Schellhorn, Klapprad auf Kosten der Glaubwürdigkeit

Das Ministerium der Symbolpolitik

Man muss sich das einmal in aller Ruhe auf der Zunge zergehen lassen: Da sitzt also ein Staatssekretär, dessen Portfolio ausgerechnet „Deregulierung“ lautet – also der staatlich alimentierte Versuch, Staatlichkeit zurückzuschrauben – auf einem Hocker, der offenbar aus einem pädagogischen Möbelkatalog stammt. Neben ihm: ein kläglich zusammengefaltetes Fahrrad, das aussieht, als hätte es die Flucht vor dem Autoverkehr nicht geschafft und stattdessen beschlossen, sich selbst zu dekonstruieren. Willkommen im Ministerium für performative Bescheidenheit!

Das gesamte Setting schreit förmlich: „Ich bin einer von euch! Ich fahre Rad, esse beim Bäcker, trage vielleicht sogar manchmal meine Schuhe zwei Tage hintereinander!“ Und während der Scheinwerfer das Klapprad beleuchtet wie einen Bundesadler aus Aluminium, erklärt der Herr Staatssekretär mit dem Brustton der Unschuld, dass er – man höre und staune – sich als Opfer fühle. Opfer einer „Kampagnisierung“.

Man fragt sich unweigerlich: Kampagne wogegen? Gegen die große Vision? Die große Reform? Gegen ein Team, das vier Monate lang keine Arbeit gemacht hat, weil die eigentliche Arbeit ja „erst ab Mitte August beginnt“? Gegen die strategisch platzierte, aber inhaltlich entkernte Deko der Selbstinszenierung?

Es ist ein Kabinettstück österreichischer Realpolitik: Hohl wie ein Werbeballon, aber so sorgfältig poliert, dass selbst das Nichts darin blendet.

Das Ego als Standortfaktor

Der moderne Politiker ist längst kein Repräsentant mehr – er ist ein Influencer mit Amtsbonus. Die Logik der Selbstvermarktung hat die Inhalte überrollt wie ein sonntäglicher Familienausflug den Waldrand. Und Sepp Schellhorn, der sich mit sozialen Followerzahlen statt mit politischer Substanz brüstet, ist das perfekte Produkt dieses Übergangs.

„Es ist leicht, einen Politiker anzugreifen, der viele Follower hat“, sagt er mit jener Mischung aus Stolz und mimischer Hilflosigkeit, wie sie sonst nur Instagram-Lives von mittelbekannten Ex-Bachelor-Kandidaten ziert. Als wäre Popularität ein Schutzschild gegen Kritik. Als sei öffentliche Aufmerksamkeit gleichbedeutend mit Unfehlbarkeit.

Die ganze Aussage lässt sich im Grunde in ein einziges Meme übersetzen: „Ich kann nicht gescheitert sein – schaut doch, wie viele Herzen ich pro Story kriege!“ Es ist der narzisstische Wahn einer Klasse, die Öffentlichkeit nicht mehr als Korrektiv begreift, sondern als Applausmaschinerie.

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Der Bäcker, der Staatssekretär und die Realität

Als Krönung all dieser öffentlichkeitswirksamen Selbstdemontage durften wir erfahren, dass Schellhorn und sein Team vier Monate lang damit beschäftigt waren, Problemzonen zu „erheben“. Und zwar nicht nur irgendwo, sondern – Achtung, es folgt die folkloristische Verklärung politischen Aktivismus’ – beim „kleinsten Bäcker“.

Man hört sie förmlich, die PR-Berater: „Bring was Handfestes rein. Was mit Mehl. Was Echtes. Volkstümlich, aber nicht zu bäuerlich.“
Dass man sich mit der Zuckerglasur der Symbolpolitik letztlich nicht satt essen kann, ist dabei Nebensache. Hauptsache, die Menschen glauben, man war mal im Backstubenradius einfacher Leute.

Natürlich ist niemandem aufgefallen, dass es ein bisschen grotesk ist, wenn ein Staatssekretär, der für weniger Staat zuständig ist, vier Monate lang auf Staatskosten Herumfahrten macht, um herauszufinden, dass Menschen Bürokratie blöd finden. Diese Entdeckung hätte man auch mit einem Bierdeckel und gesundem Menschenverstand am Stammtisch eines durchschnittlichen Wirtshauses in drei Minuten erledigen können.

Aber so läuft das eben heute: Der Apparat forscht, evaluiert, erhebt – und sagt dann das Offensichtliche mit maximaler Selbstgefälligkeit.

Die ORF-Bühne – Theater der Harmlosigkeit

Dass das ORF-Interview selbst zur perfekten Staffage dieser Tragikomödie wurde, ist bezeichnend für den Zustand politischer Öffentlichkeit in Österreich. Es wurde gefragt, ja. Aber nicht gebohrt. Es wurde zitiert, ja. Aber nicht zersetzt.

Die Interviewerin durfte sogar den uralten Sparmythos anstechen – „Sie geben doch acht Milliarden mehr aus?“ – worauf der Staatssekretär in jener dialektischen Finte antwortete, die in etwa so überzeugend war wie ein Diät-Tipp von einem Kebab-Stand: „Natürlich. Aber jetzt sparen wir!“

So also funktioniert die neue Politikkommunikation: Paradoxa werden zur Tugend erklärt. Widersprüche zur Programmatik. Der Satz „Wir geben mehr aus, also sparen wir“ ist die perfekte Quintessenz einer Regierung, die in ihrer Rhetorik auf das Prinzip der ironischen Inversion setzt. Das Gegenteil ist richtig – weil es gesagt wurde.

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Die Klapprad-Affäre und das postfaktische Accessoire

Und da war es dann wieder, dieses Rad. Dieses unglückselige Klapprad, das – von den sozialen Medien in der Luft zerrissen – bald nicht mehr für Mobilität steht, sondern für die Mobilmachung politischer Skepsis.

„Ist Sepp mit dem klappradgeförderten Klapprad da?“ fragte ein User. Und es steckt alles in dieser Frage: der Spott, die Ironie, aber auch die Hoffnung, dass der Bürger noch erkennt, wenn er für dumm verkauft wird.

Denn es ist nicht das Rad, das empört – es ist die kalkulierte Platzierung, die passive-aggressive Pose der Bescheidenheit, die so laut schreit, dass man den Inhalt nicht mehr hört. Und während im Interview mit dem Standard noch eine andere Einrichtung im Büro stand, zeigt sich das Problem dieser Inszenierung in erschreckender Klarheit: Man glaubt nicht mehr an das Gesagte, sondern nur noch an das Dekorierte.

Der Vorwurf der „Kampagnisierung“, den Schellhorn den Medien entgegenschleudert, wirkt da fast wie ein psychologisches Geständnis: Man erkennt sich selbst in der Kritik. Denn wer Politik zur permanenten Werbekampagne macht, darf sich nicht wundern, wenn er in Werbeästhetik gelesen und – schlimmer noch – inhaltlich ignoriert wird.

Fazit: Die neue Transparenz ist durchsichtig

Was bleibt also vom großen ORF-Interview mit dem Staatssekretär für Deregulierung?
Ein Hocker.
Ein Klapprad.
Und eine Einsicht: Wer sich derart bemüht, Natürlichkeit zu inszenieren, muss sich gefallen lassen, dass ihm die Künstlichkeit an der Stirn klebt.

Wenn Politik zur Bühne wird, dann ist der Staatssekretär kein Diener mehr, sondern Darsteller. Und wenn die Bühne zusammenbricht, weil die Kulissen falsch montiert wurden, dann nützt auch kein Klapprad als Requisite mehr. Dann hilft nur noch eins: Rücktritt, oder wenigstens eine Drehbuchüberarbeitung.

Vielleicht beginnt die eigentliche Arbeit dann doch noch – wenn auch nicht im Ministerium, sondern in der Redaktion der nächsten Polit-Dramödie.

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