Nachbemerkung zu Bondi Beach

Es ist ein merkwürdiges Ritual unserer Gegenwart, dass Worte wie in Watte gepackt werden, bevor sie in die Öffentlichkeit dürfen. Man streicht, poliert, entschärft, bis aus der Beschreibung eines konkreten Ereignisses ein semantisches Schonprogramm geworden ist. So auch im Fall Bondi Beach: Ein Anschlag, ein Täter, ein Motiv – und doch eine Formulierung, die sich anfühlt wie ein Umweg mit Absicht. „Antisemitischer Anschlag“ steht da, geschniegelt und neutralisiert, als hätte man das Etikett bewusst so gewählt, dass es möglichst viele Assoziationen offenlässt und zugleich möglichst wenige Fragen provoziert. Denn „antisemitisch“, das wissen wir alle, ist ein Wort mit eingebautem Autopiloten: Es lenkt das Denken sofort in eine Richtung, die man für vertraut hält. Man denkt an Springerstiefel, an rechte Chatgruppen, an das altbekannte Personal des Ressentiments. Man denkt – und denkt damit genau das, was man denken soll.

Die bequeme Abkürzung des Denkens

„Antisemitismus“ ist längst kein analytischer Begriff mehr, sondern ein kulturelles Reflexwort. Es fällt, und das Publikum nickt, als hätte jemand einen vertrauten Akkord angeschlagen. Das ist bequem. Bequem für Medien, bequem für Politik, bequem für eine Öffentlichkeit, die ohnehin schon erschöpft ist vom ständigen Neusortieren der Welt. Der Begriff funktioniert wie eine Abkürzung, die man nimmt, wenn man keine Lust auf eine längere Strecke hat. Doch Abkürzungen haben den Nachteil, dass sie Landschaften ausblenden. Sie verkürzen nicht nur den Weg, sondern auch die Wahrheit. Und so wird aus einem islamistisch motivierten Angriff – wenn er denn genau das war – eine semantische Nebelkerze, hinter der sich alle möglichen Akteure in Sicherheit bringen können.

Das Phantom des rechten Täters

Warum ist das so? Weil das Bild des rechten Antisemiten perfekt in das moralische Ordnungssystem westlicher Gesellschaften passt. Er ist der Bösewicht, den man kennt, den man bekämpft hat, den man immer wieder erfolgreich heraufbeschwören kann. Er ist gewissermaßen der Antagonist im Fortsetzungsroman der liberalen Selbstvergewisserung. Wenn also „antisemitischer Anschlag“ gesagt wird, ohne weitere Präzisierung, entsteht automatisch ein Phantom: der rechte Täter, der alte Feind, der uns erlaubt, die eigene Gegenwart als Variation der Vergangenheit zu lesen. Das hat etwas Tröstliches. Denn es bedeutet, dass wir nichts wirklich Neues lernen müssen. Alles bleibt vertraut, alles bleibt erklärbar, alles bleibt in den alten Schubladen.

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Die Unsichtbarmachung des Unbequemen

Ein islamistischer Anschlag hingegen ist unbequem. Er zwingt zur Differenzierung, zur sprachlichen Präzision, zur Trennung von Islam und Islamismus – und genau diese Trennung ist anstrengend. Sie verlangt mehr als Schlagworte, mehr als moralische Routinen. Sie verlangt, dass man anerkennt, dass antisemitischer Hass nicht nur ein Relikt europäischer Geschichte ist, sondern auch in religiös-fundamentalistischen Ideologien eine zentrale Rolle spielt. Wer das ausspricht, riskiert sofort, missverstanden zu werden – oder absichtlich missverstanden zu werden. Der Vorwurf der „Stigmatisierung“ liegt immer griffbereit, wie ein Feuerlöscher, der bei jeder unliebsamen Analyse reflexhaft eingesetzt wird.

Sprachpolitik als Selbstschutz

Die konsequente Verwendung des Begriffs „antisemitischer Anschlag“ ohne Benennung des islamistischen Hintergrunds ist daher weniger ein Akt der Genauigkeit als einer der Selbstverteidigung. Es ist Sprachpolitik als Schonhaltung. Man will den Antisemitismus benennen, ja – aber bitte so, dass er niemanden in Verlegenheit bringt, der nicht ohnehin schon als Bösewicht markiert ist. Man will Haltung zeigen, ohne Konflikte zu riskieren. Und so entsteht eine paradoxe Situation: Ausgerechnet im Namen der Sensibilität wird die Realität unscharf gemacht. Ausgerechnet im Namen des Schutzes wird verschwiegen, was benannt werden müsste, um wirksam zu schützen.

Satirische Fußnote zur Realität

Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Man könnte sagen: Willkommen in der Welt, in der Begriffe wichtiger sind als Ursachen und Etiketten mehr zählen als Erkenntnis. In der ein Anschlag nicht mehr das ist, was er war, sondern das, was man aus ihm machen kann, ohne jemanden zu verstören. Es ist eine Welt, in der die Sprache nicht mehr erklärt, sondern beruhigt; nicht mehr aufklärt, sondern einschläfert. Und vielleicht ist genau das der bitter-ironische Kern der Sache: Dass man glaubt, durch sprachliche Umwege moralisch aufrechter zu gehen, während man in Wahrheit nur im Kreis läuft.

Ein Augenzwinkern zum Schluss

Vielleicht sollten wir uns daran erinnern, dass Präzision kein Akt der Feindseligkeit ist, sondern der Aufrichtigkeit. Dass es möglich ist, einen islamistischen Anschlag als solchen zu benennen, ohne Muslime pauschal zu verurteilen. Und dass das Verschweigen von Motiven niemandem hilft – am wenigsten denen, die tatsächlich von antisemitischem Hass bedroht sind. Bis dahin bleibt Bondi Beach ein weiteres Beispiel für jene merkwürdige Moderne, in der man lieber das Symptom benennt als die Krankheit, weil man Angst hat, sich beim Diagnostizieren die Hände schmutzig zu machen. Ein tragisches Schauspiel, das man nur noch mit einem schiefen Lächeln ertragen kann – jenem Lächeln, das weiß, dass Satire manchmal die letzte Form von Klartext ist.

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