
Ein zoologisches Outing oder: Wenn die Natur sich nicht an die Bibel hält
Stellen Sie sich vor, ein Pinguinpaar adoptiert ein verwaistes Ei. Und das tut es nicht aus einem Disney-Film heraus, sondern aus der Naturbeobachtung, aus empirischer Wissenschaft, dokumentiert, katalogisiert, peer-reviewed. Jetzt stellen Sie sich weiter vor: Es handelt sich bei den Adoptiveltern um zwei Männchen. Ein Alarmsignal für konservative Stammtischbiologen, die sich mit Frackträgern im Eis offenbar nur dann wohlfühlen, wenn diese ihre Brutpflege in heteronormativer Ordentlichkeit verrichten – am besten noch mit einem „Mutti brütet, Vati fischt“-Narrativ zum Mitschunkeln.
Doch halt! Die Natur, dieses vermeintlich ordnende Prinzip aller Dinge, spielt in Wirklichkeit ihr ganz eigenes, wildes, queeres Theater – ungefragt, ungefiltert, unzensiert. Von Delfinen, die sich in Unterwasser-Orgien gegenseitig beglücken, über Bonobos, die Konflikte lieber mit erotischer Gymnastik als mit Gewalt lösen, bis hin zu jenen berüchtigten Laysan-Albatrossen, die Jahr für Jahr in lesbischer Harmonie ihre Küken großziehen: Die Liste queerer Tierarten ist länger als das Grundsatzprogramm einer Partei, die verzweifelt versucht, den Unterschied zwischen Biologie und Ideologie zu begreifen.
Und es sind, laut Wissenschaftsjournalist Josh Luke Davis, nicht zehn, nicht hundert, sondern mindestens 1500 Arten, bei denen gleichgeschlechtliche Paarungen, soziale Bindungen und sexuelle Interaktionen beobachtet wurden. Ach was, vermutlich sind es noch viel mehr – man müsste halt mal hinschauen, statt immer nur hinwegzusehen.
Dickhornschafe urinieren im Sitzen – und die Zivilisation fällt in Ohnmacht
Der durchschnittliche Diskurs über queere Identität im Tierreich verläuft immer noch so, als hätte jemand der westlichen Mehrheitsgesellschaft ein Gendersternchen ins Müsli gemischt. Doch was passiert, wenn ein Dickhornschaf – ein Symbol für alpine Männlichkeit, Testosteron in Hornform – plötzlich beschließt, sich ausschließlich für männliche Artgenossen zu interessieren, auf Kampfgehabe zu verzichten und auch noch im Sitzen zu pinkeln? Na, da bleibt doch kein Stein auf dem anderen im Bergmassiv der traditionellen Geschlechterrollen!
Was für den Zoologen eine spannende Beobachtung darstellt – Varianz im sexuellen Verhalten, Diversität in sozialen Strukturen – ist für kulturkonservative Homo-Hasser eine biologische Zumutung. Man kann die Erschütterung fast hören: „Wenn selbst die Schafe…?!“
Die Natur, das wird hier unfreiwillig enthüllt, ist eben kein anthropologisch-kirchlich-abgesegnetes Konstrukt aus Adam, Eva und dem allzeit bereiten Fortpflanzungstrieb. Sie ist unordentlich. Wild. Und ja – queer.
Die Pinguine adoptieren – und die Heteronorm bricht in Tränen aus
Homosexuelle Pinguine adoptieren verlassene Eier. Sie tun das fürsorglich, hingebungsvoll, mit der emotionalen Intelligenz, die man so manchem Homo sapiens wünschen würde, wenn er mal wieder meint, sein eigenes Kind „nur zur Härte zu erziehen“.
Diese Pinguine zeigen, was der Mensch oft nicht erträgt: Dass Liebe, Fürsorge und Bindung nicht exklusiv an Geschlechtsorgane gekoppelt sind, nicht an Reproduktionszwecke, nicht an Gottgefälligkeit, sondern schlichtweg an soziale Nähe, an Bindungsfähigkeit, an – sagen wir es ruhig – emotionale Kompetenz.
Aber wehe, jemand zieht daraus den Schluss, dass auch beim Menschen Geschlecht, Begehren und Familie nicht zwangsläufig aus einem biologischen Monolithen gemeißelt sind. Dann wird es plötzlich „politisch“. Dann schreien sie wieder: „Aber der Mensch ist doch kein Tier!“ – während sie im nächsten Atemzug betonen, wie „natürlich“ das alles doch sei, was sie selbst für richtig halten. Ein kognitiver Spagat, bei dem selbst Bonobos das Seil reißen würden.
Queere Tiere als ideologische Projektionsfläche: Der Mensch, das verunsicherte Raubtier
Nun wäre es allerdings ein Trugschluss, zu glauben, dass all diese queeren Partnerschaften im Tierreich aus demselben Bewusstsein heraus entstehen wie beim Menschen. Tiere veranstalten keine Pride Parades (obwohl: Flamingos könnten das Styling stemmen), sie debattieren nicht über Diskriminierungsschutz und führen keine Twitterkriege über Pronomen.
Doch zu behaupten, dass diese Vielfalt irrelevant sei, weil Tiere keine Gender Studies belegen, ist wiederum der Gipfel anthropozentrischer Selbstbeweihräucherung. Die Existenz queerer Verhaltensweisen bei Tieren widerlegt eben jene billige Erzählung, dass gleichgeschlechtliche Liebe, fluides Begehren oder Geschlechtervielfalt „unnatürlich“ seien.
Sie ist Natur. Punkt.
Der Mensch sieht, was er sehen will – und das meiste sieht er nicht
Wie blind muss man sein, um bei 1500 dokumentierten Arten immer noch „unnatürlich!“ zu rufen? Wie sehr muss man sein Weltbild an die Wand nageln, wenn die Biologie längst anklopft und höflich fragt, ob man nicht doch ein paar Kapitel neu schreiben möchte?
Die Antwort ist: sehr blind. Denn die Natur darf nur dann als Argument herhalten, wenn sie dem Status quo dient. Alles andere wird ignoriert, relativiert, dämonisiert oder mit pseudowissenschaftlichem Getöse bekämpft.
Und so bleibt am Ende die vielleicht schmerzlichste Erkenntnis dieses tierischen Coming-outs: Dass die Natur selbst für mehr Toleranz, Vielfalt und Beziehungsformen offen ist als so mancher Stammtisch. Während Pinguine adoptieren, Albatrosse kooperieren und Bonobos eskalieren, streitet der Mensch weiter darüber, ob queere Identitäten nun ideologische Erfindung oder satanischer Einfluss sind.
Fazit: Der Regenbogen steht längst im Tierreich – der Mensch steht noch im Schatten
Wer immer noch glaubt, queere Lebensweisen seien eine Modeerscheinung der „woken“ Moderne, möge bitte einen Blick auf das nächste Pinguinpaar werfen, das gemeinsam ein Ei ausbrütet – oder auf zwei kuschelnde Delfinmännchen, die im Spieltrieb mehr über Zuneigung verraten als mancher Mensch in einer 50-jährigen Ehe.
Die Natur lacht über unsere Konventionen. Sie tanzt, paart, lebt in Varianten, die weder binär noch normativ sind. Sie ist wild, frei – und, ja: queer.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch der Mensch endlich nachzieht. Oder wie ein Bonobo sagen würde: Lasst uns drüber schlafen.