Keine Pizza für Juden in Wien

Die Pizza, der Teig, das Grauen – oder: Der neue Geschmack der Stadt

Wien, du alter Narr, du morbides Kaffeehaus mit Marzipanseele und Monarchie-Mundgeruch. Du, der du einst die Wiege der Aufklärung, der Psychoanalyse und der musikalischen Genialität warst – was ist aus dir geworden? Heute sitzt du mit fettigen Fingern in der Dönerbude, hörst Türkpop und schimpfst auf „die Juden“ – ganz ungeniert und in aller Öffentlichkeit. Willkommen im Jahr 2025. Willkommen im 15. Bezirk. Willkommen in einer Welt, in der Hebräisch offenbar gefährlicher ist als eine Ratte im Kühlhaus.

Eine Musikergruppe – Cello, Geige, Klavier – ein Trio, das selbst in Tel Aviv nur als solide Lounge-Beschallung durchginge, wollte in Wien einfach nur Pizza essen. Keine Forderung nach koscherem Essen, keine brennende Menora auf dem Tisch, keine einstimmige Interpretation von „Hava Nagila“ im Pizzabackraum – nur Pizza. Margherita vielleicht. Maximal eine Quattro Stagioni. Doch es kam anders. Denn Hebräisch ist offenbar die neue Reizsprache für den gemeinen Pizzapropheten von der Ecke.

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Der Kellner – ein investigativer Geist von Berufung und ein aufrechter Spracherkennungs-Detektiv – fragt: „In welcher Sprache sprechen Sie?“ Die Frage selbst hat bereits etwas von kafkaeskem Theater, so als würde man in einem Wiener Kaffeehaus nach der Schuhgröße fragen, bevor man ein Glas Wasser serviert bekommt.

„Hebräisch“, sagt der Cellist. Bäm. Ein Wort. Zwei Silben. Und schon gleiten wir, ganz ohne Zwischengericht, in die historische Tiefenebene menschlicher Abgründe.

Die Antwort des Kellners: keine Pizza für euch. Nicht heute. Nicht hier. Nicht in dieser Sprache. Die Zutaten: Mehl, Wasser, Hefe, Judenhass. Eine Rezeptur, die man zuletzt 1938 als „volksnah“ bezeichnet hätte.

Und was machen die anderen Gäste? Genau das, was in Österreich seit Jahrhunderten bewährt ist: Sie tun nichts. Sie schauen, schweigen, kauen. Der Wahlspruch des Landes: „Wird scho passen.“

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„Na gut, vielleicht war’s ein Missverständnis“, wird jetzt der eifrige Realitätsrelativierer in sich hineinmurmeln. Vielleicht war es ein Sprachproblem. Vielleicht dachte der Kellner, „Hebräisch“ sei ein Codewort für „ich spucke in die Sauce“. Vielleicht war’s die Mittagshitze. Vielleicht war auch der Kellner einfach ein Fan von Richard Wagner und wollte seine neue Biografie von Adolf Eichmann nicht aus der Hand legen, um Mozzarella zu streuen.

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Aber nein – es war kein Missverständnis. Es war kalkulierter, blanker, unverhüllter Antisemitismus. Keine subtile Mikroaggression. Kein sozialer Fauxpas. Sondern: “Ich serviere euch kein Essen. Ihr sprecht Hebräisch. Geht.“

Das ist keine Szene aus einem dystopischen Roman. Es ist Wien. 2025. In einem Lokal, das vermutlich auf Google Maps immer noch 4,3 Sterne hat. Mit Kommentaren wie: „Gute Preise, nettes Personal, leider keine Pizza für Juden.“

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Die Polizei prüft. Das LSE prüft. Österreich prüft. Wie so oft. Man prüft hier alles. Vor allem dann, wenn es eigentlich längst klar ist. Währenddessen bleibt der Laden offen. Man könnte also reinmarschieren, sich ein Bier bestellen, ein arabisches Lied auflegen, über Israel schimpfen – alles im Preis inbegriffen.

Die eigentliche Frage ist nicht, ob hier ein Vorfall von Antisemitismus stattfand – das ist so eindeutig wie ein schlecht getarntes Nazi-Tattoo beim Public Viewing. Die Frage ist: Warum sind wir schon wieder an diesem Punkt?

Warum wird eine jüdische Musikergruppe in Wien nicht bedient – und niemand protestiert? Warum sagen Menschen, die am Nebentisch saßen, nicht: „Das ist nicht in Ordnung“? Warum verlässt niemand solidarisch mit ihnen das Lokal?

Die Antwort ist tragisch einfach: Weil es immer noch geht. Weil Antisemitismus in Europa immer noch ein gesellschaftliches Kavaliersdelikt ist – solange er nicht in Uniformen auftritt, sondern in Kellnerschürzen.

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Die anderen Gäste schritten nicht ein. Das ist der eigentliche Skandal. Antisemitismus ist ein Feuer, das sich nicht durch den Brandstifter allein ausbreitet, sondern durch das Trockene der umstehenden Menschen, die nicht löschen – sondern rauchen, lächeln, weiteressen.

Man stelle sich dieselbe Szene umgekehrt vor: Drei arabischsprachige Musiker werden in einem jüdischen Lokal abgewiesen. Die Twitter-Server würden brennen. Die New York Times würde berichten. Es gäbe Mahnwachen. Die UNO tagte. Und Wien bekäme Besuch von Al Jazeera.

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Aber in diesem Fall? Ein paar Artikel. Ein Facebook-Post. Und dann kehrt wieder Ruhe ein im Pizzalokal der Verdrängung.

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Vielleicht ist es unfair, eine Stadt zu beschuldigen. Vielleicht sind es nur Einzelfälle. Vielleicht ist auch der Kellner nur ein verwirrter Einzelidiot. Doch in einer Stadt, in der Theodor Herzl träumte, Gustav Mahler komponierte und Sigmund Freud analysierte, ist der moralische Verfall umso schmerzlicher. Wien hat eine Geschichte mit seinen Juden – und sie ist keine schöne. Jetzt wiederholt sie sich. Nur mit Pizza statt Pogrom.

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Ein jüdischer Cellist. Eine Pizzeria. Eine Sprache. Eine Ablehnung. Und ein Land, das sich prüfend räuspert. Vielleicht braucht Österreich nicht mehr Geschichte – sondern mehr Zivilcourage. Mehr Kellner, die Pizza für alle machen. Und mehr Gäste, die aufstehen, wenn das Unrecht serviert wird.

Denn Antisemitismus ist keine Frage der Vergangenheit. Er ist das Tagesgericht. Und wir alle entscheiden, ob wir mitessen.


Keine Pizza für Juden? Vielleicht kein Einzelfall. Aber ganz sicher: kein Einzelfehler.

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