Kaiserschmarrn statt Sturmgewehr

oder: Die Republik der Verteidigungsverweigerer

Man stelle sich das einmal vor: Die Alpen glühen im Sonnenlicht, die Kühe kauen wiederkäuend ihr Gras, und irgendwo, in einem wohltemperierten Wohnzimmer in der Peripherie Wiens, wird mit leichtem Stirnrunzeln auf die Nachricht geschaut, dass ein EU-Nachbar unter Beschuss geraten sei. Die Reaktion? Ein gelangweiltes „Pfoa, schirch. Aber wir sind ja neutral, gell?“. So oder so ähnlich ließe sich der sicherheitspolitische Gemütszustand der Alpenrepublik zusammenfassen, deren Bürgerinnen und Bürger sich zwar nicht scheuen, bei Heimat bist du großer Söhne lautstark mitzusummen, aber wehe, jemand schickt ihnen ein Gewehr – da endet der Patriotismus abrupt, meist am moralisch bequemen Sofa.

Die Universität Innsbruck hat es nun wissenschaftlich erhoben, was jeder Beobachter des politischen Alltags ohnehin schon vermutete: Die Bereitschaft zur Landesverteidigung ist in Österreich nicht nur gering, sie ist eine Art nationales No-Go – irgendwo zwischen zu anstrengend, zu gefährlich und zu unhöflich verortet. Während man also tapfer in den Krieg gegen den CO₂-Ausstoß zieht, bleibt der Griff zur Waffe im Verteidigungsfall – sagen wir es höflich – ein absoluter Stimmungskiller.

Neutralität als metaphysisches Wellnessprogramm

Es ist ein Kuriosum, das sich wie ein K.-u.-k.-Relikt aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart geschleppt hat: Österreichs Neutralität wird nicht etwa als diplomatische Realität begriffen, sondern als metaphysischer Zustand tiefen Wohlbefindens – so wie ein leicht sedierter Patient in der Badewanne. Kein Wunder, dass 72 Prozent der Befragten meinen, andere Staaten sollen im Ernstfall bitte schön Österreich verteidigen – das ist gelebte Solidarität à la carte: Ich esse das Schnitzel, du gehst in den Schützengraben.

Dabei war die Neutralität einst ein politischer Kompromiss des Kalten Krieges – heute ist sie ein Vorwand, um sich vor der Verantwortung zu drücken wie ein Schüler vor dem Turnunterricht. Die Wehrhaftigkeit ist dabei nicht nur eine militärische, sondern auch eine moralische Kategorie. Und genau hier beginnt das große Schweigen in den weichen, mit Zirbenholz vertäfelten Seelenlandschaften der Nation.

TIP:  "Fuck the EU!"

Die Wehrpflicht als folkloristisches Ritual mit Nachspielzeit

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Wehrpflicht existiert in Österreich, aber sie funktioniert wie ein Museumsstück – man kann sie anschauen, aber bitte nicht benutzen. Viele junge Männer durchlaufen den Präsenzdienst wie eine Mischung aus verlängertem Schulskikurs und therapeutischem Gruppenerlebnis im Tarnanzug. Die Realität der Landesverteidigung spielt dort allenfalls eine Statistenrolle im Theater der gepflegten Sinnlosigkeit.

Und die Frauen? Deren Beziehung zum Militär wird bestenfalls als „unterkühlt“ beschrieben – verständlich, da sie strukturell davon ausgeschlossen wurden, sich mit Wehrhaftigkeit auseinanderzusetzen. Die Genderlücke in der Verteidigungsbereitschaft ist also kein Wunder, sondern ein direktes Resultat politischer Ignoranz gepaart mit gesellschaftlicher Bequemlichkeit. So bleibt das Heer eine Spielwiese der Apathie – und der militärische Ernstfall ein Thema für Strategen in TV-Studios, aber sicher nichts, wofür man den eigenen Thermobecher abstellen würde.

Das Wunschkonzert der Widersprüche – Verteidigung ja, aber bitte ohne mich

Die Studie zeigt auch: Eine knappe Mehrheit will, dass Österreich verteidigt wird – nur tun möchte das keiner. Hier offenbart sich das vielleicht entlarvendste Detail der kollektiven Psyche: Wir leben in einer Konsumgesellschaft auch in Fragen der Sicherheit. Freiheit, Unversehrtheit, Souveränität? Alles gern genommen. Aber liefern sollen das bitte andere. Die Verteidigung wird externalisiert wie der Kundendienst bei einem Internetanbieter.

In dieser Logik ist nicht mehr das eigene Handeln entscheidend, sondern die Hoffnung auf moralische Anschlussfähigkeit. Ein EU-Partner wird angegriffen? Natürlich sollte man solidarisch sein – aber „solidarisch“ heißt hier: wohlmeinende Tweets und ein Lichtermeer am Heldenplatz, kein Truppeneinsatz oder gar das eigene Leben riskieren. Die Idee der Solidarität wird auf den Kopf gestellt – sie endet genau dort, wo sie konkret würde.

Vom Ernstfall zur Eventkultur – Die Verdrängung als Staatskunst

Dass Österreich in eine sicherheitspolitische „Entrückung“ geraten sei, wie der Politologe Martin Senn diagnostiziert, ist eine vorsichtige Formulierung für das, was man nüchtern „Realitätsverweigerung in Lederhose“ nennen müsste. Zwischen Jodelworkshops, Nachhaltigkeitsdialogen und der großen Debatte über Gendersterne ist schlicht kein Platz für die profane Frage: Was tun wir eigentlich, wenn der Krieg nicht nur im Fernsehen ist?

TIP:  Wenn alles aus der Reihe läuft, stehen alle Schlange

Die Antwort ist erschütternd einfach: Nichts. Oder noch schlimmer – wir hoffen auf Deutschland. Dabei wäre es gar nicht notwendig, in martialischer Kriegsrhetorik zu schwelgen. Was fehlt, ist das Bewusstsein, dass Frieden nicht nur ein Zustand ist, den man genießt, sondern auch einer, den man aktiv schützen muss. Mit Haltung, mit Verantwortung – und, ja, notfalls auch mit Waffen.

Resümee einer politischen Postkarte aus dem Abseits

Das Land der Skifahrer, Schnitzelliebhaber und Bürokratieästheten zeigt sich im Ernstfall nicht als Nation von Staatsbürgern, sondern als Kollektiv von Versicherungskunden. Der Wunsch: maximale Sicherheit bei minimalem Einsatz. Die Realität: ein Heer, das mehr mit Katastrophenschutz beschäftigt ist als mit militärischer Landesverteidigung. Die politische Führung? Scheut jede echte Debatte über Wehrpflicht, Einsatzbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit wie der Teufel das Weihwasser – zu heikel, zu unpopulär, zu konkret.

Vielleicht braucht es also gar keinen Feind von außen, um das Scheitern einer sicherheitspolitischen Kultur zu demonstrieren. Die eigentliche Bedrohung kommt längst von innen: Sie heißt politische Bequemlichkeit, moralische Inkonsistenz und ein kollektives Wegschauen mit Alpenpanorama. Österreich verteidigt sich nicht – weil es gar nicht weiß, warum es das tun sollte. Oder schlimmer noch: weil es glaubt, dass es schon irgendwer tun wird.

Nachsatz:
„Ich liebe mein Land“ ist ein schönes Gefühl. „Ich verteidige mein Land“ ist ein Bekenntnis. Dazwischen klafft in Österreich ein Abgrund, der breiter ist als das Donautal.

Please follow and like us:
Pin Share