Immer dasselbe Theater

Die unvermeidliche Wiederholung des Unerträglichen

Es ist ein rhythmisch wiederkehrendes Ritual, eine Choreografie der Betroffenheit, die sich mit bedrückender Präzision entfaltet. Ein psychisch auffälliger Mensch, meist mit Migrationshintergrund – was die Schlagzeile auf den Titelseiten stets um das gefürchtete Wort „Einzelfall“ ergänzt –, greift zu einem Messer. Dieses Messer, jenes uralte Symbol für alles, was archaisch, blutig und unmittelbar ist, wird zur stummen Botschaft eines Menschen, der nicht gehört wurde oder nicht hören wollte. Ein Leben endet, meist sinnlos, oft brutal, immer tragisch.

Dann folgt die Kakophonie. Die Politiker treten ans Mikrofon, ihre Augenringe und zerzausten Haare sollen uns demonstrieren, wie sehr sie persönlich betroffen sind. Der Tatort wird zum politischen Pilgerort. Dort flüstert ein Ministerpräsident etwas von „unserem Zusammenhalt“, während er unsichtbar den PR-Berater am Ohr hat, der zuflüstert, welche Formulierung im Wahlkampf die wenigsten Wählerstimmen kostet. Es ist alles so durchschaubar, so vorhersehbar, dass einem die Empörung schon im Hals stecken bleibt, bevor sie je die Zunge erreicht.

Der Betroffenheitszirkus als politische Pflichtübung

Selbstverständlich ist auch die zivilgesellschaftliche Maschinerie sofort zur Stelle. Die Omas gegen Rechts schwingen ihre Stricknadeln, um Transparente mit Aufschriften wie „Bunt statt braun“ zu zieren, und ein Friedenschor, der aus berufsempörten Mittvierzigern besteht, singt am Tatort „Imagine“. Die mediale Elite reiht sich derweil in einen Wettbewerb der gepflegten Floskeln ein. „Ein schrecklicher Vorfall, der uns alle betrifft,“ intoniert der Nachrichtensprecher mit der Emphase eines Toastbrots, bevor er zum nächsten Beitrag über die neuesten Netflix-Releases überleitet.

Es ist ein durch und durch zynischer Akt, dieses Schaulaufen der Betroffenheit, das nichts anderes ist als ein pseudomoralisches Bühnenstück. Das Publikum weiß, dass die Schauspieler nichts fühlen, und die Schauspieler wissen, dass das Publikum es weiß. Aber das Spiel muss weitergehen, denn die politische Bühne erfordert diese Aufführung. Ohne Tränen, ohne Kerzenmeer, ohne vielstimmige Empörung bliebe ja nur das kalte Schweigen, und damit müsste man sich der Frage stellen, was man denn konkret zu ändern gedenkt. Und ändern, meine Damen und Herren, ist das schmutzigste Wort in der politischen Sprache.

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Und täglich grüßt die politische Tagesordnung

Nach wenigen Tagen ist die Betroffenheitsindustrie erschöpft. Die Politiker sind wieder zurück in Berlin, wo man gerade über die CO₂-Steuer streitet oder die nächste Gendersensibilitätskampagne plant. Die Talkshows laden noch einmal zu einer letzten Runde ein: Eine Migrationsforscherin erklärt mit monotoner Stimme, dass „psychische Auffälligkeiten unabhängig von der Herkunft auftreten“, während ein populistischer Raufbold dazwischen grätscht und behauptet, „wir importieren den Terror“. Am Ende ist der Konsens derselbe wie immer: Man müsse mehr investieren. In Integration. In Polizei. In psychologische Betreuung. In alles.

Doch am nächsten Tag, wenn die Kerzen erloschen und die Kameras abgebaut sind, passiert das Unvermeidliche: Nichts. Die Routine kehrt ein wie der Winter in einer sibirischen Kleinstadt. Kalt, grau und unaufhaltsam. Die Tat verblasst im kollektiven Gedächtnis, überlagert von neuen Krisen, von neuen Katastrophen. Bis zum nächsten Mal. Und es wird ein nächstes Mal geben. Natürlich wird es das.

Der Zynismus des ewigen Kreislaufs

Was bleibt, ist die schale Erkenntnis, dass dieses groteske Theater nicht einfach so beendet werden kann. Es ist zu bequem, zu profitabel, zu fest verankert. Die Betroffenheitsindustrie lebt vom Kreislauf der Tragödie. Politiker brauchen diese Momente, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Medienhäuser generieren Klicks, Aktivisten mobilisieren für Demonstrationen, und selbst der ärgste Zyniker im Hinterzimmer einer Kneipe findet darin neuen Stoff für seine bittere Satire.

Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Man könnte weinen, wenn es nicht so lächerlich wäre. Aber am Ende bleibt uns nichts anderes, als die nächste Vorstellung abzuwarten. Gleicher Ort, gleiche Zeit, neues Opfer. Willkommen im Theater der Beliebigkeit, wo die Tragödie immer wieder von vorne beginnt und die Pointe längst abgestanden ist.

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