
Die Heilige Unzucht – oder: Wenn die Spende mit Stöckelschuhen klimpert
Es beginnt, wie so viele Grotesken des 21. Jahrhunderts, mit einer Bombe, die nicht im Orient, sondern im Herzen Europas hochgeht – einer spirituell-sprengstoffartigen Enthüllung, die gleichzeitig so banal ist, dass sie fast schon wieder poetisch wirkt. In Wien, wo seit Jahrhunderten das K&K-Wiener-Geflecht aus kaiserlicher Bigotterie und Kaffeehaus-Melancholie gedeiht, hat sich ein Skandal aufgetan, der selbst die durch alle Metropolenschlachten gegerbten Kaffeehausliteraten erblassen lässt: Spenden, gesammelt in Moscheen, in der Hoffnung auf Segen, Vergebung und ein himmlisches Parkticket im Jenseits, wurden angeblich umgewandelt in fleischliche Begegnungen ganz diesseitiger Natur – mit Escort-Damen, auf Deutsch: käufliche Engel ohne Flügel, aber mit Rechnung auf Wunsch.
Nicht etwa islamkritische Kolumnisten oder rechtskonservative Verschwörungsfetischisten tragen diese Geschichte an die Öffentlichkeit – nein, die peinlichsten Enthüllungen stammen von der türkischen Religionsbehörde selbst, jener moralischen Korrekturanstalt, die dem türkischen Präsidenten direkt untersteht. Wenn also Diyanet spricht, dann ist das nicht weniger als das Flüstern Allahs durch den Bart der Bürokratie. Und dieser Allah scheint derzeit sehr unzufrieden zu sein – nicht etwa mit westlicher Dekadenz, sondern mit seinen eigenen, österreichisch-türkischen Funktionären.
Die Pilgerfahrt zur Pimperlounge
Man stelle sich die Szene vor: Freitagmittag, die Moschee gefüllt mit gläubigen Männern, die Hände geöffnet, die Stirnen vom Beten glänzend, während draußen die Spendendosen rasseln. Für den Hadsch, für das Opferfest, für das liebe Jenseits. Und irgendwo in einer Wiener Bar wird mit genau diesen Euros ein Tequila bestellt, stilecht serviert von einer Dame mit BH, aber ohne Burka. Das ist keine Szene aus einem satirischen Netflix-Drehbuch, sondern – so berichten türkische Medien – ein Fall von „Zweckentfremdung“, wie es in der kirchlichen Buchhaltung wohl heißen würde.
Escort-Skandal nennen es die Journalisten. Ich nenne es die Heilige Unzucht, ein Sakrileg auf High Heels. Da wurden Spenden, die eigentlich dazu gedacht waren, Schafe in Mekka zu schlachten oder Bücher über das richtige Reinigen nach dem Gebet zu drucken, offenbar in sogenannte „Dienstleistungen“ investiert, die man schwerlich in einer Fatwa absegnen könnte.
Aber vielleicht war es ja eine Form von Sozialarbeit. Vielleicht war Imam F.M.K. einfach ein sehr fortschrittlicher Seelsorger, der erkannt hat, dass das Seelenheil auch durch körperliche Nähe befördert werden kann. Schließlich ist der Islam, so hört man, eine Religion der Barmherzigkeit – und was ist barmherziger, als einem gestressten Religionsfunktionär den Rücken zu massieren, gegen Spende?
Allah sieht alles – außer den Postenbeschaffer mit Verwandtschaft zur Macht
Natürlich, die Diyanet hat reagiert. Fünf Jahre lang wurde in Wien „ermittelt“. Wobei „ermitteln“ hier mehr nach einem ausgedehnten Urlaub in der Donau-Metropole klingt, bei dem sich die Prüfer großzügig zum Essen einladen ließen. Vielleicht bei Figlmüller. Vielleicht im Swingerclub. Man weiß es nicht. Was man weiß: Der eine oder andere mutmaßliche Täter hatte offenbar verwandtschaftliche Beziehungen in Richtung AKP. Und wie es in autoritär geölten Systemen so üblich ist, wird das familiäre Netzwerk dann nicht für Familienfeste genutzt, sondern für das, was man im osmanischen Verwaltungsjargon „Günstlingsmanagement“ nennt.
Der Skandal wurde deshalb nicht sofort veröffentlicht – sondern erst jetzt, als ihn regierungskritische Medien wie Sözcü an die Öffentlichkeit brachten. Der Verdacht liegt nahe: Man wollte vertuschen. Und wenn die Diyanet fünf Jahre braucht, um herauszufinden, dass Gelder verschwunden sind, könnte das entweder an unfähigen Buchhaltern liegen – oder an sehr fähigen Vertuschern. In jedem Fall: Die AKP-Regierung ist pikiert. Denn wenn selbst die Sünde nicht mehr ordentlich unterdrückt werden kann, was bleibt dann noch vom neo-osmanischen Moralimperium?
Der große schweigende Halbmond
In Wien schweigt man. ATIB, sonst nicht gerade bekannt für sprachliche Zurückhaltung, verschickt kein Statement, keine Pressemitteilung, nicht mal eine halbherzige WhatsApp-Nachricht mit Emojis. Das Schweigen ist laut – so laut, dass man es bis nach Ankara hören kann. Und vielleicht auch bis in die heiligen Hallen der österreichischen Religionsabteilung im Bundeskanzleramt, wo man vermutlich ebenfalls schweigt, weil man weder die Muslime aufbringen, noch die Boulevardzeitungen füttern will.
Es ist die perfekte Farce für ein Zeitalter der Heuchelei. Da wird in Talkshows über Integration gestritten, während im Hintergrund Moscheefunktionäre Spesenzettel frisieren. Da debattiert man über Kopftuchpflicht in Schulen, während Spenden für Beerdigungen in erotische Abenteuer umgewandelt werden. Und da träumt ein Präsident von der moralischen Wiedergeburt seines Volkes – während seine Beamten mit dem Begräbnisfonds der Diaspora den Puff besuchen.
Der Prophet hätte sich im Grab umgedreht – wenn es steuerlich absetzbar wäre
Am Ende bleibt ein Bild zurück, das in seiner Absurdität fast schon wieder tröstlich ist: Da predigt ein Imam die Reinheit des Herzens, während seine Kreditkarte im Stripclub glüht. Da spricht die Diyanet von Disziplinlosigkeit, als ginge es um vergessene Arbeitszeiten – nicht um göttlich sanktionierte Veruntreuung. Und da schweigen die Institutionen, als könne man durch Nicht-Kommunikation moralische Autorität retten.
Aber vielleicht ist genau das die Essenz der modernen Religionsverwaltung: Der Mensch sündigt – und die Verwaltung schreibt eine Quittung. Auf Wunsch mit Mehrwertsteuer.
Fazit:
Wir leben im Zeitalter des moralischen Hochverrats mit halal-zertifiziertem Zynismus. Möge der nächste Spendenskandal wenigstens Quittungen auf Türkisch und Deutsch ausstellen – damit auch das Finanzamt was davon hat.