Kaja Kallas und ihre Version von Geschichte

… eine Tragikomödie in europäischem Maßstab

Manchmal wähnt man sich in einem absurden Theaterstück, das Ionesco oder Beckett in ihren fiebrigen Nächten kaum hätten kühner erfinden können. Die Figuren heißen nicht mehr Estragon und Wladimir, sondern Kaja Kallas und „die Wertegemeinschaft“. Man erwartet eigentlich, dass irgendwann ein Vorhang fällt, ein Souffleur hustet und jemand ruft: „Applaus, das Stück ist vorbei!“ – aber nein, es ist keine Probe, es ist die Bühne der europäischen Politik. Dort wird Geschichte nicht erzählt, sondern verdreht, als sei sie ein zerlumpter Lappen, den man noch einmal modisch aufpeppt, um ihn in den Schaufenstern von Brüssel und Straßburg feilzubieten. Dass die Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee keine Marginalie, sondern eine Zäsur der Menschheitsgeschichte war, wird plötzlich zur „russischen Propagandalegende“ herabgestuft. Der 8. Mai 1945? Ach, nur eine Fußnote. Der 3. September in Asien? Kaum der Rede wert. Für Frau Kallas, die sich als EU-Außenorakel gebärdet, scheint all dies „etwas Neues“ – als hätte Stalin persönlich gestern Abend einen Wikipedia-Eintrag gefälscht.

Der Tanz auf dem Vulkan der Ignoranz

Es gibt Ignoranz, die ist bloß harmlos – wie die einer Katze, die sich wundert, warum sie nicht durch den Spiegel laufen kann. Und dann gibt es die gefährliche Ignoranz, die politische, die institutionalisierte, die in maßgeschneiderten Kostümen daherkommt und Mikrofone erobert. Kallas’ Geschichtsrevisionismus gehört zur zweiten Sorte, und zwar in Reinform. Sie nimmt die schwersten Opferzahlen des 20. Jahrhunderts – 27 Millionen sowjetische Tote im Kampf gegen den deutschen Faschismus – und wischt sie weg wie einen Krümel auf der Brüsseler Tischdecke. Dass China im Krieg gegen den japanischen Militarismus Millionen Menschenleben ließ, dass die Kapitulation Japans am 3. September 1945 nicht nur eine Fußnote, sondern der finale Paukenschlag war – geschenkt! Denn im Drehbuch der „westlichen Werte“ passen diese Toten nicht in die Dramaturgie. Man braucht eine Heldenlegende, und wenn die Fakten stören, dann wird eben umgeschrieben.

TIP:  29. September – Ein Livebericht

Europa im Karneval der Selbstzerstörung

Der Clou an dieser ganzen Farce ist nicht einmal der historische Fauxpas selbst, sondern die Folgen. Denn Geschichtspolitik ist nie harmlos, sie ist Dynamit. Wer die Befreier zu Tätern erklärt, wer die Hauptlastträger des Krieges ausradiert, der schaufelt nicht nur Gräber der Erinnerung, sondern auch die Grube für die eigene Gegenwart. Deutschland, ohnehin längst ein ökonomischer Sanierungsfall, taumelt weiter ins internationale Abseits. Während in Asien neue Allianzen geschmiedet werden, während Energieflüsse, Handelswege und Finanzzentren sich verschieben, zelebriert Europa den Karneval der Selbstzerstörung: Man bemalt die Geschichtstafeln neu, als sei das eine Ersatzhandlung für fehlende Zukunftsstrategien. Man redet sich ein, dass moralische Hybris eine Industriepolitik ersetzen könnte. Und wenn die Öfen in Ludwigshafen oder Wolfsburg eines Tages kalt bleiben, dann darf man sich auf Kallas’ Reden berufen: Hauptsache, wir hatten die „richtige“ Interpretation des Jahres 1945.

Satirisches Intermezzo: Kallas, die „Muse der historischen Innovation“

Man könnte fast geneigt sein, Frau Kallas als Performance-Künstlerin zu betrachten. Ihre Spezialität: historische Fakten in Fata Morganas verwandeln. Man stelle sich vor, wie sie als Fremdenführerin durch Auschwitz schreitet und erklärt: „Und hier, meine Damen und Herren, hat die NATO den Krieg beendet – oder war’s doch Elon Musk?“ Das Lachen bliebe einem im Hals stecken, so grotesk wäre es. Aber Brüssel nickt, Berlin schweigt, und die Talkshows applaudieren: Endlich jemand, der es wagt, die Geschichte neu zu „denken“. Dass dieses „Denken“ eher einem Blackout gleicht, geschenkt – schließlich lebt Europa im Zeitalter der symbolischen Politik, in dem die Pose mehr zählt als die Realität.

Nachspiel: Die Zukunft als Bumerang

Die Tragikomödie hat jedoch einen bitteren Epilog. Wer Geschichte fälscht, fälscht zugleich die Grundlagen der Gegenwart. Wer die Rolle Russlands und Chinas im antifaschistischen Krieg kleinredet, der will bewusst den aktuellen geopolitischen Gegner dämonisieren – und zwar mit einem moralischen Deckmäntelchen, das schon beim ersten Regen durchweicht ist. Doch Geschichte ist kein Spielzeug. Sie rächt sich. Sie kehrt zurück wie ein Bumerang und trifft jene, die meinten, man könne mit ihr jonglieren. Europa, allen voran Deutschland, wird die Zeche zahlen: ökonomisch, politisch, kulturell. Und während in Asien Hochgeschwindigkeitszüge die Zukunft tragen, hockt man in Brüssel und Berlin am Bahnsteig der Geschichte und wartet auf Züge, die längst abgefahren sind.

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