist programmierbar. Man kann es begrenzen, einschränken, verfallen lassen, an Bedingungen knüpfen. Es ist kein Tauschmittel mehr, sondern ein Disziplinarinstrument.

Man stelle sich vor: Ein Euro, der nur innerhalb bestimmter Zeiträume gültig ist. Oder nur für bestimmte Waren eingesetzt werden darf. Oder nach gewisser Zeit verfällt, wenn man ihn nicht schnell genug ausgibt. Oder gar: Ein Euro, der sich im Wert verändert, je nachdem, ob man „klimafreundlich“ konsumiert oder nicht. Orwell? Nein. EU-FinTech-Strategie.

Damit mutiert Geld vom neutralen Werkzeug zum moralischen Steuerknüppel. Wer die falschen Produkte kauft, die falschen Regionen unterstützt oder am falschen Tag die falsche Entscheidung trifft, wird sanktioniert – algorithmisch, automatisch, alternativlos. Der Bürger als Spielfigur in einem digitalen Planspiel, in dem jede Transaktion ein Datenpunkt und jeder Datenpunkt ein potenzieller Vorwurf ist.

Die Trägheit des Volkes: Ein digitales Trojanisches Pferd rollt ungehindert ein

Doch so gravierend dieser Umbau ist – der eigentliche Skandal liegt in der Reaktion der Gesellschaft. Oder besser: in deren vollständigem Ausbleiben. Die meisten Bürger nehmen den Begriff „digitaler Euro“ zur Kenntnis, wie man einen neuen Joghurt im Kühlregal wahrnimmt: Ah, was Neues, mit Himbeer-Bitcoin-Geschmack. Der Gedanke, dass hier gerade die letzte Bastion wirtschaftlicher Eigenverantwortung abgeschafft wird, flackert nicht einmal auf.

Vielleicht liegt das an der jahrzehntelangen Sedierung durch Convenience. Der Mensch des 21. Jahrhunderts will es einfach, bequem, kontaktlos – mit NFC auf die Freiheit verzichten, mit einem Fingertipp in die Post-Privatsphäre stolpern. Die Freiheit stirbt nicht mit einem Knall, sondern mit einem Bezahlvorgang – Akustischer Signalton: Zahlung erfolgreich abgeschlossen.

Die Elite weiß das. Deshalb spricht sie nicht von Kontrolle, sondern von digitaler Souveränität. Das ist ungefähr so ehrlich, wie wenn man ein Gefängnis als architektonische Maßnahme zur Bewegungsoptimierung beschreibt.

Fazit: Es geht sie einen Scheißdreck an, wofür wir bezahlen

Man kann es nicht höflich sagen. Und man sollte es auch nicht: Es geht weder die EZB, noch den Staat, noch irgendeinen verdammten Servercluster in Luxemburg irgendetwas an, ob ich mir morgens eine Zeitung, mittags eine Pizza oder nachts ein Gummischwein bei eBay kaufe. Die Freiheit, anonym zu bezahlen, ist kein Luxus. Sie ist kein verhandelbares Feature. Sie ist ein verdammtes Grundrecht. Punkt.

Wer das nicht begreift, hat entweder das Konzept von Freiheit nie verstanden – oder bereits zu lange an der digitalen Fessel geschraubt.

Der Held in Tarnfarben und der Krieg im Inneren

Von der Front zur Farce – Wie Präsident Selenskyj seine Antikorruptionskrieger entwaffnet

Volodymyr Selenskyj, das einstige Weltwunder der liberalen Kriegsästhetik, der Fernsehkomiker, der zum Präsidenten wurde, um anschließend als Symbol der westlichen Wertegemeinschaft in Olivgrün durch die Talkshows der Welt zu tingeln, hat ein neues Schlachtfeld eröffnet: Nicht gegen Russland, nicht gegen die Oligarchen, nicht einmal gegen die grassierende Korruption – sondern gegen jene, die im Namen des Staates genau diese bekämpfen sollen.

Wenn also der ukrainische Geheimdienst SBU – jene loyale Hausmacht des Präsidenten – mit Rammbock und Durchsuchungsbefehl in die Büros des Nationalen Antikorruptionsbüros NABU einmarschiert, dann ist das keine Panne im Betriebsablauf der Rechtsstaatlichkeit. Es ist eine gezielte Operation. Eine Nachricht. Ein politisches Säbelrasseln mit Inneneffekt. Der Staatschef lässt durchsickern: In seinem Machtbereich wird nur so lange aufgeräumt, wie das Besenende nicht in seine Nähe kommt.

Denn NABU und SAP – ursprünglich mit westlichem Applaus und EU-Geldern als Wächter über die verrotteten Tempel ukrainischer Staatsführung gegründet – wagten es offenbar, einen Mann zu verfolgen, der Selenskyjs engerem Zirkel nicht gänzlich fernsteht: Ex-Vizepremier Tschernyschow. Und plötzlich ist Korruptionsbekämpfung kein hehres Ziel mehr, sondern ein Machtmissbrauch. Kein Fortschritt, sondern ein Sicherheitsrisiko. Willkommen in der Logik des autoritären Liberalismus, Ausgabe Kiew 2025.

Staatsfeind Verkehrssünder – Die neue Stufe der Lächerlichkeit

Die Begründungen für den martialischen Zugriff auf die Antikorruptionsbehörden sind dabei so hanebüchen, dass selbst Lukaschenko im Minenfeld des Sarkasmus ausrutschen würde. Neben angeblichem Geheimnisverrat an Russland (!) werden den NABU-Ermittlern auch – man halte sich fest – Verkehrsunfälle vorgeworfen. Wer also dachte, die Ukraine sei im Krieg, irrt: Sie befindet sich offenbar in einer Verkehrskontrolle mit panzerbrechender Konsequenz.

Man fragt sich: Sind das die neuen Staatsfeinde? Korrupte Ermittler mit Parkverstößen und defektem Rücklicht? Oder sollen diese lächerlichen Vorwürfe nur den Boden bereiten, um eine missliebige Behörde öffentlich zu diskreditieren, bevor man sie zerschlägt? Die Antwort liegt auf der Hand. Und sie riecht nicht nach Recht, sondern nach Rache.

Selenskyj, der systemische Schauspieler

Der größte politische Trick, den Selenskyj je vollbrachte, war nicht, Russland zu widerstehen. Es war, sich selbst als moralisches Bollwerk des Westens zu inszenieren, während er im Inneren seine Machtstrukturen mit chirurgischer Präzision zementiert. Er spricht von Reformen, während er Reformatoren kaltstellt. Er posiert als Demokrat, während seine Sicherheitsdienste politische Gegner verfolgen. Er reist durch Hauptstädte, appelliert an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – und lässt gleichzeitig seine eigenen Institutionen durch einen Geheimdienst niederknüppeln, der ihn mehr fürchtet als das Gesetz.

Wer das für ein bedauerliches Missverständnis hält, verkennt das Kalkül. Das System Selenskyj ist kein tragischer Widerspruch, sondern eine raffinierte Doppelstrategie: Außen Demokratie, innen Disziplinierung. Ein Zitat aus der Zeit Stalins würde hier passen – aber das wäre unfair. Stalin hatte wenigstens keine Presseabteilung im Berliner Regierungsviertel.

Kiew: Hauptstadt der kontrollierten Antikontrolle

Es ist kein Zufall, dass sowohl der NABU-Chef Krywonos als auch der Leiter der spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft Klymenko sich zufällig im Ausland aufhielten, während der Zugriff erfolgte. So lässt es sich besser exekutieren – ohne Störungen, ohne Kameras, ohne die kleinen Unannehmlichkeiten öffentlicher Verteidigung.

Und während internationale Organisationen wie Transparency International entsetzt aufschreien, als sei das alles bloß ein Missklang in der westlichen Symphonie, zeigt sich Selenskyj unbeeindruckt. Keine öffentliche Distanzierung. Kein Wort zu den massiven Vorwürfen. Kein Aufruf zur Mäßigung. Man könnte fast meinen, er genieße den Moment – die Demontage unbequemer Instanzen unter dem Radar eines Krieges, der außen alles legitimiert und innen alles erlaubt.

Der westliche Selbstbetrug:

Doch nicht weniger beschämend als Selenskyjs Machtspiel ist die willige Blindheit seiner westlichen Sponsoren. Noch immer wird er als Garant demokratischer Reformen gefeiert, als Verteidiger europäischer Werte, als „Churchill im 21. Jahrhundert“. Ein Vergleich, der dem historischen Churchill wohl ein Whiskeyglas aus der Hand geschlagen hätte.

Was in Kiew geschieht, ist keine Episode einer misslungenen Strafverfolgung. Es ist das vorsätzliche Ausschalten rechtsstaatlicher Kontrolle, orchestriert von einem Präsidenten, der längst gelernt hat, wie man moralische Autorität zur autoritären Macht umbaut – mit freundlicher Unterstützung aus Brüssel, Berlin und Washington.

Denn was niemand laut sagen will: Solange Selenskyj Russland die Stirn bietet, darf er intern tun, was er will. Ein Land, das als Frontstaat agiert, genießt Narrenfreiheit. Auch, wenn es das eigene Justizsystem zerlegt und seine Antikorruptionsbehörden zu Staatsfeinden erklärt.

Fazit: Das Antlitz der Verlogenheit

Die Ukraine wird weiterhin als Prüfstein westlicher Glaubwürdigkeit gehandelt. Doch wer genau hinschaut, sieht kein aufstrebendes Musterland der Transparenz, sondern ein Machtgefüge, das Kritik systematisch neutralisiert, institutionelle Kontrolle zerlegt und sich dabei mit dem Mantel der Tugend zudeckt.

Selenskyj mag ein Kriegspräsident sein – aber eben auch ein Politiker, der erkannt hat, dass man die Gunst des Westens nur verliert, wenn man aufhört, nach außen demokratisch zu wirken. Im Inneren aber? Dort herrscht längst ein Klima der Einschüchterung, ein Präsidialsystem mit geheimdienstlicher Schlagkraft, das nicht gegen Korruption kämpft, sondern gegen ihre Jäger.

Wer in diesem System aufräumt, wird rausgeworfen. Wer kontrollieren soll, wird kontrolliert. Und wer an die Rechtsstaatlichkeit glaubt, glaubt wahrscheinlich auch noch an die Selbstheilungskraft von Verkehrsunfällen.

Strafe einen, erziehe hundert

Die neue Zensur trägt Robe und liest Kommentare

Willkommen im postmodernen Feuilleton der Meinungsfreiheit, Ausgabe Feldkirch, Vorarlberg. Schauplatz: ein Landesgericht, das im Namen der Demokratie urteilt, was man noch sagen darf, wenn die Volksmeinung nicht deckungsgleich mit dem Tonfall der Parteizentrale ist.

Ein 66-jähriger Mann, in jedem Prospekt der Pensionsversicherung als “bürgerlich beruhigter Rentenheini” abgebildet, wagt sich ins digitale Bierzelt namens Kommentarspalte. Dort, wo die sprachliche Abrissbirne zum guten Ton gehört, erdreistet er sich – oh Wehe! – zu einem Vergleich, der weniger schmeichelhaft als drastisch ist. Der politische Gegner, ein SPÖ-Kandidat, wird sinngemäß als käuflich tituliert, „wie eine Nutte“, also als jemand, der für Geld tut, was Prinzipien andernfalls verbieten würden.

Man kann das geschmacklos finden, vulgär, unfair – all das ist legitim. Aber was man nun nicht mehr darf: es sagen. Jedenfalls nicht ohne pekuniäre Folgen in der Höhe von 7.200 Euro. Willkommen im pädagogisierten Strafrecht, wo es längst nicht mehr um Gerechtigkeit geht, sondern um Erziehung.

Die Demokratur des Anstands

Die Begründung ist dabei so bezeichnend wie entlarvend: Es gehe um den „Schutz der demokratischen Debatte“. Eine Formulierung, die an Absurdität kaum zu überbieten ist – etwa so, als würde man zur Rettung eines Brennenden dessen Haus fluten.

Denn was ist diese demokratische Debatte eigentlich noch wert, wenn sie nur unter der Bedingung geführt werden darf, dass sich niemand gekränkt fühlt? Wenn Satire, Zorn, derbste Rhetorik und eben auch: Beleidigung nicht mehr als Symptome einer lebendigen Auseinandersetzung gelten, sondern als justiziable Ordnungsverstöße gegen die Hygiene des öffentlichen Diskurses?

Die Demokratie, so scheint es, soll nicht mehr aushalten, sondern abschalten. Nicht mehr streiten, sondern sanktionieren. Und sie hat ihre Richter gefunden. Richter, die sich berufen fühlen, aus dem Pensionskästchen ein Exempel zu schnitzen.

Von der Robe zum Rohrstock

Strafe einen, erziehe hundert. Diese pädagogische Maxime stammt ursprünglich aus Systemen, in denen Meinungsäußerung bereits als Subversion galt. In einem demokratischen Staat jedoch sollte der Bürger kein zu erziehendes Kind, sondern ein mündiger Mitspieler sein. Ein solcher darf, ja muss sogar, der Obrigkeit auf die Füße treten dürfen – notfalls mit schmutzigen Stiefeln.

Aber statt Respekt für das Recht auf drastische Meinung zu zeigen, wird nun der altbekannte Rohrstock gezückt – elegant versteckt hinter Begriffen wie „Ehrschutz“ oder „Würde des Amtes“. Das Problem daran: Die Würde eines Politikers bemisst sich nicht an der Unverletzlichkeit seiner Eitelkeit, sondern an der Robustheit seines Charakters. Wer öffentliche Ämter bekleidet, steht im Regen des Zorns – und sollte darin nicht gleich ertrinken.

Politiker, die wegen beleidigender Kommentare vor Gericht ziehen, senden ein seltsames Signal: Dass sie, trotz ihrer Machtfülle, die Kritik eines Pensionsisten für gefährlich genug halten, um den Rechtsstaat in Marsch zu setzen. Wenn das keine Schwäche ist, was dann?

Moralgerichtsbarkeit für Fortgeschrittene

Das Urteil von Feldkirch ist dabei kein Einzelfall, sondern Teil einer wachsenden Tendenz: Die Justiz wird zur moralischen Anstandsinstanz, die weniger das Unrecht des Handelns als das Unwohlsein der Betroffenen zu bewerten scheint.

Gerichte entscheiden nicht mehr nur über Schuld, sondern über Haltung. Und Haltung ist ein dehnbarer Begriff. Wer sie nicht zeigt, oder schlimmer: die falsche zeigt, findet sich im Fadenkreuz des „gesellschaftlichen Konsenses“ wieder – einem nebulösen Phantom, das immer dort auftaucht, wo die Freiheit des Einzelnen gerade unbequem wird.

Dass der betroffene Pensionist „sonst ein besonnener Mensch“ sei, wie es im Bericht heißt, ist im Übrigen ein wunderbarer Hinweis auf das perfide Prinzip dieses Systems: Nicht nur, dass er verurteilt wird – er wird dabei noch als irrationaler Ausnahmefall dargestellt. Der brave Bürger soll sehen: Nur wer plötzlich entgleist, muss zahlen. Der Rest möge artig bleiben.

Kollektive Dressur via Einzelurteil

Dass es sich um eine Privatklage handelt, macht die Sache nicht besser, sondern gefährlicher. Denn hier verschwimmt die Grenze zwischen Recht und politischem Kalkül. Der Politiker inszeniert sich als Opfer, der Staatsapparat vollzieht die Säuberung, die Öffentlichkeit bekommt ein abschreckendes Beispiel.

Das Ganze hat fast etwas Liturgisches: Der reuige Sünder bekennt, das Gericht spricht, der Staat kassiert. Und wir? Wir klatschen oder schweigen. Beides ist gewollt.

Wer hingegen fragt, ob eine Demokratie das wirklich nötig hat – ob sie so fragil ist, dass sie durch derbe Sprüche ins Wanken gerät –, der gilt schnell als Querulant, ewiggestriger Meinungsabsolutist oder, Gott bewahre, als Feind des Fortschritts.

Fazit: Meinungsfreiheit auf Bewährung

Das Urteil von Feldkirch ist ein Meilenstein – allerdings kein glorreicher. Es markiert den Punkt, an dem aus Meinungsfreiheit ein Risikospiel wurde. Wer sich äußert, muss künftig mitrechnen: nicht nur mit Widerspruch, sondern mit Strafandrohung.

Was bleibt, ist eine Demokratie, die sich den Anschein gibt, frei zu sein – solange die Freiheit in den vorgesehenen Bahnen bleibt. Eine Demokratie, die ihre Bürger nicht mehr mit Argumenten überzeugt, sondern mit Paragraphen erzieht.

Und wer jetzt noch glaubt, das sei übertrieben, dem sei ein Rat gegeben:
Schreiben Sie doch einfach mal einen Kommentar unter einem Politikerportrait.
Vielleicht lernen Sie auf diese Weise bald den Unterschied zwischen Demokratie und Disziplinierung.
Er kostet 7.200 Euro.

Schellhorn, Klapprad auf Kosten der Glaubwürdigkeit

Das Ministerium der Symbolpolitik

Man muss sich das einmal in aller Ruhe auf der Zunge zergehen lassen: Da sitzt also ein Staatssekretär, dessen Portfolio ausgerechnet „Deregulierung“ lautet – also der staatlich alimentierte Versuch, Staatlichkeit zurückzuschrauben – auf einem Hocker, der offenbar aus einem pädagogischen Möbelkatalog stammt. Neben ihm: ein kläglich zusammengefaltetes Fahrrad, das aussieht, als hätte es die Flucht vor dem Autoverkehr nicht geschafft und stattdessen beschlossen, sich selbst zu dekonstruieren. Willkommen im Ministerium für performative Bescheidenheit!

Das gesamte Setting schreit förmlich: „Ich bin einer von euch! Ich fahre Rad, esse beim Bäcker, trage vielleicht sogar manchmal meine Schuhe zwei Tage hintereinander!“ Und während der Scheinwerfer das Klapprad beleuchtet wie einen Bundesadler aus Aluminium, erklärt der Herr Staatssekretär mit dem Brustton der Unschuld, dass er – man höre und staune – sich als Opfer fühle. Opfer einer „Kampagnisierung“.

Man fragt sich unweigerlich: Kampagne wogegen? Gegen die große Vision? Die große Reform? Gegen ein Team, das vier Monate lang keine Arbeit gemacht hat, weil die eigentliche Arbeit ja „erst ab Mitte August beginnt“? Gegen die strategisch platzierte, aber inhaltlich entkernte Deko der Selbstinszenierung?

Es ist ein Kabinettstück österreichischer Realpolitik: Hohl wie ein Werbeballon, aber so sorgfältig poliert, dass selbst das Nichts darin blendet.

Das Ego als Standortfaktor

Der moderne Politiker ist längst kein Repräsentant mehr – er ist ein Influencer mit Amtsbonus. Die Logik der Selbstvermarktung hat die Inhalte überrollt wie ein sonntäglicher Familienausflug den Waldrand. Und Sepp Schellhorn, der sich mit sozialen Followerzahlen statt mit politischer Substanz brüstet, ist das perfekte Produkt dieses Übergangs.

„Es ist leicht, einen Politiker anzugreifen, der viele Follower hat“, sagt er mit jener Mischung aus Stolz und mimischer Hilflosigkeit, wie sie sonst nur Instagram-Lives von mittelbekannten Ex-Bachelor-Kandidaten ziert. Als wäre Popularität ein Schutzschild gegen Kritik. Als sei öffentliche Aufmerksamkeit gleichbedeutend mit Unfehlbarkeit.

Die ganze Aussage lässt sich im Grunde in ein einziges Meme übersetzen: „Ich kann nicht gescheitert sein – schaut doch, wie viele Herzen ich pro Story kriege!“ Es ist der narzisstische Wahn einer Klasse, die Öffentlichkeit nicht mehr als Korrektiv begreift, sondern als Applausmaschinerie.

Der Bäcker, der Staatssekretär und die Realität

Als Krönung all dieser öffentlichkeitswirksamen Selbstdemontage durften wir erfahren, dass Schellhorn und sein Team vier Monate lang damit beschäftigt waren, Problemzonen zu „erheben“. Und zwar nicht nur irgendwo, sondern – Achtung, es folgt die folkloristische Verklärung politischen Aktivismus’ – beim „kleinsten Bäcker“.

Man hört sie förmlich, die PR-Berater: „Bring was Handfestes rein. Was mit Mehl. Was Echtes. Volkstümlich, aber nicht zu bäuerlich.“
Dass man sich mit der Zuckerglasur der Symbolpolitik letztlich nicht satt essen kann, ist dabei Nebensache. Hauptsache, die Menschen glauben, man war mal im Backstubenradius einfacher Leute.

Natürlich ist niemandem aufgefallen, dass es ein bisschen grotesk ist, wenn ein Staatssekretär, der für weniger Staat zuständig ist, vier Monate lang auf Staatskosten Herumfahrten macht, um herauszufinden, dass Menschen Bürokratie blöd finden. Diese Entdeckung hätte man auch mit einem Bierdeckel und gesundem Menschenverstand am Stammtisch eines durchschnittlichen Wirtshauses in drei Minuten erledigen können.

Aber so läuft das eben heute: Der Apparat forscht, evaluiert, erhebt – und sagt dann das Offensichtliche mit maximaler Selbstgefälligkeit.

Die ORF-Bühne – Theater der Harmlosigkeit

Dass das ORF-Interview selbst zur perfekten Staffage dieser Tragikomödie wurde, ist bezeichnend für den Zustand politischer Öffentlichkeit in Österreich. Es wurde gefragt, ja. Aber nicht gebohrt. Es wurde zitiert, ja. Aber nicht zersetzt.

Die Interviewerin durfte sogar den uralten Sparmythos anstechen – „Sie geben doch acht Milliarden mehr aus?“ – worauf der Staatssekretär in jener dialektischen Finte antwortete, die in etwa so überzeugend war wie ein Diät-Tipp von einem Kebab-Stand: „Natürlich. Aber jetzt sparen wir!“

So also funktioniert die neue Politikkommunikation: Paradoxa werden zur Tugend erklärt. Widersprüche zur Programmatik. Der Satz „Wir geben mehr aus, also sparen wir“ ist die perfekte Quintessenz einer Regierung, die in ihrer Rhetorik auf das Prinzip der ironischen Inversion setzt. Das Gegenteil ist richtig – weil es gesagt wurde.

Die Klapprad-Affäre und das postfaktische Accessoire

Und da war es dann wieder, dieses Rad. Dieses unglückselige Klapprad, das – von den sozialen Medien in der Luft zerrissen – bald nicht mehr für Mobilität steht, sondern für die Mobilmachung politischer Skepsis.

„Ist Sepp mit dem klappradgeförderten Klapprad da?“ fragte ein User. Und es steckt alles in dieser Frage: der Spott, die Ironie, aber auch die Hoffnung, dass der Bürger noch erkennt, wenn er für dumm verkauft wird.

Denn es ist nicht das Rad, das empört – es ist die kalkulierte Platzierung, die passive-aggressive Pose der Bescheidenheit, die so laut schreit, dass man den Inhalt nicht mehr hört. Und während im Interview mit dem Standard noch eine andere Einrichtung im Büro stand, zeigt sich das Problem dieser Inszenierung in erschreckender Klarheit: Man glaubt nicht mehr an das Gesagte, sondern nur noch an das Dekorierte.

Der Vorwurf der „Kampagnisierung“, den Schellhorn den Medien entgegenschleudert, wirkt da fast wie ein psychologisches Geständnis: Man erkennt sich selbst in der Kritik. Denn wer Politik zur permanenten Werbekampagne macht, darf sich nicht wundern, wenn er in Werbeästhetik gelesen und – schlimmer noch – inhaltlich ignoriert wird.

Fazit: Die neue Transparenz ist durchsichtig

Was bleibt also vom großen ORF-Interview mit dem Staatssekretär für Deregulierung?
Ein Hocker.
Ein Klapprad.
Und eine Einsicht: Wer sich derart bemüht, Natürlichkeit zu inszenieren, muss sich gefallen lassen, dass ihm die Künstlichkeit an der Stirn klebt.

Wenn Politik zur Bühne wird, dann ist der Staatssekretär kein Diener mehr, sondern Darsteller. Und wenn die Bühne zusammenbricht, weil die Kulissen falsch montiert wurden, dann nützt auch kein Klapprad als Requisite mehr. Dann hilft nur noch eins: Rücktritt, oder wenigstens eine Drehbuchüberarbeitung.

Vielleicht beginnt die eigentliche Arbeit dann doch noch – wenn auch nicht im Ministerium, sondern in der Redaktion der nächsten Polit-Dramödie.

59.700 Euro für die Frage: Gehen Migranten ins Museum?

Der große Spardruck – und wer davon verschont bleibt

Es ist schon bemerkenswert, wie akkurat österreichische Politiker ihren Bürgern den Gürtel enger schnallen, während sie sich selbst ein maßgeschneidertes Seidenschärpchen in Maßanfertigung gönnen. Während in Kindergärten das Warmwasser rationiert wird und man sich bei der nächsten Steuerreform fragt, ob Husten bald als Luxusphänomen gilt, geht im politmedialen Komplex das große Geldausstreuen munter weiter.

Ein aktuelles Glanzlicht dieser Tradition liefert Vizekanzler und Medienminister Andreas Babler – seines Zeichens Sozialist aus Berufung, Regierungsmitglied aus Gelegenheit und Auftragsvergeber aus Leidenschaft. Nicht etwa ein Infrastrukturprojekt, ein digitaler Innovationsschub oder gar ein Plan zur Wiederbelebung der Demokratie durch politische Bildung stand auf der Agenda. Nein, es musste etwas Bedeutsameres sein: Eine Studie über die kulturelle Beteiligung von Migranten.

59.700 Euro beträgt der Preis für dieses Erkenntnisabenteuer, bei dem vermutlich festgestellt werden wird, dass Migranten auch ins Theater gehen, wenn man ihnen Tickets, Babysitter und Dolmetscher stellt. Und dass sie ansonsten vielleicht lieber Shisha rauchen, Netflix schauen oder mit ihrer Familie zum Grillen in den Park gehen – also genau wie der Rest der Bevölkerung.

Die SPÖ und ihre Freunde: Eine Beziehung mit Treuegarantie

Doch so interessant die inhaltliche Frage sein mag – wesentlich aufschlussreicher ist, wer hier forscht. Der Auftrag ging – wie könnte es anders sein – an ein Institut mit guter Stallluft: die Foresight Research Hofinger GmbH, ehemals bekannt als SORA.

SORA, das war mal das Vorzeigeinstitut der Wahlsonntage, das mit erhobener Stimme und viel Sozialforschungsgestus die Hochrechnungen für den ORF präsentierte. Bis dann dummerweise ein internes Dirty-Campaigning-Dokument zur SPÖ gegen ÖVP und FPÖ an rund 800 E-Mail-Adressen ging. Das war dumm. Nicht etwa, weil man sich über negative Wahlkampftaktiken Gedanken machte – das tut man in jedem Kindergarten – sondern weil man versehentlich die Garderobe mitten auf die Straße trug und dabei splitterfasernackt dastand.

Das Ergebnis: ORF-Ausladung, Geschäftsführer-Rücktritt, Namenswechsel. „Foresight“ heißt das Institut jetzt – weil nichts so gut über einen Rufverlust hinweghilft wie ein bisschen Zukunftsbegrifflichkeit. In Österreich funktioniert das sogar: Wer stürzt, benennt sich einfach um und erhebt sich wie ein Phoenix aus der Inseratenasche.

Und siehe da – kaum war das Institut wieder sprachlich geläutert, schon landete der nächste Auftrag auf dem Tisch. Diesmal also „kulturelle Beteiligung von Migranten“ – man kann sich das Pitch-Gespräch förmlich vorstellen:
„Herr Minister, wir haben da ein brennendes Thema…“
„Perfekt, brennend ist immer gut. Und kulturell sowieso. Und irgendwas mit Migranten klingt gleich nach Empathie mit Haltung!“
„Und 59.700 Euro wären’s.“
„Ein Schnäppchen. Wissen Sie was – machen Sie zwei Versionen. Eine fürs Parlament und eine fürs Parteibüro.“

Gegen Vetternwirtschaft hilft nur Amnesie

In anderen Ländern nennt man solche Verflechtungen „institutionalisierte Klientelpolitik“, hierzulande nennt man es „bewährte Zusammenarbeit“. Ob Mediencoaching, Studien, Analysen oder sonstige Dienstleistungen mit dem gewissen Beraterflair – es findet sich stets jemand im Umkreis der Partei, der das Richtige zum rechten Zeitpunkt zu sagen weiß.

Babler selbst steht da inzwischen wie ein ironisches Mahnmal seiner eigenen Wahlplakate da: „Ehrlich. Echt. Sozial.“ Drei Begriffe, die sich mittlerweile in einem Kabarettprogramm wohler fühlen würden als in einer Regierungserklärung. Mediencoaching von einer Agentur mit SPÖ-DNA, Aufträge an umbenannte Ex-Skandalinstitute, und das Ganze garniert mit einem moralischen Überbau, der eine Mischung aus Robin Hood und PowerPoint ist – man will fast applaudieren, wäre es nicht unser Steuergeld.

Aber das eigentliche Kabinettstückchen liegt nicht im Geldfluss. Es liegt in der Naivität, mit der man annimmt, das falle niemandem auf. Als wären wir alle kollektive Amnesiepatienten mit politischer Gesichtserkennungsschwäche. Als hätte es keine Debatte um Inseratenkorruption, keine Medienaffären und keine Skandale rund um Umfrageinstitute gegeben. Nein – es ist, als würde man sich mit Anlauf in den gleichen Fettnapf werfen, und beim Aufstehen laut rufen: „Das war doch nur ein Testlauf für den Ernstfall!“

Kulturelle Integration – jetzt wissenschaftlich monetarisiert

Natürlich: Kulturelle Beteiligung von Migranten ist ein wichtiges Thema. Es gibt tatsächlich gute Gründe, sich damit wissenschaftlich auseinanderzusetzen – allerdings nicht als Prestigeprojekt mit Preisetikett und Parteibuch. Schon gar nicht dann, wenn das Ganze wirkt wie ein karitativer Wiedereingliederungsversuch für angeschlagene Freundesnetzwerke.

Denn was kommt am Ende dabei heraus? Vielleicht eine Tabelle mit Museumsbesuchshäufigkeit. Eine Grafik, die zeigt, dass Migranten, die arbeiten, studieren und Steuern zahlen, auch ins Theater gehen. Oder die erschütternde Erkenntnis, dass kulturelle Teilhabe in erster Linie etwas mit sozialer Teilhabe zu tun hat – was man auch durch einen Nachmittag im Gemeindebau hätte eruieren können. Kostenlos.

Aber gut, 59.700 Euro sichern zumindest, dass das Ergebnis hübsch gelayoutet ist und drei PowerPoint-Charts enthält, die man bei der nächsten integrationspolitischen Pressekonferenz medienwirksam präsentieren kann. Inhaltlich ist es zwar meist dünner als ein Fairtrade-Latte im Regierungscafé, aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht um Sichtbarkeit. Und Sichtbarkeit kostet eben.

Fazit: Der Kulturbegriff als Umweg zur Subvention

Man könnte sich über all das maßlos aufregen – oder es einfach als das betrachten, was es wirklich ist: eine Inszenierung in der großen Oper des österreichischen Politbetriebs. Eine Arie der scheinheiligen Tugend, finanziert vom Steuerzahler, einstudiert vom Parteiapparat, aufgeführt im Theater der Absurditäten.

Und wenn Sie das nächste Mal beim Amtsweg gebeten werden, doppelt zu unterschreiben, ihre Unterlagen in dreifacher Ausfertigung zu bringen und 8 Wochen auf Antwort zu warten – denken Sie daran: Die Republik hat gerade Wichtigeres zu tun. Sie muss herausfinden, ob Herr Mustafa aus Favoriten lieber Kabarett oder Kabap mag. Für 59.700 Euro.

Das Weltreise-Kompott

Ein Birnenschicksal in sieben Zeitzonen

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem gemütlichen Sonntagmorgen vor einer dampfenden Schale Birnenkompott. Der Duft ist verführerisch süß, ein Hauch von Zimt liegt in der Luft, und die Konsistenz ist geradezu perfekt: nicht zu weich, nicht zu fest. Was Sie da löffeln, so glauben Sie, sei ein schlichter Genuss – saisonal, regional, vielleicht sogar mit einem romantisch-bäuerlichen Anflug von Nachhaltigkeit. Was Sie in Wahrheit löffeln, ist der Triumphzug einer absurden Weltordnung – das Ergebnis von über 50.000 Reisekilometern, vier verschiedenen Währungen, sieben Mindestlöhnen, zwölf CO₂-Zertifikaten und einer ökologischen Fußspur, die der Elefantenherde des Anthropozäns zur Ehre gereicht.

Denn diese Birne ist keine gewöhnliche Frucht. Sie ist ein kosmopolitisches Wunderwesen der neoliberalen Spätmoderne. Geboren im Schatten der Anden, aufgezogen in argentinischen Plantagen unter der Sonne Patagoniens, in Monokultur-Reihen, die mit Pestiziden begossen werden wie deutsche Schrebergärten mit Bier. Sie wurde geerntet von billigen Händen mit teuren Träumen – Arbeitsmigranten aus Paraguay, angelockt von Versprechungen, die nur das Freihandelsabkommen eingehalten hat.

Verpackungskunst in Südostasien – global effizient, lokal absurd

Doch die Reise beginnt erst. Frisch vom Baum wird das Obst in Plastik gewickelt, in Kühlcontainern verladen, mit Diesellärm über den Atlantik geschippert, durch den Panamakanal geschleust, vorbei an Küsten voller Mikroplastik, und schließlich in ein thailändisches Verpackungszentrum geliefert, das aussieht wie eine Mischung aus Ikea-Lager und Industriedystopie.

Warum Thailand? Aus demselben Grund, aus dem man in Bangladesch Baumwolle verwebt, die aus Texas stammt, um dann Jeans für Berlin zu produzieren: weil es geht. Weil dort die Hände billig, die Vorschriften dünn und die Gewerkschaften still sind. Der thailändische Verpackungsarbeiter, ein anonymes Zahnrad im Weltmarktgetriebe, bekommt pro Tag weniger als der Birne ihre Zollmarken kosten. Seine Aufgabe ist es, die weichgekochte Frucht in eine Plastikschale mit buntem Etikett zu drücken, das mit klimaneutralem Grün suggeriert, hier wäre Mutter Natur persönlich am Werk gewesen.

Ein Etikett übrigens, das aus chinesischem Zellstoff gefertigt und in der Ukraine bedruckt wurde, bevor es mit dem Flugzeug nach Bangkok gebracht wurde – aus Zeitgründen, versteht sich.

Einmal um den Globus – und ab ins Supermarktregal

Doch auch damit ist die Reise noch nicht zu Ende. Verpackt, etikettiert und mit einer Lebensgeschichte ausgestattet, die bei „Wer bin ich?“ jede Therapiesitzung sprengen würde, wird das Kompott per Containerfrachter über den Pazifik geschippert. Ziel: Los Angeles. Dort erwartet es ein Distributionszentrum in der Größe eines mittelgroßen Staates, in dem Gabelstapler zwischen Bergen von Avocados, Mangos und Frühstücksflocken navigieren wie Fluglotsen auf Ecstasy.

Hier wird sortiert, etikettiert, kodiert und zugeteilt – bis das Glas mit dem argentinisch-thailändisch-amerikanischen Birnenkompott schließlich in einem Walmart in Ohio landet. Dort kauft es ein übermüdeter Familienvater für 2,99 Dollar, ohne zu ahnen, dass er damit eine ökonomische Kettenreaktion ausgelöst hat, deren Komplexität selbst ein Quantenphysiker als „nicht intuitiv“ bezeichnen würde.

Die unsichtbare Dummheit der Effizienz

Die Globalisierung gilt gemeinhin als Ausdruck rationaler, effizienter, wachstumsorientierter Modernität. Ein Planet, der wie ein Uhrwerk funktioniert, geölt von Logistik, getaktet von Algorithmen, gesteuert von „Just-in-Time“-Lieferketten und optimiert durch künstliche Intelligenz.

In Wahrheit aber ist sie der teuerste Umweg der Geschichte. Ein System, das mehr Energie verbraucht, um Dinge möglichst weit weg zu holen, als es je aufbringen würde, sie in der Nähe sinnvoll zu erzeugen. Die Effizienz der Globalisierung ist die Effizienz des Wahnsinns: rechnerisch unschlagbar, realitätspraktisch grotesk.

Denn in dieser Logik ist es nicht sinnvoll, eine Birne dort zu pflücken, wo sie gegessen wird. Es ist billiger, sie um die Welt zu schicken. Der Planet als Förderband, die Frucht als Kettenprodukt, der Konsument als Endstation einer logistischen Totalkarambolage.

Nachhaltigkeit als Dekoration

Selbstverständlich klebt auf dem fertigen Produkt ein Bio-Siegel. Natürlich ist das Glas recycelbar. Und sicher ist der Versand „kompensiert“. Mit einem Klick auf der Website des Herstellers kann man sich einen virtuellen Baum in Madagaskar anschauen, der angeblich das CO₂ dieser globalen Fruchtneutralisierung neutralisiert.

Dabei ist längst klar: Kein Baum der Welt kann all das wiedergutmachen, was da täglich durch Container, Flugzeuge, Lieferwagen, Stromnetze, Barcode-Scanner und Steueroptimierungsschlupflöcher gejagt wird. Der Birnenkompottwahnsinn ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Er ist keine Panne, sondern das System.

Globalisierung, so wie sie heute betrieben wird, ist nicht die Lösung für die Welt – sie ist das Problem der Welt. Und ausgerechnet jene, die ihre Absurdität laut beklagen, tun es oft beim Bio-Birnenkompott aus Übersee, während sie mit dem Daumen am Smartphone durch Lieferdienste scrollen.

Der süße Geschmack des Unverstands

Die Pointe ist bitter. Oder süß, je nach Geschmack. Die Menschen kaufen Globalisierung, weil sie billig ist. Sie klagen über ihre Folgen, weil sie spürbar werden. Und sie wählen Politiker, die versprechen, all das zu ändern – aber bitte ohne das Angebot im Supermarkt zu verringern.

Der moderne Mensch will Nachhaltigkeit, ohne auf Bequemlichkeit zu verzichten. Er will Regionalität, aber mit tropischem Flair. Er will faire Löhne, aber keine teuren Produkte. Er will alles – und zwar sofort.

Die Globalisierung hat ihm diesen Wunsch erfüllt. Auf Kosten des Planeten, der Arbeitskräfte, der Logik. Und eben jener kleinen Birne, die einst still am Baum hing, bevor sie zur Weltbürgerin gemacht wurde, um in einem Glas zu enden, das niemand braucht, aber jeder kauft.


Epilog

Vielleicht brauchen wir gar keine neuen Gesetze, keine CO₂-Steuern und keine UN-Klimagipfel. Vielleicht bräuchte es nur eines: dass jeder einmal sein Kompott rückverfolgen muss. Nicht via Trackingnummer – sondern per Flugticket.

Und dann, vielleicht, schmeckt Regionalität wieder nach Vernunft.

Oder nach Birne. Einfach nur Birne.

Willkommen im Chaos: Das europäische Asylsystem zwischen Fiktion und Farce

Ein kaputtes System – und keiner will’s reparieren

„Das europäische Asylsystem ist kaputt“, sagt der dänische Minister Kaare Dybvad Bek. Man kann ihm schlecht widersprechen. Die Frage ist eher: Warum sagt das erst jetzt jemand laut, und warum klingt es wie eine bahnbrechende Erkenntnis, wenn es doch längst zum Alltag gehört – wie der verspätete Zug oder der Koalitionsvertrag voller Absichtserklärungen ohne Folgen?

„Kaputt“ ist hier noch freundlich formuliert. Es suggeriert, dass etwas einmal ganz war und nun nur einer kleinen Reparatur bedarf – ein bisschen schrauben, ein wenig ölen, vielleicht die Software neu aufspielen, und schon läuft das Ding wieder. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um eine defekte Maschine, sondern um ein selbstzerstörerisches Konstrukt, das nie für das gemacht war, was man ihm heute abverlangt. Ein kafkaeskes System von Regelungen, Ausnahmegenehmigungen, Zuständigkeiten und Zuständigkeitsvermeidung, das nicht mehr funktioniert, sondern sich nur noch simuliert.

Wir haben ein Asylsystem, das von Werten spricht und in Praktiken versinkt, das Menschenrechte predigt und Lager realisiert, das Aufnahmebereitschaft fordert, aber Abschottung lebt – und bei all dem ein rechtliches Monstrum geschaffen hat, das sich selbst in den Schwanz beißt, während es dazu freundlich lächelt.

Die Rückführungs-Lüge

Die Zahlen sind, mit Verlaub, eine Bankrotterklärung: Rund die Hälfte der Asylanträge wird abgelehnt – das ist die eine Seite. Die andere ist, dass nur ein Viertel dieser abgelehnten Menschen tatsächlich zurückgeführt wird. Der Rest bleibt. Irgendwo. Irgendwie. Geduldet, versteckt, integriert, toleriert – je nach Land, Stimmungslage, Regierungskonstellation oder Tagesform des zuständigen Sachbearbeiters.

Warum diese Rückführungen nicht funktionieren, ist längst kein Geheimnis. Die Herkunftsstaaten kooperieren nicht, die Personen tauchen unter, der Verwaltungsaufwand ist grotesk und das politische Interesse, diesen Zustand zu ändern, gegen null. Man fürchtet sich ja schon vor der reinen Nennung des Wortes Abschiebung, als handele es sich um eine Vokabel aus der dunkelsten Epoche der Menschheit. Lieber wird über humanitäre Verpflichtung fabuliert, während das System kollabiert.

Die Wahrheit ist: Rückführungen scheitern nicht an rechtlichen Hürden, sondern an fehlendem Willen, an ideologischer Verblendung, an moralischer Feigheit. Europa hat sich in einen normativen Käfig gesetzt, dessen Gitter aus Schuldkomplexen geschmiedet sind, durch den aber jeder, der laut genug Bleiberecht! ruft, einfach hindurchspaziert.

Die moralische Überbietungsgesellschaft

Das Asylrecht ist im europäischen Diskurs längst nicht mehr eine rechtliche Kategorie, sondern eine moralische. Wer Grenzen fordert, ist kaltherzig. Wer Rückführungen anmahnt, ist ein verkappter Reaktionär. Wer auf Regelbruch hinweist, wird gleich mit Mitleidsentzug bedroht. Statt differenzierter Diskussion regiert die Empörung, statt Analyse herrscht affektives Dauerschäumen.

Dabei wäre gerade in dieser Debatte Sachlichkeit dringend geboten. Aber das geht nicht – denn Asyl ist zur moralischen Ersatzreligion geworden. In einer Gesellschaft, die längst jede metaphysische Bindung verloren hat, wird das gute Gewissen an der Grenze verteilt. „Refugees welcome“ ist nicht mehr nur ein Slogan, es ist ein moralisches Sakrament – unausgesprochen, unbestritten, unantastbar.

Das Problem: Die Realität hält sich nicht an Narrative. Sie drängt sich mit Gewalt in die Debatte, in überforderte Kommunen, in aufgeplatzte Integrationsversprechen, in Kriminalstatistiken, in Wohnungsmangel, in Lehrermangel, in Sprachkurse, die nie stattfinden. Währenddessen streitet man in Brüssel noch über Quotenverteilungen, als könnte man ein Pulverfass durch Bürokratie entschärfen.

Migrationspolitik als intellektuelles Trümmerfeld

Man muss es leider so hart sagen: Die europäische Migrationspolitik ist ein intellektuelles Trümmerfeld. Was einst als humanitärer Imperativ begann, wurde zur politischen Ersatzhandlung. Man hatte keine Vision für Afrika, also ließ man die Menschen kommen. Man hatte keine Lösung für Bürgerkriege, also bot man Schutz. Man hatte keine Außenpolitik, also öffnete man die Tür.

Heute steht Europa vor den Scherben seiner Gutwilligkeit. Die Systeme sind überlastet, die Bevölkerung zunehmend unruhig, die öffentlichen Debatten vergiftet. Gleichzeitig kapituliert die Politik vor dem eigenen Anspruch. „Innovative Lösungen“ sollen es nun richten – als wäre es ein Marketingproblem. Vielleicht einfach eine App entwickeln: „Abschiebung per Swipe“ oder „Resettlement 4.0“.

Dabei liegt die Lösung nicht in der Technik, sondern im Mut zur Wahrheit: Man kann nicht unbegrenzt Schutz gewähren, ohne Schutzbedürftigkeit glaubwürdig zu prüfen. Man kann nicht Einwanderung in den Sozialstaat ermöglichen, ohne dessen Finanzierung zu gefährden. Man kann nicht multikulturelle Parallelwelten dulden und sich dann über mangelnde Integration wundern.

Die kommenden Unruhen – und das große Wegsehen

Wer heute noch ernsthaft glaubt, dass sich diese Entwicklungen folgenlos fortsetzen lassen, hat entweder keine Ahnung, keine Kinder oder keine Zeitung abonniert. Die öffentliche Unruhe ist nicht hypothetisch, sie ist bereits Realität – sie zeigt sich in sinkendem Vertrauen in Institutionen, in wachsender Wahlbeteiligung bei extremistischen Parteien, in einem dumpfen Grollen, das durch alle sozialen Schichten geht.

Noch ist das europäische Projekt nicht am Ende, aber es wird unterwandert – nicht von außen, sondern von innen. Vom eigenen Versagen, die Dinge beim Namen zu nennen. Von einer politischen Klasse, die lieber schwiegt, als Wähler zu verlieren. Von einer Medienlandschaft, die lieber beschwichtigt, als zu berichten. Von einer Zivilgesellschaft, die sich lieber in Selbstvergewisserung übt, als Verantwortung zu übernehmen.

Und das Schlimmste: Man könnte es wissen. Man müsste nur hinhören. In den Kitas, in den Kommunen, in den Innenministerien, in den Polizeiberichten. Die Lage ist keineswegs komplex – sie ist nur unbequem. Aber genau darin liegt die Tragik: Europa scheitert nicht an der Migration, sondern an sich selbst.

Fazit: Europas Asylpolitik ist kein Systemfehler – sie ist ein Systemversagen

Was also tun? Weniger träumen, mehr handeln. Weniger Pathos, mehr Realismus. Weniger Floskeln, mehr Rechtsstaat. Weniger moralisches Hochamt, mehr strategische Verantwortung.

Denn solange man weiter an einem System festhält, das weder schützt noch steuert, das Erwartungen weckt, die es nicht erfüllen kann, und Zustände duldet, die es nicht kontrolliert, wird die Katastrophe nicht vermieden – sondern nur hinausgezögert.

Europa kann viel. Aber es kann nicht gleichzeitig offene Türen versprechen und funktionierende Ordnung gewährleisten. Wer das nicht versteht, wird es bald auf der Straße erklärt bekommen.

Nicht von Minister Kaare Dybvad Bek. Sondern von der Realität.

Mit Volldampf gegen die Wand – Ein Weltgericht & das Klima

Vanuatu klagt – und der Planet klatscht Beifall

Es ist ein surrealer Moment: Eine winzige Inselnation, kaum mehr als ein vegetationsbedeckter Punkt im pazifischen Ozean, erhebt ihre Stimme – und die Welt hält den Atem an. Nicht aus Ehrfurcht, sondern aus schlechtem Gewissen. Der Internationale Gerichtshof wird nun tatsächlich gezwungen, eine Frage zu beantworten, die seit Jahrzehnten in Gremien, Gipfeln und Gletscherfeldern herumgestottert wird wie ein alter Dieselmotor im moralischen Gegenwind: Dürfen Staaten weiterhin die Erde grillen wie ein Steak auf einem saudischen Ölfass, ohne dass ihnen jemand juristisch auf die Finger klopft?

Vanuatu, ein Name, der in den Köpfen der Eliten bislang eher als exotischer Cocktail aus dem Duty-Free-Bereich erschien, legt nun den Finger in die eiternde Wunde der Weltordnung: Wer zahlt eigentlich für das Desaster, wenn das Meer sich holt, was die Kolonialgeschichte einst großzügig verteilte? Die Antwort ist denkbar einfach – alle schauen betreten zur Seite, während der Planet langsam die Temperatur auf dem Thermostat hochdreht.

Vom Ablasshandel zum Pariser Protokoll – Die feine Kunst des Wegschauens

Natürlich melden sich nun die üblichen Verdächtigen zu Wort. Saudi-Arabien zum Beispiel – jener monolithische Petrostaat, der die Zukunft als einen Ort sieht, in dem der letzte Barrel Öl mit einer Träne betankt wird – mahnt zur „Vorsicht“. Schließlich, so ihr nobles Argument, habe das Pariser Abkommen doch alles geregelt. Das ist in etwa so, als würde ein Brandstifter behaupten, man brauche keine Feuerwehr, weil man ja eine Betriebsanleitung für Feuerlöscher verfasst habe.

Auch Deutschland, Mutterland des moralisch korrekten Wegmoderierens, nickt weise. Ja, man habe Verpflichtungen – irgendwo zwischen Kohleausstieg, Autobahnneubau und Wahlkreislogik. Dass das Paris-Abkommen rechtlich etwa so bindend ist wie ein Neujahrsvorsatz nach dem dritten Gin Tonic, wird mit jener eleganten Ignoranz übergangen, die europäische Diplomatie so anziehend macht.

Juristische Nachsorge im globalen Hospiz

Was sich hier abzeichnet, ist eine neue Art von Weltgerichtsbarkeit – eine Reanimationsmaßnahme im Spätstadium des Anthropozäns. Denn wenn politische Systeme versagen (und sie versagen, mit der Konsequenz und Beharrlichkeit eines Langzeitversuchs), dann bleibt eben nur der Griff zur letzten Instanz: dem Recht. Die Justiz als Notfallmedikament für planetare Systemversagen. Welch grandiose Ironie, dass ausgerechnet der Internationale Gerichtshof nun zum Leuchtfeuer der Hoffnung mutiert – eine Institution, deren durchschnittliche Schlagkraft bisher irgendwo zwischen UNESCO-Tagung und UNO-Resolution mäanderte.

Aber siehe da: Immer mehr Staaten, NGOs, ja sogar Individuen wagen den Gang vors Gericht, als handle es sich um eine himmlische Instanz des Weltgewissens. Vielleicht auch, weil der Glaube an Politik ebenso geschmolzen ist wie das arktische Meereis.

Emittenten aller Länder – vereint euch (vor Gericht)

Die Idee, dass es Rechtspflichten geben könnte, sich nicht wie ein brandschatzender Vandale in der Erdatmosphäre aufzuführen, ist in manchen Hauptstädten der Erde offenbar ein Skandalon. Ein moralischer Angriff. Ein Affront gegen die heilige Kuh des unbehelligten Wirtschaftens. Dabei ist das Prinzip denkbar schlicht: Wer Müll macht, räumt ihn weg. Wer Schaden verursacht, haftet. Und wer am lautesten schreit, sollte vielleicht zuerst zuhören.

Doch plötzlich kommt Bewegung in die zähflüssige Mischung aus Zynismus und Verzögerung: Der Internationale Seegerichtshof nennt CO₂ eine Form der Meeresverschmutzung – ein intellektuelles Manöver, so simpel wie bestechend. Der Interamerikanische Gerichtshof zieht gar das ganz große Menschenrechtsregister: Wer Menschen einem unaufhaltsamen Klimakollaps ausliefert, verletzt das Völkerrecht – als ginge es um Folter. Die Zeiten, in denen der Umweltschutz ein piffiges Nebenprojekt für grüne Wahlprogramme war, sind endgültig vorbei. Jetzt geht’s ans Eingemachte: das Menschenleben selbst.

Globale Gerechtigkeit oder juristisches Wunschkonzert?

Doch die Frage bleibt: Was folgt daraus? Wird Shell demnächst Rückzahlungen an bangladeschische Bauern leisten? Muss Exxon seinen Aktionären mitteilen, dass künftige Dividenden in Reparationsfonds fließen? Oder wird alles enden wie bisher – mit wohlmeinenden Gutachten, moralisch einwandfrei, rechtlich folgenlos?

Der Druck wächst. Denn die Welt, einst ein launisches Kind, das sich von der Zivilisation verformen ließ, ist nun eine zornige Mutter, die mit den Konsequenzen zurückschlägt. Und es ist kein Zufall, dass gerade die am stärksten Betroffenen – jene Staaten, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben – den juristischen Diskurs aufmischen. Ihre Klage ist keine Bettelei, sondern ein Aufstand.

„Fragen der globalen Gerechtigkeit“, so nennt es der UN-Jurist. Das klingt nach Amnesty, nach Poesie, nach Weltethos. Aber es ist in Wahrheit ein Schrei. Ein Ruf nach Rechenschaft. Nach der längst überfälligen Umkehr der Verhältnisse.

Ein zynisches Nachspiel – oder die Hoffnung auf den Ernstfall

Natürlich darf man nicht zu viel erwarten. Ein Gutachten des IGH ersetzt keine CO₂-Steuer. Kein Urteil bringt die Korallenriffe zurück. Und es ist mehr als wahrscheinlich, dass das erste Echo aus Peking, Washington und Riad ein wohlklingendes „no comment“ sein wird, gefolgt von einem Emissionsanstieg mit historischer Eleganz.

Doch etwas ist anders. Die juristische Bühne ist eröffnet. Und mit ihr die Erkenntnis: Wenn der Planet schon untergeht, dann wenigstens mit einem Aktenzeichen. Wenn die Menschheit schon scheitert, dann in Berufung. Und wenn Vanuatu klagt, dann hört die Welt – mit leicht schlechtem Gewissen, aber endlich – zu.

Vielleicht ist das der Anfang. Oder wenigstens das letzte Kapitel mit Fußnoten. Fußnoten, die in die Zukunft zeigen, falls es dort noch Leser geben sollte.

Die Kunst der selektiven Empörung

Es ist eine erstaunliche Disziplin, die die westliche Wertegemeinschaft seit Jahrzehnten perfektioniert hat: die selektive Empörung. Wenn Russland die Krim annektiert, Donbas-Söldner finanziert oder sich sonst wie völkerrechtswidrig gebärdet, dann fackeln EU, NATO und Co. nicht lange: Sanktionen! Boykotte! Gipfel der Besorgnis! Gipfel über den Gipfel! Gipfelbesprechungen zum Gipfel der Gipfel! Alles, was das diplomatische Waffenarsenal hergibt, wird aufgefahren.
Doch wenn es um den Dauerbrenner im Mittelmeer geht, die Teilung Zyperns seit 1974, dann herrscht bemerkenswerte Funkstille. Keine Magnitsky-Listen für türkische Generäle. Keine eingefrorenen Vermögen von Erdogan-Vertrauten. Keine Öl- und Gasembargos. Ja nicht einmal ein symbolisches Sanktions-Klingelstreichen vor der türkischen Botschaft!

Die Tatsache, dass ein NATO-Mitglied seit über fünf Jahrzehnten einen Teil eines EU-Mitgliedstaates besetzt hält scheint den Hütern des freien Westens ungefähr so viele Sorgenfalten zu verursachen wie ein Knopf, der in der Waschmaschine verloren gegangen ist.

Operation Atilla – Der vergessene Krieg

Der 20. Juli 1974 – ein Datum, das im kollektiven Gedächtnis der Weltöffentlichkeit offenbar mit Bleistift auf Butterbrotpapier geschrieben wurde. Damals startete die Türkei ihre sogenannte Operation Atilla (ja, benannt nach dem Hunnenkönig – subtil war gestern). Unter dem Vorwand, die türkische Minderheit vor den griechisch-zypriotischen Putschisten zu schützen, marschierte die türkische Armee ein und nahm mal eben ein Drittel der Insel in Besitz. Rund 200.000 Menschen wurden vertrieben, ihre Häuser geplündert, ihre Olivenhaine annektiert, ihre Zypressen umgesägt – und das Völkerrecht? Das saß derweil wohl irgendwo in Brüssel bei einem Aperol Spritz und wartete darauf, wieder ernst genommen zu werden.

Die UN verurteilte den Einmarsch damals. Mehrmals. Mit Resolutionen. Das war’s dann aber auch. Eine Resolution ist wie ein Therapievorschlag für einen Brandstifter: höflich gemeint, aber am Ende brennt es trotzdem weiter.

Die zwei Gesichter der Weltordnung

Es ist schon bemerkenswert, wie flexibel der Begriff “völkerrechtswidrig” ausgelegt werden kann, wenn man ihn nur oft genug dehnt. Die Krim ist “inakzeptabel”, der Donbas “ein Skandal”, Gaza ein “humanitärer Alptraum” – aber Zypern? Ach, das ist doch diese Ferieninsel mit den guten Meze-Tellern und den freundlichen Hotelrezeptionisten, nicht wahr?
Wenn der türkische Präsident Erdogan anlässlich des 51. Jahrestages der Invasion verkündet, die Welt solle sich gefälligst mit der Zweistaatenlösung abfinden, dann wirkt das ungefähr so grotesk, als würde Wladimir Putin in Sewastopol einen Tost auf die “unverrückbaren Realitäten” anstoßen und den Westen auffordern, sich mit der Krim-Annexion endlich zu arrangieren.

Nur dass Putin dafür sanktioniert wird – und Erdogan? Der bekommt EU-Gelder für Flüchtlingslager und neue Panzermodelle mit deutsch-türkischer Kooperation.

Ein Lehrstück in Doppelmoral: Der Zypern-Case-Study-Workshop

Lassen Sie uns, werte Leserinnen und Leser, einmal für einen Moment naiv sein – nur der Übung halber. Stellen wir uns vor, Russland hätte 1974 ein Drittel Finnlands besetzt. Oder China einen Teil Japans. Oder der Iran den halben Oman. Glauben Sie, es gäbe dann 51 Jahre später noch Verhandlungen über die “Anerkennung der neuen Realitäten”? Oder hätten wir es mit Embargo-Monumenten und Wirtschaftssanktionen von biblischen Ausmaßen zu tun?

In Zypern hingegen übt sich der Westen im diplomatischen Yoga: Man verbiegt sich in alle Richtungen, um ja nicht allzu genau hinzuschauen. Die Besatzung Nordzyperns ist gewissermaßen das diplomatische Äquivalent zum unangenehmen Verwandten, der seit Jahrzehnten auf der Couch liegt, aber keiner traut sich, ihn rauszuwerfen.

Erdogan der Ewig-Besetzer – mit freundlichen Grüßen aus Ankara

Dass Erdogan inzwischen selbstbewusst wie ein Platzhirsch die Zweistaatenlösung fordert, ist da nur konsequent. Wer jahrzehntelang ungestört Fakten schaffen darf, der kann irgendwann auch verlangen, dass die Welt diese Fakten bitteschön als “gegeben” akzeptiert.
Und warum auch nicht? Die türkische Republik Nordzypern wird zwar bis heute nur von der Türkei anerkannt, aber was heißt das schon, wenn der Rest der Welt so tut, als wäre der Zustand eben “kompliziert” und “schwierig”?

“Kompliziert” ist übrigens das Lieblingswort der internationalen Gemeinschaft, wenn sie meint: Wir möchten da nicht hinsehen, sonst müssten wir ja handeln.

Der ewige Frieden der Doppelmoral

Was bleibt also nach 51 Jahren türkischer Besatzung in Nordzypern? Ein politisches Vakuum, in das bequem der Zynismus einziehen kann. Erdogan darf weiterhin vom “Schutz der türkischen Zyprioten” sprechen, während er sich die besten Grundstücke am Strand sichert. Die EU darf weiterhin so tun, als sei die Lage “festgefahren”, während deutsche Rüstungsfirmen mit Ankara Deals machen. Und der Rest der Welt? Der sonnt sich am Ayia-Napa-Strand auf der Südseite der Insel und bestellt noch einen Cocktail.

Vielleicht ist das ja die wahre Zweistaatenlösung: Auf der einen Seite der Insel die völkerrechtliche Empörung, auf der anderen Seite die diplomatische Amnesie.

Willkommen im Donbasz des Mittelmeers. Prost.

Der 20. Juli 1944

Das Attentat auf Hitler und die Tragik seines Scheiterns

Der 20. Juli 1944 markiert eines der bekanntesten, aber zugleich widersprüchlichsten Kapitel des Zweiten Weltkriegs. Der Versuch, Adolf Hitler durch ein Attentat zu töten und das nationalsozialistische Regime zu stürzen, ist zu einem Symbol des deutschen Widerstands geworden. Doch bei aller Würdigung des Mutes der Verschwörer darf nicht übersehen werden: Das Scheitern des Attentats führte dazu, dass die blutigste Phase des Krieges erst danach begann. Die größten Opferzahlen des Zweiten Weltkriegs und der Holocaust in seiner brutalsten Endphase sind untrennbar mit dem Zeitraum nach dem 20. Juli 1944 verbunden.

Die Ausgangslage: Ein Krieg, der längst verloren war

Im Sommer 1944 war die militärische Lage des Deutschen Reiches bereits hoffnungslos. In der Normandie waren alliierte Truppen gelandet und hatten einen zweiten Kriegsschauplatz in Westeuropa eröffnet. Im Osten hatte die Rote Armee mit der Operation Bagration die deutsche Heeresgruppe Mitte vernichtet – eine der schwersten militärischen Niederlagen der Wehrmacht im gesamten Krieg.

Die deutsche Führung wusste, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Doch anstatt einen Waffenstillstand zu suchen, setzte das nationalsozialistische Regime auf totale Mobilisierung und Durchhalteparolen. Der Glaube an den „Endsieg“ war nicht nur Propaganda, sondern eine Form ideologischer Verblendung, die jede realistische Lageeinschätzung ausschloss.

Vor diesem Hintergrund wuchs innerhalb der Wehrmacht und des Staatsapparates die Überzeugung, dass nur die Ausschaltung Hitlers den Krieg beenden könne. Der militärische Widerstand, der sich seit 1938 in verschiedenen Zirkeln organisiert hatte, entschloss sich deshalb zum Attentat.

Das Attentat: Operation Walküre

Am 20. Juli 1944 platzierte Claus Schenk Graf von Stauffenberg in der „Wolfsschanze“ bei Rastenburg einen Sprengsatz unter dem Kartentisch, an dem Hitler mit seinen Generälen eine Lagebesprechung abhielt. Der Plan sah vor, nach der Ermordung Hitlers den Ersatzheer-Befehl „Walküre“ auszulösen, um das Reich von innen zu übernehmen, die SS zu entmachten und Friedensverhandlungen mit den Alliierten einzuleiten.

Doch der Anschlag scheiterte. Die Aktentasche mit dem Sprengsatz wurde unglücklich umplatziert, ein massiver Eichentisch schirmte die Druckwelle ab. Hitler überlebte mit leichten Verletzungen.

Die Nachricht von seinem Überleben verbreitete sich schnell. Der Staatsstreichversuch brach in sich zusammen, noch bevor er richtig begonnen hatte. Stauffenberg und weitere Verschwörer wurden in der Nacht auf den 21. Juli im Berliner Bendlerblock erschossen.

Die Folgen des Scheiterns: Eskalation der Gewalt

Die gescheiterte Tat hatte dramatische Konsequenzen. Hitler und seine Gefolgsleute nutzten das Attentat, um den Staatsapparat noch stärker zu zentralisieren und die verbliebenen Reste unabhängiger Militärführung auszuschalten. Die Gestapo und der Reichssicherheitsdienst gingen mit brutaler Effizienz gegen alle tatsächlichen und vermeintlichen Gegner des Regimes vor.

Über 7.000 Menschen wurden im Zusammenhang mit dem Attentat verhaftet. Rund 200 von ihnen wurden hingerichtet, oft nach Schnellverfahren vor dem Volksgerichtshof unter Roland Freisler, der Schauprozesse in grotesker Form inszenierte. Das Strafmaß war meist von vornherein festgelegt: der Tod durch Erhängen, vielfach mit dem besonderen Ziel der öffentlichen Demütigung.

Hitler verstärkte zudem den Zugriff auf die Wehrmacht. Das eigenständige Handeln der Offiziere wurde massiv eingeschränkt, viele von ihnen wurden aus dem Dienst entfernt oder liquidiert. Die „Säuberung“ des Offizierskorps war nicht nur eine politische Abrechnung, sondern ein weiterer Schritt zur Militarisierung des Fanatismus. Die Wehrmacht wurde ab diesem Zeitpunkt zunehmend zur willenlosen Exekutive der nationalsozialistischen Führung.

Die Opferzahlen: Der Krieg nach dem 20. Juli

In den neun Monaten nach dem gescheiterten Attentat starben mehr Menschen als in den gesamten Jahren zuvor. Die letzten Kriegsmonate forderten die höchsten Verluste – auf allen Seiten.

  • An der Ostfront rückte die Rote Armee unaufhaltsam vor. Städte wie Königsberg, Breslau und Budapest wurden in blutigen Kesselschlachten verteidigt, obwohl ihre Einnahme militärisch längst beschlossene Sache war. Das bedeutete hunderttausende Tote unter Soldaten und Zivilisten.
  • Im Westen führten alliierte Luftangriffe zu den verheerendsten Bombardierungen des Krieges. Dresden, Pforzheim, Würzburg, Hildesheim – Städte gingen in Flammen auf, Hunderttausende verloren ihr Leben.
  • Die Wehrmacht führte den Krieg weiter, obwohl alle militärischen Analysen bereits im Sommer 1944 einen Sieg ausgeschlossen hatten. Der Volkssturm wurde aufgestellt, Kinder und Alte wurden bewaffnet, um den Vormarsch der Alliierten zu verlangsamen. Der Begriff vom „Krieg bis zum Untergang“ war keine Prophezeiung, sondern Praxis.

Der Holocaust nach dem 20. Juli

Auch die Vernichtung der europäischen Juden wurde nach dem gescheiterten Attentat nicht gestoppt, sondern beschleunigt. Insbesondere in Ungarn eskalierte der Holocaust in dieser Spätphase des Krieges:

  • Zwischen Mai und Juli 1944 wurden ca. 437.000 ungarische Juden in kürzester Zeit nach Auschwitz deportiert – viele von ihnen wurden sofort nach der Ankunft ermordet.
  • Auschwitz-Birkenau arbeitete im Sommer und Herbst 1944 im Akkordbetrieb. Der Mord an den europäischen Juden war längst industriell organisiert, aber nach dem 20. Juli nahm er eine neue Dringlichkeit an: Die Nazis wollten ihre „Endlösung“ vollenden, bevor der Krieg verloren war.

Die grausame Logik: Das Überleben Hitlers führte nicht nur zum Weiterführen des Krieges, sondern auch zum Vollenden des Völkermordes.

Der Blick auf den Widerstand

Heute wird der 20. Juli 1944 als Gedenktag für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus begangen. Der Mut der Verschwörer steht außer Frage. Doch der Widerstand war – nüchtern betrachtet – isoliert, spät und militärisch unprofessionell umgesetzt.

Viele der Beteiligten handelten weniger aus grundsätzlicher Opposition gegen den Nationalsozialismus, sondern aus der Überzeugung, dass Deutschland vor dem totalen Untergang bewahrt werden müsse. Auch das muss zur historischen Einordnung gehören.

Dennoch bleibt der 20. Juli ein bedeutsames Datum. Er zeigt, dass es auch im totalitären System Menschen gab, die bereit waren, ihr Leben für den Sturz des Tyrannen zu opfern.

Fazit: Ein tragischer Wendepunkt

Der 20. Juli 1944 war kein Wendepunkt im Sinne einer Wende zum Besseren – sondern ein Moment der gescheiterten Chance. Das Attentat hätte den Krieg erheblich verkürzen können. Sein Scheitern führte hingegen dazu, dass die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs die brutalsten und verlustreichsten wurden.

Der Widerstand gegen Hitler war notwendig, aber er war zu spät, zu schwach und zu isoliert. Der Preis des Scheiterns war nicht nur der Tod der Verschwörer, sondern das Weiterdrehen der Mordmaschine bis zum bitteren Ende.

Ein Putsch der Juristen und Banker

Oder: Wie man die Demokratie bei lebendigem Leib beerdigt und es „Klimaschutz“ nennt

Es ist ein leiser Staatsstreich, fast höflich im Ton, ein Putsch mit Füllfederhalter und Robe, nicht mit Bajonett. Die Demokratie wird nicht gestürzt, sondern abgewickelt, wie eine überschuldete GmbH. Die Richter regeln das schon. Die Zentralbank macht den Rest.

Einmal mehr zeigt sich: Der Weg zur Hölle ist mit Verfassungskommentaren gepflastert.

„Natürlich denkt man zunächst an Parlament und Regierung“, säuselt die Verfassungsrichter-Kandidatin, als ginge es um eine Formsache – die parlamentarische Demokratie also, ja, ja, klar, schon wichtig, theoretisch. Aber dann kommt der Satz, der in seiner kalten Frechheit jeden Putschisten der alten Schule erblassen ließe: „Wir stellen aber leider fest, dass sie das Thema nicht schnell genug voranbringen.“

Übersetzung: Die Politik trödelt. Das Volk ist faul. Die Demokratie versagt. Da muss eben die Richterkaste übernehmen. Oder noch besser: die Banker. Die wissen wenigstens, wie man durchgreift, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

Demokratie? Zu langsam, zu dumm, zu hinderlich

Wir erleben die Verrechtlichung der Politik, den Technokratie-Totalitarismus im Nadelstreifen. Klimaschutz wird zur Verfassungsnorm erklärt, und der Gesetzgeber? Der steht daneben wie ein ahnungsloser Hausmeister, dem man die Schlüssel bereits abgenommen hat. Der neue Verfassungsstaat braucht kein Parlament mehr, nur noch Richter mit Weltrettungsambitionen und Banker mit CO₂-Excel-Tabellen.

Demokratie war gestern. Heute regiert das Verwaltungsgericht. Heute diktiert die Zentralbank. Heute entscheidet die BaFin, ob der Mittelständler noch einen Kredit bekommt oder ob sein CO₂-Fußabdruck leider ein bisschen zu groß ist.

Der Wähler? Ach bitte! Der Wähler hat’s verbockt. Immer wieder die falschen Parteien gewählt. Immer wieder den Fortschritt blockiert. Das lässt sich der moderne Funktionärsadel nicht länger gefallen. Die Demokratie war schön, solange sie spurte. Jetzt wird sie begradigt, zurechtgestutzt, wie ein lästiger Heckenwuchs, der den Ausblick auf die große Zukunft verstellt.

Der ökologische Ausnahmezustand als Geschäftsmodell

Der Trick ist genial in seiner Schlichtheit: Man erklärt den Notstand – nicht mit Sirene, sondern mit Fußnoten. Dann übernimmt man die Macht – nicht per Panzer, sondern per Paragraf. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden zu Klimabeauftragten. Die EZB wird zur Weltrettungsagentur. Die Notenbank schwingt den grünen Daumen, der Staatsanwalt kontrolliert den CO₂-Ausstoß, und der Bürger darf sich noch fragen, ob er überhaupt noch existiert – oder ob er längst als Emissionsfaktor in einer Tabellenkalkulation verbucht wurde.

Der demokratische Diskurs? Zu langsam. Die Wahlentscheidung? Zu dumm. Das Parlament? Zu feige.

Also regiert der moralische Komplex aus Juristen, Ökonomen, Zentralbankern und NGO-Lobbyisten. Sie nennen es Verantwortung. Sie meinen: Machtergreifung.

Der neue Adel: Unwählbar, unantastbar, unanfechtbar

Der Vorteil des neuen Systems ist evident: Wer nicht gewählt wird, muss auch keine Wähler fürchten. Zentralbankräte werden nicht abgewählt. Richter auf Lebenszeit nicht abgesetzt. Expertenkommissionen nicht abberufen. Der Souverän ist abgeschafft, aber dafür haben wir endlich die geballte Kompetenz von Harvard, Frankfurt und Brüssel am Steuer.

Wer könnte da noch meckern?

Ach, natürlich ein paar ewiggestrige Demokraten. Die noch glauben, dass Volkssouveränität etwas mit Abstimmungen zu tun hat. Diese Naivlinge verstehen eben nicht, dass der moderne Rechtsstaat den Bürger längst als Risiko betrachtet, nicht als Souverän.

Der neue Staat ist ein Klima-Aufsichtsrat mit integriertem Ethikfilter. Entscheidungen trifft der Vorstand der Erleuchteten, kontrolliert von den Juristen im Verfassungs-Sicherheitsrat.

Die Parlamente dürfen noch Plenardebatten führen – so wie früher der Kaiser seine Schoßhündchen streichelte. Nett anzusehen, aber völlig irrelevant.

Von der „regelbasierten Ordnung“ zur Herrschaft der Richterweisheit

Früher sagte man: Politik ist der Streit um den besten Weg. Heute heißt es: Der beste Weg steht fest, es gibt nur noch die Umsetzung. Wer den Weg infrage stellt, landet nicht mehr auf dem politischen Gegnerstapel, sondern im moralischen Sperrmüll.

Die neuen Herrscher haben keinen Wahlkampf geführt, keine Stimmen gezählt, kein Mandat erhalten. Aber sie haben etwas Besseres: den „Sachverstand“. Der ist bekanntlich unfehlbar. Und wer ihm widerspricht, ist entweder Klimaleugner, Wissenschaftsfeind oder Verschwörungstheoretiker – mindestens.

Die Gerichte urteilen, der Notenbankrat regelt, der Ethikrat flankiert – und die Politik darf die Pressekonferenz machen.

Das Ende der Freiheit – verpackt in Nachhaltigkeitsrhetorik

Es wäre ja fast amüsant, wenn es nicht so tödlich ernst wäre: Während die Bürger noch diskutieren, ob sie Fleisch essen dürfen, wird hinter ihrem Rücken die marktwirtschaftliche und demokratische Grundordnung zerlegt – für das Klima, versteht sich.

Das Recht auf Eigentum? Klar, solange der CO₂-Fußabdruck stimmt.
Das Recht auf wirtschaftliche Betätigung? Natürlich, sofern die EZB zustimmt.
Das Recht auf politische Teilhabe? Aber sicher – nur leider folgenlos.

Wir schaffen gerade die freiheitliche Demokratie ab und nennen es „Transformation“.

Der zynische Nachruf auf die Demokratie

Machen wir uns nichts vor: Der Putsch der Juristen und Banker ist bereits gelungen. Es gab keine Panik, keine Barrikaden, kein martialisches „Wir übernehmen jetzt“. Es war subtiler. Eleganter. Effizienter.

Man hat einfach den politischen Prozess ersetzt durch den Rechtsweg. Die politische Entscheidung ersetzt durch das Urteil. Die ökonomische Freiheit ersetzt durch den moralischen Kreditfilter.

Und der Bürger? Der darf noch beim Heizungstausch mitreden. Vielleicht.

Rest in Peace, Demokratie. Du warst schön, solange du funktioniert hast. Aber jetzt kommen die Profis.

Die Zukunft gehört den Unwählbaren.

Die große Klimakarawane

Willkommen im Zeitalter der Emissionsgala

Es war einmal, in einem fernen, feuchten Landstrich namens Belém, dort wo der Amazonas schnaubt und das CO₂ der Kreuzfahrtschiffe gegen den Urwald dampft, als die Menschheit beschloss, sich ein weiteres Mal zu treffen, um über ihr Überleben zu sprechen. Natürlich nicht irgendwer. Es sind die Besten der Besten, die Klügsten der Klugen, die Empörtesten der Empörten – oder wenigstens deren Vertreter, Berater, Dolmetscher, Lobbyisten, Sicherheitsleute, Social-Media-Betreuer und Instagram-Story-Filmer. Die internationale Elite der Weltklimaretter reist an, vorzugsweise mit dem Privatjet, versteht sich – man will ja nicht den Bus nehmen, wenn’s um den Planeten geht.

Doch oh weh! Die Hotels sind voll. Ein kleines logistisches Missgeschick, könnte man meinen, aber die Lösung? Sie ist so charmant zynisch, dass man glauben möchte, Bertolt Brecht persönlich habe das Drehbuch geschrieben: Man lässt kurzerhand zwei der größten Kreuzfahrtschiffe des Planeten vorfahren, um die Umweltretter zu beherbergen. Und so gleiten demnächst die Costa Diadema (4947 Betten, 7 Pools) und die MSC Seaview (5119 Betten, 16 Restaurants, Teppanyaki inklusive) majestätisch in den Hafen von Outeiro – selbstverständlich nicht ohne vorher noch ein paar hunderttausend Liter Diesel zu verfeuern, denn Klimakonferenzen müssen ja irgendwie warmgehalten werden.

Kreuzfahrt in die Apokalypse

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Während in den Konferenzsälen von Belém die Staatenvertreter wortreich über die 1,5-Grad-Grenze schwadronieren, plätschert auf Deck 14 der MSC Seaview der Whirlpool. Unten im Maschinenraum röhren die Dieselmotoren. 500.000 Liter Sprit pro Tag – das ist kein Fortbewegungsmittel mehr, das ist ein Statement. Etwa 1200 Tonnen CO₂ täglich spucken die schwimmenden Bettenburgen aus, damit sich Botschafter und Verhandler nach einem anstrengenden Panel zu „Zero Emissions 2050“ am Sushi-Buffet entspannen können. Es muss ja nicht immer Teppanyaki sein, aber wenn schon Klimarettung, dann wenigstens all-inclusive.

Natürlich könnte man fragen: Warum nicht einfach Zelte aufschlagen? Oder die Veranstaltung hybrid abhalten, so wie es sich seit Corona eingebürgert hat? Aber dann würde ja das Wichtigste fehlen: das feuchte Händeschütteln, der Networking-Sekt, das persönliche Schulterklopfen beim Sundowner. Der Mensch ist eben ein soziales Tier, und das Klima lässt sich nicht retten, wenn man sich nicht vorher beim Filet Mignon in die Augen gesehen hat.

Der Wahnsinn hat einen Hafen

Der Hafen von Outeiro, bislang eher bekannt für seine bescheidene Existenz am Rand der Weltkarte, wird also gerade ausgebaut. Ein 710 Meter langer Pier, neue Abfertigungsgebäude, 35 Millionen Dollar fließen – für die Infrastruktur der Rettung. Ob der Amazonas davon profitiert? Fraglich. Ob der lokale Fischmarkt jubelt? Eher nein, denn der klimatisierte Sushi-Lieferant aus Tokyo steht eh schon in den Startlöchern.

Aber gut, man darf nicht kleinlich sein. Schließlich geht es hier um das große Ganze. Die Vertreter von 103 Botschaften haben ja schließlich nicht den Job, den CO₂-Fußabdruck zu verkleinern, sondern ihn zu verwalten. Oder, um es präziser zu sagen: darüber zu konferieren, wie man künftig andere dazu bringt, auf Dinge zu verzichten, während man selbst noch schnell ein Dessert vom Schokobrunnen holt.

Der Planet stirbt – aber stilvoll, mit Pooldeck

In einer besseren Welt würde man über diese Farce lachen können. Aber leider leben wir in genau der Welt, über deren Rettung hier gesprochen wird. Man könnte es auch so sagen: Das Zeitalter der symbolischen Politik ist zu Ende, wir befinden uns längst im Zeitalter der symbolischen Parodie auf die symbolische Politik.

Die Kreuzfahrtschiffe vor Belém sind keine Randnotiz, sie sind das perfekte Symbol der modernen Klimadiplomatie: groß, schwer, laut und in ihrer Widersprüchlichkeit so konsequent, dass es schon wieder konsequent ist. Während man drinnen im Konferenzraum Klimagerechtigkeit diskutiert, stehen draußen die Dieseltanks bereit. Während man das Artensterben beklagt, röstet der Ship-Grill auf Stufe fünf. Und während man von Dekarbonisierung schwadroniert, schwimmt ein schwimmender Freizeitpark durch den Hafen, dessen Primärenergiebedarf ungefähr dem von Kleinstädten entspricht.

Das nächste Level der Heuchelei

Man muss den Delegierten nicht böse sein. Sie sind ja nur ein Spiegel des Systems. Der moderne Klimagipfel ist längst nicht mehr der Ort, an dem Lösungen entstehen. Er ist ein Event. Ein Jahrmarkt der Betroffenheit, gepaart mit luxuriösem Eskapismus. Das Schöne daran: Der Widerspruch wird nicht mehr versteckt, sondern zur Kunstform erhoben. Der Kapitalismus rettet jetzt das Klima – und zwar mit exakt den Methoden, mit denen er es ruiniert hat.

Da wäre es ja fast schon ehrlicher, beim nächsten COP-Treffen einen Sponsor aus der Kreuzfahrtbranche direkt ins Logo zu nehmen: „COP31 – presented by Carnival Cruises. CO₂-neutral durch doppelte Buchführung.“ Oder vielleicht gleich einen Themenpark eröffnen? „Klimawelt Belém“, Eintritt inklusive Carbon Footprint Tracker als Souvenir.

Fazit: Der letzte Tanz auf dem Sonnendeck

Vielleicht ist das alles ja auch nur das logische Ende der Geschichte. Die Titanic hatte schließlich auch ein Orchester, das noch weiterspielte, als das Wasser schon an den Stühlen leckerte. Der Unterschied? Auf den Kreuzfahrtschiffen der COP30 gibt es eine Poolbar. Und wahrscheinlich kann man dort auch noch kurz bevor das Klima endgültig kollabiert ein Mojito bestellen. Mit frischer Minze. Aus dem Kühlhaus.

Prost, Weltrettung!

Der Kulturkampf ist tot – es lebe der Kulturkampf!

Über die plötzliche Friedenssehnsucht derjenigen, die jahrzehntelang die Peitsche geschwungen haben

Es ist ein bemerkenswerter Moment, wenn die einstigen Hohepriester der moralischen Lufthoheit plötzlich zur Mäßigung aufrufen. Auf einmal, nach Jahren der kultivierten Verachtung gegenüber dem sogenannten Pöbel, nach Jahrzehnten der Verordnung gesellschaftlicher Transformationspflichten von oben herab, heißt es: „Lasst uns den Kulturkampf doch bitte beenden.“
Wieso gerade jetzt?
Ach, wie rührend. Man solle, so die neuen Friedensapostel, „vom Baum steigen“ – der Baum sei wohl der der Aufklärung, des Fortschritts, der Vernunft, den sich die intellektuelle Klasse stets als ihr exklusives Eigentum vorbehielt. Jetzt, wo die Äste knacken und der Boden der Realität näher rückt, soll es plötzlich ein Miteinander geben.

Der Anlass für diese plötzliche Friedenssehnsucht? Eine Personalie. Oder präziser: die Besetzung eines Richterpostens am Bundesverfassungsgericht. Der Vorschlag der Regierung soll einfach so durchgewunken werden, bitte ohne lästige Debatten, ohne Kulturkampfgeheul, ohne populistisches Gezeter. „Wählt doch einfach, was wir euch vorgeben, dann hört das ganze Theater auf.“
Man könnte es auch einfacher ausdrücken: Kapitulation gefällig?

Moralische Abrüstung als letzter taktischer Trick

Wer den Diskurs kontrolliert, darf bestimmen, wann Schluss ist – nur dumm, wenn der Diskurs plötzlich entgleitet

Natürlich wollen die intellektuellen Eliten den Kulturkampf beenden – jetzt, da sie ihn zu verlieren drohen.
Das ist wie ein Schachspieler, der seit zwanzig Zügen grinsend die Dame auf dem Brett spazieren ließ, sich dann aber plötzlich in der Defensive wiederfindet und ruft: „Lass uns doch bitte Remis machen, das wäre fair.“
Nur: Es war nie ein Spiel auf Augenhöhe. Es war immer ein Krieg von oben nach unten. Eine asymmetrische Auseinandersetzung, in der einer predigt und der andere gefälligst zu parieren hat.

Diejenigen, die heute versöhnlich raunen, haben über Jahre hinweg Meinungen pathologisiert, Debatten moralisiert, Andersdenkende marginalisiert. Sie haben Gender-Sternchen zu Glaubensfragen gemacht, jeden Zweifel an Migrationspolitik mit dem Etikett „rechts“ beklebt und dabei jeden Widerspruch mit einem süffisanten Lächeln abgetan – als sei es der naive Furor des Hinterwäldlers, der die Komplexität der Welt nicht versteht.
Doch siehe da: Der Hinterwäldler hat inzwischen Internet, Plattformen, eigene Medienkanäle. Und schlimmer noch: Er wählt. Und zwar manchmal das Falsche. Oder – aus Sicht der Hoheitsverwalter der guten Moral – das absolut Undenkbare.

Wer die Gesellschaft umerzieht, muss mit Rückwirkung rechnen

Ein Nachruf auf den pädagogischen Furor der letzten Jahrzehnte

Seit den 90ern läuft das große Umerziehungsprogramm, hübsch verpackt als Wertewandel. Alles wird „sensibilisiert“, „diversifiziert“, „dekolonialisiert“ – bis auf den gesunden Menschenverstand, der wurde systematisch amputiert.
Der Bürger sollte nicht mehr Bürger sein, sondern Transformationsobjekt. Es gibt kein Tabu, das nicht gebrochen wurde, außer dem, das alles infrage zu stellen. Die eine große Wahrheit wurde gepredigt, vom Klima über den Feminismus bis zum Postnationalismus. Wer nicht spurte, war entweder „nicht mehr ganz auf der Höhe“ – oder gleich ein Feind der offenen Gesellschaft.

Nur: Der gemeine Mensch, der da draußen noch Brötchen holt und nicht in Thinktanks konferiert, hat ein längeres Gedächtnis als vermutet. Er erinnert sich daran, wer ihn jahrelang belehrte, beschimpfte, umerzog. Und plötzlich soll er all das vergessen, weil die Karten gerade schlecht liegen?
Da wird ein Friedensangebot gemacht, das keines ist. Es ist ein Aufruf zur Unterwerfung: „Hört auf, euch zu wehren – dann hört der Krieg auf.“

Der Machtverlust als psychologisches Trauma

Warum die intellektuelle Elite den Populismus nicht versteht – und auch nicht verstehen will

Für die akademische Oberklasse ist es unerträglich, dass der politische Raum wieder streitbar wird – nicht im Sinne gepflegter Debatten bei Rotwein in Berliner Altbauwohnungen, sondern als rauer, widerborstiger Diskurs. Es wird geschimpft, es wird widersprochen, es wird nicht mehr brav mitgespielt. Das gilt als Affront.
Der Populist – das war immer der andere. Der mit dem schlechten Geschmack, dem lauten Ton, dem verdächtigen Dialekt. Dass der Populismus eine direkte Folge des pädagogischen Dirigismus der letzten Jahrzehnte ist, das will man nicht hören. Wer Wind sät, darf sich nicht über Stürme wundern, aber genau das passiert gerade: Man ist beleidigt, dass der Pöbel das Megafon gefunden hat.

Jetzt also die Rolle rückwärts: Der Kulturkampf soll bitte zu Ende sein. Nicht weil man zur Einsicht gekommen wäre, sondern weil man die Kontrolle verliert. Es ist kein Ruf nach Verständigung, sondern der Wunsch nach restaurativer Ordnung:
„Lassen wir das doch alles hinter uns und machen weiter wie bisher. Nur eben ohne diese lästigen Widerworte.“

Von der Hybris zur Panik

Der Moment, in dem der Sieger merkt, dass er selbst am Abgrund steht

Es gibt einen Punkt in jeder Geschichte, an dem der Sieger zu spät merkt, dass der Boden unter seinen Füßen bröckelt. Dieser Punkt ist jetzt. Der jahrzehntelange Feldzug gegen den angeblich rückständigen Teil der Gesellschaft hat eine Gegenbewegung erzeugt, die nicht mehr wegzudiskutieren ist.
Man kann nicht ewig paternalistisch auf Menschen herabblicken, ohne dass sie irgendwann den Blick erwidern – und zwar mit hochgezogenen Augenbrauen und der Faust in der Tasche.

Der Ruf nach Beendigung des Kulturkampfes ist daher kein Friedensangebot, sondern ein Schwanengesang der Deutungshoheit. Man weiß, dass das nächste Kapitel nicht mehr exklusiv geschrieben wird – nicht mehr nur in den Redaktionsräumen der Qualitätszeitungen, nicht mehr in den Talkshows der immer gleichen Gesichter.
Der Kulturkampf wird nicht enden, weil ihn plötzlich alle doof finden. Er wird weitergehen, härter, vielstimmiger, anarchischer. Vielleicht ungerecht, vielleicht schmutzig. Sicher unbequem. Aber: endlich auf Augenhöhe.

Und das ist vielleicht das Bitterste für diejenigen, die jetzt den Frieden beschwören: Dass der Widerstand gegen ihre Kulturrevolution nicht mehr höflich, nicht mehr brav, nicht mehr rückfragend um Erlaubnis bittet.

Er kommt einfach.
Und bleibt.

Der sanfte Käfig – Über das Panoptikum der modernen Welt

Es war einmal ein Philosoph, der träumte von einem Gefängnis, das niemand mehr verlassen will. Ein Ort, an dem die Mauern durchsichtiger sind als Glas, die Wärter unsichtbarer als Götter, und der Gefangene sich selbst bewacht. Jeremy Bentham hieß der Mann, der diesen grotesken Entwurf in die Welt setzte – und wie alle großen Denker scheiterte er am Unwillen der Praxis, seinen Plan umzusetzen. Schade eigentlich, könnte man meinen, doch nur auf den ersten Blick. Denn was damals auf dem Reißbrett blieb, ist heute gelebte Realität, nur mit hübscherer Benutzeroberfläche, WLAN und bunten Icons.

Die Welt ist ein Panoptikum geworden, aber nicht das muffige Gefängnis, das Bentham in feuchten Kellern skizzierte. Nein, es ist ein Designer-Panoptikum mit Selbstoptimierungszwang, GPS-Ortung, Gesichtserkennung, Gesundheits-Apps und personalisierter Werbung. Die Gitterstäbe sind Selfies, Likes und Fitness-Tracker. Der Wachtturm ist ein Algorithmus, und der Wärter? Der ist in den Serverfarmen dieser Welt längst zum Code geworden – kalt, effizient, nie müde, nie abgelenkt. Der Mensch hingegen ist heute nicht mehr Häftling wider Willen, sondern stolzer Teilnehmer an der Selbstüberwachung – freiwillig, euphorisch, statusgeil.

Die Angst der Macht vor der Unordnung – und die Sehnsucht nach dem Algorithmus

Die Geschichte der Überwachung ist eine Geschichte der Angst. Mächtige hassen nichts mehr als Unvorhersehbarkeit. Unordnung riecht für sie nach Revolution, Revolte, Randale. Die politisch Unordnung ist der Albtraum derer, die am liebsten alles unter Kontrolle hätten – oder zumindest so tun, als könnten sie es haben.

Michel Foucault hat das längst seziert: Der Staat überwacht nicht aus Sadismus, sondern aus Panik. Der militärische Reflex ist der Maßstab allen Handelns: präventiv zuschlagen, bevor überhaupt jemand den Gedanken an Widerstand fasst. Der Bürger soll nicht aufbegehren, sondern sich selbst befragen: Habe ich heute schon genug gespurt? Bin ich noch im Soll? Ist mein Profilbild regelkonform? Wer sich selbst kontrolliert, spart den Regierenden die Mühe – eine Win-Win-Situation für das System, das den Menschen zwar Freiheit verspricht, ihn aber zugleich in digitalen Fesseln hält.

Der Panoptismus ist dabei nicht mehr das plumpe Abhören von Telefonen oder das Stalken auf Facebook. Das ist Folklore. Der moderne Überwachungsstaat ist smarter: Er kennt die Datenströme, bevor der Bürger selbst sie erfasst hat. Er berechnet Wahrscheinlichkeiten, Modelle, Muster. Er weiß, was Sie wollen, bevor Sie es googeln. Er weiß, was Sie kaufen werden, bevor Sie das Geld aus der Tasche ziehen. Und weil Sie nichts zu verbergen haben, glauben Sie, dass Sie nichts zu befürchten haben. Das ist der größte Trick der Macht: Sie hat Ihnen eingeredet, dass sie zu Ihrem Besten existiert.

Der Bürger als selbstverwaltetes Sicherheitsrisiko

Wer heute über den Überwachungsstaat klagt, wirkt wie ein analoger Romantiker. Die Mehrheit hat Besseres zu tun: Urlaubsbilder posten, den Puls auf der Smartwatch messen, die Steuererklärung per App erledigen. Datenschutz ist ein nostalgisches Hobby für Philosophie-Professoren, die in Zeitungen schreiben, die niemand mehr liest.

Die Sorge um die eigene Privatsphäre wird längst überlagert vom hysterischen Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Wer heute offline ist, existiert nicht. Wer nicht postet, ist verdächtig. Wer nicht teilt, hat was zu verbergen.

Dabei hat sich die Überwachung perfektioniert, indem sie demokratisch geworden ist: Jeder darf mitmachen. Jeder kann andere ausspionieren. Die Nachbarn, die Kollegen, den Ex-Partner. Sie brauchen keinen Geheimdienst mehr, es reicht ein Instagram-Account. Der Überwachungsturm steht längst nicht mehr in der Mitte des Kreises, er ist überall – in Ihrer Hosentasche, auf Ihrem Nachttisch, in der Cloud.

Und das Beste daran: Der Mensch ist nicht mehr Opfer der Überwachung, sondern Komplize. Er liefert seine Daten nicht unter Zwang, sondern mit einem Lächeln. «Hier bitte, mein Standort, meine Vorlieben, meine Schlafenszeiten, meine politische Meinung, meine sexuellen Präferenzen – macht was draus!»

Der Dilettantismus der Macht – oder: Warum Überwachung trotzdem scheitert

Natürlich gibt es Kritiker, die auf den dilettantischen Umgang der Mächtigen mit ihren Datenbergen hinweisen. Die NSA konnte 9/11 nicht verhindern, der Verfassungsschutz übersah den NSU, und während künstliche Intelligenzen Milliarden von Profilen auswerten, wird der nächste Anschlag vermutlich per Brieftaube geplant.

Doch das ist der falsche Maßstab. Überwachung will nicht Terror verhindern – das wäre ja ein konkretes Ziel. Nein, sie will Atmosphäre erzeugen: den dumpfen Eindruck, dass man jederzeit gesehen werden könnte. Das reicht. Ob wirklich jemand hinsieht, spielt keine Rolle. Der Bürger passt sich schon im Voraus an. Der Terror der Möglichkeiten ist effektiver als der Terror der Tatsachen.

Die große Kunst der Macht ist es, Unschärfe zu kultivieren. Der perfekte Überwachungsapparat muss nicht funktionieren – er muss nur wirken. Ein Verschwörungstheoretiker ist der Traum des Geheimdienstes: Er erledigt die Einschüchterung ganz von selbst.

Von der demokratischen Kuscheldiktatur zur algorithmischen Autokratie

Noch funktioniert das alles relativ harmlos. Zumindest bei uns. Noch. Denn was heute als Lifestyle daherkommt, wird morgen als Zwang empfunden werden. Was heute als Komfort verkauft wird, kann in der nächsten Krise zur Falle werden. Die digitale Infrastruktur des Wohlstands ist auch die Infrastruktur der Repression – man muss nur den Schalter umlegen.

Die chinesischen Sozialkreditsysteme zeigen, wohin die Reise gehen kann: Punkte sammeln für regierungskonformes Verhalten, Minuspunkte für kritische Äußerungen. Bei uns lacht man noch darüber. Man vertraut auf den Rechtsstaat, auf demokratische Kontrollinstanzen. Doch der Algorithmus kennt keine Staatsform. Er ist immer bereit, dem nächsten Machthaber zu dienen – egal ob liberal oder autoritär.

Das panoptische System ist neutral, effizient, emotionslos. Es liebt keine Freiheit, es hasst keinen Widerstand – es will nur optimieren. Und der Mensch, dieser hoffnungslose Anpassungskünstler, wird mitmachen. Immer. Vielleicht wird er murren, ein bisschen protestieren, ein Meme posten. Aber am Ende wird er sein Gesicht freiwillig der nächsten Gesichtserkennungssoftware hinhalten, weil es schneller geht.

Der Schluss, den keiner hören will

Was also tun? Das ist die falsche Frage. Es wird nichts getan. Es gibt kein Zurück. Das Panoptikum ist gebaut – nicht aus Beton, sondern aus Bits. Die Fenster sind offen, das Licht ist an, der Wärter bleibt unsichtbar. Der Mensch sitzt in seiner Zelle und lächelt in die Kamera.

Er nennt es Fortschritt.