
Wenn der Feind ruft, ruft man zurück?
Es gibt ein uraltes Missverständnis zwischen Demokratie und ihren Feinden, das ungefähr so alt ist wie die Idee der offenen Gesellschaft selbst: dass man den einen Feind nur dann besiegen könne, wenn man ihn wie einen Feind behandelt. Die Demokratie aber ist kein Boxer. Sie schlägt nicht zuerst. Sie hält sich zurück, sie ringt mit sich selbst, sie hält Monologe über Verhältnismäßigkeit, während der andere längst in der Ecke steht und mit einer Fackel wedelt. Und gerade das macht sie stark. Oder – je nach Lage – unfassbar naiv.
Und doch geschieht derzeit etwas von bemerkenswerter Abgründigkeit: Die stärkste Oppositionspartei der Bundesrepublik – „AfD“, drei Buchstaben wie ein Leuchtraketenversagen auf der politischen Autobahn – ist vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft worden. Das allein ist bereits ein Wort, das sich gewaschen hat. Doch nun sprechen kluge Leute mit ernster Miene vom Verbotsverfahren – und man möchte fast glauben, die Demokratie selbst wolle sich endlich von ihrer unartigen Tochter emanzipieren, indem sie sie einfach enterbt. Dass das nach hinten losgehen könnte, ist dabei keine ferne Möglichkeit, sondern eine ziemlich sichere Bank.
Die große Gefahr: Wenn Demokratie auf Selbstverteidigung macht
Man stelle sich vor: Die Demokratie, die mit sich wirbt, dass bei ihr jede Meinung zählt, bis auf die, die die Meinungsfreiheit infrage stellt, macht Ernst. Sie nimmt die Axt in die Hand und fällt den Baum, der am lautesten nach Wind gerufen hat. Die AfD, so heißt es, müsse weg – sie sei toxisch, gefährlich, eine Gefahr für die Ordnung, die Mäßigung, das Abendland (diesmal das echte, nicht das aus Höckes Fieberträumen). Und wie immer, wenn etwas „weg“ muss, kommt das Staatsrecht ins Spiel wie ein zerzauster Oberlehrer, der seine Paragraphen auf den Tisch knallt und mit schwerem Herzen nickt: Ja, es geht. Irgendwie. Vielleicht. Unter Bedingungen.
Doch genau darin liegt das eigentliche Gift: Nicht, dass man sie nicht verbieten könnte – sondern dass man glaubt, man müsse. Ein Verbotsverfahren ist kein chirurgischer Eingriff, sondern ein medienwirksamer Hochofen der öffentlichen Meinungsbildung. Wer darin verbrannt wird, wird zum Märtyrer. Und Märtyrer wählen sich in Deutschland erschreckend gut.
Die Mär vom rechtsfreien Raum, oder: Wer Erdogan sagt, darf nicht AfD verbieten
Es ist ein lustiges Spiel, das viele derzeit treiben: Auf der einen Seite die moralisch Aufrechten, die bei jedem zweiten Artikel „Wehret den Anfängen“ in Fraktur drucken würden, wenn man sie ließe, auf der anderen Seite jene, die finden, das mit dem Rechtsstaat sei irgendwie optional, solange es gegen die Richtigen geht. Zwischen diesen Fronten sitzt ein recht schlauer, aber zunehmend verunsicherter Souverän – das Volk – und fragt sich, ob man das alles noch glauben soll.
Denn wehe dem, der sich über die Demokratie erhebt, indem er sie für ihre Widersprüche kritisiert. Wer heute einwendet, dass man doch nicht mit Geheimakten und Verfassungsschutz-Stempeln Opposition neutralisieren dürfe, steht schneller im Verdacht, „Querfront“ zu tanzen, als er „In dubio pro reo“ sagen kann. Und wehe dem, der jetzt noch wagt, Erdogans Demokratieverständnis zu kritisieren – schließlich agiert dieser doch genauso: Er erklärt unliebsame Gegner zu Extremisten und lässt den Sicherheitsapparat den Rest erledigen.
Der Unterschied? Erdogan macht daraus wenigstens kein Geheimnis.
Der Staat als Erzieher – und andere politische Albträume
Ein Verbot der AfD mag im juristischen Sinne gerechtfertigt sein. Es mag verfassungstechnisch sogar elegant durchargumentiert werden können – die Ironie einer Demokratie, die sich durch das Verbot von Demokratiefeinden schützt, hat schließlich ihre eigene juristische Schönheit. Aber politisch? Psychologisch? Gesellschaftlich?
Man stelle sich das Szenario vor: Die AfD wird verboten. Ihre Funktionäre erscheinen bei „Welt TV“ als Märtyrer im Exil, ihre Wähler radikalisieren sich im Telegram-Dunkel, und plötzlich ist die „bürgerliche Mitte“ nichts weiter als ein verschwindender Streifen Asphalt zwischen zwei Abgründen. Der demokratische Staat, einst zuversichtlich und selbstironisch, steht dann da wie ein autoritärer Pädagoge, der seinem pubertierenden Kind die Tür zuschlägt und ruft: „Solange du unter meinem Dach wohnst…!“
Fazit ohne Frieden: Demokratie muss aushalten, was sie hervorbringt
Es gibt keinen edleren Weg zur Selbstzerstörung als den, das Böse mit Mitteln des Guten zu bekämpfen – und dabei selbst unkenntlich zu werden. Die AfD mag rechtsextrem sein. Sie mag giftig sein. Sie mag die Demokratie verhöhnen, sabotieren, missbrauchen. Aber sie ist da. Sie wurde gewählt. Sie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern aus Urnen gestiegen, in denen enttäuschte Hoffnungen liegen wie alte Wahlversprechen.
Ein Verbot ist keine Lösung. Es ist ein Symptom. Und wie bei jeder schweren Krankheit wird der Organismus nicht gesünder, wenn man nur das Fieberthermometer zerschlägt. Wer glaubt, man könne den Rechten die Bühne nehmen, indem man ihnen das Theater schließt, hat das Stück nicht verstanden.
Epilog mit Augenzwinkern: Oder, wie ich lernte, den Verfassungsschutz zu lieben
Vielleicht, nur vielleicht, müsste man sich einmal die Frage stellen, was passiert, wenn wir der Demokratie wirklich alles zutrauen – auch den Umgang mit ihren Widersachern. Vielleicht braucht es keine Verbote, keine Geheimakten, keine juristischen Nebelkerzen. Vielleicht reicht es schon, sie reden zu lassen. Laut, schrill, peinlich, schmerzhaft. Die Demokratie kann das ab. Wenn nicht – hat sie es nicht besser verdient.
Und während irgendwo jemand mit ernster Miene ein Gutachten in den Schredder schiebt, lacht der Bürger – oder lacht nicht mehr. Denn was heute als Rettung erscheint, ist morgen schon ein Präzedenzfall. Und wer heute schweigt, wenn andere verboten werden, sollte morgen nicht jammern, wenn er selbst aus dem Saal geführt wird.