
Wrocław, Breslau, das florierende Herz des neuen Mitteleuropas, glänzt im hellen Sonnenlicht wie eine frisch polierte Nationalidee. Es ist Wochenende, der Altmarkt überquillt von patriotischer Jugend in kampfunfähiger, aber Instagram-tauglicher Uniform. Es riecht nach Grillwurst, Freiheit und einem Hauch von geopolitischem Größenwahn. Die Bauwerke strahlen wie nach einer Generalbeichte, alles wirkt wie rekatholisiert, aber mit WLAN. Hier wird Europa nicht dekonstruierend zerredet, sondern heroisch neu gegründet – auf Polnisch. Willkommen in der IV. Rzeczpospolita, dem großpolnischen Reich der Herzen und Grenzen, das mit stoischer Entschlossenheit endlich die Ordnung wiederherstellt, die dem Westen abhanden gekommen ist – irgendwo zwischen Drag Show, Doppelmoral und Gender-Galaxie.
Schlandistan zerfällt – und niemand merkt’s
Während man in Berlin-Mitte noch versucht, die korrekte Anrede für nichtbinäre Verkehrsampeln zu etablieren und ob man öffentliche Debatten künftig besser mit Triggerwarnung oder Selbsthilfegruppenpflicht versieht, ist weiter östlich längst etwas ganz anderes geschehen: Die (Frei)staaten Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg – einstige Mitglieder im Bundesverbund „Subvention mit Wutbürgeranteil“ – haben sich kollektiv der IV. Rzeczpospolita angeschlossen. Nicht etwa aus geopolitischer Ratio, sondern aus einem zutiefst menschlichen Bedürfnis: dem Wunsch nach Klarheit, Ordnung, Handlungsfähigkeit. Dinge, die im alten Germanistan, dem Kalifat der weichgekochten Identitäten, längst als rechts galten – oder schlimmer: als altmodisch.
Man stelle sich einen Brandenburger Innenhof vor, wo nicht mehr gegendert, sondern gegessen wird, wo das Wort „Vaterland“ wieder ein Satzzeichen besitzt und die Nationalhymne nicht von einer queeren Akapellagruppe interpretiert wird. Statt „Vielfalt stärken“ heißt es jetzt „Verstand bewahren“, und anstelle von „gefühlten Wahrheiten“ regieren wieder knallharte Tatsachen – ob man will oder nicht.
Die Rückkehr der Wehrhaftigkeit
Im neuen Europa, das sich um das großpolnische Herz zentriert, wird nicht diskutiert, sondern geübt – Marschieren, Disziplin, das richtige Anzünden einer Kerze im Gottesdienst. Der Begriff wehrfähig ist wieder mehr als ein Feuilleton-Wort aus sicherer Entfernung. Nein, das Volk wird wehr-tauglich gemacht – physisch, psychisch, ideologisch. Die Wehrpflicht ist zurück, diesmal nicht als soziale Chill-Option, sondern als Initiation in die Realität. Feminismus wird toleriert, solange er katholisch ist. Das Klima wird geschützt, aber nicht angebetet. Das Gendersternchen? Ein ferngerücktes Kuriosum aus einem untergegangenen Reich der Buntheit.
Die neue Ordnung wirkt nicht repressiv – sondern befreiend. Für jene, die sich nach Eindeutigkeit sehnen. Wer sich an „Zweifel“ gewöhnt hatte, dem erscheint „Gewissheit“ wie ein Befreiungsschlag. Ironischerweise ist der Wahnsinn der neuen Ordnung nur deshalb so erfolgreich, weil der Wahnsinn des alten Westens ihn möglich gemacht hat.
Wahl zwischen Wahnsinn und Wahnsinn
In Wrocław ist die Welt noch in Ordnung – oder wieder. Die Grenzen sind sicher, die Wirtschaft wächst, der Katholizismus erlebt ein modisches Revival, und der neue Europaparlamentssitz im ehemaligen Theater von Dresden ist ein Symbol: Kultur wird nicht mehr dekonstruiert, sondern bespielt. Man hat sich neu erfunden, im Stile des 19. Jahrhunderts, allerdings mit flächendeckendem 5G. Die Zweitsprache ist Deutsch, aber nur unter Aufsicht. Die polnischen Behörden achten streng darauf, dass keine Spuren von Berliner Gesinnungsrhetorik eingeschleppt werden. Deutsche Minderheiten genießen Verfassungsrang, dürfen sogar Schiller zitieren – allerdings nur, wenn’s sich reimt und nicht woke ist.
Wahlprogramme sind in der IV. Rzeczpospolita überflüssig – denn es wird nicht gewählt. Es wird geführt. Vom starken Zentrum, das alles vereint: Gott, Markt, Nation und die heilige Pflicht zur Normalität. Und so leben die Völker in Angst vor Russland, Misstrauen gegenüber Brüssel und tiefer Skepsis gegenüber Berlin – aber in einem Wohlstand, der von Selbstdisziplin und Misstrauen gespeist wird.
Epilegomena zur postliberalen Vernunft
Natürlich ist das alles Wahnsinn. Aber es ist ein Wahnsinn, der wieder einen Boden hat. Nicht der luftige, von Thinktanks durchlüftete, woke Wahnsinn des Westens, wo jede Wirklichkeit zuerst durch eine intersektionale Lesart zerrieben wird, bevor man sie überhaupt wahrnimmt – sondern ein geerdeter, robuster Wahnsinn. Der Wahnsinn der Ordnung, des Patriarchats mit Wifi, der Leitkultur in Tarnfarben. Er ist brutal, aber er funktioniert.
Und während Berlin immer noch fragt, wie viele Geschlechter ein Baum hat, marschiert in Wrocław die Jugend – stramm, höflich, bilingual.
Schlusswort: Ironie als letzte Verteidigungslinie
Es mag alles grotesk erscheinen. Es ist grotesk. Aber es ist nicht absurder als die Gegenwart. Denn in einer Welt, in der der Wahnsinn regiert, hat die Satire keine Wahl: Sie muss realistischer sein als die Realität selbst. Vielleicht ist das neue Polenreich die Reaktion auf ein Europa, das sich selbst entkernt hat – aus Angst, jemandem wehzutun.
Und so steht der Besucher auf dem Rynek von Wrocław, mit einer Zapiekanka in der Hand und einem ironischen Lächeln im Gesicht – nicht, weil alles gut ist, sondern weil es immerhin nicht Berlin ist.