Ich frage für einen Freund

Über Katzen, Kater und den missverstandenen Reiz des Pfeifens

Man stelle sich den umgekehrten Fall vor: Ein Begriff wie „Dogcalling“ für Frauen, die Männern hinterherpfeifen, ihnen an der Tankstelle charmant die Unterarme kommentieren oder beim Sommerfest der Stadtverwaltung mit „Na, du kräftiger Kerl mit dem Bierbauch, du siehst aus wie jemand, der eine ordentliche Portion Grillgut braucht!“ glänzen. Aber nein — das gibt es nicht. Der Mann ist im Sprachraum kein Hund, sondern, bestenfalls, ein „Typ“. Vielleicht ein „Kerl“, ein „Dude“, in seltenen Fällen ein „Gentleman“, was meistens ironisch gemeint ist. Die Frau dagegen wird, offenbar ganz selbstverständlich, zur Katze degradiert: verspielt, schnurrend, hübsch anzusehen, aber bitte nur so lange, bis sie die Krallen ausfährt.

Und so offenbart sich der eigentliche Skandal nicht im Pfeifen, sondern im Wort selbst: Catcalling ist ein sprachliches Fossil einer Ära, in der man Frauen mit Tieren verglich, um sie zugleich zu verniedlichen und zu entmenschlichen. „Kätzchen“ nennt man sie, wenn man sie mag, „Zicke“, wenn man sie widersprechen hört. Katzen sind niedlich, selbstständig, rätselhaft – das passt so gut ins männliche Kopfkino, dass man gar nicht merkt, wie die ganze zoologische Metaphorik schon wieder in die Falle tappt, die sie vorgibt zu meiden: Frauen als Spezies des Begehrens, Männer als Zoologen des Blicks.

Die akustische Überheblichkeit des Patriarchats

Natürlich, das Pfeifen an sich hat eine lange Tradition. Schon die Urmenschen dürften gepfiffen haben – allerdings eher, um ihre Stammesgenossen vor Säbelzahntigern zu warnen, als um deren Hüftschwung zu kommentieren. Das moderne Catcalling ist also sozusagen die entgleiste Zivilisationsform einer ursprünglich nützlichen Lautäußerung. Ein Relikt aus jener Zeit, in der der öffentliche Raum fest in männlicher Hand war und man Frauen wie dekorative Verkehrsschilder behandelte: hübsch anzuschauen, aber bitte nicht anfassen.

Heute aber, in Zeiten von Gleichstellung, Gendersternchen und Diversity-Schulungen im Betriebsrat, wirkt das Nachpfeifen nicht mehr als Ausdruck von Männlichkeit, sondern als auditives Fossil – eine Art akustische Mauerblümchen-Archäologie. Der Catcaller glaubt, er sei charmant, während die Welt um ihn herum längst festgestellt hat, dass er klingt wie ein undichter Fahrradreifen. Und trotzdem: Der Begriff, der diese Verhaltensweise benennt, bleibt in seinem Kern selbst ein Ausdruck jener alten Denkweise, die er anklagt. Ironie, thy name is Etymology.

TIP:  NEIN, MÜSSEN WIR NICHT

Wenn das Wort selbst schon den Tatbestand erfüllt

Man kann sich also fragen – ich tue das selbstverständlich nur für einen Freund –, ob die aktuelle Diskussion um Catcalling nicht einen entscheidenden Punkt überhört hat: Der Begriff selbst ist sexistisch. Wer „Catcalling“ sagt, akzeptiert unbewusst eine sprachliche Konstruktion, die das Opfer bereits auf eine metaphorische Tierrolle reduziert. Und da helfen auch Gendersternchen nichts, denn „Cat*calling“ würde höchstens aussehen, als würde man eine besonders queere Katze anrufen.

Vielleicht brauchen wir einen neuen Begriff. Etwas, das dem Ernst des Problems gerecht wird, ohne zoologische Nebenwirkungen. Vorschläge? „Menschbeschallung“? „Akustische Anmacheinheit“? „Lautübergriffigkeit“? Alles unhandlich. Vielleicht sollten wir’s einfach beim Deutschen belassen: Hinterherpfeifen – ein ehrliches Wort, das so altbacken klingt, dass es niemand freiwillig auf ein T-Shirt drucken würde. Und genau darin liegt sein Reiz: Wer es benutzt, kann gar nicht cool wirken. Ein linguistisches Pflaster, das heilt, weil es juckt.

Fazit: Zwischen Miauen und Maulen

Am Ende bleibt die bittere Ironie: Während ganze Bewegungen darum kämpfen, Frauen im öffentlichen Raum Respekt zu verschaffen, hat sich der Begriff für eine der respektlosesten Praktiken als harmloses Wort mit flauschigem Klang etabliert. Catcalling – das klingt nach einem niedlichen YouTube-Video, nicht nach einer Alltagsdemütigung. Vielleicht liegt genau darin der perfide Charme des Patriarchats: Es kleidet seine Übergriffe in Worte, die so harmlos scheinen, dass man fast vergisst, dass sie wehtun.

Und während also die einen debattieren, ob Pfeifen schon Belästigung oder noch Freiheit der Kunst ist, bleibt die andere Frage unbeachtet: Warum, um Himmels willen, sind Frauen in dieser ganzen sprachlichen Inszenierung schon wieder die Katzen? Vielleicht, weil wir Männer eben doch die wahren Katzen sind – getrieben, selbstgefällig, ständig auf der Suche nach Aufmerksamkeit, und wenn man uns die Suppe verweigert, dann kratzen wir halt. Aber das, so sagt mein Freund, wäre dann wohl ein ganz anderer Essay.

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