Macrons Ballett der Verzweiflung

Frankreich: Der 10. September war eine vielversprechende Generalprobe

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich hartnäckig für die Reinkarnation von Jupiter hält, stolperte am 10. September über eine altbekannte französische Spezialität: den Volkszorn. Der Mann, der glaubt, Politik sei eine Mischung aus PowerPoint-Folien und Investmentbanker-Sprech, musste mit ansehen, wie Hunderttausende Franzosen die Straßen füllten – nicht, um seine „Reformen“ zu beklatschen, sondern um ihm symbolisch den Mittelfinger zu zeigen.

Es war die Stunde, in der Macron einmal mehr bewies, dass er zwar glänzend darin ist, milliardenschwere Steuererleichterungen für Reiche durchzuprügeln, aber hoffnungslos überfordert, sobald ein paar Schüler:innen beschließen, ihre Schule mit einer Mülltonne zu blockieren. Ein Jupiter, der vor Teenagern und Müllsäcken zurückweicht – die griechischen Götter würden vor Lachen von ihren Wolken fallen.

80.000 Polizisten gegen eine Nation – eine Reality-Show der Peinlichkeit

Innenminister Bruno Retailleau, der sich offenbar sein Weltbild in einem feuchten Keller voller Überwachungskameras zusammenbastelt, ließ 80.000 Polizisten, Gendarmen, Drohnen und sogar Panzerfahrzeuge auffahren. 80.000! Eine Zahl, bei der man denkt, Frankreich habe sich auf eine Invasion von Marsmenschen vorbereitet – nicht auf Streikposten vor einem Amazon-Lager.

Die Szene hatte die Ästhetik einer Reality-Show, nur dass die Kandidaten keine Influencer waren, sondern uniformierte Ordnungshüter, die verzweifelt versuchten, Jugendliche am Verteilen von Flugblättern zu hindern. Währenddessen roch Paris nach Tränengas wie nach einem schlecht belüfteten Schnellimbiss. Am Ende stand die Polizei da wie eine Clownstruppe, die zwar das Zirkuszelt anzündet, aber vergisst, dass die Manege draußen weitergeht.

Streikposten als nationale Folklore

Und so wurden die Streikposten unfreiwillig zur eigentlichen Pointe. Die Regierung wollte sie zerschlagen – und verlieh ihnen dadurch erst recht mythischen Glanz. Airbus in Toulouse, Raffinerien in Le Havre, Energieposten in ganz Frankreich: jede dieser Stationen war weniger ein Ort der Arbeitsniederlegung als vielmehr eine Pilgerstätte für den heiligen Geist der Revolte.

Man stelle sich vor: Macron sitzt im Élysée-Palast, nippt an einem überteuerten Espresso, und draußen blockieren ein paar Eisenbahner:innen mit Warnwesten die Schnellstraße – und gewinnen dadurch mehr moralische Autorität als zehn Regierungserklärungen im Parlament. Es ist, als würde ein paar Schaufeln Sand den ganzen Getriebeapparat des neoliberalen Hochglanz-Frankreichs lahmlegen.

TIP:  Die frohe Kunde vom fröhlichen Feldzug

Frankreich als das Land, das sich weigert, brav zu sein

Während in Deutschland Streiks mittlerweile nach dem Prinzip „bitte nicht zu laut, wir wollen niemanden aufregen“ ablaufen und man sich in den USA nur fragt, wie viele Milliarden Dollar Schaden ein Streiktag wohl den Aktionären zufügt, kultiviert Frankreich weiterhin die noble Kunst des kollektiven Ärgers. Frankreich ist nicht einfach ein Land, es ist ein permanenter Wutanfall mit Baguette.

Und Macron, der sich selbst gern als Manager einer modernen Nation inszeniert, sitzt dabei auf dem Schleudersitz eines Landes, das von seinen Bürger:innen lieber lahmgelegt wird, als dass es sich von oben herab diktieren lässt. Kurz: Frankreich lässt sich nicht „modernisieren“. Frankreich modernisiert lieber seine Barrikaden.

Der 18. September – Endspiel oder nur die Ouvertüre?

Was also bringt der 18. September? Vielleicht das, wovor Macron am meisten Angst hat: dass die Bevölkerung begreift, wie viel Macht sie eigentlich hat, wenn sie einfach aufhört, mitzuspielen. Dann könnte aus dem Generalstreik schnell mehr werden als eine Randnotiz im Kalender – dann könnte er zur Abrechnung mit einem Präsidenten werden, der längst in seiner eigenen Hybris ertrinkt.

Am Ende ist die Pointe einfach: Macron wollte Jupiter sein, und jetzt steht er da wie ein leicht überforderter Animateur im Club Med, der vergeblich versucht, die Tanzfläche zu füllen. Das französische Volk aber tanzt längst – nur eben nicht nach seiner Pfeife.

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