Wo die politische Korrektheit bis heute versagt

Martin Luther: Reformator, Antisemit und Verräter der Bauern – Ein düsteres Erbe

Martin Luther gilt als einer der zentralen Gestalten der europäischen Geschichte. Seine Kritik an der katholischen Kirche und sein Aufruf zur Reformation veränderten die religiöse Landschaft tiefgreifend. Doch jenseits seiner Rolle als Reformator steht Luther auch für einen fanatischen Antisemitismus und eine erbarmungslose Haltung gegenüber den bäuerlichen Aufständen. Diese dunklen Seiten zeigen, wie eng religiöser Eifer mit menschenverachtenden Vorurteilen und gesellschaftlicher Brutalität verbunden sein können.

Verrat an den Bauern: Von Hoffnung zu blutiger Verachtung

Die Bauernkriege (1524–1526) waren eine massive soziale Erhebung von Millionen Landwirten gegen jahrhundertealte Unterdrückung. Sie verbanden ihre Forderungen nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit mit den reformatorischen Ideen Luthers, der mit seiner Kritik an der Kirche Hoffnung auf umfassende Erneuerung weckte. Doch statt Solidarität zu zeigen, wandte sich Luther radikal gegen die Bauern.

Im Mai 1525 veröffentlichte er das Pamphlet „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“, in dem er die Aufständischen als „mörderische und räuberische Rotten“ verunglimpfte und die Fürsten aufforderte, die Bauern mit aller Härte niederzuschlagen. Schon die Überschrift offenbart sein Feindbild – Bauern nicht als Menschen mit legitimen Anliegen, sondern als Teufel, die ausgerottet werden müssten.

Er schreibt:

Es ist eine hohe und heilige Sache, dass man solche Rotten mit Feuer und Schwert vertilge.“

Und weiter:

Wer an dieser Plage kein Ende macht, der macht sich schuldig am Blut der Nächsten, und wird vor Gott kein Heil finden.“

Luthers Sprachwahl ist gnadenlos entmenschlichend:

Nehmet also eure Schwerter und Spieße, und schlaget solche unreinen Schweine tot, wie man Schweine tot schlägt, die in den Dreck gefallen sind.“

Er vergleicht die Bauern mit „tollen Hunden“ und „wilden Tieren“:

Es ist besser, dass tausend Unschuldige sterben, als dass eine einzelne Unruhe sich fortpflanze.“

Sein Aufruf ist ein freies Mandat zur Gewalt – ohne Rücksicht auf Menschlichkeit oder Gerechtigkeit. Für Luther gilt die soziale Ordnung als gottgegeben, und jeder Widerstand ist ein Angriff auf Gottes Willen.

Dieses brutale Eintreten für die herrschende Klasse rechtfertigte das Massaker an über 100.000 Bauern, die in Folge der Niederschlagung brutal hingerichtet, gefoltert und verstümmelt wurden. Luther machte sich zum geistigen Handlanger einer sozialen Konterrevolution, die seine eigenen reformatorischen Ideale entstellte und pervertierte.

Der fanatische Antisemit: Luthers Hetze als Fundament des modernen Judenhasses

Noch erschütternder ist Luthers radikaler Antisemitismus, der in seinem Pamphlet „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) einen seiner abscheulichsten Ausprägungen findet. In diesem Werk hetzt Luther offen und unverhohlen gegen jüdische Menschen, ruft zu ihrer Vernichtung und Ausgrenzung auf.

Er fordert unter anderem:

Man soll auch ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecken, auch ihre Häuser zerstören, ja man soll sie zusammenbringen und mit Geißeln züchtigen und zwingen, arbeiten zu gehen und ihr Geld selbst zu verdienen.“

Weiter schreibt er:

Wenn sie uns nicht hören wollen, so sollen sie wie ein toller Hund gejagt und umgebracht werden.“

Seine Forderungen sind konsequent und brutal:

Wir wollen, dass man ihre Wohnungen verbrennt und zerstöre, ihr Bethaus abbricht, ihre Rabbinen das Predigen und Lehren verbiete auf ewig, ihnen den Reiseweg abschneide und ihre Geldgeschäfte untersage...“

Luthers Sprache entmenschlicht die jüdischen Menschen in einer Weise, die keine andere Motivation zulässt als Vernichtung und Ausgrenzung. Er bezeichnet sie als „teuflische Brut“ und „Lügenjuden“, die eine Gefahr für die „christliche Reinheit“ seien.

Sie sind ein verstocktes, stolzes, höhnisches Volk und Teufel auf Erden.“

Die Schärfe seiner Worte zeigt, wie tief sein Hass verwurzelt war. Luthers antisemitische Schriften trugen maßgeblich dazu bei, den Boden für spätere Judenpogrome in Europa zu bereiten. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden sie von antisemitischen Bewegungen, insbesondere den Nationalsozialisten, als Legitimation und Rechtfertigung für systematischen Judenhass herangezogen.

Sein Antisemitismus war kein marginaler Ausrutscher, sondern ein integraler Bestandteil seiner Theologie, ideologisch aufgeladen und mit einer vermeintlich göttlichen Legitimation versehen.

Ein Mensch der Widersprüche: Vom Glaubenshelden zum moralischen Versager

Luthers Leben ist geprägt von tiefen Widersprüchen. Einerseits der mutige Reformator, der die katholische Kirche herausforderte, andererseits der erbarmungslose Feind der gesellschaftlichen Veränderung und der fanatische Hetzer gegen Juden.

Seine Theologie diente nicht der Befreiung der Schwachen, sondern der Festigung bestehender Machtstrukturen. Statt sozialer Solidarität propagierte er blindes Gehorsam gegenüber der Obrigkeit – auch wenn diese die einfachen Menschen mit Gewalt unterdrückte. Seine Reformen waren weniger Ausdruck humanistischer Werte als Mittel zur Kontrolle und Machtsicherung.

Luther war kein Verteidiger der Armen und Entrechteten, sondern ein ideologischer Brandstifter, der die autoritäre Ordnung stützte und auf Kosten der Schwächsten verteidigte. Seine politische Rücksichtslosigkeit wird in der Vernichtung der Bauernbewegung ebenso deutlich wie in seiner Hetze gegen die Juden.

Wie konnte ein Mann, der sich selbst als von Gott gesandt sah, solche Grausamkeiten rechtfertigen? Die Antwort liegt in seinem kompromisslosen Weltbild, das religiöse Überzeugung mit politischen Interessen vermischte und die Menschlichkeit hinter Machtansprüchen zurückdrängte.

Fazit: Ein kritischer Blick auf Luthers Vermächtnis

Martin Luther ist weit mehr als nur der Vater der Reformation. Er steht exemplarisch für die Gefahren, die entstehen, wenn religiöser Eifer mit Macht und Hass verknüpft wird. Sein antisemitischer Fanatismus und sein brutaler Verrat an den Bauern stellen unverzeihliche Schatten auf sein Werk.

Die Brutalität, mit der er soziale Aufstände verurteilte, und der fanatische Judenhass in seinen Schriften zeigen, wie sehr religiöse Ideologie missbraucht werden kann, um Unterdrückung und Gewalt zu legitimieren. Luthers Erbe muss kritisch und vollständig betrachtet werden – mit seinen Errungenschaften, aber auch mit seinen verheerenden Verirrungen.

Nur so können wir aus der Geschichte lernen und verhindern, dass Glaube und Macht erneut zur Quelle von Hass und Unterdrückung werden.

Vertrauen, Verrat und Projektion: Deutschlands schwieriger Umgang mit Freunden

Zwischen dem Griff nach der Macht und dem Griff nach dem Nächsten

Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal die kluge Hannah Arendt: „Das Problem war ja nicht, was unsere Feinde taten, das Problem war, was unsere Freunde taten.“ Ein Satz, der in seiner simplen Klarheit mehr Seelenzustände und politische Desaster in sich trägt, als manch monumentales Geschichtswerk an mehrbändigen Abhandlungen. Wer aber sind denn nun diese Freunde, die – wie Arendt es so nüchtern konstatiert – letztlich mehr Schaden anrichten, als es die vermeintlichen Feinde je vermocht hätten? Und wer sind die Feinde? Diese einfache Unterscheidung ist spätestens seit den Zeiten, in denen Deutschland im Schachbrett der Weltpolitik als Bauer aufgestellt wird, höchst volatil. Die Freund-Feind-Schemata, in denen man so gern verortet wird, sind weniger stabile Kategorien, sondern wandelbare Positionen, die sich wie schlechte Pantomimen gegenseitig an den Händen ziehen – mal gemeinsam lachend, mal in erbitterter Feindschaft.

Man kann nur hoffen, dass Deutschland in der Not einmal bessere Freunde haben wird, als es selbst einer ist. Diese Hoffnung ist nicht nur Ausdruck einer politischen Sehnsucht, sondern vor allem das Eingeständnis eines tiefen Dilemmas: Deutschlands eigene Freundschaften waren historisch betrachtet meist ein Spiegelbild seiner eigenen Ambivalenzen. Freunde, die sich als opportunistische Partner entpuppten, Freunde, die mehr mit dem Rücken zur Wand als mit offenem Herzen handelten, Freunde, die die eigenen Interessen eher verhüllten als vertraten.

Die Freundschaft als Projektion – oder: Wie Deutschland sich selbst im anderen sucht

Freundschaft im internationalen Kontext ist kein romantisches Ideal, sondern ein taktisches Arrangement – das ist keine neue Erkenntnis, sondern eine Binsenweisheit, die dennoch immer wieder mit verklärtem Pathos übermalt wird. Deutschland, in seiner postnazistischen Selbstfindung, hat sich lange bemüht, ein guter Freund zu sein. Die Devise: Verlässlichkeit, Leistungsfähigkeit, Zurückhaltung im Streitfall. Doch war dies wirklich Freundschaft oder nur das nüchterne Angebot eines schnöden Geschäfts, bei dem man möglichst wenig Risiko eingeht? Und wenn der Freund dann im entscheidenden Moment keine Hand reicht, ist die Enttäuschung vorprogrammiert.

Der Clou ist, dass Deutschland selbst im Spiegel seiner Freunde zu sehen ist. Ein Freund, der zum Verräter wird, ein Partner, der im entscheidenden Moment abspringt – all das spiegelt oft die eigenen Unzulänglichkeiten. Deutschlands Freunde waren oft genug Freunde nur in der Theorie, ein Status, der mehr von Wunschdenken als von Realität bestimmt wurde. Im Grunde ist diese Geschichte eine Geschichte der Projektionen: Wir wünschen uns Freunde, die unsere Werte teilen, aber messen sie an unserem eigenen Verhalten und unserer Bereitschaft zum kompromisslosen Bündnis.

Vom Freund zum Feind: Wenn Vertrauen zur Währung wird und Freundschaft zum Poker

Die ironische Tragödie besteht darin, dass Freundschaft im globalen Spiel oft nur ein Poker ist, bei dem die Karten schamlos getauscht und manchmal sogar markiert werden. Die Freunde von heute sind die Feinde von morgen, und die Feinde können sich plötzlich als Freunde entpuppen – je nachdem, wie das Spiel verläuft. Deutschland hat sich in der Rolle des geduldigen Partners gefallen, der selbst dann noch den moralischen Zeigefinger hebt, wenn man ihn längst nicht mehr sehen will.

Doch wie soll man Freundschaft erwarten, wenn man selbst als notorischer Verweigerer von Verpflichtungen auftritt? Wie kann Deutschland bessere Freunde haben, wenn es selbst so oft als schwieriger, berechnender, ambivalenter Freund auftritt? Die Hoffnung auf bessere Freunde ist vielleicht die naivste aller Hoffnungen – oder eben die letzte, die man nicht aufgeben darf.

Die Dialektik der Freundschaft: Ein Blick in den Spiegel

Was also lernen wir aus dem zynisch-polemischen Blick auf das, was Freunde tun? Dass Freundschaft immer auch eine Frage des eigenen Spiegelbilds ist. Wenn der Freund enttäuscht, dann zeigt das nicht nur dessen Schwäche, sondern auch unsere eigene. Vielleicht ist Deutschlands größtes Problem nicht der Verrat von außen, sondern die eigene Unfähigkeit, konsequent Freund zu sein. Denn Freundschaft ist kein automatisches Gefäß, das man füllt und aus dem man nur schöpft – sie ist eine ständige Aushandlung, eine Gratwanderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Und so bleibt, am Ende dieses Essays, die paradoxe Hoffnung: Deutschland möge eines Tages nicht nur bessere Freunde haben, sondern selbst ein besserer Freund sein. Denn nur wer selbst bereit ist, Freundschaft zu leben, verdient sie auch. Bis dahin aber wird die Erkenntnis von Hannah Arendt uns wie ein scharfer Wind um die Nase wehen: Das Problem war ja nicht, was unsere Feinde taten, das Problem war, was unsere Freunde taten. Ein Satz, der bitter schmeckt, aber vielleicht auch wachrüttelt.

Punkt für Punkt zum Glück

Willkommen in der strahlenden Zukunft

Ah, Deutschland im Jahr 2030 – das Land der Dichter, Denker und natürlich: der digitalen Punktejäger! Haben Sie schon gehört? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat im August 2020 die Studie „Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land“ veröffentlicht. Klingt spannend, oder? Nein? Keine Sorge, die wahren Stars des 21. Jahrhunderts sind längst nicht mehr die Dichter oder Denker, sondern die Punktesammler. Und hier liegt die Krux: Die Zukunft, liebe Leserinnen und Leser, ist digital, partizipativ und natürlich freiwillig – so sagt man es jedenfalls, wenn man in Berlin den neuesten Entwurf des digitalen Bonussystems vorstellt.

Denn nichts schreit so sehr nach Freiheit wie ein freiwilliges Punktesystem, das jeden unserer Schritte misst, bewertet und anschließend liebevoll in bonifizierte oder mit Abzügen versehene Alltagshandlungen umwandelt. Ein digitales Nervensystem, das uns wie durch liebevolle, unsichtbare Fäden lenkt, wobei jeder Klick, jede Mülltrennung und jede Abgasreduktion in glänzenden Punkten belohnt wird. Wie modern! Wie demokratisch! Und vor allem: wie unverzichtbar. Man könnte fast sagen, es ist das neue Alphabet der Bürgerpflichten.

Vom Digital Service Act zum digitalen Strafzettel

Doch bevor wir zu euphorisch werden: Das digitale Punktesystem steht nicht allein. Es ist eingebettet in einen cleveren, europäischen Rahmen, der bereits jetzt mit dem Digital Service Act (DSA) eine neue Ära der Kontrolle einläutet. Dieser Akt, so heißt es offiziell, soll „einen sicheren und transparenten digitalen Raum“ schaffen – also nichts anderes als die Bühne bereiten für die ganz großen digitalen Überwachungsschlösser.

Der DSA ist mehr als nur ein bürokratischer Akt – er ist der erste Schritt, um die Bürger*innen im Netz nicht nur zu beobachten, sondern auch zu steuern. Inhalte, Verhalten, Daten – alles wird gezählt und in Form von Punkten bewertet. Nicht von ungefähr heißt es in den offiziellen Umsetzungsplänen: „Ein sicheres, digitales Ökosystem erfordert klare Anreize für positives Verhalten und konsequente Sanktionen für negative Aktionen.“

Ob das bedeutet, dass künftig nicht nur die Mülltrennung, sondern auch das Online-Verhalten (Fake News? Minuspunkt!) in die Punktwertung einfließt, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: Wer im Netz zündet, wird virtuell ausgezündet.

Bargeldgrenzen und der Abschied vom letzten Refugium der Freiheit

Aber es wird noch subtiler: Begleitend zur Digitalisierung der Verhaltenskontrolle sinken die Bargeldgrenzen immer weiter. War es früher eine Frechheit, Beträge über 10.000 Euro bar zu begleichen, so wird bald jeder größere Bargeldverkehr unter die Lupe genommen. Nicht zur Verfolgung von Kriminalität, sondern zur „Effizienzsteigerung der Bonusvergabe“, versteht sich.

Der Abschied vom Bargeld ist nicht weniger als die Ablösung des letzten privaten Freiraums. Bargeldlos zu zahlen bedeutet, sich im gläsernen Netz zu bewegen, wo jeder Euro mit einem digitalen Fußabdruck versehen wird. Und hier kommt der digitale Euro ins Spiel, die Währung der Zukunft – dezentral kontrolliert und zentral gesteuert.

Der digitale Euro: Punkte sammeln mit Geld, das selbst Punkte vergibt

Der digitale Euro ist mehr als nur eine neue Zahlungsart; er ist das Bindeglied zwischen digitaler Identität, Verhalten und wirtschaftlicher Teilhabe. So offenbart ein Konzeptpapier der Europäischen Zentralbank (EZB) eine faszinierende Vision: „Der digitale Euro soll es ermöglichen, gezielte Anreize über monetäre Transfers zu setzen, die Verhaltensänderungen fördern und nachhaltiges Wirtschaften belohnen.“

Klingt nach einer schönen Zukunft: Wer Fahrrad fährt, bekommt 0,5% Cashback, wer mit dem SUV durch die Stadt brettert, kassiert Minuspunkte auf seinem digitalen Konto – und wenn man dann noch mit niedriger Punktzahl einkaufen will, wird’s eng. Denn: „Geld ist Macht“ erhält hier eine ganz neue Dimension.

Das Bonussystem: Freiheit mit Fußfessel

„Freiwilligkeit“ – so schön das Wort klingt, so märchenhaft ist es in der Praxis. Man kann sich kaum der Versuchung entziehen, daran zu zweifeln, ob es wirklich einen freiwilligen Verzicht geben kann, wenn sich die gesamte Gesellschaft in einem ständigen Wettkampf um Punkte, Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe befindet. Schon heute werden wir von sozialen Netzwerken und der Kultur des Vergleichens erdrückt, morgen heißt der Wettstreit um „Likes“ und „Shares“ schlicht „Punkte fürs Klima“, „Punkte fürs Ehrenamt“ oder „Punkte für den Verzicht aufs Auto“. Ein digitales Dorfplatzgericht, das denjenigen bestraft, der den Blick vom Punktekonto abwendet.

Diejenigen, die nicht mitspielen wollen, sind die neuen Nichtwähler: unsichtbar, aber nicht minder verloren. Sie sehen zu, wie die Punktegesellschaft sich formiert, lachen heimlich über die „Augenwischerei“ von Freiheit und Freiwilligkeit – und müssen dennoch die Folgen der Entscheidungen akzeptieren. Die Demokratie 2.0 ist also eigentlich nur Demokratie mit Fußfesseln.

Klima, Fachkräftemangel und der allumfassende Griff nach Punkten

Ach, der Klima­wandel! Er ist der große Motor des Punktesystems, der heilige Zorn, der das Land in Bewegung setzt. Wer hätte gedacht, dass die Rettung des Planeten und die Ordnung des Arbeitsmarkts Hand in Hand gehen würden – über Punkte, versteht sich! Mit der transparenten Bewertung des ökologischen Fußabdrucks wird das Verursacherprinzip plötzlich ganz einfach: Wer viel verpestet, wird bestraft, wer punktet, wird belohnt. So wird Nachhaltigkeit zur Währung der Zukunft, während die Fachkräftelücke durch die clevere Erfassung von Qualifizierungspotenzialen ausgeglichen wird. Der Arbeitsmarkt wird zur Punktbörse, die räumliche Mobilität zum Spielball.

Man darf nur nicht zu genau hinschauen, wieviel Kontrolle und wieviel Überwachung in diesen wunderbaren Mechanismen steckt. Wie praktisch, dass der wirtschaftliche Aufschwung gerade so rosig ist, um diese technokratische Lösung zu finanzieren – sonst wäre es womöglich schwierig geworden, die Bürger von den Vorzügen eines digitalen Punktesystems zu überzeugen.

Die Demokratie in Zeiten des digitalen Nervensystems

Die Einführung war ein Fest der Kontroversen. Nicht etwa, weil es grundsätzliche ethische Bedenken gab, nein, sondern weil man sich darüber stritt, wie der Staat seine Rolle ausfüllt und wie die Daten monetarisiert werden sollen. In guter alter deutscher Manier wurde die Lösung im partizipativen Ringen gefunden: ein Punktesystem, dessen Regeln nicht von oben herab diktiert, sondern im Dialog erarbeitet werden. So viel Demokratie im Algorithmus!

Trotzdem, und das ist das wirklich Interessante, wird das System zur gesellschaftlichen Norm. Die Punkte werden zum Maßstab – nicht nur für Verhalten, sondern für Wertvorstellungen. Die Homogenisierung ist die dunkle Kehrseite dieser neuen Ordnung. Die „Dauerabgehängten“ bleiben zurück, ihre Punktekonten leer, ihre Chancen gering. Eine digitale Kluft, die neue Konflikte schafft, die aber ebenfalls über die Plattform der digitalen Demokratie ausgetragen werden – mit Abstimmungen, digitalen Petitionen und endlosen juristischen Prozessen.


Das Ende der Werte? Oder das Versprechen einer neuen Ordnung?

Der Übergang zur Steuerung durch Punkte bedeutet auch das Ende der klaren Trennung zwischen politischem Ziel und persönlicher Moral. Werte sind keine innere Überzeugung mehr, sondern algorithmisch messbare Attribute. Die Transparenz dieses digitalen Nervensystems verringert die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit – doch zu welchem Preis?

Wir beobachten eine seltsame Spaltung: Auf der einen Seite die begeisterten Punktesammler, die mit leuchtenden Augen in ihre digitalen Konten schauen; auf der anderen Seite eine kleine, aber laute Minderheit, die das System als Kontrollinstrument, als Feind der Freiheit begreift und gegen das unsichtbare Netz der Punkte aufbegehrt.


Epilog: Die Zukunft wartet – und wir dürfen noch warten

Die Pläne sind da, wir müssen nur noch warten. Warten auf die Punkte, auf die Zukunft, auf das Versprechen einer besseren, gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft. Doch Vorsicht, liebe Leserinnen und Leser: Zwischen den Zeilen dieses glänzenden Zukunftsentwurfs lauert die bittere Ironie einer Freiheit, die freiwillig scheint, aber systematisch alle zu Teilnehmern macht.

Denn am Ende wird aus der Demokratie der Punktediktatur eine Gesellschaft, die sich in Zahlen misst, in Werten aus Punkten denkt und in Konflikten der digitalen Teilhabe lebt. Und wenn dann eines Tages jemand sagt: „Wir haben es so gewollt“, dann sollte man sich fragen, ob das „wir“ nicht längst nur noch eine kleine Mehrheit in einem digitalen Punktespiel war.

Punkte, Punkte, Punkte – die neue Währung der Freiheit. Die Pläne sind da, wir müssen nur noch warten!

Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur „Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land“

Sie wussten es vor uns:

Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit; wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.“ – George Orwell, 1984


Ein Volk, das bereit ist, seine Freiheit gegen ein bisschen Bequemlichkeit einzutauschen, verdient weder Freiheit noch Bequemlichkeit.“ – Aldous Huxley, sinngemäß aus Schöne neue Welt


Sie lebten glücklich und sorglos bis ans Ende ihrer Tage, und niemand hatte je eine Flamme der Rebellion entfacht.“ – Ray Bradbury, Fahrenheit 451

Verarschen können wir uns selber

Die Anklage gegen Friedrich Merz

Angeklagt: Friedrich Merz, CDU, Kanzlerdarsteller, Selbstdarsteller in Sachen Staatsräson.
Tatvorwurf: Politischer Wortbruch, Verrat an Israel, Missbrauch historischer Verantwortung zu Wahlkampfzwecken.
Tatzeit: Januar bis August 2025.
Tatmittel: Mikrofon, Presse, kalte Berechnung.

Der feierliche Schwur – und seine Verpuffung

Am 23. Januar 2025 steht Friedrich Merz vor der Nation und der Welt. Er spricht von Staatsräson, nicht als Option, sondern als unantastbare Verpflichtung. Er verspricht, dass unter seiner Führung alles, was Israel zu seiner Selbstverteidigung braucht, geliefert wird. Er schwört, Taten sprechen zu lassen, nicht bloße Worte.

Das war kein Nebensatz. Das war der Kern seiner außenpolitischen Selbstdefinition. Es war ein Wort an Israel – und an die Welt –, dass Deutschland unter ihm ein verlässlicher Partner sei.

Doch dieser Schwur hatte ein Haltbarkeitsdatum von gerade einmal sieben Monaten. Am 8. August 2025 kippt Merz um. Statt Waffenlieferungen: Boykott. Statt Rückhalt: Distanz. Statt unerschütterlicher Solidarität: Berechnung, Ausrede, Abkehr.

Die Dimension des Verrats

Dies ist kein taktischer Rückzieher. Dies ist ein politischer Wortbruch mit strategischem Kollateralschaden. Wer einem Partner in einer existenziellen Bedrohungslage öffentlich Waffenhilfe zusichert und diese dann verweigert, begeht Verrat – Verrat an einem Staat, der seit seiner Gründung um sein Überleben kämpft, Verrat an der eigenen Zusage, Verrat an der moralischen Grundsatzlinie, die Deutschland nach 1945 gezogen hat.

Merz hat nicht nur sein eigenes Wort gebrochen. Er hat die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der einzigen Frage beschädigt, in der es moralisch keine Relativierung geben darf: dem Schutz Israels.

Missbrauch der Staatsräson

Staatsräson ist kein PR-Accessoire, das man in Wahlkampfzeiten aufsetzt und später wieder abnimmt. Sie ist die schwerste Hypothek deutscher Außenpolitik, erwachsen aus einer historischen Schuld, die nicht verjährt.

Merz hat diesen Begriff zweckentfremdet – als Verstärker seiner eigenen Kandidatur, als moralische Schminke für sein politisches Profil. Er hat Staatsräson deklariert, um sie im entscheidenden Moment zu verraten.

Damit hat er den Begriff selbst beschädigt, ihn entwertet, ihn in den Rang einer hohlen Parole herabgestuft.

Der Schaden ist bleibend

Israel weiß nun: Auf Friedrich Merz ist kein Verlass. Diese Erkenntnis wird nicht verschwinden, auch wenn er morgen wieder das Gegenteil behauptet. Der Schaden ist international sichtbar. Washington sieht ihn. Jerusalem sieht ihn. Und jeder künftige Partner wird wissen: Deutsche Zusagen gelten nur, solange sie wetterfest sind.

Dies ist der eigentliche Skandal: Nicht nur Merz hat sich diskreditiert – er hat die Verlässlichkeit Deutschlands untergraben.

Das Urteil der Geschichte

In den Archiven wird diese Episode eines Tages nicht als kleiner Schachzug vermerkt, sondern als Beispiel für das, was man einen fundamentalen Wortbruch nennt. Als Beleg dafür, dass Prinzipien in Deutschland auch, ausgerechnet exat 80 Jahre nach dem Holocaust noch gegen Opportunismus eingetauscht werden können.

Und wenn in einer Krise wieder gefragt wird, ob man sich auf Deutschland verlassen kann, dann wird dieser Fall als Antwort genügen.

Willkommen im Zeitalter des kollektiven Bauchgefühls

Es ist ein sonderbares Schauspiel, dem wir beiwohnen dürfen: Das 21. Jahrhundert, ein Zeitalter, das uns fliegende Autos, interplanetare Kolonien und zumindest den halbwegs funktionierenden Toaster versprach, erweist sich in Wahrheit als eine schrille Jahrmarktsbude der gefühlten Wahrheiten, der lautstarken Stammtischdogmen und der intellektuellen Selbstentwaffnung. Während wir noch vor wenigen Generationen die segensreiche Ankunft des elektrischen Lichts feierten, erhellt heute die flackernde Leuchtkraft eines Smartphone-Displays vor allem jene Stirnen, die im Kommentarbereich ihre persönliche Ersatzrealität in Versalien ausbuchstabieren. Die Vernunft, einst stolze Lenkerin unserer Schicksale, fristet nun den traurigen Beruf einer unbezahlten Faktencheckerin in Teilzeit, die man jederzeit mit einem launischen „Aber das sehe ich anders“ in den Zwangsurlaub schicken kann.

Und hier, genau hier, beginnt das Drama: Wir haben das Projekt der Aufklärung – jene uralte Verschwörung der Rationalisten gegen die Tyrannei der Unwissenheit – in die Hände einer Generation gelegt, die Wikipedia für einen Beweis und „Mein Bauch sagt mir“ für eine Methode hält. Das ist, um es in aller höflichen Untertreibung zu sagen, ein wenig unglücklich.

Die Aufklärung – ein längst abgelaufener Kassenzettel?

Es ist, als habe man uns im 18. Jahrhundert ein prachtvolles Gesellschaftsbuffet gedeckt – Vernunft, Menschenrechte, wissenschaftliche Methode, Pressefreiheit – und nun stünden wir davor wie schlecht gelaunte Kinder, die sich beschweren, dass die Torte „irgendwie nicht mehr frisch schmeckt“. Wir stopfen uns mit den Früchten der Aufklärung voll, aber wenn es um die Küche, die Köche und das mühselige Rezept geht, winken wir gelangweilt ab: „Brauchen wir das noch?“

Der Humanismus, dieses großartige, fragile Bauwerk, wird heute wahlweise als „Luxusproblem der Wohlstandsgesellschaft“ abgetan oder durch pseudospirituelle Nebelschwaden ersetzt, in denen man lieber „seine eigene Wahrheit lebt“. Die Wissenschaft, die uns von der Blutegeltherapie bis zum Impfstoff in pandemischen Zeiten gebracht hat, sieht sich zunehmend als Bittsteller in der Arena der öffentlichen Meinung – gezwungen, gegen Influencer zu debattieren, deren akademischster Abschluss eine Rabattkooperation mit einem Proteinshake-Hersteller ist.

Man könnte, wenn man es zynisch sehen wollte, sagen: Die Menschheit hat die Aufklärung als Betriebssystem installiert – und versucht nun, im abgesicherten Modus ohne Update weiterzuleben.

Überparteilichkeit – oder: Die radikale Mitte als letzter Rest Vernunft

Was also tun? Wir brauchen eine Bewegung, die sich nicht von den Parteifarben einfangen lässt wie ein paar flatternde Ideenkleckschen im Wahlkampfwind, sondern eine, die sich kompromisslos der Verteidigung jener Prinzipien verschreibt, die weder rechts noch links, weder progressiv noch konservativ im üblichen Sinne sind – sondern schlicht zivilisatorische Mindeststandards.

Das klingt unromantisch, weil es das ist. Die Errungenschaften der Aufklärung sind kein Rausch, sondern eine Hygienevorschrift des Denkens. Man gründet keine Partei für „Zahnhygiene“, man putzt einfach die Zähne. Und doch scheinen wir genau an diesem Punkt zu stehen: Wir brauchen eine organisierte, lautstarke Lobby dafür, dass 2+2 weiterhin 4 ergibt und nicht „ungefähr 5, wenn man’s locker sieht“.

Eine solche Bewegung müsste unbestechlich sein, frei von identitätspolitischen Nebelkerzen, immun gegen Verschwörungsgerüchte und vor allem: bereit, den Preis der Unbeliebtheit zu zahlen. Denn, machen wir uns nichts vor – in einer Zeit, in der Komplexität als Zumutung gilt, wird jeder, der differenziert argumentiert, automatisch verdächtig.

Der Zynismus als letzte Verteidigungslinie

Man wird sie belächeln, diese Bewegung, wie man jeden belächelt, der noch glaubt, der Mensch könne durch Einsicht zum Besseren erzogen werden. Man wird sie als elitär beschimpfen, als „arrogant“ und „realitätsfern“, weil sie es wagt, Realität nicht als Meinungsfrage zu betrachten. Und vielleicht muss diese Bewegung das Lachen, das man über sie ergießt, nicht nur ertragen, sondern erwidern – mit einem milden, spöttischen, aber unerschütterlichen Humor.

Denn Humor ist das letzte Werkzeug derer, die wissen, dass die Welt nicht gerettet wird, indem man sie verklärt. Er ist die höfliche Form des Widerstands, der den Dummheiten der Gegenwart ein ironisches Schulterzucken entgegensetzt, ohne dabei aufzugeben.


Epilog – Der Aufruf

Meines Erachtens – und hier bin ich mir so sicher wie ein Mathematiker beim Addieren kleiner Zahlen – braucht es diese überparteiliche Bewegung. Nicht irgendwann, nicht nach der nächsten Wahl, nicht, wenn die Umfragewerte günstiger sind. Jetzt. Sofort. Wir lassen uns die Aufklärung nicht nehmen, nicht die Vernunft, nicht den Humanismus, nicht die Wissenschaft. Wir sind nicht bereit, den Schlüssel zu diesem Haus der Zivilisation im Briefkasten der Beliebigkeit zu hinterlegen.

Aber dafür muss man etwas tun. Und „etwas tun“ heißt nicht, sich in sozialen Netzwerken empört zu echauffieren und ansonsten den Algorithmus entscheiden zu lassen, was uns wichtig ist. Es heißt, die unbequeme Arbeit zu leisten, den anstrengenden Dialog zu führen, den widerspenstigen Fakten treu zu bleiben – und sich nicht zu fein zu sein, den eigenen Irrtum zuzugeben.

Es mag sein, dass das nicht sexy klingt. Aber die Aufklärung war nie ein Schönheitswettbewerb. Sie war immer ein Handwerk. Und Handwerk, das weiß jeder Meister, überlebt nur, wenn es täglich geübt wird.

Von der Strahlkraft der Prinzipien

– und wie man sie binnen weniger Monate in Altmetall verwandelt

Es gibt Momente in der politischen Geschichte, die so reich an Ironie sind, dass man als Satiriker eigentlich nur noch den Stift niederlegen müsste, weil die Realität längst das bessere Kabarett liefert. Einer dieser Momente ist zweifellos das Schauspiel um Kanzler Friedrich Merz, jenen ehemaligen Oppositionslöwen, der einst mit zornbebender Stimme den zögerlichen Olaf Scholz in Grund und Boden wetterte, weil dieser angeblich nicht schnell genug Waffen nach Israel liefern wollte. Damals war Merz der Mann mit der Staatsräson im Herzen und der Rüstungslieferung im Gepäck. Heute, auf dem Thron der Macht, sitzt er da wie ein pietistischer Wassersparer und dreht denselben Hahn zu, den er einst mit Pathos aufdrehen wollte.

Es ist, als hätte ein Feuerwehrmann, der jahrelang für größere Schläuche gekämpft hat, endlich den Posten des Kommandanten ergattert – nur um im ersten Einsatz zu sagen: „Ach, wissen Sie, Wasser ist doch irgendwie Gewalt.“

Vom Märchen, die Hamas sei nur missverstanden

Die Hamas, so scheint es in den neuen Merz’schen Märchenstunden, sei ein empfindsames Wesen, das durch gutes Zureden zur Einsicht gebracht werden könne – gewissermaßen der grantige Onkel bei der Familienfeier, der nach einem langen Gespräch über die Vorteile einer vegetarischen Ernährung plötzlich den Fleischspieß aus der Hand legt. Dass diese Terrororganisation sich in ihrer DNA nicht durch Dialog, sondern durch Waffengewalt definiert, scheint in Berlin aus dem Kanzlerkalender gestrichen worden zu sein.

Man fragt sich, wie Merz auf dieses schmale Brett geraten ist. Vielleicht wurde es bei einem der endlosen Koalitionsrunden von der SPD gezimmert, lackiert von den Grünen und anschließend von den Liberalen als „innovatives Konfliktlösungsinstrument“ deklariert. Jedenfalls knarzt es bereits bedenklich.

Realpolitik oder Realitätsverlust?

Nun mag der geneigte Politikbeobachter einwenden: „Aber so ist doch Politik – das Bohren dicker Bretter, das Abwägen, das Ausbalancieren.“ Mag sein. Doch hier wird nicht gebohrt, hier wird abgebaut. Die Entwaffnung der Hamas – das erklärte Ziel auch des Kanzlers – soll nun also nicht mehr durch harte, auch militärische Unterstützung Israels, sondern durch „zielstrebige Verhandlungen“ erreicht werden. Man darf sich fragen, wer da wen verhandeln wird: Israel die Hamas oder die Hamas Israel?

Jeder halbwegs nüchterne Beobachter – und damit sind ausdrücklich nicht die Teilnehmer des letzten Koalitionsmeditationsseminars gemeint – weiß, was ein Waffenstillstand ohne strategische Durchsetzung bedeutet: eine Atempause. Nicht für die Zivilbevölkerung. Für die Angreifer. Für jene, die im Süden lauern, im Norden scharren und im Iran die Champagnerkorken knallen lassen.

Die politische Kehrtwende als olympische Disziplin

Es gibt Volten in der Politik, die erfordern akrobatisches Talent. Die jetzige Kehrtwende von Merz jedoch ist so atemberaubend, dass selbst geübte Trampolinspringer schwindelig werden. Aus dem Verteidiger Israels wurde ein Kanzler des Klemmbretts, einer, der den militärischen Notwendigkeiten einen höflichen Brief mit „Wir melden uns“ hinterher schickt.

Damals rief er: „Wer Israels Sicherheit zur Staatsräson erklärt, muss auch liefern!“ Heute könnte er hinzufügen: „… oder alternativ einen inspirierenden Podcast darüber machen.“

Das moralische Vakuum

Wer glaubt, diese neue Politik sei einfach nur harmlos, irrt. Sie ist nicht harmlos – sie ist gefährlich. Sie sendet das Signal, dass Deutschlands Staatsräson verhandelbar ist, dass Prinzipien an der Garderobe der Macht abgegeben werden können wie ein zu sperriger Wintermantel. Für die Hamas bedeutet das: „Durchhalten lohnt sich.“ Für die Hisbollah: „Vielleicht bald euer Turn.“ Für den Iran: „Geduld, Freunde.“

Und für die Menschen in Gaza, die unter der Hamas leiden, bedeutet es: Das Regime kann ungestört weiterherrschen, während die Welt über diplomatische Tischdeko diskutiert.


Schlussakkord mit schalem Beigeschmack

Was bleibt, ist das Bild eines Kanzlers, der sich vom brüllenden Oppositionstiger zum schnurrenden Regierungskater gewandelt hat. Groß war die Stimme, solange er keinen Regierungsordner tragen musste. Jetzt, wo es darauf ankommt, kneift er – und liefert eine Vorlesung in angewandtem Opportunismus.

Es ist der moralische Offenbarungseid in Reinkultur: Staatsräson als Einwegprodukt. Pathos als Wahlkampfdekoration. Und Prinzipien als Saisonware.

Bleibt nur zu hoffen, dass nicht alle Abgeordneten seiner Fraktion in diesem politischen Nebel verloren gehen. Denn Nebel, das weiß man, ist nicht nur schlecht für die Sicht – er ist auch der natürliche Lebensraum von Ausreden.

Im Ernstfall lieber Netflix

Der Patriotismus der Sofadecke: Zwischen moralischer Erhabenheit und Lieferando-Rationalismus

Eine Umfrage also. Schon wieder eine Umfrage. 60 Prozent der Deutschen würden ihr Land nicht verteidigen, hieß es jüngst im RND. Die Reaktion darauf war wie immer: ein kurz entflammtes Medienecho, ein paar warnende Leitartikel, etwas Politiker-Betrübtheit in Talkshows – dann wieder Stille, wie nach einem Furz im Konzertsaal. Dabei ist diese Zahl nicht irgendein Data-Schnipsel aus dem sozialstatistischen Maschinenraum des demoskopischen Zeitgeists. Sie ist eine Monstrosität. Eine demografische Bankrotterklärung. Ein Spiegelbild kollektiver Abwendung, verpackt in höfliche Prozentzeichen.

Wären die Deutschen ein Märchenvolk – was sie ja insgeheim noch immer gern wären, solange der Prinz Bio-vegan ist und das Schloss energetisch saniert – dann wäre diese Zahl das fluchbeladene Orakel aus dem dunklen Wald. 60 Prozent – das ist nicht bloß Resignation. Es ist das Resultat jahrzehntelanger Dauertherapie, Selbstrelativierung, Schuldmantra, gepaart mit dem beruhigenden Summen der Spülmaschine und der Amazon-Prime-App. Im Ernstfall, so scheint es, verteidigt der moderne Deutsche lieber sein WLAN-Passwort als seinen Wohnort.

Von der Wehrpflicht zum Wehrwillen – eine Implosion in Zeitlupe

Es war einmal ein Land, in dem „Dienst an der Waffe“ noch nicht gleichbedeutend war mit „rechtsradikal“, „toxisch maskulin“ oder – Gott bewahre – „zu früh aufstehen“. Doch das ist lange her. Was nach dem Kalten Krieg als Fortschritt gefeiert wurde – die Demilitarisierung der Mentalitäten – hat sich längst als eine Art sittlicher Selbstkastration erwiesen. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, nicht diskutiert. Militär wurde zum Exotikum – irgendwo zwischen Ironie und Ignoranz. Die Bundeswehr? Irgendwas mit Hubschraubern, die nicht fliegen, und Uniformen, die auch Genderfragen beantworten sollen. Bravo.

Der Bürger indes wurde zum Konsumenten seiner Republik: anspruchsvoll, gut informiert, moralisch hochgerüstet – aber bitte ohne Risiko. Das Land soll leisten: Klima retten, Gleichheit fördern, Diversität feiern. Aber wehe, jemand fragt, ob man es im Notfall auch verteidigen würde. Verteidigen? Mit den Händen? Mit Schweiß? Mit Gewalt?

Gewalt ist schließlich böse. Lieber diskutiert man über Mikroaggressionen als über Munitionsreserven. Und so geht das große Mißverständnis weiter: dass Frieden ein Zustand sei, der sich durch gute Laune und korrektes Gendern dauerhaft sichern lasse.

Moralweltmeister im Luftschutzbunker: Die neue Kriegsführung ist kognitiv

Doch bevor wir die 60 Prozent endgültig auf den Scheiterhaufen der Feigheit werfen, sollten wir uns eines klarmachen: Diese Absage an die Verteidigung hat ihre eigene Rationalität. Der moderne Deutsche ist kein Deserteur – er ist ein Post-Militarist. Er glaubt, er sei über Krieg erhaben. Dass sich das Land durch moralische Überlegenheit schützt – durch das feine Gespür für globale Ungerechtigkeiten, durch vegane Wochenmärkte, durch ein fehlerfreies Benennen aller marginalisierten Gruppen. Warum also kämpfen, wenn man diskutieren kann?

Der Feind, so glaubt man, wird sich durch Scham überwinden lassen. Man wird ihm die historische Verantwortung erklären, ihn mit Correctness bombardieren, ihn in Workshops zwingen. Und wenn das nicht hilft: Sanktionen! Embargos! Notfalls eine scharf formulierte Petition! Dass der Feind möglicherweise nicht auf dem gleichen Ethik-Seminar war – das wird als kulturelles Defizit gewertet, nicht als Bedrohung.

Die Generation Zieht-Nicht-Los: Von Avocados, Ambivalenz und Ausreden

Es ist nicht nur die älter werdende Bevölkerung, die sich auf ihre Eigenheime zurückzieht wie eine Schnecke ins mobile Tiny House. Es ist vor allem die Generation der Digitalisierten, die in den Zahlen der Umfrage am deutlichsten Nein sagt. Die „Generation Z“ ist eben keine „Generation Zieht-Los“. Sie ist fluide, adaptiv, pazifistisch – und voller Angst, dass eine Uniform den Algorithmus sprengen könnte.

Ihre Vorstellung von „Kampf“ beschränkt sich auf Twitter-Diskussionen, wo 280 Zeichen reichen, um Weltpolitik zu verurteilen. Ihre Vorstellung von Mut? Coming Out, Gender-Statement, Flugverzicht. Alles respektabel. Nur: Wenn der Panzer vor der Tür steht, hilft keine Triggerwarnung. Und spätestens dann stellt sich die Frage, ob man ein Land nicht auch mal körperlich verteidigen muss – oder ob man die Aufgabe lieber an Polen outsourct.

Die Komfortzone als Vaterland – und warum das nicht reicht

Wofür würde man also kämpfen? Für das Grundgesetz? Für das Recht, in Jogginghose zum Bäcker zu gehen? Für die Freiheit, sich an allem zu stören? Der Patriotismus der Deutschen ist ein zärtlich umsorgter Schatten: kaum greifbar, stets moralisch legitimiert, aber im Ernstfall unbrauchbar. Wer heute sagt, dass er sein Land liebt, muss sich rechtfertigen – und wehe, er tut es zu leidenschaftlich.

Und so lieben wir dieses Land am liebsten indirekt: über seinen Nahverkehr (wenn er denn fährt), seine Bürokratie (wenn sie denn reagiert), seine Demokratie (wenn sie denn nicht polarisiert). Aber wehe, dieses Land fordert etwas zurück. Dann wird aus der „wehrhaften Demokratie“ ganz schnell eine „wehrlose Demokratie mit Handyvertrag“.

Fazit oder: Wenn das Vaterland ruft – und keiner geht ran

Vielleicht ist die Umfrage kein Skandal, sondern nur ehrlich. Vielleicht wissen 60 Prozent einfach sehr genau, was auf dem Spiel steht – und dass sie es nicht mehr retten können. Oder nicht retten wollen. Vielleicht haben sie längst beschlossen, dass man seine Heimat auch im Exil lieben kann, mit deutschem Brot in Portugal und GEZ-freier Sonne.

Doch eines bleibt: Wer nicht bereit ist, für sein Land zu kämpfen, darf sich nicht wundern, wenn es eines Tages nicht mehr da ist – oder nicht mehr seins ist. Heimat ist eben kein Netflix-Abo, das man kündigt, wenn’s unangenehm wird. Sie ist auch kein Konzept, das man endlos dekonstruieren kann, ohne dass es irgendwann zusammenbricht.

Am Ende bleibt eine unbequeme Wahrheit: Frieden ohne Bereitschaft zur Verteidigung ist nichts als Glück im Ausnahmezustand. Und Glück – wie wir wissen – ist flüchtig. Besonders in Europa. Besonders heute.

Kurz & Thiel, statt Kurz & Gut

Vom Ballhausplatz ins Silicon Valley – eine Karriere wie aus dem Lehrbuch „Machiavelli für Anfänger“

Es war einmal ein junger Mann mit einem Scheitel, der so scharf gezogen war wie seine rhetorischen Kanten. Er sprach in Halbsätzen, regierte in Dreiviertelwahrheiten und lächelte wie jemand, der den Unterschied zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung schon als Kind nicht nur begriffen, sondern strategisch verinnerlicht hatte. Dieser Mann hieß Sebastian Kurz. Nun ist er fort. Verschwunden wie ein Politprojekt nach der ersten Hausdurchsuchung, aufgetaucht – oh Ironie! – im Silicon Valley, dieser postpolitischen Parallelwelt, in der Libertäre und Datenkapitalisten eine Weltordnung träumen, die selbst Ayn Rand rot werden ließe. Kurz arbeitet jetzt für Peter Thiel, den Silicon-Sith-Lord der libertären Tech-Oligarchie. Die Titulierung: „Global Strategist“. Das klingt ein bisschen wie „Weltverschwörer mit Business-Class-Meilen“ – und passt also perfekt.

Der Ex-Kanzler als Exil-Mentor: Vom Sesselkreis der Ministerratssitzung zur Schwafelrunde im Ideeninkubator

Dass Kurz nicht Kanzler blieb, war ein Akt der politischen Thermodynamik. Ein Körper, der sich so schnell erhitzt wie seine Umfragewerte, kühlt umso schneller ab, wenn das System beginnt, sich selbst zu befragen. Sein Rücktritt – pardon, „Rückzug zur Vermeidung von Schaden“ – war so staatsmännisch wie ein Exit aus einem schlecht laufenden Start-up. Nur dass dieses Start-up ein Land war. Österreich, um genau zu sein. Nun also Amerika, Land der unbegrenzten Opportunitäten, wo politische Restposten in Think Tanks recycelt werden, wo Altkanzler zu Jungstrategen mutieren dürfen. Dass Peter Thiel ihn aufgenommen hat, ist weniger ein Ritterschlag als eine Form von politischer Adoption – der Zögling der FPÖ-kompatiblen Mitte darf nun für den Antidemokraten mit PayPal-Vergangenheit und Trump-Folien arbeiten. Kurz, der sich stets als moderner Mitte-Messias inszenierte, tritt nun seine metaphysische Endstufe an: den Aufstieg zum globalisierten Steigbügelhalter des digitalen Feudalismus.

Strategie für die Welt, Herkunft aus dem Trachtenjanker: Ein ethnopolitisches Missverständnis

Es ist schon eine bittere Ironie, dass ein Mann, dessen politische Karriere aus Sätzen bestand wie „Die Balkanroute ist geschlossen“, nun die Türen zu einem amerikanischen Think-Money-Tank geöffnet bekommt, in dem die Welt als Marktsegment betrachtet wird. Peter Thiel glaubt bekanntlich nicht an Demokratie, sondern an Effizienz, Kontrolle, und den kreativen Zynismus des Marktes. Und wer, wenn nicht Kurz, wäre dafür prädestiniert, diesem Weltbild eine menschliche Maske zu verpassen? Er, der Meister der Pseudo-Normalität, der Reduktion des Komplexen auf das Talkshowtaugliche, kann nun sein Talent – das Einlullen durch Formulieren von Irrelevanz – auf globalem Niveau entfalten. Vielleicht wird er sogar eine PowerPoint-Präsentation zur Abschaffung der Allgemeinwahlrechte aufsetzen, in Arial, mit österreichischem Akzent. Natürlich nicht als Empfehlung, sondern „als Diskussionsbeitrag“. Kurz weiß, wie man Dinge sagt, ohne sie gesagt zu haben. Und Peter Thiel weiß, wie man das bezahlt.

Ein Populist als Postdemokrat – Die digitale Wiedergeburt eines europäischen Demagogen

In einem merkwürdig anachronistischen Zug wirkt Kurz in Thiels Welt wie ein Artefakt – ein Populist aus einer analogen Ära, der nun seine zweite Karriere im digitalen Hochkapitalismus beginnt. Doch vielleicht ist genau das seine Stärke: Er hat gelernt, wie man Massen verführt, ohne sie zu verstehen, wie man Vertrauen gewinnt, ohne Glaubwürdigkeit, und wie man Wahlen gewinnt, ohne Verantwortung zu übernehmen. Das sind genau jene Fähigkeiten, die im Silicon Valley heute gefragt sind. Der Mensch als Plattform, die Meinung als Monetarisierungsstrategie, der Staat als lästiges Relikt. Dass Thiel sich Kurz hält wie andere sich eine seltene Uhrensammlung anschaffen, spricht Bände. Kurz ist nun das rhetorische Sammlerstück eines Milliardärs, der glaubt, dass Nationen nur solange relevant sind, wie man ihnen Kryptowährungen verkaufen kann. Was also macht Kurz in dieser neuen Rolle? Vermutlich das, was er immer gemacht hat: viel sagen, wenig tun – aber stets mit strategischer Haltung.

Apotheose eines Scharlatans: Wenn die Realität sich endgültig der Satire ergibt

Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Oder weinen, wenn es nicht so unfreiwillig komisch wäre. Sebastian Kurz, dieser porzellanene Polit-Buddha mit dem Hang zur autoritären Ästhetik, hat sich nun als globaler Stratege neu erfunden – in einem Umfeld, das seine politische Geisteshaltung auf Steroiden betreibt. Wo er einst Demokratie mimte, darf er nun Postdemokratie betreiben. Wo er einst Volkstribun der Mitte war, ist er nun Flüsterer der Machtelite. Dass ein ehemaliger Kanzler eines EU-Landes sich nun zum Denkgehilfen eines Mannes degradiert, der offen mit dem Ende des Westens kokettiert, zeigt nicht nur die innere Leere von Kurz’ politischem Projekt – es zeigt auch, wie bereitwillig sich Opportunismus als Weltanschauung verkleiden lässt.


Epilog: Kurz gesagt – das Ende einer Illusion, der Anfang einer globalen Pose

Was bleibt von Sebastian Kurz? Ein Instagram-Archiv voller bedeutungsloser Staatsbesuche? Ein innenpolitischer Trümmerhaufen mit moralischen Totalschäden? Vielleicht. Doch vor allem bleibt er als Figur. Als Symbol einer politischen Ära, in der Professionalität die Wahrheit ersetzt hat, Inszenierung die Überzeugung und strategisches Schweigen das Handeln. Dass ausgerechnet Peter Thiel ihn nun „Global Strategist“ nennt, ist eine dieser Pointen, die man sich als Satiriker nicht besser hätte ausdenken können. Und vielleicht, nur vielleicht, ist das die eigentliche Pointe: Dass wir alle längst in einer Welt leben, in der sich politische Realität anfühlt wie eine besonders gelungene Parodie. Kurz und Thiel – das ist nicht nur ein Wortspiel. Das ist ein Zeitgeist-Symptom mit Jobtitel.

Humanitäre Logistik als Geisel

oder: Wenn die Erpressung das neue Gesprächsangebot ist

Es war einmal ein kleiner Finger – sagen wir, ein humanitärer Korridor –, der der Weltgemeinschaft gereicht wurde. Nicht aus Großmut, sondern aus dem moralischen Reflex heraus, der alle wohlmeinenden Demokratien seit Jahrzehnten plagt: der unstillbare Drang, sich auch dort verantwortlich zu fühlen, wo man weder Kontrolle noch Konzept hat. Und siehe da, kaum war der kleine Finger ausgestreckt, griff bereits die ganze Hand zu. Mit festem Griff, entschlossenem Blick und einem Forderungskatalog, wie man ihn sonst nur von schwäbischen Vereinsvorständen oder autokratischen Machthabern kennt. Die Hamas – jene tragisch-absurde Mischung aus politischer Bewegung, militärischem Arm und PR-Katastrophe auf zwei Beinen – hat nun erklärt, sie werde erst wieder verhandeln, wenn mindestens 250 Hilfstransporter täglich in den Gazastreifen rollen. Täglich. Als wäre humanitäre Hilfe ein Pizza-Abo. Als wäre die humanitäre Katastrophe nicht Resultat der eigenen Tunnelsystem-Architektur und Raketenspielchen, sondern ein externer meteorologischer Zwischenfall, für den man dringend UN-Schirme braucht.

Das perfide ist: Der moralische Reflex der westlichen Welt – insbesondere Europas, das bekanntlich lieber spendet als spricht, lieber mahnt als handelt – reagiert prompt. Denn wie sagt man so schön in Brüssel: „Wir dürfen nicht die Zivilbevölkerung bestrafen.“ Was in der Theorie stimmt, in der Praxis jedoch bedeutet, dass man mit größter logistischer Sorgfalt die Infrastruktur beliefert, über die sich eine Terrororganisation erst erneuert, dann verschanzt und schließlich erneut verhandelt – von einer Position aus, die ihr überhaupt erst durch diese Hilfe ermöglicht wurde. Willkommen im moralischen Bermuda-Dreieck der Nahostpolitik.

Der Westen zwischen Mitleidsethik und Realitätsflucht – Ein Balanceakt auf der Rasierklinge der Naivität

Es ist das alte Dilemma des Westens, besonders des europäischen, besonders des deutschen: Der Versuch, gleichzeitig moralisch integer und historisch unschuldig zu erscheinen. Das führt unweigerlich dazu, dass man Verhandlungen mit Organisationen führt, deren Charta mehr antisemitische Passagen enthält als ein Telegram-Kanal im dritten Schnapsstadium. Aber Hauptsache, es wird wieder gesprochen. Hauptsache, man hat irgendwas „eingefädelt“. Dass man dabei längst nicht mehr zwischen Täter, Zivilbevölkerung und rhetorischer Nebelgranate unterscheidet, ist nebensächlich – wichtig ist das Gefühl, etwas getan zu haben. Europa ist heute ein Kontinent der Gefühle: Das Handeln ist diffus, das Ergebnis ungewiss, aber das gute Gefühl – das ist sicher. Die Hamas weiß das. Und spielt auf dieser Klaviatur wie ein betrunkenes, aber effektives Krokodil: laut, ungehobelt, aber überraschend zielgenau.

Denn wie sieht das denn aus, wenn 250 LKWs pro Tag gefordert werden? Es sieht aus wie eine humanitäre Maximalforderung, aber in Wahrheit ist es eine strategische Positionierung. Man nennt das auf dem Basar Ankertechnik: Fordere das Unmögliche, um später das Unverschämte als Kompromiss zu verkaufen. Dass Europa dabei erneut das tut, was es am besten kann – nämlich nachgeben, während es so tut, als verhandelte es – ist tragischer Bestandteil eines Spiels, dessen Regeln man längst nicht mehr kennt, geschweige denn beeinflusst.

Das Kanzleramt als Erfüllungsgehilfe unfreiwilliger Außenpolitik

Die Nachricht, dass diese Forderungen über Vermittler kolportiert wurden – an wen genau, bleibt natürlich so wolkig wie eine Sommerrede im Bundestag –, lässt dennoch aufhorchen. Denn in einer idealen Welt wäre das Kanzleramt nicht Anlaufstelle für Gruppen, die Raketen auf Zivilisten schießen und sich dann über die zerstörte Wasserversorgung beschweren. In einer idealen Welt wäre das Kanzleramt der Ort, an dem man rote Linien zieht, nicht rote Teppiche ausrollt. Aber in Deutschland ist die Außenpolitik bekanntlich der Teil der Regierung, der am liebsten vom Innenministerium ignoriert wird und vom Wirtschaftsministerium ausgehebelt – da bleibt nur noch der moralische Fluchtpunkt: Humanität. Der letzte Joker in einem Spiel, in dem alle Karten längst markiert sind.

Statt einer klaren Haltung gibt es nun wieder diplomatische Dialektik im Dreivierteltakt: Ja, man wolle helfen – aber ohne sich instrumentalisieren zu lassen. Ja, man sehe das Leid der Bevölkerung – aber auch das Existenzrecht Israels. Ja, man setze sich für Frieden ein – aber wisse, dass es Partner braucht, mit denen Frieden möglich ist. Und während man sich rhetorisch im Konjunktiv windet, rollt der nächste Konvoi – ach was: die nächsten zweihundertfünfzig – durch die südlichen Grenzübergänge, flankiert von der Hoffnung, dass irgendwo am Horizont die Vernunft auftaucht wie ein UN-Blauhelm auf Heimaturlaub.

Das humanitäre Dilemma: Wenn Mitgefühl zur Munition wird

Die tragische Pointe in all dem ist, dass die Bevölkerung im Gazastreifen tatsächlich leidet – in einem Ausmaß, das sich in westlichen Komfortzonen nicht einmal andeutungsweise nachfühlen lässt. Aber das Leiden dieser Menschen ist längst selbst Teil der politischen Waffe geworden. Je schlimmer es ihnen geht, desto größer der Druck auf Israel. Je mehr Not, desto mehr moralische Erpressungspotenzial gegenüber den hilfsbereiten Demokratien. Der Gazastreifen ist längst nicht mehr nur ein Ort – er ist eine mediale Projektionsfläche, ein globales Traumaspektakel, ein Dauerbrenner in der feuilletonistischen Empörungsliturgie. Und die Hamas? Sie hat verstanden, dass sie keine militärischen Schlachten gewinnen muss. Sie muss nur die richtigen Bilder erzeugen. Und möglichst viele davon.

In dieser Hinsicht ist die Forderung nach 250 Hilfstransportern pro Tag keine moralische Bitte – sie ist eine PR-Strategie. Denn wer „Hilfsgüter“ fordert, stellt sich rhetorisch auf die Seite des Humanismus, auch wenn der eigentliche Zweck darin besteht, die eigene Kontrolle über das Gebiet aufrechtzuerhalten. Und der Westen? Er schluckt diesen Widerspruch wie eine Aspirin gegen den Weltschmerz, zufrieden mit der Illusion, dass Geben stets Gutes bedeutet. Eine gefährliche Gleichung in einer Welt, in der auch die Hilfe längst Teil der Kriegsführung geworden ist.


Fazit: Die Kapitulation der Prinzipien im Tarnnetz des Helfersyndroms

Was bleibt also? Ein bitteres Bild: Eine Terrororganisation, die mit Hilfeforderungen taktische Ziele verfolgt. Eine Bevölkerung, die zwischen den Fronten leidet. Und eine europäische Öffentlichkeit, die sich moralisch überlegen fühlt, während sie mit jeder Lieferung die Bedingungen verschärft, unter denen überhaupt noch verhandelt wird. Man kann das als Tragödie sehen. Oder als Farce. Wahrscheinlich ist es beides zugleich – und genau das macht es so unausweichlich.

Denn der kleine Finger wurde längst gegeben. Die ganze Hand wurde genommen. Und jetzt – verlangt man den Arm, die Schulter, den Oberkörper gleich mit. Und Europa? Es zuckt noch nicht einmal.

Das sanierte Schloss und die stinkenden Schulklos

oder: Von denen da oben und was sie uns unten lassen – die neue Arroganz der politischen Oberschicht

„Sollen Sie doch Kuchen essen“. Was früher das Brot war, ist heute das Klo. Und wer sich einmal mit der Frage beschäftigt hat, wie es um den Zustand der deutschen Demokratie steht, der braucht nicht in komplexe Gremienprotokolle oder Grundgesetzkommentare zu schauen – ein Blick auf die Berliner Schultoiletten reicht. Dort, wo das Volk in seiner frühesten Form lernt, was es bedeutet, zur Gemeinschaft zu gehören – also in Schulen –, beginnt nun die stille Rache der politischen Nichtzuständigkeit: Die Klos werden seltener geputzt. Das ist keine Metapher. Es ist buchstäblich.

Während im Berliner Stadtteil Lichtenberg der Verwaltung offenbar nichts Besseres einfällt, als an Hygiene, kindlicher Mobilität und öffentlichem Grün zu sparen, wird nicht weit entfernt mit schwerem Gerät ein präsidialer Palast errichtet, der mehr kostet als alle Schulkloreinigungen zusammen der nächsten Jahrzente. Und damit wären wir mitten im Herzen der neuen höfischen Politik: Die repräsentative Demokratie hat ihr Herz für den Barock wiederentdeckt – nicht im Geiste, sondern im Gebäudemanagement.

200 Millionen für ein Ersatz-Schloss, 16 Millionen Euro jährlich Miete – für einen Mann, der politisch exakt nichts zu sagen hat, dafür aber sehr schön sagt, dass er nichts sagt. Steinmeier, der wandelnde Entschuldigungsbrief der Bundesrepublik, wird mit seidener Umsicht in sein temporäres Versailles umziehen, während in Lichtenberg Grundschüler sich künftig gut überlegen müssen, ob sie die Schultoilette wirklich jetzt benutzen wollen oder lieber bis nachmittags warten. Wer weiß, wann sie das letzte Mal gewischt wurde.

Die Obenregierung – Politik als Palastbetrieb

Die politischen Eliten dieses Landes haben die Demokratie nicht abgeschafft – sie haben sie nur stilistisch rekonstruiert wie ein Feudalstaat mit WLAN. Die neuen Barone heißen nicht mehr Fugger oder Hohenzollern, sondern haben Doppelnamen, Redenschreiber und mediengerechte Pausen zwischen Sätzen. Ihre Residenzen sind keine Burgen mehr, sondern Verwaltungsneubauten mit polierter Symbolik: Es geht nicht darum, was man tut, sondern wie teuer es dabei aussieht.

Der Bundespräsident hat keine Macht, aber Stil. Das reicht heute aus, um sich ein Gebäude errichten zu lassen, in dem während des Bauprozesses bereits klar ist, dass es danach an andere Ministerien weitergereicht wird – denn leer soll es nicht stehen, das wäre Verschwendung. Im Gegensatz zu Schulkindern, die morgens im Bus sitzen, um in eine Turnhalle zu fahren, in der sie dann nicht schwimmen können, weil das Geld für Transport gestrichen wurde. Dort darf verschwendet werden: Lebenszeit, Lernchancen, Vertrauen.

Es ist, als hätte man sich kollektiv entschlossen, den Begriff „politische Entkopplung“ nicht mehr als Analyse, sondern als Regierungsform zu begreifen. Es regiert, wer es sich leisten kann. Und wer es sich leisten kann, kann auch vergessen, wie es ist, wenn das eigene Kind auf ein Klo geht, das müffelt wie das politische Klima im Bundestag nach einer Nachtsitzung.

Vom Volk zur Kulisse – Bürgerlichkeit als Bühnenbild

Der Bürger, früher Subjekt der Politik, ist längst zum Dekor geworden: geduldet, solange er leise ist, brauchbar, solange er Steuern zahlt, und vollkommen irrelevant, sobald es um Prioritäten geht. Die neue Form der Staatskunst besteht darin, öffentliche Mittel nicht mehr dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden, sondern wo sie gesehen werden. Repräsentation statt Funktion – Hochglanzbroschüre statt Putzplan.

Was in Berlin geschieht, ist kein Einzelfall, sondern eine Blaupause. Man könnte meinen, die politische Klasse dieses Landes habe sich entschlossen, das Land selbst wie eine heruntergewirtschaftete Theaterkulisse zu behandeln: Vorne das glänzende Entrée, hinten bröckelt die Wand. Alles ist Fassade. Und wer sich über Schulklos beschwert, hat einfach das große Ganze nicht verstanden – oder, schlimmer noch, kein Referat im Kanzleramt.

Was kümmert den Palast, ob der Platz vor der Schule vermüllt ist? Was kümmert die Staatslimousine, ob der Schulbus nicht mehr fährt? Solange es genug Fototermine gibt, bei denen man Kindern demonstrativ die Hand schüttelt, während diese überlegen, ob sie lieber ins Gebüsch gehen sollen – weil es dort wenigstens regnet und es riecht nicht so streng wie auf der Toilette.

„Sollen sie doch Kuchen essen“ – Die neoliberale Bastardisierung der höfischen Verachtung

Marie-Antoinettes berühmter Satz – ob er nun historisch korrekt ist oder nicht – wird heute nicht mehr ausgesprochen. Er wird budgetiert. Man sagt nicht mehr offen: „Das Volk soll doch Kuchen essen.“ Man streicht einfach das Brot aus dem Haushalt und serviert sich selbst Kaviar auf der Einweihungsparty des Ersatz-Bundespräsidialamts.

Die Eliten dieses Landes – und wir reden hier nicht von sinistren Verschwörungen, sondern von sehr realen, sehr bürokratischen, sehr selbstzufriedenen Entscheidungscliquen – haben eine Sprache entwickelt, die es ihnen erlaubt, das Elend ihrer Politik in wohlklingende Floskeln zu verpacken. „Priorisierung von Ressourcen“ heißt das dann, oder „strukturelle Konsolidierung“. Gemeint ist: Wir sparen bei euch, damit wir bei uns nicht auf Stil verzichten müssen.

Denn wie sähe das denn aus, wenn der Bundespräsident Staatsgäste in einem Container begrüßte? Wo kämen wir denn hin, wenn Ministerien improvisieren müssten wie Lehrerinnen, die selbst Klopapier mitbringen? Nein, das wäre unwürdig – für sie. Für uns? Gewöhnt euch dran.

Postdemokratie mit Zierleisten – Wenn Repräsentation alles ist

Man könnte nun fordern, das alles müsse anders werden. Aber das hieße, als würde man die höfische Kultur auffordern, doch bitte etwas bürgerlicher zu werden. Als würde man Ludwig XIV. nahelegen, die Steuerlast auf die Bauern zu senken, weil die Toiletten in den Dörfern so schlecht riechen. Die Antwort wäre dieselbe wie heute: höfliches Lächeln, feierliche Reden – und weiter geht’s mit dem Marmorieren der Empfangshalle.

Inzwischen sind die Spielplätze der Republik nicht mehr Orte des kindlichen Frohsinns, sondern Sinnbilder der Sparpolitik. Instandhaltung? Kürzung. Betreuung? Zu teuer. Dafür ist die nächste Pressekonferenz über „Frühe Bildung als Staatsaufgabe“ schon angesetzt. Mit Häppchen, versteht sich.

Was bleibt, ist die stille Resignation der Mehrheit. Die leise Hoffnung, dass wenigstens einer im System bemerkt, wie grotesk das alles ist. Doch die, die es bemerken, können nichts ändern. Und die, die etwas ändern könnten, bemerken nichts – oder profitieren zu sehr davon, dass es bleibt, wie es ist.

Epilog: Der Preis des Glanzes

Europa, Deutschland, Berlin – sie alle rutschen langsam aber sicher in eine Demokratie der Dekoration. Eine Demokratie, die lieber Paläste saniert als Schulklos putzt. Die lieber Werte beschwört, als Bedingungen verbessert. Die lieber symbolisch agiert, als real.

Vielleicht wird in hundert Jahren jemand auf dieses Kapitel unserer Geschichte zurückblicken und sich fragen, wie es so weit kommen konnte. Die Antwort wird irgendwo zwischen einer vergilbten Haushaltsnotiz über Reinigungsintervalle und einem Hochglanzprospekt des Bundespräsidialamts liegen.

Und vielleicht wird ein Kind, das heute in Lichtenberg mit zugehaltener Nase auf ein verdrecktes Klo geht, irgendwann sagen:

„Sollen sie doch regieren – wir waschen uns die Hände davon.“

Wahrheit nach Bildlage: Die Magersucht der Moral

Wenn Bilder lügen, aber Gefühle gewinnen

Es gibt Bilder, die die Welt verändern – zumindest für einen Tweet lang. Bilder, die so erschütternd sind, dass sie jede Kausalität wegblasen wie ein Föhn einen Staubkorn: Ein Kind mit eingefallenen Wangen, aufgerissenen Augen, Haut wie Papier. Kein Kontext, keine Diagnose, kein Ursprung. Nur der Blick – direkt ins Gewissen einer westlichen Öffentlichkeit, die gelernt hat, sich schuldig zu fühlen, noch bevor sie überhaupt verstanden hat, worum es geht.

Und so kam es, dass Osama al-Raqab – fünf Jahre alt, palästinensisch, schwerkrank – zum tragischen Posterboy einer medialen Moralkampagne wurde, die mit Fakten ungefähr so viel anfangen kann wie ein Influencer mit Differenzialrechnung. Die italienische Zeitung Il Fatto Quotidiano setzte Osamas Bild auf die Titelseite, rahmte es mit Pathos, druckte den Holocaust als Subtext dazu, und zündete damit ein moralisches Inferno. „Ist das ein Kind?“ fragte man – rhetorisch natürlich – und meinte damit: „Schaut hin, ihr Schweine, ihr steht auf der falschen Seite der Geschichte.“

Was man nicht erwähnte: Osama leidet an Mukoviszidose. Keine Bombe, keine Blockade, keine kalorienfeindliche israelische Hungerpolitik, sondern schlicht eine genetische Krankheit, die – in Ermangelung medizinischer Versorgung – zu genau den Symptomen führt, die auf dem Foto zu sehen sind. Der Skandal also: kein Hungertod, sondern die vorsätzliche Verwechslung einer Krankheit mit einem Kriegsverbrechen.

Der Skandal hat kein Interesse an der Wahrheit – nur an der Wirkung

Wenn der Journalismus zur Priesterschaft wird, ist das Faktum nur noch störender Ketzerlärm. In der neuen Liturgie des Leids gilt allein das Bild, nicht seine Herkunft. Es geht nicht um das, was passiert ist, sondern darum, wie es aussieht, wohin es passt und wem es nützt. Wahrheit ist in dieser Dramaturgie nur dann willkommen, wenn sie dem Narrativ dient. Ansonsten gilt: Fakten stören, Zweifel zerschellen am moralischen Beton.

Und dann kam – wie immer – die Realität. Die Realität, dieses fiese kleine Biest mit seinen Nebensätzen und Komplikationen: Osama lebt. Er wurde längst evakuiert. Von Israel – dem angeblich alles blockierenden Besatzungsteufel – in Kooperation mit Italien, das, man glaubt es kaum, offenbar nicht nur Slogans, sondern auch Flugzeuge hat. Über 700 Palästinenser wurden so in Sicherheit gebracht. Nicht durch internationale Empörung, sondern durch stille Diplomatie und reale Infrastruktur.

Aber das passte dann irgendwie nicht mehr auf die Titelseite.

David gegen das Narrativ – der Journalist als Nestbeschmutzer

Der zweite Fall, ebenfalls ein Kind, ebenfalls skelettiert, ebenfalls totgeschwiegen, wenn es unbequem wird. Mohammed Zakariya al-Matouq, 18 Monate alt, wurde mit dem ikonografischen Eifer eines säkularisierten Kreuzritters zum Symbol des Hungers in Gaza erhoben – von „Der Zeit“, von Twitter, von der moralisierenden Masse. Nur ein Problem: Das Foto war veraltet. Die Information: längst überholt. Das Kind? Kein Beweis für eine „flächendeckende Hungersnot“, sondern für den selektiven Einsatz von Bildern zur emotionalen Manipulation.

Und dann war da noch David Collier. Ein Journalist, Brite und Israeli, was ihn doppelt disqualifiziert im Wettbewerb um westliche Mitgefühlskompetenz. Er machte das, was Journalisten früher mal taten: recherchieren, überprüfen, widersprechen. Und wurde prompt zum Paria erklärt. Denn in der neuen Moralökonomie gilt: Wer Propaganda enttarnt, ist selbst ein Propagandist. Wer das Narrativ stört, stört die Ordnung. Und wer sich weigert zu weinen, hat keinen Platz mehr in der Debatte.

Die letzte Schlacht: Moral gegen Aufklärung

Es ist eine Ironie der Zeit, dass sich gerade jene, die sich als moralische Avantgarde inszenieren, der Aufklärung verweigern. Dass jene, die sich mit Primo Levi schmücken, seine Warnung ignorieren: dass Entmenschlichung nicht nur durch Gewalt, sondern auch durch Verklärung geschieht. Denn was ist es anderes, als eine Form moralischer Instrumentalisierung, wenn das Bild eines kranken Kindes mit einem Holocaust-Vergleich aufgeladen wird – nicht um das Kind zu schützen, sondern um einen politischen Gegner zu dämonisieren?

„Ist das ein Kind?“ Ja. Aber nicht dein Symbol. Nicht dein Hebel für Schuldzuweisung. Nicht dein moralischer Kurzschluss. Es ist ein Kind mit einer Krankheit, in einem Kriegsgebiet, in einer Welt, die komplizierter ist als ein Instagram-Post.

Der wahre Skandal ist nicht, dass Osama unterernährt ist. Der Skandal ist, dass sein Leid benutzt wird – nicht um zu helfen, sondern um zu hetzen.

Schlussakkord einer verlogenen Rührungsgesellschaft

Der Journalismus ist nicht tot. Er wurde übernommen – von PR-Abteilungen, Twitter-Mobs und moralischen Hysterikern mit Presseausweis. Die Bilder, die heute um die Welt gehen, sind oft keine Fenster zur Wirklichkeit mehr, sondern Projektionsflächen kollektiver Affekte. Man will sich empören, also findet man ein Bild. Man will Schuld verteilen, also erfindet man eine Geschichte dazu. Die Realität wird dabei nicht geleugnet – das wäre zu plump. Sie wird selektiert, dekoriert, choreografiert.

So stirbt der Journalismus nicht durch Zensur, sondern durch Selbstaufgabe. Die Redaktion als moralischer Kampfraum, der Fakten nur duldet, wenn sie nicht stören. Die Öffentlichkeit als Bühne für eine Empörung, die keine Aufklärung will – sondern nur Feindbilder, die gut fotografierbar sind.

Vielleicht ist es Zeit, sich daran zu erinnern, was Journalismus einmal war: ein Dienst an der Wahrheit, nicht an der Erregung. Vielleicht ist es Zeit, wieder zu fragen: Was ist wirklich passiert? Und vielleicht ist es an der Zeit, aufzuhören, kranke Kinder zu heiligen Bildern zu machen – und stattdessen über ihre Krankheiten, ihre Flucht, ihre Medizin zu sprechen.

Aber das verkauft sich halt nicht so gut.

Erdogan & Mazyek – Muslimbrüder im Ungeist

Die Rhetorik der Raserei – Wenn Pathos zur Waffe wird

Es war einmal ein Politiker, der wusste, wie man Mikrofone benutzt. Seine Stimme bebte, seine Hände zitterten vor heiliger Empörung, und seine Worte schlugen ein wie das Urteil eines zornigen Gottes. Recep Tayyip Erdogan, Berufspopulist mit Nebenfach Neo-Osmanismus, hat es wieder getan: Israel sei ein Terrorstaat, und die Bilder aus Gaza seien „viel schlimmer, brutaler und unmenschlicher“ als jene aus den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Nicht nur sprachlich ein nuklearer Erstschlag – sondern auch moralisch das Äquivalent eines moralischen Selbstmords mit Ankündigung.

Solche Sätze sind nicht mehr bloß ahistorisch. Sie sind absichtsvoll zynisch. Sie sind die politische Version von Brandstiftung mit religiösem Anstrich und demagogischer Schminke. Erdogan geht es nicht um Gaza, nicht um Palästina, nicht um das Leiden – es geht um das Ritual: die Inszenierung des starken Mannes, der, in wütender Pose verharrend, seine Stimme erhebt gegen ein „Feindbild“, das wie eine Voodoo-Puppe herhalten muss für alles, was nicht kontrollierbar ist. Israel ist in diesem Theaterstück nicht Gegner, sondern Projektionsfläche für ein tiefsitzendes antiwestliches Ressentiment, verpackt in den Mantel eines humanitären Alarms, dessen Falten jedoch nach Machtgier riechen und nach geopolitischer Berechnung stinken.

Wenn Antisemitismus den Umweg über den Humanismus nimmt

Der Trick ist so alt wie infam: Man behauptet, „nur Kritik an der israelischen Regierung“ zu üben – und gleitet dabei doch mit chirurgischer Präzision in jene toxischen Sümpfe ab, die der postkoloniale Diskurs so bereitwillig flutet. Erdogan moralisiert nicht – er instrumentalisiert. Und er ist nicht allein. Denn dort, wo der Präsident rhetorisch Napalm wirft, folgt oft die verbale Aufräumbrigade von Funktionären, Aktivisten und auch deutschen Repräsentanten muslimischer Organisationen. Wie etwa Aiman Mazyek, der ZDF-taugliche Ex-Frontmann des Zentralrats der Muslime in Deutschland, der bei jeder Gelegenheit betont, dass Antisemitismus „gar keinen Platz im Islam“ habe – nur um dann mit dem nächsten Atemzug Israels Existenzrecht auf moralische Ratenzahlung zu stellen, um nachzuschieben: „„Was wir in Gaza erleben, ist der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte.“, und die Beweise für „erdrückend.“ Hält.

Es ist ein Tanz der Doppeldeutigkeit: Mit dem einen Bein im liberalen Diskurs der deutschen Öffentlichkeit, mit dem anderen in der geistigen Lobby der Ummah. Eine Fußspitze im Talkshow-Sessel, die andere in der ideologischen Moschee. So gelingt das Kunststück, gleichzeitig „gegen jeden Antisemitismus“ zu sein – und doch aus jeder Pore antiisraelischen Groll dampfen zu lassen. Mazyek ist das freundliche Gesicht jener Szene, in der Erdogan der zornige Prophet ist – zwei Gesichter einer Erregung, die sich im Spiegel des Ungeists zur Identität stilisiert.

Die Shoah als rhetorischer Rohstoff

Dass Erdogan die Shoah – das Menschheitsverbrechen der industriell geplanten Auslöschung von Millionen Juden – als Vergleichsgröße für aktuelle Konflikte missbraucht, ist mehr als pietätlos. Es ist kalkulierte Obszönität. Er nimmt das unaussprechliche Grauen und benutzt es als Bühnenlicht für seine eigene politische Pose. Das ist keine verbale Entgleisung. Das ist eine Strategie. Denn je größer die Provokation, desto lauter das Echo. Je drastischer der Vergleich, desto größer die erregte Gemeinschaft, die sich um ihn schart wie um ein Lagerfeuer der moralischen Selbstbestätigung.

Doch wer Auschwitz zur rhetorischen Währung entwertet, beleidigt nicht nur die Toten – er entmündigt auch die Lebenden. Er raubt der Geschichte ihren Ernst und ersetzt ihn durch Pathos, das sich selbst genügt. Es ist die Pornografie der Empörung: visuell überreizt, moralisch schamlos, historisch billig. Und wie bei jeder Pornografie geht es auch hier nicht um echte Nähe, sondern um projizierte Machtfantasien.

Der deutsche Reflex – Ducken, Deuten, Differenzieren

Natürlich: In Deutschland zuckt bei solchen Aussagen der mediale Nerv. Politiker äußern „Unverständnis“, Leitartikel mahnen zur „historischen Sensibilität“, und irgendjemand bei den Grünen schreibt auf X, dass man „alle Seiten sehen müsse“. Es ist der berühmte Tanz um die Ambivalenz, der in Deutschland längst zum Teil des außenpolitischen Vokabulars geworden ist. Man will ja nicht zu hart gegen Erdogan vorgehen – man braucht ihn ja noch für die nächste Flüchtlingswelle, den NATO-Gipfel, das nächste diplomatische Feigenblatt.

Und auch Mazyek wird nicht konfrontiert, sondern konsultiert. Als Vermittler, als Stimme, als Experte. Dass sein Zentralrat kaum Gläubige, aber viele Kontakte zur islamischen Welt hat, spielt keine Rolle. Hauptsache, der Ton ist freundlich, der Bart ordentlich gestutzt und die Empörung wohlartikuliert. Die deutsche Öffentlichkeit will keine Klarheit – sie will Gespräch. Und Gesprächspartner. Und Gesprächsatmosphäre. Und Gesprächskreise.

Währenddessen wird im Gazastreifen gestorben. Und in Tel Aviv gezählt, ob die Sirenen schneller heulen als die Raketen fliegen.

Humanismus als Deckmantel des Ressentiments

Es ist eine besonders perfide Form des Missbrauchs, wenn der Humanismus selbst zur Maske wird. Wer sich auf das „Leid der Palästinenser“ beruft, aber zugleich Israels Existenz dämonisiert, betreibt keine Solidarität – sondern Rhetorikmanagement im Dienste des Hasses. Erdogan ist kein humanitärer Aktivist, sondern ein Autokrat mit Expansionsfantasien. Und Mazyek ist kein Friedensstifter, sondern ein geschickter Navigator durch die Untiefen eines deutschen Diskurses, der lieber Appeasement betreibt, als sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen.

Doch Antizionismus ist längst der akzeptierte Cousin des Antisemitismus geworden – eingeladen auf jedes linksliberale Fest, geschmückt mit den Farben des Regenbogens, doch unter dem Mantel stets das alte Gift. Der Jude als Kolonialist, der Zionismus als Apartheid, die israelische Demokratie als „Judenstaat“ – das sind nicht mehr nur Chiffren, sondern Teil einer politisch salonfähigen Hetze, die sich hinter Betroffenheit verbirgt wie ein Messer hinter einer Serviette.

Schlussgedanke: Der Ungeist als Bruder

Erdogan und Mazyek sind nicht nur Brüder im Glauben – sie sind auch Brüder im Ungeist. Der eine wütend, der andere wohlmeinend. Der eine mit Panzern, der andere mit Pressemitteilungen. Aber beide vereint im Misstrauen gegenüber dem Westen, gegenüber Israel, gegenüber einer Moderne, die sie rhetorisch umarmen, aber innerlich ablehnen. Es ist der Versuch, auf den Trümmern der Aufklärung ein neues, identitäres Haus zu bauen – aus religiösem Stolz, politischem Kalkül und moralischer Verdrehung.

Europa – vor allem Deutschland – täte gut daran, diesen Brüdern nicht zuzuhören, sondern sie zu entlarven. Nicht zu debattieren, sondern zu benennen. Nicht zu differenzieren, sondern zu entscheiden. Denn wer Auschwitz relativiert, verliert jedes moralische Recht, über Menschlichkeit zu sprechen. Und wer Israel delegitimiert, kann nicht gleichzeitig vom Frieden reden.

Der Ungeist hat viele Namen. Zwei davon heißen Erdogan und Mazyek. Es wird Zeit, sie auch so zu nennen.

Aiman Mazyeks Stolperstein der Schande

Ich habe bei der Staatsanwaltschaft Wien Strafanzeige (Sendungs-ID: 1926496Z48) gegen den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Herrn Aiman Mazyek, eingebracht. Anlass war ein am 31. Juli 2025 veröffentlichter Facebook-Post, in dem Mazyek ein digitales Bild im Stil der Stolperstein-Gedenkinitiative präsentierte – beschriftet mit „GAZA – Genozid 2025“ (falsch geschrieben „Genocidi“). Die Kombination von Wortwahl und Bildsprache werte ich als schwerwiegende Verharmlosung des Holocaust.

„Was wir in Gaza erleben, ist der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte.
Die Beweise sind erdrückend.“

Diese von Herrn Mazyek öffentlich getätigte Aussage steht im Zentrum der Anzeige. Ich sehe darin eine Relativierung des Holocausts und eine Missachtung der historischen Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen. Durch die Gleichsetzung aktueller politischer Konflikte mit dem systematischen Massenmord an europäischen Jüdinnen und Juden wird das Gedenken in inakzeptabler Weise instrumentalisiert.

Missbrauch der Stolperstein-Symbolik als Angriff auf die Erinnerungskultur

Die bewusste Nachahmung der Stolperstein-Ästhetik – einem international etablierten Mahnmal für Holocaustopfer – in Verbindung mit einem aktuellen politischen Narrativ wirft nicht nur rechtliche, sondern auch ethische Fragen auf. Ich rege daher zusätzlich eine Prüfung auf Verhetzung (§ 283 StGB) und Verächtlichmachung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) an. Die visuelle Symbolik ist geeignet, antisemitische Emotionen zu schüren und die öffentliche Ordnung zu stören.

Forderung nach rascher Aufklärung und Sicherstellung digitaler Inhalte

Ich fordere die unverzügliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie Sicherungsmaßnahmen bezüglich der veröffentlichten Inhalte. Zudem soll geprüft werden, ob auch medienrechtliche Bestimmungen verletzt wurden. Die Anzeige versteht sich als Verteidigung der Würde der Holocaustopfer und als klares Signal gegen jede Form der Geschichtsverzerrung und Pietätlosigkeit.


https://x.com/GruberLavin/status/1951721083804983578
https://www.facebook.com/photo?fbid=24685215964397535&set=pcb.24685217771064021

Aiman Mazyek – Wenn Schamlosigkeit zur Strategie wird

Das infame Bild und die perverse Umkehrung der Geschichte

Es gibt Momente, in denen Sprache versagt. In denen Worte zu klein, zu schwach, zu zivilisiert sind, um der Niedertracht zu begegnen, die sich da in ihrer ganzen Geschmacklosigkeit auf dem Bildschirm entfaltet. Ein digitaler „Stolperstein“ mit der Aufschrift „GAZA“ – als wäre das millionenfach industriell ermordete jüdische Leben nichts weiter als ein beliebig austauschbares Symbol, bereit, in jede gerade populäre Empörung gegossen zu werden. Daneben die grotesk verstümmelte Vokabel „Genocdi“ – eine AI-Grafik, offenbar von einer KI zusammengekleistert, der man moralisches Empfinden niemals beigebracht hat. Kein Wunder: Der Mensch, der sie veröffentlichte, scheint es selbst auch nicht mehr zu besitzen.

Und als wäre dieses abscheuliche Bild nicht bereits eine Verhöhnung der Erinnerungskultur – als wäre es nicht schon ein einziger Affront gegen die Würde der Holocaust-Opfer und ihrer Nachfahren –, da folgt der eigentliche Skandal erst im Text. Dort nämlich heißt es, das Geschehen in Gaza sei „der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte“. Man reibt sich die Augen. Man liest es noch einmal. Aber ja: Da steht es. Schwarz auf Weiß. Unfassbar – und doch real.

Was soll das sein? Ein Missgriff? Ein Versehen? Nein. Es ist ein Statement. Eine Entscheidung. Eine kalkulierte Entgleisung, die alles in den Schatten stellt, was an Relativierungen, an Holocaust-Verharmlosungen, an geschichtsrevisionistischem Zynismus in den letzten Jahren durch die Öffentlichkeit geisterte.

Diese Formulierung ist nicht nur falsch. Sie ist eine Verhöhnung.

Falsch – weil die Definition von „Völkermord“ ein präziser, völkerrechtlich scharf umrissener Begriff ist, der nicht nach medialer Präsenz, sondern nach Absicht und Durchführung bewertet wird. Verhöhnung – weil sie die industriell betriebene Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden – und vieler anderer Opfergruppen – relativiert, indem sie sie auf eine mediale Quantität reduziert: „höchstdokumentiert“. Was kommt als Nächstes? Der „beliebteste Holocaust“? Die „Top 10 der effizientesten Genozide“?

Das ist nicht bloß geschmacklos. Das ist widerwärtig.

Mit einem Federstrich wird hier der Holocaust in eine Art Vergleichswährung umgewandelt – als könne man das singuläre Grauen von Auschwitz und Treblinka mit einem aktuellen Kriegsgeschehen verrechnen, das in seiner Komplexität, Tragik und politischen Verantwortung nicht in ein simples Täter-Opfer-Schema passt. Und es ist kein Zufall, dass solche Umdeutungen gerade aus den Reihen jener kommen, die sich gern selbst als Sprachrohr der Entrechteten stilisieren, aber offenbar bereit sind, jeden moralischen Kompass über Bord zu werfen, wenn es der eigenen ideologischen Inszenierung dient.

Wer so redet, hat nicht nur jedes Maß verloren – er hat jede Scham abgelegt.

Die Formel vom „höchstdokumentierten Völkermord“ ist ein infamer Angriff auf die historische Wahrheit. Sie ist nichts anderes als ein rhetorischer Brandanschlag auf die Grundfesten unserer Erinnerungskultur. Wer sie gebraucht, stellt sich außerhalb jedes zivilisatorischen Konsenses. Es ist der sprachliche Amoklauf eines Milieus, das sich nicht mehr um Wahrheit, nicht mehr um Differenzierung, nicht einmal mehr um menschliche Würde schert – sondern einzig um die maximale moralische Erpressungskraft des eigenen Opfernarrativs.

Wenn die Shoah zu einem Referenzrahmen wird, den man je nach Bedarf heranzerrt, um tagespolitische Wut zu veredeln, dann ist jede Grenze überschritten. Dann reden wir nicht mehr über Kunstfreiheit oder Meinungsäußerung. Dann reden wir über Missbrauch. Über historischen Missbrauch. Über instrumentalisierte Totenruhe. Über eine unfassbare Perversion des Gedenkens.

Und die Frage, die bleibt, ist nicht: Wie konnte das passieren? Sondern: Warum sind nicht viel mehr Stimmen sofort aufgestanden, um diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten?

Die Vermessung des Ungeheuerlichen – eine juristische, politische und medienethische Analyse

Was hier geschieht, ist nicht bloß eine moralische Grenzüberschreitung – es ist ein tektonisches Beben auf gleich drei Ebenen der öffentlichen Ordnung: der rechtlichen, der politischen und der medienethischen. Und jede dieser Sphären versagt hier, wenn sie nicht mit der gebotenen Klarheit reagiert. Das Schweigen in weiten Teilen des politischen und medialen Mainstreams ist nicht Ausdruck von Differenziertheit – es ist eine Bankrotterklärung.

1. Juristisch: Die rote Linie der Volksverhetzung und der Holocaust-Relativierung

Der § 130 des deutschen Strafgesetzbuches, bekannt als das Gesetz zur Volksverhetzung, ist glasklar: Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die NS-Verbrechen verharmlost, leugnet oder relativiert, macht sich strafbar. Dabei geht es nicht nur um Holocaust-Leugnung im klassischen Sinne. Auch die öffentliche Relativierung durch Gleichsetzung mit anderen Ereignissen – insbesondere solchen, die weder in Art noch in Ausmaß vergleichbar sind – kann strafrechtlich relevant sein.

Die Formulierung vom „höchstdokumentierten Völkermord der Menschheitsgeschichte“ steht gefährlich nah an dieser Schwelle – wenn sie sie nicht gar überschreitet. Denn sie stellt, bewusst oder fahrlässig, eine hierarchische Verschiebung in der historischen Wertung von Genoziden her. Die Shoah, bisher historisch und rechtlich als singulär anerkannt, wird damit in ein Ranking gezwängt – das „meistgefilmte“, das „aktuellste“, das „sichtbarste“ Massaker soll nun höher gewichtet werden als der industriell organisierte Vernichtungsprozess der Nationalsozialisten.

Solche Aussagen sind nicht mehr nur ein Tabubruch, sie sind ein potenzieller Tatbestand. Die Strafverfolgung wäre nicht etwa ein Akt politischer Willkür, sondern eine notwendige Verteidigung der historischen Wahrheit als Rechtsgut.

2. Politisch: Wer so redet, will nicht deeskalieren – er will spalten

Politisch gesehen offenbart der Vorgang einen tiefen Riss in der Integrität des demokratischen Diskurses. Wer in der Position eines offiziellen Repräsentanten – hier: der Vorsitzende eines Zentralrats – mit einer solchen Terminologie hantiert, tut das nicht aus rhetorischem Leichtsinn. Es ist ein kalkulierter Schritt, mit dem Ziel, die politische Erzählung zu verschieben.

Es geht nicht mehr darum, differenziert auf humanitäre Katastrophen hinzuweisen oder legitime Kritik an israelischer Militärpolitik zu äußern – was selbstverständlich möglich und nötig bleibt. Nein, hier wird versucht, durch Umdeutung historischer Wahrheit eine neue politische Hierarchie der Opfer zu errichten, in der das jüdische Leid von gestern dem politischen Nutzen von heute geopfert wird.

Und das kommt zur Unzeit. In einem Land, in dem der Antisemitismus nicht nur aus den rechten Ecken kriecht, sondern zunehmend in linken, migrantischen und pseudo-humanistischen Milieus salonfähig wird, wirkt diese Art von Sprache wie ein Brandbeschleuniger. Sie liefert jenen Kräften argumentative Munition, die unter dem Deckmantel der Israelkritik seit Jahren auf die Relativierung des Holocaust hinarbeiten.

Politisches Handeln bleibt aus. Warum?

Die Reaktion der Parteienlandschaft? Ein gespenstisches Raunen. Hier ein distanziertes Statement, dort eine vage Formulierung über „unglückliche Symbolik“. Niemand nennt die Dinge beim Namen. Dabei wäre es dringend geboten, aus staatlicher Verantwortung heraus zu intervenieren. Nicht mit Zensur, sondern mit politischer Klarheit: Wer die Erinnerungskultur missbraucht, hat in den Räumen institutioneller Repräsentation nichts zu suchen.

3. Medienethisch: Wenn das „Empörungskapital“ zum Geschäftsmodell wird

Auch die Medien tragen eine Mitverantwortung an dieser Entwicklung. In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsökonomie die öffentliche Debatte dominiert, wird moralische Drastik zur Währung – und Fakten zur Nebensache. Die geschmacklose Stolperstein-Grafik wurde innerhalb kürzester Zeit in den sozialen Netzwerken tausendfach geteilt, kommentiert, skandalisiert. Und wie so oft: Nicht der Inhalt zählt, sondern der Effekt.

Journalistische Redaktionen stehen unter Druck – wirtschaftlich, aber auch moralisch. Doch der Reflex, selbst bei solchen Grenzüberschreitungen lediglich einen Tweet zu zitieren, anstatt ihn einzuordnen, ist ein Armutszeugnis. Wo bleibt der kontextualisierende Journalismus? Wo sind die Einordnungen, die erklären, warum bestimmte Begriffe historisch untragbar sind? Warum man „Völkermord“ nicht als semantisches Spielzeug benutzen darf?

Medienethik bedeutet Verantwortung.

Verantwortung dafür, dass die Reichweite eines Beitrags nicht zum Selbstzweck wird. Dass das Publikum nicht allein gelassen wird mit Bildern und Begriffen, die ohne Einordnung gefährlich missverstanden oder gar begrüßt werden können. Dass man nicht, aus falsch verstandener „Balance“, jede Geschmacklosigkeit als „legitimen Beitrag zur Debatte“ duldet. Denn das ist keine Debatte. Das ist ein Missbrauch des Diskurses als Bühne der Selbstinszenierung.

Fazit: Keine Grauzone, kein Dazwischen – nur ein klares Davor und Danach

Was wir hier erleben, ist keine Nuance, kein Fehltritt, kein „missglückter Versuch“ politischer Symbolik. Es ist eine Zäsur. Wer den Holocaust relativiert – durch Bilder, durch Sprache, durch Gleichsetzung –, verlässt den Boden des Sagbaren, Denkbaren, Vertretbaren. Wer dies tut, darf keine Repräsentationsmacht mehr beanspruchen, keine moralische Autorität, keine gesellschaftliche Legitimität.

Das Problem ist nicht nur das Bild. Es ist die Haltung dahinter. Und wenn eine Gesellschaft dazu schweigt, dann zeigt sie nicht Reife – sondern Schwäche.

Und mit Schwäche beginnt der Zerfall.

Die Früchte des 7. Oktober

Wenn das Böse sich bedankt

Es gibt Momente, in denen Geschichte plötzlich die Maske fallen lässt. Kein rhetorisches Gesäusel mehr, keine diplomatisch gebügelte Floskel. Kein „beide Seiten“ oder „wir verurteilen in aller Schärfe“, sondern brutale Klartext-Poesie eines Mannes, der Blut an den Händen trägt und triumphierend grinst wie ein Kind, das beim Schummeln erwischt wurde – und dafür noch belohnt wird. Ghazi Hamad, Hamas-Sprecher, Mordideologe und jetzt auch Finanzmagnat mit angeblich vier Milliarden Dollar auf der hohen Kante, ließ kürzlich verlauten, dass die internationale Anerkennung Palästinas „eine der Früchte des 7. Oktober“ sei.

Der 7. Oktober – das ist nicht einfach ein Datum. Das ist ein blutroter Meilenstein im moralischen Niedergang einer Weltordnung, die vorgibt, humanistisch zu sein, aber nur dann Prinzipien kennt, wenn sie sich nicht in den Weg stellen. Ein Massaker mit Babies in Brand gesteckt, Frauen geschändet, Alte massakriert – und nun also diplomatische Bonbons aus Paris, London und Berlin. Was für eine groteske Symmetrie. Man kann es sich nicht ausdenken, man muss es ertragen.

Europäische Rückgrate – aus Porzellan, in China produziert

Emmanuel Macron, dieser PR-gerechte Universalist mit Napoleon-Komplex im postkolonialen Dauerkonflikt; Keir Starmer, der es nicht wagt, einen Schatten zu werfen, aus Angst, er könnte als „rechts“ gelten; Friedrich Merz, der sich in rhetorischer Zickzackakrobatik längst selbst überholt hat. Und dazu der gesamte technokratische Stab aus Brüssel, der mehr Energie in Gender-Guidelines für EU-Fördermittel steckt als in moralische Grundsatzfragen. All diese Figuren haben Ghazi Hamads Aussage nicht widerlegt, sondern bestätigt.

Was auch immer der Westen mal war – Bastion der Aufklärung, moralischer Kompass, vielleicht sogar gelegentlich ein Hoffnungsschimmer – ist er heute nicht mehr. Er ist ein Komitee ohne Kompass, eine Talkshow ohne Inhalt. Der Dschihad tanzt auf den Trümmern europäischer Prinzipien, und Europas Außenminister nicken höflich im Takt. Eine palästinensische Staatlichkeit – nicht nach einem Frieden, nicht nach einem Konsens, sondern als Preis für ein Pogrom. Man überreicht dem Brandstifter nicht nur die Medaille, sondern auch das Streichholz fürs nächste Mal.

Die Dialektik des Westens: Appeasement als Fortschritt verkauft

Die kognitive Dissonanz ist der neue Soundtrack der westlichen Diplomatie. Es ist der Glaube, dass man Gewalt deeskaliert, indem man ihr nachgibt. Dass man Frieden stiftet, indem man diejenigen aufwertet, die Krieg als heilige Pflicht sehen. Dass man mit Islamisten verhandeln könne wie mit Gewerkschaften – als ginge es um Lohnerhöhungen und nicht um die metaphysische Auslöschung des Andersdenkenden.

Was wir hier erleben, ist nicht bloß Feigheit. Es ist ein Systemversagen, gespeist aus postkolonialem Schuldkomplex, Relativismus und der seltsamen, irgendwie rührenden Überzeugung, dass alle Konflikte lösbar seien, wenn man nur genug Wohlwollen zeigt. Leider hat niemand den westlichen Außenministern gesagt, dass ihre Gesprächspartner keine Skandinavier sind. Ghazi Hamad diskutiert nicht. Er diktiert.

Gut gemeint, schlecht gemacht – oder: Das Paradies der Dilettanten

Die Naivität ist keine Ausrede mehr. Nicht nach Syrien. Nicht nach Libyen. Nicht nach Afghanistan. Nicht nach dem Iran-Deal, bei dem die Ayatollahs vor Lachen kaum in ihre Turbane atmen konnten. Und ganz sicher nicht nach dem 7. Oktober. Die politischen Eliten des Westens sind nicht bloß überfordert – sie sind Mittäter aus Inkompetenz. Ihre Symbolpolitik, ihre Hashtag-Diplomatie, ihre moralische Pose – sie hat reale Konsequenzen. Sie befördert jene, die sie eigentlich bekämpfen müsste.

Das Tragische ist: Der Preis für diese Hybris zahlen nicht Macron oder Merz. Der Preis wird in Ashkelon und Sderot gezahlt, in Gaza von den Geiseln, die Hamas noch immer hält, und auch in Europa, in den jüdischen Gemeinden, die ihre Schulen unter Polizeischutz führen müssen – während der „Free Palestine“-Mob ungestört marschieren darf. Der Westen hat seine Schutzbefohlenen verraten, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen.

Die Früchte des Zynismus

Wenn also Ghazi Hamad zufrieden lächelt, dann nicht, weil er eine PR-Kampagne gewonnen hätte. Sondern weil er verstanden hat, dass er die Regeln neu schreiben darf – mit westlicher Tinte. Was der Westen heute als „Geste des Friedens“ verkauft, wird morgen als „Erfolg des Widerstands“ gefeiert. Und übermorgen? Übermorgen steht Europa erneut fassungslos vor einem Terroranschlag, verfasst eine Schweigeminute und reicht dann einem weiteren Schlächter die Hand.

Diese Früchte, Herr Hamad, mögen süß schmecken für Sie. Doch für die Welt, die sich selbst einmal als frei bezeichnete, sind sie bitterer als jedes Urteil der Geschichte.

Die Rückkehr der Gesinnungsprüferin

oder: Wie ich lernte, die Stasi zu lieben

Es war einmal ein Land, in dem man sich bei den Falschen nicht zu laut räuspern durfte. Dieses Land hieß DDR, was nicht, wie viele heute glauben, für „Die Demokratie rockt“ stand, sondern für „Denunziation, Diktatur, Repression“. Damals, als es noch für eine Aktentasche voll Akten ein Schulterklopfen gab, schrieb eine gewissenhafte Frau unter dem Tarnnamen „Marion“ fleißig Berichte über Menschen, die dachten, sie seien ihre Freunde. Heute, ein paar Regime und Erinnerungen später, ist Marion auferstanden – nicht in Gestalt einer Mahnerin für das, was war, sondern als Tugendwächterin dessen, was sein darf.

Maja Wiens, Jahrgang 1952, gebürtige DDR-Bürgerin, gelernte Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit, ist heute das, was man in geförderten Broschüren „zivilgesellschaftliches Engagement“ nennt. Einst führte sie Protokoll über das subversive Verhalten ihrer Umwelt – zum Beispiel unbewilligte Lektüre westlicher Zeitschriften, falsche Freunde oder fragwürdige Liedtexte. Heute führt sie Protestzüge gegen Faschismus und Rassismus an – mit akkurat dekliniertem Plakat und einem unerschütterlichen Blick, der sagt: „Ich weiß, was du letzten Sommer gewählt hast.“


Wer einmal denunziert hat, dem glaubt man nicht

Früher war es der Klassenfeind, heute ist es der politische Feind, der ins Visier gerät. Man könnte fast meinen, es handle sich um eine durchgängige Karriere im selben Berufszweig – nur dass der Dienstherr gewechselt hat und der Etat heute vom Familienministerium stammt, statt vom Ministerium für Staatssicherheit. Was sich nicht geändert hat: der Furor, mit dem die Abweichler vom rechten Weg identifiziert und angeprangert werden.

Natürlich könnte man sagen: Menschen ändern sich. Reue ist möglich, Läuterung auch. Doch davon spricht Maja Wiens nicht. Sie gibt sich nicht als geläuterte Täterin, sondern als moralische Instanz – die letzte Verteidigungslinie gegen die Finsternis, gegen alles, was nicht in ihren antifaschistisch-korrekt kalibrierten Kompass passt. Dass ihre eigene Vergangenheit dabei nicht stört, sondern offenbar qualifiziert, lässt tief blicken – vor allem in die Mechanik heutiger Erinnerungskultur.


Die Reinwaschung der Vergangenheit: Jetzt mit Bio-Siegel

Denn die Geschichte von Maja Wiens ist auch die Geschichte einer beunruhigenden Amnesie. Eine Gesellschaft, die sich als antifaschistisch definiert, scheint bereit, so ziemlich jede Biografie zu verzeihen – solange das Narrativ stimmt. Das heißt: Wer heute gegen rechts ist, kann kaum zu Unrecht je gegen links gewesen sein. Die DDR? Ein Betriebsunfall. Die Stasi? Ein Missverständnis. Die IM-Akte? Ein dunkles Kapitel, aber das Buch hat doch ein gutes Ende. Happy End mit Förderantrag.

Es verwundert da kaum, dass Wiens 2024 den Aachener Friedenspreis bekam – ein Preis, der schon öfter mehr für Gesinnung als für Gewissen verliehen wurde. Der Thüringer Demokratiepreis folgte, als wäre er auf ihre Biografie maßgeschneidert: vom Spitzel zur Demokratin in nur vier Jahrzehnten – ganz ohne öffentliche Entschuldigung, aber mit medienwirksamem Einsatz gegen die AfD. Wer braucht schon Läuterung, wenn man Haltung hat?


Wenn Moral zur Währung wird

Maja Wiens ist nicht die Ausnahme. Sie ist das Symptom. Ein Paradebeispiel für eine Zeit, in der Moral nicht mehr aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld erwächst, sondern aus dem richtigen Feindbild. Wer gegen rechts ist, ist automatisch gut. Und wer gut ist, bekommt Preis, Presse und Projektmittel. Dass die gleichen Methoden zur Anwendung kommen – Beobachtung, Denunziation, soziale Ächtung – ist kein Widerspruch, sondern fast schon ein ironischer Zirkel der Geschichte.

Es braucht keine Stasi mehr, wenn die Zivilgesellschaft bereitwillig ihre Rolle übernimmt. Heute schreibt man keine Akten mehr, man schreibt Tweets. Früher landete man in der Personalakte, heute auf einer Watchlist antifaschistischer Blogs. Die Methoden ändern sich, das Prinzip bleibt: Wer anders denkt, muss beobachtet werden. Wer anders spricht, ist verdächtig. Und wer fragt, warum eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin zur demokratischen Lichtgestalt stilisiert wird, ist ohnehin schon ein Fall für die nächste Zoom-Sitzung der „Omas gegen Rechts“.


Fazit: Die Revolution frisst ihre Kinder – und spuckt sie wieder aus, wenn sie nützlich sind

Man könnte über Maja Wiens lachen, wäre ihre Geschichte nicht so exemplarisch für einen gefährlichen Trend. Statt aus der Geschichte zu lernen, inszeniert man die Vergangenheit als modulares Legoset, in dem man sich die passenden Bausteine heraussucht. Der Rest wird als „nicht hilfreich“ in die Lade mit den Altpapieren gelegt – oder in die Rubrik „rechte Narrative“, wenn jemand wagt, sie zu thematisieren.

Wiens ist nicht die letzte ihrer Art. Sie ist ein Prototyp. Eine Figur, die in ihrer Mischung aus moralischem Eifer, historischer Unschärfe und öffentlicher Förderung zeigt, wie dünn der Lack demokratischer Selbstvergewisserung geworden ist. Und wie bereitwillig wir jene zu Heiligen erklären, die einst bereit waren, andere zu opfern – für die richtige Sache, versteht sich.

Denn in einem Land, das sich so sehr für seine Vergangenheit schämt, dass es sich ständig neue Heldinnen erfindet, ist selbst eine alte IM wie „Marion“ noch zu gebrauchen – solange sie im Dienst der richtigen Gesinnung steht. Und damit schließt sich der Kreis: Der antifaschistische Schutzwall ist zurück. Nur dass er heute nicht aus Beton besteht, sondern aus PR, Preisverleihungen – und einer gehörigen Portion Vergessen.