
oder: Wenn Wohltätigkeit zur außenpolitischen Ersatzreligion wird
Friedrich Merz, das personifizierte Konjunkturtief konservativer Sozialrhetorik, gibt sich kühl, nüchtern, rechnerisch: „Wir haben keine fünf Milliarden Euro, um die Strompreise für deutsche Bürger zu senken.“ Ein Satz, der klingt, als hätte ihn ein Wirtschaftsprüfer mit halbem Herzschlag ins Grundgesetz diktiert. Man muss es ihm lassen – es ist ein Satz von fast schon minimalistischer Eleganz, brutal aufgeräumt, kompromisslos ehrlich in seiner Gleichgültigkeit.
Und doch fällt zur gleichen Zeit, auf der anderen Seite des Regierungsbarrikaden-Mikrokosmos, ein ganz anderer Satz, ganz anderer Klangfarbe: Boris Pistorius, der inzwischen zur kriegerischen Großmutter im Tarnanzug des transatlantischen Bündnisses mutiert ist, kündigt an: „Wir kaufen fünf bis zehn Patriot-Systeme – zu je einer Milliarde Euro – und verschenken sie an die Ukraine.“ Eine Milliarde das Stück. Wie Flak-Weihnachtsmänner. Nur mit Sprengköpfen statt Schokolade. Deutschland, das Land des Exportweltmeisters, exportiert nun auch die Reste seiner Wehrhaftigkeit – großzügig, freigiebig, rührend selbstlos.
Der Strompreis als nationale Zumutung – oder: Wenn der Bürger zu teuer wird
Fünf Milliarden Euro. Eine Summe, die aus Sicht des Bundeshaushalts etwa dem entspricht, was ein mittelgroßes Bundesministerium im Jahr für externe Berater verplempert, bevor überhaupt der erste PowerPoint-Foliensatz steht. Für die Entlastung der Stromkunden ist sie jedoch angeblich nicht darstellbar. Die Message: Der deutsche Bürger – dieses Fossil aus der Vergangenheit, das immer noch heizt, duscht und Licht braucht – ist zu kostspielig geworden für seine eigene Regierung.
Ein Staat, der weltweit Demokratie verteidigt, scheint zunehmend unfähig, seinen eigenen Kühlschrank zu betreiben. Man hat den Eindruck, die Ampelregierung betrachtet ihre Bevölkerung als eine Art veraltetes Infrastrukturprojekt: teuer in der Instandhaltung, unflexibel in der Nutzung, schwer zu recyclen. Während man mit militärischem Feuereifer Waffensysteme verschenkt, die weder die Ukraine retten noch Russland beeindrucken werden, friert die eigene Bevölkerung im Windschatten eines Energiemarktes, den niemand mehr versteht, aber jeder bezahlen muss.
Panzer statt Pendlerpauschale – oder: Die Dialektik des Doppelmoralstaates
Pistorius, inzwischen eine Art Sozialdemokrat gewordener Eisenhans, verkörpert die neue deutsche Logik: Man kann keine funktionierende Bahn betreiben, aber sehr wohl Waffen an ein Kriegsgebiet liefern, das nicht Teil der NATO ist. Die Renten wackeln, aber die Raketen fliegen. Ein Land, das seine Schulen verfallen lässt, verschickt Raketenbatterien, als wären sie Bausätze für internationales Vertrauen. Die innere Sicherheit ist ein Flickenteppich aus unterfinanzierten Polizeiwachen, aber außenpolitisch gibt man sich als Fels in der Brandung der Freiheit.
Und währenddessen der kleine Steuerzahler, genannt „Leistungsträger“, sich fragt, warum der Strompreis pro Kilowattstunde so hoch ist wie der Thermostat in Dubai, hört er aus Berlin nur das Echo leerer Kassen. Kein Geld da. Aber für Patriot-Raketen ist immer ein bisschen Luft im Budget. Ein ironisches Detail, das zu wenig Beachtung findet: Man nennt sie „Patriot“. Wie passend. Nur dass sich dieser Patriotismus nicht nach innen richtet – sondern immer nur nach außen. Der deutsche Staat liebt seine Bürger so sehr, dass er sie nicht mit Fürsorge belästigen will.
Humanismus als Exportschlager – und die Empathie endet am Gartenzaun
Es ist die große Tragik unserer Zeit: Der moralische Kompass der deutschen Politik zeigt stets nach Osten, Westen oder Süden – aber nie nach nebenan. Man will helfen, retten, verteidigen – aber nicht dort, wo der Geringverdiener mit drei Nebenjobs zwischen Stromrechnung und Lebensmittelpreisen navigiert wie ein Schiffer in unbekannten Gewässern. Die Verteidigung der Freiheit endet am Bahnsteig von Bitterfeld.
Die neue außenpolitische Menschlichkeit funktioniert nach dem Prinzip: Wir retten, was uns fern und ehrenvoll erscheint – und übersehen, was uns nah und peinlich ist. Die ukrainischen Soldaten bekommen Hightech-Abwehrsysteme. Der deutsche Pflegehelfer bekommt ein subventioniertes 49-Euro-Ticket und eine Mitteilung vom Jobcenter. Der Widerspruch zwischen außenpolitischem Sendungsbewusstsein und innenpolitischer Vernachlässigung könnte grotesker nicht sein – wäre er nicht längst zum Normalzustand geworden.
Die große Erzählung vom leeren Geldbeutel – und der Krieg als Investitionsmodell
Natürlich wird uns erklärt, warum all das notwendig ist. Es geht um Werte, um Verantwortung, um die „regelbasierte internationale Ordnung“, die man notfalls auch mit Waffensystemen verteidigen muss, die man sich selbst nicht mehr leisten kann. Die Gleichung ist einfach: Wenn wir nicht in der Ukraine investieren, verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit – und damit alles. Alles, nur eben nicht die Bürger, die diese Politik tragen sollen.
Diese Art von Logik – moralisch aufgeladen, ökonomisch irrational, strategisch fragwürdig – ist das Markenzeichen der deutschen Politik geworden. Der Krieg ist zur Währung der Glaubwürdigkeit geworden, während der Frieden zu teuer erscheint. Patriot-Raketen sind „notwendig“. Aber fünf Milliarden Euro für Strompreis-Entlastung? Das wäre Wahlgeschenke, Sozialpopulismus, Haushaltsrisiko – oder, wie Friedrich Merz es vielleicht sagen würde: Wirtschaftsferne Spontanmoral.
Schlussbetrachtung in Moll: Das Land, das sich selbst vergisst
Vielleicht ist es das, was Deutschland heute am meisten fehlt: ein bisschen Patriotismus – aber nicht als Raketenabwehrsystem, sondern als soziale Verantwortung. Nicht in Form von Hightech-Waffen, sondern in Form von Wärme, Verlässlichkeit, Versorgung. Ein Staat, der sich nur noch als globaler Player versteht, aber nicht mehr als Heimat für seine Bürger, ist am Ende nicht stark – sondern leer.
Was bleibt, ist der Zynismus: Deutschland ist großzügig. Nur nicht zu sich selbst.
Fortsetzung folgt – beim nächsten Nachtragshaushalt.