
Der Patriotismus der Sofadecke: Zwischen moralischer Erhabenheit und Lieferando-Rationalismus
Eine Umfrage also. Schon wieder eine Umfrage. 60 Prozent der Deutschen würden ihr Land nicht verteidigen, hieß es jüngst im RND. Die Reaktion darauf war wie immer: ein kurz entflammtes Medienecho, ein paar warnende Leitartikel, etwas Politiker-Betrübtheit in Talkshows – dann wieder Stille, wie nach einem Furz im Konzertsaal. Dabei ist diese Zahl nicht irgendein Data-Schnipsel aus dem sozialstatistischen Maschinenraum des demoskopischen Zeitgeists. Sie ist eine Monstrosität. Eine demografische Bankrotterklärung. Ein Spiegelbild kollektiver Abwendung, verpackt in höfliche Prozentzeichen.
Wären die Deutschen ein Märchenvolk – was sie ja insgeheim noch immer gern wären, solange der Prinz Bio-vegan ist und das Schloss energetisch saniert – dann wäre diese Zahl das fluchbeladene Orakel aus dem dunklen Wald. 60 Prozent – das ist nicht bloß Resignation. Es ist das Resultat jahrzehntelanger Dauertherapie, Selbstrelativierung, Schuldmantra, gepaart mit dem beruhigenden Summen der Spülmaschine und der Amazon-Prime-App. Im Ernstfall, so scheint es, verteidigt der moderne Deutsche lieber sein WLAN-Passwort als seinen Wohnort.
Von der Wehrpflicht zum Wehrwillen – eine Implosion in Zeitlupe
Es war einmal ein Land, in dem „Dienst an der Waffe“ noch nicht gleichbedeutend war mit „rechtsradikal“, „toxisch maskulin“ oder – Gott bewahre – „zu früh aufstehen“. Doch das ist lange her. Was nach dem Kalten Krieg als Fortschritt gefeiert wurde – die Demilitarisierung der Mentalitäten – hat sich längst als eine Art sittlicher Selbstkastration erwiesen. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, nicht diskutiert. Militär wurde zum Exotikum – irgendwo zwischen Ironie und Ignoranz. Die Bundeswehr? Irgendwas mit Hubschraubern, die nicht fliegen, und Uniformen, die auch Genderfragen beantworten sollen. Bravo.
Der Bürger indes wurde zum Konsumenten seiner Republik: anspruchsvoll, gut informiert, moralisch hochgerüstet – aber bitte ohne Risiko. Das Land soll leisten: Klima retten, Gleichheit fördern, Diversität feiern. Aber wehe, jemand fragt, ob man es im Notfall auch verteidigen würde. Verteidigen? Mit den Händen? Mit Schweiß? Mit Gewalt?
Gewalt ist schließlich böse. Lieber diskutiert man über Mikroaggressionen als über Munitionsreserven. Und so geht das große Mißverständnis weiter: dass Frieden ein Zustand sei, der sich durch gute Laune und korrektes Gendern dauerhaft sichern lasse.
Moralweltmeister im Luftschutzbunker: Die neue Kriegsführung ist kognitiv
Doch bevor wir die 60 Prozent endgültig auf den Scheiterhaufen der Feigheit werfen, sollten wir uns eines klarmachen: Diese Absage an die Verteidigung hat ihre eigene Rationalität. Der moderne Deutsche ist kein Deserteur – er ist ein Post-Militarist. Er glaubt, er sei über Krieg erhaben. Dass sich das Land durch moralische Überlegenheit schützt – durch das feine Gespür für globale Ungerechtigkeiten, durch vegane Wochenmärkte, durch ein fehlerfreies Benennen aller marginalisierten Gruppen. Warum also kämpfen, wenn man diskutieren kann?
Der Feind, so glaubt man, wird sich durch Scham überwinden lassen. Man wird ihm die historische Verantwortung erklären, ihn mit Correctness bombardieren, ihn in Workshops zwingen. Und wenn das nicht hilft: Sanktionen! Embargos! Notfalls eine scharf formulierte Petition! Dass der Feind möglicherweise nicht auf dem gleichen Ethik-Seminar war – das wird als kulturelles Defizit gewertet, nicht als Bedrohung.
Die Generation Zieht-Nicht-Los: Von Avocados, Ambivalenz und Ausreden
Es ist nicht nur die älter werdende Bevölkerung, die sich auf ihre Eigenheime zurückzieht wie eine Schnecke ins mobile Tiny House. Es ist vor allem die Generation der Digitalisierten, die in den Zahlen der Umfrage am deutlichsten Nein sagt. Die „Generation Z“ ist eben keine „Generation Zieht-Los“. Sie ist fluide, adaptiv, pazifistisch – und voller Angst, dass eine Uniform den Algorithmus sprengen könnte.
Ihre Vorstellung von „Kampf“ beschränkt sich auf Twitter-Diskussionen, wo 280 Zeichen reichen, um Weltpolitik zu verurteilen. Ihre Vorstellung von Mut? Coming Out, Gender-Statement, Flugverzicht. Alles respektabel. Nur: Wenn der Panzer vor der Tür steht, hilft keine Triggerwarnung. Und spätestens dann stellt sich die Frage, ob man ein Land nicht auch mal körperlich verteidigen muss – oder ob man die Aufgabe lieber an Polen outsourct.
Die Komfortzone als Vaterland – und warum das nicht reicht
Wofür würde man also kämpfen? Für das Grundgesetz? Für das Recht, in Jogginghose zum Bäcker zu gehen? Für die Freiheit, sich an allem zu stören? Der Patriotismus der Deutschen ist ein zärtlich umsorgter Schatten: kaum greifbar, stets moralisch legitimiert, aber im Ernstfall unbrauchbar. Wer heute sagt, dass er sein Land liebt, muss sich rechtfertigen – und wehe, er tut es zu leidenschaftlich.
Und so lieben wir dieses Land am liebsten indirekt: über seinen Nahverkehr (wenn er denn fährt), seine Bürokratie (wenn sie denn reagiert), seine Demokratie (wenn sie denn nicht polarisiert). Aber wehe, dieses Land fordert etwas zurück. Dann wird aus der „wehrhaften Demokratie“ ganz schnell eine „wehrlose Demokratie mit Handyvertrag“.
Fazit oder: Wenn das Vaterland ruft – und keiner geht ran
Vielleicht ist die Umfrage kein Skandal, sondern nur ehrlich. Vielleicht wissen 60 Prozent einfach sehr genau, was auf dem Spiel steht – und dass sie es nicht mehr retten können. Oder nicht retten wollen. Vielleicht haben sie längst beschlossen, dass man seine Heimat auch im Exil lieben kann, mit deutschem Brot in Portugal und GEZ-freier Sonne.
Doch eines bleibt: Wer nicht bereit ist, für sein Land zu kämpfen, darf sich nicht wundern, wenn es eines Tages nicht mehr da ist – oder nicht mehr seins ist. Heimat ist eben kein Netflix-Abo, das man kündigt, wenn’s unangenehm wird. Sie ist auch kein Konzept, das man endlos dekonstruieren kann, ohne dass es irgendwann zusammenbricht.
Am Ende bleibt eine unbequeme Wahrheit: Frieden ohne Bereitschaft zur Verteidigung ist nichts als Glück im Ausnahmezustand. Und Glück – wie wir wissen – ist flüchtig. Besonders in Europa. Besonders heute.