
Von der nackten Gier zur moralischen Verkleidung
Reichtum hat immer schon den Geruch von verbranntem Holz und kaltem Metall getragen. Die einen sehen darin die glühenden Kohlen des Fortschritts, die anderen die stinkenden Überreste der Ausbeutung. Doch das eigentliche Mysterium ist nicht das Geld selbst – es ist die Namensgebung, die Taufe, die moralische Tünche. Im Osten nennt man die Geldmagnaten Oligarchen, ein Wort so spröde und unappetitlich wie ein Stück kalten Kaviars, das im Finstern serviert wird. Im Westen dagegen trägt dasselbe Geschöpf einen Frack, nennt sich Philanthrop und verteilt Wohltaten wie Weihrauch in einer Kathedrale. Und plötzlich wirkt die nackte Gier wie Nächstenliebe, die Bereicherung wie Fortschritt, die Machtakkumulation wie Verantwortung. Es ist die alte Kunst der Kosmetik: Dieselbe Fratze wird mit zwei verschiedenen Masken versehen, und der Zuschauer applaudiert brav, je nachdem, welches Etikett der Konferenzveranstalter an die Einladung geheftet hat.
Die Oligarchen des Ostens: Räuber oder Realisten?
Man nehme Roman Abramowitsch, den Mann mit mehr Yachten als Geduld für Steuern. In London galt er als glamouröser Fußballmäzen, in Moskau als Prototyp des Oligarchen, der die Reste der Sowjetindustrie wie ein Kinderschokoladen-Ei zerlegte: außen bröckelig, innen eine Überraschung. Oder Oleg Deripaska, der Alu-König, dessen Geschäfte stets so glänzten, dass man sich fragte, ob es Aluminium oder doch nur die Schmiermittel der Macht waren. Im Osten gilt diese Spezies als suspekt: zu schnell reich, zu eng verbandelt mit Politik, zu unverschämt im Auftreten. Man spricht von Raub, von Privatisierungsorgien, von mafiösen Strukturen. Doch wenn man genau hinsieht, erkennt man: Es ist die gleiche ökonomische Dynamik, die im Westen als „unternehmerischer Mut“ gefeiert wird. Nur dass man dort Champagner trinkt, während man hier Wodka kippt.
Die Philanthropen des Westens: Wohltäter oder Waschbären?
Betrachten wir das Gegenstück: Bill Gates. Ein Mann, der einst als Monopolist der Computerwelt die halbe Softwarebranche in die Knie zwang, um später mit einer Stiftung Milliarden in Impfprogramme zu pumpen. Oder Mark Zuckerberg, der unsere Privatsphäre in winzigen Portionen verkaufte und im Gegenzug Bildungsinitiativen finanzierte, die ihm die Schlagzeilen reinwaschen sollten. George Soros, geliebt und gehasst zugleich, verteilt Milliarden an Universitäten und NGOs, während er von Nationalisten als Strippenzieher einer Weltverschwörung gebrandmarkt wird. Das Muster ist klar: Der Westen liebt es, wenn seine Milliardäre ihre Imagepflege in Form von Stiftungen betreiben. „Philanthropie“ klingt nach Wohltat, nach altruistischer Erleuchtung, ist aber oft nichts weiter als eine besonders elegante Form der Steuervermeidung, der Machterhaltung und der Narrativsteuerung. Der Unterschied zum Oligarchen? Ein sorgfältig kuratierter Instagram-Account, eine gut geschriebene PR-Note und ein Saal voller applaudierender Journalisten.
Stiftungen als moralische Waschmaschinen
Die westlichen Stiftungen sind die schönsten Waschsalons der Gegenwart. Man wirft zweifelhafte Milliarden hinein, und heraus kommt strahlend weiße Reputation. Die Rockefeller Foundation hat sich in den USA unsterblich gemacht, während der Name Rockefeller einst Synonym für skrupellose Monopolbildung war. Die Carnegie-Stiftung baute Bibliotheken, nachdem Andrew Carnegie Streiks mit Polizeigewalt niederschlagen ließ. Heute gilt er als Wohltäter – nicht, weil er gütiger wurde, sondern weil seine Stiftung die Erinnerung umgeschrieben hat. Das Prinzip ist simpel: Der Oligarch im Westen braucht keinen Kreml, er braucht einen Vorstand, eine PR-Agentur und eine Einladung zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort spricht er nicht über seine Machenschaften, sondern über „Sustainability“ und „Empowerment“, Begriffe, die so glatt sind, dass man darauf Schlittschuh laufen könnte.
Medien, Moral und der tanzende Doppelstandard
Die Rolle der Medien darf man nicht unterschätzen. Der Oligarch im Osten wird in Artikeln stets mit dem Adjektiv „umstritten“ bedacht, egal ob er eine Schule baut oder einen Zoo finanziert. Der Philanthrop im Westen hingegen wird in glossy Magazinen abgebildet, wie er Kindern die Hand schüttelt, mit Überschriften wie „Der Mann, der die Welt rettet“. Kritik? Höchstens in Fußnoten, und selbst die sind so milde formuliert, dass sie wie Werbung wirken. Der Unterschied ist also nicht moralisch, sondern semantisch: Wer die Presse auf seiner Seite hat, darf seine Millionen als Heilmittel inszenieren; wer sie gegen sich hat, bleibt für immer der dubiose Räuber. Ironischerweise sind beide identisch in Handlung und Motivation – nur der eine hat einen besseren Pressesprecher.
Das moralische Fazit, das niemand hören will
Was also unterscheidet den Oligarchen vom Philanthropen? Nichts, außer der Sprache. Beide akkumulieren Macht, beide sichern ihre Position, beide nutzen ihre Ressourcen, um Einfluss auf Politik, Kultur und Gesellschaft zu nehmen. Der eine wird gehasst, der andere geliebt, und das Einzige, was dazwischensteht, ist eine Stiftungserklärung, eine PR-Kampagne oder eine Fotostrecke in der „New York Times“. Die Wahrheit ist: Der Oligarch im Osten könnte jederzeit zum Philanthropen des Westens werden, wenn er nur die richtige Imageagentur anheuern würde. Und der Philanthrop des Westens könnte jederzeit als Oligarch gelten, wenn er seinen Wohnsitz nach Minsk verlegte. Es ist eine globale Farce, ein Kostümwechsel, eine Maskerade. Und wir Zuschauer sitzen da, nicken, klatschen oder empören uns – ohne zu merken, dass wir nur Statisten sind in einem Stück, das seit Jahrhunderten gespielt wird: die Verwandlung von nackter Gier in moralischen Glanz.