Heilige Worte und unheilige Wahrheiten

Mit der unnachahmlichen Mischung aus päpstlicher Würde und medienwirksamer Inszenierung hat Papst Leo XIV. sich jüngst zu Wort gemeldet. Anlass war das 34. Benefizspiel Partita del Cuore, ein Ereignis, bei dem Prominente und Sportler – arm in arm, Herz für Herz – für den guten Zweck kicken. Welch treffender Rahmen, um die Menschlichkeit zu beschwören und – oh Wunder – zum Waffenstillstand aufzurufen! „Unsere Menschlichkeit steht auf dem Spiel“, so der Papst, als habe die Welt gerade erst begonnen, sich dieser Erkenntnis zu nähern. Die Aufforderung klingt fast so frisch wie die einstigen Schwüre der Kreuzzügler, mit Frieden und Liebe im Gepäck. Doch ist es nicht gerade das Evangelium, das die Menschlichkeit predigt? Oder hat der Heilige Stuhl erst jetzt in der postmodernen Medienwelt entdeckt, dass Krieg etwas so Unmenschliches ist wie Päpste selbst Unfehlbarkeit beanspruchen?

Da steht er also, der Oberhirte der katholischen Welt, und ruft zu einem Ende des Hasses auf – was wir alle ja durchaus begrüßen. Aber ist es nicht ein Hohn, wenn er im gleichen Atemzug von einer „Barbarei, die weitaus größer ist als in früheren Zeiten“ spricht? Haben wir uns wirklich so weit vom Holocaust entfernt, dass die grausamste, systematischste Vernichtung von Millionen Menschen in Europa in der Erinnerung verblasst ist? Oder wird hier bewusst historisch gewindelt, um das eigene Bild als moralischer Kompass der Gegenwart nicht zu beschmutzen?

Die Unfehlbarkeit des Papstes und die Unfehlbarkeit der Ignoranz

Man kann nur staunen, wie gekonnt die katholische Kirchenführung sich der Kunst des Verdrängens und Beschönigens bedient. Der unfehlbare Papst, von dem die Katholiken glauben, er könne nicht irren, scheint selbst vor historischen Fakten nicht haltzumachen, wenn es dem Zweck dient. „Tradition ist alles“, so Papst Pius XII., der Vorgänger, dessen Schweigen zu einem der dunkelsten Kapitel der Kirchengeschichte gehört – doch wer erinnert sich schon gern daran? Vielleicht hätte Leo XIV. sich eine Scheibe davon abschneiden sollen, nicht nur das Vergessen zu fördern, sondern wenigstens die eigene Geschichte nicht durch groteske Übertreibungen zu entstellen.

TIP:  Die vergessene Integrität

Die Predigt gegen Krieg und Hass ist nobel – fast rührend – aber sie schwingt auf dünnem Eis. Während weltweit Bomben fallen, Menschen fliehen und Staaten zerbrechen, bleibt der Heilige Vater in seiner gewohnten Haltung: eindringlich, jedoch blind für die eigenen blinden Flecken. Die Heiligkeit als Synonym für Unfehlbarkeit – was für eine Ironie! Denn in dieser Unfehlbarkeit liegt eine tödliche Gefahr: die Unfähigkeit zur Selbstkritik, zur echten Umkehr, die nötiger wäre als all die hochtrabenden Appelle.

Die „Barbarei“ im Spiegel der Heiligen

Wenn Leo XIV. von einer „Barbarei, die weitaus größer ist als in früheren Zeiten“ spricht, offenbart sich ein zynisches Spiel mit der Wahrheit. Die Barbarei des 20. Jahrhunderts mit ihren industriellen Vernichtungsmaschinen, dem Holocaust, den Gulags und Atombomben wird in einem Atemzug relativiert mit den Kriegsgräueln der Gegenwart. Sicher, die Gegenwart ist grausam, blutig und brutal. Doch die Geschichte zeigt uns, dass Grausamkeit nicht linear wächst, sondern sich in Wellen schlägt, mal leiser, mal lauter, mal vernebelt, mal in brutaler Klarheit.

Wie soll man diese Aussage verstehen? Als Versuch, die heutigen Konflikte dramatischer erscheinen zu lassen? Als rhetorischen Kniff, um mediale Aufmerksamkeit zu erhaschen? Oder als Ausdruck einer moralischen Hilflosigkeit, die ihre eigenen Grenzen nicht zu erkennen vermag? Die Menschen in den Kriegsgebieten der Ukraine, Israels, Gazas und Irans leiden sicherlich – doch wer nicht die Schatten der Vergangenheit kennt, verliert sich in einer Narration, die weder gerecht noch hilfreich ist.

Satire als letzte Zuflucht der Vernunft

Am Ende bleibt die Satire als Schutzschild gegen die allzu großen Worte der Mächtigen. Denn wenn selbst der Papst mit zynischem Pathos die „Barbarei“ unserer Zeit überhöht, muss man fragen: Wer bewahrt uns vor der Heiligkeit selbst? Die Ironie steckt nicht nur in den Worten, sondern auch im Fehlen der Konsequenz: Wo waren die Appelle gegen die jahrzehntelangen Untaten, die Kollaborationen, das Schweigen? Wo ist der Mut, sich den eigenen historischen Versäumnissen zu stellen? Stattdessen große Gesten, die wie vom Theaterregisseur inszeniert wirken – nicht selten als bloße Selbstinszenierung, die mehr blendet als erhellt.

TIP:  Der Revolutionssimulator

Vielleicht liegt die größte Barbarei darin, dass die Stimme, die sich als moralische Autorität erhebt, manchmal nichts anderes tut, als die tiefen Wunden der Geschichte zu übertünchen – mit dem weißen Tuch der heiligen Worte und dem bitteren Geschmack der Heuchelei. Doch selbst in dieser bitteren Ironie steckt ein Hoffnungsschimmer: die Erkenntnis, dass auch Heiligkeit nicht unfehlbar ist, und dass die Menschlichkeit nicht allein in hohlen Worten, sondern im ehrlichen Handeln liegt.


Was bleibt? Ein bitteres Lachen über die Widersprüche, ein augenzwinkernder Blick auf die Welt, und die stete Mahnung: Auch die höchsten Würdenträger sind nur Menschen – und Menschen irren. Zum Glück. Denn nur so bleibt uns die Chance, Menschlichkeit wirklich zu leben.

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