
Wenn zwei alte Männer mit der Welt Schach spielen, aber keiner weiß, wo das Brett steht
Man stelle sich die Szene vor: Zwei Männer – beide mit Alterserscheinungen, die entweder vom Whiskey, vom Machtmissbrauch oder von zu viel Bildschirmzeit stammen – führen eine Diskussion, die jeden diplomatischen Beobachter das Zittern lehrt, jedoch nicht vor Ehrfurcht, sondern vor Verzweiflung. Der eine heißt Trump, bekannt als der Erfinder des „alternativen Fakts“, und hält nun in seiner zweiten Amtszeit Hof auf einer Plattform, die klingt wie ein überambitioniertes Wellness-Start-up („Truth Social“) – der andere heißt Medwedew, ein Mann, der einst als Präsident Russlands galt, heute aber mehr wie ein Telegram-Bot auf Koks agiert. Beide werfen mit Worten um sich, als seien es Wasserballons auf einem Kindergartenfest – nur dass die Ballons mit Plutonium gefüllt sind.
Trump, der sich offenbar für den Chuck Norris der Geopolitik hält, kündigt per social media die Verlegung zweier Atom-U-Boote in „geeignete Regionen“ an. Die Orte bleiben vage, weil Vagheit bei Trump zur Methode gehört – Unklarheit ist sein Schwert, Dunst sein Schild. Das erinnert nicht zufällig an Fernsehformate der 90er: Showdown ohne Drehbuch, dafür mit viel Nebelmaschine. Dass die Welt dabei als Bühne herhalten muss, ist nur folgerichtig – immerhin ist sie ja ohnehin schon Kulisse geworden in einem Theater, das längst keine Handlungen mehr kennt, nur noch Attitüden.
Die Rückkehr der Apokalypse als Politikstil – Retro ist das neue Real
Was aber wirklich bemerkenswert ist, ist nicht die atomare Andeutung an sich – das ist im 21. Jahrhundert leider schon fast ein Stilmittel. Es ist der Tonfall: ein kindischer, provokativer, pubertär-kriegerischer Sound, der sich um jeden historischen Ernst foutiert. Trump, der Mann, der Twitter durch den rhetorischen Fleischwolf gedreht hat, gibt sich „überrascht“, dass mit Putin zwar gute Gespräche möglich waren, aber trotzdem Bomben fliegen. Diese Mischung aus gespielter Naivität und tatsächlicher Realitätsverweigerung ist mehr als gefährlich – sie ist symptomatisch für eine Weltordnung, die ihre Fäden verloren hat, aber weiterhin so tut, als liefe alles nach Drehbuch.
Und Medwedew? Der grummelige Ersatz-Stalin mit Telegram-Zugang, dessen Drohungen mittlerweile fast schon literarisch wirken – jedenfalls in ihrer manischen Wiederholung. Dass er Trump als „Opa“ bezeichnet, ist fast poetisch. Ein gealterter Halbgott beleidigt einen anderen, als säße man in einer antiken Tragödie, nur ohne Chor, dafür mit Social Media. Beide umgeben sich mit Pathos, das den Eindruck erwecken soll, es ginge noch um Prinzipien. Tatsächlich geht es nur noch um Egos. Und um Klicks. Und um die Möglichkeit, sich als letzte virile Instanz in einer entmannten Welt zu präsentieren – mit nuklearem Subtext, versteht sich.
Die Rolle Europas: Der Kontinent als Fußnote
Und Europa? Nun, Europa sitzt wie immer am Katzentisch der Geschichte, löffelt kalte Suppe und murmelt etwas von „regelbasierter Ordnung“, während sich am anderen Ende des Saals zwei testosterongetriebene Atompäpste mit Ultimaten bewerfen. Brüssel veröffentlicht eine „scharfe Stellungnahme“, Berlin telefoniert mit sich selbst, und Paris gibt sich verschnupft über mangelnden Respekt gegenüber französischer Diplomatie – kurz: Business as usual. Das große Projekt der europäischen Friedensordnung wirkt in solchen Momenten wie ein gut gemeinter Aquarellkurs inmitten eines Flammenmeers.
Die U-Boote? Europa hat keine. Jedenfalls keine, die man erwähnen möchte. Was bleibt, ist Empörung in PDF-Form, eine Gipfelkonferenz mit schlechtem Kaffee und die vage Hoffnung, dass sich die Großen doch bitte wieder benehmen mögen. Doch das Problem ist: Die Großen haben sich nie benommen. Und Europa war nie groß. Es war immer nur der moralische Erzähler einer Geschichte, die andere schreiben – mit Blut, Stahl und dem Wort „Sicherheit“ im Munde.
Atomare Schatten in börsennotierten Zeiten
Währenddessen zittern die Märkte. Natürlich. Börsenkurse, diese sensiblen Seismografen globaler Grobheit, reagieren auf Trumps U-Boot-Show mit dem klassischen Abwärtsschnupfen. Der DAX taumelt, Analysten dreschen semantisches Stroh, und das goldene Kalb Kapital bekommt mal wieder ein bisschen Fieber. Die Eskalation ist also angekommen, wo sie hingehört: im Depot. Und wie immer ist es diese Mischung aus geopolitischem Horror und monetärer Nervosität, die unsere Gegenwart so einzigartig schizophren macht: Ein Satz auf Truth Social lässt Milliarden verschwinden, ein U-Boot in Bewegung ersetzt einen Friedensplan. Willkommen im Zeitalter der Simulation.
Das eigentliche Drama ist jedoch, dass niemand mehr glaubt, dass jemand glaubt. Alle Akteure agieren wie Figuren in einem aufgeblähten Rollenspiel, in dem jeder weiß, dass der Endgegner nur ein Algorithmus ist. Die Drohung wird zur Inszenierung, das Ultimatum zum Clickbait. Und der Atomkrieg? Vielleicht nur ein besonders gut getimter Marketing-Gag.
Schlussstück ohne Pointe: Wir spielen Krieg – aber keiner weiß mehr, wie man Frieden macht
Was bleibt also, außer ein resigniertes Schulterzucken mit intellektuellem Überbau? Die Vorstellung, dass ein einziger alter Mann auf einer Social-Media-Plattform darüber entscheidet, wie nah zwei Atom-U-Boote an Russland heranschleichen, ist grotesk – und gleichzeitig völlig logisch. In einer Welt, in der die politische Rationalität durch ein Gemisch aus Showgeschäft, Altersstarrsinn und nuklearer Nostalgie ersetzt wurde, ist alles möglich. Und nichts mehr wahrscheinlich.
Vielleicht ist das die neue Konstante: Dass wir nicht mehr wissen, ob wir uns in einem Weltkrieg befinden oder nur in einer besonders absurden Episode spätkapitalistischer Realitätssatire. Die Grenzen verschwimmen, die Sprache implodiert, die Logik kapituliert. Und mittendrin steht Europa, milde verwirrt, leicht enttäuscht und – wie immer – ohne Plan, aber mit vielen Prinzipien. Irgendwo in der Ferne ein U-Boot. Und ein Tweet. Und eine Frage: Wann genau wurde das alles eigentlich normal?