Identität to go

Prolog aus dem Theaterfundus des 21. Jahrhunderts

Die Welt ist eine Bühne, sprach Shakespeare einst – doch er wusste nicht, was er damit lostrat. Hätte er geahnt, dass seine metaphorisch gemeinte Bemerkung eines Tages als wörtliche Anleitung für gesellschaftliche Identitätsstiftung herhalten würde, er hätte Hamlet vermutlich statt mit Totenschädel mit Selfiestick ausgestattet. Denn heute, in einer Zeit, in der der Mensch sich aus der Asche seiner biologischen Prägungen emporphantasiert wie ein überambitionierter Phönix im Drag-Outfit, genügt ein Gedanke, ein Wunsch, eine Behauptung – und siehe da: Der Mensch ist, wer er zu sein meint.

Kleider machen Leute – aber machen sie auch Identität?

Es war einmal, so erzählt man sich in dunklen Fluren des gesunden Menschenverstands, ein Schneiderlein, das sich ein Wams nähte und fortan König war. Heute reicht ein H&M-Kleid, eine schulterlange Perücke aus Polyethylen und ein Lippenstiftton mit der Farbe „Regenbogenmanifest“ – und siehe da, die Evolution ist besiegt. Wer braucht schon XX- oder XY-Chromosomen, wenn ein TikTok-Video mit Filter und Hashtag #SheHer ausreicht, um jahrtausendelange anthropologische Realität als soziales Konstrukt zu demaskieren?

Die neue Liturgie der Identität lautet: Ich fühle, also bin ich. Und wenn ich mich als Frau fühle, dann bin ich eine Frau – auch wenn mein Bartwuchs mich regelmäßig an die unnachgiebige Testosteronproduktion meines Körpers erinnert. Doch das wird als retrograde Biologie abgetan, als faschistoide Wissenschaft, als das ungebetene Echo eines untergehenden Zeitalters, in dem Fakten noch etwas galten. Heute zählen Gefühle. Und Gefühle, meine Damen und Herren, sind immun gegen Widerspruch. Gefühle haben recht, immer. Wer etwas dagegen sagt, ist ein Transphob, ein Reaktionär oder – schlimmer noch – ein Kritiker.

Ein Stethoskop namens Sehnsucht – wenn Wunschdenken Medizin ersetzt

Doch erlauben Sie mir ein ketzerisches Gedankenexperiment: Ich wache morgen auf und fühle mich tief im Innern – nein, nicht als Frau, das wäre zu ordinär – sondern als Arzt. Als Heiler der Menschheit. Ich schlinge mir ein Stethoskop um den Hals, stecke mir einen Kugelschreiber mit Pharmawerbung in die Kitteltasche und betrete selbstbewusst die nächste Notaufnahme. Diagnose? Sekundäre Identitätsinflation mit hypertropher Selbstüberschätzung.

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Doch wehe dem, der es wagt, mich aufzuhalten. Ich fühle mich als Arzt. Ich habe schließlich „Grey’s Anatomy“ durchgebingt, mein Google-Suchverlauf enthält mehr Fachbegriffe als das Erste-Hilfe-Handbuch des ADAC, und mein weißer Mantel ist frischer als das Blut der Patienten, das ich bald zu vergießen plane. Also bin ich Arzt, oder nicht?

Die Antwort dürfte – zumindest noch – ein zögerliches „Nein“ sein. Denn, ach, bei Ärzten bestehen wir seltsamerweise auf Ausbildung, Expertise, Examen und nicht zuletzt auf einem gewissen Maß an Verantwortungsbewusstsein. Hier gilt Identität nicht als rein subjektives Kunstprodukt, sondern als Resultat objektiver Leistung. Es wäre auch schade, wenn ein pathologisch motivierter Schauspieler Ihre Blinddarmentzündung mit Globuli behandeln würde – obwohl, in Berlin-Kreuzberg mag das als ganzheitlicher Ansatz durchgehen.

Der postmoderne Narziss – im Spiegel der Selbstinszenierung

In Wahrheit aber sind wir längst in einer Ära angekommen, in der Schein mehr zählt als Sein, in der der ästhetische Akt der Selbstdeklaration höher gewichtet wird als jedes empirische Fundament. Wir leben in einem semiotischen Disneyland, in dem Worte nicht mehr Bedeutungen tragen, sondern Bedeutungen tragen müssen, die man ihnen gerade andichtet.

„Frau“ ist kein biologisches Phänomen mehr, sondern ein Performance-Label mit monatlichem Abo. Wer sich auf die Bühne der Geschlechteridentität wagt, muss nicht mehr mit der Realität ringen, sondern nur mit der Requisite. Die Frage ist nicht mehr: Was bin ich? Sondern: Wie glaubwürdig kann ich es spielen?

Identität ist heute wie ein Rollenspiel auf LSD – alles ist erlaubt, alles ist möglich, solange man es ernst genug meint und Twitter einem zustimmt. Es ist der Triumph des Subjektiven über das Reale, des Narrativs über die Natur, der Pose über die Person.

Das gefährliche Spiel mit dem Ernst des Lebens

Doch während wir auf diesem Jahrmarkt der Möglichkeiten unsere Pronomen neu sortieren wie Pokémonkarten, vergessen wir, dass gewisse Dinge nicht verhandelbar sind. Medizin, zum Beispiel. Oder Physik. Oder der Umstand, dass ein Mann trotz Barttransplantat kein Eierstockkarzinom bekommen wird.

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Die Willkür, mit der Begriffe wie „Frau“, „Mann“, „Arzt“, „Lehrer“ oder „Expertin“ inflationär und entkoppelt von realer Substanz verwendet werden, ist nicht bloß komisch – sie ist potenziell gefährlich. Denn eine Gesellschaft, die den Unterschied zwischen Schein und Sein nicht mehr erkennt, ist wie ein Flugzeug mit einer Kabinencrew aus Menschen, die sich als Piloten identifizieren, aber ihr ganzes Leben lang nur „Microsoft Flight Simulator“ gespielt haben.

Zwischen Fazit und Farce – wer bin ich, wenn keiner mehr fragt?

Was also bleibt von der Frage: Wenn ich mich als Frau identifiziere, bin ich eine Frau – aber wenn ich mich als Arzt identifiziere, nicht automatisch ein Arzt?

Die Antwort ist so einfach wie unbequem: Die gesellschaftliche Toleranz für subjektive Identitätsbehauptung ist selektiv. Dort, wo es modisch, politisch opportun oder moralisch verlockend ist, wird sie gefeiert. Dort, wo Verantwortung, Risiko oder gar Konsequenz ins Spiel kommen, wird plötzlich wieder mit Maß und Vernunft gewogen.

Ein Kleid macht noch keine Frau. Ein Kittel noch keinen Arzt. Und ein Gefühl, so ehrlich es auch sei, ersetzt nicht die Realität, sondern kommentiert sie allenfalls. Doch in einer Welt, in der Kommentare für wichtiger gehalten werden als Tatsachen, tanzt die Vernunft auf einem Minenfeld aus Befindlichkeiten.


Epilog für Fortgeschrittene

Doch bevor Sie mir nun empört den roten Stempel „reaktionär“ auf die Stirn drücken oder ein virtuelles Cancel-Ritual einleiten: Denken Sie daran, dies ist Satire. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht identifiziere ich mich gerade einfach nur als Satiriker.

Und wer will es wagen, das in Frage zu stellen?

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