Ready for Takeoff – Wenn der Staat abhebt

Berlin, Hauptstadt der föderalen Kompromisse und der chronischen Bauverzögerung, ist wieder einmal bereit für das große Finale der bundesdeutschen Selbstdarstellung: Die Kanzlermaschine soll landen – nicht metaphorisch, sondern ganz konkret, auf einem Sonderlandeplatz in 24 Metern Höhe, auf dem Dach eines sechsgeschossigen Bürogebäudes inmitten der verplanten Republik. Das nennt man dann Fortschritt mit Rotorblättern.

Zwei Jahrzehnte nach dem Einzug ins neue Kanzleramt wird der architektonische Größenwahn um eine neue Dimension ergänzt: Vertikal. Und während der Bürger sich noch fragt, ob er sich die nächste Miete leisten oder lieber doch auf Balkonsalat umsteigen sollte, werden in Regierungsnähe Flugbewegungen geplant – zweihundert pro Jahr, jede zehnte nachts, wie ein diskreter Hinweis auf die flexible Einsatzbereitschaft der Exekutive. Gespräche? Unterbrochen. Fernsehen? Zwecklos. Radio? Verstummt im Schatten der Macht. Aber: keine Lärmschutzfenster, versteht sich. Die Republik bleibt offen – wenigstens akustisch.

Schweben über den Dingen: Die neue Demutsverweigerung

Die Luftfahrtbehörde sieht das alles entspannt. Maximal viermal pro Woche sei mit Störungen zu rechnen. Gerichte halten fünf bis sechzehn Flüge täglich für zumutbar. Schließlich leben wir in einem Land, in dem die Bürger zur Akzeptanz staatlicher Zumutungen erzogen werden sollen, notfalls mit Lärmpegeln über Norm und unterhalb des Bewusstseins für politische Ironie. Was stört schon der Landeanflug eines Regierungshubschraubers, wenn man dafür aus der Küche heraus live an der Staatsinszenierung teilnehmen darf?

Man stelle sich nur das Briefing der Anwohner vor: „Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrer Nachbarschaft wird demnächst ein Regierungslandeplatz in Betrieb genommen. Leider können wir Ihnen keine Lärmschutzmaßnahmen zusichern, aber sehen Sie es positiv: Sie wohnen jetzt direkt an der Schnittstelle zwischen Demokratie und vertikaler Mobilität.“ Der deutsche Steuerzahler hat nicht nur das Recht, sondern offenbar die Pflicht, auch symbolisch überflogen zu werden.

657 Millionen für die Würde der Macht – und 140 Millionen für das Unvorhersehbare

Über die konkreten Kosten der Landeplattform schweigt sich das Bundespresseamt aus – wie es sich gehört, wenn Summen im Raum stehen, die man nur noch mit diplomatischer Höflichkeit in den Haushalt einpflegen kann. Insgesamt aber rechnet man mit 657 Millionen Euro für die Erweiterung des Kanzleramts, dazu 140 Millionen für „Risikovorsorge“ – was vermutlich alles umfasst, von Statikproblemen bis hin zu einer möglichen Protestaktion der letzten Klimakleber auf dem Dach.

TIP:  Luther - Zwischen Straße und Schande

Selbstverständlich wird betont, dass der nächstgelegene Landeplatz in Wedding, drei Kilometer entfernt am Virchow-Klinikum, aus flugsicherungstechnischer Sicht „kein Problem“ wäre. Was das Kanzleramt nicht daran hindert, dennoch ein eigenes Landezentrum zu errichten – schließlich könnte in einer echten Krise der Unterschied zwischen drei Kilometern und drei Minuten über das politische Schicksal eines Landes entscheiden. Wenn’s brennt, soll der Rückflug ins Grundgesetz möglichst staufrei erfolgen.

Saigon, Baby! – Erinnerungskultur mit Rotorblättern

In Regierungskreisen wird der Bau wahrscheinlich mit einem historischen Argument verteidigt: Die Amerikaner seien in Saigon sehr froh gewesen, dass ihre Botschaft über einen Hubschrauberlandeplatz verfügte, „falls man mal schnell weg muss“. Ein Satz, der in seiner entlarvenden Lakonie alles sagt über das Verhältnis der Macht zur Bevölkerung. Während der Bürger mit dem ÖPNV zur Tafel fährt, sich über marode Brücken schlängelt und die Bahn-App regelmäßig resigniert, soll sichergestellt werden, dass die Regierung jederzeit in den Sonnenuntergang abheben kann – oder wenigstens ins sichere Ausland, sollte der Volkszorn überhandnehmen.

Es ist diese Mischung aus technokratischer Kaltschnäuzigkeit, symbolischer Selbstüberhöhung und planerischer Hybris, die das Projekt so exemplarisch deutsch macht. Wir bauen keine Flugtaxis, wir bauen Landeplätze für Eventualitäten, die in einem funktionierenden Staatswesen als absurd gelten würden. Und wir nennen das dann „Vorsorge“ – nicht etwa für das Volk, sondern für seine Repräsentanten.

Der Himmel über Berlin – exklusiv für Regierende

Was also bleibt dem Bürger? Ein Stück Resthoffnung vielleicht, dass bei der nächsten Landeanflugstörung doch wenigstens ein wenig Staatskunst aus dem Himmel rieselt. Oder ein Selfie mit der Kanzlerdrohne, falls sie bei der Landung mal zu tief sinkt. In jedem Fall aber die Gewissheit: Die da oben sind jetzt wirklich da oben. Und wer unten steht, sollte besser schweigen – der Rotorlärm übertönt ohnehin jedes Wort.

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