Präambel des drohenden Donnerwetters

Man stelle sich vor: Ein Samstag in Kecskemét, die Luft geschwängert von patriotischem Pathos, der süße Duft frisch gedruckter Slogans weht durch die Reihen der Digitalen Bürgerkreise, und auf der Bühne steht der Premierminister eines mitteleuropäischen Landes, das sich – folgt man der Rhetorik seines Regierungschefs – nur noch knapp am Rand einer historischen Katastrophe entlangschleppt. Viktor Orbán, der Mann, der das Unheil kommen sieht, lange bevor der Rest des Kontinents überhaupt die Wetterkarte studiert hat, verkündet, die Wahl 2026 werde die letzte Wahl vor dem Krieg sein.

Es ist eine Ankündigung, die so unbestreitbar epochal klingt, als hätte sie ein antiker Seher, frisch aus der Höhle des Orakels, in den Medienraum des 21. Jahrhunderts geschleudert. Und gewiss: Wenn man das eigene politische Schicksal so behutsam und klug pflegt wie andere Menschen Bonsai-Bäume, dann lohnt sich ein wenig Endzeitdramatik immer. Sie nährt die Wurzeln, befeuchtet das Moos und verhindert, dass irgendjemand auf die Idee kommt, nachzufragen, ob nicht auch das eine oder andere Blatt künstlich angeheftet sein könnte.

Krieg oder Nicht-Krieg – das ist hier die Frage, und die Antwort kennt nur einer

Orbán lässt keinen Zweifel: 2026 entscheidet nicht etwa über Schulen, Straßen, Krankenhäuser oder – Gott bewahre – alltägliche Lebensqualität, sondern über Krieg oder Frieden. Ein politischer Reduktionismus, der so kühn ist, dass er beinahe schon bewundernswert wirkt. Denn während andere Regierungschefs mühsam versuchen, komplexe Realitäten zu erklären, hat Orbán längst verstanden: Wer gewinnt, hat recht; wer verliert, hat Krieg.

Natürlich ist „Krieg“ ein mächtiges Wort, ein rhetorisches Stemmeisen, das jede Debattentür aus den Angeln hebt. Und wenn man erst einmal verkündet hat, dass der Feind nicht nur an den Toren rüttelt, sondern bereits im Keller Licht brennen lässt, dann lässt sich vieles sagen – und noch mehr vermeiden.

Dass „pro-Brüssel“ in dieser Dramaturgie die Rolle des Bösewichts übernimmt, verwundert niemanden, der Orbán länger als fünf Minuten zugehört hat. Brüssel ist für diese Art politischer Epik, was die Drachen für „Game of Thrones“ sind: ein notwendiges Monster, das man immer dann herbeizitiert, wenn die Handlung schwächelt.

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Gier, diese alte Bekannte – diesmal in Brüssel

Brüssel, so erfahren wir, ist gierig. Gierig nach Sanktionen, gierig nach Gehorsam, gierig danach, Ungarn keine Ausnahmen zu gewähren, obwohl die Stadt ja angeblich so wenig Einwohner zählt, dass man fast vermuten könnte, Orbán halte sie für ein Provinzdorf, das sich wundersamerweise zur EU-Hauptstadt emporgeträumt hat.

Man muss ein wenig schmunzeln, wenn der Premierminister aus tiefster Brust erklärt, dass „Gier“ sei, wenn jemand sich nicht um die Auswirkungen seines Handelns auf andere kümmere. Denn so elegant gedreht könnte man fast meinen, es handle sich nicht um eine Kritik, sondern um eine Selbstbeschreibung eines internationalen Energiebezugs, der die geopolitische Stabilität mit der Zärtlichkeit einer Abrissbirne behandelt.

Doch der Ministerpräsident weiß, was zählt: Ausnahmen. Ausnahmen sind wie Freikarten fürs politische Überleben. Und wenn Donald Trump eine solche Ausnahme gewährt, begleitet von jener charmanten Drohung, die an unvergessliche Mafiafilm-Momente erinnert, dann klingt das in Orbáns Erzählung fast wie eine Anekdote über väterliche Fürsorge.

Links hebt, rechts senkt – fischt der Staat im Steuermeer

In der Orbánschen Welt ist die Wirtschaftspolitik eine bipolare Wasserschildkröte: Auf der einen Seite hebt die Linke die Steuern – immer, überall, logisch, zwanghaft –, auf der anderen Seite senkt die Rechte sie, fast so zuverlässig wie die Schwerkraft einen fallengelassenen Apfel nach unten zieht.

Es ist ein Weltbild, das so schlicht ist, dass es tatsächlich eine gewisse Eleganz besitzt. Denn während akademische Volkswirtschaftler in mühsamen Modellen über „Güterallokation“, „externe Effekte“ und „Strukturreformen“ sprechen, weiß Orbán längst: Es gibt nur zwei Wege. Und beide haben Pfeile. Einer zeigt nach oben, einer nach unten. Fertig.

Dass die Linke angeblich glaubt, Geld sei bei Politikern besser aufgehoben, ist dabei ein hübsches Detail, das den politischen Gegner in einer Art karikaturhafter Überzeichnung darstellt, wie sie in alten Comics üblich war, wenn man Bösewichte mit Augenbrauen aus Sägeblättern ausstattete. Orbáns Problem: Er wirkt dabei ganz ernsthaft davon überzeugt, dass es tatsächlich genau so einfach ist.

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Souveränität als Fetisch der kleinen Staaten

Ungarn müsse „unabhängig“ bleiben, „souverän“, „sein eigener Herr“. Das sind Begriffe, die Orbán mit der innigen Leidenschaft eines Menschen verwendet, der ein besonders empfindliches Haustier pflegt, das jederzeit vor Schreck tot umfallen könnte, wenn man es nur zu laut anspricht.

Natürlich klingt Souveränität wundervoll – fast so wie „Schokolade“, „Freundschaft“ oder „kostenlose Gesundheitsversorgung“. Doch Orbáns Vorstellung davon gleicht mitunter eher einem absurden Theaterstück, in dem ein Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern versucht, sich als geopolitischer Ninja zu inszenieren, der mit besonders ausgeklügelten Gedankensprüngen selbst Riesen überlistet.

Die USA, so behauptet Orbán, hätten Europa bescheinigt, seine Regierungen würden „die Demokratie verhöhnen“. Eine Art diplomatischer Tobsuchtsanfall? Ein Missverständnis? Oder war vielleicht schlicht der US-Praktikant an jenem Tag für die Formulierungen verantwortlich? Orbán jedenfalls baut daraus eine weitere Mahnung in seiner Notwendigkeitsoper: Europa wolle keinen Frieden – nur er wolle ihn, und zwar so sehr, dass seine Friedensliebe inzwischen beinahe militärische Intensität erreicht hat.

Die Klugheit der Kleinen und die „Dummheit“ als nationale Bedrohung

Orbán erklärt mit voller Überzeugung, ein kleines Land könne es sich nicht leisten, dumm zu sein. Eine bemerkenswerte Aussage, nicht zuletzt, weil sie ahnen lässt, wie viele Menschen in Ungarn bei diesem Satz spontan an die Zusammensetzung verschiedener politischer Gremien gedacht haben dürften.

Die Warnung, dass „dumme Menschen niemals in Führungspositionen gewählt werden sollten“, hat etwas Tragikkomisches. Denn wie so oft in der Politik entsteht hierbei ein Déjà-vu-Gefühl: Diejenigen, die vor Dummheit warnen, haben selten den Blick in den Spiegel gemeint.

Finale: Die große Vorbereitung auf die Nachkriegswelt

Die Nachkriegswelt – deren Existenz Orbán bereits so sicher antizipiert wie andere Menschen den nächsten Jahreszeitenwechsel – müsse vorbereitet werden. Gleichzeitig müsse man die Wahl 2026 gewinnen. Beides sei gleichermaßen wichtig. Ein Satz, der so wunderbar offenherzig ist, dass er beinahe schon als versehentliche Selbstenthüllung gelten könnte.

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Denn das Kalkül ist klar: Wer den Krieg vorher ankündigt, kann den Frieden nachher feiern – selbst wenn beides ausschließlich im imaginären Raum stattgefunden hat.

Epilog in Moll

So bleibt am Ende ein Eindruck von einem politischen Erzähler, der mit dramatischen Allegorien jongliert wie ein Varietékünstler, der sich nicht sicher ist, ob im nächsten Moment sein Publikum klatscht oder ihn ausbuht. Und wie bei jedem guten Satirestoff ist es schwer zu entscheiden, ob man lachen, weinen oder sich einfach ein Glas Wein einschenken sollte.

Vielleicht ist es aber genau diese Ambivalenz, die die Orbánsche Rhetorik so faszinierend macht: Sie ist ein bisschen Tragödie, ein bisschen Farce, und ein bisschen Zirkus – und manchmal, ganz heimlich, auch ein wenig Selbstparodie.

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