Prolog der unverhofften Vorsehung

Es gehört zu den hübscheren Paradoxien unserer Zeit, dass die Menschen an die Spontaneität des Chaos glauben, als wäre sie ein Naturgesetz, das im Chemieunterricht zwischen photosynthetischer Verzückung und dem ungeliebten Periodensystem vermittelt wurde. Das Chaos – so insistiert der moderne Homo sapiens, der ansonsten jede Regung des Universums in Tabellenkalkulationen einpflegt – müsse plötzlich über ihn hereinbrechen wie eine schlecht gelaunte Wetterfront, die ihre Berufung missversteht. Doch in Wirklichkeit wird nichts gründlicher geplant als jene Krisen, die dann völlig überraschend auftreten, ausgestattet mit dem Charme einer schlecht frisierten Operndiva, die ungefragt erscheint und den Abend ruiniert. Die große Tragikomödie des gesellschaftlichen Ausnahmezustands beginnt stets lange, bevor der erste Bürger das seltsame Ziehen im Bauch fühlt oder die führenden Nachrichtensprecher ihr bedeutungsschwangeres, eigens für Katastrophen eintrainiertes Stirnrunzeln aus dem Requisitenraum holen.

Von der Kunst des Krisenarrangements

Man stelle sich die Krisenarchitekten als eine Mischung aus Theaterregisseuren und Restpostenhändlern vor, die aus politischen Randnotizen ein dramaturgisch funkelndes Panorama des Untergangs zimmern. Sie sitzen in schlecht beleuchteten Konferenzräumen, deren Luftfeuchtigkeit exakt dem Feuchtigkeitsgrad alter Archivkeller entspricht, und feilen an Timelines, Diagrammen und jenen Formulierungen, die in Zukunft jeden Abend in Talkshows als unumstößliche Gewissheiten verlesen werden. Die Planung selbst folgt einem strengen Ritual: Erst wird die Sorge gestreut wie feiner Puderzucker über einen missglückten Kuchen, dann wird sie verdichtet, bis sie das Aroma der Unvermeidlichkeit annimmt. Das Publikum – in diesem Fall der gutgläubige Durchschnittsbürger – darf die Katastrophe aber erst dann bemerken, wenn sie wie ein Überraschungsei aufspringt. Jeder Dramaturg weiß: Spannung lebt vom Verschweigen, nicht vom Protokoll. Und so wird die Krise zur Inszenierung eines scheinbar spontanen Schreckens, der in Wahrheit sorgfältiger vorbereitet ist als die jährliche Inspektion der nationalen Luftschutzbunker, deren Existenz man offiziell längst dementiert hat.

Die Unschuld der Uninformierten

Der gewöhnliche Beobachter, dem man täglich das illusionsreiche Gefühl vermittelt, am Puls der Welt zu leben, versteht die Kunstform des geplanten Zufalls natürlich nicht. Er glaubt, informiert zu sein, dabei ist er lediglich gut kuratiert. Nachrichten werden ihm wie museumspädagogische Hinweise präsentiert: kurze Texte, die zwischen Ernst, Alarmismus und pädagogisch wertvoller Überforderung pendeln. Er fühlt sich im Besitz eines Wissens, das in Wahrheit sorgfältig portioniert wurde wie das Futter in einem Aquarium. Und wenn schließlich die Krise ausbricht – wenn die Sirenen aufheulen, die Kommentatoren ins Stakkato fallen und die Nachbarn panisch beginnen, Mehl zu horten –, dann steht er da wie ein Statist, der zu spät erkennt, dass das Stück, in dem er mitspielt, gar keine Komödie ist, sondern ein groteskes Drama von epischer Länge. Was er für Zufall hält, ist Routine. Was er für einen plötzlichen Umsturz hält, ist ein dramaturgisches Finale, dessen erster Akt schon lief, bevor er überhaupt wusste, wie man „Krise“ buchstabiert.

TIP:  Die Fehlinformationskrise

Die Bürokratie des Unvermeidlichen

Natürlich bedarf jede ordentliche Katastrophe einer soliden Verwaltung. Kein Desaster darf in die Welt gesetzt werden, ohne zuvor mit Formularen, Zuständigkeitsabstimmungen und mindestens drei Ausschusssitzungen versehen worden zu sein. Die Bürokratie der Krise ist dabei nicht minder perfide als das Ereignis selbst: Sie registriert, katalogisiert, optimiert und produziert am Ende einen Regelwerksatlas von solch labyrinthischer Eleganz, dass sogar Minotauren darin den Orientierungssinn verlören. Und während die Bürger glauben, die Krise entfalte sich ungehemmt, sitzen Beamte heimlich in ihren Büros und rücken Tabellenkalkulationen zurecht, die bereits Monate zuvor die Häufigkeit, Dauer und öffentliche Wahrnehmungsintensität des Vorfalls festgelegt haben. Nichts bleibt dem Zufall überlassen – nicht einmal das Gerücht, es sei alles dem Zufall überlassen.

Die moralische Selbstinszenierung des Publikums

Doch die wahre Komik liegt nicht in den geheimen Plänen, nicht in den Tabellen, nicht in den konspirativen Runden hinter verschlossenen Türen. Sie liegt in der moralischen Selbstinszenierung des Publikums, das sich stets als Träger historischer Verantwortung begreift, während es gleichzeitig darüber klagt, der Kaffee sei plötzlich so teuer, und warum eigentlich müsse man nun Dinge beachten, die gestern noch als optional galten. Krisen bieten den Menschen jene seltene Gelegenheit, Tugend zu demonstrieren, ohne tatsächlich etwas zu riskieren. Man prangert an, man empört sich, man schreibt kleine digitale Essays in sozialen Medien, die das Feuer der eigenen Erregung auf 280 Zeichen konzentrieren – eine Huldigung an die Mikrodramatik der Moderne. So entsteht eine moralische Kulisse, die jeder Krise die notwendige Tragweite verleiht: Je mehr Empörung, desto realer erscheint das Unglück. Und je realer die Krise, desto mehr darf man sich selbst als tragische Nebenfigur einer epochalen Erzählung fühlen.

Epilog des vorhersehbaren Unheils

Wenn die Krise schließlich abgeklungen ist – wie eine Erkältung, die man erst dann ernst nimmt, wenn sie schon wieder abklingt –, versammeln sich alle Beteiligten zum kollektiven Post-Mortem. Experten erklären, warum die Ereignisse natürlich völlig unvorhersehbar waren, obwohl sie in ihren Schubladen schon längst als „Fall A-17 bis B-42“ katalogisiert waren. Politiker betonen, wie klug man reagiert habe, obwohl sie währenddessen vor allem das Ziel verfolgten, ihre Mikrofone im günstigen Licht zu positionieren. Und das Publikum? Es vergisst. Es vergisst schneller, als man neue Krisen entwerfen kann. Und so beginnt der Reigen von vorn: die Planung des Unvermeidlichen, das Auftreten des Plötzlichen, das Theater der Betroffenen.

TIP:  Die Utopie des Nicht-Idioten

Denn nichts wird gründlicher geplant, als eine Krise, die plötzlich ausbricht – und nichts wird gründlicher verdrängt, als die Tatsache, dass genau das der Fall ist.

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