Redefreiheit, ja aber …

… wenn du es richtig machst – wie wir es dir sagen

Es war einmal in einem fernen Land – nein, es war nicht wirklich weit weg, es war überall, und es war immer gegenwärtig. In einem Zeitalter, das von Schamlosigkeit, Hyperbewusstsein und einer in Echtzeit miterlebbaren Globalisierung geprägt war, in dem das Recht auf Redefreiheit auf den Fahnen aller progressiven Demokratien wehte, kamen die Menschen in ein kurzes, aber heilsames Schwindelgefühl. Eine neue Ära schien angebrochen, in der alle Meinungen geschätzt wurden – mit der leisen, aber nachdrücklichen Bitte, sie nur mit denen zu teilen, die ein gewisses Maß an Respekt, Anstand und, ja, auch der eigenen, nicht unbefleckten, Selbstwahrnehmung teilten. Denn die Rechtmäßigkeit der Äußerung einer Meinung sollte niemals den Preis ihrer möglichen Konsequenzen übertreffen. Und so stellt sich die Frage: Wie frei ist die Redefreiheit in einer Welt, die von den Umrissen eines diskursiven Überwachungsstaates zu beben scheint?

Was bedeutet das eigentlich

Redefreiheit, so hört man, ist eines der kostbarsten Geschenke der Zivilisation. Eine Freiheit, die in den heiligen Dokumenten der Verfassungen verankert ist, die in den Paragrafen unzähliger Rechtsordnungen als das A und O jeder funktionierenden Demokratie hochgehalten wird. Doch hinter dieser vermeintlich hehren Freiheit schleicht sich oft ein großer, schwarzer Schatten der Ironie heran: Welche Worte gehören zu einer „erlaubten“ Meinung, und welche fallen in den breiten Graben des sogenannten Hassgesprächs? Wer bestimmt, was gesagt werden darf, und wer wird zum Verstummen gebracht?

Die Redefreiheit, die mit rosigen Versprechen winkt, ist eine verführerische Sirene. Sie singt von Gleichheit, von Freiheit, von der Möglichkeit, alles zu sagen, was einem in den Kopf kommt. Doch in dem Moment, in dem der „Freie Markt der Meinungen“ zu einem getäuschten Schwatzladen wird, in dem die Produktionen der Meinungen plötzlich preissensibel und nachgefragt werden, verliert diese Freiheit ihren Glanz. Wenn jeder Satz von einem Algorithmus geprüft wird, bevor er das virtuelle Staatsgebiet erreicht, und in einer Gesellschaft, die mit einem Getriebenen in das digitale Panoptikum blickt, stellt sich ernsthaft die Frage: Was darf man wirklich sagen? Und was hat das mit der Demokratie zu tun?

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Der Zynismus der Konformität

Ach, die ironische Verlogenheit der Meinungsfreiheit – sie ist nicht nur ein Witz, sie ist die Lachnummer schlechthin. Wer sich heute in die Lügenfalle der „freien Rede“ begibt, wird schneller als je zuvor ein funktionierendes, unterdrückendes Netzwerk von „Polemikern“, „Empörten“ und „Wahrheitswächtern“ entdecken, die einem unnachgiebig die Luft abdrehen. Man mag glauben, dass in der Redefreiheit jeder das gleiche Recht hat, seine Sicht der Dinge zu äußern, aber der zynische Witz ist: Jedes Wort, das zu weit vom Konsens abweicht, wird zum gefährlichen Outlaw.

Man nehme beispielsweise die politische Korrektheit: Sie wurde einmal als die Grenze des gesunden Menschenverstandes gefeiert, aber sie hat sich zunehmend als „Waffe der Zensur“ entpuppt. Wer den Hauch von „abweichender“ Meinung äußert, wird schnell als unmoralisch, rückständig oder unschicklich gebrandmarkt. Es ist fast so, als ob die freie Rede nur dann in Ordnung wäre, wenn sie zur Harmonie des größeren Ganzen beiträgt – ein scharfkantiger Witz, der die dunklen Tiefen des humanistischen Gedankens streift. So spricht man also von einem „Recht auf freie Rede“ – doch nur, solange das Recht auch nicht missbraucht wird. Und wer legt das fest? Der Staat? Der Algorithmus? Oder die unsichtbare Hand der „aufgeklärten“ Öffentlichkeit?

Wenn Meinung zur Wahrheit wird

Was wäre die freie Meinungsäußerung ohne die Tyrannei der Wahrheit? Wer entscheidet, was wahr ist, wenn jeder das Recht hat, zu reden? Was passiert, wenn ein „Faktencheck“ so in den Meinungsdiskurs integriert ist, dass jeder der Meinung, der vom Wahrheitsministerium abgesegnet wird, als „wahr“ akzeptiert wird? Und was passiert mit jenen, die die Wahrheit infrage stellen? Wenn die Diskussion über „die Wahrheit“ nicht nur über Tatsachen, sondern über die Schaffung einer einheitlichen Weltanschauung zu gehen scheint, kann man dann noch wirklich von Freiheit sprechen? Oder ist die Redefreiheit hier nur die Freiheit, im Rahmen der als „richtig“ anerkannten Doktrin zu sprechen? Die wahre Gefahr der Meinungsfreiheit lauert nicht im Verbot, sondern im Zwang zur Übereinstimmung – ein Zwang, der in der vermeintlichen Freiheit erstickt.

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Die Frage, was gesagt werden darf und was nicht, endet also nicht bei der Frage des „Verbots“. Sie geht tiefer, in die Vorstellung, dass man zwar reden darf – aber nur, wenn man sich an die Regeln der „gesunden“, „vernünftigen“ und „aufgeklärten“ Gesellschaft hält. Die Freiheit, sich zu äußern, ist in vielen demokratischen Systemen zu einem Mangel an „freier Wahl“ geworden – wir haben zwar die Freiheit, unsere Meinung zu äußern, aber gleichzeitig auch den Zwang, uns einer der vorgegebenen, „korrekt“ kodierten Narrative anzupassen.

Die unappetitliche Wahrheit der Zensur

Im digitalen Zeitalter haben sich die Formen der Zensur gewandelt. Es ist nicht mehr der brutale Eingriff des Staates, der dafür sorgt, dass bestimmte Worte nicht ausgesprochen werden, sondern vielmehr die subtilere, systematische Überwachung durch globale Unternehmen und private Institutionen, die entscheiden, welche Gedanken und Worte in der öffentlichen Sphäre gedeihen dürfen und welche nicht. Hier wird die Meinungsfreiheit nicht etwa durch Gesetze eingeschränkt, sondern durch ein Netzwerk von unsichtbaren Filtern, die das „Zulässige“ von dem „Unzulässigen“ trennen.

Man stelle sich vor, wir leben in einer Welt, in der die „Meinungsfreiheit“ im Internet genauso willkommen ist wie der freundliche, bargeldlose Besuch bei einer schickeren Bank – mit einem einfachen, aber unerbittlichen Unterschied: Wer zu viel gegen die Norm wettert, landet schnell auf der Liste der „Verschwörungstheoretiker“ oder gar „Hassredner“. Und dennoch gibt es im Netz immer wieder diese mutigen Einzelkämpfer, die sich gegen die Wellen der öffentlichen Meinung stellen – nicht weil sie „falsch“ sind, sondern weil sie zu unbequem sind, zu wagemutig oder zu ungeschliffen. Die Realität der Zensur in den sozialen Medien und auf Plattformen wie Twitter oder Facebook – von faktengeprüften Inhalten bis hin zu stiller Shadow-Banning-Technologie – zeigt uns die groteske Zerrissenheit der Meinungsfreiheit.

Der schmale Grat der satirischen Freiheit

Es ist schließlich die Satire, die das letzte Bastion der freien Rede zu wahren scheint. Satiriker haben die Freiheit, Grenzen zu überschreiten und sich der unfassbaren Widersprüchlichkeit unserer gesellschaftlichen Normen zu widmen. Doch auch hier gibt es Fallstricke. Die Frage ist nicht nur, was satirisch gemeint ist, sondern auch, was als Satire verstanden wird. In einer Zeit, in der der Zynismus fast die einzige politische Haltung zu sein scheint, können auch satirische Äußerungen schnell als ernsthafte Bedrohung missverstanden werden. Wer könnte sich im Angesicht von politischen Übergriffen und dem zunehmenden Rückzug von Humor als die wahre „Freiheit der Rede“ fühlen?

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Redefreiheit, ja aber …

„Sie haben die Freiheit, Ihre Meinung zu sagen, aber ich kann Ihnen nicht garantieren, dass Sie danach noch Ihre Freiheit haben werden“, sagte Idi Amin. Ein Diktator, der in seiner brutalen Offenheit einen bitteren Kern der Realität ausdrückte, den viele in westlichen Demokratien als zu unangenehm empfinden, um ihn zu akzeptieren: Die Freiheit, zu reden, ist ein privilegiertes Recht, aber auch ein zweischneidiges Schwert. In einer Welt, in der alles sagbar scheint, kann die wahre Frage lauten: Wer darf hören, was gesagt wird, und zu welchem Preis?

Die Freiheit des Wortes mag das Ideal der Demokratie sein, aber ihre wirkliche, alltägliche Umsetzung scheint zunehmend wie ein edles Märchen, das nur solange wahr ist, wie niemand zu laut wird oder zu weit von der bequemen Norm abweicht. Und so bleibt die Freiheit, zu reden, in einem Dämmerzustand, in dem man nie sicher sein kann, ob man sie morgen noch genießen wird. Eine Freiheit, die stets zu prüfen ist, immer wieder. Ja, aber…

Quellen & weiterführende Links:

  1. John Stuart Mill – „On Liberty“
  2. George Orwell – „1984“
  3. Jürgen Habermas – „Strukturwandel der Öffentlichkeit“
  4. Chilling Effects – Sammlung von Zensurvorfällen im Internet
  5. Berichte über politische Korrektheit und ihre gesellschaftliche Wirkung
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