Wie sich die Welt in ein Duty-Free-Paradies für Kriegsgerät verwandelt
Es gehört zur feinen Ironie unserer Epoche, dass die Menschheitsgeschichte mit jeder neuen technologischen Errungenschaft die Hoffnung weckt, ein wenig weniger barbarisch zu werden – nur um dann festzustellen, dass man die neusten Fortschritte natürlich auch hervorragend dazu nutzen kann, die Barbarei effizienter, eleganter, ja sogar nachhaltiger zu gestalten. Während sich große Teile der Weltöffentlichkeit fragen, woher man im Winter bezahlbare Heizkosten, im Sommer Wasser oder zwischendurch einen Hauch politischen Anstands bekommen soll, liefern die nüchternen Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI die Antwort: Die wirklich krisensichere Branche ist nicht die Pflege, nicht die Bildung, nicht einmal die IT – es ist die bullig glänzende, nach Schmieröl und geopolitischen Alpträumen riechende Rüstungsindustrie, die sich über das globalisierte Elend wie ein bestens geölter, profitgieriger Schatten legt. Ein Umsatzplus von 5,9 Prozent, 679 Milliarden Dollar, Europa im Wachstumsrausch: Man könnte meinen, Kriege seien der neue Wirtschaftsmotor, der einzige Energieträger, der garantiert nicht ausgeht, solange Menschen fähig bleiben, sich gegenseitig zu misstrauen, zu kränken oder aneinander vorbeizureden – also für alle Zeiten.
USA: Der unangefochtene Rüstungs-Supermarkt des Planeten
Ordnung muss sein, auch in der globalen Hierarchie des Tötungsmaschinenhandels. Da wäre es eine Zumutung an die natürliche Ordnung der Dinge, würde nicht wenigstens eine Nation als unbestreitbarer Oberkellner des globalen Waffenbüfetts auftreten. Die USA übernehmen diese Rolle mit der verlässlichen Routine eines Konzerns, der sich sicher ist, dass seine Kundschaft niemals abwandert – nicht etwa wegen der Qualität des Produkts, sondern weil die Weltlage selbst das beste Marketing darstellt. 39 der 100 größten Produzenten residieren dort, und die drei Spitzenplätze Lockheed Martin, RTX und Northrop Grumman glänzen so selbstbewusst wie Edelmetallschilder an den Türen sündhaft teurer Privatkliniken. Nach einem satten Zuwachs stehen sie bei 334 Milliarden Dollar Umsatz, was man diplomatisch als „fast die Hälfte des Weltmarktes“ bezeichnen kann oder weniger diplomatisch als „eine Art planetarer Franchise-Monopolismus für High-End-Zerstörung“.
Mittendrin auch SpaceX, jener technoide Mythos aus der Feder des weltweit bestgepflegten Milliardärs-Ego-Narrativs. Musk schafft das Kunststück, Weltraumromantik mit irdischer Vernichtung zu fusionieren, und die Rüstungseinnahmen haben sich prompt verdoppelt – eine Entwicklung, die wohl nicht einmal Jules Verne mit seinem Hang zur futuristischen Dramatik vorhergesehen hätte. Allerdings läuft trotz all des Erfolgs nicht alles rund: Verzögerungen bei F-35, Columbia-U-Booten und der Interkontinentalrakete Sentinel zeigen, dass selbst der Rüstungssektor nicht frei ist von jener liebenswerten Mischung aus bürokratischer Schlafwandelhaftigkeit und technologischer Selbstüberschätzung, die man sonst nur aus Großflughäfen und Digitalisierungsprojekten kennt.
Europa entdeckt sein Herz fürs Aufrüsten – und es schlägt überraschend kräftig
Europa, dieses alte, zögerliche, moralisch stets mit erhobenem Zeigefinger antretende Projekt, hat offensichtlich beschlossen, dass man angesichts russischer Panzerkolonnen und bröckelnder diplomatischer Kulissen den Zeigefinger nun besser absenkt und dafür den Bestellkatalog hebt. Ein Wachstum von 13 Prozent – moderat klingt anders. Die Deutschen, sonst vor allem berühmt für Logistik, Autos und eine gewisse nationale Hanglage zur Regelhaftigkeit, haben plötzlich ihre industrielle Kernkompetenz wiederentdeckt: Panzer, Geschosse, Luftabwehrsysteme. Rheinmetall legt 47 Prozent zu, ein Traum für Investor:innen, ein Albtraum für alle, die naiv genug waren zu glauben, dass Frieden das neue Normal werden könnte.
Die anderen deutschen Konzerne, von Hensoldt über ThyssenKrupp bis Diehl, scheinen ebenfalls aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen – dabei wurde nie ganz klar, ob es sich um Schlaf handelte oder eher um ein dezentes Warten auf die nächste geopolitische Gelegenheit. Während Airbus und MBDA europäische Ambitionen repräsentieren, zeigt sich Europas industriepolitische Logik so klar wie selten: Krise ist das neue Konjunkturpaket.
Wenn selbst Sanktionen nicht reichen: Die russische Selbstversorgung und die ukrainische Beschleunigung
Man könnte hoffen, dass Sanktionen wirken, wenigstens ein bisschen, wenigstens administrativ. Doch die Rüstung funktioniert nach eigenen, beinahe naturgesetzlichen Regeln: Wo Nachfrage, da Angebot. Russland kompensiert fehlende Komponenten mit gesteigerter Eigenproduktion und einem überbordenden innenpolitischen Bedarf. 23 Prozent Plus – man möchte beinahe applaudieren, wenn der Kontext nicht so verstörend wäre. Die Ukraine wiederum steigert ihre Umsätze um 41 Prozent, was zugleich heroisch, tragisch und unfreiwillig makaber klingt. Wenn ein Land die Rüstungsproduktion steigert, um zu überleben, während das angreifende Land die Rüstungsproduktion steigert, um weiterzumachen, nennt man das im 21. Jahrhundert wohl: ein Marktgleichgewicht.
Nahost: Wenn globale Empörung den Absatz nicht senkt
In Israel zeigt sich eine weitere zynische Wahrheit: Internationale Kritik ist, zumindest wirtschaftlich betrachtet, erstaunlich porenlos. Trotz weltweiter Empörung über das Vorgehen im Gazastreifen steigen die Umsätze der israelischen Konzerne um 16 Prozent. Der globale Markt liebt defensive Innovationen, und israelische Firmen liefern seit Jahren perfektionierte Technologien zur Grenzsicherung, Drohnen-Überwachung und präzisen Zerstörung – alles Güter, die sich nahtlos in die neue Sicherheitsarchitektur der Welt einfügen. Und so bestellen Staaten rund um den Globus weiter, als wäre Krieg ein Naturereignis wie Regen, dem man mit einem besonders hochwertigen Regenschirm begegnet.
Die chinesische Paradoxie: Monopol auf Mineralien, Rückgang bei Waffen
China hält den Schlüssel zu den seltenen Erden, ohne die moderne Rüstung nicht einmal auf dem Papier existieren kann. Europa ist abhängig – ein Fakt, der die politischen Strategiepapiere füllen wird, sobald man damit fertig ist, sich über andere geopolitische Herausforderungen zu beklagen. Und doch bricht Chinas Rüstungsumsatz um zehn Prozent ein. Nicht wegen technischer Probleme, sondern wegen Korruption – ausgerechnet dort, wo man Effizienz zur Staatsideologie erhoben hat. Der Rückgang führt dazu, dass der gesamte asiatisch-pazifische Raum einen Rückgang von 1,2 Prozent verzeichnet – man könnte sagen: ein kleiner Hoffnungsschimmer, wenn er nicht durch strukturelle Skandale verursacht wäre.
Europa als neuer Hotspot – und die moralische Schwerkraft, die sich verflüchtigt
Greenpeace warnt, Europa rüste sich zum globalen Hotspot auf. Das stimmt so sehr, dass es beinahe banal klingt – und dennoch ist der Satz so ungemütlich wie ein unbeabsichtigter Blick in einen Spiegel bei grellem Licht. Die Welt reagiert auf Unsicherheit mit noch mehr Waffen, und man kann der Menschheit nicht einmal einen Vorwurf machen, denn Evolution ist kein Ethikseminar. Doch gerade Europa, das sich stets gern als moralische Instanz inszenierte, rutscht nun mit Beschleunigung in die Rolle eines aufgerüsteten Supermarkts, dessen Regale sich schneller leeren, als sie befüllt werden können.
Epilog, in dem die Menschheit einmal tief durchatmet – oder es zumindest versuchen könnte
Der nüchterne Blick auf die SIPRI-Datenbank zeigt: Wir leben nicht in einer Epoche der Friedensdividenden, sondern im goldenen Zeitalter der Rüstungsrendite. Es ist ein globales Wettrüsten ohne ideologisches Feuerwerk, getragen von pragmatischen Angstreaktionen und marktwirtschaftlicher Brillanz. Und trotz all des Zynismus muss man sich fragen, ob Sicherheit wirklich so entsteht. Oder ob wir gerade erst dabei sind, das 21. Jahrhundert als jenen Moment in die Geschichtsbücher zu schreiben, in dem die Welt begriff: Man kann Frieden nicht erzwingen – aber man kann ihn hervorragend kommerzialisieren.